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Drittes Kapitel.
Amaryllis Belladonna

Es war unmöglich gewesen, in der kurzen Zeit, welche zwischen der Erlassung der neuen Gesetze und der Einführung des Strafverfahrens mit Geschworenen lag, ein eigenes Gebäude dafür einzurichten. Ein altes, leerstehendes Kloster, welches die entsprechenden Räumlichkeiten darbot, wurde rasch dazu eingerichtet. Der ungeheure Büchersaal, welcher für die Sitzungen des Schwurgerichts ausgewählt wurde, bot allerdings einen sonderbaren Gegensatz zwischen dem, wozu er einst bestimmt war, und dem, was nun in ihm vorgehen sollte. An den Wänden und Fensterpfeilern standen noch die grau angestrichenen Schränke mit den Drahtgittern, aber die als Verzierung an denselben angebrachten Köpfe der verschiedensten Art hatten nichts mehr darin zu hüten, denn die Fächer alle enthielten nichts weiter als den darin angesammelten Staub eines halben Jahrhunderts. Der weite Saal bot Raum für eine ansehnliche Menge, welche, auf leicht ansteigenden Bankreihen geordnet, wie eines Schauspiels gewärtig durcheinander drängte. Feste Schranken grenzten einen beträchtlichen freien Raum ab, aus welchem sich die Tribüne der Richter erhob, während links und rechts kleine Tischchen für den öffentlichen Ankläger und für den Schriftführer angebracht waren. Einige Stufen tiefer, die Fenster entlang, standen die Sitze der Geschworenen, gegenüber die mehr als anspruchslose Bank der Angeklagten.

Es war ein feierlicher Augenblick, als zum ersten Male die Glocke ertönte und den Eintritt des Gerichtshofs verkündete, der unter lautlosem Schweigen seine Plätze einnahm, während der erste Angeklagte den Sitz der Verbrecher bestieg. Es war Meister Rempelmann, und wer ihn früher gesehen, hätte wohl Mühe gehabt, ihn wiederzuerkennen. Die kurze Zeit der Haft und wohl mehr noch der Kummer, der Gram über seine entsetzliche Lage, die Sorge um Weib und Kind hatten ihn abgemagert; das Gesicht war eingefallen und bleich, und auch auf die Haare war es wie leichter Reif gestreut. Als er sich der verhängnißvollen Bank nahte, schwankte er, sodaß er sich am Geländer halten mußte. Dann aber warf er einen Blick in die Höhe, es war, als ob er sich selbst zurufen wollte, sich zu sammeln und nicht zu verzagen, und in gefaßter Haltung nahm er den Platz zwischen den beiden bewaffneten Gensdarmen ein. Die Losung der Geschworenen war bald beendet, und nach förmlicher Bildung des Schwurgerichts wurde durch den Gerichtsschreiber die Anklageschrift verlesen. Mit seltenem Aufwand von Scharfsinn waren darin alle Umstände zusammengestellt, welche gegen den Angeklagten sprachen und in solcher Verknüpfung allerdings einen so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit gewannen, daß es unmöglich schien, mit Erfolg dagegen anzukämpfen. Als das Verhör begann, hatte Rempelmann sich fast ganz wiedergefunden. Er antwortete ruhig und erzählte in einfachen Worten, wie der Unbekannte am Abend des Festes ihn und seine Familie mit Wein tractirt und ihm Geld geschenkt habe. Er erklärte der Wahrheit gemäß den Umstand mit der beweglichen Gitterstange. Er erzählte, wie ihm die Stiefel abhanden gekommen und in der verhängnißvollen Nacht plötzlich wieder auf seine Treppe gestellt worden waren. Vergeblich suchten Staatsanwalt und Präsident ihn durch ein scharfes Kreuzfeuer von Fragen aller Art in Widerspruch mit seinen Angaben zu bringen und ihm deren innere Unwahrscheinlichkeit klar zu machen, er blieb fest dabei. »So ist es, meine Herren, und wenn unser Herrgott selbst zugegen wäre, ich kann's nicht anders sagen.«

»So lasse man die Zeugen eintreten!« sagte der Präsident, und durch die ganze Zuhörerschaft ging eine flutende Bewegung und ein Sausen, wie das von Wasser, über das der Wind dahinstreicht. Durch die geöffnete Seitenthür traten der Agent Sparberger als Beschädigter und der Gärtner Schiebele mit einigen Nachbarn herein; hinter ihnen, ihren Knaben an der Hand führend, schwankte Frau Rempelmann, ihr Angesicht in einem weißen Tuche verbergend, das aber so durchweint war, daß es keine neuen Thränen mehr zu fassen vermochte und diese ihr an den Händen niederträufelten. Sie sah nicht, wohin sie geführt wurde; erst als der Präsident begann, die Bedeutung der Zeugenschaft und des zu leistenden Eides zu erklären, nahm sie das Tuch von den Augen, und der erste Blick fiel auf ihren Mann. Gleichzeitig war dieser aufgesprungen und hatte die Arme ausgebreitet, und ehe Jemand dazwischenzutreten vermochte, war sie hin zu ihm geeilt und hing mit einem Schrei des Jammers und des Entzückens an seinem Halse. Zu sprechen vermochten beide nicht, und es bedurfte geraumer Zeit, bis sie sich so weit gefaßt hatten, einander loszulassen; denn der Staatsanwalt stellte den Antrag, daß solche Vertraulichkeit nicht geduldet werden dürfe, weil es möglich sei, daß dadurch heimliche Verabredungen stattfinden und auf den Gang der Untersuchung von nachtheiligem Einfluß sein könnten.

Nach der Beeidigung begann das Verhör der Zeugen und zwar zuerst des Beschädigten, während die übrigen wieder im Zeugenzimmer zu warten hatten, bis die Reihe an sie kam. Sparberger machte seine Angaben mit der vollen Unbefangenheit eines Geschäftsmannes, dem es leid thut, in eine solche Angelegenheit verwickelt zu sein, und der lieber einen beträchtlichen Schaden erlitten haben möchte, wenn ihm dadurch erspart würde, in solche Weitläufigkeiten verwickelt zu werden. Er bedauerte lebhaft, daß er gerade mit einem Nachbar so traurige Erfahrungen zu machen habe, den er immer als einen wackern Mann geschätzt. Er habe übrigens schon lange gemerkt, daß ihm von Zeit zu Zeit Geld abgehe, ohne daß gerade ein Einbruch stattgefunden; es hätten ihm dann und wann Bankscheine und auch baares Silbergeld gefehlt. Er leistete seinen Eid mit solcher Geberde der Aufrichtigkeit, mit einem solchen Tone der Biederkeit in jedem Worte, mit so tiefem Beileid über das Unglück, daß ein redlicher Mann einer solchen Versuchung nicht zu widerstehen vermocht habe, daß sein Aussehen wie sein Benehmen unverkennbar einen höchst vortheilhaften Eindruck auf die Geschworenen machten. Einen desto schlimmern brachte es hervor, als Rempelmann im Vollgefühl seiner Unschuld es nicht mehr über sich zu gewinnen vermochte, ruhig zu bleiben, und ihm mehrmals heftig in die Rede fiel, sodaß er vom Präsidenten zur Ordnung gewiesen werden mußte. Als der Zeuge auf die Frage, ob er dem Angeklagten nicht Freund oder Feind, mit aller Ruhe ein schlichtes Nein gesprochen und der Präsident am Schlusse der Vernehmung die Frage gestellt hatte, was Rempelmann auf die Aussage des Zeugen zu erwidern habe, da erhob sich dieser, blickte im Saal umher und rief: »Ich habe nichts zu sagen, als daß ich unschuldig bin, und wenn ich auch keinen Eid darauf leisten darf, so ist es doch die Wahrheit. Der Herr da sagt, er sei mir nicht Freund und nicht Feind. Das mag unser Herrgott wissen und richten. Ich aber sage es aufrichtig, daß ich den Herrn, solange ich ihn kenne, nie habe ausstehen können, und wenn ich einen Menschen zum Feinde habe, so ist es der.«

Man sah, wie die Geschworenen die Köpfe schüttelten und zusammensteckten, und es half wenig, als Rempelmann im Verlaufe hervorhob, daß er ja schon zuvor, ehe der Einbruch geschehen, Geld besessen und beim Lederhändler Bankzettel ausgegeben habe. Selbst das Erscheinen seiner Frau war nicht mehr im Stande, den üblen Eindruck völlig wieder zu vertilgen, welcher das Gemüth des unglücklichen Meisters als ein verstocktes und wohl gar tückisches erscheinen ließ, das eben darum auch wohl andern Hinterhalts fähig sein mochte. Als dann die Frau Rempelmann auf die Belehrung, daß ihr das Recht zustehe, sich ihrem Manne gegenüber der Zeugenschaft vollständig zu entschlagen, daß aber, wenn sie hiervon keinen Gebrauch mache, von ihr desto rücksichtsloser die Angabe der vollen Wahrheit erfordert werde, mit schlichten Worten und zitternder Stimme erklärte, sie wolle Alles sagen, was sie wisse, möge es nun zum Vortheil oder zum Schaden ihres Mannes sein, ging das allerdings nicht spurlos an den Geschworenen vorüber. Dennoch hatte die Geschichte von dem unbekannten Geldspender und von den entwendeten Stiefeln nach wie vor ein so unglückliches Gepräge der Unwahrscheinlichkeit und der Erfindung, daß dadurch die sonstige Glaubwürdigkeit der Zeugin wieder so gut wie aufgehoben wurde.

Die Aussage des Gärtners Schiebele gab schließlich den Ausschlag. Derselbe war wohl anfangs beklommen und stockte, als ob er mit einem innern Hinderniß zu kämpfen hätte; mit einem Male aber war es, als ob dieses gehoben wäre. Er wischte sich wohl den Schweiß von der Stirn, sagte aber seine Angaben so rasch und sicher herab, wie man etwas Auswendiggelerntes vorträgt, oder wie eine ablaufende Uhr herunterschnurrt. Er erzählte, wie er die erbrochene Thür und den aufgesprengten Schrank gefunden, wie er dann herausgelaufen sei und die Nachbarn geholt habe, welche mit ihm die Fußspuren entdeckt und bis zum Hause und in die Wohnung des Schusters verfolgt hätten. Auf dem Tische des Gerichts lagen die verhängnißvollen Stiefel, auf deren Sohle in der Mitte ein Nagel fehlte, und die seinerzeit von den Fußspuren genommene Zeichnung stimmte aufs unwiderleglichste damit überein.

Nach diesem Ergebniß der Verhandlung war die Begründung der Anklage ohne jegliche Schwierigkeit, während andererseits dem Vertheidiger beinahe aller Stoff für seinen Vortrag benommen war. Die bisherige völlige Unbescholtenheit des Angeklagten und der Umstand, daß es wenigstens nicht unmöglich war, daß die Sache sich so verhalte, wie der Angeklagte angab, waren beinahe die einzigen Behelfe, auf die er sich zu stützen vermochte. Der Ankläger hatte seine letzte Rede damit geschlossen, daß er sich mit einer Art von Aufforderung an die Geschworenen wendete. »Sie haben«, sagte er, »eine erschütternde Scene aus einem ernsten Familiendrama vor sich gesehen und keiner von Ihnen ist sicher davon unberührt geblieben; aber Sie werden auch nicht vergessen, meine Herren, daß Sie Männer des Rechts sind, daß hier der Kopf gilt und nicht das Herz, daß Sie nach Ihrer Ueberzeugung zu sprechen haben und nicht nach Ihrem Gefühle.«

Vergebens hatte der Vertheidiger das ihm gestattete letzte Wort dazu benutzt, aufs nachdrücklichste den Geschworenen ans Herz zu legen, daß ihr Ja oder Nein über Ehre und Wohlstand einer ganzen braven Familie, ja über deren völliges Sein oder Nichtsein entscheide, die kurze Zeit, während welcher die Geschworenen in ihrem Berathungszimmer verweilten, ließ erkennen, wie schnell und leicht sie über ihren Wahrspruch einig geworden waren.

Er lautete: Schuldig. Auch die Richter brauchten nicht lange Zeit, um ihren Spruch zu fällen, und verurtheilten Rempelmann zu mehrjähriger scharfer Freiheitsstrafe.

Lautlos, starr wie eine Bildsäule, vernahm der Meister das Wort, das ihn und die Seinigen für immer vernichtete. Die Frau brach ohnmächtig zusammen und mußte aus dem Saale getragen werden.

Der Präsident wendete sich zum Schlusse an Rempelmann: »Sie haben Ihr Urtheil vernommen. Haben Sie noch etwas dagegen vorzubringen?«

»Ja«, erwiderte Rempelmann und trat feierlichen und festen Schrittes mitten in den leeren Raum zwischen den Zuschauern und den Richtern hin. »Ich weiß, daß ich verurtheilt bin, daß ich als ein Dieb gebrandmarkt dastehe und daß Alles nichts hilft, was ich auch noch dagegen sage. Aber dennoch hebe ich hier meine rechte Hand in die Höhe und sage: So wahr ich christlich getauft bin, so wahr unser Herrgott im Himmel lebt, so wahr bin ich unschuldig! Ich habe das Geld wirklich geschenkt bekommen, und wenn der fremde Herr, der es mir gegeben, der es so gut gemeint und mich doch dadurch so namenlos elend gemacht hat, noch lebt, so wird er vielleicht von meiner Verurtheilung hören, und darum fordere ich ihn auf, daß er sich vor dem Gerichte stelle, und wenn er es nicht thut, lade ich ihn auf den jüngsten Tag vor das Gericht Gottes.«

Ein Schauder überflog die Versammlung; es lag doch etwas in Rede und Haltung des Mannes, was nicht zu dem Wesen eines Verbrechers und überwiesenen Diebes stimmte. Während er abgeführt und in einem verschlossenen Wagen nach seinem Gefängniß gebracht wurde, war im Zeugenzimmer ein Arzt mit andern Personen um die schwer leidende Frau beschäftigt. Auch Sparberger trat hinzu, warf einen Blick der tiefsten Theilnahme auf die fast bewußtlose Frau und sagte: »Was mir das arme Weib leid thut! Ich wollte lieber vom ganzen Gelde nichts wissen, als mit ansehen, was die unglückliche Person ausstehen muß. Sorgen Sie doch, Herr Doctor, daß es ihr an nichts fehlt! Ich will gern Alles bezahlen.«

Auch der Gärtner Schiebele trat, als sie etwas zu sich kam, schmeichelnd zu ihr. »Sei die Frau nur wohlgetröstet!« sagte er heuchlerisch. »Sie muß sich eben in das Unvermeidliche finden, sie muß den schlechten Mann vergessen, der Schande und Spott über sie gebracht hat. Es wäre am besten für ihn und sie, wenn er gar nimmer herauskäme aus dem Zuchthause. Ein so junges, sauberes Weibchen braucht sich darum noch nicht zu Tode zu kränken; das hat ganz andere Aussichten, wenn es nur will.«

Er vollendete nicht, sondern sprang mit einem Satz gegen die Wand zurück, um sich scheu zur Thür hinauszudrücken; die Schusterin war aufgesprungen, als wenn sie gar nie eine Schwäche empfunden hätte, und hätte er seine Flucht nicht so rasch bewerkstelligt, war es sicher um die Augen des Heuchlers geschehen.

Die Verhandlung hatte bei der Einfachheit der Sache nur einige Stunden gedauert. Für den Nachmittag war daher ein anderer Fall angesetzt, und beinahe Niemand verließ den Saal. Alles wollte abwarten, bis die kurze, den Richtern und Geschworenen zur Erholung gegönnte Pause vorüber sein würde; versprach doch der zweite Fall ein noch weit packenderes Schauspiel, als der erste gewesen. Die Anklage galt dem Wirthe Moser zum rothen Stern, welcher der Brandstiftung an seinem eigenen Hause beschuldigt war. Wie bei Rempelmann war es lediglich eine Menge kleiner Anzeichen und Verdachtsgründe, welche die Verweisung der Sache vor die Geschworenen veranlaßt hatte; dennoch boten die beiden Angeklagten schon in ihrer Erscheinung einen ganz entschiedenen Gegensatz. War Rempelmann anfangs angegriffen und leidend erschienen, so hatte dies doch nur für die ersten Augenblicke Stand gehalten. Die meiste Zeit über war er im Gefühle der Unmöglichkeit, den Verdacht von sich abzuwälzen, in starker Erregung, und sein auffahrendes Wesen, seine heftige Redeweise mochten wohl für die Unruhe eines bösen Gewissens angesehen werden. Moser dagegen erschien und blieb völlig gefaßt und beinahe gleichgültig, als ob ihn die Sache gar nicht beträfe. Mit gefalteten Händen und niedergeschlagenen Augen, die Lippen bewegend, als ob er ein Gebet spräche, erschien er im Saale, verneigte sich mit Anstand nach allen Seiten und setzte sich so gelassen auf die Anklagebank nieder, als wäre er in seiner Schenke und die Gensdarmen neben ihm ein paar Gäste, welche er zu bedienen hätte. In gleicher Weise antwortete er auch auf die Anklage und wußte die einzelnen Verdachtsgründe wo nicht zu beseitigen, doch um ein Bedeutendes an ihrer Wucht zu verringern. Auf den ersten Anblick mußte der Umstand sehr bedenklich erscheinen, daß er sich in schlimmen Vermögensverhältnissen befunden und außer Stande gewesen sein sollte, sein Anwesen und Geschäft länger zu behalten. Er wußte das aber dadurch zu widerlegen, daß ihm nicht nachgewiesen werden konnte, er sei irgendwo seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen, habe seine Zinsen nicht entrichtet oder Geschäftsschulden nicht bezahlt. Allerdings hatte sich bei all diesem mancher Anstand ergeben, er war viel überlaufen worden, und überall waren kleine Reste stehen geblieben, aber im Ganzen gestaltete sich das Bild seiner Lage doch nicht so ganz ungünstig.

»Ich bin nicht so schlecht gestanden, als es schien«, sagte er, »und als ich mir selbst den Schein gegeben habe. Ich hätte die meiste Zeit gleich zahlen können, aber es brachte mir mehr Nutzen, wenn ich das Geld einige Wochen oder Monate länger in der Hand behielt; dann konnte ich es noch ein paar Mal umkehren und noch ein kleines Geschäft damit machen. Es war mir ganz recht, wenn mich die Leute für ärmer hielten, als ich war; denn daß ein solches Unglück kommen würde, daran hatte ich nicht gedacht. Auf diese Weise hatte ich mir eine hübsche Summe erhaust und hatte sie in Papier umgewechselt, das ich nirgends sicherer verwahrt glaubte als im Zimmer meiner Tochter; aber da ist es eben mit allem Andern in Rauch aufgegangen.«

Den Umstand, daß er kurz vorher die Versicherungssumme seines Anwesens um das Doppelte erhöht hatte, wußte er einfach dadurch zu erklären, daß ein in der Nachbarschaft entstandener, aber glücklicherweise schnell wieder unterdrückter Brand ihm die Möglichkeit einer solchen Gefahr recht nahe gelegt und ihn veranlaßt habe, lieber ein Opfer zu bringen.

Die Beschuldigung, als habe er werthvolle Sachen vor dem Brande ausgeräumt und beiseite geschafft, zerfiel von selbst; denn der Zeuge, bei dem dieselben aufbewahrt waren, mußte bestätigen, daß das schon vor mehr als einem halben Jahre geschehen war. Moser gab an, er habe damals die Absicht gehabt, einige Bauveränderungen vorzunehmen, und war im Stande, diese Absicht auch durch den Maurer, mit dem er darüber gesprochen, zu beweisen. Er hatte wegen der fremden Leute, die bei einem solchen Anlaß ins Haus kommen mußten, sein weniges Silberzeug und sonstige Werthsachen einem guten Freunde zur Aufbewahrung übergeben. Der Bau sei dann zufällig unterblieben, und weil er die Sachen doch nicht gebraucht und gut aufgehoben wußte, seien sie eben bei dem Bekannten liegen geblieben.

Der schwerste Verdachtsgrund lag in dem Umstand, daß das Feuer in einem abgelegenen und unbenutzten Gemache entstanden zu sein schien, zu welchem Niemand als er den Schlüssel besessen hatte, sowie daß er während des ganzen Brandes nirgends zu sehen gewesen, und als er endlich im Gärtchen an der Rückseite zum Vorschein gekommen, sich in höchst auffallender und verdächtigender Weise benommen habe. Die erste Beschuldigung widerlegte sich aber sehr natürlich und ungezwungen dadurch, daß der Doppel- oder Hauptschlüssel zu allen Räumlichkeiten des Hauses, insbesondere auch zu dem fraglichen Gelasse sich für besondere Fälle in den Händen seiner Tochter befunden, daß diese, welche leider manchmal sich in etwas gestörtem Geisteszustand befinde, das Licht nicht immer mit gehöriger Vorsicht verwahrt habe und daß er einige Male mit ihr deswegen Verdruß gehabt; das Mädchen habe ihm überhaupt große Sorge gemacht.« Für den letzten und allerdings gewichtigsten Umstand lag der Hauptbeweis in der Aussage Huber's, der als Zeuge erschien und den bei Mariens Rettung verwundeten Arm noch in der Binde trug. Er erzählte, wie er den Wirth getroffen, wie er mit Mühe endlich den Aufenthalt des Mädchens aus ihm herausgenöthigt und wie er dann noch eben recht gekommen sei, sie vor dem Einsturz aus dem brennenden Hause zu tragen.

Nach Huber's Vernehmung erhob sich der Vertheidiger des Wirthes, ein hagerer, ältlicher Mann mit klugem, feingeschnittenem Gesichte und einer hohen Stirn, auf welcher scharfes und klares Denken seine tiefen Linien eingeprägt hatte. Das lange, ergraute Haar war über die Schläfe zurückgescheitelt, die ganze Erscheinung und das Benehmen des Mannes hatten etwas von dem Wesen eines Predigers an sich. »Die Herren Geschworenen«, begann er, »sowie der gesammte hohe Gerichtshof werden mit mir die Ueberzeugung theilen, daß der Aussage dieses Zeugen eine besondere Wichtigkeit zukommt, sie fordert daher eine nähere Beleuchtung heraus. Ich bitte demnach um die Erlaubnis dem Zeugen einige Fragen zur Beantwortung vorlegen zu dürfen. Wo haben Sie«, fuhr er dann gegen Huber gewendet fort, »während des Brandes das Mädchen gefunden und in welchem Zustand befand sich dasselbe?«

»In einer Kammer des zweiten Stockwerks«, erwiderte Huber unbefangen, »welche wenig benutzt wurde und worin sich meist nur altes Gerümpel befand.«

»Doch befand sich auch ein Bett in dieser Kammer? Es war die gewöhnliche Schlafstelle des Mädchens?« fragte der Vertheidiger.

»Ja.«

»Man kann sich vorstellen, daß das brennende Haus überall voll erstickenden Rauchs war. Es mußte wohl sehr schwer sein, sich darin zurechtzufinden?«

»Gewiß«, sagte Huber rasch. »Wer nicht genau damit bekannt war, hätte sich unmöglich zurechtgefunden.«

»Sie geben also zu«, sagte der Vertheidiger mit raschem Seitenblick, nach den Geschworenen, »daß Sie eine solche genaue Kenntniß des Hauses hatten. Wollen Sie aufklären, wie das kommt?«

»Sehr einfach«, entgegnete Huber mit einem Anflug leichter Verwirrung. »Ich bin im Hause sehr viel aus und ein gegangen; das ist in einem Wirthshaus wohl natürlich.«

»Gewiß; aber der Weg der Gäste in einem Wirthshause pflegt sich in der Regel auf die Schenk- und Zechräumlichkeiten zu beschränken. Die fragliche Kammer aber befand sich, wie Sie sagen, im zweiten Stockwerk und gehörte offenbar zu den Familiengelassen.«

»Ich bin auch nicht blos als Gast in das Haus gekommen, sondern war seit vielen Jahren in demselben gut bekannt, schon zu der Zeit, als die Wirthin noch lebte.«

»Es will verlauten«, sagte der Vertheidiger lauernd, »daß Sie in nähern Beziehungen zu der Tochter gestanden?«

»Ich weiß nicht, Herr, was Sie damit sagen wollen; aber ich hatte die Absicht, die Tochter zu heirathen.«

»Sie standen also mit ihr in einem Liebesverhältniß?«

»Das nicht. Zu einem Liebesverhältniß gehören ihrer zwei, und die Marie hat von mir nichts wissen wollen.«

»Warum das?«

»Das weiß ich nicht. Sie hat es mir nie gesagt. Sie sagt, das sei ein Geheimniß, das sie nicht verrathen dürfe.«

»Und wußte der Vater, der jetzt hier vor Ihnen auf der Anklagebank sitzt, um diese Ihre Absicht und war er damit einverstanden?«

»Er wußte darum, aber er wollte es nicht leiden.«

»Darum sind Sie ihm wohl sehr abgeneigt?«

»Nein«, erwiderte Huber offen. »Wenn ich mir einen Freund aussuchen wollte, so wäre der Wirth allerdings vielleicht der letzte, den ich mir wählte; das kommt aber auf den Gusto an. Feind war ich ihm darum nicht, und ich denke, wenn nur die Marie gewollt hätte, würde er zuletzt auch wohl ja gesagt haben.«

»Sie haben das Mädchen ohne Zweifel öfters besucht; vielleicht auch heimlich, das heißt, ohne Wissen des Vaters?«

»Ich bin mehrmals zu ihr in die Küche gekommen.«

»Nach dem Plan des Hauses war die Küche von außen abgeschlossen und nur von der Stube her zugänglich. Wie konnten Sie also ohne Wissen des Vaters dahin gelangen?«

»Ei«, lachte Huber, »ich bin eben durch das Fenster gestiegen. Das Fenster führt in den Hof hinaus, und nur ein einziges Mal –« Er hielt inne.

»Nun, Sie stocken?« rief der Vertheidiger. »Ich mache die Herren Geschworenen aufmerksam, daß der Zeuge offenbar zurückhält.«

»Ich halte mit nichts zurück«, sagte Huber. »Ich habe nichts Unrechtes gethan. Ein einziges Mal, wollte ich sagen, an dem Abend, wo das Fest wegen der neuen Gesetze gefeiert wurde, war Marie in der Schenkstube nicht zu sehen, und da auch das Fenster verriegelt war, und ich besorgte, es möchte ihr ein Leid geschehen sein, bin ich auf die Hofmauer geklettert und habe mich durch den Schornstein herabgelassen.«

»Sie sehen, und ich bitte, es festzuhalten«, rief der Vertheidiger triumphirend, »bis zu welchem Grade der Zeuge mit der Oertlichkeit des Hauses und mit dem Mädchen vertraut sein mußte. Und wie fanden Sie das Mädchen in dem Gemache? Lag es zu Bette?«

»Nein. Ich rief mehrmals ihren Namen, und da keine Antwort erfolgte, versuchte ich zu öffnen. Die Thür war verschlossen, und ich machte mich schon daran, sie einzustoßen, als ich bemerkte, daß der Schlüssel im Schlosse steckte und zu meinem Erstaunen von außen umgedreht war.«

Die Geschworenen sahen einander staunend an und nickten sich zu.

»Ich öffnete«, fuhr Huber fort, »und fand Marie im Nachtkleid und halb todt neben dem Bette auf dem Boden. Den Kopf hatte sie unter die Decke gesteckt, vermuthlich um sich vor dem Ersticken zu sichern; denn der Rauch und Qualm kam schon durch alle Ritzen und durch den Fußboden hereingedrungen. Es galt da kein langes Besinnen. Federleicht, wie sie war, nahm ich sie über die Schulter und trug sie herunter.«

»Sie haben angegeben«, sagte der Vertheidiger, »der Schlüssel habe von außen im Schlosse gesteckt. Das wird wohl ein Irrthum sein. Es wäre auffallend, daß Sie gerade das so genau bemerkt haben wollen. Gewiß waren Sie nicht bei so kaltem Blute, um derlei Beobachtungen machen zu können. Das Schloß war vermuthlich gar nicht abgesperrt und öffnete sich nur nicht gleich auf den ersten Druck, wie das wohl öfter vorkommt.

»Nein, nein«, rief Huber eifrig, »das weiß ich ganz genau! Das schlägt in meine Profession ein, und in solchen Dingen irre ich mich nie. Der Schlüssel steckte im Schloß und war zweimal herumgedreht. Marie war eingesperrt. Es war mir allerdings zu Muthe, als wenn ich das Fieber hätte; aber ich habe doch gewußt, was ich sehe und thue.«

»Seltene Geistesgegenwart«, bemerkte der Vertheidiger ironisch. »Ich wünsche, daß Sie selbe nie verlieren mögen. Und nun noch eine letzte Frage. Sie haben sich als Katholiken bezeichnet und haben ihren Zeugeneid als solcher geleistet. Es will aber verlauten, daß Sie mit Ihrer Kirche zerfallen sind und sich den Ansichten der freien Gemeinde zuneigen?«

»Das ist nicht wahr.«

»Doch sollen Sie erst vor wenigen Tagen bei einem öffentlichen Anlaß die Freigemeindler aufs wärmste in Schutz genommen und sogar Ihre Glaubensgenossen mit Thätlichkeiten bedroht haben.«

»Auch das ist nicht wahr. Ein Haufen ungebildeter Menschen – ob es meine Glaubensgenossen waren, weiß ich nicht – wollte die Freigemeindler, von denen ich nicht einen einzigen kenne, im Begräbniß eines ihrer Angehörigen stören. Das schien mir ein Unrecht zu sein, und Unrecht vertrag' ich nicht. Wo ich ein solches sehe, da leide ich's nicht, da muß ich dazwischenfahren. Das ist so meine Art.«

»Da werden Sie viel zu thun finden, mein Freund«, sagte der Vertheidiger. »Ich habe nichts mehr zu fragen und betone nur, daß der Zeuge jedenfalls eine bedenkliche Gleichgültigkeit in Beziehung auf religiöse Anschauungen an den Tag gelegt hat, daß also seine Aussage und der daraufhin geleistete Eid hiernach wohl mit doppelter Vorsicht ins Auge gefaßt werden muß.«

»Herr«, rief Huber auffahrend, »was unterstehen Sie sich?«

Der Vorsitzende unterbrach ihn jedoch und rief: »Ich entziehe dem Zeugen das Wort. Sie haben zu schweigen und nur zu reden, wenn Sie gefragt werden.«

Nach all diesem fiel der Schwerpunkt der Sache immer mehr und mehr auf die Aussage Mariens. Der vorgerufene Gerichtsarzt erklärte, er habe dieselbe mehrfach beobachtet; sie sei ihm als fallsüchtig bezeichnet worden, er habe dies jedoch nicht finden können, vielmehr scheine sie ihm von tiefer Melancholie befangen, welche zeitweise in förmliche Geistesstörung übergehe. Er habe das Mädchen vor dem Brande nicht gesehen. Nach Angabe ihrer Angehörigen habe sich ihr Zustand seitdem sehr verschlimmert und sei erst jetzt in die völlige Verlorenheit übergegangen, vermöge deren sie die meiste Zeit wie bewußtlos und blöde vor sich hinstarre. Dennoch halte er sie für vernehmbar, und nach seiner Ansicht könne, da die Erschütterung des Schreckens diesen Zustand hervorgebracht habe, vielleicht die Erschütterung durch das ungewohnte Erscheinen vor der Oeffentlichkeit eine ähnliche Wirkung hervorbringen und ein lichtes Intervall veranlassen.

Wäre in dem dichtgedrängten Saale eine Nadel zu Boden gefallen, man hätte sie gehört, so tiefe Stille herrschte, als Marie, von einer Magd geleitet, eintrat. Sie war in gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung, nicht ohne Sorgfalt angezogen und hielt sich fest am Arme der Magd, welche sie führen und beinahe nach sich ziehen mußte. Ihre Augen starrten unbeweglich vor sich hin, das Gesicht war völlig bleich und blutlos wie das einer Todten, was durch das dunkle Haar noch mehr hervortrat, und mancher Lippe entrang sich bei ihrem Anblick ein Seufzer, manchem Munde ein leises Wort des Bedauerns. »Wie schade«, murmelte das Volk, »ein so schönes Mädchen und solches Unglück!« Sie ward in die Mitte geführt, und der Vorsitzende redete sie an. Aber er sowohl als der Arzt und der Staatsanwalt versuchten vergebens, ihr ein Wort oder ein Zeichen der Besinnung abzugewinnen. Sie blieb stumpf wie eine lebende Bildsäule.

»Lassen Sie mich mit ihr reden!« sagte Huber vortretend. »Sie kennt meine Stimme; vielleicht bringe ich sie zurecht.«

»Dagegen muß ich Verwahrung einlegen«, rief der Vertheidiger rasch. »Die Gefahr eines geheimen Einverständnisses liegt zu nahe.«

Der Präsident war derselben Ansicht und befahl, die Zeugin hinwegzubringen, welche nur geeignet sei, die Verhandlung im Verlaufe zu stören. Es geschah. Noch einige Zeugen wurden vernommen, welche bestätigten, wie Moser bei der Rettung seiner Stieftochter sich benommen, und daß er seine Freude darüber so laut ausgesprochen habe, daß an deren Aufrichtigkeit nicht gezweifelt werden könne.

All diesem gegenüber fühlte die Anklage selbst den Boden unter sich unterwühlt, und das Geschäft des Verteidigers wurde um so leichter, zumal als die Leumundserhebungen für Moser sehr glänzend ausfielen und ihn als einen stillen Mann bezeichneten, welcher nur für sich lebe, fleißig die Kirche besuche und Mitglied mehrerer frommen und wohlthätigen Vereine sei. Die Geschworenen kamen schon nach wenigen Augenblicken zurück, diesmal mit einem freisprechenden Wahrspruch, wie nach dem Gange der Verhandlung wohl Niemand anders erwartet hatte. Ein Summen der Befriedigung schwebte über der Versammlung. Der Angeklagte allein blieb ruhig wie zuvor. Er wendete sich gegen die Wand, als wollte er sein Gesicht und seine Gefühle verbergen; aber es war deutlich genug zu sehen, wie er die Hände erhob und zu beten schien.

Die Richter traten in ihr Berathungszimmer. Inzwischen war der Abend angebrochen, die Gaslampen über dem Tische des Gerichtshofs sowie die Hängeleuchter im Saale waren angezündet, brannten aber tief herabgeschraubt und verbreiteten nur eine sehr geringe Helle. Als das Glockenzeichen das Wiedererscheinen der Richter verkündete, eilte Alles wieder an seinen Platz; die Zeugen, die sich auf einige Augenblicke wegbegeben hatten, kamen zurück, unter ihnen auch Marie, die regungslos und stumpf wie zuvor auf der Zeugenbank längs der Schranken, dem Angeklagten hart gegenüber, Platz nahm. Jetzt traten die Richter ein, und der Vorsitzende verkündete das freisprechende Urtheil. Er wollte mit der Vorlesung der Entscheidungsgründe beginnen, aber es war zu dunkel zum Lesen. Er befahl daher das Gas höher aufzuschrauben, und im nächsten Augenblicke flammte plötzliche Helle durch den Saal, nicht unähnlich dem Zucken des Blitzes oder einer schnell und plötzlich auflodernden Feuerflamme. Ein wilder Schrei unterbrach die Vorlesung; er kam von Marie; der plötzliche Lichtstrom hatte sie geblendet und aus ihrer Erstarrung geweckt. Zugleich mit dem Lichte hatte sie den Wirth gewahrt und stand nun aufgerichtet da, mit ausgestreckter Hand starr auf ihn deutend. »Feuer!« schrie sie in markerschütterndem Tone der Angst, »Feuer! Da ist er mit dem brennenden Span! Der rothe Sternwirth kommt, er zündet das Stroh an. Heilige Maria, es brennt! Er dreht den Schlüssel im Schlosse – Hülfe! Hülfe! Er läßt mich nicht hinaus; er will, daß ich mit verbrennen soll!«

Ein Grauen durchlief die Versammlung. Weder Staatsanwalt noch Vertheidiger fanden ein Wort. Der Angeklagte allein schien seine Ruhe behaupten zu wollen und warf kalte, giftige Blicke nach der Wahnsinnigen. »Da sehen die Herren selbst«, sagte er. »Sie hat ihren Zustand wieder.«

Durch die Worte und die Stimme des Wirthes wurde Marie erst vollends aus ihrer Erstarrung gerissen. Sie stürzte zu der Anklagebank hin und warf sich vor derselben auf die Kniee. »Sternwirth«, schrie sie, »sperr' mich nicht ein in dem brennenden Hause, laß mich nicht verbrennen! Laß mich hinaus! Ich will Alles thun, was Du verlangst. Mutter! Mutter!« kreischte sie wieder, indem sie in entsetzlicher Angst sich am Boden krümmte, »hilfst Du mir denn nicht? Ach ja, da bist Du ja. Siehst Du, Sternwirth, dort steht sie, dort im Winkel! Sie droht Dir, sie hebt die Hand auf! Siehst Du den blutigen Streifen an ihrer Stirn?« Aufschreiend und wie mechanisch die Hände an das Herz pressend, schlug sie in hartem Zusammensturz zu Boden.

»Man bringe die Wahnsinnige hinweg!« sagte der Präsident ernst und las, als es geschehen war, mit feierlicher Stimme das Urtheil zu Ende. »Sie sind freigesprochen«, sagte er am Schlusse zum Angeklagten, »und können ungehindert den Saal verlassen. Der Wahrspruch der Geschworenen ist unumstößlich. Wegen dieser That wird Niemand auf Erden Sie mehr zur Rechenschaft ziehen. Was wir außerdem hier mit angesehen und gehört haben, haben Sie mit Ihrem Gewissen auszumachen und mit dem ewigen Richter.«

Wie ein vom Regen angeschwellter Bach stürzte die Menge sausend und tosend in die eingebrochene Nacht hinaus. Niemand achtete auf Moser, der sich hastig im Gedränge verlor. Huber blieb bei Marie zurück, bis sie in ein benachbartes Haus gebracht und auf ein Bett gelegt ward, wo sie sofort in todtenähnlichen Schlaf versank. Vergeblich hatte der Arzt einige Belebungsmittel versucht; er erklärte, daß er nichts Anderes anzurathen wisse als Ruhe; alles Weitere sei der Natur zu überlassen.

Er hatte richtig geurtheilt. Die vollständige Stille, welche die Kranke umgab, wirkte bald so sehr auf sie, daß sie zu sich kommend die Augen öffnete, um sich blickte und einen schwachen Versuch machte, sich zu erheben.

»Willst Du etwas, Marie?« fragte Huber, der neben dem Lager saß, leise. »Erschrick nicht! Ich bin bei Dir.«

Sie sah mit klaren Augen und dem überquellenden Blicke der innigsten Liebe in das schmerzbewegte Antlitz des Burschen und streckte ihm schwach ihre Hand entgegen, die er eifrig ergriff und küßte. »Du bist bei mir, Du treues Gemüth?« flüsterte sie. »Ach, warum kann ich nicht immer bei Dir bleiben!«

»Du kannst«, erwiderte Huber leise, »wenn Du nur willst. Nach dem, was heute geschehen, kannst Du unmöglich wieder in das Haus Deines Stiefvaters zurückkehren. Du weißt, was ich denke, Marie. Ich hab' es Dir oft gesagt. Sage ja, und in acht Tagen bist Du für immer bei mir, als mein Weib.«

Sie sah ihn mit einem innigen Lächeln der Zärtlichkeit an. »Ich fürchte den Wirth nicht mehr«, sagte sie, »aber mit der Furcht hat auch die Hoffnung ein Ende. Was zuletzt geschehen ist, hat mir das Herz gebrochen. Es wird nicht mehr lange währen mit mir. Bleibe bei mir, Martin, bis es vorüber ist! Ich spür's es wird gar nicht mehr lange dauern.«

»Das ist nicht möglich«, sagte Huber, seinen Schmerz gewaltsam bezwingend. »Du mußt Dir so etwas nicht einbilden. Wenn Du nur erst in einem andern Hause und bei andern Leuten bist, dann wirst Du schnell gesund und wieder fröhlich werden. Sei nicht so trübsinnig, sei vergnügt und mache nur, daß Du gesund wirst, und wenn Du mich denn doch nicht lieb haben kannst, so sollst Du auch von mir kein Wort mehr davon hören.«

»Ich Dich nicht lieben!« sagte sie mit einem so herzlichen Tone, daß aller Zweifel in sich selbst ersterben mußte.

»Und wenn Du mich liebst, warum bist Du doch so gegen mich?«

»Weil ich Deiner nicht werth bin, Martin«, sagte sie mit Anstrengung; »weil Du ein braves, ordentliches Weib verdienst. Jetzt, da es zum Ende geht, darf ich Dir wohl Alles sagen. Du wirst mich deswegen nicht ganz verdammen, und vielleicht wird es Dein Leidwesen geringer machen, wenn Du Alles weißt. Du erinnerst Dich wohl noch, wie meine Mutter den Sternwirth heirathete. Ich war ein aufgeschossenes Mädel, ein blutjunges Ding von kaum fünfzehn Jahren, als ich mit ihr ins Haus kam. Du weißt auch, wie die Heirath schlecht ausgefallen ist, und wie sich's gar bald zeigte, daß der Wirth meine Mutter nur wegen ihres Geldes geheirathet hatte.«

Huber nickte mit trauriger Zustimmung.

»Es gab bald«, fuhr sie fort, »nichts als Zank und Unfrieden; alle Tage wurde gestritten und geschlagen. Je wilder aber der Wirth gegen die Mutter war, desto freundlicher und zuthulicher war er gegen mich, die ich in meiner Unschuld an nichts Arges dachte. Und manchmal, wenn ich zu Bette ging, kam es über mich wie ein furchtbar schwerer Schlaf, dessen ich mich nicht erwehren konnte, und in dem Schlafe kamen mir abscheuliche Träume, und wenn ich dann wach wurde, war es mir ums Herz so beklommen, und mein Kopf war so schwer, ach so schmerzlich schwer! Und einmal nach einer solchen Nacht da war es, daß sich zuerst die Krämpfe einstellten, und wieder einmal da wurde ich plötzlich wie von einem ungeheuren Schrecken wach und sah den Wirth noch eben rasch aus meinem Zimmer schleichen. Da fiel es mir erst ein, daß er mir allemal, wenn ich einen schweren Schlaf hatte, zuvor mit Schmeicheln zugesetzt und nicht geruht hatte, bis ich einen Trank, den er mir gab und der für meinen Zustand helfen sollte, zu mir genommen hatte. Ich ahnte nicht, was geschehen war, aber ich sagte Alles meiner Mutter. Außer sich, stellte sie ihn darüber zur Rede. Es kam zu einem heftigen Streite, in dem er ihr das Beil an den Kopf schlug, daß sie schwer verwundet war. Sie ist so lange gelegen und hat den Leuten immer gesagt, sie sei gefallen und selbst in die Schneide des Beils gestürzt. Ich aber war ein elendes Geschöpf, das vor sich selber ausspeien möchte, und in dem elenden Zustande bin ich seitdem geblieben, und es ist jeden Tag ärger geworden. Gott sei Lob und Dank!« fuhr sie nach einer Pause der Erschöpfung fort, während Huber sein Gesicht auf ihre Hand niederbeugte, »es geht zu Ende. Meine gute Mutter hat's endlich erbitt' beim lieben Gott. Verachte mich nicht, Martin, und jetzt, jetzt kann ich Dir's ja sagen, daß ich Dich lieber habe als mein Leben und daß es meine größte Glückseligkeit gewesen wäre, wenn ich Dir ganz hätte angehören können! Aber es ist besser so. Du wirst Dich beruhigen, es wird und muß Dir noch recht gut gehen im Leben, und daß Du mich nicht ganz vergessen wirst, das weiß ich.«

»Nie, nie!« schluchzte Huber, der seine Ergriffenheit nicht mehr zu bemeistern vermochte. »Nimm Dich nur zusammen, Marie! Du lebst noch; also ist auch noch Hoffnung. Stirb nicht! Bleib' bei mir! Ich will Dich nur noch lieber haben.«

Marie erwiderte nichts; eine plötzliche, außerordentliche Schwäche ergriff sie, sodaß sie kaum mehr zu lispeln vermochte. »Es ist zu spät«, sagte sie kaum hörbar. »Ich bin bald erlöst. Laß mir Deine liebe, treue Hand!« fuhr sie fort, indem sie dieselbe zwischen ihre beiden Hände faßte. »So will ich sterben.« Sie schloß die Augen, während ihre abgemagerten Finger sich fest um Martin's Hand preßten; sie zuckte nicht mehr und lag regungslos.

Huber winkte unwillig gegen die Thür, als dieselbe sich öffnete und die Frau, bei welcher Marie schnell untergebracht worden war, eilig hereintrat.

»Schon wieder was Neues!« rief sie. »Ich weiß gar nicht, ob ich es sagen soll.«

»Was denn?« entgegnete Huber ungehalten.

»Es kam gerade einer vorbeigelaufen«, sagte die Frau mit gedämpfter Stimme, »der hat die Neuigkeit mitgebracht. Der Moser, der Sternwirth, wie er vom Schwurgericht weg ist, ist er geraden Wegs in seine Wohnung gelaufen, hat einen Strick genommen und hat sich aufgehängt.«

»Still!« rief Huber. »Sie soll davon nichts mehr hören. Kniet lieber nieder und betet für sie um einen leichten Todeskampf!«

Die Frau folgte. Auch Andere kamen in die Stube herein und thaten desgleichen; aber das Gebet war nicht mehr nöthig. Der Todeskampf war schon überstanden; unmerklich hatte die gequälte Seele sich befreit. Bis tief in die Nacht saß Huber noch am Bette, und erst gegen Morgen zog er seine Hand aus ihren erkalteten, starr gewordenen Händen und legte dieselben kreuzweise zusammen über die endlich ruhende Brust.


Unweit der Landesgrenze fuhr einige Tage später eine bequeme, offene Reisekalesche auf der Straße dahin. Das wenige Gepäck, das der Reisende bei sich führte, die sichtbare Eile, mit welcher der Postillon die vier Pferde zu immer erneuertem Laufe antrieb, zeigten, daß das Geschäft des Reisenden ein sehr dringendes sein mußte. Der Reisende war Friedrich.

Sein Angesicht war sorgenvoll; wohl hing sein Auge an der herrlichen Landschaft, welche sich vor ihm mit aller Pracht des an die Gebirge sich anlehnenden Vorlandes entfaltete, aber er schien es nicht zu gewahren, wie schön zwischen den anmuthig ansteigenden Hügeln und Wäldern der Spiegel eines Sees hervorleuchtete, wie darüber in blauem Duft die Berghäupter immer höher und höher, immer ernster und gewaltiger emporstiegen; es war mehr, als ob er ungeduldig die Entfernung messe, die ihn noch von seinem Ziele trennte.

Es ging eben eine kleine, waldige Anhöhe hinan. Der Postillon ließ die Pferde ausschnauben und deutete mit der Peitsche nach einer kleinen, bewaldeten Anhöhe hin, auf welcher aus dunklem Walde Thürme und Mauern emporstiegen. »Sehen Sie dort«, sagte er, »das ist schon der Thurm von St.-Wendelin. Es geht jetzt bergab; dann wird der Weg besser. In einer halben Stunde sind wir dort.«

Friedrich richtete sich auf und blickte scharf in der angedeuteten Richtung hin. Er nickte dann zustimmend und begann sich zurecht zu machen, wie Jemand, der sofort eine wichtige Angelegenheit zu ordnen vorhat. Bald schimmerte durch die mächtigen Stämme des Tannenwaldes der kleine See, aus dessen dunkelgrüner Flut der burggekrönte Hügel emporstieg, und es währte nicht lange, bis der Kutscher an einem kleinen Stege anhielt, welcher den in einen schmalen Kanal zusammengedrängten See überbrückte. »Wenn's der Herr so eilig hat, wie es scheint«, sagte er, »so kommen Sie hier um eine halbe Stunde früher ins Schloß. Sie können durch die englischen Anlagen und den Garten hineingehen. Die Straße macht einen weiten Umweg im Bogen. Wenn Sie hier aussteigen und über die Brücke gehen, will ich langsam mit dem Wagen ans Schloßthor nachfahren.«

Friedrich schien dieser Vorschlag gelegen zu kommen. Er stieg aus und schritt über die Brücke; ein spitzbogiges Thürchen in der hohen, zackengekrönten Mauer, welche die ganze Burg umgab, führte in ein dichtes Baumgehege von lauter alten Stämmen, die ganz das Ansehen eines dichten Waldes hatten, um so mehr, als sie in die Runde gezogen waren, sodaß kein Ende davon abzusehen war. Darunter streckte sich ein schöner grüner Waldesrasen, auf welchem stattliche zahme Hirsche weideten. Mit Mißvergnügen erkannte Führer jedoch sehr bald, daß er nicht eben wohlgethan, einen unbekannten Waldweg einzuschlagen, der, durch verschlungenes Dickicht führend, ihn nöthigte, aufs Gerathewohl zuzugehen. Schon wollte ihm der Unwille darüber zu Kopfe steigen, als er die Töne einer singenden Männerstimme vernahm und der Park sich mit einem Male auf eine grüne Rasenfläche öffnete, an deren Rändern hier und da Blumengruppen gezogen waren.

Ein alter Mann in grüner Gärtnerschürze stand mit der Harke davor und war beschäftigt, allerlei Pflanzen und Blumen, die er in einem Korbe nebenbei stehen hatte, ins freie Land umzusetzen. Dabei summte er undeutlich singend vor sich hin, daß nichts zu erkennen war als der wiederkehrende Schlußreim eines Volksliedes der einfachsten Art.

Er unterbrach sich, als er Führer gewahrte. »Guten Tag, Herr!« sagte er. »Wie kommen Sie denn von da her? Das ist seltsam! Sie sind fremd und wissen doch diesen Eingang?«

Führer erzählte, wie es gekommen, und bat den Alten, da er dringend mit Seiner Durchlaucht zu sprechen habe, ihn sofort zu melden; er gehöre zum Hofe und sei eigens dem Fürsten nachgereist.

»Gern, Herr! Sogleich, Herr!« sagte der Gärtner. »Nur da den einen Blumenstock lassen Sie mich noch versetzen! Er ist schon ausgehoben, und bis ich etwa zurückkäme, könnte er Schaden leiden. Es ist ein gar rares Exemplar, wie Sie vielleicht noch keins gesehen haben.«

»So bitte ich zu eilen«, sagte Friedrich etwas ungeduldig. »Meine Angelegenheit ist wahrhaftig dringend.«

»Es soll sogleich gethan sein, Herr! Das ist eine gute Arbeit. Sie müssen wissen, die Pflanze gehört nicht ins freie Land; aber sie hat im Treibhaus gekümmert. Da will ich's doch versuchen und will sie versetzen und sehen, ob ein anderer Boden und andere Luft und das Licht ihr nicht gut thun. Bei vielen hilft's; manche freilich können es nicht vertragen, um die ist's aber dann auch wohl nicht schade; die wären wohl auch im Glashaus bald eingegangen. Geht's ja doch mit den Menschen auch nicht anders! Sehen Sie immer her«, fuhr er während der Arbeit plaudernd fort, »sehen Sie sich das Gewächs an! Es kommt weit her, aus Westindien, glaub' ich. Es ist eine Art Amaryllis, etwas selten, halb Lilie und halb Narcisse, und macht wundervolle rosenrothe Blüten. Es gibt auch eine dunkelrothe Art; die haben Sie wohl schon gesehen. Aber diese ist seltener, und man kann kaum etwas Schöneres sehen, als wenn sie in voller Blüte steht. Das ist aber auch Alles, und man muß sich hüten, ihr zu nahe zu kommen; denn sie hat einen süßen, aber gar giftigen Duft, der einen betäubt und, wenn man länger daran riecht, den Kopf einnimmt und das Herz stillstehen macht. Wir haben drinnen im Glashaus noch ein Exemplar. Das ist gerade in der Blüte; Sie müssen sich's ansehen, Herr! Die Blume ist wunderschön, aber giftig, wie ich sage. Na, so was kommt ja öfter vor, Herr, und darum heißt sie auch Amaryllis Belladonna. So, jetzt bin ich fertig«, schloß er endlich und schickte sich zu gehen an, nachdem er die Erde um die neugesetzte Pflanze angetreten und sie mit der Gießkanne vorsichtig befeuchtet hatte. »Jetzt wollen wir sehen, was daraus wird! Ich habe das Meinige gethan.«

Da er wohl merken mochte, daß Friedrich nicht zum Reden aufgelegt war, nahm er sein Werkzeug auf die Schultern und schritt rasch voran durch allerlei Nebenwege, welche bald an einen Seitenflügel des Schlosses führten, das, ganz im Stile einer mittelalterlichen Ritterburg gebaut, mit den über einander emporsteigenden Zinnenkränzen, Giebeln, Erkern und Strebepfeilern einen ungemein freundlichen Anblick gewährte. Seitwärts, durch eine lebende Hecke getrennt, war ein kleiner Platz zum Nutzgarten eingerichtet, in welchem ein niedliches Häuschen stand, das sich auf den ersten Blick als die Wohnung des Gärtners kennzeichnete. Unweit davon erhob sich das Treibhaus mit einem mächtigen, auf Eisenrippen ruhenden Glasdache und gleichen Wänden, eine Art Wintergarten, der in mehreren Abtheilungen stufenförmig sich bis an die Mauer des Schlosses hinanzog und mit dem Innern desselben zusammenzuhängen schien.

»Dort ist meine Wohnung, Herr!« sagte der Gärtner. »[Verzeihen] Sie einen Augenblick! Ich will hinein ins Schloß und dem Castellan Ihre Karte bringen. Ich glaube aber kaum, daß die Durchlaucht zu sprechen ist. Ich denke, er ist ausgeritten oder hat gar einen Besuch bekommen. Ruhen Sie sich dort auf der Bank ein wenig aus, Herr! Dort kommt just meine Schwiegertochter.«

Die junge Frau trat mit einem Kinde auf dem Arm heran; sie begrüßte Führer, welchen ihr der Alte mit ein paar Worten übergab, und lud ihn freundlich ein, in die Stube zu treten. »Kommen Sie nur!« sagte sie. »Wenn Sie auch aus der Stadt sind, es wird Ihnen schon bei uns gefallen. Es ist zwar Alles ganz einfach, aber hübsch. Mein Mann, der versteht sich darauf.«

Friedrich lehnte höflich dankend die Einladung ab. »Es wird nicht lange währen«, sagte er, »und ich will die paar Augenblicke lieber hier im Freien zubringen. Aber sagen Sie mir, gute Frau, ob ich recht verstanden habe! Ich dachte den Herzog allein zu finden und höre von Besuch. Wer könnte das sein?«

»Na«, sagte die Frau lächelnd, »das ist, wie man's eben nimmt. Es ist wohl ein Besuch, und dann ist's auch wieder keiner. Es ist nur eine Dame.«

»Eine Dame?« rief Führer verwundert, um so mehr, als ihm nicht bekannt geworden, daß die Neigungen des Herzogs sich besonders nach dieser Richtung wendeten.

»So hat mir mein Mann gesagt«, erwiderte die Frau. »Ich habe sie nicht gesehen. Es kann auch was Anderes sein. Sie war fein angezogen und hat sehr vornehm ausgesehen. Sie ist eben vorbeigefahren; da ist ein Rad am Wagen gebrochen, und weil der Herr Herzog gerade in der Nähe war und die Dame oder der Besuch doch nicht weiter gekonnt hätte, hat er sie ins Schloß eingeladen.«

Führer hatte nicht Zeit, mit seinen Gedanken und Vermuthungen darüber ins Klare zu kommen, denn im Augenblicke kam der Gärtner zurück, mit ihm ein eilig voranschreitender Mann, nach höfischer Sitte vom Kopf bis zum Fuß in tadelloses Schwarz gekleidet.

»Da kommt der Herr Castellan«, sagte die Frau. »Wenn Sie etwas bei der Durchlaucht zu suchen haben, der hat ein großes Wort zu sagen. Er gilt viel beim Herzog. Er war früher sein Kammerdiener und ist mit ihm auf Reisen gewesen.«

Während dieser hastig geflüsterten Worte war der Mann herangekommen und begrüßte Friedrich mit der artigsten Verbeugung und einem Gesichte voll der offensten Verwunderung. »Sie sind es wirklich, Herr Minister!« rief er. »Durchlaucht wollten es kaum glauben und haben mich selbst geschickt, mich zu überzeugen.«

Führer hatte in seinem Amte schon viel Gewandtheit in der Selbstbeherrschung erworben, dennoch wußte er im Augenblicke nichts zu erwidern; denn indem er das feiste, ausgefütterte Gesicht des Castellans betrachtete, der ihn mit listig blinzelnden Augen und einem unverschämten Lächeln um die eingekniffenen Lippen ansah, war es ihm plötzlich klar, daß er diesem Manne schon irgendwo begegnet sein mußte. Er vermochte sich aber nicht zu besinnen, wo das war, und nur eine unklare Ahnung durchflog ihn, daß die Begegnung keine angenehme gewesen.

»Seine Durchlaucht«, fuhr der Castellan fort, als Friedrich nicht sogleich antwortete, »haben einen anstrengenden Morgenritt gemacht und sind eben daran, ihre Toilette zu ordnen. Sie werden Sie sogleich empfangen und bitten Sie, einstweilen mir zu folgen.«

»Ich ziehe vor, mich im Freien aufzuhalten«, erwiderte Führer. »Haben Sie die Gefälligkeit, mich zu rufen.«

»Mit Entzücken«, rief der Castellan. »Ich bin glücklich, Ihnen dienen zu können! Hab' ich doch schon oft gewünscht, den Mann kennen zu lernen, welcher für Volk und Vaterland so unendlich viel gethan hat! Freilich, wenn ich hätte ahnen können«, fügte er mit sonderbarer Betonung hinzu, »dann wäre mir Manches schon früher klar geworden.« Ehe Friedrich über die Bedeutung dieser Worte sich aufklären konnte, war er mit tiefem Bückling enteilt und schritt mit leichten Schuhen über den knirschenden Sand dahin. Friedrich konnte auch über die Begegnung nicht weiter nachdenken, denn der alte Gärtner, welcher jetzt erfahren hatte, wer der Fremde sei, trat ehrerbietig, den Strohhut in der Hand, vor ihn.

»Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Minister, oder wie man Sie heißen muß«, sagte er, »wenn ein einfacher, unbeholfener Mann, wie ich, Ihnen auch sagt, wie sehr es ihn freut, Sie zu Gesicht zu bekommen. Ich habe mich in meinem Leben nicht viel um solche Dinge gekümmert, aber das weiß ich und das sagt alle Welt, daß Sie es gut mit uns und dem Lande meinen. Drum müssen Sie mir erlauben, daß ich Ihnen einen Strauß von unsern schönsten Blumen binde.«

»Ich danke Ihnen, mein Freund«, sagte Friedrich, »für Ihre Worte wie für den Strauß, den ich gern annehmen werde. Ihr einfacher Dank ist mir eine schönere Blume, als Sie in Ihrem ganzen Garten stehen haben.«

»Und jetzt dürfen Sie mir auch nicht verschmähen, das Glashaus anzusehen«, fuhr der Gärtner eifrig fort, »und vor allem die Amaryllis Belladonna. Die ist gewiß der Mühe werth. Sie finden kein schöneres Exemplar. Nur dürfen Sie nicht daran riechen; das hab' ich Ihnen schon gesagt. Höre«, rief er seiner Schwiegertochter zu, »wenn der Castellan kommt, so sage, daß der gnädige Herr ins Glashaus gegangen ist! Ich will meinen Sohn aufsuchen, daß er mir hilft, den Strauß für Sie zu binden. Der wird auch große Freude haben, Sie zu sehen. Wir sind gleich wieder da.«

Während dieser Worte hatte er die Thür des Glashauses geöffnet, und Friedrich trat ein.

Eine schwüle, dumpfe und eigenthümlich duftende Luft, von der er den Kopf befangen und sein Blut einen Augenblick stocken fühlte, empfing ihn; doch die Wallung abschüttelnd, schritt er langsam und ruhig betrachtend zwischen den Staffeleien dahin, auf welchen bis zur Decke hinan zu beiden Seiten Blumen und Pflanzen der verschiedensten Art in den buntesten Farben zu Hunderten gezogen waren, um die Beete im freien Lande, die Blumentische im Schlosse und die Fenster desselben mit dem nöthigen frischen Blumenschmucke versehen zu können. Einige ähnliche, unter sich durch Glaswände abgeschlossene Räume, zu welchen mehrmals einige Stufen hinanführten, folgten auf einander; jetzt kam ein größerer, höherer Pavillon, das Palmenhaus, zugleich als Garten eingerichtet, in welchem bei Regen oder unfreundlichem Wetter der Genuß eines scheinbaren Aufenthalts im Freien bis zur Täuschung nachgeahmt war. Palmen aller Art, Magnolien, Sykomoren und andere tropische Gewächse waren zu einem Haine zusammengestellt, während Agaven und Cactus am Fuße der Stämme ein beinahe undurchdringliches Dickicht bildeten. In der Mitte war ein großer Rasenfleck angelegt, aus welchem ein Springbrunnen mit hohem, mächtigem Strahl emporstieg und mit starkem Geplätscher wieder herabfiel. In den Zweigen suchten ein paar gefangene Singvögel zwitschernd sich der alten freien Lieder zu erinnern. In dem Rasen waren hier und da Blumen-Parterres angebracht, die durch Farbenabstufungen und Farbenwechsel dem Geschmack wie dem Geschick des Gärtners gleiche Ehre machten; in der gegenüberbefindlichen Glaswand, wo die Palmen am dichtesten standen, führte ein enger, schattengrüner Pfad in die nächste Abtheilung.

Vor derselben stand ein Fußgestell aus weißem Marmor mit einer großen Henkelvase; in ihr rankte ein Gewächs mit breiten, schmal zulaufenden saftgrünen Blättern, welche in reichem Busche emporstiegen und lang über die Ränder herniederhingen. Dazwischen hatte sich eine breite, kronenartige Blüte vom schönsten Carmin entfaltet, welche an Glut noch die Rose übertraf. Der alte Gärtner hatte Recht. Es war kaum etwas Schöneres zu sehen; aber schon auf wenige Schritte verspürte man die verlockende und betäubende Süßigkeit des Duftes, den die Blume ausströmte. Ein Täfelchen, das daran hing, zeigte, daß es der Stolz des Gartens war, die Amaryllis Belladonna. Eine Weile war Führer betrachtend vor der schönen Blume stehen geblieben; dann schritt er ruhig wieder weiter durch den Palmengang, um auch die letzte Abtheilung zu besichtigen. Das Rauschen des Springbrunnens und das Gezwitscher der Vögel machten, daß er die Stimmen nicht vernahm, welche in dem Gemache sich hören ließen; sein eigener Fußtritt war nicht vernehmbar auf dem weichen Sande der Gartenwege.

Das Gemach schien bereits mit der Burg zusammenzuhängen. Es war ebenfalls mit Palmen angefüllt, zwischen welchen phantastische Ranken und Schlinggewächse ein luftiges grünes Zelt bildeten. Darunter war ein Ruhebett angebracht, vor diesem ein Tisch.

Wie vom Blitze getroffen stand Führer still, als er in das Gemach trat; auf dem Sopha saß Herzog Felix, an seiner Brust, die Arme zärtlich um seinen Nacken geschlungen, lehnte Ulrike.

Sie gewahrte ihn zuerst. Aufschreiend sprang sie empor und sank dann am Sopha wie todt zusammen, indem sie das Angesicht in die Kissen barg, bleich, bebend, keines Wortes mächtig.

Wortlos, gleich einem Versteinerten, stand auch der Herzog.

Im Augenblicke flog gegenüber die Thür auf, und athemlos stürzte der Castellan herein. Der listige Warner kam zu spät. Jetzt wußte Friedrich, wo er diesem Angesicht bereits begegnet war.

Auch er fand kein Wort, aber er legte die Depeschen, wegen deren er gekommen, auf das Tischchen; dann zog er den Ring, den er einst vom Herzog erhalten hatte, vom Finger, legte ihn schweigend darauf und verschwand.


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