Maximilian Schmidt
Der Bubenrichter von Mittenwald
Maximilian Schmidt

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VII.

Die Bubenbruderschaft in Mittenwald ist eine uralte und hochinteressante Stiftung.

Der einstige große Handelsverkehr von Süden nach Norden brachte ein reges Leben in den Ort, aber auch manches Unheil, da die mit ihren Waren durchreisenden Ausländer ansteckende Krankheiten einschleppten, infolge deren um das Jahr 1480 eine große Sterblichkeit im Markt einriß, welche neun Jahre dauerte und viele Einwohner hinwegraffte. Namentlich grassierte die Krankheit unter der Jugend und forderte unter dieser viele Opfer. Zur Abwendung dieses Unglücks wurden mehrere Gelübde gemacht und unter anderem auch die sogenannte Buben- oder Junggesellenbruderschaft zur »Einpflanzung größerer Zucht und Ehrbarkeit« mit gar sonderbaren Statuten gegründet.

Die jungen Burschen sind hienach verpflichtet, von Ostermontag bis zum Sonntag Nativitatis Mariae (Mariä Geburt) jeden Sonntag morgens nach dem Ave-Marialäuten in der Pfarrkirche sich einzufinden, wo ihnen der Meßner alsbald nach dem Gebetläuten ein fingerlanges Lichtlein aufsteckt. Hier müssen sie auf den Segen warten. Die Ausbleibenden oder Säumigen, welche vor dem Erlöschen des aufgesteckten Lichtleins nicht in der Kirche erscheinen, werden bestraft. Ein eigener Richter, der sogenannte Bubenrichter, diktiert für die verschiedenen Vergehen 81 die Strafe, welche entweder in Zahlung in die Bruderschaftsbüchse, in der Anschaffung von Wachs oder im Einlegen in das Wasser des durch Mittenwald fließenden Baches besteht. Hiebei wird der Fällige der ganzen Länge nach in den Bach gelegt, wobei diejenigen, die ihn hineinlegen, sich den Fuß netzen müssen, wenn sie nicht selbst die gleiche Strafe über sich ergehen lassen wollen.

Die nicht zur Bruderschaft gehörigen Burschen nennt man »Bachbuben«.

Die einverleibten Brüder sollen bei Tag und Nacht sich eines ehrbaren Wandels befleißen und sowohl unter sich selbst als gegen andere mit Worten und Werken sich züchtig verhalten, bei Strafe und Buße, die ihnen dafür werden soll, was durch die Statuten der Bubenbruderschaft für alle denkbaren Fälle festgesetzt ist.

Ein Bubenrichter, sechs Beisitzer, ein Schreiber und ein Amtmann, letzterer auch Ratsdiener genannt, werden aus ihrer Mitte erwählt, welche über die genaue Befolgung der Statuten zu wachen haben und vor allem in Zucht, Ehr- und Gottesfurcht, in guten Sitten und Tugenden mit gutem Beispiel vorangehen sollen. Namentlich werden nächtliches Poltern auf der Straße, Raufhändel, gegenseitiges Beschimpfen, unsittliches Betragen mit empfindlichen Strafen belegt. Die Strafgelder, sowie Wachs, kommen dem Gotteshause in Mittenwald zu Gute.

In den Bach wurden früher die Buben gelegt: 1) Wenn einer drei Sonntage nach einander nicht bei der Lade der Junggesellen erschien, 2) wenn einer den andern kotig gemacht und mit dem Schuh getreten, 3) wenn der Richter in einer Anklage mit einem Wort gefehlt, so ist er samt seinen sechs Ratsherren in den Bach gelegt worden, 82 4) wenn einer aus dem Bach aufgestanden und noch einen trockenen Fleck am Leibe gehabt, so wurde das ganze Gericht in den Bach gelegt, 5) wenn einer unsaubere Reden geführt und so weiter.

In einer alten Aufzeichnung über die Junggesellenbruderschaft findet sich außerdem folgende Spezifikation der Bestrafungen:

»Was die jungen Gesellen allhier zu Mittenwald in ihrer habenden Bruderschaft abzustrafen haben – doch dem hochlöblichen Pfleg- und Marktgericht unvergriffen – damit nun unter ihnen alle kunitze (schlechte) Reden abgebracht und entgegen die Zucht und Ehrbarkeit gebraucht wird, welche sie nun selbsten angeben:

1) Erstlich wann einer den andern ungefährer Weis oder in der Vexation einen Schelm, Narren oder Bärnhäuter tituliert. So dieses und andere Nachfolgende, aus dessen Widersprechen, mit zwei ehrlichen jungen Gesellen erwiesen werden, wird gestraft: per vier Kreuzer.

2) Wann einer den andern einen Dieb tituliert, sechs Kreuzer.

3) Wenn einer den andern einen Lappen: dito zwei Kreuzer.

4) Falls nun einer den andern einen Hundsfott tituliert, oder mit Kot oder sonsten mit unsauberen Worten angreift, wird mit keiner Geldstraf belegt, sondern muß wegen seines unflättigen Mauls gewaschen (in den Bach gelegt) werden.

5) Ingleichen auch wann einer den andern bei seinem rechten, ehrlichen Namen nit nennt und sonsten einen Spitznamen giebt, wird gleichfalls per ein Kreuzer gestraft.

6) Item wann einer auf beschehenes Bot (Gebot) drei 83 Sonntage nach einander nit erscheint und freventlicher Weis ausbleibt, und dem heiligen Segen, aber jetziger Zeit der heiligen Frühmeß nit beiwohnt, haben sie Macht, solchen auf öffentlichen Gassen anzugreifen und in den Bach zu legen.

7) Und schlüßlichen, wann sich einer in der Kirchen ungebührlich verhält, es seye mit Drucken oder Stoßen, wird selbiger um ein Vierling Wachs gestraft.

»Solche Bruderschaft ist erdacht worden, als man zählt hat 1480 zu Ehren der Himmelskönigin Maria und St. Johannis Evangelisten, auch St. Sebastiani und aller Heiligen, weilen selbige Zeit die leidige Sucht der Pest grassierte.

»Von unseren Voreltern haben wir allzeit gehört, daß die Bruderschaft erdacht sollte sein worden, daß es allhie sollte neun Jahr kontinuierlich gestorben haben, dessenthalb die Bruderschaft samt dem Tenebrae, so alle Freitag neben einem gesungen Amt aufkommen, ist gestiftet worden.

Richter und Rat der Junggesellenbruderschaft
zu Mittenwald.«

Späterhin wurden neue Satzungen der Bubenbruderschaft vereinbart, in welchen zwar manche Auswüchse der herkömmlichen Ordnung ausgemerzt, aber auch der ursprüngliche, kernhafte Charakter dieses ganzen Bruderschaftswesens mehr oder weniger abgeschwächt, verwischt und unkenntlich gemacht.Die Bubenbruderschaft wurde im Jahre 1860 in eine kirchliche umgewandelt. Ihre Statuten bestehen noch heute zu Recht, doch ist ihre Jurisdiktion außer der Kirche eingegangen.

Von dieser altherkömmlichen Vereinigung war nun Jakl Vorstand oder Bubenrichter, und im wohlgepflegten Postgarten, in welchem man eine entzückende Aussicht nach den weißen Schroffen des Karwendels hat, traktierte der Geehrte seine Freunde und Kameraden. Es waren zu den ursprünglichen vieren noch einige andere herbeigekommen. Er selbst trank nur mäßig, gleichwohl spürte er bald die Wirkung des echten Rebensaftes und geriet in eine etwas durchgeistigte Stimmung. Da auch der Krüner Ferdl, von seinem Birschgange heimgekehrt, die Bundes-Brüder im Garten besuchte, kam jedoch ein Mißton in den fröhlichen Kreis.

Fürs erste ließ sich dieser seinen Wein selbst bringen und wies Jakls Einladung, gleich den anderen sein Gast zu sein, stolz zurück. Auch ihm war bereits zu Ohren gekommen, daß der Wiedergekehrte nun in der That der Verlobte der schwarzen Liesl sei, des Mädchens, um dessen Neigung er sich vergebens bemüht hatte. Er stammte aus einem der reichsten Häuser, und überall, wo er angeklopft hätte, würde man ihm freundlich aufgethan haben, nur für Liesl hatte Ferdls Reichtum so wenig Reiz wie seine hübsche Figur selbst.

Das kränkte den jungen Burschen, er vergönnte dem Nebenbuhler den Sieg nicht und ebenso zuwider war es ihm, demselben die provisorisch inne gehabte Ehrenstellung des Bubenrichters abtreten zu müssen. Zudem hatte er sich über den mitgebrachten Reichtum des Lautenspielers auch seine Meinung gebildet. Jakls Mutter hatte nämlich, da der Verleger nicht zu Hause war, bei Ferdls Vater die Obligationen Schändls umwechseln lassen. Nun aber hatte gerade der alte Krüner dem Schändl diese Obligationen vor mehreren Jahren vermittelt und erkannte sie heute sofort wieder. Somit ward es dem alten Kaufmann klar, daß 85 Schändl der Blasin das Geld geliehen, und er teilte dies auch seinem Sohne mit. Und noch etwas hatte heute der junge Mann in Erfahrung gebracht, das er durchaus nicht glauben wollte, das aber durch die Umwechslung von Schändls Obligationen immerhin an Bedeutung gewann.

Der Zundermichl war ihm nämlich auf dem Birschgang begegnet, und der hatte ihm gesprächsweise über Jakls gestrige Heimkehr aus der Fremde berichtet.

Der Zundermichl war ein alter Lump, früher Wildschütz und Pechler, jetzt Sammler von Buchenschwämmen, aus welchen der Zunderschwamm oder Zundel bereitet wird. Seine kleine Handelschaft hatte ihn gestern ins Leutaschthal geführt, woselbst er beim Bruckerwirt mit einigen Gläsern Schnaps sein miserables Erdendasein hinwegträumte. Da kamen denn Jakl und Marietta ganz erschöpft heran und suchten durch ihr Lautenspiel vom Wirt etwas zu ihrer Leibesstärkung zu erhalten. Es ward ihnen auch ein Krug matten Bieres hingestellt, und hier verabredete Jakl mit seinem Weib, erst die Nacht abwarten zu wollen, um unter ihrem Schutze, mit besseren Kleidern versehen, in den Markt zu kommen. – Der Zundermichl, welcher unter einem Baume lag, und den die Gäste für schlafend halten mochten, hörte diese Abmachung, so leise sie auch geführt war, denn so ein früherer Wildschütz hat sein Gehörorgan ganz besonders gezogen, und er erkannte auch den Lautenspieler, der, um völlig unkenntlich zu sein, ein Tuch um sein Gesicht gebunden, an seiner Stimme wieder.

Als nach dem Abgange der Bettelmusikanten der Zundermichl dem Bruckerwirt Mitteilung von dem machte, 86 was er soeben gehört, lachte ihn dieser aus, und als der Michl auf seiner Behauptung beharrte, versprach ihm der Wirt eine ganze Flasche Enzian, wenn er seine Behauptung beweisen könne, und dazu gehöre vor allem, daß der Lautenspieler Jakl wirklich zurückgekehrt sei.

Und um dies zu erfahren, kam der Zunderer heute gen Mittenwald, und er ward nicht wenig überrascht, unter den auf die Wiesmad gehenden Schändlleuten auch die Lautenspielerin von gestern zu bemerken, die er trotz der heutigen, besseren Kleidung wieder erkannte. Als sich ihm dann der von seinem Birschgang heimkehrende Krüner Ferdl in der Nähe des Lautersees zugesellte, war es sein erstes, nach Jakls Rückkehr zu fragen, über welche aber Ferdl keine Auskunft geben konnte. Dagegen erzählte ihm der Zunderermichl, was er gestern erspäht und erlauscht und wie er heute die fremde Lautenspielerin in Gesellschaft der Schändlleute gesehen.

Der Krüner Ferdl gab nichts auf die Erzählung des Schlemmers; erst zu Hause angekommen, ward auch ihm die große Neuigkeit von Jakls glücklicher Zurückkunft berichtet, und als ihm dann sein Vater von dem Verkaufe der Obligationen erzählte, gewannen des Zunderers Aussagen feste Gestalt.

So abstoßend Ferdl auch gegen Jakl war, so freundlich begegnete ihm dieser. Vor einem Jahre wäre dies freilich anders gewesen, wenn ihm schon damals Ferdls Absichten auf Liesl bekannt gewesen wären. Jetzt aber würde er es für das größte Glück betrachtet haben, wenn Liesl den reichen Kaufmannssohn ihm vorgezogen, und sein durch den Wein erhitztes Gehirn ließ ihm auch den Gedanken erstehen, das Mädchen in dieser Richtung 87 umzustimmen. Es sollte ihm die Neigung entziehen und sie auf Ferdl übertragen. Um dieses zu erreichen, mußte er in Liesls Augen im Werte sinken, Ferdl dagegen steigen. Die Jugendfreundin mußte seinen Verlust weniger schmerzlich empfinden oder gar froh werden, von ihm erlöst zu sein. Er dachte, es würde am besten sein, wenn er sich Ferdl, mit dem er sonst nie am besten gestanden, jetzt zum Freunde und Vertrauten mache. Ihm konnte er ja wohl sein ganzes Geschick anvertrauen und ihm dadurch sogar zu seinem Glücke verhelfen. Ehrlich und offen, wie es in seinem Charakter lag, wollte er mit ihm alles besprechen und dazu die nächste Gelegenheit benützen. Aber Ferdl sah in dem freundlichen Gesichte des Nebenbuhlers nur das Bewußtsein des vermeintlichen, glücklichen Siegers und wartete seinerseits nur auf die erste beste Gelegenheit, um seinem Aerger gegen Jakl Luft machen zu können.

Diese Gelegenheit fand sich sehr bald.

Als nämlich Ferdl sein Fläschchen geleert und ein neues begehrte, sagte Jakl:

»Ge zua, thua mir die Ehr an und trink mit mir wie alle anderen Kameraden.«

»I dank für die Ehr,« entgegnete Ferdl, auf das »die« einen ganz besonders beleidigenden Nachdruck legend.

»Was willst damit sag'n?« fragte Jakl errötend.

»Daß i bei an' zambettelten Geld so weni zu Gast sei' will, wie bei an' z' leiha gnummena.«

Jakl erblaßte jetzt; er geriet in größte Verlegenheit und wußte nicht gleich, was er dem Gegner antworten sollte. Wie konnte dieser wissen, daß das Geld ein geliehenes war? Das war doch ein Geheimnis zwischen seiner Mutter und Schändl. Was das »erbettelt« anlangte, 88 so konnte Ferdl dies wohl auch nur auf Schändls Kapital beziehen. Oder sollte ihn gestern im Leutaschthal jemand erkannt haben trotz dem verbundenen Gesicht und der schlechten Kleidung? Wohl sah er dort beim Bruckerwirt den unter einem Baume schlafenden Zundermichl. Sollte sich dieser nur schlafend gestellt und sein Gespräch mit Marietta erlauscht haben? Daß ihn der Wirt nicht erkannt hatte, wußte er gewiß. Forschend blickte er nach Ferdl.

»Was hat's dir iatz d' Red verschlag'n?« fragte nach einer Pause der reiche Bürgerssohn.

»Weil i di nit versteh,« erwiderte Jakl gefaßter. »Wie i zu mein' Geld kemma bin, ßel geht di nix an; auf jeden Fall auf so ehrliche Weis wie du und dei' Vata zu dem enkan. I frag di aa nit drum, wer bei enk aus und ein geht.«.

Jakl hatte dabei die Pascher im Sinne, welche oft zur Nachtzeit in des Krämers Lager kamen, um Waren über die Grenze zu tragen. Ferdl merkte auch sofort, auf was Jakl anspielte, und konnte nun seinerseits eine gewisse Verlegenheit nicht verbergen. Der Lautenspieler benützte dies, um wieder festen Boden zu gewinnen, und rief: »Der Schiedunter zwischen dir und uns is, daß du in dein Vatan sein Fuatta stehst, der sei' Geld zamscharrt, so oder so – wir aber san Arbeiter und verdiena unser Geld uns selm, is's in der Werkstatt oder draußen in der Welt durch d' Handelschaft, in jedem Fall so ehrli wie dei' Vata, von dir gar nit z' red'n, der wie r a Herrischer lebt, ganze Tag auf die Berg rumjagt und unsern Herrgott an' guaten Mo' sei' laßt.«

»Der Jakl hat recht!« riefen nun dessen Freunde einstimmig, für den Kameraden Partei nehmend. Jeder fühlte 89 durch Jakls Rede den Stolz des Arbeiters und Künstlers in sich erwachen; es waren ja lauter brave, ehrliche, arbeitsame Burschen, die alle gegenseitig für einander einstanden und in Ferdls Angriff nur eine gewisse Geringschätzung des Geigenmacherstandes von seiten des vermöglichen Kaufmannssohnes erblickten.

Wirr schwirrten die Stimmen durcheinander; einige, denen der Wein bereits den Kopf heiß gemacht, riefen unbedachte Worte, andere mahnten zur Ruhe. – Ferdl erkannte die Situation, er stand allein erregten Köpfen gegenüber, zudem war ihm die Sache mit den Obligationen ein Dunkel, und des betrunkenen Zundermichls Aussagen waren doch auch nur unsichere Anhaltspunkte. Mit den Geigenmachern durfte er es auf keinen Fall verderben, mit Jakl aber hoffte er zu gelegenerer Zeit und sobald er seiner Sache besonders wegen des fremden Mädchens gewiß sei, abrechnen zu können, deshalb sagte er:

»Fried! Mei' Wort drauf, daß i niemals an' Geigenmacher oder an' andern ehrlichen Arbeiter veracht. Was aber 'n Blasijakl da anlangt, so will i am Sonntag bei der Sitzung vor unserer Bubenbruderschaft mi rechtfertigen oder 'n Bubenrichter zur Rechenschaft auffordern. Es wird si da bald entscheiden, ob's ehrlicha is, taglang auf die Berg rumz'jag'n oder mit fremde Weibspersonen im Thal rumz'vagabundieren. Unsa Bruderschaft wird Recht sprecha, sie soll leb'n! Hoch!«

In diesen Ruf stimmte sofort die Mehrzahl der Gäste ein, andere sahen Jakl erstaunt an; dieser aber sprang auf und wollte soeben wütend auf Ferdl losstürzen, als der Zundermichl, ein verkommen aussehender Mann in verlumpter Joppe, abgenützten Kniehösln, Wadenstrümpfen, 90 zerrissenen Schuhen und verwittertem Hute mit Gamsbart, zur Gartenthüre hereinkam. Er war ein magerer, etwas gebückt gehender Mann mit langem, schwarz und weiß meliertem Vollbart und langen, zottigen Haaren. Er hatte gerötete Augen; Brust und Hals trug er bloß. In der Hand hielt er einen Bergstock.

Jakl starrte entsetzt nach dem Schlemmer, dessen erster Blick auch ihn getroffen hatte.

»Juche!« rief der Zunderer; »der Jakl is z'ruck! D' Flaschen Enzian is gwunna! Schlakarawall, dös is a Glück!«

Außer Ferdl wußte niemand, was diese Worte zu bedeuten hatten, Jakl jedoch ahnte es. Einige der Kameraden hatten ihn an der Schulter gepackt, um zu verhindern, daß es zwischen ihm und Ferdl zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kam.

Der Amtmann der Bruderschaft aber rief:

»Fried für heunt! Am Sunnta soll jedem sei' Recht wern! Mittag läut'ts, Zeit is's, daß ma hoamgehn, koa' Wort soll mehr g'red't wern!«

Vom Turme tönte das feierliche Geläute der großen Glocke. Alle hatten die Hüte abgenommen und das Kreuz zum Gebete gemacht.

Der Amtmann entfernte sich still mit Ferdl, den er unterm Arm nahm, zwei andere thaten dasselbe mit Jakl; die übrigen folgten gleichfalls mit entblößtem Haupte.

Beim Gartenthor, in dessen Nähe der alte Schlemmer Platz genommen, und aus dessen Lippenbewegung man annehmen konnte, daß er sein Ave Maria betete, begegneten sich nochmals seine und Jakls Blicke. Der Zunderer blickte dem Burschen glückselig lächelnd zu.

91 Vor dem Posthause verabschiedeten sich die Freunde, und Jakl eilte seiner Behausung zu. Gestern, als Bettler heimgekehrt, fühlte er sich glücklich im Vergleich zu heute, wo er sein Herz beschwert fühlte mit Lug und Trug. Sein ehrliches Gemüt bäumte sich gegen diese plötzliche Wandlung, in die ihn unvermutete Verhältnisse gebracht. Nur ein Schritt vom Wege der Wahrheit ist der Anfang zu unabsehbaren Irrpfaden, leicht ist's, den erstern zu verlassen, schwer und oft unmöglich, ihn wieder zu finden. Dieser Gedanke drückte sich in Jakls Ausruf aus: »Der Teufl hol alle die Schwänk! I war ehrli alleweil und will's aa bleib'n mei' Lebta'!« 92


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