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Sechstes Buch
Mammon auf dem Dorfe

Erstes Kapitel

Eine Erinnerung an Wolfgang den Großen. – Die Rast am Waldsaum. – Mammon in Lederhosen. – Ein Oberländer Bauerbursch und sein »Schätzle«. – »Sie konnten zusammen nicht kommen.«

Es wohlet einem Deutschen doch, wenn er die Kreidehügel und Lehmhüttendörfer der Champagne und die Bergkämme der Vogesen hinter sich und den Straßburger Münsterturm als Wegweiser durch das fruchtbare Elsaß vor sich hat. Man hört doch wieder Laute, die ganz anders klingen als das widerwärtige Genäsel und Geschnarre, welches mich in der letzten Zeit umschwirrt hatte. Im übrigen sind die Elsässer ein ziemlich unerquickliches Volk, nicht mehr recht deutsch, und noch lange nicht französisch; dabei stark mit Jüdischem versetzt. Am meisten Treue gegen die angestammte Nationalität hat die Stadt Straßburg bewahrt. Wenigstens die Mittelklasse ist dort noch ganz deutsch. Die »höheren« Klassen machen es wie viele ihrer Standesgenossen am rechten Rheinufer; sie sprechen sehr schlechtes Französisch und halten das für vornehm. Als diese Zeilen im Jahre 1857 niedergeschrieben wurden, konnte wohl kein Mensch ahnen, daß schon nach vierzehn Jahren das vordem mittels schnödestem Unrechts und infamster Tücke Deutschland entrissene Elsaß wiederum für das ruhmvoll erneute Deutsche Reich zurückerworben sein würde. Die Hoffnung jedoch auf eine dereinstige Erlösung aus der welsch-babylonischen Gefangenschaft und auf eine Rückkehr ins Daheim der Mutter Germania war in einer kleinen, aber edlen Schar treudeutscher Elsässer nie erloschen und wurde innerhalb dieser Schar das Deutschtum durch Dichter und Gelehrte mit wahrhaft rührender Pietät gepflegt, während im Volke, insbesondere, wo dasselbe nicht mit verwelschtem vornehmen und gemeinen Fabrikpöbel versetzt war, die deutsch-nationalen Überlieferungen in Gestalt und Sprache, Sage und Sitte still fortlebten. Mitunter schlug wohl auch inmitten der mit aller List und aller Gewalt betriebenen Verfranzosung ein deutscher Ton und Klang auf, welcher dem Glauben, Lieben und Hoffen der ihrer nationalen Pflicht treugebliebenen Elsässer ergreifenden Ausdruck gab. Dies geschah z. B. in den Liedern von Karl Hackenschmied mit einer wahrhaft prophetischen Zukunftsahnung. Als zu Ende Junis 1859 das Straßburger Münster zur Feier der Schlacht von Solferino mit französischen Fahnen geschmückt war, schrieb Hackenschmied angesichts dieser Dekoration die Strophe:

Ei, so weht nur, welsche Fahnen!
Aus der Nacht entspringt der Tag,
Wo empor der deutsche Adler
Sich erhebt mit mächt'gem Schlag;
Wo er schlägt die starken Krallen
In des Domes Felsenkleid
Und verkündet siegesjubelnd
Deutschlands neue Herrlichkeit'

Note zur 3. Aufl. v. J. 1872.

Fest entschlossen, wenigstens einen Monat lang ganz mir selbst anzugehören, wollte ich leiblich und geistig dieser Ferien genießen und ging daher in der alten Reichsstadt und ihrer Umgebung den Spuren Goethes nach. Ich halte dafür, daß die Straßburger Partie in Wahrheit und Dichtung mit zu dem Reizendsten gehört, was der Meister geschrieben. Hier wurde das Nachgefühl einer schönen Zeit so mächtig in ihm, daß es den steifleinenen Geheimratsaplomb, welcher manche Partie der berühmten Selbstbiographie unerquicklich genug macht, siegreich durchbrach. Ich pilgerte auch nach Sesenheim hinüber, wo Goethe die glücklichsten Stunden seines Lebens verlebt hat. Wenn man sich jene anmutigen Szenen eines idyllischen Glückes vergegenwärtigt, könnte einen wohl der Zweifel beschleichen, ob in unserer hastigen Dampfkesselzeit so ein Glück überhaupt noch möglich sei .... Schöne Friederike Brion, der Genius hat dafür gesorgt, daß ein Schatten deiner anmutigen Erscheinung noch immer auf den Fluren deiner ländlichen Heimat weilt. Auch ich sah dich noch dort in deinem »kurzen, weißen, runden Röckchen mit einer Falbel, nicht länger, als daß die nettesten Füßchen bis an die Knöchel sichtbar blieben, im knappen Mieder und in der schwarzen Tafettschürze, leicht und schlank, als wenn du nichts an dir zu tragen hättest.« Später hattest du an deinem verlassenen Herzen gewiß schwer genug zu tragen. Arme Friederike Brion! Dein erlauchter Geliebter hat dir den Kranz der Unsterblichkeit um die Stirne gelegt, aber was dieser Kranz dich gekostet, das hat er nicht gesagt. Arme Friederike! Schade, daß du nur eine einfache Landpfarrerstochter und in der Mythologie nicht sehr bewandert warst. Du hättest sonst im voraus gewußt, was die Töchter der Erde zu erfahren haben, wenn sie von Göttern geliebt werden.

Nach Wolfgangs des Großen Vorgang wollte ich dann auch am Straßburger Münster wieder einmal »deutsche Art und Kunst« studieren. Aber ich weiß nicht, als ich droben auf der Münsterterrasse stand, schauten die tannengrünen Schwarzwaldberge so anheimelnd herüber, daß ich denselben ohne weiteren Verzug entgegeneilte, beflügelten Fußes. Und dieser Ausdruck ist wörtlich zu nehmen, denn ich reiste wieder einmal wie ein Student, das heißt wie ein Student aus meiner, Zeit. So durchwanderte ich den alten Schwarzwald und den schönen Hegau und schlenderte das reizvolle obere Donautal hinab, dem fruchtreichen Oberland entgegen. Ich wollte ja nach Frohdorf, wo mein geliebter Fabian, wie er mir in seinem letzten Briefe triumphierend gemeldet hatte, Pfarrer geworden war, und freute mich ganz unbändig darauf, den Jugendfreund, das treue, gute, duldsame Bruderherz endlich wiederzusehen.

Es war gerade

........ die üppige Zeit,
Wo alles so schweigend glüht und blüht,
Wo des Sommers stolzierende Herrlichkeit
Langsam durch die schwelgenden Lande zieht.

Ja, sie glühte wollüstig in der Umarmung des lachenden Himmels, die ewig junge Mutter Erde. Die Sonne, wenn auch im Westen allmählich an der stahlblauen Kuppel hinabsteigend, warf noch immer liebeheiße Strahlen über die weiten, erntereifen Fruchtgelände hin. Kein Lüftchen regte sich, und brütende Schwüle lag über der Gegend. Ich hatte mich müde gegangen. Ein Gehölz am Wege bot erwünschten Schatten. Ich warf mich hinter den ersten besten Busch des Waldsaums ins kühle Moos, schob mir die Reisetasche unter den Kopf und sank bald in tiefen Schlaf.

So mochte ich einige Stunden geschlafen haben, als mich der Schall von Menschenstimmen weckte. Ich hob den Kopf und sah durch das Buschwerk hindurch zwei Männer den Waldweg heraufkommen, von denen der eine heftig redete und gestikulierte, während der andere ihn beschwichtigen zu wollen schien.

Der Heftige war ein langer Mann mit einem respektablen Bauche, fest und breit auftretend, mit einem äußerst wohlgenährten, roten Gesicht. Sein an den Schläfen ergrautes Haar war kurz geschoren und von einem runden Fuhrmannshut bedeckt, dessen Band durch eine große silberne Schnalle zusammengehalten wurde. Er trug bis an die Knie reichende Stiefel, schwarze Lederhosen, eine schwarze Sammetweste mit schweren Silberknöpfen und einen dunkelblauen Tuchrock mit sehr langen Schößen und stehendem Kragen. Aus seiner schwarzseidenen Halsbinde guckte ein weißes »Unterhalstuch« hervor. Im Knopfloch hatte er einen Rosmarinzweig stecken, was mir verriet, daß er von einer Hochzeit herkam, und in der Rechten führte er einen langen, unten in einen natürlichen Knopf auslaufenden Stock, dessen Handgriff mit Silberdraht umwunden war. Der reiche Oberländer Bauer war in Tracht und Gebaren dem Manne leicht anzusehen. Sein Begleiter war ganz gleich gekleidet, nur mit dem Unterschiede, daß man seinem Anzug anmerkte, er stehe auf der Leiter bäuerlicher Hierarchie etliche Sprossen tiefer als jener.

»Mordsappermost!« sagte der große Dicke polternd und stieß seinen Stock heftig auf den Boden. »Sag, was du willst, Hanns Jörg, 's muß sein, wie ich's haben will. Gelt, ich hab' heut' dem Ding ein End' g'macht, hab' der Hau Hacke. 'nen Stiel g'dreht, und, am nächsten Samstag geht halt mein Jages Abkürzung des Namens Cyriak. mit's Luixebaurs Kätter Abkürzung von Katharine. zum Hairle Zum Hairle gehen, das heißt sich verloben. Im Oberlande werden nämlich die Verlöbnisse im Pfarrhause abgeschlossen. – Punktum!«

»Nu, nu,« entgegnete der Hanns Jörg, »ich sag' nit, daß 's Luixebaurs Kätter nit für dein' Jages passen tät', aber denk' mir, der Jages will sie halt nit, und denk' mir, der Jages hat doch dazu auch was z' reden.«

»Muß sie wollen, die Kätter, muß. Meinst, ich woll' sein Lumpenmensch zur Söhnerin Schwiegertochter. haben? Die käm' mir recht! Was, nichts als ein altes Lärvle im Vermögen und 'nen Bettelsack zur Aussteuer? Aber gelt, ich hab's ihr g'sagt? Mein Jages, wenn er ein rechter Kerle ist, wird sich jetzt wohl den G'lust vergehen lassen, noch zu der Vefe Vefe, Vefele, Diminutiv von Genovefa. zu gehen.« Zu einem Mädchen gehen, das heißt in ein Mädchen verliebt sein, ihm den Hof machen.

»Wer weiß? Und's Vefele ist eineweg ein brav's Mädle und, Sapperlot, ein hübsch Mädle – sell ist es – und, ja, denk' mir halt, Bronnenbaur, nichts für ungut, 's war halt nit recht, das arm' Ding so vor allen Leuten abz'kapiteln und fast z'schlagen. Was kann's denn dafür, daß es deinem Jages gefallen tut?«

»Hanns Jörg, du schwätzest, mit Verlaub, grad' so ung'schickt wie meine Bäuerin. Da heißt's alleweil: 's Vefele ist ein brav's Mädle. Gang mir weg! 's ist von ihr und ihrer Alten nit brav, so 'nen Bursch wie meinen Jages einzuzeiseln.« Einzeiseln, das ist locken, an sich locken.

»Denk' mir, 's ist nit so. War doch des Vefeles Mutter, die alt' Hanne, ihr Lebtag ein rechtschaffen Weibsbild. Niemand hat weder ihr noch ihrem Mädle Schlimmes nachg'sagt und, denk mir, Bronnenbaur, ich könnt' mir's wohl noch denken, daß dir zu unserer Zeit die Hanne auf und eben so g'fallen tun tat, wie jetzt 's Vefele dem Jages.«

»Pestilenz! Komm mir nicht mit dem, Hanns Jörg, sonst machst mich halt wild.«

Mit diesen Worten gingen die beiden Männer an dem Buschwerk vorüber, hinter welchem ich lag, und bevor sie sich auf der Höhe des Weges verloren, hörte ich den Bronnenbauer noch sagen:

»Guck, Hanns Jörg, die G'schicht' ist jetzt 'rum. Hab' dem Jages heut' die Narretei g'wiß vertrieben. Gott straf mich! Ist ja sonst ein g'scheiter Kerle, mein Jages, wenn er auch seine Mucken hat. Das Ding wird sich jetzt schon machen. Denk dir, ein Luixebaur gibt seiner Kätter gleich fünftausend bare blanke Gulden mit, und in ein paar Jährle kriegt der Jages den ganzen Luixenhof; denn der Alt' wird's halt nit gar lang' mehr treiben, ist gar bresthaft, weißt? Heut' über drei Wochen ist Hochzeit, Alterle, und da wöll'n mer auch noch ein tun.« Einen tun, das heißt einen Tanz. Die Oberländer Burschen fordern die Mädchen mit der stehenden Redensart zum Tanz auf: »Wöll' mer ein tun?«

»Mammon in Lederhosen!« dachte ich, hatte aber nicht Zeit, über das mitangehörte Gespräch weitere Glossen zu machen, denn schon erschien, von der nämlichen Seite herkommend, von welcher der patzige Bronnenbauer und der mildere Hanns Jörg gekommen waren, eine neue Person auf dem Waldweg.

Ein Bauernbursch, in der Blüte des Lebens stehend, schlank und hoch gewachsen wie eine Tanne, kam den Pfad herauf. Auch er war feiertäglich angetan. Von den mit großen silbernen Schnallen geschmückten Schuhen zogen schneeweiße Strümpfe über die Waden bis an die Knie hinauf, um dort in prall anliegenden Lederhosen zu verschwinden. Über das lose umgeschlungene buntseidene Halstuch war der Hemdkragen weit zurückgeschlagen, eine scharlachrote Weste mit einer engen Reihe von Silberknöpfen hüllte die breite Brust ein, und über dieser Weste trug ihr Besitzer ein sehr kurzschößiges Wams von dunkelblauem Manchestersammet. Sein kurzgeschorenes braunes Haar bedeckte die eigentümlich geformte, mit Goldzindeln und braunem Pelzwerk verbrämte grünsammetne Mütze, wie die Bauern des Oberlandes sie tragen. Eine breite, mit allerlei Zierrat versehene silberne Uhrkette, die ein gut Stück über das Beinkleid hinabbaumelte, und eine Pfeife, deren »Ulmer« Maserkopf mit einem hohen silbernen Beschläge versehen war und an deren Rohr eine enggehäkelte Silberkette hing, vollendeten den Sonntagsstaat des jungen Mannes, dessen hübschen, offenen Zügen eine Adlernase, unter welcher ein dunkler »Schnauz« sich brüstete, etwas Mannhaftes verlieh. Die straffe Haltung und der Gang des jungen Bauern ließen, zusammengehalten mit dem erwähnten Schnauz, vermuten, daß das viereckige, »latschige« Gebaren, welches unsere bäuerliche Jugend oft genug verunstaltet, hier der militärischen Dressur gewichen sei.

Übrigens war der Bursch augenscheinlich in großer Aufregung. Seine dunklen Augen rollten unstet, und helle Schweißtropfen rannen ihm von der gefurchten Stirne über die fieberhaft geröteten Wangen herab. Bald stand er still und kehrte sich um, wie horchend, bald ging er wieder vorwärts, dumpf vor sich hinmurmelnd und große Wolken aus seiner Pfeife paffend. So war er meinem Verstecke schräg gegenüber gekommen, als er mitten auf dem Wege still stand, die Pfeife aus dem Munde nahm und sie dann, nachdem er einen Augenblick regungslos vor sich hingestarrt, mit einer heftigen Verwünschung zu Boden warf und mit einem Fußtritt das reiche Silberbeschläge zerquetschte. Dann stierte er einige Sekunden lang in die leere Luft, und plötzlich sah ich zwei große Tränen aus seinen Augen rollen, hörte ihn einen schweren Seufzer ausstoßen und mit dem Sprung eines getroffenen Hirsches warf er sich auf der anderen Seite des Weges in das Dickicht.

»Am Ende ist das gar des Bronnenbauers Jages,« dachte ich. Aber schon wurde meine Aufmerksamkeit abermals nach dem Wege hingezogen, auf welchem eine vierte Person erschien, diesmal eine weibliche.

Es war eins jener kräftigen Bauernmädchen von wirklich ländlich-untadelhafter Schönheit in Wuchs und Antlitz, wie sie mit ihren nußbraunen Haaren, klugen Rehaugen und Wangen »wie Milch und Blut« im Oberlande nicht allzuselten einem begegnen. Das Mädchen war sauber und sonntäglich angetan, aber doch deutete seine Sonntagshäs Häs, das ist Kleidung. unverkennbar auf Armut. Seine Radhaube war nicht silbern oder gar noch dazu vergoldet, wie die Hauben der reichen Bauerntöchter jener Gegend, und auf seinem Mieder bemerkte man nicht jenes Gewinde von silbernen Ketten, welches die hochbusige Brust derjenigen Oberländerinnen, welche »Batzen« haben, zu schmücken pflegt.

Langsam kam die ländliche Schöne den Weg herauf, am linken Arm den kleinen Korb, dessen Form einem der Länge nach in der Mitte zerschnittenen Ei ähnelt und ohne welchen man eine rechte Oberländerin selten außerhalb ihres Dorfes erblickt. Als sie sich näherte, bemerkte ich, daß sie eben erst aufgehört haben mußte, heftig zu weinen; denn ihre schönen Augen waren rot umrändert, und sie fuhr von Zeit zu Zeit mit der umgekehrten Hand darüber, wie um eine zurückgebliebene Träne wegzuwischen.

Plötzlich sah sie die mißhandelte Pfeife auf dem Boden liegen, lief hastig darauf zu, hob sie auf, betrachtete sie verwundert, erschrocken, zweifelvoll und sprach dann mit einer Betonung, worin sich Frage und Ungewißheit, Bekümmernis und Zärtlichkeit seltsam mischten, den Namen Jages aus.

Der Ausruf war so leise, gewesen, daß ich ihn kaum verstehen konnte. Aber ein anderer, der Bursch dort drüben in den Büschen, mußte ihn deutlich genug gehört haben. Mit einem Satz war er auf dem Wege, legte seine kräftigen Arme dem Mädchen auf die Schultern, zog es an sich und beugte sich schweigend zu ihm herab.

Das Mädchen seinerseits ließ bei der plötzlichen Erscheinung des Burschen die Arme zuerst schlaff an der Seite niederhängen, so daß Korb und Pfeife ihren Händen entfielen. Dann erhob sie ihren rechten Arm, umwand damit den linken des Burschen und richtete ihr hochgerötetes Gesicht zu ihm auf.

So standen sie lange, ein schönes Paar, in der roten Abendsonne und sahen sich schweigend in die Augen; aber diese redeten miteinander jene Sprache, welche man in der Maienzeit des Lebens versteht und später, ach, wie so manches Schönste, Beste, nur noch für eine Jugendtorheit will gelten lassen.

Endlich sagte der Bursch:

»Gelt Vefele, bin heut' ein recht schlechter Kerle g'wesen? Was hast' von mir denken müssen, daß ich dich so hab' stecken lassen? Aber guck', 's ist halt mein Vater, und – und –«

»O, Jages,« erwiderte das Vefele sich bückend, um Korb und Pfeife aufzuheben, »du hast nichts dafür können, und ich hätt' halt sollen meiner Mutter folgen und nicht zu der Hochzeit gehen.«

»Ja, justement um so schlechter war's von mir, weil ich's hab' haben wollen, daß du hingangen bist. Und ich bin wie 'n rechter Tralle und Hundsfötter dag'standen und hab' mich nicht für dich g'wehrt. Gelt, du hast dich g'wiß in d' Seel' 'nein für mich g'schämt.«

»Warum denn? So ein arm' Mädle wie ich muß sich viel g'fallen lassen, und was hättest denn sollen machen? Dein Vater, der will's nu' mal nicht haben, daß du Bekanntschaft Bekanntschaft bedeutet im Oberländischen Liebschaft. mit mir hast, und ich selber hab' dir's ja schon hundertmal g'sagt, daß ich nicht für dich passen tu'. 's Luixebaurs Kätter, die –«

Der Jages ließ sie nicht vollenden. Er fuhr heftig auf, um so heftiger, als ihn der Instinkt der Liebe in den letzten Worten des Vefele etwas wie Eifersucht ahnen ließ, rückte die Mütze zornig aufs Ohr und sagte überlaut:

»Gang mir zum Deuxel mit 's Luixebaurs Kätter, hätt' ich bald g'sagt. Dich will ich und sonst keine. Du bist mein Schätzle und mein Schatz, Vefele. Aber du wirst mich jetzund wohl nicht mehr wollen, he?«

Und halb flehend, halb zornig faßte er ihre Hand, wie um jenes Geständnis zu erpressen, das man in jungen Jahren nicht oft genug hören kann.

»Ich wohl, Jages,« entgegnete das Mädchen naiv, »aber weißt ja, d' Leut wollen's nicht und's darf nicht sein. Ja, wenn du nur ein armer Bursche wärest –«

»Wär' ich's nur!« unterbrach sie der Jages wieder heftig. »Aber ich will's dem Vater schon sagen, das will ich! Wenn ich gleich nicht vor allen Leuten mit ihm Händel anfangen mocht', so soll er's doch heut' noch zu hören kriegen, daß ich nicht so mit mir umgehen lasse und mit dir. Will lieber beim nächsten besten Bäuerle als Knecht dienen, dann kann er sein Sach' geben, wem er will. Schaffen kann ich wie einer – und, kurzum, will's ihm heut' noch sagen.«

»Gelt nicht?« bat Vefele. »Dein Vater hat trunken, weißt, und dann ist er gar hitzig und wild.«

»Ei was! Ich kann auch wild werden, wenn's sein muß.«

»Weiß wohl, aber denk' an dein' Mutter. Und muß dir sagen, Jages, 's tut kein gut nit, daß du mein'twegen mit deinem Vater Händel anhebst. Gelt, du versprichst mir's, das nit z' tun?«

Sie ergriff die Hand des Widerstrebenden, der nach einigem Zaudern sagte: »Nu' ja, für heut' will ich dir's versprechen, aber nur dir z'lieb, weißt? Und unter der Bedingung, daß du mich lieb b'hältst und mir 'n Küßle gibst.«

»Da!« sagte das Mädchen lächelnd und bot, sich auf die Zehen stellend, dem Geliebten ihren kirschroten Mund dar. »Und jetzt,« fuhr sie fort, »gang du schnell heim. Ich mag nicht noch mal Ärgernis geben, wenn man uns beieinander sieht.«

»Warum nicht gar! Meinst, ich lass' mir von 'nem Menschen, wenn's nit grad mein Vater ist, im Bart kratzen? Sapperlot, jetzt grad' will ich dich heimführen. 's ist noch Tag und alle Leut' im Dorf sollen sehen, daß du halt mein Schatz bist und bleibst.«

Mit diesen Worten zog er das Mädchen vorwärts. Aber nach wenigen Schritten machte sich Vefele sanft von ihm los und sagte:

»Sei brav, Jages, und folg' mir. Weißt, ich mein's gut. 's ist nit recht, dein' Vater noch böser z' machen. Gang du hübsch da links über den Bühel heim, ich will rechter Hand über d' Steinbruck abe gehen. Und, Jages, hör' sei gut mit deinem Vater und vergiß nicht, z' unserm Herrgott z' beten. Der wird's schon mit uns machen, wie's am besten ist.«

Der fromme, vertrauensvolle Ausdruck, welchen das Gesicht der Sprecherin bei den letzten Worten angenommen hatte, machte sie noch schöner, und ich begriff unschwer, daß der Jages sie leidenschaftlich an seine Scharlachweste drückte und ihre Stirne und Wangen mit Küssen bedeckte. Hierauf sagte er:

»Guck' sieh, du kannst halt mit mir machen, was du willst. Ich will dir folgen. Aber weißt, Vefele, wo ich Soldat worden bin, da hab' ich müssen ein' heiligen Eid auf d' Fahne schwören, und guck', grad' so ein Eid hab' ich vorhin im stillen bei mir g'schworen, daß du und keine andere mein Weib sollst werden. Das merk dir, und jetzt' gut' Nacht, Schätzle, und schlaf' wohl und grüß' mir dein' Mutter.«

Dies gesagt, entfernte er sich hastig und ohne umzublicken. Das Mädchen sah ihm nach, bis seine hohe Gestalt links am Waldsaum verschwunden war. Dann wandte sie sich rechtshin, und ich sah ihre Lippen sich bewegen, als spräche sie ein stilles Gebet. Aber die Fassung, welche sie dem Geliebten gegenüber so gut zu bewahren gewußt, wich jetzt dem Ausbruche eines Schmerzes, welchen zu bewältigen sie sich weiter keine Mühe gab. Ihre Brust hob sich stürmisch, sie seufzte zu wiederholten Malen laut auf und verschwand weinend hinter den Baumstämmen.

»Die alte Geschichte, ganz die alte Geschichte!« sagte ich bei mir. »In der Stadt und auf dem Lande, in Palästen und Hütten immer dasselbe Drama, welches gewöhnlich als Lustspiel anhebt und so oft als Trauerspiel endigt.«

Ich griff nach meiner Zigarrenbüchse, und während ich mir einen Glimmstengel anbrannte, summte mir im Kopfe ein altes bekanntes Volkslied:

»Sie konnten zusammen nicht kommen,
Das Wasser war viel zu tief ...«

Zweites Kapitel

Prachtexemplar einer aussterbenden Menschenspezies. – Die traurige Geschichte vom Jages und vom Vefele. – Ein Dorf an der Donau. – »Der Herr Pfarr'.«

»Buon giorno, Signore! Datemi una cigaretta!« sagte mit einmal eine etwas brüchige Baßstimme hinter mir.

Ich wandte mich überrascht um.

»Bon soir, Monsieur. Ayez bien la bonté, de me donner un cigare!« tönte es mir aus dem Munde einer äußerst langen und hageren Gestalt entgegen, welche in der einen Hand eine abgetragene Flachkappe, in der anderen eine sehr verrauchte Stummelpfeife hielt.

»Voilà, mon vieux,« entgegnete ich und hielt ihm das Etui hin.

Er nahm ohne Umstände eine Zigarre heraus und gab mir die Büchse kratzfußend und mit den Worten zurück:

»Thousand thanks to you Sir.«

»Wetter, lieber Mann,« sagte ich, »wenn das so fortgeht, so bringt Ihr noch alle europäischen Sprachen vor. Seid Ihr vielleicht beim Kardinal Mezzofanti, der etliche dreißig Sprachen redete, in die Schule gegangen?«

»Nein, Herr,« gab der hagere Veteran – denn als solchen kennzeichnete ihn das Vierteldutzend Medaillen, die er im Knopfloch hängen hatte – zur Antwort. »Weder bei einem Kardinal noch bei sonst einem der roten oder schwarzen Vögel: hab' sie mein Lebtag nicht recht vertragen können. Aber man ist ein gut Stück in der Welt 'rumgekommen, Herr, und da bleibt da und dort ein Brocken an einem hängen.«

Mein neuer Bekannter war einer jener alten Knasterbärte, welche das ganze Kriegsgetümmel der Napoleonschen Zeit mitgemacht hatten und dann, mit Narben bedeckt und auch wohl mit halb oder ganz erfrorenen Gliedern, endlich in ihre Heimat zurückgekommen waren, um in vielen Fällen als privilegierte Bettler die Geschichte ihrer Strapazen von Haus zu Haus zu tragen, wandernde Kriegsfibeln, die sich in das Friedensleben gar nicht mehr recht hineinzufinden wußten. Das hier in Rede stehende Exemplar dieser allmählich aussterbenden oder schon ausgestorbenen Menschenspezies war ein ältestes, aber ganz leidlich konserviertes. Als fünfzehnjähriger Junge war er seinem Vater, einem Wagner in Frohdorf, entlaufen und Trommelschläger bei den Kaiserlichen geworden. Am Rhein von den Franzosen gefangen, hatte er diese sehr lieben gelernt und in ihren Reihen zunächst gegen die têtes quarrées von Vendeern, wie er sie nannte, gefochten. Dann, mit Bonaparte, nach Ägypten gesegelt, machte er die Seeschlacht von Abukir mit und mußte, bei dieser Gelegenheit in die Hände der Engländer gefallen, diesen drei Jahre lang als Marinesoldat dienen. Nachdem er sich diesem unfreiwilligen Dienst in einem italischen Hafen durch eine kühne Flucht entzogen, stellte er sich wieder unter die Fahnen des kleinen Korporals, focht in den verschiedensten Ländern, sah den Brand von Moskau und mußte, nach der Schlacht bei Bautzen von den Preußen als Blessierter vom Schlachtfelde aufgelesen, nach notdürftiger Heilung gegen seine geliebten Franzosen mit zu Felde ziehen, um, wie er sich ausdrückte – denn er hatte von seinen Feldzügen unter der republikanischen Fahne her höchst absonderliche, sozusagen ganz abscheuliche Ideen im Kopfe behalten – »den Aristokraten und Pfaffen wieder zu ihrem Futter zu verhelfen«. Nach dem zweiten Pariser Frieden in Gnaden verabschiedet, war er nach Frohdorf zurückgekommen, wo ihn niemand mehr kannte, wo er aber das oben angedeutete Privilegium mit so vielem Humor auszubeuten wußte, daß er unter dem Namen des »Courage« ein sehr beliebter öffentlicher Charakter der ganzen Gegend geworden und geblieben war. Den angegebenen wunderlichen Namen hatte ihm seine Neigung eingetragen, sich bei jeder Gelegenheit Französisch vernehmen zu lassen, oder wohl mehr noch seine Gewohnheit, das Wort courage häufig ans Ende seiner Sätze zu stellen, gleichsam als Tüpfelchen auf das i oder als Ausrufungszeichen. Im übrigen war er die beste Seele von der Welt, und da ich ihm beiläufig mitteilte, daß ich von Paris herkomme, waren wir bald ganz kordial mitsammen. Ich glaubte, sein weißer Schnurrbart wollte sich sträuben vor Freude bei der Entdeckung, wieder einmal einen Menschen vor sich zu haben, mit dem er von seinen Pariser Erinnerungen schwatzen konnte.

Nachdem er seiner Neugier, ob dies oder das an der Seine immer noch so sei wie zu seiner Zeit, einigermaßen Genüge getan, fragte ich meinerseits, ob er mir Näheres über die Personen sagen könnte, welche ich vor dem Zusammentreffen mit ihm gesehen und die mein Interesse lebhaft erregt hatten. Ich hatte nicht nötig, sehr weitläufig in meiner Beschreibung zu sein, denn er sagte sogleich:

»Sakristi, Sie haben den Jages und's Vefele gesehen? Ist's nicht ein hübsch Kind, une charmante fille? Und der Jages hätte dürfen nur mal tüchtig Pulver riechen, um ein ganzer Kerl zu werden – courage! Wissen Sie, 's sind halt junges Blut und ineinander verschossen. Er fast noch mehr als sie, wie's denn geht, wenn kein Krieg ist und die jungen Burschen Zeit haben, sich solches Larifarizeug in den Kopf zu setzen. War anders zu meiner Zeit, war allweil d' Welt voll Kriegstrubel und ließ einem der Kleine mit dem grauen Überrock nicht Zeit, sich in ein Weibsbild zu vergaffen, daß man drob schier krank werden mochte – courage!«

»Soviel ich von dieser Liebschaft sah, ist es eine traurige,« sagte ich.

»Freilich, freilich. Er ist halt ein reicher Bursch und sie ein arm' Mädle. Er ist das einzige Kind des Bronnenbauers, von dem man sagt, er könne sein Haus mit Kronentalern pflastern lassen, und 's Vefele herentgegen ist die Tochter der alten Hanne, deren ganzes Vermögen in einem baufälligen alten Häusle, zwei alten Apfelbäumen, einer Geiß und einem Kartoffeläckerle besteht. D'rum meint der alte Bronnenbauer, die Leute passen nicht zusammen. Die alte Hanne ist brav und rechtschaffen und ihre Tochter nicht minder – courage! Muß es wissen, ich, denn die Hanne war Geschwisterkind mit meiner Mutter selig und hat als gutmütige Base an mir gehandelt – so hat sie, Sakristi. Denn da ich alter Kriegsknecht heimkam und man mich von Gemeinde wegen zu allerlei Lumpengesindel ins Hirtenhaus einquartieren wollt', hat die Hanne gesagt: Nein, mein Vetter soll nicht ins Hirtenhaus, solang' ich noch 'ne Herberg' hab'. So hat sie mich denn zu sich genommen und sie und ihr braver Tone Anton. selig haben als rechte Freunde Das heißt Verwandte. »Freundschaft« bedeutet im Oberländischen Verwandtschaft. an mir getan, und seit der Tone tot ist, hat mich 's Vefele lieb wie 'nen Vater – courage!«

»Wollt', ich wär' an Eurer Stelle, Alter.«

»Dazu wären Sie doch wohl noch ein bißle zu jung,« meinte der alte Soldat lächelnd. »Aber sehen Sie, es tut mir halt weh, daß das Mädle in die Liebschaft mit dem Jages hineing'raten ist. 's Vefele, müssen Sie wissen, hat auf dem Bronnenhof als Magd gedient, und 's konnte nicht fehlen, daß sie dem Jages gefiel und er ihr, denn der Jages ist, entre nous, ein hübscher und rechter Kerl, und gerad' weil er so einer ist, hat er sich gegen 's Vefele nicht herausg'nommen, was hundert andere reiche Bauernsöhne gegen sie sich herausg'nommen hätten. Denn Sie müssen wissen, Herr, daß unsere Bauern gar nicht so ländlich sittlich sind, wie die Stadtleute meinen, sondern ländlich schändlich – courage! Ja, verdammt hochmütige Canaillen sind's, Sakristi! Und hat der Sohn so eines großen Hofbauern einem armen Mädle eins aufgehängt, so läßt er es sitzen, samt dem Balg, schwört sogar oftmals die Vaterschaft ab und heiratet durch die Bank nur eine, die Batzen hat. Hätt's der Jages auch so g'macht, der Bronnenbaur hätt' wohl gar noch sein' G'spaß dran g'habt, Gott straf' mich! Aber ist der Jages ein rechter Goldfasan unter diesen Mistfinken und 's Vefele auch ihrerseits nicht so eine, wie deren g'nug bei uns herumlaufen – courage!«

»Ihr scheint nicht gar zuviel von der Tugend und Sittsamkeit Eurer Landsleute zu halten, lieber Freund.«

»Nein, Herr. Glauben Sie mir, wenn man so an dreißig Jahre lang alle Haushaltungen der Gegend auswendig gelernt hat, so weiß man, was durchschnittlich an der ländlichen Unschuld und Gutmütigkeit und Gemütlichkeit, oder wie sonst all das Zeug heißen soll, eigentlich ist. Blutwenig, Herr, nicht der Rede wert – courage! Und gar vollends der Bauernstolz! Sag' Ihnen, Herr, 's gibt auf der weiten Welt nichts Widerwärtigeres als den Hochmut eines Bauern, der Batzen hat.«

»Da mögt Ihr nicht unrecht haben. Mir fällt ein, daß ein munterer Poet einmal gesagt hat: Bauernstolz wälzt sich auf der Erde.«

»Auf dem Mist hätte er sagen sollen – courage! Wüßten Sie nur, wie unflätig heut' der Bronnenbaur gegen das arme Vefele sich aufgeführt hat.«

»Wie war denn das, Alter?«

»Ja, sehen Sie, als der Bronnenbauer merkte, daß der Jages nur redliche Absichten auf's Vefele hatte, und daß des Jages sein' Mutter, die ein herzgutes Weibsbild ist, gar nichts dagegen hätte, 's Vefele zur Söhnerin z' kriegen, fing er ein Mordspektakel an und jagte 's Vefele aus dem Hause. Half aber nichts, denn Widerwärtigkeiten spornen verliebte Leute nur noch mehr an, sagt man. Da hat nun dem Vefele seine Kamerädin sich nach Göffingen drüben verheiratet und heute dort Hochzeit gehalten – 'ne mächtig große Hochzeit – und mußte 's Vefele auf besondere Einladung der Hochzeiterin auch dabei sein. Der Jages war auch da und der Bronnenbauer, weil sie zum Hochzeiter nahe Freund' sind. Gut, da tanzt nun halt der Jages natürlich allfort mit dem Vefele und hab' ich mit eigenen Ohren g'hört, wie die Leute auf dem Tanzboden zueinander sagten: ›Gucket, das gäb' wägerle ein schön's Pärle!‹ Aber war da auch des Bronnenbauers Nachbar, der reich' Luixenbauer, mit seiner dicken Kätter, und die soll der Jages heiraten. Will aber halt nicht der Bursch – courage! Wie nun die Kätter sieht, daß der Jages, den sie mit Teufelsg'walt möcht', so mit dem Vefele scharmuziert, wird sie fuchsteufelswild – wissen Sie, Herr, wie eben 's Weibervolk unter solchen Umständen zu werden pflegt – ja, wird fuchsteufelswild, die Kätter, geht hin und stupft ihren Vater auf, und der stupft den Bronnenbauer auf, und der springt halt auf einmal wie b'sessen auf den Tanzboden, reißt den Jages vom Vefele weg und sagt dem armen Mädle alle Schand' und Spott. Gab halt da ein groß' Spektakel. Der Jages, sagten mir die Leut', hätte wollen über seinen Alten her und sich nur auf Zureden des Hochzeiters besser besonnen. Dann sei er fort. Nun müssen Sie halt wissen, Herr, daß hier herum keine Bauernhochzeit ganz ist, wenn nicht der Courage dabei. War also auch im Göffinger Wirtshaus, aber zum Unglück gerad' in der untern Stub', als es droben losging. Als ich von der Sach' hörte, ging ich freilich schnell hinauf, um meinem Bäsle beizustehen. War aber die Geschicht' schon aus, und war der Bronnenbauer schon fort und auch 's Vefele heim. Hatte sich jedennoch die Hochzeiterin, ein resolutes Weibsbild, rechtschaffen des Vefele angenommen. Sagten auch viele Leut', wie wüst das von dem Bronnenbauer gewesen, und wenn auch 's Vefele für den Jages z'arm sei, so sei es daneben doch ein brav's Mädle. – So ist das Ding. Soll aber dem Bronnenbauer nicht geschenkt sein, soll nicht, mort de ma vie! Will ihn schon kriegen, ja das werd' ich – courage!«

Während dieses Gespräches hatten wir den Wald durchmessen und einen jähen Hügel erstiegen. Droben angelangt, sahen wir das Donautal unmittelbar vor uns liegen und hart am jenseitigen Ufer des Flusses Frohdorf.

Es verdient seinen Namen, so frohmütig lag es da in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Der gelehrte Fabian behauptete freilich, man müßte eigentlich Frodorf sagen oder schreiben, nicht Frohdorf, denn vielfache Spuren wiesen darauf hin, daß der Ort ursprünglich dem altgermanischen Frühlings- und Liebesgott Fro zu Ehren benamset worden sei; allein das kann dem werten Leser gerade so gleichgültig sein wie mir selber, und wir wollen daher bei der Schreibart Frohdorf bleiben. Hinter demselben erhebt sich eine mit Buchen und Eichen bewaldete Hügelkette, und von einem Vorsprunge derselben starrten die Trümmer einer jener Feudalburgen talwärts, an welchen das Schwabenland einst so großen Überfluß hatte. Zackig und zerrissen sehen sie aus wie eine trotzige Elegie auf jene Zeiten, welche ich natürlich schon lange nicht mehr durch die rosenrote Brille des süßhölzernen Fouqué ansah. Von den Hügeln zogen sich Kornfelder, vom Erntesegen schwer, bis zum Dorf heran, an dessen Ende auf einem erhöhten, ummauerten Platz die Kirche mit ihrem stumpfen Turme stand. Am Fuß der Anhöhe lugte das Pfarrhaus aus Obstbäumen hervor. Den Blumengarten an seiner Vorderseite bespülte ein Waldbach, der von den Hügeln herab dem Flusse zueilte, nachdem er oberhalb des Dorfes die Räder einer stattlichen Mühle in Bewegung gesetzt hatte, welche, wie mein Begleiter mir mitteilte, der Großmutter des Jages von mütterlicher Seite gehörte. Unterhalb des Dorfes weitete sich das Tal. Fette Wiesengründe faßten weithin die Donau ein, an deren linkem Ufer man in der Entfernung von etwa einer Viertelstunde die Baulichkeiten des Luixenhofs sich erheben sah. Von diesem Gehöfte führte ein Steg nach dem rechten Ufer hinüber, wo die Wohnräume, Scheune und Stallungen des Bronnenhofes lagen.

Als mir der alte Soldat die beiden Gehöfte zeigte, bemerkte ich, die Besitzer derselben müßten schon durch die Lage ihrer Heimwesen auf den Gedanken gebracht worden sein, ihre Kinder miteinander zu verbinden.

»Ja,« meinte mein Begleiter dazu, »der Bronnenhof und der Luixenhof liegen nahe genug beisammen, aber die Donau fließt dazwischen.«

»Wohl, aber der Steg verbindet ja die beiden Höfe.«

»Der Steg, der Steg! Herr, sag' Ihnen, der Luixenbauer sowohl als der Bronnenbauer gäben viel drum, wenn sie den Steg ihr Lebtag nicht gesehen hätten – courage!«

Das verwitterte, aber offene Gesicht des alten Mannes hatte bei diesen Worten, ich weiß nicht was für einen sonderbaren Ausdruck angenommen, so daß ich verwundert fragte, was er mit seiner Rede meine.

»Allerlei, Herr,« gab er zur Antwort; »aber 's ist jetzt keine Zeit, davon zu parlieren. C'est une autre chose, une chose extraordinaire, une chose très-formidable, soidisant –.«

Weiter wollte er nicht herausrücken und ich hielt für unpassend, neugierig in ihn zu dringen.

Während wir die Anhöhe gegen den Fluß hinab und drunten über die »Steinbruck« gingen, hatte der Mond die Sonne am Himmel abgelöst und Fluß und Wald und Tal in sein dämmerndes Licht getaucht. Das Geräusch des Tagwerkes erstarb im Dorfe allmählich: die Mägde hatten ihre Kühe schon zur Tränke getrieben, die Knechte ihre Pferde schon zur Schwemme geritten. Da und dort hörte man in den Gassen eine Sense dengeln oder ein Ziehbrunnenrad surren. Von den Feldern draußen trug der Nachthauch manchmal einen abgebrochenen Wachtelschlag, von den umliegenden Gehöften das Gebell eines Hundes an das Ohr, drunten rauschte dumpf der Fluß, und droben klapperte eintönig die Mühle.

Es lag etwas ungemein Friedliches und Heimeliges in der ganzen Szene, etwas, das mich an die ländlichen Abende meiner Kindheit erinnerte.

Als wir in das Dorf eingetreten, weckte mich mein Begleiter aus meiner Träumerei.

»Parbleu, Monsieur,« sagte er, »Sie wollen wohl hier übernachten, und da tut's mir leid, daß ich Ihnen kein Quartier anbieten kann. Das Wirtshaus zum roten Löwen ist übrigens ein recht leidliches Logement und ich will Sie hinführen!«

»Ist nicht nötig. Ich werde beim Pfarrer einkehren.«

»Ah, bei unserem Monsieur le curé? Das ist was anderes – Sakristi.«

»Nun, mein Lieber, gehört der auch zu den schwarzen Vögeln, die Ihr nicht vertragen könnt?«

»Der? Nein, Herr. Vergeht selten ein Tag, ohne daß ich ins Pfarrhaus komme. Liebe Leute das, der Herr Pfarr' und seine Frau Mutter. Haben selber erfahren, wie Armut tut; drum sind sie so gut gegen die Armen. Muß nächster Tag' was von Wichtigkeit mit ihm reden. Kann was machen in der Sach', der Herr Pfarr'. Aber halt, da die Gasse links hinauf müssen Sie, kommen dann direktement zum Pfarrhof. Bon soir, Monsieur! Haben uns aber nicht zum letztenmal gesehen, hoff' ich – courage!«

Wenige Minuten darauf stand ich an der Türe des heimelig-einsam im Mondschein daliegenden Pfarrhauses und zog die Klingel.

Ein Gebell, das viel zu gescheit und gesetzt klang, als daß es nicht von einem Pudel hätte ausgehen müssen, antwortete dem Schall der Hausglocke.

Wetter, dachte ich, sollte der alte Hannikel noch am Leben sein, den ich dem Fabian geschenkt, als ich ausgezogen, das Glück zu erjagen?

Eine alte Frau öffnete die Tür, und das Licht, welches sie in der Hand trug, zeigte mir die milden, gutmütigen und klugen Züge von Fabians Mutter. Das Alter war schonend mit ihr umgegangen, und in ihrer dunkelfarbigen Volkstracht, das graue Haar in der eigentümlichen Florhaube geborgen, kam sie mir fast unverändert so vor, wie ich sie vor Jahren zum letztenmal gesehen hatte. Sie war ja glücklich, das Ideal ihres Lebens war verwirklicht, ihr Fabian war jetzt ein »geistlicher Herr«, ein Hairle – ja, sie war glücklich und das Glück konserviert seine Leute.

Zu ihrer Rechten befand sich wirklich der alte Hannikel, vorzeiten einer der famosesten Studentenhunde, der, nachdem er mich etwas Weniges beschnüffelt, sein hauswächterliches Knurren sogleich in altersschwache Freudebezeigungen verwandelte; zur Linken der alten Frau aber reckte ein großes zahmes Reh seinen schlanken Hals verwundert gegen den späten Gast aus und bewies mir durch seine Anwesenheit, daß mein Freund seine alte Liebhaberei für allerlei Getier und dessen Zähmung noch immer beibehalten habe.

»Gott grüß' Euch, Frau Margret!« sagte ich. »Was macht der Fabian?«

Die Angeredete hob das Licht in die Höhe, um mein Gesicht deutlicher zu sehen, und rief dann freudig überrascht aus:

»Herr Jesus, Ihr seid's, Ihr? Grüß' Gott tausendmal! Ach, wird sich der Fabian freuen! ... Kommt, kommt! 's ist, wie wenn wir's g'ahnt hätten, denn noch ist keine Stunde 'rum, seit wir von Euch gesprochen, mein Herr Sohn und ich.«

Ich fühlte gar keine Neigung, darüber zu lächeln, daß Frau Margret, wie das im katholischen Oberland Ton und Brauch, den Fabian ihren »Herrn Sohn« nannte. Der Willkomm, den mir die alte Frau bot, war ein so herzlicher, er erinnerte mich Heimatlosen so sehr an die Heimat und all ihr verschwundenes Glück, daß ich gar keine Zeit hatte, es lächerlich zu finden, wenn Väter und Mütter von ihren geistlichen Söhnen so zeremoniös reden.

Frau Margret nahm mir mit gastfreundlicher Eile Hut, Stock und Tasche ab. Dann gab sie mir ein Licht und bat mich, ihren Sohn in seinem Studierzimmer, welches im oberen Stock lag, zu überraschen.

Während ich, von Pudel und Reh begleitet, welches unzertrennliche Genossen zu sein schienen, die Treppe hinaufstieg, hörte ich die gute Frau in der Küche der Magd Befehl geben, ein reichliches Nachtessen zu rüsten; »denn, denk' nur, Annele,« sagte sie, »des Herren sein bester Freund auf der Welt ist kommen.«

Ich erkannte Fabians alte Herzensstimme in dem gelassenen »Herein!«, welches meinem Anklopfen folgte. Eingetreten, sah ich den jungen Priester, eine Studierlampe vor sich, an seinem Schreibtische sitzen und der niedergelassene Lampenschirm, welcher das Gemach, mit Ausnahme eines kleinen Umkreises auf dem Schreibtische, in Dämmerung ließ, verhinderte den Freund, mich sogleich zu erkennen. Da ich stumm blieb, sah er erwartungsvoll von seinem Buch auf und mich ungewiß an, bis er, mich plötzlich erkennend, auffuhr, mit einem Freudensprung auf mich zukam, mich in die Arme schloß und laut ausrief:

»Du bist's, Bruderherz? Grüß' dich Gott, Kerle! Grüß' dich Gott, alter Michel! Bist's denn wirklich, altes, liebes, ungeheures Ungeheuer?«

Die studentische Reminiszenz in dieser Empfangsweise machte einen komischen Eindruck auf mich, welcher noch vermehrt wurde durch den Umstand, daß Fabian in seiner freudigen Hast vergessen hatte, seine lange Pfeife wegzulegen, die jetzt, von einer seiner Hände festgehalten, mir den Rücken hinabbaumelte und mich mit ihrer Mundspitze im Nacken kitzelte.

Nachdem ich Fabians Begrüßung erwidert hatte, mußte ich mich von ihm genauer besichtigen, so recht von unten bis oben begucken lassen, wobei er sagte:

»Du bist wahrhaftig noch gewachsen seit der Zeit, wo du unter die Priester Mammons, und ich unter die Priester Christi gegangen. Aber sag', woher kommt die garstige Falte zwischen deinen Augenbrauen? Die mußt du dir abgewöhnen, Alterle.«

Dann, auf den alten Hannikel deutend, welcher invalid, wie er war, an mir empor zu springen versuchte, setzte er hinzu:

»Guck mal, das alte, treue Tier hat dich wiedererkannt.«

Und mit dem Pathos des Herzens begann er jene bekannten Verse aus der Odyssee zu deklamieren:

»Aber ein Hund lag dort und erhob sein Haupt und die Ohren,
Argos, Odysseus' Hund, des erduldenden, den er vordem selbst
Aufzog ....
Dieser, sobald nunmehr den Odysseus nah' er bemerkte,
Wedelte noch mit dem Schweif und herab auch senkt' er die Ohren.«

Als wir die ersten stürmischen Fragen und Antworten, welche sich bei zwei so guten alten Freunden, die sich lange nicht gesehen, auf die Lippen drängten, ausgewechselt hatten und nun etwas ruhiger auf dem Kanapee beisammen saßen, konnte ich das Gemach meines priesterlichen Jugendkameraden genauer mustern. Wäre nicht die Menge von Büchern gewesen, welche auf Repositorien, Tischen, Stühlen, Klavier und Boden herumlagen, so hätte man meinen können, man befände sich in einer Menagerie. Denn allenthalben stieß das Auge auf allerlei Käfige und Behältnisse, aus welchen ein seltsames Glucksen, Gackern, Pfeifen und Schnurren hervorkam. Die tiefen Fensternischen waren ihrer ganzen Länge und Breite nach zu Vögelwohnungen umgeschaffen worden, in welchen jetzt, bei zurückgeschlagenem Lampenschirm, ein ganzes Heer vielsortiger Singvögel piepsend umherflatterte. In einer Ecke kletterten ein paar Eichhörnchen an einer Stange auf und ab und neckten einen schlaftrunkenen Nußhäher, der oben auf derselben saß. Alles dieses sichtbare und noch anderes unsichtbare Getier machte, aus seiner Ruhe aufgestört, ein wunderlich Getöne, so daß mir Hören und Sehen vergehen wollte.

Der Pfarrer ergötzte sich einige Augenblicke an meiner maulaufsperrenden Bewunderung. Dann aber steckte er den Finger in den Mund und tat einen eigentümlichen Pfiff, welcher fast augenblicklich sämtliche Bestien verstummen und sich verkriechen machte.

»Wetter, Fabian,« sagte ich, »du scheinst deinem Tierbändigertalent, womit du vorzeiten meinem teuren Vater soviele Freude machtest, eine wahrhaft universelle Ausbildung gegeben zu haben. Das ganze Tierreich folgt ja sozusagen deinem Machtwort.«

»Was willst du?« versetzte Fabian. »Mit ein wenig Geduld und Erfahrung kommt man da weit, und dann war ich ja schon frühzeitig zu der Ansicht geführt worden, daß mit Tieren weit leichter umzugehen sei als mit Menschen.«

»Ich weiß, du hattest immer absonderliche Marotten; unter anderen auch die, dereinst als Pfarrer unter deinen Bauern eine Rolle zu spielen, wie sie laut Zschokkes Goldmacherdorf ein gewisser Oswald spielte.«

Ein bitterer Ausdruck verdüsterte für einen Augenblick die Züge des Geistlichen. Dann sagte er mit sauersüßer Betonung:

»Ach, lieber Junge, die Ideale sind zerronnen. Ich habe Tiere aller Arten gezähmt und, wie dein unvergeßlicher Vater zu sagen pflegte, wissenschaftlich gebildet. Aber was meine Bauern betrifft, ach Gott, da kam ich mit meinen humanisierenden Ideen schön an!«

»Du machtest also mit deiner Oswaldsrolle Fiasko?«

»Und wie! ... Guck, Alterle, ich, ein Priester der Religion, welche demokratische Gleichheit und Bruderschaft aller Menschen lehrt, sollte es eigentlich nicht sagen, aber es war doch nicht ohne, wenn unser alter Freund, der Kandidat Cyrillus Chrysostomus Theophilus Rumpel in seiner zynischen Weise eines Tages zu mir sagte, es gebe eben ein für allemal zwei Sorten von Menschen, nämlich Menschen-Menschen und Menschen-Viecher. Die letzteren zu vermenschlichen sei ganz unmöglich und sie seien eben dazu da, den ersteren zu Packeseln zu dienen.«

»Da solltest du erst meinen Freund Bürger hören – weißt du? den Herrn Hans Bürger, der mich damals im Heidelberger Schloßgarten verhinderte, einen kolossalen Unsinn zu begehen – ja, den solltest du hören, wenn er alle Segel seines Pessimismus aufgespannt, von dem gemeinen, niederträchtigen, schweinischen Haufen spricht, wie er das Volk schilt. Aber ich weiß, daß hinter der exzessiv aristokratischen Maske des Mannes eine republikanische Gesinnung blüht, hochrot, wie die Rosen um Pfingsten, und so möchte ich auch deinen Glauben an die zynische Weltanschauung Rumpels, von welchem ich dir allerlei erzählen werde, nicht für gar zu ernstlich gemeint halten. Was mich betrifft, so habe ich gelernt, die Volksschmeichler nicht minder zu verachten als die Fürstenschmeichler, und ich sehe daher die Koterie von Zeitungsschreibern, Literaten und Advokaten, welche auch in Deutschland einen Kultus des Proletariats etablierten, für noch mehr dumm als niederträchtig, für noch mehr närrisch als schuftig an. Aber bei alledem halte ich standhaft daran fest, mit Herder zu glauben: Alles wahrhaft Gute und Große kommt nur aus dem Volke.«

»Natürlich! Wo soll es denn überhaupt herkommen? Doch davon morgen mehr, wenn du willst. Jetzt komm, 's ist Zeit zum Nachtessen. Aber du mußt halt bedenken, daß du nicht mehr in Paris bist, und mit der Frohdorfer Küche vorlieb nehmen.«

»Bah, zum Teufel mit der Pariser Küche! Sie ist akkurat wie all das französische Wesen – Phrasenzeug, Wind, Schwindel! Und meinst du denn, ich habe vergessen, wie deine Mutter in alten Zeiten zu kücheln wußte? Beim Jupiter, ich rieche schon den Duft der Sträuble. Sie sollen bis auf die letzte Krume vertilgt werden, verlaß dich drauf!«

Ich hielt Wort, und zwar nicht nur in Beziehung auf die Sträuble. Das Essen war vortrefflich, und dankbaren Gemütes bemerke ich, daß ich in einem katholischen Pfarrhause überhaupt nie schlecht gespeist habe. Die protestantische Theologie war nach dieser Seite hin ganz unzweifelhaft im Rückschritt.

Während der Mahlzeit erzählte ich mein Zusammentreffen mit dem Courage und was sich bezugs des Bronnenbauers, des Jages und des Vefele daran knüpfte. Frau Margret hörte mir aufmerksam zu, und ich fand, daß sie eine eifrige Patronin des Vefele fei. Sie konnte das Mädchen nicht genug loben. Dessenungeachtet aber bemerkte sie, die »Bekanntschaft« der beiden jungen Leute sei allerdings eine hoffnungslose, denn daß der einzige Sohn eines der reichsten Bauern im Oberland ein so blutarmes Mädchen heirate, das wäre etwas geradezu Unerhörtes, ginge gegen alle Kleiderordnung. Fabian bestätigte die Meinung seiner Mutter und fügte hinzu, es wäre fürs Vefele am besten, wenn sie ganz aus dem Dorf wegginge. Denn der Bronnenbauer sowohl als sein Nachbar, der Luixenbauer, seien ein paar schlimme Kameraden, denen nicht gut im Wege stehen sei.

Mit dem Freund auf seine Stube zurückgekehrt, hielt ich das Gespräch über die beiden Liebenden, welche mir Interesse und Mitleid eingeflößt hatten, fest und fragte zuletzt meinen Freund, ob er denn nichts für sie tun könne.

»Kaum,« gab er zur Antwort, »und das bedaure ich, denn der Jages freut mich als ein durch und durch braver Bursch, der ein Weib, wie das Vefele eins abgeben würde, wohl verdiente. Allein du kennst die hochmütige Halsstarrigkeit unserer Bauern nicht, die durchaus nicht soviel mit den weichen Gefühlen des Heizens zu schaffen haben, wie verrückte Poeten glauben oder wenigstens die Leute glauben machen wollen. Und dann, weißt du? kann ich mich als Priester nicht allzusehr mit den Wirrnissen abgeben, die ein so heidnischer Gott, wie der Amor ist, anrichtet.«

»Aha!« versetzte ich lachend. »Aber, lieber Junge, ich erinnere mich recht wohl der Zeit, wo du mit dem genannten heidnischen Gott weit mehr zu tun hattest als mit dem ganzen christlichen Olymp.«

Ich bereute das Scherzwort auf der Stelle, denn ich konnte leicht bemerken, daß ich in der Brust meines Freundes eine Saite angeschlagen, welche noch jetzt schmerzlich vibrierte.

Der Pfarrer hatte die Hände in den Schoß sinken lassen, den Kopf auf die Brust geneigt und seufzte schwer.

Ich faßte seine Hand und sagte:

»Verzeih' mir, Fabian, es war ein unbesonnenes Wort. Aber weißt du? ich glaubte, es sei längst vorbei damit, gänzlich vorbei.«

»Es ist vorbei, gewiß, es ist!« entgegnete Fabian, indem er sich aufrichtete und sein Gesicht wieder seinen gewöhnlichen Ausdruck annahm.

Und als ich ihn teilnehmend ansah, fuhr er sich mit der Hand über die Stirne, fetzte sich ans Klavier, schlug die Tasten an und sagte:

»Ich habe gekämpft und gesiegt, und Ruhe war der Siegespreis. Kennst du es noch, das Lied, womit ein leidenschaftlich Poetenherz unseres Heimatlandes seine wilden Pulse in Schlummer sang?

Die Ruh' ist wohl das beste
Von allem Glück der Welt;
Was bleibt vom Lebensfeste,
Was bleibt dir unvergällt?
Die Rose welkt in Schauern,
Die uns der Frühling gibt;
Wer haßt, ist zu bedauern,
Und mehr noch fast, wer liebt.

Es trübt den eignen Frieden
Mit seiner Glut das Herz;
Das Kind ist nicht zufrieden,
Dem Mann bleibt nur der Schmerz.
Und hofft umsonst vom Meere,
Vom Weltgetümmel Ruh';
Selbst Lorbeer, Ruhm und Ehre
Heilt keine Wunden zu.

Nun weiß ich auf der Erde
Ein einzig Plätzchen nur
Wo jegliche Beschwerde
Im Schoße der Natur,
Wo jeder eitle Kummer
Dir wie ein Traum zerfließt
Und dich der letzte Schlummer
Im Bienenton begrüßt ....

»Doch,« unterbrach er sich im Gesang und Spiel, »wozu Kirchhofsgedanken? Das Leben will ja doch gelebt sein, so, wie es einmal ist. Und glaube mir, alter Freund, wenn man nur bescheidene Ansprüche an dasselbe macht, benimmt es sich zum Dank auch ziemlich anständig gegen uns. Wenn es überhaupt ein Glück gibt, so ist Selbstbegnügung sein Name. Unsere Leidenschaften, selbst die besten, was sind sie im Grunde anderes als Fieberzustände? Glücklich, wer davon genesen! Und dann vollends unser Titanismus – wie lächerlich ist er! Wie töricht ist es, mit einem so schwachen Ding, wie der menschliche Schädel ist, gegen die granitne Rätselmauer anzurennen, welche keinen Durchgang gestattet!«

»Da hast du sehr recht.«

»Auch du bist also dem Prometheismus, Faustismus, Byronismus oder wie die Ismen sonst alle heißen mögen, glücklich entronnen?«

»Längst. Ich habe es satt bekommen, Fragen aufzuwerfen, auf welche einem ja doch nie eine Antwort wird. Es hat ohne Zweifel sein Gutes, daß wir Deutsche uns soviel mit diesen Fragen beschäftigen; aber während wir uns sozusagen ins himmelblaue Jenseits hineinfragten, haben uns die Engländer, die Franzosen und die Russen gar viel vom Diesseits vor der Nase weggenommen. Nun, wir können's nicht ändern.«

»Du kommst mir sehr resigniert vor, lieber Michel.«

»Ich bin es auch, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Habe ich doch in kurzer Zeit ein gutes Stück vom Leben gesehen und bin ich nicht mehr in dem Alter, wo

Was Phantasie entwirft, das Herz verspricht ...

Mit den übersinnlichen Fragen beschäftige ich mich, wie schon gesagt, gar nicht mehr ernstlich, und wollen sie von Zeit zu Zeit wieder in mir auftauchen, so schlag' ich sie ohne Umstände auf den Kopf mit den Versen des witzigen Franzosen:

D' où nous venons on n'en sait rien;
Où nous allons, le sait-on bien!
«

»Sieh da, du zitierst einen Franzosen. Hast du dich in Paris mit ihnen ausgesöhnt?«

»Nein; aber weißt du? sie wollen doch auch leben.«

»Das ist wahr,« sagte Fabian zerstreut.

Ich hatte wohl gemerkt, mit welcher gewaltsamen Wendung er das Gespräch auf das Feld der Trivialitäten gelenkt hatte, worauf wir uns in den letzten Sekunden bewegten. Und zwar lässig genug, denn beide waren wir mit unseren Gedanken anderswo.

Nach einer Pause fragte Fabian plötzlich:

»Und Hildegard?«

»Daß sie in Gnadenbrunn lebt, weißt du?«

»Ja, aber wie?«

»Getrost in ihrem Glauben. Auch sie hat gekämpft und überwunden.«

»Und sie ist entschlossen, Profeß zu tun.«

»Ja, aber sie wird ihr mir gegebenes Wort halten, den unwiderruflichen Schritt erst drei Monate nach dem dritten Jahrestag vom Tode unseres Vaters zu tun. Doch sie wird ihn tun, fürcht' ich«

»Hast du Berthold nie zur Rede gestellt?«

»Wie sollt' ich? Ja, hätt' ich auch nur den Schatten eines Schattens von Grund dazu gehabt, er sollte mir nicht entgangen sein, obgleich er der Bruder Isoldes ist. Aber Berthold konnte in der Tat nichts dafür, daß die arme Hildegard aus einer ganz kindischen Liebelei eine Leidenschaft werden ließ, die ihr das Herz brach oder ihr wenigstens die Welt verleidete. Im übrigen ist der Weltekel meiner Schwester gar kein finsterer, trübsinniger. Wenigstens scheint sie, ihren Briefen nach zu schließen, in Gnadenbrunn ihre angeborene Munterkeit wiedergewonnen zu haben. Es ist in ihren Episteln oft ein Zug von Humor, um nicht zu sagen von Schelmerei. Sie scheint die guten Klosterschwestern alle am Schnürchen zu haben und der allgemeine Liebling zu sein. Vielleicht ist es am besten für sie, nach der einen großen Täuschung ihres Lebens keine weitere mehr erfahren zu müssen.«

Fabian unterdrückte einen Seufzer.

»Aber Berthold?« fragte er dann.

»O, was diesen angeht, so ist er lange schon zu den Hefen des schäumenden Lebensbechers gelangt, den er mit so gieriger Hast geleert hat, und diese Hefen schmecken bitter. Ich fürchte, er ist sehr unglücklich, und zwar nicht allein deshalb, weil er, wie er mir bei unserem letzten Zusammentreffen gestand, aus einem nach unserem landesüblichen Maßstab sehr reichem Freiherrn ein sehr armer Rittmeister geworden ist. Unter uns, ich vermute stark, daß ihm kein Dachziegel des Schlosses Rothenfluh mehr gehört.«

»Herrgott, wenn das der selige Freiherr wüßte!«

»Ja, siehst du, daß es zuweilen auch sein Gutes hat, wenn ein Gewehr zur Unzeit losgeht? Ich erzähle dir wohl gelegentlich von unserem Jugendkameraden. Er dauert mich trotz alledem sehr.«

»Und Isolde?«

»Ich weiß von ihr nur durch Hildegard, welche fast täglich mit ihr zusammen ist. Denn Isolde lebt nach dem Tode des Freiherrn auf dem einsamen Hofgut Lindach, droben in den Bergen, ganz in der Nähe von Gnadenbrunn, weißt du?«

»Ist das alles?« fragte mein Freund und blickte mir forschend ins Gesicht.

»So ziemlich alles, was ich weiß. Aus Hildegards Briefen erhellt, daß meine Schwester ihre Freundin Isolde wie eine Heilige verehrt.«

»Wohl, wohl; aber du? Wie stehst du zu Isolde?«

»Ich? Was fällt dir ein, so spät noch danach zu fragen? Vielleicht sprechen wir morgen davon. Für heute bin ich zu müde. Es ist eine lange Geschichte oder auch gar keine, wenn du willst. Und damit gute Nacht, Fabiane.«

Drittes Kapitel

Auch eine Dorfgeschichte. – In der Mühle. – Vefele, was macht der Jages? – »'s Geld ist d' Hauptsach'.« – Eine ländliche Aufwartung und eine Einladung.

Die Lerche weckte mich.

Aber ich hatte lange in den Morgen hinein geschlafen und als ich, rasch in die Kleider gefahren, das Fenster meines Schlafgemaches öffnete, welches mit der einen Seite gegen den Garten, mit der anderen gegen den Gottesacker zu lag, bemerkte ich, daß die kleine Zahl von Betern, welche an den sommerlichen Werktagen zum Messehören Zeit haben, bereits aus der Kirche kam, während Fabian aus dem Sakristeipförtchen trat und langsam auf das Pfarrhaus zuschritt.

Jetzt, da ich den Freund am hellen Tage in seinem langen schwarzen Priestertalar erblickte, kam er mir mehr verändert vor, als ich gestern wahrzunehmen vermocht hatte. Er hatte von einer Furche auf meiner Stirn gesprochen, aber die seinige war tief von jenen Linien durchzogen, welche Nachdenken und Gram ziehen. Seine treuen braunen Augen waren tiefer in ihre Höhlen zurückgetreten und die Rosen der Wangen abgefallen. Trotzdem war in seiner gefaßten Erscheinung etwas Ruhiges, Bestimmtes, etwas, das andeutete, er habe wirklich »überwunden« in dem schweren Kampfe zwischen Leidenschaft und Pflicht. Wenn ich mir den Freund ansah, dessen Lebensbarke die Brandung schon hinter sich hatte und nun stillgenüglich auf der glatten Fläche des Hafens sich wiegte, wenn ich mir sein friedvoll beschauliches Leben in ländlicher Abgeschiedenheit dachte, seine Rückkehr zu den harmlosen Freuden unseres Knabenalters, und dann meine Existenz, so unklar nach innen und nach außen, dagegen hielt, mußte ich den guten Fabian fast beneiden. – »Arme Mutter,« sprach ich in jener Morgenstunde bei mir, »du hattest vielleicht doch das richtigste Gefühl für mein Glück. Wäre ich deinem ursprünglichen Wunsche nachgekommen und Pfarrer geworden, so läge vielleicht der große Kampf des Lebens schon hinter mir, so könnte ich vielleicht auch wie Fabian und Hildegard sagen: Ich habe überwunden! Und mit dem sanften Geriesel eines friedlichen Wiesenbaches flösse mein Dasein dem Ozean des großen Nirwana zu, in welchem Leid und Lust des Menschen endlich spurlos verlöschen. Ach, daß die Kinder erst nach der Eltern Tod einsehen, daß diese es besser mit ihnen gemeint als sie selber!«

Und doch – hatte nicht meine Mutter noch zuletzt selbst gefühlt, daß es mit meinen geistlichen Anlagen schlecht bestellt sei? Jene Nacht an ihrem Sterbebette – o, indem ich daran dachte, mußte ich Isoldes denken, mit brennender Sehnsucht. Sie stand vor meiner Seele in der keuschen Herrlichkeit ihrer Gestalt, eine rätselhafte Traurigkeit im seelenvollen Auge, die zärtlich gewölbten Lippen streng geschlossen, als wären sie nur dazu da, ein schreckliches Wort gewaltsam zurückzupressen.

So hatte ich sie zuletzt gesehen.

Aber während ich eine Art süßer Befriedigung empfand, daß das Bild des teuren Wesens meine Seele füllte, mußte ich zugleich erfahren, daß der Zwiespalt, welcher seit langem die geheime Pein meines Lebens gewesen war, doch noch nicht völlig überwunden sei. Hinter Isoldes Bild stieg ein anderes auf, verführerisch lockend, die üppigen Lippen verlangend zum Kusse gerundet. Aber sofort glaubte ich Bürgers mephistophelisches Lachen zu vernehmen und sein damals auf der Blumenausstellung gesprochenes Wort: »Ja, sie ist eine Stanhopea – prächtig, berauschend, aber in Fäulnis wurzelnd.«

Ich war ordentlich froh, daß mich die Erscheinungen der Außenwelt aus meinem wachen Morgentraume weckten.

Freund Fabian wurde da drunten auf dem Gottesacker von dem Courage angeredet, welchen er freundlich begrüßte und mit sich ins Haus nahm.

Wenige Minuten darauf öffnete Frau Margret mit einem mütterlichen »Guten Morgen!« meine Zimmertüre und lud mich zum Frühstück, wobei sie mir sagte, ihr Herr Sohn habe nur noch etwas mit dem alten Soldaten zu sprechen.

»Vermutlich« – setzte die gute Frau hinzu – »hat der alte Kamerad wieder irgend ein Tier eingefangen oder einen seltenen Vogel entdeckt; denn Sie müssen wissen, daß er des Pfarr's sein Leibjäger ist, der keine Ruhe gibt, bis er den Pfarrhof vollends bis unters Dach mit tausenderlei Beest angefüllt haben wird.«

Ich hatte meinen Kaffee bereits getrunken und die Zigarre angebrannt, als Fabian kam. Er war sichtlich aufgeregt, sagte aber bloß, der alte Soldat habe ihm den gestrigen Vorfall in Göffingen in sehr lebhaften Farben geschildert, und ihn zugleich benachrichtigt, daß die Mutter der Bronnenbäuerin, die alte Müllerin, heute Nacht heftig erkrankt sei. Die Kranke sei eine Frau von außerordentlichem Wohltätigkeitssinn und man nenne sie darum nur die Armenmutter. Ihr Verlust würde ihm sehr nahe gehen, und er wolle sie sogleich besuchen.

So sprechend, trank er hastig eine Tasse Milch und bot mir dann an, ihn zu begleiten.

Als wir die Umzäunung des Baumgartens, welcher die Hinterseite des Pfarrhauses umgab, hinter uns hatten, sagte ich scherzend zu dem still und nachdenklich neben mir hergehenden Freund:

»Nun, was für ein gefiedertes oder federloses Tier hat dir denn Monsieur Courage vorhin gebracht?«

»Einen garstigen Nachtvogel,« entgegnete Fabian ernsthaft – »ja, einen Nachtvogel, der aber noch nicht flügge ist und den ich armer Pfarrer jetzt ausätzen soll.«

»Kannitverstan.«

»Glaub' es wohl, verstehe die Geschichte selbst noch nicht. Schlimm genug ist sie aber, fürcht' ich. – Siehst du dort hinter dem Nußbaum am Bache das winzige graue Häuschen?«

»Ja.«

»Wohl, das ist die Hütte der alten Hanne, der Mutter des Vefele. Sie war einst so frisch und hübsch, wie jetzt ihre Tochter ist, und wie diese gefiel sie nicht nur ihren Schicksalsgenossen, den Armen, sondern auch den Reichen. Der Bronnenbauer und der Luixenbauer, ihre Altersgenossen, hatten als rüstige Burschen die Augen auf sie geworfen und man sagt sogar, der erstere, durch den Tod seiner Eltern frühe unabhängig geworden, habe die arme Hanne heiraten wollen. Allein die Hanne traute ihm entweder nicht, oder aber des Bronnenbauers Knecht, der Tone, gefiel ihr besser, was sehr wahrscheinlich ist: einmal, weil der Bronnenbauer mit dem Tone Mord- und Todhändel anfing, und dann, weil der Tone und die Hanne einander kurz darauf wirklich heirateten. Sie führten in der Hütte dort das mühselige Leben redlicher Armut. Er taglöhnerte und sie baute ihr dürftig Stückchen Feld und erzog ihr einziges erst mehrere Jahre nach ihrer Verheiratung geborenes Kind, das Vefele, zur Sittsamkeit und Arbeitslust. Da verbreitete sich eines Morgens im Dorfe die Neuigkeit, man habe den Tone tot aus der Donau gezogen. Morgen sind es gerade drei Jahre her.«

»War er ermordet worden?«

»Ermordet? Hat dir etwa der Courage von der Sache gesagt?« fragte der Pfarrer etwas verwirrt.

»Nein, kein Wort.«

»Nun wohl, man munkelte im Dorfe allerlei über Tones Tod, und unheimliche Gerüchte gingen um. Die Leiche war an dem Donausteg, welcher zwischen dem Luixenhof und dem Bronnenhof über den Fluß führt, gefunden worden. Der Tote war mit dem rechten Fuß zwischen den Balken des einen Pfeilers dieses Steges hängen geblieben. Das morsche Geländer des Steges war in der Mitte zerbrochen. Da mußte der Unglückliche hinabgestürzt oder auch hinabgestürzt worden sein.«

»Also doch?«

»Bscht, wer kann es wissen? Der Tone hatte acht Tage lang drüben in Göffingen im Taglohn gestanden und in jener Nacht gegen zehn Uhr den Heimweg angetreten. Der Bauer, bei welchem er gearbeitet, hatte ihm zum Abschied ein großes Glas Kirschenwasser gereicht, allein der Tone, seiner anerkannten Mäßigkeit getreu, hatte nur einen Schluck davon genommen. Es konnte also keine Rede davon sein, daß ihn etwa Betrunkenheit in den Fluß geführt hätte. An Selbstmord sodann war bei der geduldigen zufriedenen Sinnesweise des Verunglückten ebenso wenig zu denken und es blieb also nur noch die Annahme, er habe sich beim Gang über den Steg, vielleicht von einem plötzlichen Unwohlsein befallen, zu stark auf das morsche Geländer desselben gelehnt, dieses sei gebrochen und der Arme beim Verlust seines Haltepunktes in die Tiefe gestürzt. Hiergegen fällt freilich, unter uns gesagt, der folgende Umstand stark ins Gewicht. Der Courage kehrte in selbiger Nacht von einem seiner Gänge das Donautal herauf heimwärts, und behauptete steif und fest, er habe beim Vorbeigehen am Bronnenhof heftig zankende und fluchende Stimmen vernommen; ja er will des Luixenbauern bekannten Lieblingsfluch »Kreuzsakerment!« gehört haben, obgleich die Nacht, finster und stürmisch, wie sie war, ihn hinderte, irgend etwas zu sehen. Er sei sogleich auf den Steg zugeeilt, habe ihn aber einsam gefunden und ringsum alles still. Den Bruch des Geländers habe er nicht bemerkt, und, heimgekehrt, die Sache um so weniger der Rede wert gehalten, als der Tone erst am folgenden Abend zu Hause erwartet worden sei. Nun, siehst du, diese Aussage des alten Soldaten machte doch viele Leute stutzig. Man erinnerte sich jetzt im Dorfe, mit welcher Feindseligkeit der Luixenbauer wie der Bronnenbauer bei jeder Gelegenheit den Tone behandelt hatten, seit er die Hanne geheiratet, wie schwer sie ihn oftmals seine Armut hatten entgelten lassen, wie sie ihm nicht nur auf ihren Höfen die Taglöhnerarbeit versagt, sondern auch andere Bauern bewogen hatten, ihm keine Arbeit zu geben, kurz, wie sie immer eine »stiergrindige« echtbäuerische Rachsucht gegen ihn an den Tag gelegt, seit er, der arme Knecht, in seiner Jugend sie, die reichen Bauernsöhne, bei einem armen Mädchen ausgestochen. Das Gerede wurde so arg, daß zuletzt die Gerichte davon Notiz nehmen mußten, aber es kam dabei nichts heraus. Der Luixenbauer stellte Zeugnis, daß er in der fraglichen Nacht bis zu später Stunde im roten Löwen gesessen, in Gesellschaft des Bronnenbauern. Der Courage ist ein zu redlicher und gutmütiger Mensch, als daß er auf so unbestimmte Anzeichen hin eine bestimmtere Anklage hätte aussprechen mögen, und falls er auch gewollt, wie hätte er gegen zwei solche Dorfmagnaten, gegen den Luixenbauer und seinen Nachbar, die in der Gemeinde allmächtig sind, aufkommen können? Kurz, der Tone blieb tot und begraben, und die Geschichte wurde vergessen. Auffallend war es nur, daß fast unmittelbar nach Tones Tode der Bronnenbauer mit einmal 's Vefele dingte und zwar zu einem weit höheren Liedlohn, als hier herum bräuchlich. Allein man schrieb's der Gutherzigkeit der Bronnenbäuerin zu, welche für Vefeles Mutter, ihre Jugendkamerädin, stets eine große Zuneigung bewahrt hat, den Bronnenbauer aber ein Jahr darauf doch nicht hindern konnte, 's Vefele aus dem Hause zu jagen, sobald er bemerkt hatte, daß sein Sohn ernstliche Absichten auf das arme Mädchen hatte.«

Als mein Freund nach Beendigung dieser Erzählung wieder in nachdenkliches Schweigen verfiel, warf ich die Frage hin:

»Und jetzt?«

»Jetzt,« gab der Pfarrer zur Antwort, »jetzt scheint die Geschichte von dem Tode des Tone noch einmal aufgerührt werden zu sollen. Dem alten Soldaten hat die brutale Behandlung, welche seinem Bäsle gestern von seiten der beiden Bauern widerfuhr, die Galle überlaufen gemacht, und ich habe ihn nur mit Mühe beredet, kein unbesonnenes Geschrei zu erheben. Er sagte mir, er habe die ganze Nacht nicht schlafen können; immer sei ihm der gute Tone eingefallen, und immer habe er das ›Kreuzsakerment!‹ des Luixenbauern von jener Nacht her zu hören geglaubt. Sonderbarerweise bringt er nun auch den Bronnenbauer damit in Verbindung und« – setzte mein Freund hinzu, seine Stimme zum Flüstern dämpfend – »er hat mir vorhin unverhohlen gesagt, er sei überzeugt, die beiden Bauern haben den armen Tone ›g'moräxelt‹. Ermordet. »Moräxeln« ist korrumpiert aus Mordaxt. Ich konnte ihn nur notdürftig damit beschwichtigen, daß ich ihm versprach, die Sache in Erwägung zu ziehen. Doch jetzt stille davon, da sind wir bei der Mühle.«

Sie erhob sich mit ihren Nebengebäuden stattlich am Saum eines Buchengehölzes, welches die Hügel hinanklomm, von denen der Mühlbach in fröhlichen Sprüngen auf die Räder herabtanzte. Zu dieser Stunde war ihm aber der Zutritt zu denselben durch die herabgelassenen Schützen verwehrt, und das Mühlwerk stand still, wohl aus Rücksicht für die kranke Besitzerin.

Man hatte von hier aus eine prächtige Aussicht auf Dorf und Tal, in welchem letzteren allwärts Gruppen von emsigen Schnittern beschäftigt waren, da die Ernte in dem vor rauhen Winden geschützten Frohdorf früher als sonstwo in der Gegend angegangen. Man sah die Sensen der Schnitter durch die Kornmahden blinken und hinter jedem Mähder eine »Aufsammlerin« hergehen, deren Pflicht es ist, die von der Sense gefällte Frucht ordentlich zusammenzufassen und zum Garbenbinden bereit zu legen. Da und dort sah man auch rüstige Burschen die fertigen Garben mittels langer Gabeln auf Wagen laden, die dann, hochaufgepackt, mit ihrer gelben Last dem Dorfe zuschwankten.

Mein Freund fragte einen alten Mahlknecht, der sich auf dem Hofe mit dem Behauen eines Mühlsteins zu schaffen machte und ehrerbietig seine eingemehlte Kappe abnahm, nach dem Befinden seiner Brotherrin.

»O, Herr Pfarr'«, lautete die Antwort, »heut' nacht war's gar arg mit ihr; aber seit Tagesanbruch ist's, gottlob! wieder viel besser. Sie hat's nit g'litten, daß man den Doktor aus Riedlingen b'schicke, sondern wollte nur der Tones-Hanne ihr Vefele zur Abwart' haben, weil das Mädle ihr so gut hätt' abg'wartet, als sie vor zwei Jahren auch ist so bresthaft g'wesen.«

»Und hat man diesem Wunsche entsprochen?«

»Ahsograd', Herr Pfarr'. D' Bronnebäuerin, die seit heut' nacht nicht mehr ist von ihrer Mutter wegkommen, hat stantebene nach'm Vefele g'schickt, das grad' mit 's Hannsjörgebaurs Schnittleut' hat auf den Acker wollen, und 's Vefele hat seither der Kranken Pflaster aufg'legt und Tee g'macht, was hast was gibst. 's ist ein Blitzmädle, 's Vefele, sell ist wahr, und hat ein Schick zu allem.«

»Ei, Baste,« Sebastian. sagte der Pfarrer scherzend, »Ihr seid, mein' ich, fast gar ins Vefele verschossen.«

»Ja so? Sell wär' auch schier gar kein Wunder nit, aber« – und bei diesen Worten kniff der Mahlknecht seine Augen unbeschreiblich pfiffig ein – »aber dunkt mich halt, ich alter Kerle käm' da ein bißle z' spät. War vor 'ner Stund' oder so, einer da, dem ich nit ins Gäu kommen möcht', potz Bohnenbluost!«

Wir stiegen die steile Treppe hinan und wurden droben in der geräumigen Wohnstube mit altem Eichengetäfel von der Bronnenbäuerin begrüßt, einer noch ziemlich rüstigen Frau mit sanften, wohlwollenden Gesichtszügen und einer schönen, klugen Stirne, welche mit der ihres Sohnes viel Ähnlichkeit hatte.

Es tat und tut mir immer weh, wenn ich unter dem Volke solche schöngewölbte Stirnen erblicke, an deren Wand vielleicht große, hochherzige Gedanken nach Entbindung und Entwickelung pochen und zwar vergebens pochen.

»Ach, Herr Pfarr',« sagte die Bronnenbäuerin, »das ist recht, daß Ihr kommt. Schier gar hätten wir heut' nacht nach Euch g'schickt, um d' Ahne Großmutter. Die Oberländer, sobald sie verheiratet sind und Kinder haben, reden ihre Eltern mit Ahle (Großvater) und Ahne (Großmutter) an. z' versehen. Nämlich mit den Sterbesakramenten. Sie war gar übel auf.«

»Aber jetzt ist's besser, nicht?«

»Gott sei Lob und Dank, ja. Grad' ist sie aufg'wacht und der Schlaf hat ihr recht gut 'tan.«

Da der Krankenbesuch zu den schönsten aber auch schwersten Pflichten meines Freundes gehörte, ging er ohne Umstände auf die Kammertüre zu, öffnete sie und trat hinein. Die Bronnenbäuerin bat mich, in dem Sorgenstuhl am Ofen Platz zu nehmen, und eilte in die Küche, um eine kleine »Aufwartung« zu bestellen, was ich ihr vergeblich dadurch auszureden suchte, daß ich sagte, wir kämen gerade vom Frühstück her.

Das alte Lob bäuerischer Gastfreiheit ist jetzt so ziemlich ein verschollenes, und dem Wanderer muß insbesondere der Geiz, den das Landvolk in ängstlicher Hut seines Obstes an den Tag legt, widerwärtig auffallen. Um ein Paar vom Baume gepflückter Kirschen, um einiger aufgelesenen Äpfel willen wäre, ich kann es bezeugen, mancher unserer wohlhabenden Bauern imstande, den dürstenden Handwerksburschen braun und blau zu schlagen. An seinem eigenen Herd dagegen ist der Bauer milder und wenn nicht der Bauer, so doch die Bäuerin. Hundertmal hat mich die alte Sitte, dem Einsprechenden den Laib Brot samt dem Messer hinzubieten, lebhaft angemutet. Wollen unsere Landleute filzige Menschen bezeichnen, so sagen sie: »Die lassen ein' kein Stückle Brot schneiden!« – eine Redensart, welche von dem eben erwähnten Brauche herkommt.

Da die Kammertüre offen geblieben, so konnte ich den Pfarrer mit der Kranken sprechen hören und aus diesem Gespräche vernehmen, daß die Müllerin, sonst ihrem Alter zum Trotz noch eine kerngesunde Frau, von einem jener Anfälle heimgesucht worden, welche plötzlich kommend und gehend, alten Leuten als Mahnungen erscheinen können, ihre Rechnung mit dem Leben ins Reine zu bringen.

Die Müllerin schien etwas der Art zu fühlen. Ich hörte sie sagen:

»Vefele, gang jetzt ins Käpele Kapelle. 'nauf und bet' da den Rosenkranz zu den vierzehn Nothelfern, den ich heut' nacht g'lobt hab'. Ich brauch' jetzt grad' nichts, 's ist mir ganz gut. Aber z' Mittag komm wieder, weil mein' Bronnenbäure heim muß zum Kochen, und hörst, tu mir auch dein' Vetter auf den Abend b'stelle; weißt, ich hab's gar gern, wenn mir der seine Kriegsg'schichten verzählen tut.«

's Vefele trat aus der Kammer, und da sie mich nicht sogleich am Ofen sitzen sah, strich sie sich ungeniert die Haare glatt, band ihre Schürze fester und ordnete das Busentuch. Als sie, sich umwendend, mich erblickte, ward sie rot, wie es alle Bauernmädchen werden, wenn sie sich plötzlich einem Fremden gegenüber befinden, und ich konnte, weil ihr die Verlegenheit allerliebst stand, mich nicht enthalten, sie leise zu fragen:

»Vefele, was macht der Jages?«

Das Blut schoß ihr noch stärker ins Gesicht, und sie stotterte verwirrt:

»Der wird, denk' mir, Garben vom Bühel heimführen.«

»So?« sagt' ich. »Denk' mir, er täte lieber was anderes heimführen.«

Wahrscheinlich ging diese Andeutung über den ländlichen Horizont Vefeles, denn sie wußte nichts darauf zu sagen.

»Ich meine,« fuhr ich fort, »er täte lieber dich heimführen.«

Vefele verstand aber das Wort heimführen nicht in dem hochdeutschen Sinn »als Frau heimführen«, sondern in dem oberländischen, wo das Heimführen der Mädchen bei Kirchweihen, Hochzeiten und anderen ländlichen Lustbarkeiten eine große Rolle spielt und für die größte Gunst angesehen wird, die ein Mädchen einem Burschen erzeigen kann.

Nachdem das Mädchen einen Augenblick verlegen mit dem Schürzenbande gespielt hatte, schlug es die großen braunen Augen gegen mich auf und sagte mit einer Betonung, worin sich Verwunderung ob meiner Mitwisserschaft um ihr Liebesverhältnis, Trauer und naive Schalkhaftigkeit seltsam mischten:

»O, bei Tag tut man bei uns d' Mädle nit heimführen, Herr.«

»Weiß wohl, liebes Kind, und deshalb mochtest du dich gestern auch nicht vom Jages heimführen lassen, nicht wahr?«

Die Erinnerung an gestern, welche ich durch diese Worte in Vefele hervorrief, machte sie erschrecken. Sie wurde blaß, und ich glaubte schon, sie werde in Tränen ausbrechen. Aber unsere Bauernmädchen haben starke Nerven.

Vefele faßte sich schnell und sagte hastig: »Ich muß halt jetzt g'schwind ins Käpele gehn« – und war wie der Wind zur Türe hinaus.

Ans Fenster getreten, sah ich sie über den Hof und dann auf einem Fußsteig den Buchenwald hinaneilen und konnte bemerken, daß sie sich ein paarmal mit der flachen Hand über die Augen fuhr.

Inzwischen hatte sich zwischen der Müllerin und dem Pfarrer ein ernstes Gespräch in der Kammer entsponnen. Ich hörte die Müllerin sagen:

»Ja, Herr Pfarr', 's wär' halt alles recht, wenn mein Schwiegersohn, der Bronnenbaur, nur einsehen tät, daß der Jages haufeng'nug hat und kriegt und darum kein reiches Weib nit brauchen tut.«

»Ei, liebe Frau,« entgegnete mein Freund, »das eben ist ja der böse Haken, daß Euer Schwiegersohn das nicht einsieht und schwerlich jemals einsehen wird.«

Die Müllerin seufzte und sagte:

»Ahsograd', ja freilich. 's ist ein gar halsstarriger Mann. Aber ich kann's nit mehr mit ansehn, Herr Pfarr', und ich weiß oft nit, wer mich mehr dauert, der Jages oder 's Vefele.«

»Sie sind beide brav und verständig und werden also begreifen, daß sich in der Sache nichts mit Gewalt erzwingen läßt.«

»Wohl, wohl; aber kann man denn nichts tun?«

»Nicht viel. Ihr wißt, daß ich versucht habe, bei Eurem Schwiegersohn ein gut Wort für das Mädchen einzulegen; aber was half es? Er hat nun einmal den Kopf darauf gesetzt, des Luixenbauers Kätter zur Schwiegertochter zu bekommen, und so wird es wohl das beste sein, wenn 's Vefele aus Frohdorf fortgeht. Ich habe auch bereits mit der Hanne darüber gesprochen, und da meine Base, welche – wißt Ihr? – in Dietelhofen hauset und mich neulich besuchte, an dem Mädchen großen Gefallen fand, so denk' ich, 's Vefele geht zu ihr. Sie würde dort einen anständigen Liedlohn bekommen und überhaupt gut gehalten werden.«

Hier wurde meine Aufmerksamkeit durch schwere Tritte, welche die Treppe heraufkamen, von dem Gespräch in der Kammer abgezogen. Eine barsche Stimme, in welcher ich alsbald die des Bronnenbauern erkannte, sagte draußen:

»Nun, Weib, kannst jetzt mal heimkommen? 's ist Zeit, für d' Schnittleut' 's Essen z'richten, und dann, weißt, wöll'n wir z' Abend Sichelhänge halten.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete der reiche Bauer die Stubentüre und schob seine mächtige Gestalt hinein. Seine Frau folgte ihm und sagte, als er mich verwundert und ohne zu grüßen ansah:

»'s ist ein fremder Herr, der mit dem Herrn Pfarr' gekommen.«

»So?« versetzte der Bronnenbauer, seinen schwarzen Strohhut lüftend. »Meinte, es sei vielleicht der Doktor.«

Und in die Kammer tretend fuhr er fort:

»Guten Morgen, Herr Pfarr'. Heiß Wetter heut', Sappermost! Wie geht's denn, Schwieger?« Schwiegermutter.

»Gottlob! wieder besser, Xavere.«

»So ist's recht, denn wir haben viel zu tun jetzt und keine Zeit zum Kranksein. Wollen heut' abend Sichelhänge halten, Schwieger.«

»Schon? Müßt wacker geschafft haben.«

»Ei, ja wohl. Wenn ich dabei bin, geht's aus den Büschen. Bin aber auch heut' schon hundshagelmüd' worden.«

»Brauchst's ja nit zu übermachen, Tochtermann. Hast ja in dei'm Jages ein' tüchtigen Stellvertreter.«

»Ja, der Bua wär' sonst schon recht, hätt' er nur nit oft so dumme Mucken im Kopf. Aber was ich sagen will, ja, Schwieger, machet nur, daß Ihr bis Samstag wieder auf die Füß' kommt. Da ist Heiratstag.«

»So handlig, Xavere?«

»Sappermost, man kann d' Geschicht' nit mehr so lang 'rumsalben. Heut' bringen wir alle Frucht heim, bis auf den Haber, und da hat man denn grad' Zeit zum Heiraten.«

»Der Jages hat sich also zu der Kätter entschlossen?« fragte der Pfarrer, mit dem Bronnenbauer aus der Kammer in die Stube tretend.

»Ei, der soll froh sein, so ein Mädle z' kriegen,« versetzte der Bauer ausweichend. »Denket nur, Herr Pfarr', viertausend bare harte Kronentaler gibt der Luixenbaur seiner Tochter auf der Stelle mit.«

»Aber zu einer glücklichen Ehe gehört nicht bloß Geld.«

»Hm, Herr Pfarr', 's Geld ist währle Wahrlich. d' Hauptsach'. Wer's schon hat, braucht's nit erst z' erwerben, und 's sind gar schlechte Zeiten jetzt ... Aber kommt, da ist ja 's Neunebrot aufgetragen. Greifet zu, Herr Pfarr', und auch Ihr, Herr...r...r. Ich habe schon mordmäßigen Hunger kriegt. 's Garbenbinden macht den Magen leer.«

Mit diesen Worten pflanzte sich der Bronnenbauer breit an den Tisch, welchen seine Frau inzwischen mit einer ländlichen »Aufwartung« beschwert hatte, bestehend aus frischer Butter, weichgesottenen Eiern, Brot, Äpfelwein und Kirschenwasser.

Der Bauer, dessen hartes, rotes Gesicht man bloß anzusehen brauchte, um alle Hoffnung für Jages und Vefele aufzugeben, sprach den Erfrischungen tüchtig zu, stürzte mehrere Spitzgläschen Kirschenwasser hinunter und benutzte eine Pause in seinem Geschäft, um den Pfarrer und mich zu der heute abend bevorstehenden Sichelhänge auf seinen Hof einzuladen.

Fabian, welcher hoffen mochte, in einer Stunde der Fröhlichkeit der Hartherzigkeit des Bauern mit besserem Erfolg als bisher beikommen zu können, sagte in seinem und meinem Namen zu, nachdem er mich zuvor dem Einlader als einen alten guten Freund bezeichnet hatte, welcher soeben aus England und Frankreich zurückkomme. Diesen Umstand hob er wahrscheinlich hervor, weil unserem Landvolk das Gereistsein sehr imponiert. Der Bronnenbauer schien mir denn auch in der Tat von jetzt an mehr Aufmerksamkeit widmen zu wollen und wandte sich zu mir mit der Frage:

»Schätz' mir, Ihr seid ein Unterländer?«

Unterländer bedeutet in dem Wörterbuch des Oberländer Bauern Lump, wenn nicht Schlimmeres.

»Nein,« sagte ich, »wie ich denke, kann ich sagen, daß ich die Ehre habe, ein Oberländer zu sein.«

»Desto besser,« meinte der Bauer. »Da könnt Ihr urteilen, ob meine Bäurin die Schnitten und Sträuble gut backen kann. Kommt nur g'wiß, Ihr Herren! Hab' ein Faß Riedlinger Lagerbier holen lassen und hab' auch noch was Apartes, ein Fäßle Kartäuser, 34er, im Keller. Aber jetzt muß ich auf den Bühel und nach meine Leut' gucken.«

So sprechend stand er auf, ging an die Kammertüre und schrie hinein:

»Machet, daß Ihr bald wieder fortkönnet, Schwieger. Und drunten will ich dem Baste sagen, daß er nit so faul 'rumduslen, sondern 's Mühlwerk laufen lassen soll.«

So verließ er die Stube, und draußen hörten wir ihn seiner Frau nochmals befehlen, nach Hause zu gehen, um alles für den Mittag und Abend herzurichten, worauf er schwerfällig die Treppe hinablatschte und drunten dem Mahlknecht zuschrie, das Wasser wieder auf die Räder zu richten und nicht so zu faulenzen.

Nachdem wir der Kranken gute Besserung gewünscht und mein Freund den beiden Frauen versprochen hatte, heute abend einen letzten Versuch zu machen, um den Bronnenbauer zur Einwilligung in eine Verbindung seines Sohnes mit dem Vefele zu bewegen, verließen auch wir die Mühle.

Die Bronnenbäuerin, ihren mütterlichen Kümmernissen freien Lauf lassend, gab uns auf den Hof das Geleite und sagte dem alten Baste, der, verdrießlich über die barsche Zurechtweisung seitens des Bauern, die Schützen des Mühlbachs aufziehen wollte, er möge das für heute nur unterlassen, denn d' Ahne könne das Geklapper noch nicht vertragen.

»Weißt ja, Alterle,« setzte die gute Frau hinzu, ihren rauhen Gatten entschuldigend, »weißt ja, mein Bauer tut ein bissele überzwerg, wenn er grad' im Schuß ist; aber er bellt oft viel ärger, als er beißt.«

Viertes Kapitel

Fiasko eines pastorlichen Reformators. – Ein bäuerisches Bravourstück. – In einer Hütte. – Ob die Armut poetisch? – Ein sehr ländliches Blumenbrett und welche Philosophie der Blumenpflege sich an dasselbe knüpft.

Als Wir am Fuße der Hügel im Schatten des Waldsaumes hinwandelten, um auf einem Umwege nach dem Pfarrhofe zurückzukehren, erinnerte ich den Freund an sein Versprechen, mir den Verlauf seiner reformistischen Bestrebungen in seiner Gemeinde zu erzählen.

Fabian kam nur mit Widerwillen darauf zurück und faßte sich sehr kurz. Er hatte versucht, den Geist humaner und werktätiger Liebe, der ihn selber beseelte, auch unter seinen Bauern zu Leben und Wirksamkeit zu bringen, war jedoch durch diese Bemühungen, obgleich oder vielleicht weil seine Lehren fortwährend durch die Tat bekräftigend, bei seinen Pfarrkindern fast in den Ruf gekommen, »letz im Kopfe« zu sein.

»Denn,« sagte er, »es ist in der menschlichen Gesellschaft so weit gekommen, daß jede natürliche Regung, jede energische Betätigung des in uns brennenden Liebeseifers, jedes rückhaltslose Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit als Narrheit verlästert wird, und wenn selbst die Gebildeten, freilich meist Verbildeten, sich nicht aus dem Sumpfe der Vorurteile, Ungerechtigkeiten und Lieblosigkeiten herauszuarbeiten vermögen, wie sollte das der Bauer imstande sein? Wie mußte ich mich anstrengen, um ihnen nur verständlich zu machen, was ich wollte: ein Christentum der Tat, nicht nur des gedankenlosen Bekenntnisses des Glaubens! Und als sie anfingen, mich zu begreifen, da hättest du sehen sollen, wie all mein Bemühen in Rat und Tat an diesen im plumpsten und monotonsten Mammonsdienst versteinerten Herzen abprallte. Natürlich wäre es töricht, darüber Zorn zu empfinden. Der deutsche Bauer, der Bauer überhaupt kann seiner ganzen Geschichte zufolge kein anderer sein, als er ist: ein Vergötterer der Materie. Der Bauer betet zu einem Gott, den er sich ganz genau als seinesgleichen vorstellt, als einen reichen Bauer nämlich, sozusagen als den Großbauer par excellence, als den Weltbauer. Daher auch die bäuerische Moral, welche alles, aber auch gar alles und sogar noch etwas mehr für erlaubt hält, was nicht geradenwegs zum Galgen oder ins Zuchthaus führt. Ausnahmen von der Regel gibt es natürlich auch hier, ehrenwerte, sehr ehrenwerte Ausnahmen; aber im allgemeinen ist die Selbstsucht des Bauern eine, wie unser Freund Rumpel sagen würde, wahrhaft pyramidalische, und wenn einfältige Idylliker diesen bäuerischen Egoismus wenigstens als einen naiven zu entschuldigen suchen, so sollten sie einmal betrachten, mit welcher raffinierten Herzlosigkeit und Niederträchtigkeit der reiche Bauer oft gegen die Gemeindearmen verfährt. Man hat unserer Bureaukratie das Schlimmste nachgesagt, und du weißt, wie ich von ihr denke, aber es heißt nur gerecht sein, wenn ich sage, daß ohne den bureaukratischen Zaum oder Sporn, wie du willst, alljährlich Dutzende armer Leute auf dem Lande verhungern würden, und zwar gerade unter reichen Bauernschaften .... Doch genug. Erfahrungen, wie sie mir zuteil geworden, machen auch den besten Willen erlahmen. Zudem, weißt du, bin ich weit mehr eine beschauliche als energische Natur. So kam es denn, daß ich mich bald mit Resignation von den verstockten Alten abwandte, und dermalen stehe ich neben meiner Wirksamkeit in der Schule nur noch mit der jüngeren Generation meiner Gemeinde in näherer Verbindung, besonders mittels des Singvereins, welchen ich für die ledigen Burschen und Mädchen gestiftet habe. Zum nicht geringen Ärger und Verdruß der meisten meiner Herren Kollegen in der Umgegend. Sie bezeichnen meine Liederlust, die ich als ein Bildungsmittel ansehe, als grob weltlich und unklerikalisch. Sei es! Sie werden mich nie dazu bringen, ihre Anschauung der meinigen vorzuziehen. Mein Gott ist nun einmal kein furchtbarer, sondern ein milder und freudiger Gott. In der blühenden Rose sehe ich ihn, und in der wogenden Saat, im belebenden Frühlingssäuseln fühle ich ihn, und ich höre ihn im Lerchengeschmetter, das den Tag anjubelt, und im Nachtigallenschlag, der die Nacht mit Wohllaut füllt.«

Unter solchen Berichten und Betrachtungen von seiten meines guten Fabian hatten wir das Tal durchschritten und ein sanft ansteigendes Blachfeld erreicht, auf welchem die Kornernte im vollen Gange war.

»Das ist der Bühel,« bemerkte mein Freund, »außerordentlich fruchtbares Land, welches fast ausschließlich dem Bronnenbauer und seinem Nachbar gehört.«

Wir gingen quer durch das Feld, und als wir uns auf der anderen Seite desselben gegen den Fluß hinabwandten, sahen wir einen hochbeladenen Garbenwagen vor uns herfahren, von vier stattlichen Rappen gezogen.

»Das ist des Bronnenbauers Fuhrwerk,« sagte der Pfarrer. »Herrgott, was wäre das für ein Segen, wenn auch nur dieser eine Wagen vor der Hütte eines der Armen, deren Weiber und Kinder du da oben auf dem Bühel Ähren lesen sahest, abgeladen würde!«

Ich beschleunigte meine Schritte, denn ich hatte unter den Knechten, die neben dem Wagen hergingen, um denselben an bedenklichen Stellen mittels langer Gabeln zu stützen, den Jages erkannt und hätte gern mit dem Burschen ein paar Worte sprechen mögen.

Der Wagen war inzwischen langsam die Höhe hinabgefahren und hatte in einen tiefen Hohlweg eingelenkt, der auf die steinerne Brücke zuführte. Wir gingen auf dem Rand dieses Hohlwegs hin, welcher, nur selten der Sonne zugänglich, tief mit Kot bedeckt und an einigen gar zu bodenlosen Stellen mit Knüppeldämmen versehen war. Eben waren wir in gleiche Linie mit dem Wagen gekommen, als dieser plötzlich schwankte und der Bronnenbauer, welcher, das Gespann in eigener Person regierend, hemdärmelig auf dem Sattelgaul saß, einen lauten Fluch ausstieß.

Ein Stück Knüppeldamm war mit dem Handpferd an der Deichsel durchgebrochen und das Tier bis an den Bauch in den Morast versunken, die Deichsel mittels des an seinem Kummet befestigten »Hebkragens« niederreißend und dadurch dem Wagen einen heftigen Stoß versetzend. Demzufolge neigte sich die Last des Wagens auf die rechte Seite und drückte dort durch ihre Wucht den Damm ebenfalls ein. Der Jages und die Knechte konnten dem schwankenden Wagen von der Seite nicht recht beikommen, und so lehnte derselbe seine hohe Garbenbürde halb umschlagend an den rechten Ranst der Hohlgasse.

Da hätte man nun den Bronnenbauer haselieren und fluchen hören sollen! Erst wandte er sich im Sattel um und goß eine Flut von Schimpfworten über die unschuldigen Knechte aus. Dann tobte er gegen die Pferde, auf welche er in blinder Wut mit umgekehrtem Geißelstecken losschlug. Alles umsonst. Die gepeinigten Tiere wurden nach einigen vergeblichen Anstrengungen störrisch und zogen gar nicht mehr an. Der Bronnenbauer wälzte sich endlich aus dem Sattel und begann sein Treiben und Peitschen von unten herauf. Wieder umsonst. Er vermochte nicht einmal das Handpferd aus dem Morastloche, worein es gefallen, herauszubringen, und die drei übrigen Gäule beantworteten die zweckwidrigen Geißelhiebe ihres Herrn mit wütendem Ausschlagen.

Der Jages, welcher bisher ein untätiger Zuschauer geblieben, wies jetzt die Knechte an, ihre Gabeln zwischen die Wand des Hohlwegs und den Wagen zu stecken und sich derselben, sobald er die Pferde zum Anziehen brächte, mit aller Kraft als Hebstangen zu bedienen. Dann stieg er in den Hohlweg zu seinem Vater hinunter, welchen die zornige Anstrengung ganz atemlos gemacht hatte, und sagte ruhig:

»Laßt's mich mal probieren.«

Brummend trat ihm der Alte die Geißel ab, und mit der Leichtigkeit eines erprobten Reiters schwang sich der junge Mann auf den Sattelgaul, eigentümlich mit der Zunge schnalzend. Die Pferde schienen dies zu verstehen, denn sie spitzten die Ohren und gaben ihr störriges Pruhsten und Stampfen auf. Mit einem einzigen geschickten Griff in den Zügel brachte der Jages das gefallene Pferd wieder aus der Grube. Dann schnalzte er abermals mit der Zunge, rief den Knechten zu: »Fest angestemmt, ihr da hinten!« fetzte dem Sattelgaul die Fersen in die Weichen, ließ die Geißel klatschend auf die Vorderpferde fallen und das ganze Viergespann mit einmal in vollen Zug bringend, trieb er es vorwärts und brachte den Wagen, der sich beim ersten Ruck an den angestemmten Gabeln der Knechte wieder aus seiner schiefen Lage aufrichtete, glücklich über die gefährliche Stelle hinaus.

»Brav gemacht, Jages!« rief der Pfarrer in die Hohlgasse hinab. »Das tut dir nicht sobald einer nach.«

»O, 's ist kein Hexenwerk, das!« entgegnete der Jüngling, sein schönes, sonnverbranntes Gesicht zu uns heraufkehrend. »Man muß nur d' Gäul' nicht ungäb Ungebärdig, unartig, wild. machen; dann ziehen sie ein' ganzen Berg weg, wenn's sein muß.«

So sprechend stieg er ab und übergab die Geißel wieder seinem Vater, der sofort abermals die Wagenlenkersrolle übernahm, mit den grollend hervorgestoßenen Worten, er werde die »Schindmähren« von stetigen Rappen auf dem nächsten Riedlinger Markt sicherlich verkaufen. Offenbar fühlte sich seine bäuerische Eitelkeit sehr verletzt, daß sein Sohn mit einer Aufgabe, welche er nicht zu lösen verstanden, so rasch und leicht fertig geworden. Er blieb mürrisch auf seinem Gaul sitzen und ließ sich nicht herab, vom Fabian und mir Notiz zu nehmen.

Als die Hohlgasse unfern der Brücke in freies Feld auslief, gesellten wir uns zu dem Jages, der in sich gekehrt hinter dem Garbenwagen herging. Der junge Mann erwiderte des Pfarrers Begrüßung mit soldatischem Anstand, blieb aber schweigsam, bis er sich Plötzlich mit den leise gesprochenen Worten an meinen Freund wandte:

»Herr Pfarr', ich hätt' 'was Wichtig's mit Ihnen z' reden. Hätten Sie wohl auf den Abend ein bißle Zeit für mich?«

»Freilich, soviel du willst, und ich kann mir leicht einbilden, was dein Anliegen sein wird. Hab' schon mit deiner Ahne und Mutter vorhin darüber geredet.«

»Ei, wie geht's denn der Ahne? Sie hat's heut' nacht arg auf der Brust g'habt. Als ich am Morgen von ihr weg aufs Feld mußt', war's noch nicht viel besser.«

»O, sei ganz unbesorgt, Jages, sie ist schon wieder viel wohler auf.«

Und lächelnd setzte der Pfarrer hinzu:

»Sie hat aber auch eine gar brave und geschickte Wärterin, weißt du?«

Der Jages wurde rot und warf mir einen jener mißtrauischen Seitenblicke zu, die in den Augen der Landleute, wenn sie sich Fremden gegenüber befinden, oft wahrzunehmen sind.

Mein Freund bemerkte es und sagte:

»Brauchst dich vor dem Herrn da nicht zu genieren, Jages, 's ist ein alter, bester Kamerad von mir, der auf deiner Hochzeit tanzen möchte.«

»Da müßte der Herr lange in Frohdorf bleiben,« versetzte der Jüngling finster. Und nach einer Weile fragte er:

»Sagen Sie mir doch, Herr Pfarr', steht wirklich in der Zeitung, daß es bald Krieg geben werde?«

»Warum soll's denn Krieg geben?«

»Darum, weil ich fortmöcht' in den Krieg.«

Er hielt wieder inne. Da er jedoch auf meinem und meines Freundes Gesicht nur herzliche Teilnahme an seinen Verhältnissen und Gefühlen lesen konnte, fuhr er fort:

»Gucken Sie, Herr Pfarr', ich halt's so nicht länger aus. Das wollt' ich Ihnen heut' abend sagen, kann's aber auch jetzt tun, da wir doch mal dran sind. Gucken Sie, fast gar drei Jahr lang bin ich jetzt wie verhext, 's Vefele hat mir's angetan, aber es kann halt auch nichts dafür. Wissen Sie, als ich hab' zur Konskription g'mußt und es verspielt hatt', bin ich Soldat worden, obgleich mich der Vater gern loskauft hätt'. Glaubte, werde mir das Mädle beim Militär besser aus'm Sinn schlagen können. 's ging auch erst nicht so übel, als ich in der Residenz zur Garde bin gezogen worden. D' Soldaterei g'fiel mir. Aber in d' Länge ging's halt doch nicht, und wenn sie mich auch wollten zum Obermann machen, 's tat's halt nimmermehr, und so schrieb ich an d' Mutter, daß man mich doch sollt' loskaufen. 's war ahsograd', als müßt' ich beim Exerzieren mei'm Gaul immer d' Sporen geben und was hast was gibst Frohdorf zureiten. Als ich heimkam, meint' ich vor Freud' nur grad' ganz aus'm Häusle z' kommen, Närrisch zu werden. da ich nur 's Vefele wieder z' sehen kriegt'. Aber jetzunder hat sich der Vater immer ärger dahinter g'steckt und tut dem Mädle bei jeder G'legenheit Schand' und Spott an und läßt mir bei Tag und Nacht keine Ruh', darum, daß ich soll 's Luixenbaurs Kätter heiraten. Doch ich tu's halt eineweg nit und, gucken Sie, Herr Pfarr', drum möcht' ich wieder Soldat werden. Aber Krieg sollt's sein, daß ich fortkönnt' und nimmer kommen!«

Der junge Mann hatte die Worte gegen das Ende seiner Rede immer hastiger hervorgestoßen; allein der Ausbruch seines Schmerzes war heute keineswegs ein so weicher wie gestern. Im Gegenteil, sein Ton war zornig und resolut, und sein ganzes Gebaren von heute zeigte mir, daß er nicht zu den Leuten gehörte, welche dem Mißgeschick nur ein unmächtig tränend Auge weisen. Eher schien er mir geneigt, in seinem Trotze gegen das Schicksal vielleicht gar eine gewalttätige Handlung zu begehen. Fabian schien meine Gedanken zu teilen und sah den aufrecht, stramm und trotzig einhergehenden Burschen fast bedenklich an.

Der Garbenwagen war aber inzwischen über die Brücke gelangt und fuhr den Weg hin, welcher links am Flusse hinab nach dem Bronnenhof führte. Es war daher jetzt keine Zeit mehr zum Ratgeben und Beschwichtigen. Der Pfarrer konnte den Jüngling nur noch ermahnen, sich wenigstens die nächsten Tage noch zu gedulden und besonders auch heute abend ruhig und unbefangen sich zu verhalten, und so trennten wir uns.

Nach Tisch nahm der gute Fabian das Zigarrenkistchen unter den Arm und bat seine Mutter, uns den Kaffee in den Garten zu bringen. Unter der Haustüre gab er eins seiner Tierbändigersignale, und alsbald versammelte sich der Teil seiner Menagerie, welcher den Tag über freie Pirsch in Haus und Garten hatte. Diese sehr gemischte Gesellschaft, welche um uns her krabbelte und flatterte, wurde im Garten noch um einen Storch vermehrt, einen gravitätischen alten Herrn, der mit seinem langen Schnabel sehr geschickt die Brocken auffing, welche ihm der Pfarrer hinwarf. Fabian führte wie vormals mein unvergeßlicher Vater in seinen Taschen stets einen Futtervorrat mit sich.

Es saß sich gar heimelig in der Laube von Geißblatt und wilden Reben und mir wurde ganz gemütlich zumute.

Fabian sah mich an, bot mir über den Tisch herüber die Hand und sagte:

»Ich weiß, was du denkst!«

»Was?«

»Es sei doch schön, eine Heimat zu haben; so einen Winkel, in welchen man sich hineinducken kann; so eine trauliche Stelle, von welcher man sagen kann: Hier bin ich daheim.«

»Du hast es so ziemlich erraten,« gab ich mit einem leisen Seufzer zur Antwort.

»Gelt, Alterle? Aber warum denkst du nicht daran, dir einen eigenen Herd zu gründen?«

»Weil ich mir vorstelle, daß es sich nur zweisam schön und bequem an demselben sitze.«

»Aha! Aber ist denn gar keine Aussicht vorhanden, diese Vorstellung zu verwirklichen?«

»Für jetzt keine. In ruhigsten Stunden, wo ich ganz mit mir allein bin, ist mir zwar oft ... doch warum von Träumereien reden?«

Der Freund sah mir an, daß ich den Gegenstand weiter zu verfolgen nicht geneigt war, und sagte zu mir nur noch:

»Werde mir nur kein Hagestolz! Alte Junggesellen fallen in der Regel in die Kategorie: unausstehlich.«

Nachdem wir unseren Kaffee getrunken hatten, machten wir einen Gang durch den Garten, dem sich die große Pfarrwiese mit ihren schönen Obstbäumen anschloß, Fabian besichtigte verschiedene derselben, deren Früchte zu den frühreifenden gehörten, und hielt mir bei dieser Gelegenheit eine treffliche Vorlesung über Obstzucht, auf welche er sich sehr gut verstand. So kamen wir ans Ende der Wiese und erblickten jenseits der Umzäunung das ärmliche Häuschen der Hanne, überschattet von den zwei alten Apfelbäumen, welche mir Courage als Hauptstücke im Vermögensinventar seiner Base aufgeführt hatte.

Ich muß bei dieser Gelegenheit sagen, daß ich keineswegs zu denen gehöre, welche die Armut poetisch finden. Rührend wohl, unter Umständen auch erschütternd, aber poetisch? – nein! Die Poesie flügelt den Menschen empor, die Armut drückt ihn zu Boden; sie macht ihn nicht zum Gott, sondern zum Tier, welches um der Stillung seines Hungers willen mit der Gesellschaft einen unaufhörlichen Kampf kämpfen muß. Ich habe in den Behausungen der Bedürftigen und Elenden nie jene lackierte Armut gefunden, von der alberne Poeten faselten und faseln, wohl aber im Gegenteil sehr oft Entblößung und einen alle Sinne beleidigenden Schmutz. Die Ausnahmen sind selten, wo der besonders dem Weibe angeborene Instinkt für Anstand und Sauberkeit von der trostlosen Not und der hoffnungslosen Ergebung in dieselbe nicht völlig verdrängt ist.

Die Behausung der armen Hanne gehörte zu den Ausnahmen, was mich schon um des Vefele willen freute.

Das vermorschte Gattertürchen der Pfarrwiese öffnete sich auf ein Paar bemooste Sandsteinstufen, welche zu dem klar daherschießenden Mühlbach niederführten. Wir gingen über den niedrigen Bohlensteg und standen vor der strohbedeckten Hütte, um welche her man keine jener ländlich-schändlichen Unflätereien gewahrte, welche einem zwar nicht in den modischen Dorfnovellen, wohl aber in der dörflichen Wirklichkeit nur allzuoft begegnen. Was mir aber besonders wohltat, war ein Blumenständer, welcher vor einer kleinen viereckigen, in Ermangelung eines Fensters bloß mit einem Laden versehenen Öffnung befestigt war, die, wie ich vermutete, die Schlafkammer der alten Hanne und ihrer Tochter mit Licht versah. Dieser Blumenständer bestand freilich nur aus einem alten Brettstück, und die Blumentöpfe waren nur Scherben von unbrauchbar gewordenem Kochgeschirre, aber diesem ärmlichen Apparat zum Trotz prangte und duftete da ein üppiger, augenscheinlich sorgfältig gepflegter Flor von Moosrosen, Levkojen, Reseda und Nelken.

Beiläufig gesagt, lieber Leser, ich habe die Eigenheit, Autoren und Frauen in zwei Klassen einzuteilen. Jene kurzweg in Langweiler und Nichtlangweiler, diese in solche, welche die Blumen lieben und pflegen, und in solche, welchen die Blumen gleichgültig sind. Die letzteren sind mir fatal, und ich traue ihnen nicht viel Gutes zu. Dagegen Frauen und vollends Frauen aus den arbeitenden Klassen, welche die wenigen Augenblicke, die ihnen zum Ausruhen vergönnt sind, dazu verwenden, mit ihren beschwielten Händen die zartesten Kinder der Mutter Erde zu warten, haben in mir jederzeit eine günstige Meinung erweckt, welche nie getäuscht wurde. Bei dem sonstigen Mangel an ästhetischem Sinne, der unser Volk leider allwärts und sogar in Gegenden, wo es die Natur mit großer Körperschönheit ausgestattet hat, durch Beibehaltung oder gar Aneignung der abgeschmacktesten, entstellendsten Tracht an den Tag legt, ist es auch gar nicht so bedeutungslos, ob ein Weib aus dem Volke die Blumen liebe oder nicht. Ich möchte die Blumenpflege den Kunstgenuß der Frauen des Volkes nennen. Derselbe übt auf ihr Seelenleben sicherlich einen heilsamen Einfluß.

Wahrscheinlich kommt diese Behauptung dem geneigten Leser im ersten Augenblick lächerlich vor; ein näheres Zusehen dürfte sie aber rechtfertigen Zur Bekräftigung erzähle ich, daß ich eine Dorfschöne kannte, welche in der ganzen Gemeinde als unverträglich, »bösmäulig« und händelsüchtig, kurz als ein wahrer »Sadrach« verrufen war, bis sie durch ihre seitens einer Kamerädin zufällig in ihr angeregte Blumenliebhaberei nach und nach in eine sanftere Sinnesweise hinübergeleitet wurde, was nicht so unwahrscheinlich erscheinen dürfte, falls man bedenkt, daß die Minuten, welche die Bauernmädchen an ihren Blumenbrettern zubringen, die einzigen Momente stiller Sammlung sind, welche in ihrem Leben vorkommen.

Fabian meinte, er wolle nach dem Star sehen, welchen er dem Courage zum Abrichten gegeben, und öffnete ohne Umstände die Tür des Häuschens, welche bloß mittels einer hölzernen Klinke verschlossen war. Vor Dieben schien man hier durchaus nicht besorgt zu sein, denn mit einem leichten Druck auf das ländliche Schloß von seiten meines Freundes ging die Türe auf und ließ uns in die von ihren Bewohnern verlassene Hütte treten.

Da standen wir denn zunächst in einem kleinen, höhlenartigen Raume, welcher zugleich als Flur und Küche diente. Ein armseliger Herd, eine schmale Reihe von Tongeschirren an der berußten Wand, eine blankgescheuerte Messingpfanne und ein weißgefegter Wasserzuber bildeten die Ausstattung derselben. Zur linken Hand führte von hier ein Ding, welches weit mehr einer Leiter denn einer Treppe glich, in eine Dachkammer, das Nachtquartier des alten Soldaten; rechts öffnete sich eine schmale Türe in die niedrige Wohnstube.

In diese getreten, ging mein Freund sogleich auf einen der von geschälten Weidenzweigen geflochtenen Vogelkäfige zu, welcher, gegenüber den zwei kleinen, mit runden Scheiben von grünem erblindetem Glas besetzten Fenstern, an der Wand befestigt waren. Sie bildeten, unter der Aufsicht des Courage, eine Filiale von des Pfarrers Menagerie, und während dieser jetzt den schreienden Star aus seinem Behältnis nahm und zu examinieren begann, schaute ich mich in der Stube um.

Ein alter grüner Kachelofen, daneben eine vorzeiten blau und rot bemalt gewesene Truhe oder, oberländisch gesprochen, Sidel, welche als Schrank und Bank zugleich gebraucht wurde, in der Ecke ein vom Alter geschwärzter Tisch, dessen vierter Fuß abgebrochen und durch einen wahrscheinlich von dem alten Soldaten eingesetzten starken Buchenzweig ersetzt war, in der Tischecke ein großes verrauchtes Kruzifix, mit dem am letzten Palmsonntag geweihten Palmenbüschel, ferner zwei Stühle, deren Beine der ländlichen Etikette gemäß mit einer dünnen, weißen Sandkruste überzogen waren, in einer Wandnische eine Lampe, oder, oberländisch, ein Tigel mit hölzernem Gestelle und blechernem Ölbehältnis nebst »irdenem« Feuerzeug, vor der Sidel ein altväterisches Spinnrad nebst Kunkel: – das war das Mobiliar der Stube, in welcher alles von Armut und Entbehrung, aber auch von einem unter solchen Verhältnissen sehr seltenen Bedürfnis der Ordnung und Sauberkeit zeugte. Alles stand an seinem Platze; Decke und Wände waren »geweißt« und der Boden war mit weißem Sande bestreut. Ich erwähne auch noch zweier Luxusgegenstände, nämlich eines abenteuerlich geschnörkelten Lehnsessels aus dem vorigen Jahrhundert, welcher in dem Ofenwinkel stand, und einer kolorierten Lithographie, die in schwarzem Rahmen zwischen den Fenstern an der Wand hing und den Napoleon darstellte, in grüner Uniform und grauem Überrock auf dem bekannten historischen Schimmel reitend. Der Lehnsessel war, wie mir Fabian mitteilte, von dem Besitzer eines der benachbarten Herrenschlösser, welcher vordem auch Soldat gewesen, an den alten Kriegsknecht geschenkt worden; das Napoleonsbild hatte ihm der Pfarrer, trotzdem dieser keineswegs ein Napoleonverehrer war, gekauft und einrahmen lassen.

Der Star mußte den Unterricht des Courage gut benutzt haben, denn er schrie höchst energisch sein Parbleu und Morbleu, woran der Fabian sein innigstes Ergötzen hatte. Er konnte auch dem Lehrmeister sogleich seine Zufriedenheit ausdrücken, denn der alte Soldat trat gerade in die Stube und brachte sein »Bon soir, Messieurs« so unbefangen vor, als sei er nicht im mindesten überrascht, in Abwesenheit der Hausbewohner fremde Eindringlinge hier zu finden.

»Guten Abend, Alter,« sagte der Pfarrer, den Vogel in seinen Käfig zurückschiebend. »Der Star macht große Fortschritte und ich denke, man kann ihn jetzt bald frei in Haus und Garten umhergehen lassen.«

»Noch nicht, Herr Pfarr', noch nicht, glauben's mir. Ist zwar ein gescheiter Kerl, aber doch noch Rekrut, muß noch 'ne Weile exerziert werden, ehe man ihm traut; sonst desertiert er mit Sack und Pack .... Kenne die Stare, ein schlaues Gesindel, glauben's mir – courage!«

»Magst recht haben, Kamerad,« entgegnete der Pfarrer lächelnd, »ich beuge mich, wie immer, vor deinen kriegerischen Erfahrungen. Aber sag' mir, wo ist deine Base, die Hanne? Ich hätte gern ein Wort von wegen des Vefele mit ihr gesprochen.«

»Wird wohl aufm Ährenlesen sein, denk' ich. War aber vormittags Ihre Frau Mutter hier, Herr Pfarr', und hat mit meiner Bas' ein langes und breites geredet.«

»Ja, meine Mutter wünscht gleich mir, das Mädchen möchte zu meiner Base nach Dietelhofen gehen.«

»Weiß es, und 's Mädle ist dort gut aufgehoben, mort de ma vie! das muß wahr sein. Kenne Ihre Bas' recht wohl, Herr Pfarr'. Ist ein räsonables Weibsbild und ihr Bauer, auch keiner von den letzten, hört gar z' gern meine Geschichten und steckt mir beim Gehen immer einen Groschen in d' Hand ... gute Leut' das - courage! ... Aber Herr Pfarr', wissen Sie, das Ding, von wegen dess' ich heut morgen bei Ihnen war –«

»Hab' es nicht vergessen, Alter, aber so etwas will reiflich überlegt sein, bevor man es zu Handen nimmt. Und jedenfalls kann es nicht schaden, wenn das Mädchen von hier weg ist.«

»Wohl, aber wird mir halt gar ahndtun Ahndtun = Sehnsucht empfinden. nach 'm Vefele.«

»Glaub' es, aber kannst's ja oft besuchen.«

»Freilich, und dann muß sich's wohl schicken, wenn's nur dem Mädle zum besten g'reicht – courage!«

»Hoffe, es werde dem Vefele wirklich zum besten gereichen, und will deshalb noch heute einen Brief an meine Base schreiben, womit sich 's Vefele morgen früh auf den Weg machen kann. Gefällt es ihr bei meiner Verwandten, so kann sie sogleich dort bleiben, und du bringst ihr dann den Wanderbündel.«

»Gut, ich weiß, Sie meinen's wirklich redlich mit uns und allen Leuten, Herr Pfarr', und darum will ich meiner Bas' und meinem Bäsle zureden und 's Mädle soll morgen nach Dietelhofen gehen ... Und von wegen dessen, was ich Ihnen heut morgen vorgetragen hab' – Sie werden's auch nicht so liegen lassen – courage!«

Der Alte begleitete uns durch die Küche, wo der Pfarrer unbemerkt, wie er glaubte, ein Stück Geld auf den Herd legte, vor die Hütte bis an den Bach, wo wir ihm Adieu sagten, um nach dem Pfarrhaus zurückzugehen.

Fünftes Kapitel,

welches den wißbegierigen Leser belehrt, was eine Oberländer Sichelhänge sei.

Auf dem Kirchturm schlug die »Betglocke« an, als wir abends durch die dämmernden Gassen des Dorfes ins Freie gingen, um auf dem Bronnenhof der ländlichen Lustbarkeit anzuwohnen, welche nach eingeheimster Ernte von den wohlhabenden Oberländer Bauern unter dem Namen Sichelhänge gefeiert wird. Die Sicheln werden aufgehangen, das heißt das Korn ist geschnitten, die Ernte eingetan: daher die Bezeichnung. Früher war, wie ich mich aus Erzählungen meines Vaters erinnerte, in diesem Erntefest viel uralt Heidnisches, und ich selbst erinnere mich, wenigstens in meinen Knabenjahren bei Sichelhängen heidnische Anklänge wahrgenommen zu haben, die ich mir freilich erst später zu deuten wußte. Unsere Bauern sind überhaupt noch heute Heiden, wie ihre Altvordern waren. Der christliche Firnis, womit ihr Heidentum überstrichen wurde, ist ein sehr dünner. Überall schimmert noch der Glaube an die alten Naturgewalten durch. Freilich, die Namen der alten Götter hat das Taufwasser allmählich aus dem Gedächtnis des Volkes gewaschen, nicht aber die alten Götterbegriffe. Die Volksreligion ist noch heute so polytheistisch, wie sie vor zweitausend Jahren gewesen.

Der heiße Tag hatte am Abend mit einem Gewitter gedroht, welches aber nicht zum Ausbruch gekommen war. Im Westen standen die Wolken wie eine eherne stahlblaue Mauer, und die Sonne, hinter derselben niedersteigend, schoß grellgelbe Breschen darein. Dann wurde die Wolkenmasse schwärzer und immer schwärzer, drückte sich langsam und schwerfällig mehr und mehr am Himmel herauf, schob sich hinüber und herüber und wuchtete schwül auf der ganzen Gegend. Feld und Wald standen schweigend und regungslos, als harrte die Welt in ehrfurchtsvoller Stille der majestätischen Ansprache des Donners. Aber er zögerte. Nur dann und wann zuckte ein kurzer Blitz wie ein lässiges Augenzwinkern in den düstern Wolkenbrauen, und noch hatte sich nicht einmal jener unheimlich pfeifende Wind aufgemacht, welchen Blitz und Donner als ihren Herold vor sich herfegen lassen.

Bei dem Bronnenhof angekommen, standen wir eine Weile unter einer mächtigen Linde still, welche ihre knorrigen Äste über einen reichen Brunnen ausstreckte, der armsdick aus einer rohbehauenen hölzernen Röhre hervorsprudelte. Von diesem Quell trug das Gehöft seinen Namen, und Fabian erzählte mir eine Legende, welcher zufolge in der Heidenzeit ein Prediger des Christentums zur Beglaubigung seiner Sendung den Brunnen hatte entspringen lassen.

Der gute Pfarrer setzte eben an, mir über den ironischen Zug, welchen die Wundererzählung auf meine Lippen gerufen hatte, humoristisch den Text zu lesen, als von der großen Scheune des Hofes herüber die Töne einer näselnden Klarinette, einer schwindsüchtigen Geige und eines anarchischen Waldhorns erklangen. Zum Glück ließ das laute Juheien der Burschen, welchen die Musik zum Tanz aufspielte, die Harmonien des besagten Trio nicht zu sehr aufkommen.

Wir traten an das Tor der Scheune, welche den Hofraum linkshin flankierte, während zur Rechten die weitläufigen Stallungen sich erhoben, und bemerkten, daß die Lustbarkeit bereits in vollem Gange war. An jeder der drei Seitenwände der Scheune waren Stallaternen aufgehangen, und in dem ungewiß hin und her flackernden Lichte arbeitete ein Dutzend junger Paare in den raschen Windungen des »Schleifers« und in den noch rascheren des »Drehers« und »Hopsers« bunt durcheinander. Ich sage: sie arbeiteten; denn das rasende, schweißaustreibende Springen und im Kreise Drehen unserer nordischen Tänze kann, besonders mit den graziösen, künstlerisch schönen und bedeutungsvoll symbolischen Nationaltänzen der südlichen Völker Europas verglichen, doch wohl nicht anders bezeichnet werden. Wenn dieses Tanzen schon auf dem Parkettboden eines glänzend erleuchteten großstädtischen Ballsaals so aussieht, daß man versucht sein könnte, einen Verein gegen Tierquälerei dagegen anzurufen, wie muß es dem Auge eines Schönheitsgläubigen erst auf der Tenne einer Scheune bei Stallaternenbeleuchtung vorkommen?

Ich teilte diese Bemerkungen leise meinem Freunde mit, während wir ungesehen im Schatten des nach außen geöffneten Scheunentores standen. Er hörte mich nach seiner Art geduldig an, bemerkte dann aber mit gutmütigem Spott:

»Ei, ja doch, das ist alles recht schön, und ich sehe mit Vergnügen, daß du auch als Geschäftsmann noch Philosophie des Schönen getrieben hast. Aber, lieber Alter, daneben erinnere ich mich noch sehr gut der Zeit, wo dich die Töne einer Musik, wie wir sie hier vor uns haben, zum lautesten Jubel bewegen konnten, wo du nicht müde wurdest, auf den Tanzböden der Dorfschenken zu ›arbeiten‹, und wo du dich glücklich schätztest, so oft du dich die halben Nächte hindurch mit einem hübschen Steinlacher Mädchen im Kreise drehen konntest, obgleich einem diese Tänzerinnen mit ihren höllischen Schuhhacken fast die Zehen wegtraten.«

»Ach ja,« versetzte ich kleinlaut, »das war eine liebe, heitere, sorglose Zeit. Wollte, es wäre noch so!«

»Gelt, jetzt hab' ich dich? Siehst du, nur der Genügsame, der Ursprünglichkeit und Naivität der Natur noch Anhängliche versteht sich so recht zu freuen. Du tanzest nicht mehr, bist wählerisch in der Musik wie im Wein und Tabak, du kennst die rechte Jugendlust nicht mehr, mein Junge. Sieh dir einmal diese vor Freude leuchtenden Blicke der Burschen, diese in Vergnügen flammenden Wangen der Mädchen an und laß das Kritteln und Grämeln sein.«

Eben war ein Tanz zu Ende und wollte einer der Jünglinge den Musikanten, welche im Hintergrund der Scheune auf einem umgestürzten Futtertrog saßen, einen neuen »fürsingen«, als wir, an der Toröffnung vorübergehend, von den jungen Leuten wahrgenommen wurden. Sogleich drängten sich alle auf den Pfarrer zu, um ihm einen guten Abend zu wünschen. Mein Freund erwiderte diese Begrüßungen mit der ihm eigenen Bonhomie, richtete an diesen eine ernste, an jenen eine scherzhafte Frage und schloß, zurücktretend, mit der Mahnung: »Macht euch lustig, Kinder, und ihr Bursche, merkt euch, daß eine Lustbarkeit ganz gut von statten gehen kann ohne eine Prügelei am Schlüsse. Verstanden?«

Die Ballherren in Hemdärmeln und Lederhosen lachten und einer, sein Mädle gegen die Musikanten hinziehend, begann sofort ein »Schelmenliedle« fürzusingen:

»'s Fidélebauers Annele,
Des ischt a guater Bissa,
Und hätt' i se,
Wie wett' (wollt') i se
Verdrucka und verküssa.«

Die Musikanten begannen die Melodie sogleich nachzududeln, und der Dreher wirbelte wieder durch die Scheune.

»Der Bronnenbauer,« bemerkte Fabian, mit mir auf das Wohngebäude zugehend, »scheint heute etwas draufgehen lassen zu wollen. Drei Musikanten, das ist wahrer Luxus für eine Sichelhänge. Aber wo steckt denn der Jages?«

»Hier!« entgegnete die Stimme des jungen Mannes, der aus dem nächtlichen Schatten des Baumgartens trat, welcher sich an der Giebelseite des Hauses hinzieht. Und nachdem er den Pfarrer und mich begrüßt hatte, setzte er hinzu: »War draußen in der Mühle, um nach der Ahne zu sehen, mit der es, gottlob! recht ordentlich geht.«

»Hm,« dachte ich, »was doch kranke Großmütter für eine Anziehungskraft für ihre Enkel haben, wenn ihre Wärterinnen Vefele heißen.«

Inzwischen war der junge Bauer näher zu meinem Freunde getreten, welcher schon die Klinke der Haustüre erfaßt hatte, und fragte rasch und leise:

»Ist's wahr, Herr Pfarr', geht 's Vefele morgen zu Ihrer Base nach Dietelhofen?«

»Allerdings, und du wirst, denke ich, nichts dagegen haben wollen.«

»Ei, jawohl, wer weiß? Übrigens liegt Dietelhofen nicht aus der Welt draußen, und Sie brauchen künftig für Ihre Botschaften an Ihre Base kein' Botenlohn mehr auszugeben. Ich weiß einen, der sie Ihnen umsonst besorgt.«

»So, meinst du, Bursch? Wie aber, wenn ich meine Base bäte, einen gewissen trotzkopfigen Burschen, sobald er sich in Dietelhofen blicken ließe, durch ihres Bauern Knechte tüchtig abwamsen zu lassen?«

»O, was das angeht, Herr Pfarr', das macht mir kein' Kummer nit. Erstens kann ich, wenn's sein muß, auch so ein bißle mit dem Raufen umgehen und zweitens fällt es Ihnen gar nit ein, Ihre Base um so was zu bitten.«

Fabian öffnete die Türe, und wir wurden auf dem Flur von der Bronnenbäuerin empfangen, die mit hochrotem, die Glut des Herdes widerstrahlendem Gesicht aus der Küche trat, aus deren Räumen mir ein einladender Duft von allerlei Gebackenem in die Nase stach.

Halte mich nicht für einen krassen Materialisten, lieber Leser, wenn ich dir sage, daß mich dieser Duft wundersam anheimelte. Hättest du, wie ich, im Oberlande deine Kinderschuhe vertreten, würdest du ohne weiteres zugeben, daß in dem Arom frischgebackener »Spätzle« und »Schnitle« und »Weckenknöpfle« und »Sträuble« und »Bauernküchle« die ganze Poesie goldener Jugenderinnerungen liegen kann.

Ja, wahrhaftig, für einen Moment wenigstens war ich wieder ein glücklicher, ein genießender, ein naiver Mensch.

Indem die gute Bronnenbäuerin die Stubentüre vor uns auftat, um uns eintreten zu lassen, hörte ich sie ihrem Sohn hastig zuflüstern:

»Hörst, Jages, tu mir den G'fallen und tanz ein bißle mit der Kätter, die mit ihrem Vater drinnen am Tisch sitzt.«

»Nu', mira!« entgegnete der Sohn, »wenn Euch damit ein G'fallen g'schieht, Mutter. Aber merkt's Euch, Tanzen und Heiraten ist zweierlei.«

Die Gesellschaft, welche wir in der großen, mit vom Alter gebräunten Eichenholz getäfelten Wohnstube des Bronnenhofs versammelt trafen, bestand aus dem Hausherrn, seinem Nachbar, dem Luixenbauer nebst Tochter, ferner dem Schultheiß und dem Schulmeister der Gemeinde samt ihren Frauen, dann dem Hansjörgenbauer, welchen ich gestern in Gesellschaft des Bronnenbauern gesehen, und endlich einem alten Oberknecht, welcher die Ehre, in der Stube mit am Tische sitzen zu dürfen, dem lustigen Treiben in der Scheune vorgezogen hatte.

Der Tisch, auf einem schneeweißen, in der Mitte mit einer breiten roten Borte durchwirkten Linnentuch eine Last von Speisen und Getränken tragend, gab, wie das Gemach überhaupt, sprechendes Zeugnis von bäuerischem Reichtum.

Beim Eintritt des Pfarrers erhoben sich alle ehrerbietig, und er wurde sofort von dem Hausherrn an den Ehrenplatz oben am Tische geführt.

Wenn auch Fabians Reformbestrebungen an der Zähigkeit bäuerischer Vorurteile gescheitert waren, so viel war dennoch augenscheinlich, daß seine lautere, noble und milde Persönlichkeit selbst dem bäuerischen Egoismus Achtung abgezwungen hatte.

Die Bronnenbäuerin stellte dem Stuhl des Pfarrers einen für mich zur Seite und entfernte sich dann, um eine frische Auflage von Schinken, Würsten und Backwerk auf den Tisch zu befördern. Ich tat, in Erinnerung alter Zeiten, namentlich dem Gebackenen alle Ehre an und trank roten Karthäuser Wein dazu, was sehr wohltat.

Als ich wieder von meinem Teller aufschaute, war die dralle, rotbackige, mit einer oberländischen Busenfülle im Superlativ ausgestattete Kätter verschwunden. Der Jages mußte sie also wirklich zum Tanze geführt haben.

Die ländlichen Gäste hatten ihren Appetit großenteils schon gestillt, und nachdem die stereotypen bäuerischen Gesprächsmaterien, als da sind Rindvieh-, Pferde- und Getreidepreise, Schafschur und Hagelschlag, Klagen über böse Zeiten und Futtermangel, abgetan waren, brachte der Schulmeister, der fast wie ein heimlicher »Wühler« aussah, ein politisches Thema aufs Tapet, indem er die Frage aufwarf, wem wohl die Frohdorfer Wähler bei der bevorstehenden Bezirkswahl zur Ständeversammlung ihre Stimmen geben würden.

»Ich für mein' Teil,« sagte der Luixenbauer, das steingutne Bierkrügle niedersetzend, »gib' mein' Stimm' nur einem gutkatholischen Oberländer. Wollen kein' so unterländischen Schreibersknecht mehr zum Abgeordneten.«

»Ja,« bemerkte der Bronnenbauer, »ich hab' ein' Vogel pfeifen hören, daß wir diesmal ein' rechten Mann kriegen sollen, ein' geistlichen Herrn, der den Unterländern donderschlächtig aufsätzig ist. Wissen Sie's auch schon, Herr Pfarr?«

»Habe ebenfalls davon reden hören,« entgegnete Fabian. »Näheres weiß ich aber nicht.«

Der Schultheiß faßte ein Licht vom Tische, brannte seine Pfeife damit an, und nachdem er eine Wolke schrecklich duftenden Tabaks von sich gegeben, meinte er, der Herr Oberamtmann werde zu dem allem doch auch sein Wörtle sagen.

»So, hat er Euch schon wieder am Bändel, Schultes?« bemerkte der Luixenbauer unwirsch.

»Wie meint Ihr das?« fragte der Schultheiß im Gefühle seines Amtes.

»So mein' ich's,« versetzte der Gefragte störrisch, »daß alleweil d' Schultes tanzen, wie der Oberamtmann pfeift.«

Der Schultheiß wollte heftig entgegnen, der Hausherr aber legte sich dazwischen und sagte:

»Bscht, bscht! Wer wird denn Händel anheben wollen von wegen den Herrenleuten? Gucket, was die Abgeordnetenwahl angehen tut, so geb' ich im Grund kein' Pfifferling drum, ob's der oder der ist. Wir müssen halt auch die Herren noch b'solden, zu den anderen hin. Saget mir doch, was es helfen tut, wenn die Leut' im Ständhaus in d'r Residenz z'sammensitzen und monatlang durcheinander plappern und haselieren.«

»Mit Verlaub,« nahm der Schulmeister das Wort, und begann den Bauern mit viel Einsicht und liberalem Eifer das konstitutionelle Regierungssystem auseinanderzusetzen, oftmals nicht gerade sanft von seinen Zuhörern unterbrochen, deren Politik, als die aller Bauern, ein für allemal in den Wunsch sich zusammenfaßte, keine Steuern bezahlen zu müssen. Dazwischen wogte ein buntes Hin- und Herreden über die Zunahme der Armenlasten, über die Beschwerlichkeit der Gemeindebeamtungen, über die Ungerechtigkeit der Verpflichtung zu neuen Wegbauten und dergleichen mehr.

Ich bekam das Gerede satt, stand auf und trat an ein offenes Fenster, welches auf die Scheune hinübersah. Dort rastete der Tanz eine Weile. Die Burschen standen in einer Gruppe um die hohe Gestalt des Jages. Die Mädchen hatten sich Garben herbeigeschleppt und saßen auf denselben die Wände entlang. Kuchen, Fladen und Biergläser gingen von Hand zu Hand. Dann stimmte eins der Mädchen ein Lied an: »Wenn i gleich kein' Schatz nit hab'« und die ganze Genossenschaft fiel sogleich fröhlich ein.

Fabian war neben mich getreten und hörte ebenfalls dem Singen zu. Der Bronnenbauer aber, der in bester Laune war, weil sein Sohn die Kätter zum Tanze geführt hat, sagte zu dem alten Oberknecht, der, wie seine Mundart verriet, aus Bayern stammte:

»He, Boir, gang doch 'nüber und hol' die junge Leut' 'rüber. Sie sollen dem Herrn Pfarr' ein paar Liedle singen, wie er sie gern hört.«

Fabian dankte für diese Zuvorkommenheit, und von dem »Boir« geholt, kamen die Burschen und Mädchen bald herüber. Die letzteren drängten sich zuerst etwas blöde und verschämt in eine Ecke zusammen, und die ersteren drehten verlegen ihre pelzverbrämten Mützen in den Händen. Als man es ihnen aber in Bier und Wein »zugebracht« und der Pfarrer ihnen freundlich zugesprochen hatte, ordneten sie sich unter des Schulmeisters Regiment nach Stimmen und ließen, da sie alle dem von Fabian begründeten Singverein angehörten, mit gar nicht üblem Ausdruck und Vortrag einige Lieder von Silcher vierstimmig hören. Der Jages machte dann, nachdem noch verschiedene alteinheimische Volkslieder gesungen worden, den Vorschlag, der alte Boir sollte das altbayerische Liedle von Sankt Peter singen, was sofort allgemein verlangt wurde. Der alte Knecht warf einen schüchternen Blick auf den Pfarrer, und als dieser gutmütig lächelnd mit dem Kopfe nickte, stellte er sich in Positur und Hub mit einer etwas meckernden, zu der wunderlich geschnörkelten Melodie komisch passenden Falsettstimme zu singen an:

»Als d' Juden den Herrn hab'n g'fange g'hatt,
Da liefen die Jünger davon;
Hat ainer den Peter am Mant'l d'ertappt:
Gelt, Glatzkopf, jetzt hab' i di schon!« usw.

Alle lachten herzlich und schmetternd, als der Boir mit einem verzweifelten Triller seinen Singsang beendigt hatte, dessen Pointe sich hier nicht wohl wiedergeben läßt, der aber das Signal zur Steigerung der Lustbarkeit gab. Die Musikanten in der Scheune drüben stimmten einen neuen Hopser an, welcher Aufforderung die jungen Leute mit Ausnahme des Jages, der sich zu dem Schulmeister setzte, nicht widerstehen konnten. Schäkernd, juheiend und lachend drängten sie sich tumultuarisch zur Türe hinaus.

In der Stube wurde es jetzt ebenfalls lauter, rücksichtsloser, ungeniert bäuerischer. Der höllische Knaster, genannt Schwarzer Postreiter, lag in dicken Wolken über dem Tische, die Bierkrüge hatten den Weingläsern entschieden das Feld geräumt, und der Luixenbauer schenkte sich das seinige, wie aus Versehen, ein paarmal mit Zwetschgenwasser voll und leerte es auf einen Zug, weswegen ihm auch die dicken Knollaugen bereits verdächtig aus dem Kopfe hervorquollen und er nach jedem dritten Worte immer fein »Kreuzsakerment!« hören ließ – kurz, wir merkten, daß es Zeit zum Aufbruch sei.

Natürlich suchte man uns zurückzuhalten, allein Fabian lehnte das Andringen der Bronnenbäuerin freundlich ab, mit dem Bemerken, er habe morgen in der Frühe eine Seelenmesse zu lesen.

»Eine Seelenmesse? Für wen denn, Herr Pfarr'?« fragte die Hausfrau.

»Für den seligen Tone der armen Hanne. Ihr wißt, liebe Bäuerin, mein Vorgänger hatte beschlossen, alljährlich eine Messe für den Verunglückten zu lesen, und ich will's ihm nachtun, zum Troste der armen Witwe und ihres Kindes, welchen diese kleine Aufmerksamkeit beweisen soll, daß die Tröstungen der Religion für die Armen so gut da seien als für die Reichen.«

»Das ist schön von Ihnen, Herr Pfarr', und ich will morgen g'wiß auch in der Kirche sein. Jetzt fallt mir auch ein, daß es sich grad' heut' nacht wieder jährt, daß der arm' Tone in d' Donau g'fallen ist.«

Meine Augen ruhten bei diesen Worten der guten Bäuerin zufällig auf dem Luixenbauer und ich erschrak, als ich bemerkte, daß er sich dabei verfärbte und zusammenfuhr, dann aber mit hast das Glas zum Munde führte und rasch hinuntergoß. Der Bronnenbauer seinerseits, welcher sich mit dem Schultheiß über eine Gemeindesache herumstritt, hatte nichts gehört.

Nach allseitigem Gutenachtsagen verließen wir das Haus und den Hof. Der Jages gab uns bis zum Bronnen unter der Linde das Geleite, und hier fragte er den Pfarrer, ob derselbe mit seinem Vater »von wegen der Sach'« geredet habe.

»Ich hatte nur wenig Gelegenheit dazu, armer Junge,« antwortete Fabian; »weißt, es ging gar zu bunt und laut her. Aber wart' nur, ich will die Sache von einer anderen Seite anpacken und sehen, was sich bei der Kätter ausrichten läßt.«

»Ja, reden Sie ihr nur in's G'wissen, Herr Pfarr'. Sie wird doch nicht mit G'walt ein' Mann haben wollen, der nichts von ihr will. Will sie aber doch, so will halt ich nit, und jetzt gut' Nacht!«

Mit diesen Worten kehrte er um, und als er einige Schritte von uns entfernt war, sang er mit heller Stimme:

»Zu dir bin i ganga,
Zu dir hot's mi g'freut,
Und zu dir gang i wieder
Und 's ist mir nit z'weit!«

Die Nacht war finster und heißdunstig. Am Himmel braute und drohte noch immer das Gewitter, und nur zuweilen schien es, als werde der Vollmond, der hinter den Wolkenmassen schwebte, diese durchbrechen und in seiner Schönheit hervortreten.

Wir kamen beschleunigten Schrittes zu Hause an und ich teilte dem Freunde noch die von mir gemachte Wahrnehmung mit, daß der Luixenbauer bei der Erwähnung von Tones Tod erschrocken sei.

»Seltsam!« bemerkte Fabian einsilbig, und hiermit wünschten wir uns gute Nacht.

Auf mein Zimmer gegangen, fühlte ich – wahrscheinlich war der hitzige Kartäuser daran schuld – noch kein Bedürfnis zu schlafen und öffnete das Fenster, um noch eine Weile dem Kampfe des Mondes mit den Wolken zuzusehen.

Der Wind hatte sich schnaubend erhoben und einem kleinen Fleck am Himmel die Wolkendecke abgestreift.

Der Mond schaute groß und voll von dorther auf den Gottesacker herab, und mir kam vor, als sähe ich zwischen den Kreuzen hindurch an einem der Grabhügel ein weibliches Wesen knien, welches aber im nämlichen Augenblick aufstand und langsam der Friedhofspforte zuging, um durch dieselbe zu verschwinden. Kurz darauf vernahm ich aus der Richtung her, wo die Hütte der armen Hanne lag, leise, melancholische Töne, die aus einer weiblichen Brust kommen mußten.

Ich bog mich lauschend in die Nacht hinaus, und seltsamerweise hörte ich auf diesem abgelegenen Bauerndorf aus dem schönsten Liede eines in unserer schnelllebenden Zeit lange schon verschollenen Dichters deutlich folgende Strophen:

»Still und hehr die Nacht!
Des Himmels Augenpracht
Hat nun den Reihn begangen.
Schweb' hoch hinauf wie Glockenklang
Der Liebe sanfter Nachtgesang,
Klopf' an die Himmelspfort' mit brünstigem Verlangen.

Die ihr dort oben brennt
Und keusche Flammen kennt,
Ihr Heiligen mit reinen Zungen,
Ach, benedeiet unser Herz!
Wir dulden, dulden bittern Schmerz,
Wir haben schwer gerungen.«

»Ist denn das nicht die Stimme des Vefele?« fragte ich mich. »Aber wie sollte das Mädchen zu diesem Liede kommen?« Da fiel mir Fabians Singverein ein, welchem ja das Vefele ebenfalls angehören konnte.

Noch lange stand ich träumerisch am Fenster. Der momentane Sieg des Mondes war bald vorüber. Der Wind schnaubte mir jetzt heiß und heftig ins Gesicht – noch einen Augenblick und das nächtliche Gewitter brach in seiner ganzen Majestät los. Der Himmel stand alsbald in blauen und schwefelgelben Flammen, der Donner zog alle Register seiner erderschütternden Orgel und ein Wolkenbruch peitschte weitum die Gegend.

Sechstes Kapitel

Ertrunken! – »Verflucht sei die Donau!« – In der Kirche. – Ein Abschied, eine Beichte und eine Absolution. – »Da nimm sie!« – Ein Geisterspuk. – Ende gut, alles gut.

Am folgenden Morgen war ich früher auf als am vorhergehenden.

Neugierig, zu erfahren, wie das Land nach dem nächtlichen Gewittersturm aussehe, fuhr ich rasch in die Kleider und schlich mich leise die Treppe hinab und zur Hintertüre hinaus. Durch die Pfarrwiese an den Mühlbach gelangt, verfolgte ich diesen aufwärts und sog mit Entzücken die balsamische Morgenfrische ein.

Noch zögerte die Sonne im Osten heraufzusteigen. Ein kühles Säuseln ging durch die tropfenden Wipfel der Bäume. Nur schüchtern ließ sich da und dort ein Vogel hören. Auf dem Flusse lagerte eine Nebelbank, ein frühzeitiger Vorbote des Herbstes. Die Natur sah so keusch, so unberührt und erwartungsfrisch aus wie ein Mädchen, dem der Busen zu schwellen beginnt und ob dessen Herz die Sonne der Leidenschaft noch nicht aufgegangen ist.

Als ich mich wenige Schritte unterhalb der Mühle vom Bache ab und in die Felder hineinwandte, sah ich den alten Soldaten die Anhöhe herabkommen. Ich rief ihn an, um nach dem Befinden der Müllerin zu fragen, und erhielt den Bescheid, die alte Frau habe vortrefflich geschlafen und befinde sich entschieden in der Wiedergenesung.

»Aber Herr,« fügte der Courage seinem Berichte hinzu, »das war ein Wetter heut' nacht! War in dem Lehnstuhl am Ofen eingeduselt, als mich der Donner aufweckte. Sakristi, sag' Ihnen, der Himmel sah drein wie beim Brande vom Moskau und gedonnert hat's, als lieferten die himmlischen Heerscharen einander eine Schlacht von Bautzen.«

»Ihr seid also bei Bautzen mit dabei gewesen?« fragte ich.

»Das will ich meinen, Herr, und sag' Ihnen, da ging es recht napoleonmäßig zu. Parbleu, was da für eine Masse von Kanonen gegeneinander donnerte!«

»Wenn Ihr nicht des Schlafes bedürftet nach Eurer Krankenwache, so möchte ich wohl etwas Weiteres von jener Affäre hören.«

»Ich des Schlafes bedürfen, Herr? Ein so alter Soldat schläft nicht viel, und dann hab' ich auch sattsam geschlafen, maßen die alte Müllerin über meinen Geschichten schon frühe eingeduselt war. Sie gehen, scheint es, auf die Steinbruck zu, und da geh' ich mit – avec votre permission. Horch, da läutet's zum erstenmal. Bis es zu der Seelenmesse für den Tone selig zusammenläutet, find wir lange zurück – courage!«

Demnach verfolgten wir mitsammen unseren Spaziergang durch das Gelände im Rücken des Dorfes und dann hinab gegen den Fluß, welchen wir mittels der steinernen Brücke überschritten. Indem wir am linken Ufer hinaufgingen, unterbrach der Courage seine Schilderungen von Attacken und Bataillen plötzlich mit dem Ausruf:

»Sehen Sie doch, Herr, was gibt's denn dort auf dem Luixenhof? Sehen Sie, wie die Leute über den Steg laufen? Sollt' es ein Unglück gegeben haben? Wollen doch mal sehen!«

Wir zogen rascher aus und kamen bald in der Nähe des Steges an, unter welchem der Fluß, von den nächtlichen Regengüssen geschwellt, trübe und hochrauschend daherschoß.

Auf dem Rasenplatz, über welchen vom Steg her der Weg auf die Gebäulichkeiten des Luixenhofes zuführte, umstand eine zahlreiche Gruppe von Landleuten einen Gegenstand, welchen wir noch nicht zu erkennen vermochten.

»Mordieu,« sagte der alte Soldat, »das ist ja gerad' wie heut' vor drei Jahren, als man den Tone selig aus der Donau gezogen hatte.«

Aufgeregt und gespannt traten wir näher und bemerkten jetzt, daß die Mannsleute unter den Versammelten starr vor sich hinschauten, und hörten abgebrochene Rufe des Schreckens von seiten der Weiber, denen ein wildes, geheulartiges Schluchzen antwortete.

»Was gibt es denn?« fragte ich ein junges Mädchen, welches, von der Gruppe weg dem Dorfe zueilend, an uns vorüberrannte.

»Ach, Herr Jeses!« schrie uns die Gefragte rückwärts gewandt zu, ohne stille zu stehen: »Der Luixenbaur ist versoffa!«

Ich stand bestürzt und sah den alten Soldaten an, der ganz bleich geworden war und mir einen unbeschreiblichen Blick zuwarf.

In diesem Augenblick öffnete sich die Gruppe, denn der herbeigeholte Schultheiß war gekommen, und da lag der Ertrunkene auf dem Rasen.

Es war ein schrecklicher Anblick!

Der schwere Todeskampf, welchen der Unglückliche mit dem nassen Element gekämpft hatte, war in deutlichen Zügen auf sein verzerrtes, blauangelaufenes Gesicht geschrieben. Einer seiner großen Stiefel war ihm durch das wilde Wasser vom Fuße gerissen worden; seine Finger, mit denen er wahrscheinlich auf dem Grunde des Flußbettes in grimmiger Agonie nach einem Halt umhergegriffen, waren bis auf die Knochen aufgeschürft und mit Blut bedeckt.

So war er vor etwa einer halben Stunde wenige Schritte unterhalb des Steges, dessen Geländer auf der einen Seite ganz verschwunden war, aufgefunden worden, mit den Füßen in einem von dem angeschwollenen Wasser halbüberfluteten Erlenbusche hängend.

Kaum minder furchtbar als der Anblick des Toten erschien der des Schmerzes seiner Tochter, der Kätter, welche sich neben dem Leichnam niedergeworfen hatte und, ohne auf die Zusprache einiger um sie herstehenden Vettern und Basen zu achten, die Luft mit den ungezügeltsten Wehklagen erfüllte.

Der Schultheiß hatte wider mein Erwarten Takt genug, die halb besinnungslose Tochter durch ihre weiblichen Verwandten von der Leiche weg und ins Haus bringen zu lassen, worauf er an Ort und Stelle ein vorläufiges Verhör mit den Umstehenden über den traurigen Fall veranstaltete.

In diese Fragen und Antworten klangen die Töne der Glocken, welche drüben die Seelenmesse einläuteten, seltsam herein, und der aufgedunsene Leichnam erschien in den ersten Strahlen der Sonne, die inzwischen aufgegangen, nur noch grauenhafter.

Aus den Fragen des Schultheiß und der Beantwortung derselben seitens der Anwesenden ergab sich, kurzgefaßt, dieses Resultat: Die Kätter hatte sich, vielleicht aus Verdruß, weil der Jages, nachdem er ein paarmal mit ihr herumgetanzt, sich nicht weiter um sie bekümmerte, schon um zehn Uhr von der Sichelhänge auf dem Bronnenhof nach Hause begeben. Die Gäste des Bronnenbauern, mit Ausnahme des Luixenbauern, waren mit dem Schultheiß um die elfte Stunde ins Dorf zurückgegangen, gerade bevor das Gewitter losbrach. Der Luixenbauer mußte bis gegen zwölf Uhr, wo das Unwetter am ärgsten raste, mit seinem Nachbar getrunken haben, denn um diese Zeit weckte der letztere einen seiner bereits eingeschlafenen Knechte, damit derselbe den Luixenbauer nach Hause führe. Allein dieser wies mit der groben Halsstarrigkeit, wie sie oft Betrunkenen eigen ist, den Knecht zurück, der sich dann auch nicht lange zurückweisen ließ und ohne Umstände sein Bett wieder aufsuchte, nachdem er den Luixenbauer bis zum Bronnen unter der Linde geführt hatte. Von da ab wußte man nichts mehr von dem Verunglückten, dessen Abwesenheit von Hause erst am Morgen auffiel, weil er seine Leute längst daran gewöhnt hatte, ihn ganze Nächte nicht heimkommen zu sehen. Einer seiner Knechte, der in aller Frühe mit der Sense auf einen Acker an der Donau ging, Klee zu mähen, sah den Ertrunkenen in der beschriebenen Weise im Wasser hängen.

Alle Stimmen vereinigten sich in der Annahme, der Verunglückte müßte inmitten des tobenden Orkans auf dem Stege vom Rausche übermannt worden, mit der Schwere seines ungefügen Körpers gegen das Geländer gefallen sein, dasselbe zerbrochen haben, so ins Wasser gestürzt und ungehört und hilflos ertrunken sein.

Ich eilte, meinen Freund von dem traurigen Vorfall in Kenntnis zu setzen.

Als ich über den Steg ging, mich vorsichtig auf der noch mit einem Geländer versehenen Seite haltend, fühlte ich einen leisen Schlag auf der Schulter und hörte den hinter mir her gehenden Courage flüsternd sagen:

»Gerade in dieser Stunde sind drei Jahre um, seit man meinen armen Vetter aus der Donau gezogen, und jetzt liegt der Luixenbauer tot auf dem Ufer. Ist das nicht kurios, Herr? In der nämlichen Nacht, wo er vor drei Jahren ... hm, Herr, Sie wissen nicht ... 's ist besser, jetzunder von der Sache ganz zu schweigen.«

»Gewiß! De mortuis nil nisi bene.«

»Weiß nicht, was Sie da sagen, Herr. Aber glauben's mir, ich alter Knasterbart war halt mein Lebtag nie so von der Gerechtigkeit unseres Herrgotts überzeugt wie vorhin, als ich den Luixenbauer tot vor mir liegen sah. Kann nichts dafür, Herr, – courage!«

Beim Pfarrhause trennte sich der alte Soldat von mir, um nach der Kirche zu gehen, ob er gleich von der Seelenmesse für seinen Verwandten nur noch ein kleines Stück abbekommen konnte, denn schon wurde zur »Wandelung« geläutet.

Die Neuigkeit von dem Tode des Luixenbauern war bereits in den Pfarrhof gelangt, und zwar durch den Bronnenbauer, welcher wenige Augenblicke vor mir angekommen und in Abwesenheit der Frau Margret, welche dem Gottesdienst anwohnte, von der Magd in die Stube gewiesen worden war. Hier traf ich ihn und fuhr bei seinem Anblick betreten zurück.

Denn eine unerklärliche Veränderung war seit gestern abend mit dem Manne vorgegangen. Sein sonst so rotes, aufgeblasenes Gesicht war jetzt schlaff und bleifarben; die blassen Lippen zuckten krankhaft, und die blutunterlaufenen Augen starrten bald regungslos in die leere Luft, bald rollten sie unstet umher, wie um einem peinlichen Anblick auszuweichen. Dem Ausdruck seiner Züge entsprach die Unordnung in seinem Anzuge vollkommen, und die ganze Erscheinung hatte etwas so Unsicheres, Hastiges, Fahriges, daß ich einen recht widrigen Eindruck davon bekam.

In meinen Tritten auf dem Flur die des Pfarrers vermutend, war der Bauer aufgestanden, und als ich die Tür öffnete, stieß er rasch die Worte hervor:

»Kommet Ihr endlich, Herr Pfarr'? Ich hab' g'meint, die Seelenmess' wollt' schier gar kein End' nit nehmen, Hab' Euch was von absonderlicher Wichtigkeit –«

Seinen Irrtum gewahrend, brach er ab und sagte verstört:

»Ah so, Ihr seid's, Herr...r...r! Hm, schön Wetter heut'.«

»Sehr schönes in der Tat,« entgegnete ich, »viel besseres, als man nach dem furchtbaren Sturm von heute nacht erwarten durfte.«

Der Mann schwieg eine Weile. Dann sagte er mit einem schweren Seufzer, vielleicht dem ersten, welcher seit Jahren seine Brust schwellte: »Ja 's war ein gruseliges Duraweatter, und da ist's halt kein Wunder, wenn der –«

Er verschluckte das Ende des Satzes und trat ans Fenster, an dessen Scheiben er mit den Fingern zu trommeln begann.

»Ich komme gerade von der Donau herein,« fuhr ich fort; »die ist mächtig angeschwollen.«

»Die Donau?« entgegnete der Bauer, sich hastig gegen mich umkehrend. »Verflucht sei sie und verdammt!«

Und wieder brach er ab, um abermals an den Fensterscheiben zu trommeln und Unverständliches vor sich hin zu murmeln.

Ich war recht froh, daß ich die hintere Haustüre gehen hörte und die Schritte Fabians vernahm, verließ auch bei seinem Eintritt sogleich die Stube und hörte, die Türe hinter mir zuklinkend, den Bauer nur noch mit beklemmter Stimme sagen:

»O, Herr Pfarr' –«

Eine wunderliche Unruhe trieb mich aus meinem Zimmer, in welches ich hinaufgegangen, wieder ins Freie. Mechanisch durch die Hintertür auf den Kirchhof hinausgetreten, fiel mir bei, daß Fabian gelegentlich eines merkwürdigen alten Grabmals erwähnt habe, welches sich in der Kirche befände. Ich ging, es anzusehen, und indem ich den Friedhof durchschritt, kam ich an dem Courage vorüber, der mit einem dürftig schwarzgekleideten Mütterchen, in welchem ich die arme Hanne vermutete, betend an einem schon über und über mit Rasen bedeckten Grabe stand. Die übrigen Andächtigen waren schon weggegangen.

In der Kirche stieg ich links vom Portal zur Emporkirche hinauf, wo die Orgel stand, um von dort einen Überblick über das Ganze zu gewinnen, bevor ich die Einzelheiten musterte.

Es ist ein hochgewölbtes und sauber gehaltenes Gotteshaus, die Frohdorfer Kirche, deren Chor mit einem gotischen Spitzbogengeflecht von hohem Alter zeugt, während das Schiff offenbar aus einer weit späteren Zeit herrührt. Die Morgensonne überströmte, durch ein hohes Spitzbogenfenster fallend, den Hochaltar mit einer Lichtflut, während die übrigen Teile des Gebäudes noch in morgendlicher Halbdämmerung lagen.

Ich wollte gerade meinen Standpunkt verlassen und hinab in den Chor steigen, um das daselbst befindliche Grabmal aus dem Mittelalter zu besichtigen, als mein Blick auf eine Art kleiner Seitenkapelle fiel, in welcher ein mit den düsteren Emblemen des Todes, wie sie die Trauerfeierlichkeiten der katholischen Kirche begleiten, verzierter Altar stand. An diesem Altar hatte Fabian vorhin seine Seelenmesse gelesen, und auf der untersten Altarstufe sah ich ein junges Mädchen knien, die Hände gefaltet und den Kopf auf die Brust geneigt.

Es war Vefele, die wohl ihre Andacht verlängert hatte, um vom Himmel Segen für den Schritt zu erstehen, welchen sie zu tun im Begriffe war, Segen für ihr bevorstehendes Fortgehen aus Frohdorf.

Aber die Beterin war nicht allein in der Kirche, denn wenige Schritte hinter ihr lehnte der Jages an einem Stuhl.

Ich nahm wohl mit Grund an, er sei gekommen, seinem Schätzle noch ein liebes Wort zum Abschied zu sagen.

Nachdem die beiden Liebenden lange in ihren Stellungen verharrt hatten, machte Vefele eine Bewegung, als wollte sie aufstehen. Im nächsten Augenblick kniete der Jages neben ihr. Sie rückte, ohne nach ihm umzusehen, zuerst ein wenig von ihm weg, erhob sich dann aber rasch, trat ein paar Schritte vom Altar zurück und verweigerte ihm, als er ihr folgte, ihre Hand, die er zu fassen suchte, nicht. Da er aber, hierdurch kühner gemacht, sich zu ihrem Antlitz herabbog, wandte sie mit einer anmutigen Beugung den Kopf seitwärts und deutete mit der Hand auf den Altar, wie um ihn an die Heiligkeit des Ortes zu erinnern.

Er gehorchte, und nun entspann sich zwischen den beiden ein eifriges Geflüster, wovon ich nichts verstehen konnte, wenn mir auch die Gebärden der Liebenden, welche ich, in dem Orgelwinkel geborgen, recht gut beobachten konnte, den ungefähren Inhalt dieser Flüsterworte verrieten.

Zuletzt zog das Mädchen den jungen Mann vor den Altar. Beide knieten vor demselben nieder, und die fromme Regung Vefeles schien sich auch ihrem Geliebten mitgeteilt zu haben; denn beide verharrten, in Andacht versunken, eine gute Weile, und so sehr waren ihre Empfindungen im Gebete aufgegangen, daß sie nicht wahrnahmen, wie mit einmal die Sakristeitüre sich auftat und der Pfarrer mit übergeworfener Stola heraustrat, gefolgt von dem Bronnenbauer, der gesenkten Hauptes einherging.

Da die beiden Männer nicht aus dem Chor herunter ins Schiff der Kirche stiegen, sondern der Sakristeitüre zur Seite in einen Beichtstuhl traten, so konnten sie ihrerseits das kniende Paar nicht bemerken.

Der Pfarrer nahm dem Bauer die Beichte ab.

Es war eine lange und mußte eine schwere sein, denn ich sah, wie die Hände des Bronnenbauern auf dem schmalen Brettchen vor dem Gitter zitterten, welches sein Gesicht von dem des Priesters trennte, und wie seine unten aus dem Beichtstuhl hervorragenden Füße krampfhaft zusammenschlugen.

Endlich hörte ich die klangvolle Stimme Fabians das entlastende: »Ego te absolvo!« sprechen, und einige Augenblicke nachher traten die beiden aus dem Beichtstuhl.

Der Bauer kniete betend auf die Staffel nieder, welche den Chor von dem Schiffe trennte, und der Pfarrer stand unbeweglich hinter ihm.

Die betenden Liebenden waren durch die Stimme des Priesters, als er die Formel der Absolution ausgesprochen, in ihrer Andacht gestört worden. Da aber darauf wieder alles still wurde, verblieben sie in ihrer Stellung.

So wurden sie von dem Pfarrer erschaut, welcher den Bauer, als dieser sich wieder erhoben hatte, einige Schritte weit in das Schiff heruntergeleitete.

Ich sah einen Strahl herzinniger Freude auf dem Antlitz des Freundes aufflammen.

Er stand still, legte die eine Hand dem Bronnenbauer auf die Schulter und streckte die andere mit gebietender Gebärde gegen das Paar aus.

Der Bauer verstand den Wink und ließ sich von dem Pfarrer auf den Altar zuführen.

Die Liebenden waren aufgesprungen. Das Vefele senkte bei dieser Überraschung die Augen in schreckenvoller Scham, der Jages aber stand aufrecht, fast trotzend und herausfordernd da, wie um die Geliebte diesmal selbst gegen den Vater zu verteidigen.

Aber es bedurfte keiner Verteidigung.

»Komm, Vefele!« sagte der Bronnenbauer mit bebender Stimme. »Komm und gib mir d' Hand und laß, ich bitt' dich, alles vergeben und vergessen sein, was ich dir und deiner Mutter und deinem Vater selig hab' z' Leid getan. Sag', willst?«

»O,« entgegnete das Mädchen fast unhörbar, »'s ist schon vergeben und vergessen und – und – ich hab' halt nichts dafür können, daß mir der Jages –«

Sie konnte nicht vollenden, denn Tränen erstickten ihre Stimme.

»Mein Jages,« sagte der Bauer, »der hatte recht und soll recht haben und dich!«

So sprechend faßte er nach der Hand des Sohnes, legte die des Vefele hinein und sagte:

»Da nimm sie und halt' sie in Ehren! Sie g'hört dir, und – und habet einander lieb und bleibet brav euer Lebtag!«

Der Jages drückte mit der Linken sein Mädchen an sich, bot die Rechte dem Vater hin und sein Dankwort: »Gott vergelt's Euch, Vater!« klang fast jauchzend.

Ein Strom von Zähren brach aus den Augen des Bauern, indem er sich an die Schulter des Sohnes lehnte.

Fabian aber legte dem glücklichen Paar die Hände auf die Häupter und sprach feierlich:

»Ich verlobe euch im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!«

»Amen!« rief ich laut aus, unfähig, meine freudige Bewegung länger zu bemeistern.

Der nächstfolgende Tag verging ohne einen bemerkenswerten Vorfall.

Freitags ward dann der Luixenbauer begraben.

Nach dem von einem pomphaften »Seelenamt« begleiteten Begräbnis tat der Pfarrer, welcher die letzten Tage her sehr still und ernst gewesen, auf einem einsamen Waldspaziergang, nachdem er lange sinnend neben mir hergegangen, plötzlich die Frage:

»Glaubst du an Geisterspuk?«

»Bei uns in Deutschland nicht,« entgegnete ich leichthin. »Die guten Deutschen sind viel zu ruhesüchtig, um sich nach ihrem Tode noch einmal aus ihren Gräbern zu bemühen.«

»So eine Antwort erwartete ich ungefähr; allein nicht alles und jedes ist mit einem guten oder schlechten Witz abgetan. Du weißt, in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch ist der Luixenbauer ertrunken. Er muß seinen Tod gefunden haben, nachdem er gegen die Mitternachtsstunde zu vom Bronnenhofe weggegangen. Was sagst du nun dazu, daß er oder sein Geist oder sein Gespenst, wie du willst, dem Bronnenbauer unmittelbar darauf, zwischen zwölf und ein Uhr in der Nacht erschienen ist?«

»Ich sage, lieber Fabian, das ist eine kostbare Spukgeschichte, die du ohne Verzug dem guten Geisterseher Kerner nach Weinsberg melden solltest.«

»Spotte nur zu! Aber du wirst doch zugeben, daß in der Tat nur ein Wunder die plötzliche und gänzliche Sinnesänderung des Bronnenbauern bewirken konnte?«

»Ein Wunder allerdings war hier nötig, allein dasselbe löst sich bei näherem Zusehen wohl in ein Zusammenwirken psychischer Motive auf. Ich brauche nicht bloß an das zu erinnern, was dir der Courage von jener Nacht erzählte, wo des Vefele Vater umgekommen, und dann habe ich nicht nötig, meine Phantasie allzusehr anzustrengen, um zu erraten, was dir der Bronnenbauer vorgestern im Beichtstuhl anvertraut hat.«

»Du könntest dennoch fehlschießen mit deiner Phantasie und deinen psychologischen Schlußfolgerungen. Aber ich mag mich mit einem solchen Heiden gar nicht über Derartiges herumstreiten. Tatsache ist, daß noch am Dienstag der Bronnenbauer eher auf der Stelle gestorben wäre, als daß er zur Heirat seines Sohnes mit dem blutarmen Vefele seine Einwilligung gegeben hätte, und daß er schon am Mittwoch morgen diese Einwilligung freiwillig gab.«

»Freiwillig? Hm, es gibt Mächte des Gewissens und der Reue, die – doch genug. Mich freut der Ausgang dieser Oberländer Dorfgeschichte viel zu sehr, als daß ich mich aufgelegt fühlte, dich zu irgend einer Verletzung des Beichtgeheimnisses verlocken zu wollen.«

Am darauf folgenden Tage, als am Samstag, war »Heiratstag« auf dem Bronnenhof, wobei durch meines Freundes kluge Vermittelung ausgemacht wurde, daß das junge Paar in der nächsten Zeit auf der Mühle hausen sollte, um der Ahne die Last der Geschäfte abzunehmen. Dadurch war allfälligen künftigen Mißhelligkeiten zwischen der armen Söhnerin und dem reichen Schwiegervater vorgebeugt, wenngleich solche kaum zu befürchten waren, da nicht nur der Hochmut und die Rauheit des Bronnenbauern einen vernichtenden Stoß erhalten hatten, sondern auch seine Lebenskraft überhaupt gebrochen schien.

Sonntags predigte Fabian über die Worte Jesu: »Ich sage euch, eher wird ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als ein Reicher in das Reich Gottes eingeht!« Nachher wurden der Jages und das Vefele von der Kanzel herab »verkündigt«, das heißt als Brautleute aufgeboten.

Am Abend versammelte der Pfarrer den Singverein des Dorfes in seinem Garten, und hier empfing das Brautpaar die Glückwünsche seiner Altersgenossen. Das Vefele in seiner Befangenheit, welche an das plötzliche Glück, an die wundersame Wendung des Geschickes noch immer fast nicht zu glauben wagte, war allerliebst. Der Jages in Liebes- und Siegesfreude erschien noch um einen Kopf größer als sonst. Auch der alte Soldat war da, und später, als es zu dunkeln begann, kamen der Bronnenbauer und seine Bäuerin, die alte Müllerin und die arme Hanne, sowie der Schulmeister und Schultheiß und der Hannsjörgebauer, welche alle der Pfarrer zum Nachtessen gebeten hatte.

Frau Margret deckte mit ihrem getreuen Annele den Tisch in der Geißblattlaube, ob welcher groß und klar die Sterne am Firmamente funkelten. Aber bevor wir uns zum Essen niedersetzten, versammelte Fabian noch einmal seinen Liederkranz um sich, und in die laue stille Sommernacht hinaus klang in langgehaltenen feierlichen Akkorden das Lied:

»Klarer Liebesstern,
Du leuchtest fern und fern
Am blauen Himmelsbogen.
Dich rufen wir heut' alle an,
Wir sind der Liebe zugetan –
Sie hat uns ganz und gar zu sich gezogen.

Still und hehr die Nacht –
Des Himmels Augenpracht
Hat nun den Reihn begangen.
Schweb hoch hinauf wie Glockenklang
Der Liebe sanfter Nachtgesang,
Klopf' an die Himmelspfort' mit brünstigem Verlangen,
Klopf' sanft mit beiden Flügeln an!«
Klopf' sanft, und dir wird aufgetan!«

 

Am folgenden Tage verließ ich Frohdorf, als Summe meiner Erlebnisse daselbst die Erfahrung mitnehmend, daß im Volke trotz alledem noch heute Lebensmächte tätig und Menschengeschicke bestimmend sind, welche in den sogenannten gebildeten Klassen nur noch eine konventionelle oder auch gar keine Bedeutung mehr haben.


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