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Über die Diotima

In dem Platonischen Gespräche »Das Gastmahl« unterredet sich Sokrates mit seinen Freunden über die Liebe; und als ihn die Reihe trifft, seine Meinung zu sagen, so erzählt er statt dessen ein Gespräch zwischen sich und »Diotima, einer Seherin. Sie besaß in der Seherkunst und in vielen andern Dingen hohe Weisheit, verschaffte einst den Athenern, als sie zehn Jahre vor der Pest opferten, Aufschub der Seuche und lehrte mich die Kunst zu lieben.« Im Gespräche selbst nennt sich Sokrates ihren Bewunderer, ihren Schüler. Ihre reichhaltigen Gedanken über das Verlangen und das Schöne sind ebenso umfassend als scharfsinnig, ebenso bestimmt als zart. Die sanfte Größe, mit der sie redet, verrät ein Herz, welches ihrem hohen Verstande entsprach, und stellt uns ein Bild nicht nur schöner Weiblichkeit, sondern vielmehr vollendeter Menschheit dar. Ihr Gespräch mit dem Weisen ist eins der trefflichsten Überbleibsel des Altertums, und es ist wahrscheinlich genug, daß der Platonische Sokrates – wie in einigen andern Gesprächen, so auch hier – unter der Liebe, welche er von ihr gelernt zu haben bekennt, nicht vergängliche Freuden versteht, sondern nichts anders als die reine Güte eines vollendeten Gemüts.

Wer jenes Gespräch kennt und liebt Eine vortreffliche Übersetzung davon steht in Schillers »Thalia«., dem wird die vielleicht an sich geringfügige Frage nicht ganz gleichgültig sein: wer diese Diotima war, welche Plato so hohe Dinge sagen läßt. Wie gelangte diese Griechin zu einer Bildung, zu einem Geiste, welche unsrer gewöhnlichen Meinung von griechischen Frauen so sehr widersprechen? – Vielleicht erinnert sich auch einer oder der andre, daß der seelenvolle Hemsterhuis in dem vollkommensten seiner Gespräche, dem »Simon«, diesen Namen aufs schönste erneuert hat.

Diese antiquarische Kleinigkeit erregt zuerst dadurch Aufmerksamkeit, daß sie als ein Rätsel erscheint, welches dem Scharfsinn des Altertumsforschers zu schaffen macht. Dann wird sie Veranlassung, die gewöhnlichen Meinungen und Vorurteile über die griechischen Frauen zu berichtigen und dadurch über das öffentliche und häusliche Leben der Griechen ein neues Licht zu verbreiten. Was die Untersuchung auf diesem Wege sammelt, wird sich von selbst zu einem Bilde griechischer Weiblichkeit ordnen, in welchem zwar noch Lücken bleiben, dessen fester Zusammenhang jedoch den Freund der Griechen aufs angenehmste überrascht. So wie es oft nicht unmöglich gewesen ist, aus den kleinsten Bruchstücken einer zerstückelten Statue, und bei beträchtlichen Lücken, das Ganze des Bildes wiederherzustellen, so zeigt sich auch hier ein Leitfaden, das Verlorne zu ergänzen, das Zerstückte wieder zusammenzusetzen, und die Hoffnung zu einer nicht ganz unvollständigen Geschichte der griechischen Weiblichkeit. Wenn wir die vorläufigen Umrisse derselben mit unsern Sitten und Meinungen, mit der Geschichte andrer Völker, mit den Grundsätzen der reinen Seelenlehre und Sittenlehre vergleichen, so eröffnen sich Aussichten, die so weitumfassend und reichhaltig sind, daß sie jeden Freund der Wissenschaft, der Geschichte, ja der Menschenkenntnis überhaupt anziehen müssen.

Plato sagt uns von der äußern Lage Diotimens nichts weiter, als daß sie aus Mantinea war; er erwähnt ihrer in keinem seiner noch vorhandnen Gespräche außer dem genannten. Bei ältern Schriftstellern finde ich keine Spur, und die spätern begnügen sich meistens, sie zu nennen. Wir müssen also zu Vermutungen unsre Zuflucht nehmen. Eine schlüpfrige Bahn, auf der die sorgfältigste Prüfung uns leiten soll! – Die gewöhnliche Meinung ist, daß gesittete Frauen bei den Griechen ohne Bildung, vom Umgange mit Männern ausgeschlossen, ja unterdrückt und verachtet waren, daß nur Buhlerinnen höhere Bildung hatten und Umgang mit Männern genossen. Wer von dieser Meinung voll ist und Platos Gespräch nur flüchtig liest, der wird unsre Frage sehr rasch entscheiden und Diotima ohne Zweifel für eine Hetäre erklären Dies scheint in der Schrift »Über die Weiber«, S. 27, zu geschehen., weil sie ja doch Bildung zu haben scheint und mit einem Manne Gespräche wechselt. Eine Erklärung, welcher sich so wichtige Einwürfe entgegenstellen, daß wir sie durchaus verwerfen müssen.

 

Das griechische Kleinasien war das Vaterland der Hetären, das üppige Korinth ihr reichstes Nest und Athen die Hohe Schule, wo sie ihre höchste Bildung erreichten. In Ionien nämlich schien die Natur, der Himmel selbst zum Genuß einzuladen, zur Weichlichkeit zu verführen, und das Beispiel benachbarter üppiger Völker, der Lydier usw., war überflüssig. Die ionische Bildung ging mehr auf Einbildungskraft und Verstand, vernachlässigte dagegen die Sitten, welche daher schnell entarteten. Die älteste städtische Verfassung der Ionier war frei, aber die Freiheit des einzelnen war durch keine weise Gesetzgebung gemäßigt und zur Einheit geordnet. Diese Verfassung war frühe, ja eigentlich ursprünglich, oligarchisch; und schon Aristoteles hat bemerkt, daß die Weiber in Oligarchien sittenlos sind. Sie artete bald in Tyrannei aus und endigte schnell in Sklaverei unter fremden üppigen Völkern; wo aber fände ausschweifende Wollust wärmere Pflege als unter dem breiten Flügel der Tyrannei, wo mehr Diener als unter Sklaven? Selbst Bürgerinnen lebten im griechischen Kleinasien sittenlos, wie das übereinstimmende Urteil die Lesbierinnen beschuldigt. Natürlich fand sich dann keine größere Strenge bei denjenigen, in denen der Verlust der bürgerlichen Freiheit vielleicht das Gefühl der sittlichen Freiheit und der sittlichen Würde schwächte, welche durch Abhängigkeit der Verführung preisgegeben waren oder denen schändlicher Eigennutz die Unschuld noch unmündig raubte. Es darf uns daher nicht befremden, in den reichsten Städten Ioniens und überhaupt in bevölkerten See- und Handelsstädten des festen griechischen Landes eine zahlreiche Zunft von Weibern zu finden, die von ihren Reizen und ihrer Gefälligkeit lebten.

Die griechische Bildung aber, welche das Eigentümliche hat, daß sie die ganze Masse durchdringt, sich über jede Tätigkeit jedes einzelnen erstreckt, deren Umfang dem Umfange der menschlichen Natur in ihrer Größe und Schwäche selbst gleich ist, die das Edle höher erhebt und selbst das Niedrige verschönert: diese verbreitete einen milden Schimmer auch über die armselige Niedrigkeit der schimpflichsten Lebensart. Die griechischen Hetären genossen, indem sie gewährten; bildeten, indem sie vergnügten: gleich tief unter dem freien Erguß eines begeisterten Herzens und gleich weit über gefühllose Nichtswürdigkeit, war ihr Leben einer schönen sinnlichen Kunst zu vergleichen. Diese Kunst empfing ihre erste Bildung vielleicht in dem üppigen, weichlichen Milet, ihre letzte Vollendung zu Athen. Schon Solon, der gerechteste, weiseste, menschlichste aller griechischen, ja vielleicht aller menschlichen Gesetzgeber – der, was er nicht zu ändern vermochte, statt kraftloser oder verderblicher Verbote, gesetzmäßig zu ordnen versuchte –, sicherte zwar die Sitten der Bürgerinnen durch strenge Strafgesetze gegen Ehebruch, Verführung und Verkupplung der Freien, gewährte aber den Hetären Duldung und Schutz: ja, er kaufte zuerst Mädchen für öffentliche Häuser, stiftete der Venus Pandemos den ersten Tempel in Attika. »Eine herrliche, eine patriotische Erfindung!« sagt der Komiker Philemon. Andre Gesetzgebungen rauben dem Bürger seine Rechte, verführen ihn zum Laster und strafen dann tölpisch hinterdrein. Der menschenfreundliche Solon gewährte den Unglücklichen, welchen die Geburt die Rechte der Bürgerinnen versagte oder ein Zufall sie entriß, das einzige, was in seiner Macht stand: wenigstens öffentliche Duldung. Der menschliche Geist des attischen Volks bestätigte das Gesetz Solons und gewährte ihnen öffentliche Schonung: es fiel wenigstens ein Grund der Nichtswürdigkeit weg, indem grenzenlose und rettungslose Verachtung nicht zur Verzweiflung zwang. Das öffentliche Urteil zu Athen erkannte das Gute und Schöne unter jeder Gestalt und ließ dem Gefallnen die Rückkehr frei. Wie oft und wie leicht konnte, bei der Art der alten Kriege, ein grausamer Zufall Mädchen, die im Bewußtsein der bürgerlichen Freiheit und in edeln Sitten erzogen waren, in das Schicksal und die Lebensart der Sklavinnen stürzen! Ja selbst bei diesen war die erste Veranlassung ihrer Lebensart nicht sowohl eigne Schuld, Sinnlichkeit oder Eigennutz als das Unglück der Geburt.

So wird es begreiflich, wie es eine Eigentümlichkeit des feinen Menander, des Philosophen der neuen Komödie, sein konnte, die Hetären fast immer gut und edel darzustellen; so wird es begreiflich, daß wir sie oft in einer Verbindung mit Männern antreffen, in welcher sich mit der Anmut der Geliebten die ernste Tätigkeit der Frau, die Würde der Mutter vereinigt, welcher zur Ehe nur die bürgerliche oder priesterliche Weihung – ein Vorrecht der Freien – fehlt. So lebten fast die meisten spätern attischen Philosophen mit Hetären. Wenngleich nicht alles wahr ist, was nachlässige, stumpfsinnige oder lügenhafte Sammler nach unbestimmten Geschichten des Tages erzählen oder Komödiendichtern, welche sagten, was das Volk, das den Philosophen sehr abgeneigt war, gern hörte, nachgeschrieben haben; wenngleich die Sitten nicht aller Philosophen gleich strenge waren: so bleibt es doch immer befremdend. Der Grund dieser Sonderbarkeit aber ist dieser: die Philosophen hatten die größte und gerechteste Abneigung gegen bürgerliche Heiraten. Eine Familienverbindung war von einer politischen unzertrennlich; wer häusliche Geschäfte führte, konnte den öffentlichen nicht entsagen. Und so wurden sie denn durch eine Heirat in den trüben Strudel des öffentlichen geschäftigen Lebens fortgerissen, wo (damals wenigstens) Eigennutz und Sinnlichkeit, Betrügerei und Zwietracht sich in ewigem, kleinlichem Kreise drehten. Um ungestört zu denken und nach ihren Grundsätzen zu leben, mußten sie sich dem vergifteten Strome der politischen Tätigkeit entreißen; und dies konnte nur auf solche Weise ganz geschehen.

Im allgemeinen waren zwar die, welche der Rechte der Bürgerinnen entbehrten, auch frei von ihren Pflichten: aber Gesetzlosigkeit war zu Athen nicht auch Sittenlosigkeit; und selbst Sittenlosigkeit kann bei jedem gebildeten Volke noch so viele Bruchstücke des Guten und Schönen retten, daß sie ein der Achtung nicht ganz unähnliches Gefühl einflößt. Römische Laster sind nicht selten mit einer Kraft, einer Selbständigkeit gepaart, gegen welche die besten Tugenden der Barbaren kindisch und schwächlich erscheinen. Aber die griechische Bildung zeigt auch in ihrer Verderbtheit eine Regsamkeit jeder einzelnen, eine Vollständigkeit aller Kräfte des Gemüts, eine Fülle in freier Einheit, gegen welche die römische Größe nur plump und dürftig erscheint. – Die milesische Aspasia war es vorzüglich, welche die attischen Hetären lehrte, sich durch Geist und Schönheit Unabhängigkeit, durch die feinste Kultur aber öffentliche Achtung zu erwerben; sie, deren Umgange die größten Männer ihres Zeitalters ihre schönste Bildung verdankten. In dem »Menexenus« des Plato nennt Sokrates diese Freundin des Perikles »seine Lehrerin in der Beredsamkeit; sie habe viele andre große Redner gebildet und auch den vollkommensten: Perikles«. Durch Aspasia ward die Hetärenkunst so sehr zur schönen Kunst, daß sie, wie etwa ein Meister der Malerei seinen Geist nicht nur in eignen Werken ausdrückt, sondern auch in seinen Schülern fortpflanzt, eine Hetären schule stiftete. Ja wir nehmen in dem Geiste der Hetären, wie in Werken der Poesie oder der Beredsamkeit, die Stufen des öffentlichen Geschmacks ganz deutlich wahr; und so sonderbar es klingt, kann man doch mit Grunde sagen: Aspasia war eine Hetäre im schönen, Lais im schwelgerischen, Thais im feinen Stil. Von den Hetären aus diesem letzten Stil haben wir die vollständigste Darstellung im Terenz und Plautus; und die »Hetärengespräche« Luzians stimmen mit ihnen so sehr überein, daß ich vermuten möchte, Luzian oder der Vorgänger, welchem er folgte, hatten Schriftsteller der neuen Komödie vor Augen. Die neue attische Komödie fiel nämlich in das Zeitalter des feinen Stils; und nachdem der komischen Dichtkunst die Darstellung des öffentlichen Lebens entrissen war, blieb ihr nur die Darstellung des einzelnen Lebens übrig Man siehe des Verfassers Aufsatz »Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie«, 1794, Dezember, Nr. 3, vorzüglich S. 503 f., an dessen Leidenschaften und Freuden die Hetären mehr Ansprüche hatten als die Matronen.

Plato und Xenophon bezeugen es, daß Sokrates mit Aspasia umgegangen ist; auch wird ihr ein Gedicht an Sokrates über seine Neigung zum Alcibiades zugeschrieben. Aber, könnte man denken, dies war wohl nur eine Ausnahme; Aspasia erhielt durch ihre Freundschaft mit dem mächtigen Perikles ein öffentliches Ansehn, ja sogar einen Einfluß in die Staatsgeschäfte, welcher dem der Mätressen in neuern Monarchien nicht ganz unähnlich ist. – Es findet sich aber noch ein andres Beispiel, welches diese Auslegung nicht zuläßt. Als man mit Sokrates einmal von »der Theodore« sprach, »einer schönen Frau, die mit ihrer Gunst freigebig und deren Schönheit unbeschreiblich sei – die Maler drängten sich herbei, um sie zu zeichnen, deren Augen sie ihre Reize vergönne« –, so besuchte er sie mit seinen jungen Freunden, indem er sagte: »Das Unbeschreibliche könne man ja aus Beschreibungen nicht kennenlernen.« – Und überhaupt zu Athen, wo das öffentliche Urteil gleich weit von geistloser Steifheit und von gesetzloser Gleichgültigkeit entfernt, wo nur das Schlechte unanständig war, wo es keine eigentlichen Vorurteile, welche bei Barbaren die Stelle des sittlichen Gefühls vertreten, gab, da durfte der Weiseste seines Zeitalters wohl mit einer leichtsinnigen Priesterin der Freude Gespräche wechseln.

Wäre aber Diotima eine Hetäre, so wäre es schon sonderbar, daß ihr Namen in keinem von den ziemlich weitläufigen Hetärenverzeichnissen zu finden ist, daß Plato von einer Buhlerin, die so unbedeutend war, daß kein Anekdotensammler, kein Literator von ihr wußte, so viel Wesens macht. Vollends unmöglich konnte sie aber von der Liebe dann so reden, Plato sie so reden lassen. Lais zum Beispiel, welcher Diogenes »den Preis der griechischen Unzucht« zuerkannte – und das Urteil »des weisen Hundes, der mit männlichem Sinn sein nacktes Leben ausarbeitete«, gilt hier nicht wenig –, Lais, »die ihre allerverbreitete Gunst nach dem Gewinn ordnete«, konnte vielleicht alle einzelnen lieben, aber vermutlich nicht bloß um der Gattung willen: wahrscheinlich blieb die unterste Stufe Diotimens ihr höchstes Ziel. Die Schönheit der einzelnen Gestalten nämlich ist, nach der Lehre der Seherin, die unterste Stufe auf der Leiter zum Ziele der Liebeskunst, dem unvergänglichen und allgemeingültigen Schönen, in dessen Genuß das Leben erst Leben genannt zu werden verdient. Der Strom ihrer Rede ergießt sich mit der heiligen Wut, die keine Venus Hetäre gewähren kann, mit welcher der Gott der Seher und Künstler allein seine liebsten Günstlinge erfüllt. – Auch war ihr Leben, nach dem Zeugnis des Platonischen Sokrates, dem Gotte der Harmonie geweiht: sie war die Priesterin des unsterblichen Sehers und verkündigte huldreich den Sterblichen, was der göttliche Jüngling ihrer reinen Seele vertraute. Mit diesem heiligen Amt war keine Hetäre bekleidet, diese heilige Kunst Apollos übte keine Sklavin! Man wird Beispiele finden, daß Seher herumreisende Fremde waren, aber keines, daß sie Sklaven waren. Nichts widerspricht den griechischen Sitten so sehr. Die kleinste heilige Handlung war bei den Griechen öffentlich und bürgerlich; schon ein gottesdienstliches Fest war ein bürgerliches Vorrecht. Die Hetären waren von den eignen Festen der Bürgerinnen ausdrücklich ausgeschlossen. Es wird als eine Sonderbarkeit bemerkt, daß zu Korinth, wo tausend der reizendsten dieser Mädchen den Tempel der Venus schmückten, nach einer alten Sitte, wenn der Venus ein großes Fest gefeiert ward, die Hetären teil an demselben nahmen; die aber dennoch von den Bürgerinnen abgesondert gewesen zu sein scheinen und außerdem ihre eignen Aphrodisia hatten. – Überhaupt vergißt man es oft oder bezweifelt es wohl gar, daß die Hetären fast nie Freie waren. Die Mädchen wenigstens, welche Solon kaufte oder deren eine bestimmte Anzahl der Göttin zu weihen korinthische Bürger nicht selten das Gelübde taten, waren doch nicht frei? Zu Athen verlor jede freie Person, welche ihre Reize verkaufte, die Bürgerrechte, und der Kuppler ward am Leben gestraft; ja durch den Ehebruch verloren die Frauen das Recht, an den Festen der Bürgerinnen teilzunehmen.

Diotima ist also keine Hetäre. Entweder steht sie unerklärlich und einzeln in der griechischen Geschichte, oder es gab, wider die gewöhnliche Meinung, noch außer den Hetären eine andre Klasse von griechischen Frauen, in welcher die Bildung möglich war, welche ihr Gespräch voraussetzt.

Da Proklus, ein später, aber nicht unbelesner Schriftsteller, in seinem Kommentare zu der »Republik« des Plato über dessen Lehre von der weiblichen Erziehung redet, sagt er: der Satz, daß die Vollkommenheit (Bestimmung) beider Geschlechter nur eine sei, habe den Platonischen Sokrates bewogen, für beide Geschlechter gleiche Erziehung zu bestimmen; die Veranlassung dazu habe ihm aber die Erfahrung gegeben. Hier beruft er sich auf das Leben der pythagoreischen Frauen und nennt unter denselben, neben der Theano und Mycha, auch die Diotima. – Aber durch diese Erklärung ist unsre Frage, scheint es, nur allgemeiner und verwickelter geworden: denn die Nachrichten von Pythagoras und seinen Orgien sind zwar zahlreich, aber ebenso unsicher als unbestimmt. So sind auch die Nachrichten von diesen pythagoreischen Frauen, über welche der attische Philochorus geschrieben hatte, teils sehr unbestimmt, teils haben sie sehr späte Gewährsmänner. Notorisch ist es, daß unter den Freunden und Nachfolgern Pythagoras' nicht nur Männer, sondern auch Frauen sehr berühmt wurden, deren Jamblichus siebzehn nennt. Seiner Tochter Damo soll er seine Schriften hinterlassen haben. »Der Raserei, die ihn an die Theano« – eine Philosophin, welcher man Gedichte zuschrieb – »fesselte«, erwähnt der Dichter Hermesianax in der merkwürdigen Elegie, deren historischer Teil jedoch nicht ohne dichterische Freiheit oder Nachlässigkeit ist. Einigen dieser Frauen wurden in sehr späten Zeiten wissenschaftliche Werke untergeschoben, aus denen sich Bruchstücke beim Stobäus finden. Von andern erzählt man oft bis zum Abenteuerlichen wunderbare Heldentaten, treffende Antworten oder philosophische Sentenzen. – Die Prüfung des Einzelnen geht uns hier nichts an. Das Allgemeine aber, was alle jene Nachrichten übereinstimmend entweder ausdrücklich bestätigen oder stillschweigend voraussetzen, hat einen sehr glaubwürdigen und einsichtsvollen Zeugen für sich – den Dikäarchus: daß nämlich Pythagoras auch eine Gesellschaft Frauen vereinigte und daß nicht Männer allein, sondern auch Frauen seine Schüler waren. Er unterrichtete bei seiner Ankunft zu Kroton auch die Weiber. Sie genossen also eine höhere Bildung als sonst griechische Frauen, ja sogar eine wissenschaftliche. Daraus scheint notwendig zu folgen, was andre Nachrichten stillschweigend voraussetzen: daß sie vom Umgange mit Männern nicht ausgeschlossen waren. Also schon ein Beispiel gegen die gewöhnliche Meinung! – Über ihre öffentlichen Verhältnisse und ihre häusliche Lebensart haben wir sowenig wie über die Gesetzgebung des Pythagoras überhaupt bestimmte Nachrichten. Waren sie etwa nicht bloß in ihrer Erziehung, sondern auch in ihren Rechten und Pflichten von den andren griechischen Frauen verschieden?

Es springt in die Augen, daß dieser, wenngleich unbestimmte Begriff mit unsrer Diotima sehr gut übereinstimmt. Er erklärt ihre wissenschaftliche Bildung, ihren philosophischen Geist. Das Amt der Seherin, ihre Sprache, die sich zwar ganz in reine Vernunft auflösen läßt, aber doch nicht ohne einige Ähnlichkeit mit der Sprache der Schwärmer ist, verträgt sich recht wohl mit der Eigentümlichkeit des Pythagorismus, wie er kurz vor oder zur Zeit Platos sein mochte. Auch davon, daß es um die Zeit des Sokrates und Plato noch pythagoreische Frauen selbst in Griechenland geben mochte, findet sich eine Spur. Unter den vielen Komödien über die Pythagoreer, die auf der attischen Bühne gegeben wurden, führt Athenäus ein Stück »Pythagorizuse« von Kratinus an (ohne jedoch zu bemerken, ob es der ältere, der Äschylus der alten Komödie, oder der jüngere Dichter gleiches Namens geschrieben habe); und eine Komödie mit derselben Benennung von Alexis zitiert Diogenes.

Aber selbst Dikäarch ist ein später Zeuge; und da die Resultate der Untersuchung so unbestimmt sind, so kann es nicht überflüssig scheinen, ihnen durch Analogie eine doppelte, sehr starke Bestätigung zu geben. Diese finden wir:

1. in den Meinungen der Philosophen, vorzüglich des Plato, über Weiblichkeit und weibliche Erziehung;

2. in den lakonischen Sitten, dem zweiten Beispiele gegen die herrschende Vorstellung. – Man denke sich den Pythagorismus etwa als einen frühen, noch rohen Versuch, die Sitten und den Staat den Ideen der reinen Vernunft gemäß einzurichten, Philosophie mit dorischer Politik und Musik zu vereinigen und dem überwiegenden Demokratismus zu widerstehn Nur Gesetzgebung und öffentliche Erziehung sichern gegen Oligarchie, und öffentliche Tugend ist die einzige Ägide der Demokratie gegen Ochlokratie und Tyrannei: drei Ungeheuer, welche damal Griechenland verheerten. Hätte doch Pythagoras den Demokratismus zu reinigen gesucht, statt sich umsonst zu bemühen, ihn zu vernichten!, nicht ohne Vorliebe für ägyptische Kastenabsonderung. Ein Versuch, welcher aus der dreifachen Ursache mißlang, weil erstlich der Hellenismus mit ägyptischer Kasteneinrichtung, sodann der Dorismus mit Philosophie unvereinbar waren und weil endlich der Strom des Demokratismus unaufhaltbar fortriß. Was ist demnach die politische Philosophie Platos, in welcher wir alle diese Züge wiederfinden, anders als die reife, vollständige Ausbildung des pythagorischen Keimes? In der platonischen Politik werden wir also vielleicht Erläuterungen und Bestätigungen der pythagoreischen finden.

Wenn sich irgend etwas aus der Geschichte des Pythagoras und seines Bundes als gewiß oder wahrscheinlich annehmen läßt; wenn es einen Leitfaden gibt, den Weg aus diesem Labyrinthe zu finden, so ist es dies: der Pythagorismus war ganz im dorischen Stil, für dorische Sitten und für dorische Staaten entworfen. Die wahrscheinlichsten Züge von den Sitten und dem Leben des Pythagoras und seiner Nachfolger verraten milde Großheit, dieses unverkennbare Merkmal des dorischen Stils. Zu Kroton hatte er selbst seinen Sitz, hier stiftete er seinen Bund, hier war der Mittelpunkt der Gesellschaft. Die höchste Blüte der Gymnastik aber zu Kroton scheint auf dorische Sitten und die nach dem Zeugnis des Dikäarch aristokratische Verfassung der tausend Geronten auf dorischen Ursprung zu deuten. Dürfte man annehmen, daß diese, nach den Berichten Herodots und Strabos achäische Kolonie vielleicht durch eine spätere dorisiert worden sei, so würde sich auch der heftige Nationalhaß gegen Sybaris besser begreifen lassen. Sybaris war rein achäisch und demokratisch, wie die Verjagung der Reichen zur Zeit des Pythagoras bestätigt; und der König Telys bei Herodot war (nach einem öfter von ihm gebrauchten Ausdruck) ein demagogischer Tyrann, dessen Herrschaft gestürzt und dessen Anhänger ermordet wurden. Sybaris scheint der Gesellschaft des Pythagoras abgeneigt gewesen zu sein, wie der Krieg mit Kroton, während der Weltweise daselbst herrschte, und die Sage zu beweisen scheint, er sei zuerst bei Sybaris ans Land gestiegen, habe aber seinen Entschluß bald geändert. Der andre Staat, wo der Pythagoreische Bund hauptsächlich blühte, Tarent, war eine lakonische Kolonie und ward erst spät, kurz nach dem Persischen Kriege, demokratisch. – Da nun dorische Sitten zu Sparta sich am reinsten erhielten und die höchste Bildung und Blüte erreichten, da auch die Nachrichten hier wenigstens zahlreicher sind, so dürfen wir hoffen, auch in den lakonischen Sitten Erläuterung für die Geschichte der pythagoreischen Frauen zu finden.

 

Die verschiednen Systeme der griechischen Philosophie, das rationale, das empirische, das skeptische usw., entstanden nicht auf einmal, sondern bildeten sich allmählich und zusammenhängend, indem der Philosoph, wie der Dichter oder der Bildner seinem Meister folgte, so das angefangne Werk seines Vorgängers vervollkommnete. Daher sind in der Lehre von der weiblichen Bestimmung und der weiblichen Erziehung die größten rationalen Moralisten und Politiker der Griechen so übereinstimmend. Daher hat vielleicht schon Pythagoras, der Vater der rationalen Moral und Politik unter den Griechen, den ersten Keim dazu erfunden, die ersten Umrisse entworfen, aus denen nachher die Meinungen des Plato und der Stoiker wurden. Nicht nur Plato verwarf in seinem Entwurfe eines vollkommenen Staates die Ehe und forderte Gemeinschaft der Weiber wie der Güter, sondern auch Diogenes der Zyniker, Zeno und Chrysippus, die Fürsten der Stoa, waren dieser Meinung, die, weil sie unsre Eigentümlichkeit beleidigt, uns vernunftwidrig zu sein scheint. Es ist aber leichter, sie zu verspotten oder geringzuschätzen, als ihren großen Sinn zu verstehen: die Forderung nämlich, daß die Weiblichkeit wie die Männlichkeit der höhern Menschlichkeit untergeordnet sein soll; die erhabne Lehre, daß vollständige Gemeinschaft das Wesen des Staats ist, deren erste Bedingungen nur Gesetzmäßigkeit und Freiheit sind. Was aber widerspricht ihr so schneidend als die Absonderung der Ehe und des Eigentums? Doch dies gehört für die Zeit, »wo die Weisen herrschen oder die Herrscher Weise sein werden«; ich erwähne es nur, weil es nicht ohne Verbindung mit den Meinungen Platos und der Stoiker über weibliche Bestimmung und weibliche Erziehung ist, welche die Nachrichten von den pythagoreischen Frauen erläutern und bestätigen können. Zwar war noch eine Verschiedenheit zwischen der Lehre des Plato und der Stoiker, die aber für unsern Zweck gleichgültig ist. Genug, beide behaupteten, die Bestimmung des männlichen und weiblichen Geschlechtes sei nur eine; der Stoiker Kleanthes schrieb ein eignes Werk darüber, daß männliche und weibliche Vollkommenheit nur eine und dieselbe seien. Plato fordert in seinem Entwurfe eines griechischen Freistaates, daß die öffentliche Erziehung sich auf die Frauen erstrecke; sie sollen an Gymnastik und Musik, an den öffentlichen Gesellschaften, kurz, an der Bildung, an den Pflichten, aber auch an den Rechten der Männer teilnehmen. Die griechische Geschichte hat die Rechtmäßigkeit dieser Forderung vollkommen bestätigt und die gesetzgebende Weisheit Platos gerechtfertigt. Die Vernunft sagt uns, daß ein Staat, in welchem die Gesetzmäßigkeit nur auf Kosten der Freiheit erreicht wird, sehr unvollkommen sei; und die Erfahrung lehrt uns, daß ein Staat, wo die öffentliche Erziehung sich nicht so weit verbreitet als die Freiheit, entarten muß. – Die Peripatetiker waren der entgegengesetzten Meinung. Aristoteles tadelt nicht nur die platonischen Grundsätze und die lakonischen Sitten in dieser Rücksicht, sondern er kann sich auch über den geringem Wert und die geringere Fähigkeit der Weiber nicht hart genug ausdrücken. Eine ähnliche Stelle beim Lukrez ist doch vielleicht nicht hinreichend, um vermuten zu dürfen, daß Epikur in diesem Stücke wie Aristoteles dachte, welches sonst nicht unwahrscheinlich ist.

Mit den Meinungen Platos, der die spartanischen Sitten in diesem Stücke nur insofern tadelte, weil sie auf halbem Wege stehenblieben, und mit dem Versuche des Pythagoras stimmen die Sitten der lakonischen Frauen sehr gut überein. Die Mädchen hatten teil an der öffentlichen Erziehung, an der Gymnastik und Musik, welche den Umfang auch der männlichen Bildung in Sparta erschöpften. Die Frauen entsagten zwar den gymnastischen Übungen, führten die Aufsicht über die häuslichen Geschäfte (ohne jedoch mit weiblichen Arbeiten sich so sehr zu beschäftigen wie etwa die attischen Frauen), nahmen keinen Anteil an den bürgerlichen Gastmahlen, aber doch an der Gesellschaft der Männer, und genossen auch die öffentliche Achtung in sehr hohem Grade. – Die spartanische Sittengeschichte konnte aus bekannten Ursachen sehr leicht verfälscht werden, welches frühe geschah, indem schon ältere Philosophen durch ihre Vorliebe für dorische Gesetzmäßigkeit und dorische Kraft den spätem Deklamatoren Anlaß dazu gaben. Wer also alle Geschichten Plutarchs vom Heldenmute der Spartanerinnen unbedingt annehmen wollte, der würde nur beweisen, daß er besser glauben als prüfen könne; wer alle unbedingt verwerfen wollte, daß er nicht zu unterscheiden wisse. Auch lassen sich nicht selten ohne Sehergabe die alten, echten Erzählungen von den spätem Schulübungen bei diesem Schriftsteller unterscheiden, welche letztern nach Art der ältern erfunden wurden: wie z. B. die älteste, einfache Sinnschrift auf eine lakonische Mutter, die ihren flüchtigen Sohn umbrachte, von den beiden spätern. Worin alle Nachrichten mit den ältesten und besten übereinstimmen, das läßt sich vielleicht als wahrscheinlich voraussetzen: daß die lakonischen Frauen zu der Zeit, da die Sitten noch nicht entartet waren, von hoher Vaterlandsliebe beseelt und sogar fähig waren, derselben die Muttergefühle aufzuopfern. So einzig dies in der Geschichte bleibt, so ist es dennoch nicht unwahrscheinlich. Denn zu Sparta ward überhaupt die Natur dem Gesetz und der Liebe aufgeopfert. Kein Trieb ist so mächtig als falsche Scham; daher kann man als die höchste Blüte der dorischen Tugend den Augenblick ansehen, wo die Spartaner in reiner, heiliger Begeisterung die Kleidung und niedrige Scham von sich warfen und nackend ihre Kampfspiele feierten. In diesem großen Augenblick, wo sie auf dem Altar der Liebe dem Gesetz die letzte Schwäche der Natur zum Opfer brachten, entfaltete sich die Knospe ihres Staates zur vollen Blume: es war ihre Schlacht bei Salamis. Anfänglich schien diese öffentliche Nacktheit der Männer selbst den Griechen, wie den Barbaren jederzeit, unanständig und lächerlich, bis die Vernunft siegte. Barbaren und Ionier hielten die Männerliebe für schändlich, die sie nur als Laster kannten; andre Dorier verwechselten das Schöne mit dem Reizenden, und es schien schlechthin erlaubt, den Liebenden Gunst zu gewähren. So strebte man zu Elis nur nach Vereinigung, und die Böotier genossen bloß die Blüte der Jugend; die Lazedämonier aber unterschieden den himmlischen Amor von dem irdischen, die Seele ihrer Liebe war Tugend und Bildung.

Die gymnastischen Übungen der Mädchen, mit leichter oder ohne alle Bekleidung, widersprachen zwar den ionischen und barbarischen Sitten, aber der Gesundheit und Gestalt waren sie wohl nicht nachteilig: denn die Schönheit, Gesundheit und große Bildung der lakonischen Frauen ist bekannt. In spätern Zeiten hingegen konnten sie die ohnehin eingerißne Sittenlosigkeit vielleicht verdoppeln. Der römische Kallimachus beneidet Sparta um die günstige Gelegenheit, die zwanglose Freiheit, welche die gymnischen Spiele der Mädchen den Liebenden gewährten, und wünscht Rom ähnliche Sitten. Es ist nämlich bekannt, daß die lakonischen Frauen, nachdem ihre Sitten entartet waren, an Ausschweifungen, Herrschsucht und Habsucht alle andre Griechinnen übertrafen, und die größere Kraft ihrer Laster erinnert an die Hoheit ihrer Tugend. Aristoteles hat ein kräftiges Gemälde davon entworfen, welches in seinem Zeitalter vermutlich sehr treu war. Hatte er aber die Absicht, unbedingt zu tadeln, und vermischte er die Zeiten, so läßt er sich eher entschuldigen als rechtfertigen. – Nachdem die Eigenheiten der griechischen Stämme sich verwischten, nachdem die Blüte dorischer Tugend verwelkte (welches schon im Peloponnesischen Kriege geschah), ging auch bald die bestimmte Kenntnis davon verloren. Da konnte man von der dorischen Tugend überhaupt sagen, was schon Eupolis von den dorischen Gesängen des thebanischen Adlers sagte: »Sie sind verstummt durch die Gefühllosigkeit des Haufens.« War sie auch kurz, so gab es doch eine Zeit, wo man behaupten konnte, daß lakonische Frauen männliche Kraft und Selbständigkeit, lakonische Jünglinge aber weibliche Bescheidenheit, Schamhaftigkeit und Sanftmut besaßen.

Aber mußten nicht diese männlichen Übungen der spartanischen Mädchen, wie die wissenschaftliche Bildung der pythagoreischen Frauen, die Weiblichkeit vertilgen? Sie scheinen uns so vernunftwidrig wie die Behauptungen Platos und beleidigen unsre ganze Eigentümlichkeit. Ihre Rechtfertigung ist diese. Manche Eigenheit jener Sitten und Meinungen findet ihre Entschuldigung in der frühern Stufe der Wissenschaft, manche andre ihre völlige Rechtfertigung in der Natur der griechischen Freistaaten. Trennen wir aber das Wesentliche vom Zufälligen, so ist der Grundsatz unwiderleglich: die Weiblichkeit soll wie die Männlichkeit zur höhern Menschlichkeit gereinigt werden; und der Versuch, wenn er gleich mißlang, bleibt immer ruhmwürdig, in den Sitten und im Staate das zu erreichen, was die Idealkunst der attischen Tragödie wirklich erreicht hat: das Geschlecht, ohne es zu vertilgen, dennoch der Gattung unterzuordnen. Die Richtung der griechischen Sitten ging auf das Notwendige, der unsrigen auf das Zufällige und Einzelne. Was ist häßlicher als die überladne Weiblichkeit, was ist ekelhafter als die übertriebne Männlichkeit, die in unsern Sitten, in unsern Meinungen, ja auch in unsrer bessern Kunst herrscht? – Ja sogar auf künstlerische Darstellungen, welche idealisch sein sollen, auf Versuche, den Begriff der Weiblichkeit rein zu entwickeln, äußert diese verderbliche Denkart ihren Einfluß. Man betrachtet die Bestandteile der reinen Weiblichkeit oder Männlichkeit als notwendige Eigenschaften, die die Freiheit des Gemüts vernichten würden. Sie sind aber nur Lockungen oder Erleichterungen der Natur; und sie zu lenken, ohne sie zu zerstören, mit Schonung der Natur der Notwendigkeit gehorchen ist das höchste Kunstwerk der Freiheit. Man nimmt zweitens in den Begriff der reinen Weiblichkeit – der vielleicht nur zwei Bestandteile: Innigkeit und Zartheit, wie der Begriff der Männlichkeit: Umfang und Bestimmtheit, hat – zu viel Merkmale auf, Merkmale, die aus der Erfahrung geschöpft sind und nur einer übertriebenen Weiblichkeit zukommen: Beharrlichkeit und Einfachheit als einen Vorzug des Geschlechts. Man versteht darunter nichts anders als die absolute Charakterlosigkeit, die das Gesetz ihrer Sitten von einem fremden Wesen empfängt; und die von außen gegebne Einheit ist hier freilich vollendeter als die selbsttätige, von innen mühsam erkämpfte Beharrlichkeit des Mannes. Aber eben der herrschsüchtige Ungestüm des Mannes und die selbstlose Hingegebenheit des Weibes ist schon übertrieben und häßlich. Nur selbständige Weiblichkeit, nur sanfte Männlichkeit ist gut und schön.

Wider die gewöhnliche Meinung haben wir schon zwei Beispiele von griechischen Frauen kennenlernen, welche von der Gesellschaft und der Bildung der Männer nicht ausgeschlossen waren. Es gibt deren noch zwei; noch zwei Klassen von mehr als andre gebildeten griechischen Frauen. Die erste ist so bekannt, daß ich nur an sie zu erinnern brauche: die mazedonischen Fürstinnen, vom Anbeginn des griechischen Despotismus bis zur Zerstörung aller griechisch-asiatischen Reiche durch die Römer. Sehr häufig zwang diese Fürstinnen die Not oder verführte sie die Herrschsucht, an den Streitigkeiten, den Verbrechen, den Geschäften und also auch an der Bildung ihrer Männer, Brüder und Söhne teilzunehmen oder wohl gar über große Völker selbst zu herrschen. Nach dem Tode Alexander des Großen wurden Sieg und Macht ein Preis des Tapfersten, des Kühnsten, des Verschlagensten. Im steten Kampf der heftigsten Triebe, im Überfluß aller Mittel konnte sich alles Große entwickeln, was mit Verbrechen bestehn kann. Denn oft war ungerechte Herrschaft auch der Preis des Schlechtesten. »Wer seine Eltern oder Kinder nicht ermordete«, sagt Plutarch, »dessen Pietät bewunderte man; der Brudermord ward gleichsam als ein königliches Postulat, wie die Postulate des Geometers, als allgemeingültig und zur Sicherheit notwendig von jedermann zugestanden.« Die glänzenden Verbrechen, die Seelengröße der Olympias, die hohe Bildung und der Geist der Kleopatra sind allgemein bekannt. Andre Fürstinnen, die selbst im Mittelpunkte der Verderbtheit gut und einfach blieben, verdienten, bekannter zu sein.

Die zweite Klasse begreift die lyrischen Dichterinnen, deren Griechenland nicht wenige und nicht unberühmte hatte. War es nicht ebensowohl Sappho und Erinna wie Alcäus, die, in der Blütezeit der lyrischen Kunst, Lesbos zum schönsten Garten der Musik machten? Aber auch außer Lesbos konnte Corinna Nebenbuhlerin, Freundin, Meisterin Pindars sein. Die schöne lesbische Sappho nennt Strabo ein Wunder, in der Poesie nähere sich ihr keine andre Frau auch nur von ferne. Von ihren Bruchstücken kann man sagen, wie Meleager von den lyrischen Blumen derselben, die er in seinen dichterischen Kranz flocht: »Von der Sappho wenige nur, aber Rosen.« Die dichterischen Beinamen eines »weiblichen Homerus«, einer »sterblichen Muse« sind historische Wahrheit. Sie liebte zärtliche Lust und ward die Stifterin einer Schule des Schönen und der Kunst unter lesbischen Mädchen; – die Verleumdung sagt, eine Schule der Sittenlosigkeit.

Was versteht man nicht alles unter Bildung? Und Poesie allein scheint vielleicht manchem kein gültiger Anspruch dazu. Das macht, die griechische Poesie und die griechische Bildung sind ganz verschieden von der unsrigen. Ich erinnere hier nur, daß man von griechischen Frauen keine andre als griechische Bildung erwarten darf. Und was kann eher so heißen als Poesie der Griechen, die Schranken und das Ziel ihrer Laufbahn, der Keim, aus dem der Baum ihrer ganzen Bildung entsprang, und die schönste Frucht, mit der er sein Wachstum vollendete? Auch scheint es, die Dichterinnen gingen freier mit Männern um als andre griechische Frauen. Von der Sappho ist es unstreitig: außer der Liebeserklärung des Alcäus und ihrer Antwort setzen es manche andre Bruchstücke und Nachrichten ausdrücklich oder stillschweigend voraus; der Geist ihres Lebens und ihrer Gesänge verrät es. Auf ihre Liebe zum Phaon möchte ich nicht gewiß rechnen, weil ein alter Schriftsteller der Meinung war, es sei eine andre Sappho gewesen, die den Phaon liebte. Obgleich ihre Gedichte sich in aller Händen befanden und die Vorliebe für sie sehr groß war, so läßt es sich doch begreifen, wie solche Verwechslungen veranlaßt werden und überhaupt die größten Unrichtigkeiten in ihre Geschichte sich einschleichen konnten. Die Komiker brachten sie nämlich nicht selten aufs Theater und bedienten sich ihrer dichterischen Freiheit so sehr, daß Diphilus sogar den kecken Archilochus und Hipponax, die Fürsten der jambischen Poesie, zu ihren Liebhabern machte; und mit entgegengesetztem Anachronismus dichtet Hermesianax von ihrer Liebe zum Anakreon Außer dem Antiphanes und Diphilus schrieben auch Ephippus und Timokles eine Komödie »Sappho« (höchstwahrscheinlich die Dichterin, wie auch in dem Lustspiele gleiches Namens der beiden erstern) und Plato einen »Phaon«.. Auch von der Corinna ist Veranlassung da, vorauszusetzen, daß sie mit Männern freier umging; und wahrscheinlich war es mit den übrigen Dichterinnen ebenso. Entweder verließen sie mit einer männlichen Kunst auch die Sitte und Lebensweise gemeiner griechischer Frauen; oder es ist überhaupt nicht unwahrscheinlich, daß zu Lesbos, und vielleicht in einigen andern kleinen äolischen oder ionischen Freistaaten, die Frauen zwar nicht an der öffentlichen Erziehung teilnahmen wie zu Sparta, aber doch auch nicht durch Gesetzgebung vom öffentlichen Leben und vom männlichen Umgange ausgeschlossen waren wie zu Athen: daher es mehr von der Willkür und Lage der einzelnen abhing.

Die Lebensart der Künstlerinnen hat Mißverständnisse veranlaßt; und ich habe, ich weiß nicht mehr wo, sogar die Sappho als Hetäre angeführt gefunden. Allein die griechischen Dichter waren ehrwürdige Lehrer eines freien Volkes und nach dessen Glauben geweihte Lieblinge der Götter; die heilige Musik war ein Vorrecht der Freien. Selten werden die Fälle sein, daß Sklaven oder Hetären die Kunst übten; wenigstens läßt sich als ausgemacht festsetzen, daß diejenigen, welche an öffentlichen Musenspielen teilnahmen, beides nicht sein konnten. Sappho war aus einer (wie es scheint, wohlhabenden) Kaufmannsfamilie: ihr Bruder Charaxus handelte zu Naukratis mit Wein; und darüber, daß er eine sehr schöne Hetäre, welche er liebte, freikaufte, scherzte und spottete vielmehr die Schwester in manchem Gedicht, als daß sie selbst eine Hetäre gewesen wäre und auf einen Befreier gehofft hätte.

Das Beispiel der Sappho und der griechischen Dichterinnen widerspricht der Meinung, die Rousseau mit so mächtiger Beredsamkeit vorgetragen hat, daß die Weiber der echten Begeisterung [*?] und hoher Kunst ganz unfähig seien. Eine Meinung, die aus Vernunftgründen nicht bewiesen werden kann und welche die Erfahrung nicht begünstigt; zu geschweigen, daß eine unvollständige Erfahrung keinen vollständigen Beweis geben kann. – Auffallend ist, daß bei so vielen, so berühmten Künstlerinnen in Musik und Lyrik keine griechische Frau in der dramatischen oder der bildenden Kunst bekannt geworden ist. Man hat es vielleicht übersehen, daß es, wie zwei Arten der Kunst, so auch zwei spezifisch verschiedene Arten der Begeisterung gibt: die dramatische und die lyrische. Man hat den Wink Platos nicht beachtet, der im »Ion« die Eigentümlichkeiten der plastischen und der musikalischen Begeisterung scharf und zart bestimmt. Die musikalische ist mit der lyrischen eins; und wenn man von der vollständigen dramatischen, welche freilich auch die lyrische umfaßt, diese letztere trennt, so bleibt die plastische übrig. Vielleicht hat die Natur den Weibern den Umfang und die Bestimmtheit, welche die dramatische erfordert, zwar nicht versagt – eine Macht, welche ihr über das freie Gemüt nicht zusteht –, aber doch unendlich erschwert. Dagegen stimmt die Natur der lyrischen Begeistrung mit dem Begriff der reinen Weiblichkeit so ganz überein, daß man sie auch die weibliche Begeisterung, wie die dramatische die männliche, nennen könnte. – Vielleicht hat man aus einer ähnlichen Verwechslung den Weibern allen philosophischen Geist abgesprochen, weil ihnen der systematische Geist fehlt, der doch nur ein Teil von jenem ist. Aber die Gabe, die zartesten Laute der Natur innig zu vernehmen und rein mitteilen zu können, ist doch, wo es auf Kenntnis des Gemüts und der Sitten ankommt, von unschätzbarem Wert; und wer mag sie den Weibern absprechen? – Solange das einzig-wahre System nicht entdeckt war oder solange es nur noch unvollkommen dargestellt ist, bleibt das systematische Verfahren mehr oder weniger trennend und isolierend; das systemlose lyrische Philosophieren zerstört wenigstens das Ganze der Wahrheit nicht so sehr. Im dunklen Gefühl des Richtigen übertreffen vielleicht Frauen, die unverdorben und zum Guten und Schönen gebildet sind, viele Männer. Und vielleicht wird ein Mann, je vollendeter sein System ist, um desto weniger den Wert der lyrischen Philosopheme der Diotima verkennen.

So viele Ausnahmen leidet also die gewöhnliche Meinung, daß nur sittenlose Frauen bei den Griechen an höherer Bildung und an männlichem Umgange teilgehabt hätten. – Aber war nicht dennoch in einigen oder wohl gar in den meisten griechischen Freistaaten, wenngleich nicht in allen, schlechte Erziehung, ungerechte Unterdrückung, rohe Verachtung das Los der Bürgerinnen? Und wenn die einmütigsten Zeugnisse, wenn Beweise aller Art keinen Zweifel übrigzulassen scheinen, daß dies zu Athen der Fall war, Athen aber der Gipfel der griechischen Bildung und Geselligkeit war, was soll man von der Geselligkeit, dem Geschmack, der Liebe der Griechen überhaupt denken?

 

Einige, die von der Lage der attischen Frauen ganz übertriebne und unbestimmte Begriffe hatten und diese auf die Griechen überhaupt ausdehnten, haben es unternommen, die Griechen wider eine falsche Anklage aus falschen Gründen zu verteidigen; weil sie nämlich die Rechtfertigung der attischen Sitten als Folie für ihre Satire auf die Sitten des Jahrhunderts brauchen konnten. Es scheint ihnen ein Vorzug der Alten, daß die verführerische Anmut der Buhlerin und die ernste Tätigkeit der Frau, die Würde der Mutter, bei denselben ganz getrennt war, daß die zwiefache Anlage, welche die Natur in das Herz des Weibes pflanzte, sich auch in zwei verschiedne Stände und Lebensarten schied. Auch ist es wahr, daß dadurch die seltsamen, bald empörenden, bald lächerlichen Mischungen unsrer Sitten vermieden wurden, wo sich oft die Neigungen einer Buhlerin und der Anstand einer Matrone, die Ansprüche der letztern und der Leichtsinn der erstern beisammen finden. Allein, wie eine höhere Kunst bei uns das Ideal der Venus, der Juno und der Ceres verbinden und vollständige Weiblichkeit in sich vereinigen kann, so konnte eine höhere Natur bei den Griechen dasselbe Ziel erreichen. – So wäre die griechische Eigentümlichkeit vielleicht gegen die unsrige, aber nicht gegen die höhern Forderungen der Vernunft gerechtfertigt. Und bei uns ist es jener höhern Kunst doch unbenommen und frei, nach vollständiger Weiblichkeit zu streben; wie läßt es sich aber rechtfertigen, daß die Bildung der höhern weiblichen Natur in dem freien Athen durch die Gesetze selbst gehemmt und die trennende Bestimmtheit der Natur zur Zerstörung der Vollständigkeit gemißbraucht ward? … Die eigentliche Meinung jener Schriftsteller scheint diese zu sein: Weiber können und sollen nur nützlich sein; macht die beklagenswerte Üppigkeit eines Volkes nun einmal angenehme Weiber unentbehrlich, so ist's am besten, sie sind eines von beiden, jedes aber ganz. Das heißt mit andern Worten behaupten: die Weiber seien um der Männer willen da; das heißt, das Gute und Schöne von der weiblichen Bestimmung ausschließen – worüber die Griechen ganz andrer Meinung waren.

 

Andre hingegen, und bei weitem die meisten, bleiben, bei ebenso unbestimmten und übertriebenen Begriffen von attischen oder überhaupt von griechischen Frauen, der Denkart des Jahrhunderts treu und tadeln die Sitten der Griechen und diese selbst aufs heftigste. Es fehlte den Griechen, nach ihrer Meinung, wohl an Sinn für weibliche Anmut und Schönheit in Gestalt und Sitten, ihre gesellige Bildung war gegen die unsrige nur sehr roh, das Schöne vermochte ihr stumpfes Gemüt nicht zur Liebe zu reizen, oder sittenlose Üppigkeit, ungerechter Eigennutz erstickten frühzeitig den zarten Keim. Viele, welche dies nicht sagen, denken es doch. – Zum Beweise, daß die Griechen für weibliche Anmut und Schönheit nicht weniger empfänglich, zur Liebe nicht weniger reizbar waren als die Goten, berufe ich mich erstlich: auf die Überbleibsel der bildenden Kunst, weil doch hier der untrügliche Augenschein das Vorurteil vor gesunden Sinnen am leichtesten und schnellsten entwaffnet. Ist nicht der Kreis der idealischen Gestalten der weiblichen Göttinnen wie ein voller Kranz, aus den schönsten Blüten der Weiblichkeit geflochten? Ich beziehe mich auf die meisterhafte Charakteristik derselben in der Abhandlung »Über männliche und weibliche Form« im 3. Stück der »Horen«. Auch die wenigen Überbleibsel der griechischen bildenden Kunst beweisen nicht nur, daß, wie überhaupt, so auch in der Darstellung der weiblichen Gestalt, während der guten Zeit das Reizende dem Schönen untergeordnet und auch nach dem Verfall des Geschmacks, selbst in Werken mittelmäßiger Künstler, nicht das Einzelne, sondern das Allgemeine dargestellt ward (mehr, als man oft von den besten neuern Künstlern aller Art, aus Zeitaltern, die man goldene nennt, sagen kann), sondern sie beweisen auch die feinste Gabe, die zartesten Eigentümlichkeiten der weiblichen Natur aufzufassen und mitzuteilen. Und bezeichnet die griechische Sage, Dichtung und Sprache nicht das Wesen der Weiblichkeit und der Liebe, die Offenbarungen der Begeistrung und die Geschichte des Herzens so bestimmt und so zart, daß griechische Eigentümlichkeit auch hier allgemeingültig ist? So daß auch in diesem Sinne Grieche immer noch, wie bei Isokrates, Mensch im höhern Sinne heißen kann. Barbaren sind, nach dem Sinne des Strabo, Völker, in deren Masse die Natur über die Freiheit das Übergewicht hat. Griechen wären also Völker, in deren Masse die Freiheit über die Natur das Übergewicht hat.

Ich berufe mich ferner auf die dichterischen Kunstwerke, auf die schöne Natur in Homers Darstellung weiblicher Sitten und Leidenschaften. Zwar ist die Seele seiner Darstellung Natur und nicht Freiheit (Ideal), er stellt nicht das Allgemeine im Einzelnen dar, sondern erhebt das Einzelne zum Allgemeinen. Die Darstellungen der Weiblichkeit in Shakespeare und Goethe (bis itzt den größten Meistern darin unter den Neuern), in deren Kunst bei aller Verschiedenheit dasselbe Prinzip herrscht wie in den Werken des Homerus, sind zwar unstreitig reichhaltiger für den Verstand, aber gewiß nicht schöner und zarter als einige des ionischen Barden. – Die Schönheit der weiblichen Sitten und Leidenschaften in den Darstellungen des Sophokles aber ist vollkommnes Ideal, dem sich bis itzt kein neuerer Dichter auch nur von fern nähert. Denn was haben wir vom poetischen Ideal, wie überhaupt, so auch in Darstellung der Weiblichkeit, aufzuweisen als Theorien, die nicht fertig, und Versuche, die mißglückt sind? Ich berufe mich auf die verführerischen Reize, auf die edle Anmut mancher weiblichen Charaktere im Terenz und im Plautus, auf den Xenophon, auf die Darstellung der Liebe in der bessern lyrischen Kunst usw. – Wer überdem den Griechen hier Reizbarkeit absprechen wollte, müßte sie ihnen durchgängig absprechen. In dem Charakter neuerer Völker findet sich wohl hier Bildung und Reizbarkeit und dicht daneben eine sonderbare Stumpfheit und Unbildung oder Mißbildung; aber nur eine gänzliche Unkenntnis kann dies auf die Griechen übertragen. Ihre Bildung und ihr Geist war in durchgängiger Berührung und ununterbrochnem Zusammenhang; ihre Geschichte ist ein lebendiger Stoff, durch eine Seele zu einem Ganzen vereinigt. Ein Maximum von Reizbarkeit ist das Prinzip ihrer Bildung, der Geist ihrer Geschichte; nicht nur ihre Tugend und Größe, sondern auch ihre Schwächen und Laster entspringen aus einer äußersten Elastizität und Zartheit des Gemüts, die nicht nur unsern Glauben, sondern auch die Grenzen unsrer Einbildungskraft übersteigt, und doch der festeste Leitfaden des griechischen Altertumsforschers ist, der sich ohne eine jener griechischen ähnliche Reizbarkeit nie über das Gemeine erheben wird. – Könnte man nicht den Beweis gegen die Neuern umkehren? Wer für schöne Männlichkeit in Gestalt und Sitten kein Gefühl hat, dessen erheuchelte Huldigung für schöne Weiblichkeit ist verdächtig und vielleicht nichts anders als durch Kunst und Verfeinerung übertünchte Sinnlichkeit. Wer aber schöne Männlichkeit lebhaft und richtig fühlt, der hat überhaupt Geschmack und Reizbarkeit: denn das Schöne und Gute in beiden Geschlechtern ist nur ein und dasselbe.

Mehrere Ursachen äußern einen sehr nachteiligen Einfluß auf unsre Urteile über die Weiblichkeit, die Liebe und die gesellige Bildung der Alten überhaupt. Erstlich vermischt man die rohe Einfalt der ältesten, die Sittenlosigkeit der spätern Zeit, die Verderbtheit der schlechtesten Menschen mit der schönen Bildung der bessern Menschen in der guten Zeit. Dann wirft man Griechen und Römer untereinander. Auf die römische Urbanität kann man anwenden, was Horaz von der römischen Poesie sagt: »Es sind noch Spuren der ursprünglichen Rohigkeit übrig.« Dagegen ist die attische Geselligkeit gegen die kräftige und erhabene Art der Römer beinahe kleinstädtisch. Wenn man die Freiheit von allen beschränkten Ansichten und kleinlichen Sitten im Umgange und in der Lebensart große Welt nennen will, so haben die Römer eine Höhe derselben erreicht, der sich kein altes und kein neues Volk auch nur von fern genähert hat. Drittens vergißt man das Wesentliche und hält sich an das Willkürliche und Unbedeutende, indem jedem seine kleine Eigentümlichkeit unbedingtes Gesetz der menschlichen Natur zu sein scheint. Die größere Keckheit der Leidenschaften und ihrer Äußerungen in wärmern Ländern bei einem kräftigen Volk ist zwar ebensowenig allgemeingültig wie nordischer Seelenfrost, hat doch aber wenigstens gleiche Rechte. Die republikanische Offenheit und Entschiedenheit in den Sitten und im Umgange der Griechen und Römer hingegen ist ein offenbarer Vorzug. Vor allen Dingen muß aber, wer die alte Geschichte richtig fassen, ja wer den Menschen und das menschliche Leben überhaupt bestimmt und klar erkennen will, sein Gemüt von falscher Scham reinigen, die das Tier verzärtelt, um den Menschen zu ersticken. Sie ist der eigentliche Prüfstein, um Bildung und Mißbildung zu unterscheiden, ein untrüglicher Adelsbrief der Barbarei, das Kind heuchelnder Furcht, die Gesellin eines verkehrten Verstandes und verworfener Sitten. Ich bin zwar weit entfernt, die Grundsätze der Zyniker rechtfertigen zu wollen oder die Höhe der Vorurteilslosigkeit eines Krates zu bewundern. Dieser Virtuose in der Schamlosigkeit kehrte durch Überkunst zur äußersten Natur zurück, indem er sich, wie zu Otaheiti die Unschuld, aus Grundsatz öffentlich vermählte. Das Gesetz soll die Natur im Menschen nicht zerstören, aber ordnen; und so soll auch die Scham nicht vertilgt werden, aber den Gesetzen des Verstandes und der Sitten gehorchen, etwa nach der Meinung des Plato oder nach dem Beispiel der Dorier. Man darf sich wohl daran erinnern, weil der tierische Trieb von dieser Seite vorzüglich schwer zu bändigen ist und weil viele zufällige Umstände die falsche Scham gegen die Höhe der europäischen Bildung in Schutz nehmen. Daher mißkennt man die Griechen so oft; daher sind vielleicht manche Neuere ganz unfähig zu begreifen, daß es eine große, ja heilige Handlung der Spartaner war, als sie die Kleidung und niedrige Scham von sich warfen und ihre gymnischen Spiele in nackter Schönheit und reiner Begeistrung feierten und in stiller Besonnenheit am Ziele der Bürgerliebe ihre Tugend genossen.

Oder hatte die Unterdrückung der griechischen Frauen etwa ihren Grund in alten Stammesgebräuchen, wie bei einigen nicht unedeln Völkern des Orients? Es ist wahr, daß solche Urgebräuche oft zur andern Natur werden, daß sie auch gegen die höchste Bildung der edelsten Völker Unsinn und Unrecht schützen und die schönsten Blüten der Menschheit zerknicken können. Wer aber mit der ältesten Geschichte der Griechen bekannt ist, weiß, wie begünstigt sie überhaupt in diesem Stücke von der Natur und dem Schicksale waren; denn ihr geringer Ursprung, der sich vom Gewöhnlichen nur durch wenige zarte, groben Augen ganz unsichtbare Merkmale unterscheidet, enthält den vollständigen Keim ihrer allbewunderten höchsten Blüte: und in den Gedichten Homers findet sich noch keine Spur von dieser Unterdrückung, die also sehr neu sein mußte. Die Frauen nehmen teil an den Gesellschaften der Männer und werden mit Achtung behandelt; ganz das Gegenteil von morgenländischer Einsperrung und deren Folgen. Ja, sie nehmen teil an der heroischen Bildung dieses Zeitalters der Ritter und Barden, wenngleich die Bildung der Männer vom Zeitalter mehr begünstigt wird als die der Frauen. Man siehe Lenz: »Geschichte der Weiber im heroischen Zeitalter«, eine kritische unter manchen unkritischen Arbeiten über die Geschichte des weiblichen Geschlechts bei den Alten. Barthelemy ist darüber etwas kürzer, als man wünschen möchte; und Pauw ist fast in keinem Abschnitte seines übereilten Werks so unendlich reich an Fehlern als in diesem.

Die scheinbarste Erklärung wäre es, den Mangel von dem Überflusse, den Fehler von der Tugend der Griechen selbst herzuleiten, etwas auf ihren Republikanismus, das meiste aber auf ihre Gymnastik und Musik zu schieben; denn diese drei waren gleichsam die Blätter, die sich aus der zarten Knospe der griechischen Bildung im Homer entwickelten, als diese sich zur vollendeten Blume der Freiheit entfaltete. Was der höchste Ruhm und der höchste Genuß der griechischen Männer war, daran hatten die Frauen keinen Teil. – Sie enthält sehr viel Wahres, diese Erklärung, befriedigt indes nicht über alles, da sogar viele griechische Frauen an der Gymnastik und Musik teilnahmen, am wenigsten über die Abweichungen der attischen Sitten. Ohne Zweifel war in allen alten Republiken der gesellige Umgang mit Weibern sehr verschieden von dem in alten und neuen Monarchien und dadurch auch wenigstens die Außenseite, gleichsam die Zutaten, der Liebe. Allerdings würde es einer Frau, gewohnt an die Huldigungen der Sklaven oder Despoten und nun plötzlich unter alte Republikaner versetzt, anfangs etwas herbe dünken; wäre sie aber edler Natur, so würde sie bald einsehen, daß sie eigentlich dort entweiht und verachtet ward, wo man sie zwar vergötterte, aber ohne sie um ihrer selbst willen zu achten – als Werkzeug schlaffer Wollust. Die Gymnastik vollends, die Frauen mochten nun teil daran nehmen, wie zu Sparta, oder nicht, mußte eine Revolution in der Lage und in den Sitten des weiblichen Geschlechts verursachen. Im letztern Falle, dem der meisten griechischen Staaten, wo nicht aller, außer Sparta, gewiß aber aller ionischen, entfernte sie die Frauen von der Gesellschaft der Männer, welche nun ihren eigentlichen Sitz in den Gymnasien nahmen; sie schwächte auch allmählich die Achtung derselben und dadurch selbst ihren Wert, indem sie das weibliche Geschlecht von demjenigen ausschloß, was die höchste Blüte des männlichen Lebens und die erste Liebe des Jünglings war: schöne Spiele und freie Taten in männlicher Freundschaft.

Die Rechtfertigungen oder Erklärungen der griechischen Sitten, welche ich bis itzt anführte, setzen unbestimmte oder unrichtige Begriffe von dem voraus, was erklärt werden soll. Ich werde mich itzt nur auf Athen einschränken, einen ganz allgemeinen, aber doch bestimmteren Umriß der Tatsache entwerfen und die Gründe derselben entwickeln. Haben wir nur erst hier, wo die Nachrichten doch am vollständigsten sind, Grund und Boden gewonnen, so kann bei der Untersuchung: inwiefern die Lage und die Sitten des weiblichen Geschlechts in andern griechischen Staaten denen zu Athen und Sparta ähnlich waren? die Voraussetzung: daß die ionischen sich dem ersten, die dorischen dem letzten näherten, vielleicht zum Leitfaden dienen, die kleinen noch vorhandnen Bruchstücke zu einem Gemälde zu ordnen, dem es an einer schönen Einheit nicht fehlen würde. – Die abweichendsten Eigentümlichkeiten in der Lage und den Sitten der attischen Frauen sind diese: 1) Ihre Erziehung wurde, außer so viel Orchestik und Musik, als etwa zu öffentlichen Festen unentbehrlich war, auf weibliche Handarbeiten eingeschränkt, worin ihr Fleiß und ihre Kunst gleich sehr bekannt sind. Jedoch waren sie auch Zuschauerinnen im Theater, dieser erhabenen Schule attischer Bürger. 2) Sie wurden von dem öffentlichen Leben, von den Gesellschaften, ja vom Umgange der Männer, bis auf wenige Ausnahmen, ausgeschlossen. 3) Die Urteile der attischen Schriftsteller über das andre Geschlecht sind ungewöhnlich hart, und die Übereinstimmung ihrer Äußerungen verrät, daß diese öffentliches Urteil und Stimme des Volks waren.

Die Gesetze selbst, die Gesetze des freien Athen, des gerechten Solon, beförderten die Einschränkung der Frauen. Schon Solon beschränkte die öffentliche Erscheinung derselben durch ein Gesetz, dessen Buchstab seltsam klingt, aber das echte Gepräge des Altertums hat. Es bestimmt die Zahl der Kleidungsstücke, das Maß der Gerätschaften und den Wert der Eß- und Trinkwaren, welche eine Frau, wenn sie bei Tage ausging, mit sich führen und an sich tragen konnte; bei Nacht durfte sie nur zu Wagen und mit einer Fackel öffentlich erscheinen. Plutarch ist selten zuverlässig, oft nachlässig und erinnert uns zuweilen an die etwas unhöflichen Bemerkungen der Alten über den Einfluß der böotischen Luft auf das menschliche Gemüt. Aber die Quellen, aus denen er die Gesetze des Solon schöpfen konnte, waren die besten und haben außerdem das höchste Gepräge der Echtheit. Solons Gesetze wurden gleich geschrieben; die attischen Redner führten sie häufig ganz an, und diese letztern waren damals noch in aller Händen; gründliche und genaue Schriftsteller, wie Aristoteles, kommentierten sie frühzeitig. Es fiel also beinahe die Möglichkeit einer Verfälschung weg, zu welcher es auch keine eigentliche Veranlassung, wie etwa bei Lykurgus, gab. Ein Gesetz des Philippides belegte Weiber, welche auf den Straßen Unordnung erregten, mit einer Geldbuße von tausend Drachmen. Es gab eigne Obrigkeiten, die darüber und über andre Gegenstände der weiblichen Sitten die Aufsicht führten. – Die attischen Gesetze sind nicht willkürliche Einfälle, welche einem Volke wider sein Bedürfnis aufgezwungen werden; sie sind, besonders die Gesetze Solons, aus der innersten Natur der Sitten und der Lage geschöpft, und es ist daher eine Lust, ihren oft versteckten Sinn zu erforschen. Die Erklärung dieser Gesetze über die Weiber haben wir daher auch in der Geschichte aufzusuchen.

Beim ersten Blick scheint der einzige Zweck des Solonischen Gesetzes, gute Sitten zu befördern und unnützen Aufwand zu beschränken. Zwei Tatsachen beim Herodotus aber haben mich auf die Vermutung gebracht, daß sein Nebenzweck und der Hauptzweck des spätem Gesetzes die Erhaltung der öffentlichen Ruhe war; denn dieser konnte der ungestüme Freiheitssinn, welcher auch die attischen Weiber beseelte, bei ihrer Leidenschaftlichkeit leicht gefährlich werden. – Schon in sehr alten Zeiten rotteten sich die attischen Frauen zusammen und brachten einen Unglücklichen um, der schuldig schien, weil er der einzige von einer fehlgeschlagenen Unternehmung gegen Ägina zurückkehrte, indem jede ihn fragte, wo ihr Mann sei. Als Lycidas im Persischen Kriege die Athener verführen wollte, Vorschlägen Gehör zu geben, welche auf den Verlust ihrer Freiheit abzweckten, so töteten sie den Verräter; als die attischen Frauen zu Salamis Nachricht davon erhielten, brachen sie in sein Haus und brachten sein Weib und seine Kinder um. – Da die öffentliche Meinung ohne öffentliche Erziehung Faktion ist und da die Frauen an dieser Erziehung, außer dem Drama, keinen Anteil hatten, so darf uns diese ochlokratische Weiberjustiz nicht befremden. Schon die Gewohnheit zahlreicher und unruhiger Versammlungen bei öffentlichen Frauenfesten konnte so leicht weiter um sich greifen und gefährlich werden. Man denke nur an Bacchantinnen, an die geheiligten Ausschweifungen bei Ceresfesten, an Adonisfeste usw. Dazu die attische Heftigkeit! Man kann sich den Ungestüm der ältern Athener nicht brennend und hart genug vorstellen. Der erhabne Äschylus gibt davon ein treues Bild, welches durch einzelne Züge im Herodotus und Thukydides noch vollständiger wird. Man erinnre sich doch an die weibliche Heftigkeit in den »Danaiden«, den »Choephoren«, den »Sieben Helden« des Tragikers. Schon Solon mußte ein Gesetz geben, daß der Schmerz der Frauen bei dem Leichenzuge geliebter Toten nicht in selbstzerfleischende Wut ausarten möchte.

Eine neue Bestätigung meiner Meinung gibt Aristophanes. Der Inhalt zwei noch vorhandener Komödien ist ein Weiberauflauf, der so toll als lächerlich ist, der Inhalt einer dritten ein öffentliches Weiberfest, wo es auch ziemlich lebendig zugeht. Die Namen einiger verlornen Komödien dieses und andrer Dichter lassen ähnlichen Inhalt vermuten. Wer glauben wollte, Weibernegotiationen wie in der »Lysistrata« oder ein Weiberstaat wie in den »Ekklesiazusen« sei ein buchstäblich treues Gemälde wirklicher Begebenheiten, dessen Urteilskraft stände zu bezweifeln; aber ohne alle Veranlassung in der Wirklichkeit waren gewiß diese Darstellungen der Komödie nicht, welche ihren Stoff vom öffentlichen Leben entlehnte und nur nach den Bedürfnissen des komischen Ideals weiter ausbildete. Es ist nicht leicht, die reichhaltigste Quelle der attischen Sittengeschichte zu gebrauchen und die zarte Grenze des Wirklichen und Idealischen im Aristophanes mit Bestimmtheit und Sicherheit unterscheiden zu können: eine Grenze, um die man in allerlei neuen Schriften ganz unbekümmert ist, wo man mit beiden Händen ergreift, was zu der frechen Absicht, das heilige Athen zu lästern, nicht ganz untauglich scheint.

Jene Gesetze waren freilich nichts anders als Palliative, wie schon ihre Wiederholung beweist, konnten nichts anders sein; indes finden wir doch in spätern Zeiten keine Tatsache wie die beim Herodotus. Die erwähnte Obrigkeit nämlich, »die weibliche Zensur, ist«, wie Aristoteles sagt, »nur in Aristokratien, in Demokratien aber so wenig wie in Oligarchien anwendbar. Denn wie wollte in Demokratien der Zensor die Weiber zwingen, nicht öffentlich zu erscheinen?« Ich verstehe dies nicht vom Ausgehen einzelner Weiber zu häuslichen Geschäften (es wäre ungereimt, dies zu verbieten, und ohnehin verrichteten es meistenteils männliche Sklaven), sondern von einem öffentlichen Erscheinen, welches entweder den guten Sitten oder der öffentlichen Ruhe gefährlich war. Wie konnte der Zensor die arme Menge mit Geld strafen? (Daher das Gesetz des Philippides in vielen Fällen unanwendbar sein mochte.) Mit Leibesstrafe konnte er Freie nur wegen Verbrechen belegen, und Schande hatte er nicht zu verteilen; denn in einer Demokratie bestimmt die öffentliche Meinung und nicht der Gesetzgeber, was Ehre und Schande bringen soll.

Durch die Entfernung der Frauen vom öffentlichen Leben, womit die Entfernung von der Gesellschaft der Männer unvermeidlich verknüpft war, wurde zwar die Ruhe des Ganzen gesichert, aber die Trennung in der Erziehung und in den Sitten der beiden Geschlechter noch mehr bestimmt und bestätigt. Das einzige Mittel, das Übel von Grund aus zu heben, wäre gewesen, die Frauen, wie zu Sparta, an der öffentlichen Erziehung teilnehmen zu lassen und dennoch die entgegengesetzten Fehler zu vermeiden. Dieses Mittel zu gebrauchen stand nicht in der Macht des Solon, weil es dem Geiste der Ionier widersprach. Er verzweifelte schon so gänzlich an den Sitten der Bürgerinnen, daß er es für notwendig hielt, die strengen Gesetze des Drako wider Ehebruch, Verführung und Verkupplung zu bestätigen. Man darf überhaupt nicht vergessen, daß es nicht die Aufgabe Solons war, willkürlich Gesetze zu erdenken, sondern nur die öffentliche Meinung zu ordnen und ihren besten Ausdruck zu finden, wenn man die Solonische Gesetzgebung, das höchste Kunstwerk der Gerechtigkeit, Weisheit und Schonung, worauf das ganze menschliche Geschlecht stolz sein darf, nicht verkennen will; und wenn sich finden sollte, daß seine Gesetze, wo es nur möglich war, der strengen Gerechtigkeit gemäß waren, daß er, wo dies nicht in seiner Macht stand, durch recht genialische Züge der schlausten Benutzung und der feinsten Schonung wenigstens das letzte Gleichgewicht zwischen den Gesetzen der Notdurft und der Vernunft zu erreichen wußte: so scheint dies vielleicht einigen wenig gesagt, es dürfte aber mehr sein, als sich von andern Gesetzgebungen rühmen läßt. – Scheinen jene Einrichtungen hart, so sorgte hingegen der attische Staat dafür, daß die jungen Bürgerinnen in weiblichen Arbeiten unterrichtet würden, er beförderte die Ehen; die Töchter derer, welche sich ums Vaterland verdient gemacht hatten, wurden auf öffentliche Kosten erzogen oder ausgestattet; wer eine Frau beleidigte, den durfte jedermann verklagen; selbst die Unglücklichen, denen die Rechte der Bürgerinnen versagt waren, fanden wenigstens Duldung usw. Alles ganz im Geiste des gerechten und guten Athen, wo die Gesetzesgleichheit einheimisch war, wo auch der Sklave Rechte hatte, wo er, wie Demosthenes sagt, freier reden durfte als in andern Staaten der Bürger, wo auch er sich freuen durfte.

Welches die gesetzlichen Ursachen der Ehescheidung zu Athen waren oder ob beiderseitiger und gar einseitiger Wille hinreichte, darüber wage ich nicht zu entscheiden; höchst wahrscheinlich ist es aber, daß die attischen Gesetze auch in diesem Stücke ihrem eignen Geiste treu und gerechter als andre und daß die Rechte des Mannes und der Frau gleich waren. Der Umstand, daß die Obrigkeit durch die Vermittlung eines Vergleichs in Güte und die persönliche Erscheinung der Frau vor Gericht den Leichtsinn zu hemmen suchte, die Namen der Scheidung selbst lassen etwas sehr Willkürliches vermuten. – Die sonderbaren Vorrechte jeder Epikleros (ἐπικληρος) hatten einen politischen Grund und können zum Beispiel dienen, wieviel tiefer Sinn auch in seltsamen Solonischen Gesetzen liegt. So hieß nämlich diejenige Bürgerin, welche, in Ermanglung von Söhnen, das Vermögen ihres Vaters erbte. Die Obrigkeit verfügte über ihre Verheiratung und sprach sie dem nächsten Verwandten zu, der jedoch in jeder Rücksicht zur Ehe fähig sein mußte, sonst dem nächsten nach diesem; ja war sie zu der Zeit, da sie erbte, schon verheiratet, so wurde die erste Ehe wieder getrennt. Eine solche Erbin genoß nun einer Menge Vorrechte, von denen die meisten die Absicht hatten, ihr ja Nachkommenschaft zu verschaffen; einige derselben waren aber von der Art, daß sie bald veralteten und lächerlich wurden. Solon suchte nicht nur überhaupt die äußerst wichtige Einheit der kleinern Teile, aus welchen das Ganze des Staats zusammengesetzt war, durch Ehen in sich zu befestigen, welche sonst leicht der Kitt der Faktionen werden konnten, sondern er hatte auch bei jenen sonderbaren Verfügungen einen Zweck, der mit dem großen Ziel seiner ganzen Gesetzgebung in der genausten Beziehung stand. Dieses Ziel war, die – wenn sie einmal eingerissen ist überhaupt, besonders aber in Griechenland schnell wachsende – Ungleichheit des Vermögens wenigstens so weit zu hemmen, daß die Erschütterungen, welche sie in Freistaaten nach sich ziehen muß, vermieden würden. Er suchte durch jene Gesetze die Vereinigung zweier Erbteile zu hindern und wie einzelne, so auch Familien an Vermögen gleich zu erhalten. Die Verteilung der Abgaben zu Athen war ein solches Meisterstück der Gerechtigkeit und der Weisheit; die Sorge des Staats für diejenigen, welche sich um das Vaterland verdient gemacht hatten oder doch ohne ihre Schuld seiner Hülfe bedurften, war so großmütig; die Gesetze waren so vortrefflich, daß es zu Athen keinen Bettler gab, unmäßiger Reichtum aber nur selten sein und schwerlich lange dauren konnte. Die Ungleichheit des Vermögens war wie überhaupt die Veranlassung des griechischen echten Demokratismus, so auch der Solonischen Gesetzgebung, durch welche die höchste Aufgabe jedes griechischen Freistaates so glücklich und, wenn man sich erinnert, daß Athen eine demokratische Handelsstadt war, kann man sagen, so bewunderungswürdig aufgelöset ist.

Bei der bisher entwickelten Sittengeschichte und Verfassung Athens darf es uns also nicht befremden, in attischen Schriftstellern Äußerungen über das weibliche Geschlecht zu finden, welche sie zwar mit Unrecht zu allgemein ausdehnen, die aber in dieser Stadt nicht ganz ohne Grund waren. Und doch redet nicht sowohl Geringschätzung als Mißtrauen, nicht Leidenschaft, sondern Vernunft aus ihnen; selbst der alberne, lächerliche Weiberhaß des Euripides verrät mehr die Erbitterung des beleidigten Teils als den Übermut eines ungerechten Unterdrückers. – Erklärbar ist also auch in dieser Hinsicht der Vorzug, welchen die Griechen der Männerliebe gaben, und die Meinung, daß edlere oder himmlische Liebe nur zwischen Männern stattfinde. Solon selbst hatte den Lauf der Begebenheiten genutzt und den ruhmwürdigen Versuch gewagt, ionische Ausschweifung, die er nicht mehr ganz vertilgen konnte, zu dorischer Liebe zu adeln. Er untersagte die Männerliebe, als ein Vorrecht der Freien, den Sklaven, suchte aber dagegen durch strenge Strafgesetze unnatürliche Ausschweifung zu hemmen. Wenigstens erreichte er so viel, daß man noch zu Platos Zeit sagen konnte: nur zu Athen und Sparta wisse man den himmlischen Amor von dem gemeinen zu unterscheiden.

Plato lebte in dem Zeitalter, wo attische Sittenlosigkeit und Gesetzlosigkeit in noch ungeschwächter Kraft, in noch ungehemmter Freiheit nur desto üppiger ausschweifte; und er war noch nahe genug an der Zeit, wo die dorische Tugend ihre höchste Blüte erreichte. Daher seine Vorliebe für dorische Sitten, auch in Rücksicht der Frauen. Er hat mit wenigen Meisterzügen eine Frau verewigt, welche dieser Vorliebe entsprach, die sein zartes Gefühl und die hohen Ideen seiner Vernunft gleich sehr befriedigte: – Diotima, in welcher sich die Anmut einer Aspasia, die Seele einer Sappho mit hoher Selbständigkeit vermählt, deren heiliges Gemüt ein Bild vollendeter Menschheit darstellt.


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