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Allmählich kam der Frühling heran. Die Sonne schmolz den Schnee von den Dächern und Zinnen, Schneeglöckchen und Veilchen streckten an sonnigen Plätzchen im Burghof ihre Köpfchen aus dem Grase hervor. Die Schwalben kamen aus dem Süden zurück. Für Levin Schücking aber schlug die Abschiedsstunde. –
Es war ihm, durch Vermittlung seines Freundes Freiligrath, von Fürst Wrede in Bayern die Erzieherstelle seiner beiden Söhne angeboten worden.
Der Freiherr, sowie auch besonders Annette, hatten ihn bestimmt, sie anzunehmen, im Hinblick darauf, daß seine Stellung auf der Burg als Bibliothekar von Anfang an, nur als eine vorübergehende gedacht war.
Die Dichterin machte sich immer Sorge um Levins Zukunft und kannte ja, wie wir schon gehört, keinen größeren Wunsch, als ihn in einer gesicherten Laufbahn zu sehen. Sie begrüßte deshalb das Anerbieten als ein Geschenk des Himmels, wie schwer ihr auch anderseits die Trennung von dem Freunde wurde.
Über dem eigentlichen Abschied liegt ein Dunkel. Aber es scheint noch zu einer ernsten Mahnung gekommen zu sein; denn Annette spricht in ihrem ersten Brief an Schücking von »harten Dingen«, die sie ihm noch zuletzt gesagt ...
Jetzt erst, nachdem er fortgegangen, erkannte die Dichterin, wie eng sie mit Levin verbunden, ja, daß er ihr fast unentbehrlich geworden war. Sie sitzt jeden Morgen auf der Treppe und wartet auf den Postboten, ob er ihr keinen Brief bringt, und als es dann endlich der Fall ist und sie das erste Schreiben empfängt, das vom 12. April 1842 datiert, eilt sie jubelnd und klopfenden Herzens, in ihre Turmstube damit.
Nachdem sie ihn dort zuerst allein gelesen, bringt sie ihn hinüber zu Laßbergs und es ist große Freude im Hause über den Brief, welcher schließt:
»Jetzt dem nur noch, daß ich nie die Meersburg und alle ihre Bewohner vergessen werde, vielmehr mit meinen Gedanken mehr dort als hier bin und ewig sein werde. Ihr dankbarster und gehorsamster L. Schücking.«
Auch Annette begleitet der Gedanke an den Freund auf Schritt und Tritt. – Sie leidet sehr unter Heimweh und wenn ihre Sehnsucht zu groß wird, greift sie zur Feder und schreibt seitenlange Episteln an ihn, was ihr das Herz eingibt – ist sie ja doch im Briefschreiben eine Meisterin ersten Ranges.
Alles teilt sie ihm mit, was auf der Burg sich ereignet: Großes, Kleines und Allerkleinstes, denn sie weiß, daß er sich dafür interessiert. – Natürlich kommt darüber ihr eigenes Tun und Treiben, mit allen Seelen- und Herzensstimmungen durchwoben, nicht zu kurz.
Diese Briefe sprechen eine Herzenssprache, wie wir sie selten finden. Es sind Äußerungen darin, die über die gewöhnliche Freundschaft hinausgehen.
Annette, die nie ein Liebesgedicht gemacht, schlägt hier Töne an, die nur das Lied der Liebe kennt.
Wir sind überrascht, wenn wir das vertrauliche Du anstatt der Anrede Sie treffen. Noch mehr, wenn wir lesen: »Guten Morgen, Levin! Ich habe schon zwei Stunden wachend gelegen und in einem fort an dich gedacht! Ach, ich denke immer an dich, immer ...«
An einer andern Stelle heißt es: »Schreibe mir, daß du mich lieb hast; ich habe es so lange nicht ordentlich gehört und ich bin so hungrig darauf ...«
Dazwischen klingt ein mütterlicher Ton durch. Sie nennt ihn »liebstes Kind«, ihren »Jungen«, ihr »widerspenstiges, kleines Pferd«, einmal sogar »einen Schlingel«, der ihr »die Seele gestohlen«. Und dann wieder:
»Lieber Levin, deine treue Sorge und Liebe tut deinem Mütterchen so wohl – ein Mutterherz ist nicht so leicht aus dem Ärmel zu schütteln«.
Sie erinnert ihn an die schönen Stunden in Rüschhaus, an das alte Kanapee mit den Harfen, an die Bank unter den Eichen, wo sie mit dem Fernrohr ihn erwartete ...
Die Schaffensfreudigkeit litt aber keineswegs darunter. Nachdem die ersten acht Tage vorüber waren, in denen sie allerdings »keine Zeile hätte schreiben können«, so weh tat ihr der Abschied, »und wenn es um den Hals gegangen wäre«, ist sie »des ewigen Tränenweidensäuselns müde« und rafft sich zur Arbeit auf.
»Du bist ein hochmütiges Tier«, schreibt sie ihm, »und hast einem doch nur lieb, wenn man etwas Tüchtiges leistet. Schreibe mir nur oft, mein Talent steigt und stirbt mit deiner Liebe; was ich werde, werde ich durch dich und um deinetwillen ...«, und an einer andern Stelle: »Heute bin ich wieder in der fruchtbaren Stimmung, wo die Gedanken mir con furore an den Hirnschädel pochen. Wärest du bei mir, ich würde singen, daß die Lachse aus dem Bodensee sprängen und die Möven sich mir auf die Schultern setzten.«
Es liegt auf der Hand, daß diese Briefe nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und sie haben den Weg in dieselbe auch eigentlich zu Unrecht gefunden.
Die Dichterin hatte dem Freunde das Versprechen abgenommen, sie zu verbrennen, was er ihr zusagte. Nach Levins Tod am 31. August 1883, also lange nachdem Annette schon gestorben war, haben sie sich noch unter seinem Nachlaß gefunden, und hat Levins Tochter – wir nehmen an, sie wußte nichts von diesem Versprechen – keinen Anstand genommen, sie herauszugeben. Einen Verleger dafür zu finden war natürlicherweise nicht schwer.
So ward der Schleier gelüftet, den die Dichterin zu Lebzeiten über ihr Geheimnis geworfen hatte.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert haben viele Gelehrte daran herumgedoktort und sich den Kopf zerbrochen, um das Rätsel zu lösen, vor das uns die Droste in ihrem Verhältnis zu Levin Schücking stellt.
Wie einen kostbaren Stein haben sie es nach allen Seiten gewendet und gedreht und immer undurchsichtige Stellen darin gefunden. Es ist und bleibt uns unverständlich und wir müssen uns mit der Tatsache abfinden: wo Licht, ist auch Schatten. Die Freundschaft zu dem jungen Levin Schücking, welche bei aller Innigkeit der Neigung durch ihre sittliche Reinheit einzig dasteht, kann trotzdem als Verirrung bezeichnet werden und ist es auch schon geworden. Ja, die Dichterin selbst hat sie wohl in späteren Jahren als solche angesehen, als die Kluft, die von jeher bestand, sich bei den politischen Ereignissen des Jahres 1848 immer mehr erweiterte. Man kann sich fragen, warum es gerade Levin Schücking war, der ihren Lebensweg kreuzte zu einer Zeit, wo ihre Frauennatur nach Liebe verlangte. Warum nicht ein anderer, ein größerer, bedeutenderer Mann, an denen es damals ja nicht fehlte? Wir dürfen nur nach Weimar hinübersehen. Bei aller Nichtverkennung von Schückings schriftstellerischen Anlagen reichte sein Geist doch bei weitem nicht an den Annettens heran.
Aber er hatte eine Mission an ihr zu erfüllen, das darf Schücking nicht vergessen werden. Daß er befruchtend auf das Talent der Dichterin eingewirkt hat und daß wir dieser Freundschaft die Mehrzahl der Schöpfungen Annettes zu verdanken haben, steht außer Zweifel.
Wer kennt die Wege göttlicher Fügungen und Führungen? Wer kennt die labyrinthartigen Gänge, die verschlossenen Kammern des menschlichen Herzens? Wer weiß, ob diese Verirrung nicht für die Droste notwendig war, um zu jener Abklärung zu gelangen, zu jener entzückenden Demut, zu jener Glaubens- und Gottesinnigkeit, die aus ihren Gedichten zu uns spricht und die uns so zu ihr hinzieht.
Das ist die große Tragik im Menschenleben, daß die schönsten, die höchsten, die echtesten Tugenden erst aus Fehlern, aus Unvollkommenheiten und Schwachheiten geboren werden. – Aber trotz allem und alledem steht Annette rein und groß vor uns, wenn wir den starken sittlichen Halt bedenken, der dazu gehörte, um die Grenzen dieser Freundschaft, die so weit gesteckt waren, nicht zu überschreiten. –
Ja, es wird diese Freundschaft für uns bis auf ihren letzten Rest immer ein Geheimnis bleiben, wie überhaupt Annettens Wesen viel Mystisches, Geheimnisvolles in sich schließt. Wer kennt alles und weiß alles? Nur einer! Derjenige, der Herz und Nieren durchforscht – Gott! ...
Daß das Verhältnis zu Schücking, so wie es nun einmal war, von Annette vor ihrer Umgebung verheimlicht wurde, liegt in seiner Natur, wie auch in der Natur der übrigen Umstände begründet.
Gegenseitig machte das Freundespaar kein Geheimnis daraus, sondern sie haben sich mehrfach darüber ausgesprochen. –
Am klarsten und deutlichsten tritt das Empfinden der Dichterin darüber zu Tage in dem Abschnitt, den sie für einen Roman Schückings geschrieben; darin läßt sie ein Stiftsfräulein zu ihrem jungen Schützling sagen: »Ich will wie eine Verwandte für Sie sorgen, ich will Sie wie einen Bruder liebhaben; ich will jemand haben, für den ich sorgen kann wie ein Weib, an dem ich eine geistige Stütze habe; denn meine Umgebung reicht nicht für mich aus. Aber wenn ich auch so gedankenarm wäre wie eine Köchin – es wäre doch dasselbe, ich will jemand haben, der mein ist und dem ich wie einem geduldigen Kamele alles aufpacken kann, was an Liebe und Wärme, an Drang zu hegen und zu pflegen, zu beschützen und zu leiten, in mir ist und übersprudelt. Aber wenn Sie deshalb glauben, oder jemals sich einbilden, ich wäre verliebt in Sie, ich wäre eine Törin und würfe mich Ihnen an den Hals, so sind Sie nicht nur ein eitler Geck, sondern Sie sind etwas Schlimmeres: ein verdorbener Mensch, der von einem reinen und edlen Verhältnis keinen Begriff hat.«
Damit rückt die Dichterin ihr Herzensgeheimnis in ein so wundervolles Licht, daß wir uns unbedingt damit versöhnen müssen.
Obige, früher schon angeführte Stelle, läßt uns in die Reinheit dieser Neigung wie keine andere, hineinsehen und wir brauchen uns nicht mehr an den Briefen zu stoßen, die der Niederschlag sind einer reinen und edlen Freundschaft, welche selten, wie ein Biograph sagt, einen so lebhaften Ausdruck gefunden wie von der Hand Annettens.
Annettens Name hatte bereits einen Klang in der literarischen Welt, und die Gelehrten kamen jetzt nicht mehr bloß Laßbergs wegen nach der Meersburg, sondern auch um die Dichterin zu sehen und kennen zu lernen.
Sie nennt unter den verschiedenen Namen auch Wessenberg und schreibt über seinen Besuch an Schücking: »Seine Persönlichkeit ist jetzt weder angenehm noch bedeutend; indessen habe ich ihn zu spät kennen gelernt ... Man sagt, er behandle Frauen gewöhnlich mit großer Geringschätzung und fast wie unmündige Kinder; mit mir aber hat er eine ehrenvolle Ausnahme gemacht, und nachdem er mir schon durch Baumbach viel Verbindliches über meine Gedichte und den Wunsch, meine Bekanntschaft zu machen, hatte zukommen lassen, trat er mir jetzt ziemlich taktlos und geziert, mit den Worten entgegen: »Sie sind also die Dichterin! Wahrlich, Sie haben eine herrliche Ader von seltener Kraft ec.«, und Du glaubst nicht, mit welcher koketten, kleinlichen Ostentation er mich den übrigen Tag halb protegierend, halb huldigend, zu unterhalten suchte ... Zudem scheint er mir unbegrenzt eitel; jede Kopfbewegung hat etwas Gnädiges; sein Gespräch ist durchspielt mit Hindeutungen auf seine literarische und kirchliche Stellung, erlebten Erfolgen ec. ... Kurz, ich meine, diese große Eitelkeit und die allzeit damit verbundene Kleinlichkeit und Schwäche müssen Wessenbergs Bedeutung doch immer sehr geschadet haben, und ich kann mich, seit ich ihn gesehen, nicht enthalten, weit mehr diese für das Motiv seiner auffallenden Schritte zu halten, als irgend etwas anderes.«
Ob dieses harte, abfällige Urteil Annettens über den ehemaligen Koadjutor und Generalvikar des Bistums Konstanz in allen seinen Teilen zutreffend ist, wollen wir dahingestellt lassen,– es ist hier auch nicht der Platz, es zu untersuchen – aber jedenfalls werden diese Bemerkungen mit einiger Vorsicht aufzunehmen sein, da es zu der impulsiven, temperamentvollen Eigenart der Dichterin gehörte, daß sie, vertrauend auf ihren hellen inneren Blick, sich leicht zu einem allzu raschen Urteil über Personen verleiten ließ, bei dem es dann blieb.
Wir begegnen demselben noch öfters, z. B. bei dem ersten Besuch von Uhland, nach welchem sie an die Mutter schrieb: »Gott, was ist das ein gutes, schüchternes Männchen.« – Das konnte man doch gewiß nicht von einem Manne sagen, der, wie Uhland, in der Kammer so mächtig seine Stimme erhob: es müßte nur sein, daß vor dem westfälischen Edelfräulein die angeborene schwäbische Bescheidenheit des Dichters allzusehr in den Vordergrund getreten ist. –
Annette vermißte den Freund überall: im Schloß, wenn sie an seinem Zimmer vorbeiging, das jetzt so leer und einsam war, und in das sie sich gelegentlich auch hineinschlich, wie auf ihren Spaziergängen am Seeufer hin, wo sie sich häufig auf eine Holztreppe setzte und sich einbildete, sie erwarte Levin wie in früheren glücklichen Tagen.
Besonders lebhaft ist ihr Vermissen bei einem Ausflug nach Langenargen mit Schwager und Schwester Laßberg und den Kindern. Der See dort entzückt sie, hauptsächlich aber die Ruine des Schlosses Montfort, von der sie dem Freund eine farbenprächtige Schilderung macht:
»... nicht zweihundert Schritte vom Gasthof der Hauptpunkt, die herrliche Ruine Montfort, auf einer Landzunge, die schönste, die ich je gesehen habe, mit drei Toren, zackichten Zinnen und einer dreifachen Reihe, durch ihre Höhe und Tiefe ordentlich imponierender Fensternischen, in denen die herrlichste Stukkaturarbeit dem Wind und Regen noch zum Teil widerstanden hat und man sie so mit einmal über die Nischen streifend, wie eine grandiose Stickerei, übersehen kann. Die Ruine ist als solche noch nicht alt, obwohl sonst ein sehr altes Gebäude. Vor fünfzig Jahren wohnte noch ein Schaffner darin; dann ward das Schloß zum Abbruch verkauft und nachdem das Dach und die inneren Mauern niedergerissen waren, kam ein Befehl von Stuttgart – es ist württembergische Domäne – damit innezuhalten. Seitdem steht es nun in seiner verfallenden Pracht und läßt sich nach und nach von den Wellen unterminieren, die schon viele Fuß tief in den Mauern gewühlt haben und wenn man drinnen ist, wie unterirdisch brausen ... Jetzt hat ein armer Blumenhändler mit Frau und Kindern sich dort angesiedelt; in der notdürftig hergestellten Pförtnerstube unter dem Torgewölbe hockt die Familie zusammen; auf den Mauern und Basteien, wo nur ein Fleckchen Erde ist, steht alles voll Blumen in Beeten und Töpfen; aus einem der Kellerlöcher meckert eine Ziege, und ein halbes Dutzend weißer Kaninchen schlüpft zu den unteren Fensternischen aus und ein. Du kannst Dir das Malerische des Ganzen nicht denken ... Ein fremder Kaufmann, den wir gestern beim Figel trafen, und der geraden Wegs aus dem südlichen Frankreich durch Italien und in letzter Station von Langenargen kam, war ganz entzückt davon und sagte, er könne es nur mit den schönsten Aussichten bei Genua und Neapel vergleichen ...«
»Lieber Himmel,« fährt die Dichterin dann fort, »warum habe ich einen so schönen Tag ohne Dich genießen müssen! Ich habe immer, immer an Dich gedacht, und je schöner es war, je betrübter wurde ich, daß Du nicht eben neben mir standest und ich Deine gute Hand fassen konnte und zeigen Dir – hierhin – dorthin – Levin, Levin,... Du hast mir meine Seele gestohlen; Gott gebe, daß Du sie gut bewahrst ...«
Annette unterläßt nicht, den Freund auch mit kleinen Ereignissen im Schloß und im Städtchen auf dem Laufenden zu halten.
So meldet sie ihm einmal, in ihrem Vorzimmer sei ein großer Tisch aufgestellt, an dem Maler Stiele, auf Geheiß Laßbergs, den Bauriß des Kölner Doms illuminiere und daneben sie mit seinem Gesang unterhalte. Letzteres allerdings nicht auf Anordnung des Freiherrn, das war eine freiwillige Zugabe, wie auch, daß er sich in die alte Kammerjungfer verliebte, als diese durch das Vorzimmer ging, »um mit ihren schönen Händen« Annettens Haare zu flechten.
Das Fronleichnamsfest schilderte sie in ergötzlicher Weise, wie von früh morgens 4 Uhr an die Bürgermiliz mit wirklichen Kanonen geschossen und in jedem Hause ein Kind geschrien habe, und wie besagter Stiele, in eine Uniform gezwängt, die große Trommel mordsmäßig malträtiert und bei Annettens Rückkehr aus der Kirche er sie höchst militärisch gegrüßt habe und höchst bürgerlich dazu gesagt:
»Guten Morgen, gnädiges Fräulein.«
Frau von Laßberg, berichtet sie weiter, sei im Zug gegangen, zwischen lauter alten Frauen und habe mit ihren zwei schneeweißen Kinderchen an der Hand ausgesehen »wie ein frommes, anmutiges Madönnchen.« –
Ins Museum ging die Dichterin jetzt alle Tage. Sie setzte sich dort an den Platz am Fenster, den Schücking sonst eingenommen, und las das »Morgenblatt.« Dasselbe brachte außer Gedichten von ihr eine Erzählung, »Die Judenbuche« betitelt.
Das Freundespaar beherrschte in diesem Frühling das Blatt; es kamen fast ausschließlich nur Beiträge von ihm, nicht zur Freude anderer Dichter, welche sich auch hätten gedruckt sehen mögen.
So war die Zeit immer ausgefüllt mit literarischen Interessen.
Neue Poesien entquollen ihrer Feder; Annette stand in diesem Jahre auf der Höhe ihres Lebens, auf der Höhe ihrer Schaffenskraft. Daneben arbeitete sie für den Freund, lieferte ihm wertvolle Beiträge für sein »Deutschland im 19. Jahrhundert« und »Das malerische und romantische Westfalen«. Ihre Hauptaufgabe aber bestand darin, die Gedichte ins Reine zu schreiben. Sie hatte Anträge von verschiedenen Verlegern, welche sich um den Druck bewarben, und Levin Schücking unterhandelte mit Cotta; doch wollte sich dieser nicht mit den einzelnen Proben begnügen, sondern das ganze Manuskript in Händen haben, bevor er sich für den Verlag entscheide.
Vielfache Abhaltung von der Arbeit gab es indes durch die verschiedensten Gäste. »... es geht hier wieder bunt zu,« schreibt sie dem Freund, »man weiß morgens beim Aufstehn nicht, ob man nach der Dampfschiffstunde noch zu einer Zeile kommt.«
Eine noch schlimmere Art der Abhaltung jedoch waren die Gesichtsschmerzen, an welchen Annette drei bis vier Wochen lang in heftigster Weise litt. Dann aber gab es noch eine fröhliche Zeit mit den beiden Fräulein Wintgen aus Westfalen, welche zu vierzehntägigem Aufenthalt nach Meersburg gekommen waren. Mit diesen trat Annette, da die Mutter längst ihre Heimkehr gewünscht, am 29. Juli 1842 die Rückreise an und nahm das Manuskript mit, um es in Rüschhaus zu vollenden. –