Thekla Schneider
Schloß Meersburg am Bodensee
Thekla Schneider

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Die literarische Welt und der Freundeskreis in der Turmstube

Mondaufgang.

Im Herbst 1838 war von der Dichterin zum erstenmal ein Bändchen Poesien erschienen. Dasselbe enthielt außer einigen kleineren Gedichten ihre drei großen Epen:

»Das Hospiz auf dem St. Bernhard«
»Die Schlacht am Loener Bruch«
und
»Des Arztes Vermächtnis.«

Im »Mindener Tagblatt«, in dem von Gutzkow geleiteten »Telegraf«, in der »Kölnischen Zeitung« und in einer Reihe anderer Blätter erschienen Kritiken darüber.

Annette hatte ihnen mit Spannung entgegengesehen und kostete nun alle Freuden und Leiden, die je ein Dichterherz empfunden, das die Kinder seiner Muse in die Welt hinausgehen ließ. Dieses ist nicht zu verwechseln mit Ruhm und Ehrsucht; davon war Annette frei! Aber es ist dem Dichter, wie jedem anderen Künstler erlaubt, für seine Werke, mit dem er Gott und den Menschen zu dienen bestrebt ist, Anerkennung zu wünschen.

Die Kritiken befriedigten Annette samt und sonders nicht – konnten sie nicht befriedigen, schon deshalb, weil sie nur aus Bekanntenkreisen stammten, wo dem Buch allein Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die einen enthielten zuviel des Lobes, die anderen strotzten von Tadel.

Die große literarische Welt ging an dem Gedichtbändchen vorüber, was schon daraus ersichtlich ist, daß von dieser ersten Auflage nicht mehr als – die Feder sträubt sich, es niederzuschreiben – 41 Exemplare verkauft wurden!

Es kann uns zwar nicht so sehr wundern, wenn wir uns umsehen und die Zeit betrachten, in die Annette von Droste-Hülshoffs erstes Auftreten hineinfiel.

An Dichtern fehlte es damals nicht. Goethe und Schiller waren zwar tot, standen aber im Zenith ihres Ruhmes. Überhaupt beherrschte die starke Strömung, die von Weimar ausgegangen, zusammen mit den neuen philosophischen Systemen die gebildete Welt. Dazu kamen die Romantiker. – Das westfälische Edelfräulein aber gehörte keiner Schule an; sie ging allein ihren einsamen Weg. Sie lauschte auf den Schlag ihres Herzens, auf die Stimmen der Natur. Ihre Gedichte waren etwas so ganz Anderes, Neues, von dem bisherigen Abweichendes. Man könnte sagen, die Welt war noch nicht reif für sie – obwohl sie bei Einzelnen, selbst in Weimar und Jena, was wir nicht verschweigen dürfen, Entzücken hervorriefen.

Auch Schücking riet und ermutigte Annette zu einer neuen Veröffentlichung ihrer Werke.

Die Wege dazu waren nun auch geebnet.

Sie war keine Unbekannte mehr in der literarischen Welt. Ihr Name hatte jetzt einen Klang. Namhafte Blätter brachten Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff. Die Redakteure rissen sich um Beiträge von ihr. Dichter und Schriftsteller veröffentlichten begeisterte Rezensionen.

»Ich komme wirklich auf, woran ich schon ganz gezweifelt«, schrieb Annette ihrer Schwester Frau von Laßberg.

Sechs Jahre waren seit Erscheinen des ersten Bändchens verstrichen.

Der geringe Erfolg – um nicht zu sagen Mißerfolg – hatte die Dichterin nicht zu entmutigen vermocht, im Gegenteil, es war ihr ein neuer Anreiz, das Musenroß zu tummeln und mit ihm den Parnaß zu erklimmen.

Trotz Krankheit in der Familie, trotz Todesfällen und eigener körperlicher Leiden haben wir sie immer an der Arbeit gesehen.

Wir haben gesehen, wie sie in Meersburg einen neuen Geistesfrühling erlebte.

Nun war die Zeit gekommen, wo das Geschaffene ans Licht drängte.

Es war eine Forderung ihrer eigenen Intelligenz, die Blüten ihres Geistes nicht im Kasten verkümmern zu lassen, sondern mit ihnen hervorzutreten, was sie als ihr Recht ansieht:

»Mein Recht, so weit der Himmel tagt
Und meine Macht von Gottes Gnaden!«

sagt sie in ihrem Gedicht »Mein Beruf«.

Annette hat ihren Aufenthalt in der Heimat dazu benutzt, mit Professor Schlüter und dessen Schwager Professor Junkmann, eine Sammlung zusammenzustellen, worin die neuen Gedichte und die alten aus dem früheren Bändchen Aufnahme fanden.

Mit der Reinschrift, der noch eine peinliche Ausfeilung vorausging, hatte Annette noch in Westfalen begonnen; aber ganz fertig wurde sie nicht. Die Abreise nach Meersburg kam dazwischen. Am 3. Oktober 1843 traf sie mit ihrer Mutter dort ein.

Hier in der alten Turmstube des Felsenschlosses reifte nun die Frucht der Vollendung entgegen.

Die einsamen, stillen Wintertage waren ganz ausgefüllt mit Abschreiben der Gedichte.

Endlich hatte sie den letzten Federstrich daran gemacht. Sorgfältig wurde das Manuskript eingepackt, verschnürt und das Droste'sche Siegel (silberner Fisch im blauen Felde) daraufgedrückt und am 17. Januar 1844 an Levin Schücking gesandt. Dieser war seit kurzem in die Redaktion der »Allgemeinen Zeitung« in Augsburg eingetreten. Seine Anstellung als zweiter Redakteur hier sicherte ihm ein Einkommen, daß er daran denken konnte, einen eigenen Hausstand zu gründen und Luise von Gall, die Tochter des kurhessischen Generals von Gall, heimzuführen.

Annette hatte das Herzensbündnis des Freundes von Anfang an schwere Stunden bereitet. Levins Angebetete war ein Mädchen von hervorragenden Eigenschaften, schön, talentvoll; sie besaß eine herrliche Stimme und hatte sich durch formschön geschriebene Novellen bereits einen Namen in der Schriftstellerwelt gemacht. Die Briefe von Annette aus dieser Zeit sind voll mütterlicher Sorge um ihren Schützling; sie bittet und beschwört ihn, keinen übereilten Schritt zu tun, »es geht hier ums ganze Leben«. Sie stellt ihm vor, daß seine Geliebte glänzend erzogen und an einen bewundernden Kreis gewöhnt ist, »dergleichen entwöhnt sich nicht leicht,« sagt sie, und »ihre Unlust an Hofbällen,« Luise verkehrte am hessischen Hof, »und der großen Welt will nichts beweisen; sehr lebhafte und dabei, wie Du selbst sagst, etwas eitle Personen, die an einen engeren Zirkel, wo sie die erste Rolle spielen, gewöhnt sind, fühlen sich nie wohl, wo sie mit vielen pari gehen müssen.«

Es ist der Dichterin so ernst und ängstlich zu Mute, als ob sie sich selbst verheiraten sollte. Auf jeden Fall bittet sie Levin, seine Häuslichkeit nicht bloß auf den lockeren Triebsand literarischer Erfolge zu bauen, sondern zuerst festen Grund und Boden unter sich zu haben.

Diese letztere Besorgnis wurde durch seine Stellung an der »Allgemeinen Zeitung« wenigstens einigermaßen weggeräumt, und als Levin daraufhin seinem »Mütterchen« seine Verlobung mitteilte, zögerte Annette keinen Augenblick, zu dem Herzensbunde ihren Segen zu geben. »... sage Luisen,« so schrieb sie an Levin, »daß ich sie schon jetzt herzlich liebe und das feste Vertrauen habe, sie immer mehr zu lieben, weil sie Dich immer glücklich machen wird. Wann und wie uns das Schicksal zusammenführen wird, weiß Gott allein; aber der hoffentlich gegenseitige, lebhafte Wunsch wird die Gelegenheit schon herbeizuführen wissen. Sag ihr, daß ich sehr viel an sie denke und ihr Bild mir so vertraut und lieb vor Augen steht, wie die vereinte Liebe eines Bräutigams und einer Mutter es nur malen können und daß ich sie bitte, mir für das persönliche Zusammenfinden einen offenen Platz in ihrem Herzen zu bewahren, wie ich ihr mit aller Treue einen in dem meinigen bewahren werde. Du, Levin, mußt ihr bezeugen, daß dies keine leeren Worte sind und wie wenig ich mich überall mit leeren Worten befasse.

Und somit Gottes Segen über Euch beide!«

Die Braut hatte schon mit der Anzeige der Verlobung folgende Zeilen an die Dichterin gerichtet:

»Ich muß Ihnen gestehen, mein liebes Fräulein, daß mir das Herz gewaltig klopft, indem ich Levin die Feder aus der Hand nehme, um mich Ihnen persönlich vorzustellen. Meine Scheu vor Ihnen ist durch seine Schilderung von Ihnen entstanden, ich wage kaum, um ein geringes Teilchen jener Liebe Sie zu bitten, wodurch Sie meinen Freund so glücklich und so stolz gemacht haben. Ich weiß nicht, was ich darum gäbe, wenn ich mir Ihre Teilnahme und Ihren Rat erringen könnte. Sie kennen meinen Levin so gut und sind ihm eine so treue Freundin, daß Sie gewiß die bangen Zweifel beseitigen würden, die mich oft bestürmen, ob ich sein Herz auch für immer zu fesseln vermag. Ich würde Ihnen aufmerksame und gelehrige Schülerin sein, denn mein Wille ist sehr gut. Doch wage ich nicht, Sie länger zu belästigen, liebes, teures Fräulein, leben Sie recht wohl.

Ihre ergebene Luise.«

Die Trauung fand am 7. Oktober 1843 mittags 1 Uhr zu Darmstadt in der katholischen Kirche statt.

Außer den Zeugen waren in der Kirche eine Menge Leute aus der hohen Gesellschaft und aus der literarischen Welt. Luise sah ideal schön aus. Sie trug ein einfaches Kleid aus indischem Musselin und weißem Atlas darunter, im Haare den Myrthenkranz à la Ceres.

Nach der Vermählung gab der Onkel der Braut, Oberstjägermeister von Gall, ein kleines Diner, darauf reiste das junge Paar ab.

Die ersten acht Tage ihres Ehelebens verbrachten sie, von Justinus Kerner eingeladen, in Weinsberg, dem Städtchen der Weibertreu. Zwar wohnten sie, zum großen Leidwesen des »Rickele«, der würdigen Gattin Kerners, nicht in seinem Hause, sondern hatten im Gasthof Quartier genommen. Unter dem gastlichen, rebenumsponnenen Dach des berühmten Dichter-Arztes, bei dem auch Emanuel Geibel gerade zu Besuch war, genossen sie wundervolle Stunden. Heitere und ernste Gespräche wurden geführt, in welche sich die Äolsharfenklänge des alten geschichtenreichen »Geisterturmes« mischten. Die Erinnerung daran begleitete das junge Paar auf der Weiterfahrt und noch lange hinein ins Leben. In Augsburg fand die Hochzeitsreise ihren Abschluß. In der St. Annastraße wurde der häusliche Herd gegründet, im ersten Stock eines alten Patrizierhauses. Man hatte ihn mit einigen schönen, geschnitzten Renaissancemöbeln, welche bei den Augsburger Althändlern zu unglaublich niedrigen Preis zu erstehen waren, ausgestattet und behaglich eingerichtet.

Die Korrespondenz mit dem jungen Paare füllt viele Stunden von Annettens Stilleben aus. Sie freut sich über das Glück, das die Neuvermählten ineinander finden; sie kümmert sich um alle Angelegenheiten des neuen Hausstandes und erteilt Rat, wo es nötig scheint. Voll Güte und Liebe ist sie gegen Luise und will ihr helfen, »das kleine widerspenstige Pferd, das gerne hinausschlägt, zu zähmen.«

Auch von sich erzählt die Dichterin. Wir werfen durch die Briefe einen Blick in ihr Stilleben, wenn sie schreibt, daß Fox, ihr Wachtelhündchen, ihr die Pantoffeln vom Bette wegstiehlt, sie in seinen Heukorb bringt, um seinen Kopf darauf zu legen; oder wenn sie berichtet, daß ihr Kanarienvögelchen sich mausert und die Federchen im Zimmer herumfliegen, und daß der große Kachelofen ihr bester Freund sei, an den sie sich lehne, wenn der Sturm die Schneeflocken an die Fenster treibt. – Keine großen, weltbewegenden Dinge kann sie ihnen mitteilen aus ihrer Turmstube; aber unter der Feder der Dichterin nimmt alles einen charme an und sie weiß, daß auch das Kleinste bei Levin und Luise ein geneigtes Ohr findet. Sogar ein paar Pantoffeln stickt Annette ganz sittsamlich für die junge Frau und schreibt humoristisch dazu, daß sie »die blauen Strümpfe ausgezogen und ihre Feder der nächstbesten Gans in den Flügel gesteckt habe,« um dies zustande zu bringen.

Die Arbeit schickt sie mit dem Manuskript nach Augsburg. Beides wird dort mit Jubel empfangen.

Luise ist gerührt über die Pantoffeln und außerordentlich froh über Annettens Güte; sie sagt, sie hätte sich gerade danach gesehnt, da sie ein Paar in ihrer kurzen Ehe schon aufgebraucht habe! »Sie sehen, wie mir's geht!« heißt es in dem Dankesschreiben von Schücking. Über das Manuskript macht er sich gleich her und notiert auf ein Blatt die beanstandeten Stellen, wie Annette es gewünscht; denn jede eigenmächtige Änderung hatte sie sich strengstens verbeten. Sie hatte sich schon vor Absendung des Manuskriptes das Versprechen geben lassen, daß er nicht ein Jota nach eigener Willkür streiche oder korrigiere. Besagtes Blatt wurde nun an die Dichterin geschickt, welche an Hand des zurückbehaltenen ersten Entwurfs die entsprechenden Veränderungen vornahm und es dem Freund wieder zusandte. Darauf ging die ganze »Pastete« an Cotta nach Stuttgart ab. Schücking führte die Unterhandlungen, welche am 29. Januar 1844 damit endeten, daß von den Beteiligten der Vertrag unterzeichnet wurde. Darin waren der Dichterin, bei einer Auflage von 1200 Exemplaren, 700 Gulden Honorar nebst 12 Freiexemplaren zugesagt.

Eine liebliche Frauengestalt tritt noch in das Idyll von Meersburg herein: Fürstin Salm-Reifferscheidt-Krautheim.

Diese hochgebildete Frau von 36 Jahren wohnte mit ihrem Mann und zwei Töchterchen auf dem von Meersburg eineinhalb Wegstunden entfernten, bei Immenstaad, zwischen Reben und Obstbaumgelände, schön gelegenen Schloß Herrschberg.

Trotz ihrer Furcht beim Fahren kam die Fürstin jeden Sonntag herüber. Annette freute sich schon den ganzen Samstag auf den Besuch, und das Turmzimmer, in dem sie nur auserwählte Persönlichkeiten empfing, war dann Zeuge herzlicher, vertraulicher Gespräche.

Als Erinnerung an diese Freundschaft befindet sich auf der Meersburg noch ein Album der Fürstin Amalie von Gallitzin, das Annette von der Fürstin Salm erhielt. Es stammt aus der Familie des Mannes der Letzteren. Ihr Schwiegervater war mit Marianne von Gallitzin verheiratet, der einzigen Tochter der Fürstin Amalie von Gallitzin, welche gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu Münster in Westfalen den Mittelpunkt eines geistig hervorragenden Kreises gebildet hat.

Das Album enthält Einzeichnungen Jakobis, Stolbergs, Overbergs, Fürstenbergs und vieler anderer literarisch bedeutender Männer jener Zeit.

Ja, selbst Goethe verschmähte es nicht, sich darin zu verewigen und folgendes hineinzuschreiben:

Distichon.

Unterschieden ist nicht das Schöne vom Guten, das Schöne
Ist nur das Gute, das sich lieblich verschleiert uns zeigt.

Weimar, 17. April 1793.
Goethe.

Endlich ging Annettens Herzenswunsch in Erfüllung.

Am 6. Mai 1844 kam Levin Schücking mit seiner jungen Frau nach Meersburg. Seit Monaten hatte man sich auf das Wiedersehen und persönliche Kennenlernen gefreut. Annette war bemüht gewesen sie gut unterzubringen und mietete für die Besuche ein paar Zimmer in der »Traube« mit schöner Aussicht, dabei reinlich und billig. Bei Tag aber weilten Levin und Luise meist im Schlosse, wo sie herzlich aufgenommen waren.

Mit Vorliebe führte Annette ihre Gäste auf ihr eigenes kleines Besitztum, das Fürstenhäuschen. Im Genusse der herrlichen Aussicht wurden dort schöne Morgen- und Abendstunden verbracht. Man suchte die früheren Wege, die alten Plätzchen wieder auf, aber Annette empfand und mußte empfinden, daß es anders geworden. Es war ein Drittes zwischen sie und den Freund getreten, ein Drittes, das mehr Rechte, größere Ansprüche an ihn hatte als sie, und mit dem sie sich doch nicht recht verstand. »Schückings Frau ist sehr schön, sehr talentvoll, hat aber auch die Gnade von Gott, dies zu wissen, weshalb sie mir doch nicht recht zu Gemüte wollte,« schrieb Annette später an ihre Freundin Elise Rüdiger und so ging es, wie es manchmal zu gehen pflegt, durch die Annäherung wurde die Entfremdung vorbereitet.

Während das junge Ehepaar, nachdem Abschied genommen war, über den See der Bucht von Konstanz zusegelte, ging Annette in ihr Turmzimmer und schrieb das Gedicht: »Lebt wohl«. Darin sind schon die ersten leisen Töne der großen Dissonanz angeschlagen, mit der diese Freundschaft endigen sollte.

Wer fühlt nicht den tiefen Schmerz, aber auch die ganze Großartigkeit des vornehmen Entsagens heraus, wenn sie singt:

»Lebt wohl, es kann nicht anders sein!
Spannt flatternd eure Segel aus,
Laßt mich in meinem Schloß allein
In meinem geisterhaften Haus.
Lebt wohl und nehmt mein Herz mit euch
Und meinen letzten Sonnenstrahl!
Er scheide, scheide nur sogleich,
Denn scheiden muß er doch einmal.«

Frau Rätin Rüdiger gibt in einem Schreiben vom 16. Dezember 1884 an H. Hüffer zu dem Besuch auf der Meersburg noch folgenden Kommentar:

»Ich glaube, daß Schücking und seine junge Frau sich rücksichtslos gegen Annette benommen haben, vielleicht nur im Übermut der Jugend sie wie alt behandelten. Dagegen war sie bei aller Großartigkeit doch sehr empfindlich nach Frauenart. Auch tadelte Frau Schücking vielleicht den Gesang von Annette, wodurch diese sich gereizt fühlte; denn sie legte Wert auf ihre wunderschöne Stimme.

Frau Schücking sang wahrscheinlich nach moderner Art; ich habe sie nie singen gehört. Annette sagte aber stets etwas bitter: sie singe so laut und falsch.

Frau Schücking war eine große, schöne, angenehme Frau, aber wohl etwas selbstzufriedener, als im Umgang angenehm war.«

Die Vereinsamung des Herzens vibriert in jeder Zeile des obigen Liedes. In der Religion sucht Annette Trost:

»Verlassen, aber einsam nicht,
Erschüttert, aber nicht erdrückt,
Solange noch das heil'ge Licht
Auf mich mit Liebesaugen blickt.«

Sie wandte sich wieder dem alten Freund Professor Schlüter zu, der vor dem literarisch regen Schücking in den Hintergrund getreten war. Nicht mit Unrecht mußte der blinde Gelehrte in einem Brief klagen: »O Frauenherz! o tempi passati! als ich von Ihnen Briefe erhielt ... O, wie eitel ist alles! Wie schießen die Schifflein dahin! Auch die Freundschaft ist Eitelkeit, Wind, nichts als Wind ... Das Herz ist gewandert, hat meandert, ist gänzlich verandert ... Das freundliche Angedenken, die freundliche Güte mochte Sie lenken zu anderem Gebiete, mir blieb eine Niete.« Für Annette war dieser Brief, der den Traurigsten lachen und den Leichtsinnigsten hätte weinen machen können, jetzt gerade eine willkommene Gelegenheit, das Verhältnis wieder in die alten Bahnen zu leiten.

»Ich habe immer sehr viel an mein Professorchen gedacht«, schreibt sie in der Antwort auf diesen Brief, »und bin seit kurzem häufig veranlaßt worden, mehr als je an eben dasjenige zu denken, welches da bleibt, wie es ist und wahrlich sehr wohl daran tut, nicht wandert, nicht meandert, am wenigsten sich gänzlich verandert. Wüßten Sie, mein lieber Freund, wie mich der Gedanke an Sie aufrichtet und erfrischt, es müßte Sie doch sehr freuen. Adieu für diesesmal – –«

Außerdem klammerte sie sich in ihrem Seelenschmerz an die Natur und an ihre Muse. In der Waldschlucht am Wasserfall ist ein Felsvorsprung, wo die Dichterin mit Vorliebe weilte, weshalb ihm die Nichten den Namen gegeben: »Tante Nettens Plätzchen«. In der traulichen Waldesstille, unter den alten Baumkronen dachte und dichtete sie. »Ich habe soviel zu denken,« heißt es in einem ihrer Briefe. Hier entstanden die meisten ihrer Gedichte, welche erst im Jahre 1860, lange also nach ihrem Tode, unter dem Titel »Letzte Gaben« erschienen sind.

Darunter befindet sich auch: »Der Mondesaufgang«.

Die Dichterin steht auf dem Balkon des Schlosses zur Abendzeit und wartet auf den Mond. Alles Licht ist erloschen, sogar der »Feuerfliege Funken«. Das Dunkel, die Schatten der Nacht werden immer tiefer und legen sich beängstigend auf die Seele Annettens. Die Häupter der Berge schauen herüber zu ihr, wie harte, ernste Richter.

»Mir war, als müßte etwas Rechnung geben,
Als stehe zagend ein verlornes Leben,
Als stehe ein verkümmert Herz allein,
Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein.« – –

Da, auf einmal fällt ein Silberflor auf die Wellen, der Mond steigt herauf, er streift die finsteren Stirnen der Alpen:

»Und aus den Richtern wurden sanfte Greise.«

Nun ist alles wie verwandelt, die ganze Umgebung ist in Licht getaucht; die Wellen lächeln und winken freundlich herauf. Die Tropfen an den Zweigen glänzen:

»Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimatlampe Schein.«

»O, Mond, du bist mir wie ein später Freund,
Der seine Jugend dem Verarmten eint,
Um seine sterbenden Erinnerungen
Des Lebens zarten Widerschein geschlungen,

Bist keine Sonne, die entzückt und blendet.
In Feuerströmen lebt, im Blute endet, –
Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,
Ein fremdes, aber o! ein mildes Licht.«

Die Güte gegen den Nächsten, ein so hervorragender Zug in Annettens Wesen, kam jetzt immer mehr zum Vorschein. Wie sie zum Wohltun jede Gelegenheit ergriff, mag folgendes beweisen:

Eines Nachts hörte die Dichterin den Nachtwächter singen. Seine Stimme klang so traurig, daß sie bei sich dachte, der Mann müsse einen Kummer, vielleicht große Sorgen haben. Sie ließ ihn am anderen Tag zu sich rufen, und als sowohl sein Äußeres als seine Erzählungen über Frau und Kinder ihre Vermutung bestätigten, gab sie ihm ein schönes Geldgeschenk und sorgte dafür, baß er jeden Samstag im Schloß Brot für sich und seine Familie abholen durfte. Bei ihrer Abreise hinterließ sie einen Betrag, mit der Bestimmung, daß die Wohltat fortgesetzt werde.

Annettens Mildtätigkeit erstreckte sich mit Vorliebe auf solche, die in Ausübung ihrer Kunst mit der Not des Lebens zu ringen hatten. Ihre Güte ging selbst so weit, daß sie sich von einem mittelmäßigen Künstler immer wieder malen ließ, nur um diesem einen kleinen Verdienst zuzuwenden.

So erfreute sich in Meersburg eine Schauspielertruppe ihres Erbarmens; sie hatte gute Kräfte, aber es mangelte an allerlei, besonders an Kostümen. Annette schenkte ihnen eine namhafte Summe; außerdem veranstaltete sie eine Sammlung, so daß die Leute sich redlich weiterhelfen konnten.

Auch gegenüber Schücking und seiner Frau tritt Annettens Milde und Güte zutage. Mit keinem Wort verrät sie das innere Mißbehagen und wie ihre Seele leidet unter der Dissonanz, die der Besuch hervorgerufen. Es ist dies ein Beweis dafür, daß sie sich redlich und ehrlich bemühte, diese zu überwinden und wie edel ihre Absichten dem Freundespaar gegenüber geblieben sind. Sie fährt fort, ihm in gleich herzlicher Weise zu schreiben. Sie sucht es zu erfreuen durch kleine Geschenke und bei der Geburt des ersten Kindes übernimmt sie die Patenstelle. Das geschah allerdings unfreiwillig, da Schücking ohne ihr Wissen Annette hatte ins Taufbuch einschreiben lassen. Liebenswürdig genug antwortete sie: »Gott segne Mutter und Kind und lasse was Gutes wachsen aus dem kleinen dicken Fresser ... Sobald ich soweit zu Verstand komme, will ich ein schönes, großes Gedicht auf den Jungen machen ... Ich will ihm auch ein Patenstück schenken, etwa einen hübschen, silbernen Becher ...«

Mehr und mehr erwachte in der Dichterin auch wieder die Sehnsucht nach der Heimat, wie »Grüße« und »Die tote Lerche« beweisen, in letzterem Gedicht heißt es:

»Dann nur ein Grab auf grüner Flur
Und nah' nur, nah' bei meinem Neste,
In meiner stillen Heimat nur.«

Nachdem der Sommer mit interessanten Gästen, unter denen auch Guido Görres und seine junge, eben erst angetraute Gemahlin sich befanden, vorübergegangen war, trat Annette mit ihrer Mutter am 23. September 1844 die Heimreise nach Westfalen an. Die letzten Wochen auf der Meersburg verbrachte sie noch in großer Unruhe wegen dem Verbleib ihres Manuskriptes, von dem sie seit langer Zeit nichts gehört hatte. Mit Ungeduld wartete sie auf Nachricht, sodaß Frau von Laßberg sich endlich veranlaßt fühlte, selbst an Schücking zu schreiben und um Aufklärung zu bitten. Das Werk war aber bereits gedruckt und Levin hatte in der Meinung, Annette sei schon nach Westfalen abgereist, die Freiexemplare nach Rüschhaus geschickt. Auch war ihnen ein Wechsel auf das Honorar beigelegt. Zu ihrer großen Freude fand die Dichterin bei ihrer Ankunft alles vor.

Der Wechsel ging sofort nach Meersburg ab und zwar als Kaufschilling für das Rebhäuschen.


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