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Vierzehn Monate hatte Annette in der Heimat zugebracht; sie war viel leidend gewesen und es hatte sich gezeigt, daß die nordische Luft ihr weniger gut bekam, als das Klima von Meersburg. Sie richtete deshalb ihre Blicke wieder nach dem Bodensee. Die Hoffnung auf Besserung ihrer Gesundheit ließ sie abermals dorthin ziehen, und zwar diesmal in Begleitung der Mutter und einer Freundin, Elise Rüdiger.
Am 3. Oktober 1843 kamen die Reisenden in Meersburg wieder an und wurden mit Jubel empfangen.
Für Frau von Droste waren die Zimmer der ersten Etage im Mittelbau eingerichtet worden.
Annette hingegen bezog das Turmzimmer, in welchem Levin Schücking gewohnt hatte. Sie war hier noch entfernter von der Familie als in den Zimmern ihres ersten Aufenthaltes, und an Romantik ließ dieser Raum auch nichts zu wünschen übrig.
Das Bett stand in einer zwei Meter tiefen Mauernische; durch das eine Fenster sah man auf den Burgsteig und so konnte Annette alle Besuche beobachten, die nach dem Schlosse gingen. Vor dem andern stand ein alter, riesengroßer Kirschbaum, der die Aussicht auf den See verdeckte.
In nächster Nähe des Gemaches befinden sich Gewölbe, welche früher als Gefängnisse gedient. Eine Steinwendeltreppe führt in ein unterirdisches Verließ, an dessen Wänden noch die Namen von Verbrechern eingezeichnet sind und wie lange ihre Gefangenschaft gewährt. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn Annettes Phantasie ihr manchmal bei Nacht vorspiegelte, es »klirre und raßle« da unten.
Sie fand aber ihren Turm »köstlich«, ganz nach ihrem Geschmack, »einsam, graulich.« –
Die Zeit des Zusammenseins mit Elise Rüdiger auf der alten Burg und in der schönen Gegend war eine glückliche. Sie verfloß nur zu schnell. Nach zehn Tagen reiste Elise wieder ab, »zum großen Bedauern von Jungen und Alten, deren Zuneigung sie rasch gewonnen hatte.«
»Sie glauben nicht, welch' enormen Klotz von Stein Sie hier im Brett haben«, schreibt Annette an die Freundin nach der Abreise, »so lange man Sie auf der Reise vermuten mußte, ist den ganzen Tag nach dem Wetter geguckt worden ...« Wie nun das erste Schreiben kam, hatte Annette es noch nicht halb gelesen, »als die Kinder schon an die Tür klinkten: »Vater, Mutter und Großmutter ließen mich bitten, ich möchte doch kommen mit dem Brief von der Urgroßtante ...«
»Ich kann nicht sagen,« fährt die Dichterin fort, »wie es mich freut, Ihnen zu der Reise zugesprochen zu haben. Laßberg und Jenny lassen Sie aufs herzlichste grüßen, zur Wiederholung derselben einladen und je länger Sie bleiben, je lieber wird es ihnen sein ...«
Am nächsten Elisabethentag, 19. November 1843, dichtete sie ihrer »Lies«, frühmorgens im Bette, einen allerliebsten Namensfestgruß:
An Elise.
Du weißt es lange wohl, wie wert du mir,
Was sollt' ich es nicht froh und offen tragen,
Ein Lieben, das so frischer Ranken Zier
Um meinen kranken Lebensbaum geschlagen?
Und manchen Abend hab' ich nachgedacht,
In leiser Stunde träumerischem Sinnen,
Wie deinen Morgen, meine nahnde Nacht
Das Schicksal ließ aus einer Urne rinnen.
Zu alt zur Zwillingsschwester, möchte ich
Mein Töchterchen dich nennen, meinen Sprossen,
Mir ist, als ob mein fliehend Leben sich,
Mein rinnend Blut in deine Brust ergossen.
Wo flammt im Herzen mir ein Opferherd,
Daß nicht der deine loderte daneben,
Von gleichen Landes lieber Luft genährt,
Von gleicher Freunde frommem Kreis umgeben?
Und heut, am Sankt Elisabethentag,
Vereinend uns mit gleichen Namens Banden,
Schlug ich bedächtig im Kalender nach,
Welch' Heilige am Taufborn uns gestanden;
Da fand ich eine königliche Frau,
Die ihre milde Segenshand gebreitet,
Und eine Patriarchin, ernst und grau.
Nur wert um den, des Wege sie bereitet.
Fast war es mir, als ob dies Doppelbild
Mit strengem Mahnen strebe uns zu trennen,
Als woll' es dir die Fürstin zart und mild,
Mir nur die ernste Hüterin vergönnen;
Doch – lächle nicht – ich hab' mich abgekehrt.
Bin fast verschämt zur Seite dir getreten;
Nun wähle, Lieb, und die du dir beschert,
Zu der will ich als meiner Heil'gen beten.«
Annette von Droste wurde in diesem Herbste noch Grundbesitzerin am Bodensee. Sie fühlte, daß ihr die Luft zuträglich sei, und wünschte ein Eigentum zu besitzen, damit ihr bei etwaigen Wechselfällen ein freundliches »Chez moi« hier nicht fehle.
Dazu bot sich eine günstige Gelegenheit.
Das Fürstenhäuschen, von dem Domherrn Jakob Fugger von Augsburg (gest. 1620) erbaut und dem Bischof von Konstanz, auch einem Fugger, vermacht, war zum Verkauf ausgeschrieben und sollte versteigert werden.
Auf dem Rathaus von Meersburg fanden sich viele Liebhaber und Neugierige ein. Zu ihrem großen Erstaunen erschien auch das gnädige Fräulein vom Schloß dazu. Alle Köpfe wandten sich nach ihr, als sie eintrat und mitten unter den Anwesenden Platz nahm.
Ein Herr in ihrer Nähe fragte: »wollen Sie mitbieten?« – Annette, noch nicht entschlossen, was sie tun sollte, antwortete: »vielleicht, je nachdem es fällt.« Darauf gingen mehrere Leute fort – andere, die dageblieben waren, boten überhaupt nicht, außer einem Bauer; derselbe hüllte sich aber auch in tiefes Schweigen, als Annette ganz leise anfing zu bieten, und so war die Sache in wenigen Minuten entschieden und Annette »grandiose Grundbesitzerin« geworden.
Der Kaufpreis, 400 Taler, wurde allgemein als sehr billig angesehen. Alles sagte, sie habe lächerlich billig gekauft, das Haus hätte sie ganz umsonst, denn die Reben allein seien dies wert.
»Dafür«, schreibt sie in einem Briefe, »habe ich ein kleines, aber massiv aus gehauenen Steinen und geschmackvoll ausgeführtes Haus, was vier Zimmer, eine Küche, großen Keller und Bodenraum enthält und 5000 Weinstöcke, die in guten Jahren schon über 20 Ohm Wein gebracht haben.
Die Aussicht ist zu schön ... es ist der höchste Punkt dieser Umgebung. Die Meersburger halten das Fürstenhäuschen für eine unschätzbare Perle ...«
Weiter unten in demselben Brief gibt die Dichterin eine ganz genaue Beschreibung des Häuschens. Sie schildert die »Galastube«, in die man gleich von der Haustüre tritt. Es ist der größte Raum mit drei Fenstern und einem schönen Kachelofen. Daneben befindet sich die kleine Küche. Von dieser führt eine steile Wendeltreppe in den oberen Stock, welcher drei Piècen enthält: »das eigentliche Wohnzimmer der Dichterin und ein Schlafzimmerchen, gerade groß genug für das Nötigste, Bett, Waschtisch, Schrank, und noch einigen Raum zu freier Bewegung.«
»Die kleine Entré« denkt sich die Dichterin als das »Kammerjungfernzimmerchen« wo im Hintergrunde hinter anständigem weißen Vorhang das Bett stehen kann.«
Ein guter Keller ist vorhanden, »der unter's ganze Haus hergeht.« Im Bodenraum unterm Dach, der »überflüssig geräumig ist«, will sie einen Verschlag einrichten lassen, wo sie »der Sicherheit wegen« den Winzer schlafen lassen könnte.
Einen Brunnen hat sie nicht, »aber ein Bleichplätzchen und nicht hundert Schritte vom Haus eine Quelle, die Winter und Sommer fließt.«
Sie ist unbeschreiblich glücklich über den neuerworbenen Besitz und macht Pläne, wie sie ihn noch verschönern und verbessern will. Sie träumt von einem Laubgang, der gemacht werden soll, von einer Blumenterrasse mit Georginen, Rosen, Levkojen bepflanzt.
»Sie sollen sehen,« berichtet sie an Elise Rüdiger, »ich mache ein kleines Paradies aus dem Fleckchen.«
Wenn die Pläne auch in der Hauptsache nur Pläne blieben und es nie dazu gekommen ist, daß Annette dort ihr Domizil für länger aufgeschlagen, so hat sie doch viele schöne, stille, der Einsamkeit und Poesie geweihte Stunden in dem »Rebhäuschen« zugebracht und erfreute sich an dem See mit seinem ewig wechselnden Farben- und Wellenspiel, an der ganzen herrlichen Rundsicht, die sich dem Auge hier bietet.
»Ach, es ist doch eine schöne, schöne Gegend,« heißt es in einem Brief an Levin Schücking von diesem Herbst ... »Der See und die Alpen waren fast täglich mit Tinten überhaucht, von denen ich früher keine Vorstellung gehabt: alle Zacken der Alpenreihe rot wie glühendes Eisen und scheinbar durchsichtig, ein andermal der See vollkommen smaragdgrün, auf jeder Welle einen goldenen Saum.«
Die Dichterin sollte die schöne Gegend aber auch von einer anderen Seite kennen lernen. Sie hatte einen einsamen Spaziergang gemacht und war auf der Straße am See über Haltnau hinausgegangen, als plötzlich ein furchtbarer Sturm losbrach, ohne Regen, aber »um Berge zu versetzen.«
Er faßte Annette bei ihrem dick wattierten Kleid so, daß sie in Gefahr war über die Mauer in den See geworfen zu werden. Mit Mühe flüchtete sie sich bergan in die Reben, und kam, sich an den Rebpfählen forthelfend, endlich nach Haltnau. Dort erholte sie sich in dem Hause einer Rebfrau, welche sagte: sie würde jetzt nicht um fünf Gulden nach Meersburg gehen.
Aber Annette mußte nach Hause; sie nahm den Kampf mit dem Sturm, der von Minute zu Minute ärger wurde, wieder auf und schritt mutig in das Wetter hinaus.
Die Wellen des aufgeregten Sees stürzten über die Mauer her und begossen die Dichterin derart, daß sie nach kurzer Zeit keinen trockenen Faden mehr am Leibe hatte.
Endlich kam sie in die Nähe des Schlosses, aber es galt noch die schmale Brücke über dem Mühlrad zu passieren. Hier bot der Sturm noch einmal alle Macht auf, Annette hinunterzuwehen in die Schlucht, was wohl hätte geschehen können, wäre nicht der Müller dem erschöpften »gnädigen Fräulein« zu Hilfe gekommen.
Annette hätte am liebsten ihre Turmstube ungesehen erreicht, aber der Freiherr, der auf der Treppe stand, schlug solchen Alarm, daß das ganze Haus zusammenlief. Frau von Droste wollte der Tochter Vorwürfe machen, daß sie sich bei solchem Wetter hinausgewagt, die gütige Jenny jedoch nahm die Ermattete beim Arm und führte sie in ihr Zimmer, wohin sie eine heiße Bettflasche und Tee bestellt hatte, und legte die ganz durchnäßte und frierende Schwester zu Bett. Zum Glück hatte der Vorfall keine weiteren schlimmen Folgen für ihre Gesundheit. –