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Zur Physiologie der Freude

Die Sonne ist der Quell der Freude. Das ganze Nervensystem ist ein Geflecht der Sonne. Sie spannt sich selbst die Harfensaiten, auf denen wir ihr Lied singen. Die Farbe der Wonne ist Licht. Das Dunkel ist ein Heimweh nach Licht. Ein Strahl der Sonne kann mehr erwecken, als tausend Nächte zu ersticken vermögen.

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Es wäre eine mystische Sache um die Telegraphie ohne Draht, wenn nicht jede Übertragung seelischer Eindrücke eigentlich dasselbe wäre. Ich sehe ein Kind lachen – und mein Herzdruck steigt meßbar; ich lese eine Todesanzeige – und meine Pulse stocken. Das ist das Mysterium des nervus sympathicus: Millionen kleinster empfindlichster Fangschirme aller Weltall-Wellen, eingestellt gewiß auf alle X-, Y- und Z-Strahlen von Mensch zu Mensch, von Unbeseeltem zu Belebtem.

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An nichts mehr gern denken heißt den Tod rufen.

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Das Gefühl der Freude entsteht aus einer plötzlichen Bejahung des Lebens. Indem wir lachen, jauchzen wir dem Weltall tausend »Ja!« entgegen. Unsere Freuden sind unsere erhaltungsgemäßesten Ereignisse. Unser Lebenslied konsoniert zum Weltakkord, jede Dissonanz zu ihm ist Unlust.

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Jeder harmonisch bewegte Rhythmus hat etwas zur Gleichbewegung Zwingendes. Ein springender Quell, eine hüpfende Bachstelze, der wirbelnde Schnee sind heitere Dinge allein durch rhythmische Bewegung. Das Lachen ist vielleicht rhythmische Entladung von Seelenüberstrom. Darum so ansteckend.

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Eine durch nichts gehemmte Leichtigkeit seelischer Kontakte macht uns froh. Der leicht federnde Mechanismus in uns ist Behaglichkeit; nur wenn sich das Innere unempfunden, unbemerkt, von selbst reguliert, können wir heiter sein.

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Freude ist Hemmungsfortfall im Seelenapparat. Der Anker hebt sich und das Schwungrad unseres Organismus reißt den Verstand in den jubelnden Wirbel seiner schäumenden Kreise. Jeder erreicht einmal sein Maximum von Freude und Schmerz. Es ist eine Kunst zu wissen, welchen Maßes von beiden man überhaupt fähig ist.

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Wenn wir gerechter wären, würden wir zugeben, daß jedes Leben mehr frohe als trübe Sekunden gehabt hat. Wir verschwenden unsere Zufriedenheiten und rechnen wie Geizhälse mit unsern Widerwärtigkeiten. Der trefflichste Bücherrevisor ist die Krankheit, sie lehrt uns, die Bilanz richtig zu stellen.

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Daß das Leben an sich eine Lust ist, empfinden die meisten erst deutlich, wenn ein großer Schmerz im Verklingen ist, dann reicht allein die Empfindung der Ruhe an die Wollust heran.

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Ein Mensch ist so stark, wie er lustig sein kann. Man ist in dem Maße jung, als man empfänglich bleibt für die Freuden der Jugend. Ein vergnügter Greis ist eben nur ein alter Knabe.

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Die Kraft eines Volkes sollte man nach dem Maß seines Frohsinns messen. Wo Ernst ist, ist auch Sklaverei. Vertraue den Heiteren mehr als den Bedächtigen, sie sind lebensfähiger.

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Ein nicht fröhliches Kind ist unter allen Umständen ein krankes Kind.

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Es gehört Mut zu dem Bekenntnis glücklich zu sein, die meisten sind nur aus Furcht bescheiden. Der alte Aberglaube an den Neid der Götter macht viele zu Heuchlern und Verleugnern ihres Frohsinns.

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Der Sinn des Lebens wäre ein Unsinn, wenn er nicht auf Freude gestellt wäre. Alle Unlust, alle Traurigkeit ist ein schmerzliches Verlangen nach Lust. Diese ist der produktive Gedanke der Schöpfung, jene nur seine Negation. Der Pessimist ist ein anmaßender Kritiker des höchsten Kunstwerkes, des Lebens.

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