Johannes Scherr
Brunhild
Johannes Scherr

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5. Nebeneinander.

Aus den zwei verdammten Seelen wurden nicht zwei selige. Sie lebten nebeneinander hin, bis, wie Siegfried am Morgen nach der trübseligen Hochzeitnacht seiner Frau, die nicht seine Frau war, vorgeschlagen hatte, »eine schickliche Lösung sich fände«.

Er benahm sich gegen sie mit vollendeter Zartheit. Selbst der leiseste Schatten von Zwang war aus ihrem Dasein entfernt, und sie mochte sich in vollster Freiheit bewegen. Die Dienerschaft zollte der Herrin ehrerbietigste Aufmerksamkeit und pünktlichsten Gehorsam. Jedem Wunsch, den das verzogene Glückskind launenhaft hinwarf, geschah mit fast zauberhafter Raschheit Genüge. Sie zwang sich, heiter zu erscheinen, geräuschvoll das Leben zu führen, und derweil verzehrte sich ihr stolzes Herz in der Brust.

Denn sie liebte diesen Mann, der ihr mit so gleichmäßig höflicher Kühle begegnete, liebte ihn mit brennender Glut und Eifersucht. Sie ertappte sich auf Unmöglichem; denn für unmöglich hätte sie es doch fürwahr gehalten, daß eine Zeit kommen könnte, wo sie, wie sie tat, heimlich die Armstuhllehne küssen würde, worauf Siegfrieds Hand geruht, wo sie, so es ungesehen geschehen konnte, zärtlich seinen alten morosen Pudel, der mancherlei Fata mit seinem Herrn durchgemacht, liebkosen, wo sie in den Stall sich schleichen würde, um das Lieblingspferd dessen zu streicheln, den sie so übermütig verschmäht, so tödlich gekränkt hatte.

Möglich, wahrscheinlich sogar, daß die Energie ihrer Leidenschaft den Eiswall ihres Hochmuts einmal unversehens durchbrochen und niedergeworfen haben würde, falls Siegfried nicht so streng innerhalb der Schranken kühler Gemessenheit sich gehalten hätte. Die beiden sahen sich meist nur bei Tische, und bei diesen Begegnungen gefiel sich der Schloßherr in einem Tone, welchen die Frauen und vollends leidenschaftliche Frauen am allerwenigsten ertragen können, in dem Tone gleichmütiger Ironie nämlich, die sich mitunter in allerhand krausen Bildungen des Humors ausließ. »Er verschmäht mich,« grollte es in der tiefen Seelenfalte des stolzen Weibes; »er verschmäht mich und glaubt mir zeigen zu dürfen, daß er mich verschmäht. Eher sterben, als dem Übermütigen durch ein Wort, durch einen Blick verraten, was –« nun, was sie vor sich selbst verbergen wollte und doch nicht konnte, nämlich, daß sie diesen Mann anbetete.

Vielleicht hätten ihre heimlichen Monologe doch anders gelautet, so sie mit angehört hätte, wie der alte Hausmeister eines Abends zu seiner alten Lebensgefährtin sagte: »Höre, Lise, der arme Herr ist in letzter Zeit auffallend gealtert. Vor etlichen Monaten hatte er noch kein weißes Härchen auf dem Kopf und im Bart, und jetzt hat es recht ordentlich drein geschneit.«

»Ich hab's wohl bemerkt,« gab die Lise zur Antwort. »Der gute Herr ist recht unglücklich, obgleich er sich's nicht anmerken lassen will. Warum hat er aber auch so 'ne Lucifera heimgeführt?«

»So 'ne was für eine?«

»Nun ja doch, Alter, so 'ne Lucifera, sag' ich. Die Dam' ist ja stolzer und hochmütiger als Luzifer selber. Gib acht, lange tut das nicht gut.«

Zu Ende des Hochsommers kam Pastor Schwarzdorn zum Besuch. Siegfried holte den Freund auf der nächsten Eisenbahnstation ab. Sie hatten demnach mehrere Stunden zusammen zu fahren, und so langte Schwarzdorn, der ein Künstler im Ausholen war, ziemlich vollständig über den Stand der Sache im Schlosse unterrichtet daselbst an. Der kaustische Verächter von Menschen und Dingen war aber doch lange nicht Mephistophel genug, sich darüber zu freuen, daß der Romantiker Siegfried seine Prophezeiung nicht Lügen gestraft hatte. Wunderlich aber war es anzusehen, daß der zwanglose Sarkastiker bei Tafel der Schloßherrin gewissermaßen zu imponieren, ja sogar fast ihr Wohlgefallen zu erregen verstand.

Nachher zeigte Siegfried dem Freunde die neuen Wirtschaftsgebäude, die er gebaut, und die ausgedehnten Parkanlagen, die er bis zum Hochwald des Bergrückens, an dessen Fuß das schöne Besitztum gelegen ist, hinaufgeführt hatte. Sie verbrachten mit der Besichtigung des Gutes den Nachmittag, und auf dem abendlichen Heimweg zum Schlosse äußerte der Gast: »Ich mach' dir mein Kompliment, alter Junge. Dein Gut darf sich sehen lassen, und du scheinst in der Verwaltung desselben eine angemessene und fruchtbare Tätigkeit gefunden zu haben. Es ist auch gescheiter und lohnender, hier Äcker zu verbessern, Wiesen zu entsumpfen, Bäume zu pflanzen und Gartenanlagen zu schaffen, als daheim, bei uns politisches Phrasenstroh mit zu dreschen.«

Siegfried, welcher das Bedürfnis fühlte, seine Seele ihrer schweren Bürde wieder einmal in einem heftigen Ausbruch zu entladen, ergriff die gebotene Veranlassung, um sich mit äußerster Leidenschaftlichkeit und Bitterkeit über die deutschen Zustände auszulassen. »Dieses Deutschland, das zu vergessen und dem zu entfremden mir – Dank den Göttern! – nachgerade gelungen ist,« rief er aus, »dieses Deutschland würde die Schlafstube der Weltgeschichte sein, wenn es nicht ihre mit Hunderttausenden von unnützen Scharteken angefüllte Bücherei wäre, wohin sich Dame Historia zurückzuziehen pflegt, um, ermüdet von Taten, die sie mit anderen und für andere Völker getan, im Halbschlummer über philosophischem und theologischem Nonsens und literarischem Lumpenkram zu duseln und zu dämmern.« In diesem Tone ging es lange fort; denn Ehren Schwarzdorn, welcher merkte, daß die Explosion dem Freunde Erleichterung verschaffte, trug Sorge, die »Gemütsausschleimung«, wie er das Ding bei sich nannte, durch sarkastisch hingeworfene Widerspruchsworte noch mehr zu reizen und in Fluß zu bringen. Endlich schloß Siegfried damit, daß er dem Freunde die Frage zuschleuderte: »Was ist denn dermalen in dem Fröbelschen Kleinkindergarten deutscher Politik das Hauptspielzeug?«

»Soviel ich weiß, eine Nähmaschine, worauf, da wir derartiger Kostüme niemals genug haben können, ein neuer Herzogsmantel nach allen Vorschriften der Legitimität und Heraldik verfertigt werden soll,« versetzte der Pastor. Dann plötzlich den Ton ändernd, fügte er ernst und teilnehmend hinzu: »Lieber Freund, du bist offenbar nicht in der Verfassung, ein ruhiges und wohlbemessenes Urteil über die deutschen Sachen hören, geschweige denn fällen zu können. Deine Worte riechen nach Galle, das Unglück macht bitter und ungerecht, und gestehe nur, du bist kein glücklicher Mann.«

»Es wird sich geben.«

»Es wird sich leider nicht geben! Denn eher und leichter bringst du zehn Kamele zumal durch ein Nadelöhr als den Eigensinn und die Halsstarrigkeit eines Weibes zur Anerkennung eines Unrechts und einer Verfehlung. Diese Brunhild hat, gerade herausgesagt, etwas Satanisches an sich. Sie wird dich unfehlbar zugrunde richten, wenn du sie nicht zeitig von dir tust.«

»Bah, warum nicht gar! Ich sag' dir, ich will und werde sie doch noch zähmen, die schöne stolze Wilde.«

Wunderbare Tyrannin, Konvenienz die Große, die Größte! Selbst die unbezähmbare Brunhild fügte sich ihr, als ob da von einem Widerstande nur gar keine Rede sein könnte. Sie fügte sich ihr, indem sie gegenüber dem Gast in aller Form die Frau vom Hause darstellte und beim Abendtische die Obliegenheiten der Wirtin anmutig erfüllte. So anmutig, daß Siegfrieds Stirne hell aufglänzte, Schwarzdorns Humor in prasselnden Raketen sich entlud und ein rechtes Behagen über den kleinen Kreis sich verbreitete. Auch Brunhild fühlte sich davon berührt und horchte mit Teilnahme dem Gespräche der beiden Männer, welche, jeder in seiner Art bedeutend, so sehr voneinander verschieden waren und doch einander so von Herzen zugetan.

Schwarzdorn äußerte seinen Entschluß, die ungewöhnlich günstige Witterung zu benutzen, um gleich morgen eine kurze Rundreise durch altbekannte und geliebte Hochgebirgsgegenden anzutreten, und Siegfried erklärte, daß er den Freund begleiten wolle.

»Darf ich auch mit?« fragte Brunhild. Das unbedachte Wort war heraus, aber blitzschnell kam die Reue hinterdrein. Sie biß sich auf die Lippe, sie hätte sich mögen die Zunge abbeißen. Als Siegfried voll freudiger Verwunderung die Fragerin ansah, blickte ihm schon wieder nur das unbewegliche Marmorantlitz der sprödesten, stolzesten aller Walküren entgegen. So sagte denn der Angekältete artig, aber in kühlem Scherzton: »Wer wird erst noch fragen! Von mir gar nicht zu reden, selbst der knorrige Schwarzdorn da wird zu Blüten der Liebenswürdigkeit ausschlagen, falls er die Ehre und das Glück hat, Ihren Reisekavalier machen zu dürfen.«

Auf ihrem Zimmer angekommen, sagte Brunhild halb unbewußt vor sich hin: »Das war ein lieber Abend. Wie gut und schon er spricht und wieviel Seele in seinem Auge!« Und sie seufzte tief auf.

In dieser Nacht betaute sie ihr Kissen mit brennenden Zähren.


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