René Schickele
Meine Freundin Lo
René Schickele

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Lo ist eine Schauspielerin des »Grand-Guignol«, jung, hübsch, und eine Meisterin in den Künsten des Vergnügens. Die Vergnügen selbst haben noch nicht den äußeren Glanz, den sie im Schwung von Los Laufbahn annehmen werden, man könnte nicht sagen, daß sie ausgehalten sei, sie kleidet sich einfach, aber besser als ihre erfolgreichsten Freundinnen je tun werden, der Ruhm, der ihr von ihren Herzenseigenschaften kommt, ist groß auf dem rechten, wie auf dem linken Ufer der Seine. Sie ist niemals naiv, außer in den ihr eigentümlichen jähen Einfällen und ihren geduldigeren Erfindungen. Die Schauspielerin ist zehntausend Francs wert, die Frau gerade noch unentdeckt.

Das Gefühl, daß dieser idyllische Zustand nicht mehr lange anhalten wird, macht sie interessant und besonders 6 reizvoll natürlich für ihre Freunde, die sie abwechselnd, aber jeder mit ganzer Hingabe lieben. Morgen wird sie die teuerste Göttin der Schönheit sein, und der alsdann vergoldete Leib wird im Hintergrund der Jünglingsträume stehn wie die Grottenvenus im Garten bei Bullier, wo die Studenten tanzen. Es gehört keine außergewöhnliche Phantasie dazu, um in Los Gesellschaft die Freuden der großen Welt zu genießen, in die man sonst nur vom vierten Rang des Theaters oder, auf den Fußspitzen, vom Trottoir hineinsieht. Die ganz teuern Toiletten . . . oh, denen kann man täglich und überall in Paris begegnen. Und die Lo, die diese Toiletten tragen wird, kennen sie – kennen sie, wie sie niemals schöner sein wird.

Daß Lo wohl fähig ist, in einem Dichter Wogen zu werfen wie ein Ozeandampfer in einem Hafen, beweist ein Gedicht, das Léon Variot, der neben mir wohnt, an seine kleine Freundin gerichtet hat. Es entstand, als Lo nach Algier gereist war und lange nicht wiederkam.

7 Variot brütete:

»Wenn sie noch lange bleibt, ist ihre sterbliche Gestalt mir ganz entschwunden. Sie wird eine Phantasmagorie, sie erstreckt sich über die Sahara.«

Lo telegraphierte zum drittenmal, daß sie erst in acht Tagen käme. Da geschah, wie Variot vorausgesagt hatte. Ihr Wüsten-Wachstum war nicht mehr aufzuhalten, Los in Wirklichkeit sehr geringe Ausdehnung wurde so groß, wie Variot sich die Sahara dachte . . .

Am selben Abend las er mir unter einer Gaslaterne der Avenue de l'Observatoir ein Gedicht vor.

Ballade von der Frau Minne.

            Dein glühend Reich dehnt sich von Ost nach West,
zehn Tagemärsche sind von einer Lust zur andern.
Vieltausend Helden wollten dich durchwandern,
denn deine ferne Sonne schien ein Fest.

Sie fielen in die Schlünde deiner Augen.
Erblindeten an deiner Brüste Rand.
Es stach mit Wahnsinn sie der Sonnenbrand,
sie mordeten, um frisches Blut zu saugen. 8

An deinen Lenden endete das Schlachten nie,
mit letzten Kräften kämpften sie vor deinen Toren.
Manch Heldenlied ward unter Schwertern da geboren,
doch jeder, der es sang, verstummte jäh und schrie.

In deinem Haar, das über Berge klettert, wohnen
die Geister jener Helden, die dein glühend Reich verschlang.
Sie spielen Minne, wie die Kinder, Ewigkeiten lang,
sie sprechen wie Musik und tragen kleine Kronen.

Aber ich begehrte Lo nicht, wenn sie auch meinem Herzen nahe stand.


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