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Gleiche Dekoration. Oktoberabend. – Die Bühne dunkel.
Marie. Das Stubenmädchen von rechts.
Stubenmädchen macht Licht.
Marie. Danke. – Aber bitte, sagen Sie der gnädigen Frau, wenn sie sehr müde ist, so soll sie sich meinetwegen nicht stören.
Stubenmädchen. Die gnädige Frau ist ja noch gar nicht da. Sie kommt erst mit dem Abendzug.
Die Vorigen. Amadeus kommt von rechts.
Amadeus im Überrock und mit Hut. Wer ist's denn? . . Ach Sie, Marie! Grüß' Sie Gott. Sind Sie schon lange da?
Marie. Ich komme eben. Ich wollte Cäcilie begrüßen, aber ich höre – –
Amadeus. Nun, so erwarten Sie sie mit mir. Zum Stubenmädchen. Bitte, nehmen Sie das. Gibt ihr Rock und Hut.
Stubenmädchen ab.
Amadeus. Ich komme auch eben nach Hause. Ich war in der Stadt, hatte Besorgungen zu machen. Übermorgen fahre ich ab.
Marie. So bald! – Das wird eine kurze Freude sein.
Amadeus. Ja. – Bitte, nehmen Sie doch Platz. Sieht auf die Uhr. In einer Stunde muß Cäcilie da sein.
Marie. Sie hat ja wieder kolossale Erfolge gehabt!
Amadeus. Das will ich glauben! Sehen Sie, das Telegramm kam heute früh. Reicht es vom Schreibtisch. Über die gestrige Abschiedsvorstellung.
Marie. O! . . . Einundsiebzig Hervorrufe! . . .
Amadeus. Wie? . . . Ah nein, der Strich gehört zum »H«! Sieben! Sonst wäre sie ja noch heute dort.
Marie liest weiter. »Erneuter Antrag unter glänzenden Bedingungen.«
Amadeus. Unter glänzenden Bedingungen!
Marie. So wird's am Ende doch ernst werden?
Amadeus. Ernst? . . .
Marie. Nun, mit der Übersiedlung nach Berlin.
Amadeus. Das ist noch nicht sicher. »Antrag« steht da, nicht »Annahme«. Darüber müssen wir uns noch beraten.
Marie. So? . . .
Amadeus. Selbstverständlich. Wir beraten uns über alles, liebe Marie; geradeso wie früher. Und mit noch mehr Objektivität vielleicht als früher. Und was mich anbelangt, so dürfte ich vom nächsten Jahr an ganz frei sein und ebensogut in Wien als in Berlin oder Amerika leben können.
Marie. Aber für mich wäre es furchtbar, wenn Cäcilie fortginge!
Amadeus. Nun, es wäre ja möglich, daß die Leute hier nach den Erfolgen draußen endlich auch drauf kämen, was sie an Cäcilie haben, und sich dementsprechend benähmen.
Marie. Hoffentlich. – Übrigens scheint mir wirklich, daß Cäcilie in der letzten Zeit sehr gewachsen ist. Ihre Stimme scheint mir voller, wärmer . . . beseelter sozusagen.
Amadeus. Nicht wahr? Das finde ich auch.
Marie. Aber wie sie auch arbeitet! Nein! ich habe mir das früher gar nicht vorgestellt, daß auch fertige Künstler so fleißig sein können!
Amadeus. Müssen, liebe Marie, müssen.
Marie. Heuer im Sommer, wenn ich in der Früh' mit den Kindern im Garten gespielt habe, da hat sie schon ihre Skalen und Läufe geübt – wie eine Gesangsschülerin. Ganz regelmäßig, von neun bis dreiviertel zehn. Dann wieder vor Tisch von zwölf bis einhalb eins, und abends wieder eine halbe Stunde . . . Bei gutem Wetter und bei schlechtem, ob sie heiter war oder – –
Amadeus. Oder? . . .
Marie. Übrigens war sie immer heiter. Ich glaube, nichts auf der Welt hätte sie hindern können, ihre Skalen und Läufe zu üben.
Amadeus. Ja, das ist ihre Art. Nichts auf der Welt könnte sie hindern . . . Allerdings, was hätte sie heuer abhalten sollen? In eurer ländlichen Zurückgezogenheit, wo ihr keinen Menschen saht – oder beinah keinen . . .
Marie. Keinen.
Amadeus. Nun, Sie hatten doch zuweilen Besuche – Cäcilie wenigstens.
Marie. Ach so, Sie meinen – – den Fürsten Sigismund. Das kann man doch keinen Besuch nennen.
Amadeus lächelnd, leicht. Wie denn?
Marie. Der ist nur so vorübergesaust auf seinem Rad.
Amadeus wie oben. Na, er hat es doch wenigstens auf ein paar Augenblicke an einen Baum gelehnt. Und hat sich sogar, was mich übrigens sehr freut, Zeit genommen, das kleine Haus zu photographieren, in dem Cäcilie gewohnt hat.
Er nimmt das kleine eingerahmte Bild vom Schreibtisch und reicht es Marie, die auf dem Divan sitzt.
Marie erstaunt. Das haben Sie auf dem Schreibtisch stehen?
Amadeus leicht geärgert. Warum denn nicht?
Marie das Bild betrachtend. Richtig – hier auf der Bank Cäcilie und ich . . . ja. Und das ist der Haselstrauch am Gartenzaun . . . Wie man sich da plötzlich erinnert an diesen wunderschönen heißen Sommertag –
Amadeus über den Schreibtisch hingebeugt. Sie und Cäcilie kann ich unterscheiden, aber gegenüber den drei Buben bin ich ratlos.
Marie. Wieso denn? . . . Das ist Peterl, der so macht Zwinkert. – –
Amadeus. Der macht so?
Marie. Und das Max – und der mit dem Reifen Moritz.
Amadeus. Das ist ein Reifen? . . . Ich hielt es für ein fernes Bahnwärterhäuschen. Der Hintergrund scheint mir besser gelungen zu sein. Über der Landschaft liegt wirklich so ein Hauch von Sommer und Stille . . .
Kleine Pause.
Marie. Es war auch schön. Der tiefe Waldesschatten gleich hinter den Häusern, und der Ausblick auf die Felsspitzen – wundervoll! Und diese Abgeschiedenheit . . . Schade, daß Sie sich den lieben Ort nicht einmal angeschaut haben. Wir dachten – – Cäcilie hat Sie doch eigentlich erwartet. . .
Amadeus ist aufgestanden, hin und her. Das glaub' ich nicht . . . Auch fügte es sich nicht mehr. Es hielt mich noch im Süden zurück.
Marie lächelnd. Süden nennen Sie das.
Amadeus lächelnd. O Marie!
Marie leicht verlegen. Sie sind mir doch nicht böse?
Amadeus. Weshalb denn? Ich habe ja vor niemandem geheim gehalten, wo ich war.
Marie zutraulich. Albert hat mir auch von der Villa erzählt, von dem Park, den marmornen Stufen – –
Amadeus. So ausführlich war er? Er ist doch nur eine Stunde lang dort gewesen.
Marie. Ich glaube, er will den Park für den letzten Akt verwenden.
Amadeus. Ach so! Wenn er mir ihn nur endlich bringt . . . den letzten Akt meine ich. Ich möchte ihn mit auf die Reise mitnehmen.
Marie. Werden Sie denn dazu kommen, etwas zu arbeiten?
Amadeus. Warum denn nicht? Ich arbeite immer. In meinem ganzen Leben war ich nicht so aufgelegt dazu wie jetzt. – Auch ich bin in einer glänzenden Epoche. Es geht mir viel besser als im Verlauf der letzten Jahre. Ich war geradeso fleißig wie Cäcilie. Nur die Regelmäßigkeit ist nicht mein Fall: neun bis dreiviertel zehn, zwölf bis einhalb eins, und so weiter. Aber fragen Sie nur Albertus! In dem Wirtshaus auf dem Fedaja-Paß, während er sich müd' auf dem Bett wälzte, habe ich das Capriccio aus meiner Vierten instrumentiert.
Stubenmädchen kommt, bringt Briefe und geht wieder ab.
Amadeus. Sie entschuldigen, liebe Marie.
Marie. Lassen Sie sich nicht stören. Steht auf.
Amadeus. Ein Brief von Cäcilie, gestern vor der Vorstellung geschrieben. Jeden Tag hab' ich solche Briefe bekommen.
Marie. Lesen Sie ihn doch, bitte.
Amadeus hat ihn geöffnet. Aber es hat ja Zeit. In einer Stunde erzählt mir Cäcilie doch alles, was da drin steht . . . Reißt den andern auf. Er fliegt ihn durch, wirft ihn gleich wieder hin. Dumm sind die Leute – dumm! na! . . . Und gemein! Er fliegt den Brief Cäciliens wieder durch. Da schreibt mir Cäcilie von der Soiree beim Intendanten . . . Auch Sigismund war dort. Sie wissen ja, daß Sigismund in Berlin war?
Marie verlegen. Ich – ich dachte . . . vielmehr ich wußte – –
Amadeus überlegen. Nun, nun, Sie brauchen doch deswegen nicht verlegen zu werden. Finden Sie nicht, daß der Fürst ein ausnehmend sympathischer Mensch ist?
Marie. Ja, er ist sehr liebenswürdig. Ich versichere Sie, Amadeus, er war nur ein einziges Mal bei uns im Pustertal, und gewiß nicht länger als zwei Stunden.
Amadeus lachend. Und wenn er acht Tage dort gewesen wäre . . . Sie sind komisch, Marie, wirklich!
Marie schüchtern. Darf ich was sagen?
Amadeus. Was Sie wollen, Marie.
Marie. Ich bin trotz allem überzeugt, Sie werden einander wiederfinden.
Amadeus. Wiederfinden? . . . Wer? Cäcilie und ich? Steht auf. Wiederfinden? Hin und her. Bei ihr stehen bleibend. Aber Marie, Sie sind doch eine so kluge Frau; Sie sollten doch verstehen, daß wir uns überhaupt nie verloren haben, Cäcilie und ich. Es ist doch merkwürdig! Wieder bin und her. Sie müssen doch begreifen, daß die Beziehungen zwischen uns etwas so Schönes sind – ja geradezu erst geworden sind, wie wir es uns gar nicht besser wünschen können. Wir brauchen uns doch nicht wiederzufinden! Sehen Sie doch nur: da sind ihre Briefe. Jeden Tag hat sie mir acht bis zwölf Seiten geschrieben . . . ausführlich, aufrichtig, wie man eben nur einem Freunde – seinem besten Freunde schreibt. Es kann überhaupt kein edleres Verhältnis geben.
Amadeus, Marie. Albertus tritt von rechts ein.
Albertus. Guten Abend.
Amadeus. Ein wenig spät kommst du.
Albertus. Guten Abend, Marie! Er berührt wohlwollend ihre Wange.
Amadeus. Wir werden kaum noch etwas arbeiten können, Cäcilie wird gleich da sein.
Albertus. Nun, eine halbe Stunde haben wir wohl noch für uns. Ich habe da einige Skizzen zum dritten Akt mitgebracht.
Marie. Ich werde nach Hause gehen; die Buben werden mich schon erwarten.
Albertus. Schön, mein Kind, geh nach Hause.
Amadeus. Aber bleiben Sie doch; Cäcilie wird sich gewiß sehr freuen. Sie gehen dann mit Albertus fort. Unterhalten Sie sich indes mit Peterl . . .Oder wollen Sie nicht zuhören?
Albertus. Kind, geh lieber zu Peterl. Im dritten Akt kommt der Herr von Rabagas ohnedies nicht mehr vor, du versäumst also nicht viel.
Marie. Ich lass' euch schon allein. Auf Wiedersehen. Ab.
Amadeus, Albertus.
Albertus. Also zur Sache! Nimmt Blätter aus seiner Tasche. Liest. »Die Szene stellt einen Wiesenplan dar, der sich hügelig sanft dem Souffleurkasten entgegensenkt. Im Hintergrund eine Villa, zu der einige marmorne Stufen hinaufführen. Rückwärts ahnt man einen See.« Mit Verbeugung. »In der Mitte der Szene eine hohe grüne Platane.«
Amadeus lacht. Also richtig!
Albertus. Ich wollte dir eine kleine Aufmerksamkeit erweisen.
Amadeus. Danke bestens.
Albertus nach einer Pause. Du, Amadeus, ist es übrigens wahr, daß der Graf nach seinem Duell mit dem Maler sich mit der Gräfin wieder versöhnt hatte?
Amadeus. Ich weiß das nicht. Ich sehe die Gräfin seit geraumer Zeit nur mehr in der Oper. Steht auf und geht hin und her.
Albertus kopfschüttelnd. Es ist eigentlich eine unheimliche Geschichte.
Amadeus. Warum, ich finde sie alltäglich. Ein Ehemann, der den spöttisch »Verrat« seiner Frau entdeckt . . .
Albertus. Nein, daran liegt es nicht. Aber daß er ihn ein halbes Jahr zu spät entdeckt, während seine Frau ihn schon mit einem andern betrügt. – Wenn der Graf sich mit dir geschlagen hätte, war' es ja weiter nichts Besonderes. Aber der Fall liegt weit merkwürdiger. Da wäre ein junger Mensch auf ein Haar umgebracht worden, wegen einer Sache, die längst vorbei ist. Und du gehst hier vergnügt herum – vorläufig wenigstens.
Amadeus auf und ab.
Albertus. Weißt du, was mir eigentlich leid tut, im höheren Sinn? Daß der Maler kein Genie ist . . . und daß der Graf ihn nicht wirklich totgeschossen hat. Da läge was großartig Tragikomisches in der Sache. So wär's auch zu machen . . . wenn der da droben mehr Geist hätte . . .
Amadeus. Wieso? Wie meinst du das?
Albertus. Ich meine: wenn ich das Stück zu schreiben hätte – –
Amadeus lauscht.
Albertus. Was ist denn?
Amadeus. Ich dachte, ein Wagen, aber es ist nichts. Sieht auf die Uhr. Es kann auch noch gar nicht – – Also lies. Hin und her.
Albertus. Du bist sehr zerstreut, ich komme lieber morgen vormittag.
Amadeus. Lies nur, ich bin durchaus nicht – –
Albertus steht auf. Du, Amadeus, ich will dir was sagen: Wenn es dir angenehm ist – für mich hat das ja weiter nichts zu bedeuten – ich begleite dich.
Amadeus. Wohin? . . . Wie meinst du das?
Albertus. Auf deine Tournee. Zum mindesten für die ersten acht bis vierzehn Tage bin ich gern bei dir; herzlich bis das Schwerste überwunden ist.
Amadeus. Aber – –. Ach Gott! du denkst, daß ich wegen der Gräfin . . .! Die Geschichte ist doch längst vorbei.
Albertus. Ist mir bekannt. Ich weiß auch, daß du dich nun auf andere Weise zu übertäuben suchst. Aber ich verstehe sehr gut, daß dir das doch unter diesen Umständen nicht so ohne weiteres gelingen kann.
Amadeus. Ja, von welchen Umständen redest du denn eigentlich?
Albertus. Mein Lieber, es wäre mir nie eingefallen, mich in dein Vertrauen zu drängen, aber da die Sache doch schon in den Zeitungen steht – –
Amadeus. Was steht denn in der Zeitung?
Albertus. Du hast nicht gelesen, was heute abend im Neuen Journal steht?
Amadeus. Was denn?
Albertus. Daß Cäcilie den Fürsten Sigismund – –. Aber die Tatsache ist dir doch jedenfalls bekannt?
Amadeus. Nichts weiß ich! Was steht im Neuen Journal?
Albertus. Eine kleine Notiz – ohne Namensnennung, aber deutlich genug . . . Sie lautet ungefähr: »Eine unserer ersten Künstlerinnen, die jetzt eben in der Metropole eines befreundeten Staates Triumphe feiert . . . bisher die Gattin eines begabten Musikers« oder »hochbegabten« . . . und so weiter – und so weiter . . . »wird sich, wie wir hören, mit einem bekannten österreichischen Kavalier aus einem der ältesten Adelsgeschlechter« . . . und so weiter . . .
Amadeus. Cäcilie und der Fürst?! . . .
Albertus. Ja . . . Dann Anspielungen, daß in diesem Fall der Dispens des Papstes leicht zu erlangen sein wird . . .
Amadeus. Ja, sind denn die Leute toll? . . . Ich erkläre dir, daß kein Wort daran wahr ist! . . . Du zweifelst? . . . Du meinst doch nicht, daß ich es dir ableugnen würde, wenn – – Oder meinst du gar, daß Cäcilie es mir – – Höre! und das ist nun ein Freund, ein Seelenkenner, ein Dichter!
Albertus. Entschuldige, aber nach allem Vorhergegangenen wäre es doch nicht unwahrscheinlich – –
Amadeus. Nicht unwahrscheinlich –? Es ist unmöglich! Cäcilie denkt nicht daran!
Albertus. Jedenfalls darf es dich nicht überraschen, daß solch ein Gerücht entstanden ist.
Amadeus. Es überrascht mich nicht. Aber mir ist, als wenn durch Geschwätz dieser Art die Beziehungen zwischen Cäcilie und mir entweiht würden.
Albertus. Neuerer wie du müssen das Urteil der Welt verachten, sonst geraten sie in Gefahr, Großsprecher gewesen zu sein.
Amadeus. Ich bin ja kein Neuerer. Das Ganze ist eine Privatabmachung zwischen mir und Cäcilie, bei der wir uns beide so wohl fühlen als möglich. Sag' doch den Leuten, bitte, die dich fragen, daß wir uns nicht scheiden lassen . . . daß wir uns aber auch nicht betrügen, wie in diesen Wischen zu lesen steht, die seit einiger Zeit an mich zu kommen pflegen.
Albertus nimmt den Brief in die Hand, fliegt ihn durch und legt ihn wieder fort. Ein anonymer Brief? das gehört dazu . . .
Amadeus. Mach' ihnen doch klar, daß von einem Betrug keine Rede sein kann, wo es keine Lüge gibt. Sag' ihnen, daß die Treue, die wir, Cäcilie und ich, einander halten, wahrscheinlich eine bessere ist als die in manchen andern Ehen, wo man tagsüber seine eigenen Wege geht und nichts gemeinsam hat als die Nacht. Du bist ja ein Dichter, ein Seelenkünder – erkläre das doch den Leuten, die es nicht verstehen wollen!
Albertus. Es wäre etwas umständlich, ihnen das mitzuteilen. Aber wenn du Wert darauf legst, so mache ich einfach ein Stück daraus. Dann werden sie ohne weiters diese neue Art von Ehe begreifen – wenigstens von halb acht bis zehn.
Amadeus. Bist du dessen gewiß?
Albertus. Vollkommen. In einem Stück kann ich ja den Fall viel klarer darstellen, als er sich tatsächlich präsentiert, ohne das überflüssige episodische Beiwerk, mit dem uns das Leben verwirrt. Vor allem habe ich das voraus, daß die Zuschauer in den Zwischenakten nicht dabei [sind] und ich indessen mit euch machen kann, was ich will. Und ferner werde ich dir einen Vergleich in den Mund legen, der den Fall erläutert.
Amadeus. Einen Vergleich? . . .
Albertus. Ja. Denn Vergleiche haben immer etwas Beruhigendes. Du sagst zu irgend einem Freund – oder sonst wem, der sich's gefallen läßt, ungefähr folgendes: »Was wollt ihr denn von mir? Denkt euch, Cäcilie und ich, wir wohnten gemeinsam in einem behaglichen Haus, in dem wir uns wohl fühlen, mit weiter Aussicht, die uns beglückt, und einem wundervollen Garten, in dem wir gern spazieren gehen. Und es käme einen von uns einmal die Lust an, im Walde jenseits des Gitters Erdbeeren zu pflücken. Müßte deswegen der andere gleich Untreue, Schmach, Verrat schreien? Müßten wir Haus und Garten verkaufen und uns einbilden, daß wir nun nicht mehr miteinander zum Fenster hinausschauen und nicht mehr in unseren Alleen herumspazieren könnten? . . . Weil unsere Erdbeeren jenseits des Gitters wachsen –?«
Amadeus. Das wolltest du mir in den Mund legen?
Albertus. Ist es dir zu geistreich? – O, das wird nicht auffallen, das mach' ich schon! Mit deinem musikalischen Genie kann ich in einem Stück sowieso nichts anfangen. Ich kann dich ja den Leuten nicht deine Symphonie vordirigieren lassen. So helfe ich mir und dir, indem ich dich etwas klüger, energischer, konsequenter gestalte –
Amadeus. Als Gott mich geschaffen hat.
Albertus. Na, die Konkurrenz ist noch auszuhalten!
Amadeus. Neugierig wäre ich allerdings auf eines: wie du das Stück möchtest enden lassen.
Albertus nach einer kleinen Pause. Nicht sehr heiter, mein Freund.
Amadeus betreten. Wie? . . .
Albertus. Das ist ja das Charakteristische aller Übergangsepochen, daß Verwicklungen, die für die nächste Generation vielleicht gar nicht mehr existieren werden, tragisch enden müssen, wenn ein leidlich anständiger Mensch hineingerät.
Amadeus. Es gibt ja keine Verwicklungen.
Albertus. Ich werde mich nicht der Verpflichtung entziehn, eine zu erfinden.
Amadeus. Willst du nicht noch einige Geduld haben? . . . Vielleicht daß das Leben selbst –
Albertus. Mein Lieber, was diese lächerliche Wirklichkeit mit euch vorhat, die sich ohne Regie und Souffleur behelfen muß – diese Wirklichkeit, in der es manchmal nicht zum fünften Akt kommt, weil dem Helden schon im zweiten ein Ziegelstein auf den Kopf fällt – das interessiert mich gar nicht. Ich lasse den Vorhang aufgehen, wenn es anfängt, amüsant zu werden, und lasse ihn fallen in dem Augenblick, wo ich recht behalten habe.
Amadeus. Wenn du dein Stück schreibst, dann vergiß mir aber ja nicht, mein Lieber, eine Figur hineinzubringen, für den die Wirklichkeit diesmal besser vorgesorgt haben dürfte als für den Helden –: den Hanswurst.
Albertus. Denkst du mich damit zu beleidigen? Ich habe mich stets für einen nahen Verwandten von ihm gehalten.
Die Vorigen – Marie, Peterl und das Fräulein kommen herein.
Peterl. Die Mama kommt!
Marie. Der Wagen ist eben stehen geblieben.
Fräulein. Der Bub' hat sich nicht im Bett halten lassen.
Albertus. Was er für schöne Blumen hat!
Peterl. Die sind für die Mama!
Amadeus nimmt ihm eine weg. Du erlaubst, mein Sohn –
Die Vorigen – Cäcilie kommt, hinter ihr das Stubenmädchen.
Cäcilie. Guten Abend. – Was, ihr auch? Das ist aber nett!
Peterl. Mama – Blumen!
Cäcilie nimmt ihn, küßt ihn ab. Mein Bub'! mein Bub'! Begrüßt dann die andern.
Amadeus reicht ihr eine Blume. Peterl hat mir auch eine überlassen.
Cäcilie. Danke sehr. Sie reicht ihm die Hand. – Zum Stubenmädchen. Bitte, holen Sie die Sachen aus dem Wagen; der Kutscher wird Ihnen helfen. Er ist schon bezahlt.
Stubenmädchen ab.
Cäcilie den Hut abnehmend. Na, Marie? . . . Zu den andern. Ihr habt am Ende noch gearbeitet?
Albertus. Wir haben versucht.
Cäcilie zum Fräulein. War er brav?
Peterl. Sehr brav bin ich gewesen! Hast du mir auch was mitgebracht?
Cäcilie. Natürlich. Aber du kriegst es erst morgen früh.
Peterl. Warum nicht jetzt?
Cäcilie. Jetzt bin ich zu müd', um auszupacken; morgen, wenn du aufwachst, wirst du's auf deinem Tischerl finden.
Peterl. Was ist es denn?
Cäcilie. Das wirst du schon sehen . . .
Peterl. Ist das Tischerl groß genug?
Cäcilie. Das wollen wir hoffen.
Amadeus ans Klavier gelehnt, betrachtet sie immer.
Cäcilie tut, als merke sie es nicht.
Albertus. Sie sehen vorzüglich aus.
Cäcilie. Ein bißchen abgespannt bin ich doch.
Amadeus. Du bist gewiß schon sehr hungrig.
Cäcilie. O nein. Wir haben im Speisewagen gegessen. Die meisten Reisenden. Aber einen Tee möchte ich noch haben. Bitte, Fräulein, wollen Sie so gut sein?
Amadeus. Für mich auch, Fräulein; und, bitte, etwas kaltes Fleisch lassen Sie mir besorgen.
Fräulein. Das ist schon geschehen. Ab.
Cäcilie. Hast du am Ende mit dem Nachtessen auf mich gewartet?
Amadeus. Gewartet – o nein! Ich habe . . . nur nicht daran gedacht.
Cäcilie zu Albertus und Marie. Aber setzt euch doch!
Albertus. Nein, liebe Cäcilie, wir gehen. Nur noch meine herzlichsten Glückwünsche und damit genug für heute.
Marie. Du hast ja Triumphe gefeiert.
Cäcilie. Nun, es ging an. Zu Amadeus. Hast du mein Telegramm bekommen?
Amadeus. Ja. Ich habe mich riesig gefreut.
Cäcilie. Denkt euch, Kinder, nach der Vorstellung wurde ich zu Sr. Majestät in die Loge befohlen!
Albertus. Befohlen? . . . Gebeten, meinen Sie wohl! Kein Kaiser und kein König hat Ihnen was zu befehlen.
Cäcilie. Sie Anarchist! Das ist ja ganz egal. Man geht doch in die Loge! Sie täten's auch.
Albertus. Warum nicht? Man soll sich alle Lebewesen, wenn möglich, in der Nähe besehen.
Amadeus. Und was sagte der Kaiser?
Cäcilie. Er äußerte sich höchst anerkennend. Er hätte noch keine bessere Carmen gesehen.
Albertus. Er wird nächstens bei irgend einem Spanier eine Oper für Sie bestellen.
Fräulein kommt. Der Tee kommt gleich.
Amadeus. So, Peterl, aber jetzt mußt du schlafen gehn. Es ist spät.
Fräulein will ihn nehmen.
Peterl. Nein, die Mama soll mich ins Bett tragen wie einen kleinen Buben!
Cäcilie. Also komm. – Herrgott, bist du aber schwer geworden.
Cäcilie, Fräulein, Peterl ab.
Marie. Schön ist sie!
Amadeus. Das ist Ihnen wohl nichts neues.
Albertus. Also leb' wohl!
Amadeus. Auf morgen! Ich erwarte dich früh zwischen neun und zehn.
Marie im Weggehen, zu Amadeus. Tut's Ihnen nicht leid; jetzt gleich wieder fort zu müssen?
Amadeus. Beruf, liebe Marie . . .
Cäcilie kommt wieder herein. Ihr geht wirklich schon fort? – Also lebt wohl, auf Wiedersehen!
Albertus. Marie ab.
Amadeus, Cäcilie.
Cäcilie zum Kamin hin. Also da wäre man wieder zu Haus. Setzt sich.
Amadeus von der Tür her, nicht ohne Verlegenheit. Ob du dich geradeso freust wie ich, das ist noch die Frage.
Cäcilie streckt ihm die Hand entgegen.
Amadeus nimmt sie und küßt sie. Er setzt sich. Nun erzähle.
Cäcilie. Erzählen? Was denn? Ich habe mir ja gar nichts zum Erzählen übrig gelassen – beinahe.
Amadeus. Nun –
Cäcilie. Jeden Abend, wenn ich nach Hause kam – und es war manchmal wirklich recht spät, wie du weißt – habe ich dir geschrieben. Ich wollte, du wärst ebenso ausführlich gewesen.
Amadeus. Ich habe dir doch auch täglich geschrieben.
Cäcilie. Immerhin, mein Freund, du hast einiges nachzuholen, scheint mir. Lacht. Über manches bist du auffallend flüchtig hinweggeglitten.
Amadeus. Das könnte ich dir auch sagen.
Cäcilie. Nein, das könntest du nicht. Meine Briefe waren geradezu Tagebücher; das kann man von den deinen nicht behaupten. – Na, Amadeus –? Ohne Aufrichtigkeit hätte doch die ganze Sache nicht viel Sinn.
Amadeus. Was ist dir denn unklar?
Cäcilie. Mit Philine ist es wirklich aus?
Amadeus. Das war ja schon aus – – steht auf bevor du weggefahren bist. Das weißt du ja. Von vergangenen Dingen braucht doch wahrhaftig nicht gesprochen zu werden.
Cäcilie. Wird sie übrigens an der Oper bleiben können nach diesem Skandal wegen deines . . . verzeihe – wegen deines Vorgängers?
Amadeus. Wie ich höre, ist alles in Ordnung. Sie hat sich auch mit ihrem Gatten wieder versöhnt.
Cäcilie. So? – Du, das ist eigentlich eher unangenehm. Da hilft's ja am Ende gar nicht, daß die Geschichte vorbei ist. Gegenüber einem Menschen, der die heimtückische Eigenschaft hat, erst Monate später auf gewisse Dinge zu kommen . . .
Amadeus. Ach, daran muß man nicht denken!
Cäcilie. Hat sie Briefe von dir?
Amadeus nach kurzem Nachdenken. Der Abschiedsbrief ist der einzige.
Cäcilie. Der dürfte genügen. Warum hast du ihn nicht zurückverlangt?
Amadeus. Wie konnte ich denn?
Cäcilie. Wie leichtsinnig du bist! Ja! Leichtsinnig! – Die Hand auf seine Schulter legend. Du, Amadeus, jetzt kann man doch davon sprechen. Früher hättest du vielleicht eine solche Bemerkung falsch aufgefaßt – als Eifersucht oder dergleichen . . . Aber ich hoffe, in so eine Geschichte läßt du dich nicht mehr ein, Amadeus. Ich habe keine Lust, für meinen besten Freund zittern zu müssen. Ich gönne dir alles auf der Welt, das kannst du mir glauben; – aber den Tod für eine andere – das ginge doch über den Spaß!
Amadeus. Also ich verspreche dir, daß du nicht mehr für mich wirst zittern müssen.
Cäcilie. Das hoffe ich; sonst ziehe ich meine Hand von dir ab. – Und, im Ernst, Amadeus: du hast hoffentlich nicht vergessen, daß du zu vernünftigeren und wichtigeren Dingen aufbewahrt bist, – daß du auf Erden noch etwas zu tun hast, Amadeus.
Amadeus. Ja, das fühle ich! Das habe ich vielleicht in meinem ganzen Leben noch nicht so stark gefühlt wie jetzt. Leuchtend. Die Symphonie . . .
Cäcilie sehr lebhaft. – ist fertig?
Amadeus. Ja, Cäcilie. Und – ich wollte es dir heute zwar noch nicht sagen, aber es läßt mir keine Ruhe . . .
Cäcilie. Nun, was denn?
Amadeus. Der Choral im letzten Satz, dessen Hauptmotive du ja kennst, wird von einem Sopransolo geführt und beherrscht. Und dieses Solo ist für dich bestimmt.
Cäcilie. Verehrter Meister, wie stolz macht mich Ihr Vertrauen!
Amadeus. Ich bitte dich, Cäcilie, darüber scherze nicht. Niemand auf Erden kann dieses Solo singen als du . . . Dieses Solo gehört dir – dir allein. An den Klang deiner Stimme habe ich gedacht, während ich es niederschrieb. Im Feber, wenn ich wieder zurück bin, Cäcilie, lasse ich die Symphonie hier aufführen, und dann sollst du dein Solo singen.
Cäcilie. Im Feber –? . . . Ja, gern, lieber Amadeus, – im Falle, daß ich noch hier sein sollte.
Amadeus. Wie? . . .
Cäcilie. Du weißt ja noch nicht alles. Gestern nach der Vorstellung sprach der Intendant mit mir.
Amadeus erregt. Nun! . . . Die telegraphische Andeutung von den großartigen Bedingungen . . . die kann sich doch natürlich erst auf die nächste Saison beziehen?
Cäcilie. Wenn ich von hier loskäme, möchten sie mich schon vom ersten Januar an in Berlin haben.
Amadeus. Aber du wirst nicht loskommen.
Cäcilie. O, wenn ich will! Der Direktor besteht nicht auf seinem Schein.
Amadeus. Aber du wirst nicht wollen, Cäcilie!
Cäcilie. Es ist doch sehr zu überlegen. Ich bin dort beträchtlich besser gestellt.
Amadeus. Vom nächsten Herbst an bin ich . . . wahrscheinlich frei. Solange könntest du wahrhaftig noch Geduld haben. Da könnten wir dann gemeinschaftlich übersiedeln. Aber – –
Cäcilie. Es muß ja nicht heute entschieden werden, Amadeus. Wir haben morgen Zeit, die Angelegenheit reiflich durchzusprechen. Ich wäre jetzt wirklich gar nicht fähig.
Amadeus. Du bist müde . . . ?
Cäcilie. Das wirst du wohl begreifen. Am liebsten möchte ich gleich – – Blick nach ihrer Türe.
Stubenmädchen bringt den Tee, stellt ihn auf das Tischchen.
Cäcilie. Ach ja! – Darf ich dir auch einschenken f
Amadeus. Bitte.
Cäcilie schenkt den Tee ein. Zum Stubenmädchen. Machen Sie doch den einen Fensterflügel ein bißchen auf; es ist hier so viel Zigarettenrauch.
Stubenmädchen öffnet den rechten Fensterflügel.
Amadeus. Wird dir nicht kühl sein?
Cäcilie. Kühl? Es ist wieder ganz warm geworden.
Amadeus. Wie war denn die gestrige Vorstellung im übrigen?
Cäcilie. Sehr gut. Insbesondere Wedius war wieder unvergleichlich.
Amadeus. Du schriebst mir einigemal von ihm.
Cäcilie. Du kennst ihn ja von Dresden her.
Amadeus. Ja. Er ist sehr begabt.
Cäcilie. Auch er schätzt dich sehr.
Amadeus. Das freut mich.
Stubenmädchen ab.
Amadeus nimmt kaltes Fleisch. Darf ich dir auch –?
Cäcilie. Danke. Ich kann wirklich nicht mehr.
Amadeus. Ja, du hast schon gegessen . . . oder vielmehr ihr, »die meisten Reisenden«, wie du früher sagtest.
Cäcilie einfach. Ich habe mit Sigismund gespeist.
Amadeus. Er war die ganze Zeit in Berlin?
Cäcilie. Zwei Tage nach mir kam er dort an; ich hab' es dir ja geschrieben.
Amadeus. Freilich – du schriebst mir alles. Einmal warst du mit ihm in der Nationalgalerie.
Cäcilie. Auch im Pergamenischen Museum waren wir zusammen.
Amadeus lustig. Man muß sagen, du tust viel für seine allgemeine Bildung. – Aber was ich dich fragen wollte: wie hat sich denn Sigismund in diese Soiree beim Intendanten hineingeschwindelt?
Cäcilie. Hineingeschwindelt?
Amadeus. Nun ja, du schriebst mir doch, daß er mit seinem Walzerspiel geradezu Sensation hervorgerufen hat.
Cäcilie. Ja. Aber er hat sich doch nicht hineingeschwindelt. Als Neffe der Baronin hat er das wahrhaftig nicht notwendig.
Amadeus. Ach ja, daran dachte ich gar nicht!
Cäcilie. Übrigens hat sich der Intendant auch lebhaft nach dir erkundigt.
Amadeus. Er schätzt mich sehr . . .
Cäcilie lächelnd. Ja. Wirklich. Sobald deine neue Oper fertig ist . . .
Amadeus. Und so weiter! Er ißt. Es wundert mich übrigens, daß er sich bei dir nach mir erkundigt hat.
Cäcilie. Warum wundert dich das?
Amadeus wie harmlos. Nun, daß er unsre Persönlichkeiten als so zusammengehörig auffaßt, das wundert mich. Hat man denn in Berlin nichts davon gehört, daß wir uns scheiden lassen?
Cäcilie. Wie? was heißt das?
Amadeus lachend. Nun, es sind Gerüchte der Art im Umlauf.
Cäcilie. Wie? Na höre!
Amadeus. Ja, es ist unglaublich, was die Leute zusammenreden. Steht sogar schon in der Zeitung. Seine Durchlaucht Sigismund Fürst von Maradas-Lohsenstein soll dich zum Altare führen. Der Dispens vom Papst kommt sofort. Toll – was?
Cäcilie. Ja. – Aber das Tollste, mein Freund, das verschweigst du mir leider.
Amadeus. Das wäre –?
Cäcilie. Daß du nahe daran bist, diese Tollheit zu glauben.
Amadeus. Ich? . . . Wie kannst du nur so . . . Nein!
Cäcilie. Du hast eben nicht berücksichtigt, daß ich um drei Jahre älter bin als er.
Amadeus stutzt. Wenn es nur wegen der drei Jahre Unterschied wäre – –
Cäcilie. Nein, das ist nicht der Grund. Wahrhaftig! Auch wenn ich die Jüngere wäre, dächte ich nicht daran.
Amadeus. Wenn sich aber deine Neigung tiefer erwiese, als du anfangs vorausgesetzt hast?
Cäcilie. Auch dann nicht.
Amadeus. Warum? . . .
Cäcilie. Warum? . . . Daß sie nicht ewig währen wird, weiß ich ja doch.
Amadeus. So denkst du also schon an das Ende?
Cäcilie. Ich sage nicht, daß ich daran denke; – aber ich zweifle nicht daran, daß es kommen wird, wie es immer kommt.
Amadeus. Und dann – ?
Cäcilie zuckt die Achseln.
Amadeus. Und dann?
Cäcilie. Was weiß ich, Amadeus! Es gibt so viele Verheißungen.
Amadeus zuckt zuerst leicht zusammen. Dann. Ja, das ist wahr: voll Verheißungen ist das Leben. Überall, von allen Seiten lockt es und verspricht es, – wenn man sich entschlossen hat, frei zu sein und das Leben leicht zu nehmen wie wir . . . So hast du das wohl gemeint?
Cäcilie. Ja, genau so.
Amadeus. Du, sage, Cäcilie . . . Näher. Eines möchte ich gern wissen: ob Sigismund ahnt, daß dir solche, für den Beteiligten doch immerhin etwas unheimliche, Gedanken durch den Kopf gehen?
Cäcilie. Sigismund? . . . Was fällt dir ein! Dergleichen gesteht man nur seinem Freunde. Reicht ihm die Hand.
Amadeus immer freundschaftlich. Aber wenn er etwas davon merkte . . . ich halte es ja für sehr unwahrscheinlich, daß er der Mann dazu ist . . . aber gesetzt den Fall, er würde es an mancherlei Anzeichen spüren, daß dir dergleichen Gedanken durch den Kopf gehen . . . würdest du sie vor ihm ableugnen?
Cäcilie. Ich glaube wohl, daß ich auch das imstande wäre.
Amadeus leicht zurückschreckend. So. – Cäcilie, nun will ich dir was sagen . . . du denkst an etwas Bestimmtes . . . ja . . . ich bin davon überzeugt . . . Es handelt sich um eine ganz bestimmte Verheißung.
Cäcilie lächelnd. Das wäre möglich.
Amadeus. Was ist geschehen, Cäcilie?
Cäcilie. Nichts.
Amadeus. So ist eine Gefahr in der Nähe.
Cäcilie. Gefahr? . . . Was ist für uns Gefahr? Wer keine Verpflichtungen hat, für den gibt es auch nichts mehr zu fürchten.
Amadeus sie leicht am Arm fassend. Spiel' nicht mit Worten! Ich errate ja doch alles. – Ich weiß es! Schon aus manchen Stellen deiner Briefe habe ich's entnommen, trotzdem sie lange nicht so aufrichtig waren, als du es unserer Freundschaft schuldig gewesen wärst. Wedius ist die neue Verheißung!
Cäcilie. Inwiefern war ich nicht aufrichtig in meinen Briefen? Schrieb ich dir nicht schon nach dem Onegin, seine Persönlichkeit hätte etwas Faszinierendes?
Amadeus. Das hast du auch früher von manchen Menschen gesagt; aber es bedeutete keine Verheißung.
Cäcilie. Alles beginnt was anderes zu bedeuten, wenn man frei ist.
Amadeus. Du sagst mir nicht alles . . . Was ist geschehen?
Cäcilie. Geschehen ist nichts; aber entschlossen wäre ich dort geblieben – wer weiß . . .
Amadeus zuckt zusammen; dann geht er hin und her. Dann bleibt er hinten am Fenster stehen. Der arme Sigismund!
Cäcilie. Warum beklagst du ihn? Er weiß nichts davon.
Amadeus wieder überlegen. Zieht es dich deshalb nach Berlin?
Cäcilie. Nein! – Wahrhaftig nein! Der Zauber ist vorbei . . . scheint mir . . .
Amadeus. Und doch willst du schon zu Neujahr – –
Cäcilie aufstehend. Lieber Amadeus, um das heute noch zu besprechen, bin ich wirklich zu müde. Ich will dir jetzt gute Nacht sagen, es ist spät. Reicht ihm die Hand.
Amadeus zögernd. Gute Nacht. Cäcilie! . . . Ihre Hand haltend. Drei Wochen warst du fort, übermorgen früh fahre ich weg, – wenn ich zurückkomme, bist du am Ende nicht mehr da . . . weither ist's eigentlich mit deiner Freundschaft auch nicht, wenn du unter solchen Umständen nicht einmal das Bedürfnis hast, mit mir ein wenig länger zu plaudern.
Cäcilie. Warum denn so sentimental? Das Abschiednehmen sind wir zwei doch gewöhnt.
Amadeus. Ja, das ist richtig. Aber es ist doch immer eine neue Art von Abschied und eine neue Art von Wiederkommen.
Cäcilie. Da sich unser Leben nun einmal so gestaltet hat –
Amadeus. Daß es einmal so werden könnte wie jetzt, haben wir beide doch nicht geahnt.
Cäcilie. Oh! . . .
Amadeus. Nein, Cäcilie, wir haben es nicht geahnt. Das ist ja eben das Sonderbare, daß wir in allen unsern Zweifeln doch aneinander geglaubt haben, und daß wir eigentlich, auch getrennt voneinander, früher so beruhigt und vertrauensvoll waren, wie man es wohl nicht sein dürfte. Aber es war schön. Ja, selbst das Fernsein voneinander hatte früher eine .ganz eigene Art von Schönheit.
Cäcilie. Gewiß. So ganz ungestört liebt man sich eigentlich doch nur, wenn man meilenweit fort voneinander ist.
Amadeus. Wenn du auch heute darüber zu lächeln vermagst, sowas kommt nicht wieder, Cäcilie, für keinen. Da verlaß dich drauf.
Cäcilie. Das weiß ich so gut wie du. – Aber warum sprichst du denn auch mit einem Male, als wäre es gewissermaßen aus zwischen uns und als wäre das Beste aus unserem Leben unwiederbringlich vorbei? Das ist doch gar nicht der Fall. Das kann doch gar nie der Fall sein. Wir wissen ja beide, daß wir die gleichen geblieben sind, und daß alle andern Dinge, die uns begegnet sind und noch begegnen mögen, nicht sonderlich wichtig sind . . . Und selbst wenn sie wichtig werden sollten, wir werden uns immer die Hände reichen, selbst über die tiefsten Abgründe hinweg, Amadeus.
Amadeus. Du sprichst wie gewöhnlich äußerst klug.
Cäcilie. Und wenn du die Weiber zu Dutzenden verführst, und wenn sich die Männer um meinetwillen gegenseitig totschießen – wie für Gräfin Philine –: was hat das mit unserer Freundschaft zu tun?
Amadeus. Es ist nichts dagegen einzuwenden. Immerhin, ich habe es nicht erwartet . . . ja, ich finde es geradezu bewundernswert, wie du dich in alles findest; wie ruhig du zu bleiben vermagst in allen neuen Schicksalen und Erwartungen.
Cäcilie. Ruhig? . . . Hier bin ich's. An unserem Kamin, . . . beim Tee, in deiner Gesellschaft. Hier will und werd' ich's auch immer sein. Das ist ja der Sinn unseres ganzen Zusammenlebens. Was immer mir in der Welt beschieden sein mag, wenn ich hier eintrete, wird es abgeglitten sein. Die Stürme sind nur draußen.
Amadeus. Dafür kannst du heute nicht einstehen, Cäcilie. Es könnten Dinge kommen, die sich schwerer an dich hängen, als du in diesem Augenblick ahnst.
Cäcilie. Immer werde ich soviel Kraft behalten, um abzuwerfen, was ich will, ehe ich zu dir komme. Und sollte mir diese Kraft einmal fehlen, so werde ich eben vor der Türe bleiben.
Amadeus. Nein, das darf nicht sein! Das wäre gegen die Abrede! Gerade wenn dir Schweres begegnet, bin ich ja da, um es dir tragen zu helfen.
Cäcilie. Wer weiß, ob du dazu immer bereit wärst.
Amadeus. Immer – das schwör' ich dir! Was du auch Trauriges oder Erbärmliches erfahren solltest: bei mir wirst du Zuflucht und Verständnis finden. Aber von ganzem Herzen wünsch' ich dir, daß dir Manches erspart bleibe.
Cäcilie. Mir? . . . Nein, Amadeus, diesen Wunsch weise ich zurück. Ich habe ja noch . . . ich habe ja noch so wenig erlebt. Und ich sehne mich danach. Ich sehne mich nach allem Schmerzlichen und Süßen, nach allem Schönen und nach allem Kläglichen, was das Leben bringt. Ich sehne mich nach Stürmen, nach Gefahr, – vielleicht nach mehr.
Amadeus. Nein, Cäcilie, das versuchst du dir einzubilden!
Cäcilie. O nein!
Amadeus. Gewiß, Cäcilie. Du weißt eben noch wenig und stellst dir vieles einfacher und reinlicher vor, als es ist. Aber es gibt Dinge, die du nie ertrügst, und manche, die zu begehen du nicht fähig wärst. – Ich kenne dich, Cäcilie.
Cäcilie. Du kennst mich? . . . Du weißt nur, was ich dir – was ich als deine Geliebte, deine Gattin war. Und da du für mich die ganze Welt bedeutet hast, in dir all meine Sehnsucht, all meine Zärtlichkeit beschlossen war, so konnten wir beide früher nicht ahnen, wozu ich bestimmt wäre, wenn sich die wirkliche Welt vor mir auftäte. – Ich bin schon heute nicht mehr, die ich war, Amadeus . . . Oder vielleicht war ich immer dieselbe und habe es nur nicht gewußt; und es ist jetzt etwas von mir abgefallen, das mich früher umhüllt hat . . . Ja, so muß es sein: denn jetzt fühle ich alle Wünsche, die früher an mir herabgeglitten sind wie an einem fühllosen eisernen Panzer, . . . jetzt fühle ich sie über meinen Leib, über meine Seele gleiten, und sie machen mich beben und glühen. Die Erde scheint mir voll Abenteuern, der Himmel wie von Flammen strahlend, und mir ist, als säh' ich mich selbst, wie ich mit ausgebreiteten Armen dastehe und warte.
Amadeus wie einer Entfliehenden nachrufend. Cäcilie!
Cäcilie. Was ist dir?
Amadeus. Es ist nichts . . . Was du da sprichst, kann mich ja nicht befremden nach allem, was ich schon weiß. Aber deine Stimme hat einen Beiklang, den ich heute zum ersten Mal höre. Und auch diesen Glanz deiner Augen habe ich bis heute nicht gekannt!
Cäcilie. Das glaubst du nur, Amadeus. Wäre es wirklich so, dann müßte es mir mit dir geradeso ergehen. Und ich merke keinen Unterschied an dir. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß du mir je verändert erscheinen könntest. Bei andern Frauen magst du Bösewicht – oder dummer Junge sein – was gewiß auch manchmal vorkommen wird –: für mich wirst du immer derselbe bleiben; und ich fühle, daß dem Amadeus, den ich meine, im Grunde überhaupt nichts geschehen kann.
Amadeus. Könnte ich das nur auch – für dich fühlen! Aber diese Sicherheit habe ich nicht; die Unbedenklichkeit, die Lust, mit der du in eine unbekannte Welt hineinschreitest, erfüllt mich geradezu mit Angst um dich. Der Gedanke, daß Menschen herumgehen, von denen du, die von deiner Existenz noch nicht wissen und denen du gehören wirst – –
Cäcilie. Gehören werde ich niemandem . . . ich bin frei . . .
Amadeus. – – Die zu deinem Schicksal und zu deren Schicksal du doch schon bestimmt bist, das ist mir unheimlich. Und du bist auch nicht die Cäcilie, die ich geliebt habe – nein! Du bist nur sehr ähnlich einer, die mir sehr lieb war, aber doch ganz anders als die. Nein, du bist nicht die, die jahrelang meine Frau war; das habe ich in dem Augenblick empfunden, als du hereintratest. – Nur ein geheimnisvoller Zusammenhang besteht zwischen dem jungen Mädchen, das vor sieben Jahren eines Abends in meine Arme sank, und der, die heute aus der Fremde in diesem Hause für kurze Zeit eingekehrt ist. Aber diese sieben Jahre habe ich mit einer andern verlebt, – mit einer stillen gütigen Frau, mit einer Art von Engel vielleicht, der nun entschwunden ist. Die, die heute kam, hat eine Stimme, die ich nie gehört, Blicke, die mir fremd sind, eine Schönheit, die ich nicht kenne, – keine bessere, glaub' ich, als jene andere, eher eine grausamere – und doch eine, glaub' ich, die mehr geschaffen ist zu beglücken.
Cäcilie. Sieh mich nicht so an! . . . und sprich nicht so zu mir! . . . So spricht man doch nicht zu einer Freundin! Vergiß nicht, daß ich nicht mehr die bin, die ich war. Wenn du so zu mir sprichst, Amadeus, dann ist mir, als umwehte mich auch hier die Luft, die ich jetzt draußen so oft mich umschmeicheln fühle – in der das Leben so unbegreiflich leicht erscheint und in der man sich zu allerlei bereit fühlt, was einem früher wie unfaßbar erschien.
Amadeus. Wenn du ahntest, Cäcilie, wie deine Worte mich schmerzen und zugleich berauschen!
Cäcilie herb. Sprich nicht so, Amadeus. Ich will nicht. Sei klug um meinet- und deinetwillen. Gute Nacht.
Amadeus. Cäcilie, du gehst?!
Cäcilie. Ja. Bedenke, daß wir Freunde sind und es bleiben wollen.
Amadeus. Bedenke, daß wir immer wahr sein wollten! Und es ist einfach nicht wahr – nicht für dich und nicht für mich –, daß wir in diesem Augenblick uns als Freunde gegenüberstehen . . . Cäcilie – in diesem Augenblick fühl' ich nur eins, daß du schön bist . . . schön, wie du's niemals gewesen!
Cäcilie. Amadeus, Amadeus, vergißt du alles, was geschehen ist?
Amadeus. Ich könnte es vergessen – wie du.
Cäcilie. O ich denke dran, ich denke dran! Will fort.
Amadeus. Cäcilie, bleib, bleib! übermorgen bin ich nicht mehr da – bleibe!
Cäcilie. Sprich nicht so zu mir, ich beschwöre dich! Ich bin nicht mehr, die ich war: nicht mehr stolz, nicht mehr ruhig, nicht mehr gut. Wer weiß, ob es so viel brauchte, daß ich einem gewissenlosen Verführer zum Opfer fiele!
Amadeus. Cäcilie!
Cäcilie. Hast du so viel Freunde zu verlieren? Ich nur einen Freund. – Gute Nacht. Sie will gehen.
Amadeus. Cäcilie, ihre Hand nehmend wir haben uns längst als Gatten Lebewohl gesagt – aber wir haben uns entschlossen, das Leben leicht zu nehmen, frei zu sein und jedes Glück zu ergreifen, das uns entgegenkommt. Sollten wir wahnsinnig sein oder feig und vor dem höchsten zurückweichen, das sich uns bietet? . . . .
Cäcilie. Was sollte daraus werden, Amadeus . . . Freund!
Amadeus. Nenne mich nicht so! Ich liebe dich und ich hasse dich, aber dein Freund bin ich in diesem Augenblick nicht: Was du mir warst: Gattin, Kameradin . . . es kümmert mich nicht! . . . Ich will – dein Geliebter will ich heute sein!
Cäcilie. Das darf nicht! . . . Das soll nicht . . . nein . . .
Amadeus. Nicht dein Geliebter also . . . nein, etwas Besseres und was Schlimmeres: der Mann, der dich einem andern nimmt! . . . der, für den du einen verrätst . . . einer, der dir Seligkeit und Sünde zugleich bedeutet! . . .
Cäcilie. Laß mich, Amadeus!
Amadeus. Cäcilie, keinem von uns beiden wird jemals, solang er lebt, ein schöneres Abenteuer auf dem Wege blühen!
Cäcilie. Kein gefährlicheres, Amadeus!
Amadeus. War das nicht deine Sehnsucht? . . .
Cäcilie. Gute Nacht, Amadeus.
Amadeus. Cäcilie! Er hält sie, zieht sie an sich.
Vorhang.