Arthur Schnitzler
Zwischenspiel
Arthur Schnitzler

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Erster Akt

Studiersalon bei Adams. Dunkelgrau gemalt mit einfachem Fries. Im Hintergrund Tür, die auf eine kleine Gartenveranda führt, rechts und links von der Türe je ein Fenster; Blick auf den Garten, der drei Stufen tiefer liegt. Zwischen dem rechten Fenster und der Tür eine Etagere, zwischen dem linken Fenster und der Türe ein Notenpult. Sowohl über der Etagere als über dem Pult Reliefs nach Antiken. – Rechts vorn Haupteingang, rechts hinten Türe in die Zimmer Cäciliens. Links hinten Tapetentür zu Amadeus. – Rechte Seite: hoher Bücherschrank, oben Büste von Verrocchio. In der Ecke rechts hinten hohe Vase auf Ständer, mit Blumen. Links vorn Kamin, darüber Spiegel; auf dem Kamin eine einfache französische Uhr; vor dem Kamin ein Tischchen mit Sesseln. Weiter rückwärts links Etagere mit Noten; über ihr Stiche: Schumann, Brahms, Mozart usw. In der Ecke links eine Beethoven-Büste. – Links gegen die Mitte Klavier mit Klaviersessel; ein Sessel steht vorn ans Klavier gerückt. Rechts Schreibtisch, dahinter Fauteuil; Divan an den Schreibtisch gerückt. Rechts und links vom Zuschauer.

Erster Auftritt

Amadeus, Friederike.

Amadeus dreißig Jahre, schlank, dunkles schlichtes Haar, bartlos. Seine Bewegungen rasch, zuweilen hastig. Grauer Sakkoanzug; elegant, aber ein wenig nachlässig. Gewohnheit, mit der linken Hand zuweilen das Sakko zurückzuschlagen und es festzuhalten. Er sitzt am Klavier und begleitet Friederike.

Friederike achtundzwanzig Jahre, hellgrau englisches Kostüm, rote Seidenbluse; breitrandiger eleganter Sommerhut. Sie ist zierlich und rötlich blond. Singt aus »Mignon«Ausgabe: Klavierauszug S. 129. Paris. Au Ménestrel, 2 Rue Vivienne. : »Hahaha! ist's wahr, wirklich wahr? . . .« Bewegung, als wenn sie mit der Reitpeitsche den Staub von den Kleidern klopfte.

Amadeus begleitet und markiert die Rolle des Friedrich. » Lachen Sie nur, ich bin ein Narr, ruiniere mein Pferd . . .«

Friederike. »Wünschen Sie vielleicht . . .«

Amadeus nervös. Warten Sie doch! . . Sie wissen ja noch nicht, warum ich mein Pferd ruiniere . . . »Ruiniere mein Pferd, um früher Sie zu sehen . . .«

Friederike wie oben. »Wünschen Sie vielleicht, daß ich weine?«

Amadeus wie oben. »O, schon bereu' ich es schwer, daß ich nur kam.«

Friederike wie oben. »Nun so . . .

Amadeus. Gis!

Friederike wie oben. »Nun so kehren Sie um. Bald genug erblick' ich Sie wieder!«

Amadeus. Das sagt sie ironisch, nicht zärtlich! »Bald genug erblick' ich Sie wieder . . .«

Friederike wie oben. »Bald genug erblick' ich Sie wieder . . .«

Amadeus. Nicht mit Haß, sondern ironisch, Frau Gräfin.

Friederike. Sie sollen mich nicht Frau Gräfin nennen, sondern Friederike, wenn Sie mit mir studieren.

Amadeus. Sehen Sie, das ist der Ton für die Philine. Den halten Sie fest . . .Und das sind die richtigen Augen . . .Wenn Sie das auf der Bühne träfen, dann wären Sie beinah eine Künstlerin.

Friederike. Ach Gott, ich habe die Philine schon mindestens zwanzigmal gesungen!

Amadeus. Aber hier nicht, Fried . . . Frau Gräfin. Und nicht, wenn Frau Adams-Ortenburg die Mignon sang. Beugt sich vor und sieht nach dem Garten hinaus.

Friederike. Sie kommt noch nicht. Lächelnd. Vielleicht ist die Probe noch nicht aus.

Amadeus. Vielleicht. Er ist aufgestanden.

Friederike. Ist es richtig, daß Frau Adams-Ortenburg nächsten Herbst in Berlin gastiert?

Amadeus. Es ist noch nicht sicher. – Er geht zum Fenster rechts. Sie gestatten. Öffnet.

Friederike. Ein herrlicher Sommertag! Und wie Ihre Rosen duften. Beinah – –

Amadeus. Beinahe wie in Tremezzo – ich weiß.

Friederike. Wie können Sie das wissen? Sie waren ja noch nicht dort.

Amadeus. Aber Sie haben mir genug davon erzählt. Eine Villa liegt am Wasser, leuchtend und weiß, Marmorstufen führen geradeaus in den blauen See.

Friederike. Ja. Und in sehr heißen Nächten schlafe ich zuweilen mitten im Park auf dem Rasen unter einer Platane.

Amadeus. Die Platane ist berühmt. – Aber die Zeit vergeht. Singen wir doch lieber. Wieder am Klavier. Die Polonaise. Ich bitte, Frau Gräfin. Er begleitet.

Friederike singt:l. c. S. 285. »Titania ist herabgestiegen, Die Fee der Luft vom blauen Wolkensitz, Will die Welt behende nun durchfliegen, Noch schneller als der Vogel, schneller als der Blitz . . .«

Amadeus bricht ab, läßt den Kopf sinken. Nein, nein, es geht nicht. – Bitten Sie doch den Direktor, er möchte die Partie mit Ihnen studieren. Was mich anbelangt, ich habe eine gewisse Achtung auch vor den Leuten, die im Sommer ins Theater gehen. Sie müssen sich nicht alles bieten lassen. Gehn Sie zum Direktor: Ich lass' ihn grüßen und ich hab' was Besseres zu tun. Klappt die Noten zu.

Friederike freundlich. Das glaub' ich schon. Wie weit sind Sie denn eigentlich mit Ihrer Oper?

Amadeus. Um Gottes willen, tun Sie doch nicht, als ob Sie dergleichen interessierte. Es verlangt's ja niemand.

Friederike. Ist sie bald fertig?

Amadeus. Fertig –? . . . Wie stellen Sie sich das vor? Abends mindestens zweimal wöchentlich dirigieren, vormittag Proben oder gar Korrepetition . . . glauben Sie, daß man sich nach einer solchen Stunde hinsetzen kann und die Muse erwarten?

Friederike. Nach einer solchen Stunde! . . . Sie sind nicht ganz unbefangen mir gegenüber, Amadeus.

Amadeus. Nicht unbefangen? ich? Ihnen gegenüber? – Ich glaube, Frau Gräfin, auch in Ihren verwegensten Augenblicken denken Sie nicht daran, daß meine Frau von Ihnen etwas zu fürchten hätte.

Friederike. Sie wollen mich wahrscheinlich mißverstehen. Sie ist zum Kamin gegangen und wendet sich jetzt wieder zu Amadeus. Sie wissen sehr wohl, warum Sie gegen mich so gereizt tun, Amadeus. Weil Sie in mich verliebt sind.

Amadeus sieht in die Luft und spielt Klavier.

Friederike. Mit dem Dreiklang da werden Sie mir nicht das Gegenteil beweisen.

Amadeus. Dreiklang da . . . Sagen Sie mir lieber, was es für einer ist. Schlägt ihn nochmals wütend an.

Friederike. As dur.

Amadeus gelangweilt. G dur selbstverständlich.

Friederike neben ihm, lächelt. An dem halben Ton soll unser Glück nicht scheitern.

Amadeus steht auf, geht nach hinten und blickt in den Garten.

Friederike. Ihre Frau?

Amadeus. Nein, mein Bub' spielt draußen. Am Fenster, winkt hinaus.

Pause.

Friederike. Sie nehmen das Leben zu schwer, Amadeus.

Amadeus am Fenster, sich zu ihr wendend. Ich kann nicht lügen – ich will nicht lügen. Das heißt nicht: das Leben schwer nehmen.

Friederike. Nicht lügen . . . Sie waren doch manchmal viele Monate von Ihrer Frau fort – nicht wahr? Ihre Frau war doch schon hier engagiert, während Sie noch irgendwo draußen Kapellmeister waren? . . . Also . . .

Amadeus. Das sind Dinge, die Sie nicht ganz verstehen, Frau Gräfin. Blickt zur Eingangstüre.

Friederike. Nein, es kann Ihre Frau noch nicht sein. An einem so schönen Tag wie heute wird sie auf ihren Spaziergang doch nicht verzichten.

Amadeus. Was Sie da versuchen, Friederike, ist ziemlich kläglich.

Friederike. Warum denn? Ich weiß ja, daß sie zuweilen auch mit Ihnen spazieren geht.

Amadeus. Wenn es meine Zeit erlaubt, ja. Und manchmal mit Sigismund. Heute wahrscheinlich mit dem Fürsten Sigismund . . . das wollten Sie mir doch sagen?

Friederike. Weshalb denn? Sie wissen es doch. Mir fällt es wahrhaftig nicht ein, was Übles daran zu finden; er ist ja Ihr Freund.

Amadeus. Mehr – oder weniger als das. Er war mein Schüler.

Friederike. Das hab' ich ja gar nicht gewußt.

Amadeus. Als ganz junger Mensch, vor zehn Jahren, hab' ich auf dem Schloß seines Vaters gelebt. Wer weiß, wo ich heute wäre ohne den alten Fürsten Lohsenstein. Ja, wir Männer haben im allgemeinen eine andere Jugend hinter uns als ihr . . .

Friederike. . . . Als ihr Künstlerinnen.

Amadeus. . . . als ihr Gräfinnen wollt' ich sagen. Drei Jahre hab' ich jeden Sommer auf dem Schloß in Krumau verbracht. Dort konnt' ich – zum erstenmal in meinem Leben – für mich in Ruhe arbeiten und hatte nichts weiter zu tun, als Sigismund zu unterrichten.

Friederike. Wollte er denn Pianist werden?

Amadeus. Das nicht; er wollte in einen Orden eintreten.

Friederike. So? ist das wahr? – Nein, wie sich die Menschen ändern!

Amadeus. Nicht so sehr, als Sie glauben. Er ist ein sehr ernster Charakter geblieben.

Friederike. Und spielt dabei so hübsch Tanzmusik –?

Amadeus. Warum nicht? Dem Himmel ist ein guter Walzer und ein guter Choral gleich wohlgefällig.

Friederike. Was waren das einmal für reizende Abende in Ihrem Haus! Noch in diesem Winter. Wir sprechen manchmal davon, der Graf und ich. – Lädt man den Fürsten Sigismund auch nicht mehr ein, so wie mich?

Amadeus. Liebe Gräfin, er ist erst vor vierzehn Tagen bei uns gewesen – einen ganzen Abend lang. Wir haben draußen in der Laube soupiert, dann noch lang hier im Zimmer geplaudert, und vor dem Fortgehen hat er über den Cagliostro-Walzer phantasiert. – Und was meine Frau auf diesem Spaziergang mit ihm redet, während ich nicht dabei bin, bleibt mir so wenig unbekannt, als ich ihr verschweige, was wir zwei zueinander reden. So stehen wir zueinander, meine Frau und ich, damit Sie es doch endlich begreifen, Friederike!

Friederike. Es gibt aber doch Dinge, die man einander nicht sagen kann.

Amadeus. Zwischen Menschen unserer Art gibt es keine Geheimnisse.

Friederike. Ja dann . . . dann werden Sie Ihrer Frau heute mehr gestehen müssen, als Sie mir selbst gesagt haben, Amadeus. Adieu . . . Reicht ihm die Hand.

Amadeus. Was soll das nun eigentlich werden, Friederike?

Friederike. Warum wehren Sie sich gegen Ihr Schicksal? Ist es denn gar so schlimm? Was Sie mir sind, war mir ja doch noch keiner!

Amadeus. Verlangen Sie, daß ich Ihnen auch das glaube?

Friederike. Ich würde es nicht zur Bedingung machen. Aber es ist wahr, Amadeus. Nun leben Sie wohl. Auf morgen, Amadeus. Das Leben ist wahrhaftig viel leichter, als Sie denken . . . Es könnte so schön sein – es wird schön sein. Sie geht.

Amadeus allein. Setzt sich zum Klavier; spielt ein paar Töne. Es wird ernst . . . oder wird es heiter? . . . Schüttelt den Kopf.

 
Zweiter Auftritt

Amadeus. – Albertus Rhon tritt ein.

Albertus mittelgroß; ziemlich langes, schwarzes, graumeliertes Haar; eher nachlässig gekleidet.

Amadeus. Ah, du bist's, Albertus? Grüß' dich Gott!

Albertus. Ich komme mich erkundigen, Amadeus, wie es mit unserer Oper steht. Hast du was gemacht?

Amadeus. Nein.

Albertus. Wieder nichts?

Amadeus. Ich komme hier wohl nicht mehr dazu. Wir müssen die Ferien abwarten; ich habe zu viel zu tun. Jetzt bringen wir die »Mignon« heraus mit einigen Neubesetzungen – –

Albertus. Wenn ich mich nicht täusche, sah ich Philine eben an mir vorüberschweben – mit ziemlich trunkenen Augen . . . O! sollt' ich wieder ein wenig taktlos gewesen sein? Entschuldige.

Amadeus abgewandt. Es stimmt; sie war eben hier. Das verdammte Korrepetieren! Aber es dauert hoffentlich nicht mehr lang. Im nächsten Winter muß sich meine Zukunft endgültig entscheiden; Urlaub hab' ich schon.

Albertus. Also wird's Ernst mit der Tournee?

Amadeus. Ja, ich gehe diesmal auf zwei Monate fort.

Albertus. Deutsche Städte?

Amadeus. Wahrscheinlich auch einige italienische. Ja, mein Lieber, man weiß im Auslande mehr von mir als daheim. Ich werde meine dritte dirigieren und hoffentlich auch die vierte.

Albertus. Bist du denn schon so weit?

Amadeus. Nein; aber ich verspreche mir was von dem heurigen Sommer. Da soll wieder einmal ordentlich gearbeitet werden.

Albertus. Zeit wär's ja. – Unsere Fußtour hab' ich übrigens zusammengestellt. Ich hab' auch die Karte mitgebracht. Schau' einmal her. In Niederdorf beginnen wir, von dort über Plätzwiesen nach Schluderbach, dann Cortina, dann über den Giaupaß nach Caprile, dann über den Fedaja – –

Amadeus. Ich überlasse, dir alles, ich vertraue dir vollkommen.

Albertus. Also es bleibt dabei, daß wir wieder einmal mit dem Rucksack und Bergstock durch die Lande ziehen, wie in jungen Jahren –?

Amadeus. Ja. Ich freue mich sehr darauf.

Albertus. Du brauchst einfach Sammlung; – ein paar Wochen Gebirgsluft und Ruhe, das wird dich schon herausreißen.

Amadeus. Ich bin ja nirgends versunken. Nervös bin ich, das ist alles.

Albertus. Merkst du nicht, Amadeus, wie du schon diese Ausflucht mir gegenüber, dem du ja zur Ehrlichkeit nicht verpflichtet bist, deiner Natur abringen mußt? wie du an diese kleine Unaufrichtigkeit gewissermaßen einen Teil deiner geistigen Kraft verschwendest? Ich habe es dir immer gesagt: Verstellung liegt deiner Natur fern. Wenn du einmal in die Lage kämst, einem Wesen gegenüber, das dir nahesteht, Komödie zu spielen, so gingst du daran zugrunde,

Amadeus. Diese Sorge ist überflüssig! Du kennst uns doch lang genug, mich und Cäcilie, und weißt, daß unsere Ehe vor allem auf vollkommene Aufrichtigkeit gegründet ist.

Albertus. Den guten Willen hätten viele, aber im richtigen Moment fehlt manchmal der Mut.

Amadeus. Wir haben einander noch nie etwas verschwiegen.

Albertus. Weil ihr euch vorläufig noch nichts zu gestehen hattet.

Amadeus. Vielleicht doch mancherlei, was andere für sich behalten hätten. Unser Leben hat ja keinen so einfachen Verlauf genommen. Monatelang haben wir getrennt voneinander existieren müssen. Ich habe schon mit andern Sängerinnen studiert als mit Philine, und überlegen auch andere Männer als Fürst Sigismund haben gefunden, daß Cäcilie schön ist.

Albertus. Ich habe nicht von Cäcilie gesprochen.

Amadeus. Und nebstbei wäre zwischen Cäcilie und mir auch jeder Versuch des Verschweigens aussichtslos. Wir kennen einander so gut – gewiß hat es noch nie zwei Menschen gegeben, die sich so vollkommen verstanden haben wie wir.

Albertus. Ich kann mir einen Punkt denken, wo das Verständnis aufhört und damit alles andere.

Amadeus. Alles andere, das wäre möglich, – aber gerade das Verständnis nicht.

Albertus. Nun ja. Wenn nur das Verständnis übrig bleibt, so bedeutet es auch nichts anderes als den Anfang vom Ende.

Amadeus. Das sind – Zufälle, auf die jeder Mensch gefaßt sein muß.

Albertus. Du redest aber nicht wie einer, der gefaßt, sondern wie einer, der entschlossen ist.

Amadeus. Wer könnte völlig für sich oder einen andern einstehen? Jedenfalls haben wir beide nie das Schicksal durch ein Gefühl zu großer Sicherheit herausgefordert.

Albertus. Mein Lieber, was das anbelangt: das Schicksal fühlt sich immer herausgefordert, durch Zweifel geradeso wie durch Vertrauen.

Amadeus. Daß einen nichts unvorbereitet treffen kann, gibt immerhin ein Gefühl der Beruhigung.

Albertus. Mehr Beruhigung gäbe vielleicht der feste Entschluß, alles abzuwehren, wodurch ein sicheres Glück aufs Spiel gesetzt werden könnte.

Amadeus. Glaubst du, daß mit einer solchen Abwehr etwas gewonnen wäre? Glaubst du nicht, daß: Verlockungen widerstehen mit Sehnsucht in der Seele, von allen Lügen die schlimmste und gefährlichste wäre, und daß man aus Abenteuern eher heil nach Hause käme als aus Wünschen?

Albertus. Abenteuer . . .! Müssen sie denn gerade erlebt sein? Einem Maler, der über Stümperei erhaben und über Jugendtorheit hinaus ist, genügt ein Modell für alle Gestalten, die er träumt und schafft – und den, der zu leben weiß, erwarten alle Abenteuer, nach denen ihn gelüstet, im Frieden seines Heims. Er erlebt sie geradeso wie ein anderer, aber ohne Zeitverschwendung, ohne Unannehmlichkeiten, ohne Gefahr; und wenn er Phantasie hat, bringt ihm seine Gattin, ohne daß sie es ahnt, lauter uneheliche Kinder zur Welt.

Amadeus. Es ist die Frage, ob man das Recht hat, einem Wesen, das einem wert ist, solch eine Rolle zuzumuten.

Albertus. Man darf die Menschen nie darüber aufklären, was sie einem bedeuten. Ich habe darauf einen Spruch gemacht:

Kennst du mich, so störst du mich,
kenn' ich dich, so hab' ich dich.

 
Dritter Auftritt

Die VorigenMarie und Peterl aus dem Garten. Dann das Fräulein.

Marie. Peterl wünscht durchaus, daß ich hereinkomme; ich wollte im Garten auf Cäcilie warten.

Amadeus. Grüß' Sie Gott, Marie.

Marie. Ich habe hoffentlich nicht gestört?

Fräulein aus dem Garten, will den Buben holen. Peterl!

Peterl. Nein, Fräulein, ich bleibe bei den Großen.

Amadeus. Ja, lassen Sie ihn uns nur da, Fräulein.

Fräulein ab auf die Veranda; bleibt sichtbar.

Marie. Nun, habt ihr viel gearbeitet?

Amadeus. Wir haben mehr geplaudert.

Albertus. Weißt du, warum sie sich erkundigt? Weil sie in den Herrn von Rabagas verliebt ist.

Amadeus. In wen?

Albertus. Du erinnerst dich nicht einmal an ihn! Es ist der interessante junge Mensch, der im ersten Akt im Gefolge des Königs auftritt. Früher hat sie sich wenigstens nur in die Helden meiner Stücke verliebt, jetzt werden ihr schon die Episodenfiguren gefährlich.

Amadeus. Da müßtest du doch eigentlich stolz darauf sein.

Albertus. Stolz? Manchmal bedauert man doch, daß man dazu verurteilt ist, alle Schönheiten und Tugenden der Welt in die Gestalten zu legen, die man schafft, und daß einem fürs eigene Fortkommen nichts übrig bleibt als das bißchen Geist.

 
Vierter Auftritt

Die Vorigen. Cäcilie von rechts.

Peterl. Da ist die Mama!

Cäcilie. Guten Tag. Reicht allen die Hand. Grüß' dich Gott, Marie. Das ist aber schön! Hätt' ich das gewußt . . . Ich bin ein bißchen spazieren gegangen; das Wetter ist so wundervoll! – Na Peterl küßt ihn, schon gegessen?

Peterl. Ja.

Fräulein kommt von der Veranda herein. Guten Tag, gnädige Frau. Peterl hat noch nicht seinen Mittagsschlaf gehabt.

Marie. So, schläft er noch immer am Nachmittag? Unsere zwei haben sich das vollkommen abgewöhnt.

Albertus. Dafür spielen sie jetzt jeden Nachmittag ein wunderschönes Spiel, das sie selbst erfunden haben; es heißt »Trommler und Trompeter«.

Marie. Komm nur bald wieder zu uns, Peterl; dann kannst du mitspielen.

Peterl. Ja, ich hab' ein Werkel, das nehm' ich mir mit, damit mehr Lärm ist.

Cäcilie. Jetzt geh, sag' aber schön adieu zuerst.

Peterl. Habe die Ehre, sag' ich; adieu ist mir zu gemein.

Alle lachen; er geht mit dem Fräulein.
Die beiden Frauen gehen langsam zum Kamin und setzen sich dann dort nieder.

Marie. Ich komme natürlich, dich um etwas bitten.

Cäcilie. Ich höre.

Marie. Es handelt sich um ein Konzert, bei dem du gebeten wirst mitzuwirken.

Cäcilie. Heuer noch?

Marie. Ja, Cäcilie. Es soll auch nicht in der Stadt sein, sondern auf dem Land . . . zu einem wohltätigen Zweck natürlich. Wenn du nur zwei, drei Lieder singst, wird das Komitee ganz glücklich sein.

Cäcilie. Das wird sich schon machen lassen.

Marie. Ich wäre dir sehr dankbar.

Amadeus. Machen Ihnen solche Veranstaltungen nicht viel Mühe?

Marie. Irgend eine Beschäftigung muß der Mensch doch haben. Wenn ich zu irgendwas Talent hätte, wie ihr alle, so kümmerte ich mich gewiß nicht um Volksküchen und Teeanstalten, – da wären mir die Menschen wahrscheinlich auch egal.

Cäcilie lächelnd. Auch . . .?

Marie. Es war nicht so gemeint.

Albertus. Du solltest aus der Wiesenanmut deines holden Plauderns dich nicht in das Dickicht psychologischer Erörterungen begeben, Marie. – Übrigens komm, Kind; diese beiden Menschen werden Mittag essen wollen.

Cäcilie. O, bis dahin ist's noch eine Stunde.

Amadeus. Wir arbeiten vor Tisch gewöhnlich noch ein bißchen zusammen. Heute könnten wir zum Beispiel die Lieder für Ihr Konzert durchmachen.

Cäcilie. Ja, da bin ich ganz einverstanden.

Marie. Ich bin dir so dankbar, Cäcilie!

Cäcilie. Wann sieht man sich denn wieder?

Albertus. Ja richtig. Wir haben eben über den Sommer gesprochen. Amadeus und ich unternehmen eine Fußwanderung. Wie wär's, wenn ihr beide während dieser Zeit mit den Kindern an den selben Ort gingt, irgendwohin nach Tirol vielleicht, um uns dort zu erwarten?

Marie. Das wäre ja wunderschön!

Cäcilie. Hörst du, Amadeus?

Amadeus der etwas abseits stand. Natürlich. Das wäre sehr gut . . . Ihr erwartet uns in Tirol.

Cäcilie. Willst du morgen nachmittag zu mir kommen, Marie? Da besprechen wir das Nähere.

Marie. Gern. Ich bin ja so froh, wenn du ein wenig Zeit für mich hast. – Also auf Wiedersehen!

Albertus. Adieu. Albertus und Marie ab.

 
Fünfter Auftritt

Amadeus, Cäcilie.

Amadeus geht auf und ab.

Cäcilie folgt ihm mit den Blicken; sie sitzt auf dem Divan.

Amadeus zum Fenster; dann zurück. Mit eigentümlich trockenem Ton. Nun, wie war's denn? geht das Finale endlich zusammen?

Cäcilie. Leidlich.

Amadeus. Vorgestern war es noch nicht recht auf der Höhe. Ich finde, sie lassen dich nicht ganz heraus; deine Stimme müßte über den andern schweben, nicht im Schwarm mitfliegen.

Cäcilie. Willst du morgen nicht wieder einmal zu einer Probe kommen . . . wenn du Zeit hast?

Amadeus. Es wäre dir angenehm –?

Cäcilie. Ich fühle mich sicherer, wenn ich dich in der Nähe weiß; das ist dir ja bekannt.

Amadeus. Ich werde kommen – ja. Ich werde dem Neumann und der Gräfin absagen.

Cäcilie. Wenn du damit kein zu großes Opfer bringst – –

Amadeus absichtlich trocken. Ich kann sie ja auch für Nachmittag zu mir bitten.

Cäcilie. Dann kämst du aber gar nicht dazu, für dich zu arbeiten. Lassen wir's doch lieber.

Amadeus. Was sollen wir lassen?

Cäcilie. Komm morgen nicht zur Probe.

Amadeus. Wie du meinst, Cäcilie. Ich dränge mich natürlich nicht auf. Eben sagtest du aber, du fühltest dich sicherer, wenn ich in der Nähe bin. Und was das Arbeiten anbelangt, damit wird es ja – ich sprach eben mit Albertus davon – damit wird's vor den Ferien doch nichts.

Cäcilie. Das dacht' ich mir.

Amadeus. Aber im Sommer will ich meine Vierte fertig machen. Ich will heuer was neues zu dirigieren haben. Im übrigen handelt es sich nur mehr um den letzten Satz. Die übrigen sind, innerlich wenigstens, so gut wie fertig.

Cäcilie. Du hast mir schon lang nichts daraus vorgespielt, Amadeus.

Amadeus. Zum Vorspielen ist es noch nichts; aber die Hauptthemen kennst du doch . . . das Allegro . . .das Zwischenspiel . . Er ist am Klavier und spielt einige Töne.

Cäcilie. Also im November gehst du fort?

Amadeus. Ja, für drei Monate.

Cäcilie. Und im Oktober werde ich in Berlin sein.

Amadeus. So . . . gibt's etwas Neues in dieser Angelegenheit?

Cäcilie. Ja; ich habe so ziemlich abgeschlossen. Reichenbach hat mich in der Oper aufgesucht. Drei Gastrollen: die Carmen jedenfalls, die andern kann ich wählen.

Amadeus. Und welche wirst du – –

Cäcilie. Die Tatjana, denk' ich. Sie sollen dort einen so ausgezeichneten Onegin haben.

Amadeus. Wedius, ja; ich kenne ihn. Er war zu meiner Zeit in Dresden. – Na, Carmen, Tatjana und –?

Cäcilie. Das überlege ich noch . . . Vielleicht besprechen wir's miteinander.

Amadeus. Selbstverständlich. Pause.

Cäcilie. Es wird ein bewegter Winter.

Amadeus. Allerdings. Man wird nicht viel voneinander haben.

Cäcilie. Wir werden uns wieder Briefe schreiben.

Amadeus. Wie einst.

Cäcilie. Wir sind es ja gewöhnt.

Amadeus. Ja. Pause. Im übrigen, sage: du willst tatsächlich bei diesem Wohltätigkeitskonzert mitwirken?

Cäcilie. Warum nicht? Ich konnte es doch Marie nicht abschlagen. Hast du was dagegen?

Amadeus. Nein . . . warum denn? Wir könnten nun wirklich die halbe Stunde vor Tisch benützen, um noch was durchzunehmen. Zur Etagere hin. Was willst du denn singen?

Cäcilie. Nun, etwas von dir jedenfalls – –

Amadeus. O nein, nein.

Cäcilie. Warum denn nicht?

Amadeus. Aus einem innern Bedürfnis heraus singst du's ja doch nicht.

Cäcilie. Wie du meinst, Amadeus. – Ich dränge mich auch nicht auf.

Amadeus gebückt, suchend. Wie war' es mit Schumann . . . »Schneeglöckchen«? . . . oder . . . »Alte Laute« . . . und . . . »Verratene Liebe« . . .

Cäcilie. Ja. Dann vielleicht von Wolf »Verborgenheit« und irgendwas von Brahms. »Nicht mehr zu dir zu gehen, beschloß ich . . .«

Amadeus. Ja. Eben habe ich das Heft in der Hand. Leicht, trocken. Du bist doch mit Sigismund spazieren gegangen?

Cäcilie. Ja. Er läßt dich grüßen.

Amadeus lächelnd. Wozu? Mit den Noten zum Klavier. Da könnte er ebensogut wieder zu uns kommen.

Cäcilie. Es gefällt mir nicht am wenigsten an ihm, daß er das nicht tut.

Amadeus. So? – Nun ja. – Ich lass' ihn gleichfalls grüßen. Aber es ist wirklich schade, daß er nicht mehr kommt. Es war so hübsch, wenn er seine Walzer spielte – wirklich, es waren so nette Abende . . . Ich sprach eben mit der Gräfin von diesen Abenden.

Cäcilie. So? – Und ich habe eben ihr Bild gesehen.

Amadeus. Ihr Bild?

Cäcilie. Ich war mit Sigismund im Künstlerhaus.

Amadeus. So. – Es soll sehr gelungen sein, das Bild.

Cäcilie. Es wäre ein Wunder, wenn das nicht gelungen wäre! Der Maler soll ja ein halbes Jahr dazu gebraucht haben . . .

Amadeus. Ist das so lang für ein gutes Bild?

Cäcilie. Nein. Aber für die Gräfin. – Sie wird übrigens sicher auch die Philine sehr gut singen.

Amadeus. Glaubst du? Ich fürchte, du wirst dich irren . . . Pause. Also, Cäcilie, was habt ihr denn heute miteinander gesprochen . . . du und Sigismund?

Cäcilie. Was wir gesprochen haben . . . ? Pause. Die Worte findet man doch nicht wieder . . . Langsam zum Kamin hin. Sie klingen auch anders, wenn man sie nur wiederfindet.

Amadeus. Das ist richtig. Näher zu ihr. Auf die Worte kommt es wohl nicht so sehr an . . . Nun, Cäcilie, solltest du mir nicht mehr zu sagen haben?

Cäcilie. Mehr –? Zögernd. Glaubst du nicht, Amadeus, daß manche Dinge geradezu anders werden dadurch, daß man versucht sie auszusprechen?

Amadeus. Unter Menschen wie wir – nein!

Cäcilie. Was du da sagst, hatte vielleicht früher einmal Geltung. Aber . . . du weißt es ja geradesogut wie ich . . . es ist nicht mehr, wie es war.

Amadeus. Nicht mehr ganz. Ja. Aber das dürfte doch für keinen von uns ein Grund sein, dem andern eine Antwort zu verweigern. Solche Bedenken wären unserer nicht würdig. Wir sind es ja: Cäcilie, du, und ich! Sag' mir ungescheut, was du mir zu sagen hast.

Cäcilie steht auf. Du mußt mir nicht Mut zusprechen, Amadeus.

Amadeus. Nun –?

Cäcilie schweigt.

Amadeus. Liebst du ihn?

Cäcilie. Ob ich ihn liebe . . . ?

Amadeus mahnend. Cäcilie! . . .

Cäcilie. Soll ich mehr sagen, als ich für wahr halte? Wäre das nicht wieder Lüge? – so gut und so schlecht als eine andere? – Nein, ich glaube nicht, daß ich ihn liebe. Als ich dich kennen lernte, Amadeus, war es anders.

Amadeus. Die Zeit liegt fern! – Du hast wahrscheinlich vergessen, wie es damals war. Im ganzen wird es doch das Gleiche sein. Nur daß du eben seither älter geworden bist, und daß du sieben Jahre mit mir – auch wenn wir fern voneinander waren, mit mir – gelebt hast, daß wir ein Kind haben . . .

Cäcilie. Nun ja, vielleicht ist's nur darum anders; – aber es ist doch anders.

Amadeus. Das, worauf es ankommt, ist doch das Gleiche: du fühlst dich zu ihm hingezogen.

Cäcilie sehr innig, beinahe zärtlich. Aber vielleicht gibt es heute etwas, das zurückhält, . . . das zurückhalten könnte, wenn es nur wollte.

Amadeus nach einer Pause, herb. Es will nicht . . . es darf nicht wollen. Was hätte es für einen Sinn? Heute wäre ich vielleicht der Stärkere, – und vielleicht noch ein anderes Mal – und endlich käme doch der Tag, an dem ich unterliegen würde.

Cäcilie. Warum? . . . Das müßte ja nicht sein!

Amadeus. Und selbst wenn man immer der Sieger bliebe: wäre das noch ein Glück, um das man oft kämpfen und immer zittern müßte? Ein Glück für uns, die ein so hohes gekannt haben? . . . Nein, Cäcilie, in der Angst umeinander sollte unsere Liebe nicht enden. Ich halte dich nicht, Cäcilie, wenn es dich anderswohin zieht; – du hast gewußt, daß ich dich niemals halten würde.

Cäcilie. Vielleicht hast du recht, Amadeus. Aber es ist nicht allein aus Stolz, daß du mich so leicht entgleiten läßt.

Amadeus. Es ist ja nicht nur aus Liebe, daß du dich noch auf halbem Wege zurückrufen ließest. Pause. Er beim Fenster.

Cäcilie. Amadeus, wollen wir diese Stunde wirklich durch Bitterkeit entweihen? Wir haben einander doch nichts vorzuwerfen. Wahrheit haben wir einander versprochen, und ich habe mein Wort gehalten bis zu dieser Stunde.

Amadeus. Auch ich hab' es immer getan. Und wenn du es wünschest, kann ich dir auch, was heute zwischen mir und der Gräfin Friederike gesprochen wurde, so getreu berichten wie ich's jedesmal getan. Ich, Cäcilie, würde sogar die Worte wiederfinden.

Cäcilie sieht ihn lang an. Ich weiß genug. Pause.

Amadeus hin und her, fern von ihr stehen bleibend. Und was nun?

Cäcilie. Was nun –? Es trifft sich vielleicht ganz gut, daß die Ferien kommen. Da werden wir, jeder für sich, in Ruhe überlegen können, was nun weiter werden soll.

Amadeus. Es scheint ja beinahe, als hätten wir beide das vorausgeahnt. Wir haben nicht einmal gemeinschaftliche Sommerpläne gemacht wie sonst.

Cäcilie. Es ist wohl das beste, ich gehe mit dem Buben irgendwohin nach Tirol, an einen stillen Ort . . . so wie ihr besprochen habt.

Amadeus. Ja.

Cäcilie. Und du? . . .

Amadeus. Ich? . . . Ich werde mit Albert meine Fußtour unternehmen; ich will wieder einmal im Gebirge herumklettern.

Cäcilie. Und dann herniedersteigen in ein schönes Tal – nicht wahr?

Amadeus. Das . . . wäre möglich.

Cäcilie herb. Da müßten wir aber vorher – endgültig Abschied nehmen, denn von dort her gibt's kein Zurück.

Amadeus. Natürlich nicht! So wenig es für dich eines gibt.

Cäcilie. Für mich . . . ?

Amadeus. Es könnte ja sein, daß du Lust bekämst . . . deine Pläne zu ändern . . . nicht mit Marie zusammen zu bleiben . . . lieber ungestört – –

Cäcilie. Ich ändre meine Pläne nicht. Und du sollst es auch nicht tun.

Amadeus. Wenn du es wünschest –

Cäcilie. Ich wünsche es. Pause.

Amadeus. Sollte jetzt, mit einemmal, wirklich die Stunde da sein?

Cäcilie. Welche Stunde?

Amadeus. Nun – die wir beide so lang, auch in den schönsten Tagen vorhergesehen, die wir beinahe wie etwas Unausbleibliches erwartet haben?

Cäcilie. Sie ist da. Ja. Jetzt wissen wir, daß es vorbei ist.

Amadeus. Vorbei? . . .

Cäcilie. Ich glaube, wir sprechen die ganze Zeit von nichts anderm.

Amadeus. Ja. Du hast recht. Im Grunde ist es gut, daß es endlich mit klaren Worten ausgesprochen ist. Die Stimmungen der letzten Zeit waren zuweilen etwas bang.

Cäcilie. Das wird jetzt jedenfalls besser werden.

Amadeus. Besser . . . Warum? . . . Nun ja . . . du magst recht haben. Mir ist beinah, als fing' es jetzt schon an, besser zu werden. Seltsam . . . Man . . . atmet freier.

Cäcilie. Ja. Jetzt haben wir eben den Lohn davon, daß wir immer ehrlich gewesen sind, Amadeus. Wie müde wären andre schon in einem solchen Augenblick von allerlei peinlichen Ausflüchten, mühseligen Beschwichtigungen und kläglich süßen Versöhnungen. Wie feindselig ständen sie sich vielleicht gegenüber in ihrer verspäteten Aufrichtigkeit. Wir zwei, Amadeus, wir werden doch wenigstens als Freunde voneinander scheiden.

Pause.

Amadeus. Und unser Bub'?

Cäcilie. Ist's dir nur um ihn?

Amadeus. Es ist mir um manches. Wie soll es nun eigentlich werden?

Cäcilie. Das sind Dinge, über die wir in den nächsten Tagen ausführlich reden wollen, – eh' wir verreisen. Bis dahin bleibt alles beim alten. So wie es das letzte Jahr gewesen ist, darf es ja bleiben; damit tun wir niemandem ein Unrecht.

Pause.

Amadeus setzt sich zum Klavier. Eine bange Pause.

Amadeus beginnt, das Capriccio-Thema wie früher zu spielen.

Cäcilie nahe der Veranda, wendet sich um und lauscht.

Amadeus bricht brüsk ab.

Cäcilie. Warum spielst du nicht weiter?

Amadeus lacht kurz.

Cäcilie. War es nicht das Zwischenspiel?

Amadeus nickt.

Cäcilie noch fern. Hast du dich schon entschieden, wie du es bezeichnen wirst? Bleibt es bei »Capriccio«?

Amadeus. Vielleicht: Capriccio doloroso. Es ist seltsam, wie man manchmal seine eigenen Einfälle anfangs mißversteht. Die verborgene Traurigkeit des Themas hast du mir entdeckt.

Cäcilie. Du wärst schon selbst darauf gekommen, Amadeus.

Amadeus. Vielleicht.

Pause.

Amadeus. Mit wem, Cäcilie, gedenkst du denn vom nächsten Jahr ab zu korrepetieren?

Cäcilie. Das wird sich schon finden. Die Lieder für das Konzert, die nimmst du wohl noch mit mir durch – nicht wahr? Und auch am Abend selbst hast du wohl die Freundlichkeit, mich zu begleiten?

Amadeus. Selbstverständlich. – Aber ich möchte wirklich gern wissen, wer von nun ab mit dir studieren wird.

Cäcilie. Sollte das die wichtigste Frage sein, die wir zu erledigen haben?

Amadeus. Nein, gewiß nicht. Umsoweniger, als gar nicht recht einzusehen ist, warum ich diese Stellung nicht sollte beibehalten dürfen.

Cäcilie lächelnd. Du glaubst –? . . . Ja, da müßten wir über die Stunde und die Bedingungen einig werden.

Amadeus. Du, Cäcilie, ich rede nicht im Scherz. Da wir ja im besten Einvernehmen voneinander gehn, weshalb sollte man diese Möglichkeit nicht wenigstens in vorläufige Erwägung ziehen?

Cäcilie. Das wird sich ja später vielleicht von selber ergeben . . . Daß wir . . . daß du mich in einem Konzert begleitest . . . oder daß du eine Partie mit mir studierst . . .

Amadeus. Warum denn später? . . . Steht auf; ans Klavier gelehnt. Es liegt doch eigentlich kein vernünftiger Grund vor, daß sich unsere musikalischen Beziehungen umgestalten müßten. Ich glaube, wir beide hätten darunter in gleicher Weise zu leiden. Ohne mich zu überheben, halte ich es für unwahrscheinlich, daß du einen besseren Korrepetitor findest als mich. Und was meine Sachen anbelangt, ich wüßte nicht, wer sie besser verstünde . . . mit wem ich sie lieber bespräche als mit dir.

Cäcilie. Es wird dir doch nichts anders übrig bleiben.

Amadeus. Das seh' ich nicht ein. Wir haben schließlich auf niemanden Rücksicht zu nehmen – ich gewiß nicht.

Cäcilie. Ich auch nicht. Ich werde mir meine Freiheit zu bewahren wissen.

Amadeus. Nun also!

Cäcilie. Trotzdem, Amadeus . . .Daß wir einander sehen und sprechen werden, das bringen ja unsere Stellungen mit sich . . . aber so wie früher kann es natürlich auch in Hinsicht auf unsere Arbeit nicht mehr werden. Das mußt du doch einsehen?

Amadeus. Das seh' ich durchaus nicht ein. Und – ganz abgesehen von unseren künstlerischen Beziehungen – es kommt ja noch allerlei anderes in Betracht – Wichtigeres. Unser Bub', Cäcilie. Warum soll denn der Junge mit einemmal vaterlos dastehen, sozusagen?

Cäcilie. Davon ist nicht die Rede. Da werden wir schon ein Übereinkommen treffen.

Amadeus. Ein Übereinkommen! . . . Wozu denn diese Schwierigkeiten, die vielleicht bei einigem guten Willen alle zu vermeiden wären! Der Bub' gehört mir so gut als dir. Warum sollen wir ihn denn nicht gemeinschaftlich weiter erziehen dürfen?

Cäcilie. Du sprichst von Dingen, die undurchführbar sind.

Amadeus. Das find' ich durchaus nicht. – Im Gegenteil! Je ruhiger ich die Sachlage überschaue, um so unsinniger erscheint es mir, daß wir wie die ersten besten geschiedenen Eheleute voneinandergehn, daß wir unser schönes gemeinschaftliches Heim aufgeben sollen . . .

Cäcilie. Amadeus, du träumst wieder einmal!

Amadeus. Wir sind doch nebstbei auch gute Kameraden! Das können wir doch bleiben.

Cäcilie. Ja, das bleiben wir jedenfalls.

Amadeus. Nun also! Was uns verbindet, ist ja so stark, daß alles andere, was uns etwa noch in unserer Freiheit bevorstehen mag, dagegen geradezu unwesentlich erscheint. Das spürst du doch geradeso wie ich? Auf die Leute brauchen wir keine Rücksicht zu nehmen! Wir haben wohl das Recht, einen etwas höheren Standpunkt einzunehmen. Wir gehören doch schließlich noch immer zusammen, auch wenn von hundert Fäden, die uns verknüpfen, einer zerrissen ist. Oder sollen wir mit einemmal vergessen, was wir einander gewesen sind und was wir uns bleiben können und müssen? Das steht einmal fest, daß dich niemand mehr so verstehen wird wie ich, und mich niemand mehr wie du . . . Und darauf kommt's doch an! Also warum sollten wir nicht – –

Cäcilie. Nein, es ist unmöglich! Nicht wegen der Leute; die sind mir so gleichgültig wie dir. Aber um unsrer selbst willen.

Amadeus. Um unsrer selbst willen –?

Cäcilie. Du vergißt nämlich eins: daß wir von heute ab Geheimnisse voreinander haben werden. Wer weiß, wie viele . . . wie schwere . . . Und schon das leichteste würde sich zwischen uns wie ein Schleier senken.

Amadeus. Geheimnisse –?

Cäcilie. Ja, Amadeus.

Amadeus. Nein, Cäcilie.

Cäcilie. Wie?

Amadeus. Das dürfte eben nicht der Fall sein.

Cäcilie. Aber – – Amadeus!

Amadeus. Geheimnisse dürfte es zwischen uns nicht geben. Darin liegt alles – ganz richtig. Aber warum sollte es auch Geheimnisse zwischen uns geben? Bedenke nur, daß wir von heute ab nicht Ehegatten, sondern Kameraden – wirklich nur Kameraden wären, die einander nichts verbergen müßten – ja nicht einmal es dürften. Oder fehlt dir der Mut dazu?

Cäcilie. Der Mut? Nein.

Amadeus. Nun also. Wir werden uns über alles aussprechen, geradeso wie bisher – ja gewissermaßen über mehr. Da wäre natürlich die Voraussetzung unserer weiteren Beziehungen: Wahrheit – rückhaltlose Wahrheit. Und das käme nicht nur unseren Beziehungen zueinander, sondern jedem einzelnen von uns sehr zu statten. Denn könntest du einen bessern Kameraden finden als mich, ich eine bessere Kameradin als dich? – Mit unseren Freuden und mit unseren Schmerzen kämen wir zueinander, wären Freunde wie bisher, vielleicht bessere als je, und würden uns die Hände reichen, auch über Abgründe. So behielten wir alles, was uns bisher gehört hat: unsere Arbeit, unser Kind, unser Heim – alles, was wir gemeinsam haben müssen, damit es seinen ganzen Wert für uns behält. Und gewännen zugleich manches, wonach wir uns beide seit einiger Zeit sehnen, und wovon ich im übrigen auch gar keine Freude hätte, wenn ich dich verlieren müßte.

Cäcilie verneigt sich.

Amadeus. Dir geht es ja geradeso, Cäcilie. Ich weiß es ja. Wir können ohne einander gar nicht leben. Ich ohne dich gewiß nicht. – Und du?

Cäcilie. Es ist wohl möglich, daß es auch mir schwer fiele.

Amadeus. Da sind wir ja einig, Cäcilie!

Cäcilie. Du findest –!

Amadeus. Cäcilie! Er zieht sie plötzlich an sich.

Cäcilie. Was tust du? Neue Hoffnung im Blick.

Amadeus umarmt sie. Ich habe meiner Geliebten Lebewohl gesagt.

Cäcilie. Auf immer.

Amadeus. Auf immer. Er drückt ihr die Hand. Und nun begrüße ich die Freundin.

Cäcilie. Für alle Zeit – nur Freundin.

Amadeus. Für alle Zeit – ganz natürlich!

Cäcilie atmet tief.

Amadeus. Nun, Cäcilie, ist dir jetzt nicht mit einemmal ganz leicht?

Cäcilie. Etwas sonderbar scheint mir all das – beinah wie ein Traum.

Amadeus. Es ist gar nicht sonderbar; es ist alles so vernünftig und einfach als möglich. Das Leben geht weiter . . . und alles ist gut . . . Komm, Cäcilie – laß uns jetzt die Lieder durchnehmen.

Cäcilie. Die Lieder –?

Amadeus. Willst du nicht?

Cäcilie. Warum nicht? . . . Gern . . .

Amadeus am Klavier. Ah, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh mir zumute ist! Es hat sich wahrhaftig nicht viel geändert. Nur die Befangenheit ist fort . . . die Bangigkeit dieser letzten Wochen . . . Es ist nicht schön gewesen in der letzten Zeit. Der Himmel so trüb über unserm Haus . . . und nicht nur über unserm Haus. Jetzt schwinden die Wolken, jetzt wird die ganze Welt geradezu wieder licht. Und ich werde eine Symphonie schreiben – eine Symphonie –!

Cäcilie. Alles zu seiner Zeit . . . Für jetzt das eine Lied wenigstens . . . Ach dieses . . . ?

Amadeus. Willst du nicht? . . .

Cäcilie. Da es schon daliegt . . .

Amadeus. Also – ich beginne. Schlägt an. Bitte, nimm den Anfang nicht zu sentimental. Es ist gehalten und schwer.

Cäcilie singt. »Nicht mehr zu dir zu gehen, beschloß ich . . .«

Amadeus. Sehr schön.

Cäcilie. O Amadeus!

Amadeus. Was denn?

Cäcilie. Ich fürchte, daß du jetzt am Ende plötzlich zu nachsichtig mit mir wirst.

Amadeus. Nachsichtig . . .! Du weißt sehr gut, daß du als Künstlerin für mich die einzige bist und bleibst.

Cäcilie. Amadeus, du sollst nicht allen deinen Schülerinnen den Hof machen.

Amadeus. Ich verehre dich sehr. – Also weiter!

Cäcilie. »Nicht mehr zu dir . . .«

Amadeus. Was ist dir denn?

Cäcilie. Nichts. Ich habe ja schon so lange kein Lied gesungen. Nur weiter!

Amadeus spielt.

Cäcilie. »Nicht mehr zu dir zu gehen, beschloß ich und beschwor ich, und geh' doch jeden Abend . . .« Während sie singt, fällt der

Vorhang.


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