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Sicelides Musae, paullo majora canamus.
Virgil
Man hat neuerlich oft gesagt, Vegetation und Leben seien als chemische Prozesse anzusehen; mit welchem Recht, werde ich späterhin untersuchen. Es ist auffallend übrigens, daß man diesen Gedanken nicht benutzt hat, um aus ihm den ursprünglichsten Unterschied des vegetativen und animalischen Lebens abzuleiten.
Vorerst kennen wir zwei Hauptprozesse, von welchen die meisten Veränderungen der Körper in der anorgischen Natur abhängig sind, Prozesse, die auf jenen durch die ganze Natur herrschenden Gegensatz zwischen dem positiven und negativen Prinzip des Verbrennens sich beziehen. Die Natur, welche sich in Mischungen gefällt, und ohne Zweifel in einer allgemeinen Neutralisation enden würde, wenn sie nicht durch den steten Einfluß fremder Prinzipien ihr eigen Werk hemmte, erhält sich selbst im ewigen Kreislauf, da sie auf der einen Seite trennt, was sie auf der andern verbindet, und hier verbindet, was sie dort getrennt hat.
So ist ein großer Teil ihrer Prozesse dephlogistisierend, diesen aber halten beständige phlogistisierende Prozesse das Gleichgewicht, so daß niemals eine allgemeine Uniformität entstehen kann.
Wir werden daher vorerst zwei Hauptklassen von Organisationen annehmen, davon die erste in einem von der Natur unterhaltenen Desoxydationsprozeß, die andere in einem kontinuierlichen Oxydationsprozeß Ursprung und Fortdauer findet.
Wir haben schon oben erinnert, daß oxydieren und dephlogistisieren, phlogistisieren und desoxydieren Wechselbegriffe sind, die in bezug aufeinander wechselseitig positiv und negativ sein können, wovon aber keiner etwas anderes als ein bestimmtes Verhältnis ausdrückt.
So wird also, wo die Natur einen Reduktions– oder Desoxydationsprozeß unterhält, kontinuierlich phlogistische Materie erzeugt, was bei den Pflanzen unleugbar ist; denn diese, dem Licht, d.h. dem allgemeinen Mittel der Reduktion, entzogen, werden bleich und farbelos; sobald sie dem Licht ausgesetzt werden, gewinnen sie Farbe, der offenbarste Beweis, daß phlogistischer Stoff in ihnen bereitet wird. Dieser (als das negative Prinzip) tritt hervor, sowie das positive verschwindet, und umgekehrt; und so existiert in der ganzen Natur keines dieser Prinzipien an sich, oder außerhalb des Wechselverhältnisses mit seinem entgegengesetzten.
So wie die Vegetation in einer steten Desoxydation besteht, wird umgekehrt der Lebensprozeß in einer kontinuierlichen Oxydation bestehen; wobei man nicht vergessen darf, daß Vegetation und Leben nur im Prozesse selbst bestehen, daher es Gegenstand einer besonderen Untersuchung ist, durch welche Mittel die Natur dem Prozeß Permanenz gebe, durch welche Mittel sie verhindere, daß es z.B. im tierischen Körper, solange er lebt, nie zum endlichen Produkt komme; denn es ist offenbar genug, daß das Leben in einem steten Werden besteht, und daß jedes Produkt, eben deswegen weil es dies ist, tot ist; daher das Schwanken der Natur zwischen entgegengesetzten Zwecken, das Gleichgewicht konträrer Prinzipien zu erreichen, und doch den Dualismus (in welchem allein sie selbst fortdauert) zu erhalten, in welchem Schwanken der Natur (wobei es nie zum Produkt kommt) eigentlich jedes belebte Wesen seine Fortdauer findet.
Seitdem man entdeckt hat, daß die Pflanzen dem Licht ausgesetzt Lebensluft aushauchen, und daß dagegen die Tiere beim Atmen Lebensluft zersetzen und eine irrespirable Luftart aushauchen, hat man, bei dieser ursprünglich-inneren Verschiedenheit beider Organisationen, nicht mehr nötig, äußere Unterscheidungsmerkmale aufzusuchen, z.B. (nach Hedwig), daß die Pflanzen nach der Befruchtung ihre Zeugungsteile verlieren; um so mehr, da alle diese Merkmale, wie die Unwillkürlichkeit der Pflanzenbewegungen (z.B. bei Aufnahme der Nahrung, da nach Boerhaves sinnreichem Ausdruck die Pflanze den Magen in der Wurzel, das Tier die Wurzel im Magen hat), oder die Nervenlosigkeit der Pflanzen – alle zusammen aus jenem ursprünglichen Gegensatz erst abgeleitet werden müssen, wie ich im folgenden zeigen werde.
Es erhellet nämlich zum voraus, daß, wenn die Pflanze das Lebensprinzip aushaucht, das Tier es zurückhält, im letztern bei weitem mehr Schein der Spontaneität und Fähigkeit seinen Zustand zu verändern sein muß als im erstern. Ferner, daß das Tier, da es das Lebensprinzip (durch Luftzersetzung) in sich selbst erzeugt, von Jahreszeit, Klima usw. bei weitem unabhängiger sein muß als die Pflanze, in welcher das Lebensprinzip nur durch den Einfluß des Lichts (aus dem Nahrungswasser) entwickelt und durch denselben Mechanismus, durch welchen es entwickelt wird, auch kontinuierlich ausgeführt wird.
Die Vegetation ist der negative Lebensprozeß. Die Pflanze selbst hat kein Leben, sie entsteht nur durch Entwicklung des Lebensprinzips, und hat nur den Schein des Lebens im Moment dieses negativen Prozesses. In der Pflanze trennt die Natur, was sie im Tier vereinigt. Das Tier hat Leben in sich selbst, denn es erzeugt selbst unaufhörlich das belebende Prinzip, das der Pflanze durch fremden Einfluß entzogen wird.
Wenn übrigens die Vegetation der umgekehrte Prozeß des Lebens ist, so wird man uns verstatten, im folgenden unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf den positiven Prozeß zu richten, um so mehr, da unsere Pflanzenphysiologie noch höchst mangelhaft, und da es natürlicher ist, das Negative durch das Positive, als das Positive durch das Negative zu bestimmen.
Der Begriff Leben soll konstruiert werden, d.h. er soll als Naturerscheinung erklärt werden. Hier sind nur drei Fälle möglich:
Entweder, der Grund des Lebens liegt einzig und allein in der tierischen Materie selbst.
Diese Annahme widerlegt sich von selbst durch die gemeinsten aller Erfahrungen, da offenbar genug äußere Ursachen zum Leben mitwirken. – In diesem Sinn hat auch wohl kein vernünftiger Mensch jenen Satz behauptet. Es geschieht aber oft, daß, wenn die Frage für eines Menschen Verstand zu hoch ist, die Frage herabgestimmt wird, und einen beliebigen Sinn erhält, in welchem sie freilich leicht beantwortlich, aber nun auch eine ganz andere Frage ist. Es ist nicht davon die Rede, daß das Leben von Stoffen abhängig ist, welche von außen dem Körper zugeführt werden, z.B. durch das Atmen, durch Nahrung usw., denn die Aufnahme dieser Stoffe setzt schon das Leben selbst voraus. Wir wissen wohl, daß unsere Fortdauer an der Luftzersetzung hängt, welche in unsern Lungen vorgeht, aber diese Zersetzung ist selbst schon eine Funktion des Lebens: ihr sollt uns aber das Leben selbst, sollt uns einen Anfang des Lebens begreiflich machen.
Der eigentliche Sinn des oben aufgestellten Satzes müßte also der sein, die erste Ursache (nicht die untergeordneten Bedingungen) des Lebens liegt in der tierischen Materie selbst, und dieser so bestimmte Satz müßte, wenn er auch aus Erfahrung unwiderleglich wäre, doch von einer gesunden Philosophie a priori verneint werden.
Es ist der Gipfel der Unphilosophie, zu behaupten, das Leben sei eine Eigenschaft der Materie, und gegen das allgemeine Gesetz der Trägheit anzuführen, daß wir doch das Beispiel einer Ausnahme – an der belebten Materie finden. Denn entweder nimmt man in den Begriff der tierischen Materie schon die Ursache des Lebens, welche kontinuierlich auf die tierische Substanz (also auch in der tierischen Materie) wirkt, auf, und dann hat man freilich beim Analysieren leichte Arbeit; es ist aber nicht von einer Analyse, sondern von einer ( synthetischen) Konstruktion des Begriffs tierisches Leben die Rede. Oder man nimmt an, daß es gar keiner positiven Ursache des Lebens bedürfe, sondern daß allbereits im tierischen Körper alles so zusammengemengt und zusammengemischt sei, daß daraus von selbst Mischungsveränderungen, und aus diesen Kontraktionen der tierischen Materie erfolgen, ungefähr so wie ein bestimmtes Gemenge von Mittelsalzen von selbst sich zerlegt (wie das wirklich die Meinung des berühmten Herrn Reil in Halle zu sein scheint). – Wenn dies der Sinn jener Behauptung ist, so bitte ich, daß man vor allen Dingen uns folgende Fragen beantworte.
Wir wissen wohl (man erlaube uns erst einen festen Standpunkt zu nehmen, denn wir können bei den Physiologen, mit welchen wir zu tun haben, selbst keinen bestimmten Begriff von Chemie und chemischen Operationen voraussetzen), wir wissen wohl, daß verschiedene Substanzen, wenn sie miteinander in Berührung kommen, sich wechselseitig in Bewegung setzen (der klarste Beweis übrigens, daß sie träg sind, denn sie bewegen sich nicht einzeln, sondern nur indem sie miteinander in Wechselwirkung stehen). – Wir wissen auch, daß diese Bewegung, die der ruhende Körper in ruhenden hervorbringt, nicht nach Gesetzen des Stoßes erklärbar ist, auch können wir die Anziehung, die sie gegeneinander beweisen, in kein Verhältnis mit ihrer spezifischen Schwere bringen. (Was soll man von Naturphilosophen denken, die alles im tierischen Körper durch Wahlanziehung geschehen lassen, Wahlanziehungen selbst aber als Äußerungen der Schwerkraft ansehen!). – Wir suchen daher eine andere Erklärung dieser Erscheinungen auf, und behaupten, daß sie in eine höhere Sphäre der Naturoperationen, als die, welche Gesetzen des Stoßes oder der Schwere unterworfen sind, gehören. Wir behaupten, die Materie selbst sei nur ein Produkt entgegengesetzter Kräfte; wenn diese in der Materie ein Gleichgewicht erreicht haben, sei alle Bewegung entweder positiv (Zurückstoßung), oder negativ (Anziehung); nur wenn jenes Gleichgewicht gestört werde, sei die Bewegung positiv und negativ zugleich, es trete dann eine Wechselwirkung der beiden ursprünglichen Kräfte ein; – eine solche Störung des ursprünglichen Gleichgewichts geschehe bei den chemischen Operationen, und darum sei jeder chemische Prozeß gleichsam ein Werden neuer Materie, und was uns die Philosophie a priori lehre, daß alle Materie ein Produkt von entgegengesetzten Kräften sei, werde in jedem chemischen Prozeß anschaulich.
Wir gewinnen durch diese Vorstellungsart selbst einen höheren Begriff von chemischen Operationen, und damit auch mehr Recht, diese auf Erklärung einiger animalischer Prozesse analogisch anzuwenden. Denn alle wahren Physiologen sind einig, daß die animalischen Naturoperationen nicht aus Gesetzen des Stoßes oder der Schwere erklärbar sind. Dasselbe aber ist der Fall mit den chemischen Operationen, daher wir zum voraus eine geheime Analogie beider vermuten können.
Dazu kommt, daß das Wesen der Organisation in der Unzertrennlichkeit der Materie und der Form besteht – darin, daß die Materie, die organisiert heißt, bis ins Unendliche individualisiert ist; wenn also vom Entstehen der tierischen Materie die Rede ist, verlangt man, daß eine Bewegung gefunden werde, in welcher die Materie eines Dings zugleich mit seiner Form entsteht. Nun ist aber überhaupt die ursprüngliche Form eines Dings nichts für sich Bestehendes, so wenig als die Materie; beide müssen also durch eine und dieselbe Operation entstehen. Materie entsteht aber nur, wo eine bestimmte Qualität erzeugt wird, denn die Materie ist nichts von ihren Qualitäten Verschiedenes. Materie sehen wir also nur in chemischen Operationen entstehen; chemische Operationen also sind die einzigen, aus welchen wir die Bildung einer Materie zu bestimmter Form begreifen können.
Man irrt daher nicht, wenn man in den chemischen Durchdringungen den geheimen Handgriff der Natur zu erkennen glaubt, dessen sie sich bei ihrem beständigen Individualisieren der Materie (in einzelnen Organisationen) bedient. Es ist deswegen kein Wunder, daß man von den ältesten Zeiten an, da man die chemischen Kräfte der Materie zuerst kennen lernte, darin gleichsam die gegenwärtige Natur zu erkennen glaubte. »Nichts«, sagt ebenso schön als wahr Hr. Baader in seinen gedankenvollen Beiträgen zur Elementarphysiologie, »nichts kommt dem Enthusiasm (der freilich meist in schwärmenden Unsinn ausartete), und der besondern Naturandacht gleich, die in den ältesten Betrachtungen chemischer Naturoperationen atmet; auch sind die Früchte bekannt, welche wir diesem Enthusiasm verdanken, und das entgegengesetzte maschinistische System hat nichts dem Ähnliches aufzuweisen«. – Wir sind also gar nicht gemeint, chemische Analogien bei Erklärung der animalischen Prozesse auszuschließen, wir werden vielmehr den Assimilations- und Reproduktionsprozeß einzig und allein aus solchen Analogien erklären, obgleich wir bekennen müssen, daß auch das ein bloßer Behelf der Unwissenheit ist (weil uns die chemischen Operationen vor jetzt bekannter sind als die animalischen), indem es weit natürlicher wäre, anstatt Vegetation und Leben chemische Prozesse zu nennen, umgekehrt vielmehr manche chemische Prozesse unvollkommene Organisationsprozesse zu nennen, da es begreiflicher ist, wie der allgemeine Bildungstrieb der Natur endlich in toten Produkten erstirbt, als wie umgekehrt der mechanische Hang der Natur zu Kristallisationen sich zu vegetativen und lebendigen Bildungen hinauf läutert.
Dies vorausgesetzt, bitten wir, daß man uns folgende Fragen beantworte:
1. Wir räumen ein nicht nur, sondern wir behaupten, daß die Bildung tierischer Materie nur nach chemischen Analogien erklärbar ist, wir sehen aber, daß diese Bildung, wo sie geschieht, immer das Leben selbst schon voraussetzt. Wie könnt ihr also vorgeben, durch euren chemischen Wortapparat (denn mehr ist es nicht) das Leben selbst zu erklären?
Das Leben ist nicht Eigenschaft oder Produkt der tierischen Materie, sondern umgekehrt die Materie ist Produkt des Lebens. Der Organismus ist nicht die Eigenschaft einzelner Naturdinge, sondern umgekehrt, die einzelnen Naturdinge sind ebenso viele Beschränkungen oder einzelne Anschauungsweisen des allgemeinen Organismus. »Ich weiß nichts Verkehrteres, als das Leben zu einer Beschaffenheit der Dinge zu machen, da im Gegenteil die Dinge nur Beschaffenheiten des Lebens, nur verschiedene Ausdrücke desselben sind; denn das Mannigfaltige kann im Lebendigen allein sich durchdringen und Eins werden«. ( Jacobis David Hume S. 171.) Die Dinge sind also nicht Prinzipien des Organismus, sondern umgekehrt, der Organismus ist das Prinzipium der Dinge.
Das Wesentliche aller Dinge (die nicht bloße Erscheinungen sind, sondern in einer unendlichen Stufenfolge der Individualität sich annähern) ist das Leben; das Akzidentelle ist nur die Art ihres Lebens, und auch das Tote in der Natur ist nicht an sich tot– ist nur das erloschene Leben.
Die Ursache des Lebens mußte also der Idee nach früher da sein als die Materie, die (nicht lebt, sondern) belebt ist; diese Ursache muß also auch nicht in der belebten Materie selbst, sondern außer ihr gesucht werden.
2. Gesetzt, wir geben euch zu, das Leben bestehe in einem chemischen Prozeß, so müßt ihr einräumen, daß kein chemischer Prozeß permanent ist, und daß die endliche Wiederherstellung der Ruhe bei jedem solchen Prozeß verrät, daß er eigentlich nur ein Bestreben nach Gleichgewicht war. Chemische Bewegung dauert nur so lange, als das Gleichgewicht gestört ist. Ihr müßt also vorerst erklären, wie und wodurch die Natur im animalischen Körper das Gleichgewicht kontinuierlich gestört erhält, wodurch sie die Wiederherstellung des Gleichgewichts hemmt, warum es immer nur beim Prozesse bleibt und nie zum Produkt kommt; an das alles aber scheint man bis jetzt nicht gedacht zu haben.
3. Wenn alle Veränderungen im Körper ihren Grund in der ursprünglichen Mischung der Materie haben, wie kommt es, daß dieselben Veränderungen, z.B. die Zusammenziehungen des Herzens, kontinuierlich wiederholt werden, da (ex hypothesi) durch jede Zusammenziehung eine Veränderung der Mischung vorgeht, also nach der ersten Zusammenziehung schon keine andere mehr erfolgen sollte, weil ihre Ursache (die eigentümliche Mischung des Organs) nicht mehr da ist?
4. Wie bewirkt die Natur, daß der chemische Prozeß, der im animalischen Körper im Gange ist, nie die Grenzen der Organisation überschreite? Die Natur kann (wie man gegen die Verteidiger der Lebenskraft mit Recht behauptet), kein allgemeines Gesetz aufheben, und wenn in einer Organisation chemische Prozesse geschehen, so müssen sie nach denselben Gesetzen, wie in der toten Natur, erfolgen. Wie kommt es, daß diese chemischen Prozesse immer dieselbe Materie und Form reproduzieren, oder durch welche Mittel erhält die Natur die Trennung der Elemente, deren Konflikt das Leben, und deren Vereinigung der Tod ist?
5. Allerdings gibt es Substanzen, die durch die bloße Berührung chemisch aufeinander wirken; aber es gibt auch Verbindungen und Trennungen, welche erst durch äußere Mittel, z.B. Erhöhung der Temperatur usw. bewirkt werden. Ihr sprecht vom Lebensprozeß, nennt uns doch die Ursache dieses Prozesses! Was bringt in der tierischen Organisation gerade diejenigen Stoffe zusammen, aus deren Konflikt das endliche Resultat, tierisches Leben, hervorgeht, oder welche Ursache zwingt die widerstrebenden Elemente zusammen, und trennt diejenigen, welche nach Vereinigung streben ?
Wir sind überzeugt, daß einige dieser Fragen einer Beantwortung fähig sind, aber auch, daß die ganze chemische Physiologie, solange sie diese Fragen nicht wirklich beantwortet, ein bloßes Spiel mit Begriffen ist, und keinen reellen Wert, ja nicht einmal Sinn und Verstand hat. Wir müssen aber bekennen, daß wir uns bis jetzt vergeblich nach einer solchen Beantwortung gerade bei denjenigen umgesehen haben, die sich mit ihrer chemischen Physiologie am meisten wissen.
Oder, der Grund des Lebens liegt ganz und gar außerhalb der tierischen Materie.
Man könnte eine solche Meinung denjenigen zuschreiben, die den letzten Grund des Lebens allein in den Nerven suchen, und diese durch eine äußere Ursache in Bewegung setzen lassen. Allein die meisten von Hallers Gegnern, die den Grund des Lebens, welchen dieser in der Irritabilität der Muskeln suchte, allein in die Nerven versetzen, lassen wenigstens mit ihm das Nervenprinzip im Körper selbst (sie wissen nicht wie) erzeugt werden. Da aber die Annahme eines solchen Nervenprinzips von Tag zu Tag hypothetischer wird (weil kein Mensch begreiflich machen kann, wie es im tierischen Körper erzeugt werde), und da ohnehin das, was Prinzip des Lebens ist, nicht selbst Produkt des Lebens sein kann, so müßten jene Physiologen am Ende doch auf eine äußere Ursache der Nerventätigkeit zurückkommen, und wenn sie den Grund des Lebens allein in den Nerven suchen, auch behaupten, daß der Grund des Lebens ganz und gar außer dem Körper liege.
Liegt aber der Grund des Lebens ganz außerhalb des tierischen Körpers, so muß dieser in Ansehung des Lebens als absolut-passiv angenommen werden. Absolute Passivität aber ist ein völlig sinnloser Begriff. Passivität gegen irgend eine Ursache bedeutet nur ein Minus von Widerstand gegen diese Ursache. Jedem positiven Prinzip in der Welt steht eben deswegen notwendig ein negatives entgegen: so entspricht dem positiven Prinzip des Verbrennens ein negatives Prinzip im Körper, dem positiven Prinzip des Magnetismus ein negatives im Magnet. Der Grund der magnetischen Erscheinungen liegt weder im Magnet, noch außer dem Magnet allein. So muß dem positiven Prinzip des Lebens außer der tierischen Materie ein negatives Prinzip in dieser Materie entsprechen, und so liegt auch hier, wie sonst, die Wahrheit in der Vereinigung der beiden Extreme.
Der Grund des Lebens ist in entgegengesetzten Prinzipien enthalten, davon das eine (positive) außer dem lebenden Individuum, das andere (negative) im Individuum selbst zu suchen ist.
Das Leben selbst ist allen lebenden Individuen gemein, was sie voneinander unterscheidet, ist nur die Art ihres Lebens. Das positive Prinzip des Lebens kann daher keinem Individuum eigentümlich sein, es ist durch die ganze Schöpfung verbreitet, und durchdringt jedes einzelne Wesen als der gemeinschaftliche Atem der Natur. – So liegt – wenn man uns diese Analogie verstattet – was allen Geistern gemein ist, außerhalb der Sphäre der Individualität (es liegt im Unermeßlichen, Absoluten); was Geist von Geist unterscheidet, ist das negative, individualisierende Prinzip in jedem. So individualisiert sich das allgemeine Prinzip des Lebens in jedem einzelnen lebenden Wesen (als in einer besondern Welt) nach dem verschiedenen Grad seiner Rezeptivität. Die ganze Mannigfaltigkeit des Lebens in der ganzen Schöpfung liegt in jener Einheit des positiven Prinzips in allen Wesen und der Verschiedenheit des negativen Prinzips in einzelnen; und darum hat jener aufgestellte Satz die Wahrheit in sich selbst, auch wenn er nicht durch alle einzelnen Erscheinungen des Lebens, so wie sie in jedem Individuum sich offenbaren, bestätigt würde.
Ich kann nicht weiter gehen, ohne noch mit Wenigem zu sagen, wie in dem aufgestellten Satz die bisherigen Systeme der Physiologie sich vereinigen und zusammentreffen.
Vorerst gebührt dem großen Haller der Ruhm, daß, ob er sich gleich von der mechanischen Philosophie nicht völlig losmachen konnte, durch ihn doch zuerst ein Prinzip des Lebens aufgestellt wurde, das aus mechanischen Begriffen unerklärbar ist, und für welches er einen Begriff aus der Physiologie des innern Sinns entlehnen mußte.
Mag es sein, daß Hallers Prinzip in der Physiologie eine Qualitas occulta vorstellt, er hat doch durch diesen Ausdruck schon die künftige Erklärung des Phänomens selbst gleichsam vorausgesehen, und stillschweigend vorausgesagt, daß der Begriff des Lebens nur als absolute Vereinigung der Aktivität und Passivität in jedem Naturindividuum konstruierbar ist.
Haller wählte also für seine Zeit das wahrste und vollkommenste Prinzip der Physiologie, da er einerseits die mechanische Erklärungsart verließ (denn im Begriff der Reizbarkeit liegt schon, daß sie aus mechanischen Ursachen unerklärbar ist), ohne doch andererseits mit Stahl in hyperphysische Erdichtungen auszuschweifen.
Hätte Haller an eine Konstruktion des Begriffs von Reizbarkeit gedacht, so hätte er ohne Zweifel eingesehen, daß sie ohne einen Dualismus entgegengesetzter Prinzipien, und also auch ohne einen Dualismus der Organe des Lebens, nicht denkbar ist; dann hätte er gewiß auch die Nerven bei den Phänomenen der Reizbarkeit nicht als müßig angenommen, und dadurch unserm Zeitalter den Zwiespalt erspart, der sich zwischen seinen (zum Teil wahrhaft abergläubischen) Anhängern und den einseitigen Verteidigern Einer, in den Nerven allein wirksamen, Lebenskraft erhoben hat.
Dieser Streit kann nicht anders als durch Vereinigung beider, in ihrer Absonderung falschen, Prinzipien geschlichtet werden; diese Vereinigung hat zuerst Pfaff in seiner Schrift über tierische Elektrizität und Reizbarkeit (S. 258) aus Erfahrungsgründen unternommen, und dadurch, wie ich glaube, zum voraus die Grenzen beschrieben, innerhalb welcher alle Erklärungen tierischer Bewegungen stehen bleiben müssen. Da eben diese Notwendigkeit der Vereinigung beider Prinzipien zur möglichen Konstruktion des Begriffs von tierischem Leben aus Prinzipien a priori abgeleitet werden kann, so hat man hier ein auffallendes Beispiel des Zusammentreffens der Philosophie und der Erfahrung an Einem Punkt, dergleichen wohl künftig mehrere gefunden werden dürften.
a) Auf welche Organe die positive, erste Ursache des Lebens kontinuierlich und unmittelbar einwirkt, dieselben Organe werden als aktive, diejenigen aber, auf welche sie nur mittelbar (durch die erstern) einwirkt, als passive Organe vorgestellt werden müssen (Nerven und Muskeln).
b) Die Möglichkeit des Lebensprozesses setzt voraus:
aa) eine Ursache, die durch kontinuierlichen Einfluß den Prozeß immer neu anfacht und ununterbrochen unterhält, eine Ursache also, die nicht in den Prozeß selbst (etwa als Bestandteil) eingehen, oder durch den Prozeß erst erzeugt werden kann.
bb) Zum Prozeß selbst gehören als negative Bedingungen alle materiellen Prinzipien, deren Konflikt (Trennung oder Vereinigung) den Lebensprozeß selbst ausmacht. Der Satz gilt auch umgekehrt: Alle Prinzipien, die in den Lebensprozeß selbst eingehen, (z.B. das Oxygene, Azote usw.) können nicht als Ursachen, sondern nur als negative Bedingungen des Lebens angesehen werden.
c) Das positive Prinzip des Lebens muß Eines, die negativen Prinzipien müssen mannigfaltig sein. So viele mögliche Vereinigungen dieses Mannigfaltigen zu einem Ganzen, so viel besondere Organisationen, deren jede eine besondere Welt vorstellt. Die negativen Prinzipien des Lebens haben alle das Gemeinschaftliche, daß sie zwar Bedingungen, aber nicht Ursachen des Lebens sind; als ein Ganzes gedacht, sind sie die Prinzipien der tierischen Erregbarkeit.
Anmerk. Der Schottländer Joh. Brown läßt zwar das tierische Leben aus zwei Faktoren (der tierischen Erregbarkeit und den erregenden Potenzen, exciting powers) entspringen, was allerdings mit unserm positiven und negativen Prinzip des Lebens übereinzustimmen scheint; wenn man aber nachsieht, was Brown unter den erregenden Potenzen versteht, so findet man, daß er darunter Prinzipien begreift, die unsrer Meinung nach schon zu den negativen Bedingungen des Lebens gehören, denen also die Dignität positiver Ursachen des Lebens nicht zugeschrieben werden kann. Gleich im zweiten Kapitel seines Systems nennt er als die erregenden Potenzen Wärme, Luft, Nahrungsmittel, andere Materien, die in den Magen genommen werden, Blut, die vom Blut abgeschiedenen Säfte usw.! (J. Browns System der Heilkunde, übersetzt von Pfaff S. 3). Man sieht hieraus, daß man dem Schottländer allzu viel zutraut, wenn man glaubt, er habe sich zu den höchsten Prinzipien des Lebens erhoben; vielmehr ist er auf einer untergeordneten Stufe stehen geblieben. Sonst hätte er nicht sagen können: »Was Erregbarkeit sei, wissen wir nicht, auch nicht, wie sie von den erregenden Potenzen affiziert wird. – Wir müssen uns hierüber sowohl, als über andere ähnliche Gegenstände, bloß an die Erfahrung halten, und sorgfältig die schlüpfrige Untersuchung über die im allgemeinen unbegreiflichen Ursachen, jene giftige Schlange der Philosophie, vermeiden« (S. 6).
Man sieht aus diesen, wie aus vielen andern Stellen Browns, daß er an ein Substrat der Erregbarkeit gedacht hat, was freilich ein ganz unphilosophischer Begriff ist, über welchen etwas Philosophisches vorbringen zu wollen, allerdings ein schlüpfriges Unternehmen wäre. – Die Sache ist diese: Erregbarkeit ist ein synthetischer Begriff, er drückt ein Mannigfaltiges negativer Prinzipien aus; als solchen aber nimmt ihn Brown nicht an, denn sonst hätte er ihn auch analysieren können. Brown denkt sich darunter das schlechthin-Passive im tierischen Leben. Etwas schlechthin- Passives aber ist in der Natur ein Unding. Nimmt man aber den Begriff als synthetisch an, so drückt er nichts aus als das Gemeinschaftliche (den Komplexus) aller negativen Bedingungen des Lebens, worunter denn auch Browns erregende Potenzen fallen, daher für das eigentliche positive Prinzip des Lebens noch der Raum offen bleibt.
Es läßt sich aus dieser Verwechslung der erregenden Potenzen mit der positiven Ursache des Lebens am natürlichsten das Handgreifliche Erste Ausgabe: »das Krasse«. in Browns Vorstellung vom Leben, und das Krapulöse seines ganzen Systems erklären, das auch Hr. Baader (in seinen Beiträgen usw. S. 58) bemerkt. Hier ist übrigens nur von Brown als Physiologen die Rede, wozu ihn seine Anhänger gemacht haben; als Nosologe (was er allein sein wollte) wird sein Verdienst immer mehr anerkannt werden, da die unmittelbare Quelle aller Krankheiten doch in den negativen Bedingungen des Lebens zu suchen ist, von welchen auch Brown seinen ganzen Einteilungsgrund der Krankheiten hergenommen hat.
Die negative Bedingung des Lebensprozesses ist ein Antagonismus negativer Prinzipien der durch den kontinuierlichen Einfluß des positiven Prinzips (der ersten Ursache des Lebens) unterhalten wird.
Soll dieser Antagonismus im lebenden Wesen permanent sein, so muß das Gleichgewicht der Prinzipien in ihm kontinuierlich gestört werden. Davon kann nun der Grund abermals nicht im lebenden Individuum selbst liegen. Es zeigt sich hier aufs neue der ursprüngliche Gegensatz zwischen Pflanze und Tier. Da in der Pflanze ein desoxydierender Prozeß unterhalten wird, so wird das Gleichgewicht in der Pflanzenorganisation gestört werden, durch eine Ursache, welche allgemein fähig ist, Oxygene zu entwickeln. Eine solche ist das Licht. Jedermann weiß, der Prozeß der Vegetation in einer Zerlegung des Wassers besteht, da das dephlogistisierende Prinzip aus der Pflanze entwickelt wird, während das Brennbare in ihr zurückbleibt. In dem Maße, als durch Einfluß des Lichts Lebensluft aus der Pflanze entwickelt wird, zieht sie auf ihrer ganzen Oberfläche Feuchtigkeit an; der Prozeß scheint sich so von selbst fortzusetzen, weil das Gleichgewicht kontinuierlich gestört und kontinuierlich wiederhergestellt wird. Der Einfluß des Lichts ist daher ( in der Regel) erste Bedingung aller Vegetation.
Ich bemerke, daß man deswegen doch irren würde, das Licht für die Ursache der Vegetation zu halten; das Licht gehört nur zu den erregenden Potenzen, nur zu den negativen Bedingungen des Vegetationsprozesses, dessen Ursache eine ganz andere sein muß, was z.B. daraus sehr klar wird, daß das Aufsteigen des Wassers in den Pflanzen weder durch den Einfluß des Lichts noch durch die Reizbarkeit der Pflanzengefäße erklärbar ist, da diese Reizbarkeit selbst nur unter Bedingung einer positiven, auf sie kontinuierlich einwirkenden, und vom Licht verschiedenen Ursache erklärbar ist, da bei unveränderter Struktur der Kanäle, ja selbst bei fortdauernder Elastizität der Luftgänge usw. doch, wenn die Pflanze (man weiß nicht wie) abstirbt, alle Bewegung in ihr aufhört, daher selbst die Pflanzenphysiologen, denen wir die genaueste Kenntnis der mikroskopischen Pflanzengefäße verdanken, am Ende »auf die bewegende und fortstoßende Kraft (womit freilich der Naturlehre wenig gedient ist) und das Lebensprinzip zurückkommen, welches durch eine wohlgeordnete Bewegung alles, was in der Pflanze vorgeht, bewirkt«. (S. Hedwig de fibrae vegetabilis ortu, p. 27. v. Humboldts Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen, S. 40.)
Das gerade Gegenteil von dem, das bei der Pflanze geschieht, muß beim Tier stattfinden. Da das tierische Leben ein dephlogistisierender Prozeß ist, so muß das Gleichgewicht der negativen Prinzipien im Tier durch Aufnahme und Bereitung phlogistischer Materie kontinuierlich gestört werden, deswegen allein schon das Tier scheinbar- willkürlicher Bewegung fähig sein muß. Die beiden negativen Prinzipien des Lebens im tierischen Körper sind daher phlogistische Materie und Oxygene (gleichsam die Gewichte am Hebel des Lebens), das Gleichgewicht beider muß kontinuierlich gestört und wiederhergestellt werden. Dies ist nicht möglich, als dadurch, daß das Tier in eben dem Verhältnis, in welchem es phlogistische Materie bereitet, auch das Oxygene im Atmen zersetzt, und umgekehrt.
Daß wirklich zwischen der Quantität der Luftzersetzung und der Quantität des phlogistischen Prozesses im tierischen Körper ein genaues Wechselverhältnis stattfinde, daran lassen eine Menge Erfahrungen nicht zweifeln. Die Quantität der Luftzersetzung in den Tieren richtet sich überhaupt nicht sowohl nach der Quantität ihrer Masse, als der Quantität des Lebensprozesses in ihnen. So geht in den Lungen der beweglicheren Tiere, z.B. des Vogels, eine verhältnismäßig weit größere Luftzersetzung vor, als in der Lunge der trägeren, aber an Masse vor andern hervorragenden Tiere. Die Quantität der Nahrung, deren ein Tier bedarf, richtet sich ebensowenig regelmäßig und genau nach seiner Masse: das träge Kamel kann auf der Reise in der Wüste tagelang den Hunger ertragen, das schneller atmende Pferd verlangt weit schnelleren Ersatz des schneller verzehrten phlogistischen Stoffs. – Jedes Tier zersetzt oder verdirbt im Zeitpunkt der Verdauung weit mehr Luft als im Zustand des Hungers.
Ist ein Übergewicht des dephlogistisierenden Prinzips im Körper, so entsteht (nach Girtanner) jene tierische Unbehaglichkeit, die man Hunger nennt; das Tier, indem es mit scheinbarer Willkür den Hunger stillt, folgt nur einem notwendigen Gesetze, kraft dessen das Gleichgewicht der negativen Prinzipien des Lebens kontinuierlich wiederhergestellt werden muß. Durch Stillung des Hungers erhält das phlogistische Prinzip das Übergewicht; das Atmen reicht (bei schnell verdauenden Tieren) allein nicht hin, das Gleichgewicht wiederherzustellen, es entsteht Durst, der durch Wasser (als Vehikel des dephlogistisierenden Prinzips), am schnellsten aber durch säuerliche, immer zugleich kühlende Getränke (- man erinnere sich, daß das Oxygene allgemeiner Grund der vermehrten Wärmekapazität ist -) gestillt wird; und so erhält sich der Antagonismus der negativen Prinzipien des Lebens durch einen steten Wechsel des Übergewichts des einen über das andere.
Das Gleichgewicht der negativen Prinzipien des Lebens soll immer gestört und immer wiederhergestellt werden. Es muß also vorerst die phlogistische Materie, die durch die Nahrung in den Körper kommt, aufgelöst, die Bestandteile, welche schwerer sich mit dem Oxygene verbinden, müssen ausgeführt werden, und nur diejenigen zurückbleiben, welche dem Oxygene stärker das Gleichgewicht halten. Durch welche Operationen die Natur diese Auflösung bewirkt, wissen wir nicht bestimmt anzugeben, aber wir können schon jetzt alle Stufen der Auflösung bezeichnen, welche der Nahrungsstoff im Körper durchläuft.
Die Nahrung der Tiere ist entweder vegetabilisch, oder animalisch; die Hauptbestandteile der vegetabilischen Nahrung sind Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, in der animalischen Nahrung ist neben diesen der Stickstoff überwiegend. Das erste Geschäft der Natur ist, diese verschiedenen Stoffe aus ihrer Verbindung zu setzen, im Organ der Verdauung schon scheint sich der Wasserstoff von den übrigen Bestandteilen loszumachen. Bei dieser Trennung wirken, man weiß nicht durch welchen Mechanismus, schon die lymphatischen Gefäße mit, die, was der Assimilation näher ist, sogleich absorbieren. Im Unterleib zuerst scheint der Kohlenstoff entwickelt zu werden, wozu vorzüglich die Milz dient, in welcher das Blut im Durchgang seine Farbe in Schwarz verändert (vgl. Ploucquets Skizze der Physiologie, §927); darauf scheint in der Leber die innige Vereinigung des Kohlenstoffs und Wasserstoffs vorzugehen, woraus ein öl (womit die Galle am meisten Ähnlichkeit hat), und die erste Grundlage des tierischen Fetts erzeugt wird, das vorzüglich in der Leber sich absondert. Endlich scheint in der Bereitung des sogenannten Milchsafts schon der gerinnbare Teil (der Stickstoff) hervorstechend zu werden; im Durchgang durch die lymphatischen Gefäße, vorzüglich in den Drüsen, scheint noch das bereitete Öl abgesetzt zu werden; endlich ergießt sich der Strom in das Blut, wo die Säfte die höchste Bildung der Stufe erreichen, und aus welchem unmittelbar die festen Teile des Körpers anschließen. Indes wird im Durchgang durch die verschiedenen Gefäße die Mischung des Bluts kontinuierlich wieder verändert; vorzüglich scheint es während seines Umlaufs sich mit Kohlenstoff zu beladen, der endlich durch die letzte Veranstaltung der Natur (die Berührung des Oxygenes in den Lungen) von ihm losgerissen wird.
Offenbar ist, daß alle Operationen der Natur, die der Assimilation vorangehen, die Trennung des Stickstoffs (als Hauptbestandteils der tierischen Materie) von den übrigen Stoffen der Nahrung zum Zweck haben. Der Mechanismus der Animalisation scheint sonach vorzüglich darin zu bestehen, daß im Durchgang der Nahrungssäfte durch verschiedene Organe allmählich der Stickstoff vor den übrigen Stoffen das Übergewicht erlangt. So weit hat uns die neuere Chemie sicher geführt. (Man s. Fourcroys vortreffliche Abhandlung über die Entstehung tierischer Substanzen in der chemischen Philosophie, Deutsch übers., S. 149.)
Es ist uns aber nicht genug, zu wissen, daß es so ist: wir verlangen zu wissen, warum es notwendig so sein, und nicht anders sein kann; die Antwort auf diese Frage geben unsere oben aufgestellten Prinzipien.
Die Natur eilt, das Gleichgewicht der negativen Prinzipien im Körper, sobald es gestört ist, Wiederherzustellen. Dieses Gleichgewicht aber kann nur ein dynamisches Gleichgewicht sein, von der Art, wie das Gleichgewicht der Temperatur in einem System von Körpern (nach der oben vorgetragenen Erklärung). Setzen wir, daß in einem System von Körpern die Wärmequantität durch äußeren Einfluß vermehrt würde, so könnte die Natur doch das Gleichgewicht erhalten, wenn sie in beständig gleichem Verhältnis die Wärmekapazität der Körper vermehrte. Im tierischen Körper nun sucht die Natur das Gleichgewicht zwischen dem Oxygene und dem phlogistischen Stoff kontinuierlich zu erhalten. Da nun in eben dem Verhältnis, als phlogistischer Stoff in den Körper aufgenommen wird, Oxygene im Atmen zersetzt wird, so scheint der ganze Prozeß der Animalisation im lebenden Körper darauf auszugehen, seine Kapazität für das Oxygene bis zu dem Grade zu vermehren, da beide entgegengesetzten Prinzipien einander vollkommen das Gleichgewicht halten. Dies geschieht, indem dem Körper kontinuierlich Stickstoff zugesetzt wird. Im gesunden Körper müßte die Natur dieses Gleichgewicht nach vollbrachtem Assimilationsprozeß regelmäßig erreichen. Da aber das eine jener negativen Prinzipien (das Oxygene) dem Körper immer neu zugeführt wird, so kann das Gleichgewicht nur momentan sein, und muß, sobald es erreicht ist, auch wieder gestört werden, in welcher kontinuierlichen Wiederherstellung und Störung des Gleichgewichts eigentlich allein das Leben bestellt.
Daß nun die Natur, indem sie dem Körper kontinuierlich Stickstoff zusetzt (worin allein eigentlich das Wesen der Ernährung besteht), wirklich den Zweck, das Gleichgewicht der negativen Prinzipien des Lebens wiederherzustellen, erreiche, erhellt aus folgenden Bemerkungen:
Der Stickstoff, so wie er in der Atmosphäre verbreitet ist, ist kein brennbarer Stoff, und es ist bis jetzt nur durch den elektrischen Funken möglich gewesen, ihn mit dem Oxygene zu verbinden. Ob etwas Ähnliches im Körper vorgehe, lassen wir vorerst dahingestellt, bemerken aber, daß eben dieser Stoff, bis zu einem gewissen Grade oxydiert, die größte Kapazität für den Sauerstoff erlangt, so daß er ihn (wie in der Salpeterluft) durch bloße Berührung, in großer Quantität, und mit großer Schnelligkeit zersetzt. So hat also die Natur, indem sie die Quantität des Stickstoffs im Körper vermehrt, keine andere Absicht, als das dynamische Gleichgewicht der negativen Lebensprinzipien im Körper wiederherzustellen, da dieser Stoff vor allen andern geschickt ist, das Oxygene zu fesseln. Durch welchen Mechanismus, und auf welche Art dies geschehe, lasse ich vorerst dahingestellt. – Irre ich mich, oder hat sie durch diese Anstalt zugleich den ersten Grund zur Irritabilität, der hervorstechendsten Eigenschaft der tierischen Materie, gelegt?
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Anmerk. Wenn man überlegt, daß der Dunst, der unsern Erdball umgibt, die beiden Elemente, deren Konflikt das Leben auszumachen scheint, auf ebenso unbekannte Weise in sich vereinigt, als es der tierische Körper tut, so sieht man erst, welcher Sinn darin liegt, daß (nach Lichtenbergs Ausdruck) alles – (das Schönste wenigstens, was die Erde hat) – aus Dunst zusammengeronnen ist. In der Tat, wenn das Geheimnis des Lebens in einem Konflikt negativer Prinzipien liegt, davon das eine gegen das Leben (azotisch) anzukämpfen, das andere das Leben immer neu anzufachen scheint, so hat die Natur in der Atmosphäre schon den Entwurf des allgemeinen Lebens auf Erden niedergelegt, und der Mensch, wenn er nicht aus dem Erdenkloß gebildet sein will, muß wenigstens bekennen, daß er den ätherischen Ursprung, den er seinem Geschlechte zueignen möchte, mit der ganzen belebten Schöpfung teilt.
Da das positive Prinzip des Lebens und des Organismus absolut Eines ist, so können sich die Organisationen eigentlich nur durch ihre negativen Prinzipien unterscheiden.
Die neuere Chemie nennt als das negative Prinzip der Vegetation den Kohlenstoff; da aber dieser (ursprünglich wenigstens) ohne Zweifel selbst Produkt der Vegetation war, so ist kaum zu zweifeln, daß der brennbare Bestandteil des Wassers eigentlich das ursprünglich-negative Prinzip der Vegetation ist, woraus die Analogie entsteht, daß das über die ganze Erde verbreitete Wasser den ersten Entwurf aller Vegetation ebenso, wie die überall gegenwärtige Luft den ersten Entwurf alles Lebens, in sich enthält.
Wenn die Natur in toten Substanzen (wie im Wasser und der atmosphärischen Luft) eine Vereinigung entgegengesetzter Prinzipien erreicht hat, so hat sie in organisierten Wesen diese Vereinigung wieder aufgehoben; Vegetation und Leben aber besteht nur im Prozeß der Trennung und Verbindung selbst, und die vollbrachte Trennung, so gut als die vollbrachte Vereinigung, ist der Anfang des Todes.
Der über die ganze Natur verbreitete Dualismus der Elemente schließt sich demnach, wie in einem engern Kreis, in den Organisationen der Erde, wie wir vor jetzt durch folgendes Schema anschaulich machen können:
Stickluft Lebensluft brennbare Luft
Azote Oxygene Hydrogene |
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Atmosphärische Luft | Wasser |
1 | 1 |
Tierisches Leben | Pflanzenleben |
(durch Zersetzung der Lebensluft und Erzeugung von Wasser, im Atmen, in der Ausdünstung usw.) | (durch Zersetzung des Wassers und Erzeugung von Lebensluft, im Ausatmen usw.) |
Der unmittelbare Zweck der Natur bei dem jetzt beschriebenen Prozesse ist nur der Prozeß selbst, ist nur die beständige Störung und Wiederherstellung des Gleichgewichts der negativen Prinzipien im Körper: was in diesem Prozesse unter der Hand gleichsam entsteht, ist für den Prozeß selbst zufällig, und nicht unmittelbarer Zweck der Natur.
1. Vorerst kann die Natur die materiellen Prinzipien des Lebens den allgemeinen Gesetzen nicht entziehen, die sie selbst der Materie ursprünglich eingedrückt hat. Der belebten Materie wohnt also wie jeder andern ein kontinuierliches Bestreben nach Gleichgewicht bei; wo aber das Gleichgewicht erreicht ist, ist Ruhe. Es muß also in jedem Körper, in welchem die Natur einen organisierenden Prozeß unterhält, ein Ansatz toter Masse geschehen können ( Wachstum, Ernährung). Dieser Ansatz aber ist nur das begleitende Phänomen des Lebensprozesses, nicht der Lebensprozeß selbst. Der Ursprung der tierischen Materie im Lebensprozeß ist sonach ganz und gar zufällig, und so muß es auch (dem Begriff der Organisation nach) sein, Ernährung und Ansatz der toten Masse (welche durch ihr Gewicht endlich das Leben selbst unterdrückt, wenn es nicht unter andern Zufällen früher erliegt, als das Verhältnis der festen Teile zu den flüssigen im Körper übermäßig zunimmt) sind eine blinde Naturwirkung, die wider die eigentliche Absicht, und gleichsam wider den Willen der Natur (invita natura), als eine Folge, die sie nicht verhindern kann, aus notwendigen in der anorgischen wie in der organischen Welt herrschenden Gesetzen hervorgeht.
2. Gleichwohl überläßt die Natur die organische Materie nicht ganz den toten Kräften der Anziehung, sondern in diesem Streben und Widerstreben der trägen, nach Gleichgewicht verlangenden Materie, und der belebenden, das Gleichgewicht hassenden Natur, wird die tote Masse gezwungen, wenigstens in bestimmter Form und Gestalt anzuschließen, welche eben deswegen der menschlichen Urteilskraft als Zweck der Natur erscheint, da diese Form nicht entstehen konnte, als indem die Natur die entgegengesetzten Elemente solange wie möglich auseinander hielt, und so sie zwang, ihren Händen nicht anders als unter einer bestimmten (ihren Zwecken scheinbar angemessenen) Form gleichsam zu entwischen. Daher erklärt sich die absolute Vereinigung von Notwendigkeit und Zufälligkeit in jeder Organisation. Daß tierische Materie überhaupt entsteht, kann uns nicht als Zweck der Natur erscheinen, weil ein solches Entstehen nur nach blinden notwendigen Gesetzen geschieht. Daß aber diese Materie zu bestimmter Gestalt sich bildet, können wir uns nur als zufälligen Naturerfolg, und insofern nur als Zweck einer personifizierten Natur denken, weil der Naturmechanismus eine bestimmte Bildung nicht notwendig hervorbringt.
Der eigentlich- chemische Prozeß des Lebens erklärt uns also nur die blinden und toten Naturwirkungen, welche im belebten Körper wie im toten erfolgen, nicht aber wie die Natur selbst in diesen toten Wirkungen blinder Kräfte im belebten Wesen noch gleichsam ihren Willen behält, was sich durch die zweckmäßige Bildung der tierischen Materie verrät, und offenbar nur aus einem Prinzip erklärbar ist, das außer der Sphäre des chemischen Prozesses liegt und in ihn nicht eingeht.
1. Wenn wir dem Ursprung des Begriffs von Organisation nachforschen, finden wir Folgendes.
Im Naturmechanismus erkennen wir (solange wir ihn nicht selbst als ein Ganzes betrachten, das in sich selbst zurückkehrt) eine bloße Aufeinanderfolge von Ursachen und Wirkungen, deren keine etwas an sich Bestehendes, Bleibendes, Beharrliches – kurz nichts ist, das eine eigne Welt bildete, und mehr als bloße Erscheinung wäre, die nach einem bestimmten Gesetze entsteht und nach einem andern Gesetze wieder verschwindet.
Wenn aber diese Erscheinungen gefesselt würden, oder wenn die Natur selbst die materiellen Prinzipien, die sonst nur in einzelnen Erscheinungen vorüberschwinden, innerhalb einer bestimmten Sphäre zu wirken zwänge, so würde diese Sphäre etwas Bleibendes und Unveränderliches ausdrücken. Das Perennierende wären dann nicht die Erscheinungen innerhalb dieser Sphäre (denn diese würden auch hier entstehen und verschwinden, verschwinden und wieder entstehen), sondern das Perennierende wäre die Sphäre selbst, innerhalb welcher jene Erscheinungen begriffen sind: diese Sphäre selbst könnte nicht bloße Erscheinung sein, denn sie wäre das, was im Konflikt jener Erscheinungen entstanden ist, das Produkt, und gleichsam der Begriff (das Bleibende) jener Erscheinungen.
Was Begriff ist, ist eben deswegen etwas Fixiertes, Ruhendes, das Monument vorüberschwindender Erscheinungen; das Veränderliche in jenem Produkt wären die Erscheinungen, deren Produkt es ist; das Unveränderliche wäre allein der Begriff (einer bestimmten Sphäre), den jene Erscheinungen kontinuierlich auszudrücken nezessitiert sind; es wäre in diesem Ganzen eine absolute Vereinigung des Veränderlichen und des Unveränderlichen.
Da das (nichterscheinende) Unwandelbare in diesem Ding nur das Produkt (der Begriff) der zusammenwirkenden Ursachen ist, so kann es nicht selbst wieder etwas sein, das nur durch seine Wirkungen unterschieden wird, es muß etwas sein, das einen unterscheidenden Charakter in sich selbst hat, und das an sich selbst, abstrahiert von allen Wirkungen, die es hat, das ist, was es ist, kurz etwas in sich selbst Ganzes und Beschlossenes (in se teres atque rotundum).
Da der Begriff dieses Produkts nichts Wirkliches ausdrückt, als insofern er der Begriff zusammenwirkender Erscheinungen ist, und da umgekehrt diese Erscheinungen nichts Bleibendes (Fixiertes) sind, als insofern sie innerhalb dieses Begriffs wirken, so muß in jenem Produkt Erscheinung und Begriff unzertrennlich vereinigt sein.
Das Unwandelbare in diesem Produkt ist allerdings nur der Begriff, den es ausdrückt: da aber Materie und Begriff in diesem Produkt unzertrennlich vereinigt sind, so muß auch in der Materie dieses Produkts etwas Unzerstörbares liegen.
Die Materie aber ist an sich unzerstörbar. An dieser ursprünglichen Unzerstörbarkeit der Materie hängt alle Realität, hängt das Unüberwindliche in unserm Erkenntnis. Von dieser (transzendentalen) Unzerstörbarkeit der Materie aber kann hier nicht die Rede sein. Es muß sonach von einer empirischen Unzerstörbarkeit, d.h. von einer solchen, die nicht der Materie, als solcher, sondern die dieser Materie, als einer bestimmten, zukommt, die Rede sein.
Das aber, was eine Materie zu einer bestimmten Materie macht, ist entweder ihr Inneres, ihre Qualität, oder ihr Äußeres, ihre Form und Gestalt. Jede innere (qualitative) Veränderung der Materie aber offenbart sich äußerlich durch den veränderten Grad ihrer Kohärenz. Ebenso kann Form und Gestalt der Materie nicht verändert werden, ohne daß ihre Kohärenz, zum Teil wenigstens, aufgehoben werde. Der gemeinschaftliche Begriff für die Zerstörbarkeit einer bestimmten Materie, als solcher, ist also die Veränderlichkeit ihrer Kohärenz, oder ihre Teilbarkeit (daher auch keine chemische Auflösung ohne vollbrachte Teilung ins Unendliche denkbar ist).
Also kann die Materie jenes Produkts nur insofern unzerstörbar sein, als sie schlechthin unteilbar ist, nicht als Materie überhaupt (denn insofern muß sie teilbar sein), sondern als Materie dieses bestimmten Produkts, d.h. insofern sie diesen bestimmten Begriff ausdrückt.
Sie muß also teilbar sein und unteilbar zugleich, d.h. teilbar und unteilbar in verschiedenem Sinne. Ja sie muß in einem Sinne unteilbar sein, nur insofern sie im andern teilbar ist. Sie muß teilbar sein, wie jede andere Materie, ins Unendliche, unteilbar, als diese bestimmte Materie, gleichfalls ins Unendliche, d. h. so, daß durch unendliche Teilung kein Teil in ihr angetroffen werde, der nicht noch das Ganze vorstellte, auf das Ganze zurückwiese. Der unterscheidende Charakter dieses Produkts (das, was es aus der Spare bloßer Erscheinungen hinweg nimmt) ist sonach seine absolute Individualität.
Es muß unteilbar sein (dem Begriff nach), nur insofern es teilbar ist (der Erscheinung nach). Es müssen also Teile in ihm unterscheidbar sein. Teile aber (es ist nicht von Elementen die Rede, denn diese, obgleich die gemeine Physik diese Vorstellung hat, sind nicht Teile, sondern das Wesen der Materie selbst) lassen sich nur unterscheiden durch Form und Gestalt.
Der erste Übergang zur Individualität ist also Formung und Gestaltung der Materie. Im gemeinen Leben wird alles, was von sich selbst oder durch Menschenhand Figur erhalten hat, als Individuum betrachtet oder behandelt. Es ist sonach a priori abzuleiten, daß jeder feste Körper eine Art von Individualität hat, sowie, daß jeder Übergang aus flüssigem in festen Zustand mit einer Anschießung, d.h. Bildung zu bestimmter Gestalt, verbunden ist; denn das Wesen des Flüssigen besteht eben darin, daß in ihm kein Teil angetroffen werde, der vom andern durch Figur sich unterscheide (in der absoluten Kontinuität, d.h. Nichtindividualität seiner Teile), dagegen je vollkommener jener Prozeß des Übergangs ist, desto entschiedener die Figur des Ganzen nicht nur, sondern auch der Teile. (Es ist aus der Chemie bekannt, daß keine regelmäßige Kristallisation sich bildet, als wenn sie ruhig geschieht, d. h. wenn der freie Übergang der Materie vom flüssigen in festen Zustand nicht gestört wird.)
Es ist merkwürdig, daß auch der allgemein angenommene Sprachgebrauch (gegen welchen einige neuerdings ohne Aufmerksamkeit auf seinen guten Grund sich aufgelehnt haben) die materiellen Ursachen, in welchen kein Teil unterscheidbar ist, mit dem Namen von Flüssigkeiten belegt hat: so spricht man allgemein von elektrischer, magnetischer Flüssigkeit (fluide électrique, magnétique).
Die menschliche Kunst besteht darin, der rohen Materie nicht sowohl – Unzerstörbarkeit, als Zerstörbarkeit zu erteilen, d.h. sie kann die Unzerstörbarkeit, welche die Natur in allen ihren Produkten erreicht, nur bis zu einer gewissen Grenze erreichen. Man sagt von keiner rohen Materie, daß sie zerstörbar ist, als insofern sie durch menschliche Kunst eine bestimmte Form erhalten hat. Der Altertumskenner versteht sich darauf (oder tut wenigstens, als ob er sich darauf verstünde), aus einem abgerissenen Kopf nicht nur die Bildsäule, der er angehörte, sondern oft sogar das Zeitalter der Kunst zu bestimmen, in welches er gehört. Indes geht diese Erkennbarkeit des Ganzen aus dem Teil, die bei Naturprodukten (wenn selbst das bewaffnete Auge ihr nicht weiter zu folgen vermag, doch für ein schärferes, durchdringenderes Auge) ins Unendliche geht, bei Kunstprodukten niemals ins Unendliche, wodurch sich eben die Unvollkommenheit menschlicher Kunst verrät, die nicht wie die Natur durchdringende, sondern nur oberflächliche Kräfte in ihrer Gewalt hat. Hier standen in der ersten Ausgabe noch folgende Sätze: »Die Natur allein erteilt ihren Produkten Unzerstörbarkeit, oder was dasselbe ist, Zerstörbarkeit ins Unendliche. (Es liegt in den Tiefen des menschlichen Geistes der Grund, warum alles Unendliche, da eine absolute Unendlichkeit in uns und außer uns nie wirklich sein kann, als eine empirische Unendlichkeit, als Unendlichkeit in der Zeit konstruiert werden muß).«
So sagt jener Begriff der Unzerstörbarkeit jeder Organisation nichts anders, als daß in ihr ins Unendliche kein Teil angetroffen wird, in welchem nicht das Ganze gleichsam fortdauerte, oder aus welchem nicht das Ganze erkennbar wäre. – Erkennbar aber ist eins aus dem andern, nur insofern es Wirkung oder Ursache dieses andern ist. Daher folgt denn auch aus dem Begriff der Individualität die doppelte Ansicht jeder Organisation, die als idealisches Ganzes die Ursache aller Teile (d.h. ihrer selbst als realen Ganzen), und als reales Ganzes (insofern sie Teile hat) die Ursache ihrer selbst als idealischen Ganzen ist, worin man dann ohne Mühe die oben aufgestellte absolute Vereinigung des Begriffs und der Erscheinung (des Idealen und Realen) in jedem Naturprodukt erkennt, und auf die endliche Bestimmung kommt, daß jedes wahrhaft individuelle Wesen von sich selbst zugleich Wirkung und Ursache sei. Ein solches Wesen aber, das wir betrachten müssen, als ob es von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung sei, heißen wir organisiert (die Analysis dieses Begriffs hat Kant in der Kritik der Urteilskraft gegeben), – daher was in der Natur den Charakter der Individualität trägt, eine Organisation sein muß, und umgekehrt.
2. In jeder Organisation geht die Individualität (der Teile) bis ins Unendliche. (Dieser Satz, wenn er auch nicht als konstitutives Prinzip aus Erfahrung erweisbar ist, muß wenigstens als Regulativ jeder Untersuchung zugrunde gelegt werden; selbst im gemeinen Leben urteilen wir, daß eine Organisation um so vollkommener ist, je weiter wir diese Individualität verfolgen können). Das Wesen des organisierenden Prozesses muß also im Individualisieren der Materie ins Unendliche bestehen.
Nun ist aber kein Teil einer Organisation individuell, als insofern in ihm noch das Ganze der Organisation erkennbar und gleichsam ausgedrückt ist. Dieses Ganze besteht aber selbst nur in der Einheit des Lebensprozesses.
Es muß also in jeder Organisation die höchste Einheit des Lebensprozesses in Ansehung des Ganzen und zugleich die höchste Individualität des Lebensprozesses in Ansehung jedes einzelnen Organs herrschen. Beides aber läßt sich nicht vereinigen, als wenn man annimmt, daß ein und derselbe Lebensprozeß in jedem einzelnen Wesen sich ins Unendliche individualisiere. Wir müssen es vorerst dahingestellt sein lassen, diesen Satz physiologisch begreiflich zu machen; er steht a priori fest, und damit genügt uns hier. Aber es liegt in diesem Satz ein anderer eingewickelt, um den es uns eigentlich hier zu tun ist.
»Die Individualität jedes Organs ist nur erklärbar aus der Individualität des Prozesses, durch den es erzeugt wird.« – Nun erkennen wir aber die Individualität eines Organs teils an seiner ursprünglichen Mischung, teils an seiner Form und Gestalt, oder vielmehr, ein individuelles Organ ist nichts anderes als diese bestimmte individuelle Mischung verbunden mit dieser bestimmten Form der Materie. Also kann Mischung so wenig als Form der Organe Ursache des Lebensprozesses sein, sondern umgekehrt, der Lebensprozeß selbst ist Ursache der Mischung sowohl als der Form der Organe. Es ist also klar, daß, wenn wir eine Ursache (nicht die Bedingungen) des Lebensprozesses aufsuchen wollen, diese Ursache außerhalb der Organe zu suchen ist, und eine viel höhere sein muß, als Struktur oder Mischung der letztern, die selbst erst als Wirkung des Lebensprozesses betrachtet werden muß.
Da übrigens des Lebensprozeß selbst nur in der kontinuierlichen Störung und Wiederherstellung des Gleichgewichts der negativen Prinzipien des Lebens besteht, und da eben diese Prinzipien die Elemente aller Mischungen sind, die in der tierischen Organisation vorgehen, so ist der Lebensprozeß eigentlich nur die unmittelbare Ursache der individuellen Mischung der tierischen Organe, und nur dadurch, daß er die widerstrebenden Elemente in bestimmter Mischung zusammen zwingt, zugleich mittelbare Ursache der Form aller Organe; woraus denn der Satz sich ergibt, daß die Eigenschaften der tierischen Materie im ganzen sowohl als in einzelnen Organen nicht von ihrer ursprünglichen Form, sondern daß umgekehrt die Form der tierischen Materie im ganzen sowohl als in einzelnen Organen von ihren ursprünglichen Eigenschaften abhängig sei, ein Satz, womit der Schlüssel zur Erklärung der merkwürdigsten Phänomene im organischen Naturreich gefunden ist, und welcher erst eigentlich die Organisation von der Maschine unterscheidet, in welcher die Funktion (die Eigenschaft) jedes einzelnen Teils von seiner Figur abhängig ist, da umgekehrt in der Organisation die Figur jedes Teiles von seiner Eigenschaft abhängt.
Anmerk. Wir können jetzt von dem genommenen Standpunkt aus die verschiedenen Stufen bezeichnen, über welche allmählich die Physiologie bis auf unsere Zeit emporgestiegen ist.
Die tötenden Einflüsse, welche die atomistische Philosophie nicht sowohl auf einzelne Sätze der Naturwissenschaft, als auf den Geist der Naturphilosophie im Ganzen gehabt hat, äußerten sich auch in der Physiologie dadurch, daß man den Grund der vorzüglichsten Erscheinungen des Lebens in der Struktur der Organe suchte (so hat selbst Haller noch die Irritabilität der Muskeln aus ihrer eigentümlichen Struktur erklärt), eine Meinung, die (wie so viele atomistische Vorstellungsarten) schon durch die gemeinsten Erfahrungen widerlegt werden konnte (z.B. daß bei völlig unveränderter Struktur aller Organe der Tod plötzlich erfolgen kann); nichtsdestoweniger sind noch bis auf die neuesten Zeiten bei vielen Physiologen Leben und Organisation gleichbedeutend.
Die unmerkliche Umänderung des philosophischen Geistes, die allmählich zu einer totalen Revolution der philosophischen Denkart sich anschickte, zeigte sich bereits in einzelnen Produkten (z.B. Blumenbachs Bildungstrieb, dessen Annahme ein Schritt außerhalb der Grenzen der mechanischen Naturphilosophie und aus der Strukturphysiologie nicht mehr erklärbar war, daher es wohl kommen mag, daß man bis auf die neueste Zeit keine Reduktion desselben auf natürliche Ursachen versucht hat), als zu gleicher Zeit die neuen Entdeckungen der Chemie die Naturwissenschaft immer mehr vom atomistischen Weg ablenkten und den Geist der dynamischen Philosophie durch alle Köpfe verbreiteten.
Man muß den chemischen Physiologen den Ruhm lassen, daß sie zuerst, obgleich mit dunklem Bewußtsein, über die mechanische Physiologie sich erhoben haben und wenigstens so weit vorgeschritten sind, als sie mit ihrer toten Chemie kommen konnten. Sie haben wenigstens zuerst den Satz als Prinzip aufgestellt (obgleich sie ihm in ihren Behauptungen nicht getreu blieben), daß die Form der Organe nicht die Ursache ihrer Eigenschaften, sondern daß umgekehrt ihre Eigenschaften (ihre Qualität, chemische Mischung) die Ursache ihrer Form seien.
Hier scheint ihre Grenze gewesen zu sein. Als chemische Physiologen konnten sie nicht weiter als bis zu den chemischen Eigenschaften der tierischen Materie zurückgehen. Der Philosophie war es aufbehalten, den Grund auch von diesen noch in höheren Prinzipien aufzusuchen und so die Physiologie endlich ganz über das Gebiet der toten Physik zu erheben.
Die Unzertrennlichkeit der Materie und Form (welche das Wesen der organisierten Materie ausmacht) scheint sich übrigens in der anorgischen Natur schon an manchen Produkten zu offenbaren, da viele (wenn ihre Bildung nicht gestört wird) unter einer ihnen eignen Form sich kristallisieren. Wenn spezifisch verschiedene Materien, z.B. verschiedene Salze, die aus einem gemeinschaftlich Auflösungsmittel unter gleichen Umständen sich scheiden, jedes in seiner eigentümlichen Form anschießt, so kann man den Grund dieser Erscheinung in nichts anderem als der ursprünglichen Qualität, und zwar, da das positive Prinzip aller Kristallisation ohne Zweifel dasselbe ist, in einer ursprünglichen Verschiedenheit ihres negativen Prinzips suchen. – Alle Kristallisationen (mit Häuy) als sekundäre Bildungen anzusehen, die aus der verschiedenen Anhäufung primitiver, unveränderlicher Gestalten entspringen, ist, wenn auch gleich ein solcher Ursprung mathematisch sich konstruieren läßt, doch nur ein scharfsinniges Spiel, da von keiner auch noch so einfachen Bildung bewiesen werden kann, daß sie nicht selbst noch sekundär sei.
3. Wenn Form und Gestalt der Organe Folge ihrer Qualitäten ist, so fragt sich, wovon diese zunächst abhängen? – Zunächst abhängig sind sie von dem quantitativen Verhältnis der Elemente ihrer Mischung. Es kommt darauf an, welches der ursprünglichen Elemente in ihnen das Übergewicht hat (ob Stickstoff, oder Sauerstoff, oder Kohlenstoff usw.), oder ob wohl gar nur eines derselben in ihnen herrschend ist. Daß alle Verschiedenheit der Organe bloß auf den möglichen Kombinationen dieser Urstoffe im tierischen Körper beruhe, kann um so weniger bezweifelt werden, da schon eine Art von Stufenfolge der Organe von denen an, die am wenigsten Stickstoff enthalten, bis zu denen, welche (der eigentliche Sitz der Irritabilität) am meisten davon enthalten müssen, wahrnehmbar ist, wie ich unten erweisen werde.
So wird man in der Folge nicht nur durch chemische Analyse der einzelnen tierischen Teile, sondern vorzüglich durch Beobachtung ihrer Funktionen das Verhältnis ihrer Mischung hinlänglich genau bestimmen können. – Ich kann hier nicht umhin, zu bemerken, daß, da der Unterschied der Tiere und Pflanzen nur darin besteht, daß jene das negative Lebensprinzip zurückhalten, diese es aushauchen, die Natur den Übergang von Pflanzen zu Tieren nicht durch einen Sprung machen konnte, sondern daß in diesem Übergang von Vegetation zum Leben allmählich zu den Elementen der Vegetation ein Stoff hinzukommen mußte, der sie fähig machte, das negative Prinzip des Lebens zurückzuhalten. Dieser Stoff ist der Stickstoff, der in unsrer Atmosphäre, man weiß nicht wie, mit Oxygene verbunden, und selbst durch Kunst kaum frei von Oxygene darstellbar, eine hartnäckige Verwandtschaft zu dieser Materie durchgängig beweist. Man sieht jetzt ein, warum der Stickstoff eigentlich das Element ist, das die tierische Materie vor der vegetabilischen auszeichnet. Man darf jetzt nur annehmen, daß in den Lungen dieses Element bis zu einem gewissen Grade mit Sauerstoff durchdrungen sei, um begreifen zu können, wie in diesem Organ durch bloße Berührung eine Luftzersetzung vorgehen könne, da eben dieser Stoff, bis zu einem gewissen Grade oxydiert, das Oxygene mit so großer Gewalt an sich reißt.
Daß aber mit der verschiedenen Kombination der Elemente regelmäßig auch eine eigentümliche Form der Kristallisation verbunden sein müsse, ist a priori nicht nur, sondern aus vielen Erfahrungen bekannt, da beinahe alle (mineralischen) Kristallisationen, so wie sie in der Natur erzeugt werden, ihre Kristallisationsfähigkeit den verschiedenen Elementen verdanken, mit denen sie gemischt sind, und die durch Kunst von ihnen getrennt werden.
Anmerk. Daß der Stickstoff eigentlich dasjenige ist, was die Tiere fähig macht das negative Lebensprinzip zurückzuhalten, sieht man daraus, daß auch Vegetabilien, die, wie Morcheln und Champignons (Agaricus campestris) und die meisten Schwämme, in deren Mischung sehr viel Stickstoff eingeht (daher die Nahrhaftigkeit dieser Gewächse), in Ansehung der Respiration mit den Tieren insofern übereinkommen, als sie die reinste Luft verderben und irrespirable Luft aushauchen (s. v. Humboldts Aphorismen usw., S. 107. Dess. Flora Friberg, S. 174 und über die gereizte Nerven- und Muskelfaser, S. 176 ff.).
Durch Schwefel- und Salpetersäure, scheint es, können beide in eine ähnliche Substanz wie die tierische Materie verwandelt werden (a. a. O. S. 177.)
4. Da die Quelle alles Nahrungsstoffes im Blut liegt, da jedes Organ eine eigentümliche Mischung hat und aus jener allgemeinen Quelle nur das an sich zieht, was diese Mischung zu erhalten fähig ist, so muß angenommen werden, daß das Blut in seinem Kreislauf durch den Körper kontinuierlich seine Mischung verändere, womit auch die Erfahrung übereinstimmt, da das Blut aus keinem Organ ohne sichtbare Veränderung heraustritt. Allein da der Grund dieser Veränderung im Organ zu suchen ist, so muß man auch voraussetzen, daß im Organ eine Ursache wirke, die es fähig macht, das durchströmende Blut auf bestimmte Art zu entmischen, und so zugleich sich selbst auf bestimmte Art zu regenerieren. Diese Ursache nun kann nicht wieder in den negativen Lebensprinzipien, nicht in einem Prinzip, das durch den Lebensprozeß selbst erst erzeugt oder zersetzt wird, also abermals nur in einem höheren Prinzip gesucht werden, das außerhalb der Sphäre des Lebensprozesses selbst liegt, und nur insofern die erste und absolute Ursache des Lebens ist.
Anmerk. Hier stehen wir also wieder an den Grenzen, über die wir mit der toten Chemie nicht hinaus können. – Welcher Physiologe von Anbeginn an ist stumpfsinnig genug gewesen, nicht einzusehen, daß der Assimilations- und Nutritionsprozeß im tierischen Körper auf chemische Art geschehe? Die unbeantwortete Frage war nur die: durch welche Ursache jener chemische Prozeß unterhalten, und durch welche Ursache er immerfort so ins Unendliche individualisiert werde, daß aus ihm die kontinuierliche Reproduktion aller einzelnen Teile (in beständig gleicher Mischung und Form) erfolgen könne. Jetzt treiben einige ein leeres Spiel mit ihnen selbst unverständlichen Worten: tierische Wahlanziehung, tierische Kristallisation usw., ein Spiel, das nur deswegen neu scheint, weil ältere Physiologen sich scheuten, Naturwirkungen, von denen niemand zweifelt, daß sie geschehen, deren Ursache aber ihnen (sowie diesen neueren Physiologen) unbekannt war, als letzte Ursachen aufzustellen.
5. Wie wollen etwa jene Physiologen die Impetuosität der Naturtriebe erklären, die, wenn sie nicht befriedigt werden, den Menschen zu den rasendsten Handlungen und zum Wüten gegen sich selbst fortreißen? Haben sie Ugolinos und seiner Söhne Hungertod bei den Dichtern gelesen? – Oder wie wollen sie die schreckliche Kraft erklären, mit der die Natur, wenn etwa ein verborgenes Gift die erste Quelle des Lebens anzugreifen droht, diesen widerstrebenden Stoff den eigentümlichen Gesetzen der tierischen Organisation zu unterwerfen arbeitet? Viele Gifte dieser Art scheinen auf die tierischen Stoffe assimilierend zu wirken. Nach Gesetzen der toten Chemie müßte ein gemeinschaftliches Produkt aus beiden entstehen, mit welchem vielleicht das Leben nicht bestehen könnte, aber gegen welches tote Kräfte nicht mit Gewalt ankämpfen würden. Was tut hier die Natur? – Sie setzt alle Instrumente des Lebens in Bewegung, um die Assimilationskraft des Gifts zu unterdrücken und unter die assimilierenden Kräfte des Körpers zu zwingen. Nicht Wirkung des Giftes, sondern eine dem lebenden Körper eigne Kraft ist es, was diesen Kampf veranlaßt, der oft mit dem Tode, oft mit der Genesung endet. Es ist hieraus (so scheint mir) klar genug, daß die toten chemischen Kräfte, die im Assimilationsprozeß wirken, selbst eine höhere Ursache voraussetzen, von der sie regiert und in Bewegung gesetzt werden.
Überhaupt scheint es mir, daß die meisten Naturforscher bis jetzt noch den wahren Sinn des Problems vom Ursprung organisierter Körper verfehlt haben.
Wenn ein Teil derselben eine besondere Lebenskraft annimmt, die als eine magische Gewalt alle Wirkungen der Naturgesetze im belebten Wesen aufhebt, so heben sie eben damit alle Möglichkeit die Organisation physikalisch zu erklären a priori auf.
Wenn dagegen andere den Ursprung aller Organisation aus toten chemischen Kräften erklären, so heben sie eben damit alle Freiheit der Natur im Bilden und Organisieren auf. Beides aber soll vereinigt werden.
1. Die Natur soll in ihrer blinden Gesetzmäßigkeit frei: und umgekehrt in ihrer vollen Freiheit gesetzmäßig sein, in dieser Vereinigung allein liegt der Begriff der Organisation.
Die Natur soll weder schlechthin gesetzlos handeln (wie die Verteidiger der Lebenskraft, wenn sie konsequent sind, behaupten müssen), noch schlechthin gesetzmäßig (wie die chemischen Physiologen behaupten), sondern sie soll in ihrer Gesetzmäßigkeit gesetzlos, und in ihrer Gesetzlosigkeit gesetzmäßig sein.
Das aufzulösende Problem also ist dieses: wie die Natur in ihrer blinden Gesetzmäßigkeit einen Schein der Freiheit behaupten, und umgekehrt, indem sie frei zu wirken scheint, doch nur einer blinden Gesetzmäßigkeit gehorchen könne.
Für diese Vereinigung von Freiheit und Gesetzmäßigkeit haben wir nun keinen andern Begriff, als den Begriff Trieb. Anstatt also zu sagen, daß die Natur in ihren Bildungen zugleich gesetzmäßig und frei handle, können wir sagen, in der organischen Materie wirke ein ursprünglicher Bildungstrieb, kraft dessen sie eine bestimmte Gestalt annehme, erhalte und immerfort wiederherstelle.
2. Allein der Bildungstrieb ist nur ein Ausdruck jener ursprünglichen Vereinigung von Freiheit und Gesetzmäßigkeit in allen Naturbildungen, nicht aber ein Erklärungsgrund dieser Vereinigung selbst. Auf dem Boden der Naturwissenschaft (als Erklärungsgrund) ist er ein völlig fremder Begriff, der keiner Konstruktion fähig, wenn er konstitutive Bedeutung haben soll, nichts anderes als ein Schlagbaum für die forschende Vernunft, oder das Polster einer dunklen Qualität ist, um die Vernunft darauf zur Ruhe zu bringen.
Dieser Begriff setzt organische Materie schon voraus, denn jener Trieb soll und kann nur in der organischen Materie wirksam sein. Dieses Prinzip kann also nicht eine Ursache der Organisation anzeigen, vielmehr setzt dieser Begriff des Bildungstriebs selbst eine höhere Ursache der Organisation voraus; indem man diesen Begriff aufstellt, postuliert man auch eine solche Ursache, weil dieser Trieb ohne organische Materie, und diese ohne eine Ursache aller Organisation selbst nicht denkbar ist.
Weit entfernt also der Freiheit der Naturforschung Eintrag tun zu wollen, muß dieser Begriff sie vielmehr erweitern, weil er aussagt, daß der letzte Grund der Organisation, worauf man in der organischen Materie selbst kommt, organische Materie schon voraussetzt, also nicht die erste Ursache der Organisation sein kann, die eben deswegen, wenn sie aufgesucht werden soll, nur außer ihr aufgesucht werden kann.
Wenn der Bildungstrieb die organische Materie ins Unendliche fort schon voraussetzt, so sagt er als Prinzip nichts anderes, als, daß wenn man die erste Ursache der Organisation in der organisierten Materie selbst suchen wollte, diese Ursache in der Unendlichkeit liegen müßte. Eine Ursache aber, die in der Unendlichkeit liegt, ist soviel als eine Ursache, die nirgends liegt, sowie, wenn man sagt, der Punkt, wo zwei Parallellinien zusammentreffen, liege in der Unendlichkeit, dies ebensoviel heißt, als liege er nirgends. Also liegt in dem Begriffe des Bildungstriebs der Satz: daß die erste Ursache der Organisation in der organisierten Materie selbst ins Unendliche fort, d. h. überhaupt nicht zu finden sei, daß also eine solche Ursache, wenn sie gefunden werden solle (worauf die Naturwissenschaft nimmermehr Verzicht tut), außerhalb der organisierten Materie gesucht werden müsse, und so kann der Bildungstrieb in der Naturwissenschaft nie als Erklärungsgrund, sondern nur als Erinnerung an die Naturforscher dienen, eine erste Ursache der Organisation nicht in der organisierten Materie selbst (etwa in ihren toten, bildenden Kräften), sondern außer ihr aufzusuchen.
Anmerk. Daß der Urheber dieses Begriffs selbst dieses dabei gedacht, bin ich weit entfernt zu behaupten, genug wenn aus seinem Begriffe folgt, was ich daraus abgeleitet habe. – Dieser Begriff, an die Stelle der Evolutionstheorie gesetzt, hat zuerst den Weg möglicher Erklärung, (den jene Theorie zum voraus abschnitt) geöffnet. Denn daß er diesen Weg aufs neue versperren und selbst als erster Erklärungsgrund habe dienen sollen, kann ich nicht glauben, obgleich manche (denen ein solcher Erklärungsgrund ganz bequem dünkt) es zu glauben scheinen. Diesen ist der Bildungstrieb letzte Ursache des Wachstums, der Reproduktion usw.; wenn aber jemand über diesen Begriff hinausgeht und fragt, durch welche Ursache denn der Bildungstrieb in der organisierten Materie selbst kontinuierlich unterhalten werde, so bekennen sie ihre Unwissenheit und verlangen, daß man mit ihnen unwissend bleibe. – Einige wollen sogar gefunden haben, daß selbst Kant in der Kritik der Urteilskraft einer solchen Bequemlichkeit der Erklärung Vorschub tue. Auf die Versicherungen übrigens, daß es unmöglich sei, über den Bildungsgrad hinauszugehen, antwortet man am besten dadurch, daß man darüber hinausgeht.
3. Ich bin vollkommen überzeugt, daß es möglich ist, die organisierenden Naturprozesse auch aus Naturprinzipien zu erklären. Die Bildung des tierischen Stoffs würde ohne Einfluß eines äußeren Prinzips nach toten chemischen Kräften geschehen, und bald einen Stillstand des Naturprozesses herbeiführen, wenn nicht ein äußeres, dem chemischen Prozeß nicht unterworfenes Prinzip kontinuierlich auf die tierische Materie einwirkte, den Naturprozeß immer neu anfachte, und die Bildung des tierischen Stoffs nach toten chemischen Gesetzen kontinuierlich störte; nun aber, wenn ein solches Prinzip vorausgesetzt wird, können wir erstens die blinde Gesetzmäßigkeit der Natur in allen Bildungen aus den dabei mitwirkenden chemischen Kräften der Materie, die Freiheit in diesen Bildungen aber oder das Zufällige in ihnen aus der in bezug auf den chemischen Prozeß selbst zufälligen Störung der eigentümlichen Bildungskräfte des tierischen Stoffs durch ein äußeres, vom chemischen Prozeß selbst unabhängiges Prinzip, wie mir scheint, vollkommen erklären.
4. Wäre der Bildungstrieb absoluter Grund der Assimilation des Wachstums, der Reproduktion usw., so müßte es unmöglich sein ihn weiter zu analysieren; er ist aber ein synthetischer Begriff, der, wie alle Begriffe dieser Art, zwei Faktoren hat, einen positiven (das Naturprinzip, durch welches die tote Kristallisation der tierischen Materie kontinuierlich gestört wird), und einen negativen (die chemischen Kräfte der tierischen Materie). Aus diesen Faktoren allein ist der Bildungstrieb konstruierbar. – Wär' er aber ein absoluter Grund, der selbst keiner weitem Erklärung fähig wäre, so müßte er der organisierten Materie überhaupt, als solcher, beiwohnen, und in allen Organisationen sich mit gleicher Kraft äußern, so wie die Schwere als Grundeigenschaft allen Körpern gleich zukommt. Nun zeigt sich aber doch z.B. in Ansehung der Reproduktionskraft verschiedener Organisationen die größte Verschiedenheit, zum Beweis, daß dieser Trieb selbst von zufälligen Bedingungen abhängig (also nicht absoluter Grund) ist.
5. Das gleichförmige Wachstum des ganzen Körpers kann nicht erklärt werden, ohne jedem Organ eine eigentümliche (spezifische) Assimilationskraft zuzuschreiben; diese selbst aber ist abermals eine Qualitas occulta, wenn nicht eine erhaltende Ursache derselben außer der Organisation angenommen wird. Nun kann man als Gesetz aufstellen, daß ein Organ um so schwerer wieder erstattet wird, je mehr es spezifische Assimilationskraft hatte. Wäre der Bildungstrieb absoluter Grund der Reproduktion, so ließe sich kein Grund dieser verschiedenen Leichtigkeit angeben, mit der ein Organ vor dem andern wiederhergestellt wird. Wenn aber dieser Trieb einerseits von dem kontinuierlichen Einfluß eines positiven Naturprinzips auf die Organisation, andererseits von den chemischen Eigenschaften der organischen Materie abhängig ist, so sieht man ein, daß, je eigentümlicher und individueller die (chemische) Mischung und die Form eines Organs ist, desto schwieriger auch die Wiedererstattung sein muß. Daher verrät die Erstattungskraft nicht sowohl große Vollkommenheit als Unvollkommenheit einer Organisation. Wäre der Bildungstrieb absolut, so müßte die Reproduktion in allen ihren Formen allgemeine Eigenschaft organischer Teile sein, und in der angezeigten Form nicht nur die Eigenschaft solcher Organisationen, in welchen keine hervorstechende Individualität der Organe (der Qualität und Form nach) anzutreffen ist. Der letzte Periode lautet in der ersten Ausgabe: »Die Reproduktionskraft ist daher keine allgemeine Eigenschaft der organisierten Materie, wie man gewöhnlich annimmt, und wie man annehmen müßte, wenn der Bildungstrieb absolut (nicht von Bedingungen abhängig) wäre; sie ist nur die Eigenschaft solcher Organisationen, in welchen keine hervorstehende Individualität der Organe (der Qualität und Form nach) anzutreffen ist; sie äußert sich nur da, wo sie in der Beschaffenheit der Organisation selbst keinen Widerstand findet.«
Man betrachte den Körper der Polypen. Der ganze Körper dieser wegen ihrer unzerstörbaren Reproduktionskraft so berühmten Geschöpfe ist beinahe durchgängig homogen; hier sticht kein Organ vor dem andern hervor; hier ist keine prononzierte Gestalt; der ganze Polyp scheint ein Klumpen zusammengeronnener Gallerte zu sein; seine ganze Textur besteht bloß aus gallertigen Körnchen, die durch eine zartere gemeinschaftliche, abermals gallertige Grundlage zusammengehalten werden (s. Blumenbach über den Bildungstrieb S. 88). Eben diese Polypen, wenn sie einen Teil des Körpers (denn kaum kann man bei ihnen von Organ reden) wiedererstatten, nehmen den Stoff dazu aus der Materie ihres ganzen übrigen Körpers, zum Beweis, daß ihre Reproduktionsfähigkeit von der Homogeneität der Materie abhängt, aus welcher ihr ganzer Körper besteht. »Man kann dabei sehr deutlich bemerken, daß die neuergänzten Polypen bei allem reichlichen Futter doch weit kleiner sind als vorher, und ein verstümmelter Rumpf, sowie er die verlorenen Teile wieder hervortreibt, auch in gleichem Maße einzukriechen und kürzer und dünner zu werden scheint« ( Blumenbach S. 29).
Welche hervorstechende Individualität der Organe dagegen bei all denen Organisationen, die verlorene Glieder nicht wiederersetzen! Und nimmt nicht auffallend die Fähigkeit der Wiederergänzung ab, wie die Individualität der Organe (und also auch die Heterogeneität ihrer Mischung und daraus resultierende Verschiedenheit ihrer Gestalt) ins Unendliche zunimmt? Ja sehen wir nicht, wie in einer und derselben Organisation die Stärke der Reproduktionskraft abnimmt, wie die Individualität und Festigkeit der Organe allmählich zunimmt? Daß (nach Blumenbach) die Stärke des Bildungstriebs im umgekehrten Verhältnis mit dem Alter abnimmt, läßt sich nicht anders erklären, als weil mit dem Alter zugleich jedes Organ immer mehr individualisiert wird; denn erfolgt nicht der Tod vor Alter allein wegen der zunehmenden Starrheit der Organe, welche die Kontinuität der Lebensfunktionen unterbricht, und indem sie das Leben vereinzelt, das Leben des Ganzen unmöglich macht? –
Sehen wir nicht endlich, daß die Organe, denen wir wegen der Wichtigkeit ihrer Funktionen auch die vollkommenste und unzerstörbarste Individualität zuschreiben müssen, wie das Gehirn, von der Natur bei der ersten Formation schon am bestimmtesten vor allen andern ausgezeichnet werden, und daß eben diese Organe am wenigsten der Wiedererstattung fähig sind? Nach Haller bemerkt man, sobald man etwas am Embryo unterscheiden kann, daß der Kopf und vorzüglich die zerebrösen Teile desselben verhältnismäßig am größten, der Körper und die einzelnen Glieder klein sind. Am Gehirn bemerkt man endlich die konstanteste Bildung, an allen andern weniger individualisierten Teilen weit häufigere und auffallendere Varietäten. (Vergl. Blumenbach S. 107.) Aus all diesem nun ist (so scheint mir) klar, daß die Reproduktionskraft überhaupt nicht eine absolute, sondern eine von veränderlichen Bedingungen abhängige Kraft sei, also ohne Zweifel selbst ein materielles Prinzip als ihre erste Ursache voraussetze.
Sehen wir nicht offenbar, daß alle Operationen der Natur in der organischen Welt ein beständiges Individualisieren der Materie sind? – Die gewöhnlich vorgegebene allmähliche Veredlung und Läuterung der Nahrungssäfte in den Pflanzen ist nicht anderes als ein solches fortschreitendes Individualisieren. Je reichlichere und rohere Säfte der Pflanze zuströmen, desto üppiger und ausgebreiteter ist ihr Wachstum; dieses Wachstum ist nicht Zweck der Natur, es ist nur Mittel, um die höheren Entwicklungen vorzubereiten.
1. Sobald der Samen sich entwickelt, sehen wir erst die Pflanze in Blätter und Stengel sich ausbreiten, und je reichere Nahrungssäfte ihr zugeführt werden, desto länger kann man sie bei diesem Wachstum erhalten, und den Gang der Natur, welche auf das endliche Individualisieren aller Nahrungssäfte, wenn sie nicht gestört wird, unaufhaltsam hinarbeitet, hemmen. Wenn erst die Säfte hinlänglich verbreitet sind, so sehen wir die Pflanze im Kelch sich zusammenziehen, darauf sich in den Blumenblättern wieder ausbreiten. Endlich erreicht die Natur die größte Individualisierung, welche in Einem Pflanzenindividuum möglich ist, durch die Bildung entgegengesetzter Geschlechtsteile. Denn mit der letzten Stufe, welche die Natur abermals durch einen Wechsel von Ausdehnung und Zusammenziehung endlich in der Frucht und dem Samen erreicht, ist schon der Grund eines neuen Individuums gelegt, an welchem die Natur ihr Werk von vorne wiederholt. »So vollendet sie in kontinuierlichem Wechsel von Ausdehnung und Zusammenziehung das ewige Werk der Fortpflanzung durch zwei Geschlechter« (J. W. v. Goethes Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. 1790).
2. Es kann also als Gesetz aufgestellt werden, daß das letzte Ziel der Natur in jeder Organisation das allmähliche Individualisieren ist (was in diesem fortschreitenden Individualisieren gleichsam beiläufig entsteht, ist in bezug auf diesen Zweck der Natur schlechthin zufällig); denn sobald in einer Organisation die höchste Individualisierung erreicht ist, muß sie nach einem notwendigen Gesetz ihre Existenz einem neuen Individuum übertragen, und umgekehrt, die Natur läßt es in der Pflanze nicht zur Fortpflanzung kommen, ehe sie in ihr die höchste Individualisierung erreicht hat. Daher ist das allmählich fortschreitende Wachstum, da die sprossende Pflanze von Knoten zu Knoten, von Blatt zu Blatt sich fortsetzt, nichts anderes als das Phänomen der allmählichen Individualisierung, und insofern eine und dieselbe Naturoperation mit der Fortpflanzung selbst. (Vergl. Goethe § 113.)
3. Hier sehen wir also die Kontinuität des Zusammenhangs zwischen Wachstum und Fortpflanzung aller Organisationen. Da wir in der Entwicklung belebter Organisationen eben dieselbe Ordnung der Natur erkennen (denn die Ausbildung der Geschlechtsteile und der Zeugungskraft ist der Zeitpunkt des stillstehenden Wachstums; die Tiere, die mit Pflanzen am meisten Ähnlichkeit haben, z.B. die Insekten, die wie die Pflanzen erst durch Metamorphosen ihre Zeugungsteile erhalten, sterben ab, wie die Blume, sobald das Zeugungsgeschäft vollbracht ist): so müssen wir es als allgemeines Naturgesetz ansehen, daß das Wachstum aller Organisationen nur ein fortschreitendes Individualisieren ist, dessen Gipfel in der ausgebildeten Zeugungskraft entgegengesetzter Geschlechter erreicht wird.
4. Es ist eine und dieselbe Entwicklung, wodurch beide Geschlechter entspringen: dies ist bei den Pflanzen in die Augen fallend. Die Trennung in zwei Geschlechter geschieht nur auf verschiedenen Stufen der Entwicklung. Je höher die Individualität ist, zu der der Keim der künftigen Pflanze hinaufgebildet ist, desto früher trennen sich die Geschlechter (an zwei Stämme verteilt). Bei andern wird der Grad der Individualisierung, bei welchem entgegengesetzte Geschlechter entstehen, später erreicht, doch noch ehe der Kelch zur Blume sich entfaltet; die beiden Geschlechter sind dann auf verschiedenen Blumen, doch in Einem Individuum vereinigt. Endlich auf der letzten (obersten) Stufe ist die Trennung der Geschlechter mit der Entfaltung der Blume gleichzeitig, und bestätigt der einfache Entwicklungsgang jeder Pflanze, daß Wachstum und Fortpflanzung beide nur die Phänomene eines unaufhaltsamen Naturtriebs sind, die Organisation ins Unendliche zu individualsieren, womit die allgemeine Beobachtung übereinstimmt, daß in denjenigen Organisationen, die die hervorstechendste Individualität haben, das Geschlecht am spätesten ausgebildet wird, und umgekehrt, daß die frühere Ausbildung des Geschlechts auf Kosten der Individualität geschieht.
5. Wenn wir nun auf die Ursachen dieser allmählichen Entwicklung seilen, so ist klar, daß z.B. die Pflanze auf jeder höheren Stufe der Entwicklung sich auf einem höheren Grade der Reduktion (oder Desoxydation) befindet, den sie endlich mit der Ausbildung der Frucht gleichzeitig erreicht. Vorerst breitet sich die werdende Pflanze in Blätter aus, das erste Triebwerk der Ausbauchung, denn durch die Blätter allein eigentlich verdünstet die Lebensluft; das Produkt der Reduktion offenbart sich auf der ersten Stufe an der Blume (die ihre Farbe dem Sauerstoff verdankt, und indem sie kontinuierlich verderbliche Luft aushaucht, verrät, daß sie jenen belebenden Stoff in sich zurückhält), endlich auf der höchsten Stufe in der Frucht, welche, nachdem sie alle Nahrungssäfte aus der Pflanze angezogen, die Pflanze selbst völlig desoxydiert zurückläßt.
Anmerk. Die Knospe schon, sobald sie gebildet ist, kann als ein von der Mutterpflanze ganz und gar verschiedenes und für sich bestehendes Individuum angesehen werden, wie Darwin in seiner Zoonomie (übersetzt von Brandis, S. 182) sehr schön bewiesen hat. So viel Knospen auf dem Bäume, so viel neue Individuen. – Daß übrigens die Natur erst mit der Knospe die erste Stufe der Individualität erreicht, erhellt aus den Phänomenen der Inokulation, da die Beschaffenheit des Stamms für die Bildung der Frucht ganz gleichgültig erscheint. Die verschiedene Beschaffenheit der Frucht ist ganz und gar von dem verschiedenen Grad des Reduktionsprozesses, der ihrer Bildung voranging, abhängig, was man z.B. daraus sieht, daß durch Zusatz von Sauerstoff eine vegetabilische Säure in die andere verwandelt wird. – Die Pflanzen selbst unterscheiden sich nur durch den verschiedenen Grad der Reduktion des Nahrungswassers in ihnen. Man muß bemerken, daß es unendliche Grade der Desoxydation gibt und daß kein Grad der äußerste ist. Die verbrennlichsten dunkelfarbigen Gewächse sind, wie die Tiere von dunklerer Farbe, den heißen Klimaten eigen; die aromatischen Gewächse, welche in unserm Himmelsstrich gedeihen, lieben die Hitze des sandigen Erdreichs. Der Ölbaum wächst am besten auf trockenem und steinigem Boden, die edelste Rebe auf felsigem Grund, zum Beweis, daß die Veredlung der Pflanzensäfte allein vom Grade des Reduktionsprozesses in der Pflanze abhängt.
6. Die Trennung in zwei Geschlechter ist in der Natur ebenso notwendig als das Wachstum, denn sie ist nur der letzte Schritt zur Individualisierung; da ein und dasselbe bisher homogene Prinzip in zwei entgegengesetzte Prinzipien auseinander geht. Wir können uns nicht erwehren, auch die Trennung in zwei Geschlechter nach den allgemeinen Grundsätzen des Dualismus zu erklären. Wo die Natur das Extrem der Heterogeneität (des gestörten Gleichgewichts) erreicht hat, kehrt sie nach einem notwendigen Gesetze zur Homogeneität (zur Wiederherstellung des Gleichgewichts) zurück. Nachdem die Prinzipien des Lebens in einzelnen Wesen bis zur Entgegensetzung individualisiert sind, eilt die Natur durch Vereinigung beider Geschlechter die Homogeneität wiederherzustellen. – Das Gesetz, nach welchem der Staubbeutel der Blume sich der weiblichen Narbe nähert und nach vollbrachter Befruchtung von ihr zurückgestoßen wird, ist nur eine Modifikation des allgemeinen Naturgesetzes, nach welchem auch entgegengesetzt-elektrische Körperchen erst sich anziehen, und nachdem sie homogene Elektrizitäten ineinander erweckt haben, sich fliehen. Selbst das Insekt, das von der einsamen männlichen Blüte den befruchtenden Staub zur weiblichen trägt, folgt hierbei nur einem notwendigen Trieb, der es von der einen zur andern führt. Wenn wir auch die Prinzipien, die in entgegengesetzten Geschlechtern sich trennen, nicht materiell angeben können, oder wenn selbst unsere Einbildungskraft dieser ins Unendliche gehenden Individualisierung der Prinzipien nicht zu folgen vermag, so liegt doch ein solcher Dualismus in den ersten Prinzipien der Naturphilosophie; denn daß nur Wesen, welche zu Einer physischen Gattung gehören, miteinander fruchtbar sind, und umgekehrt, welcher Grundsatz das oberste Prinzip aller Naturgeschichte ist (s. Girtanner über das Kantische Prinzip der Naturgeschichte, S. 4 ff.) folgt nur aus dem allgemeinen Grundsatz des Dualismus (der in der organischen wie in der anorgischen Natur sich bestätigt), daß nur zwischen Prinzipien Einer Art reelle Entgegensetzung ist. Wo keine Einheit der Art ist, ist auch keine reelle Entgegensetzung, und wo keine reelle Entgegensetzung ist, keine zeugende Kraft. Da übrigens die Natur in der organischen Welt keine Neutralisierung duldet, so wird durch Vereinigung entgegengesetzter Prinzipien ihr individualisierender Trieb rege; indem sie das Verhältnis beider Prinzipien stört (durch welche Mittel es nun geschehe), entsteht ihr »– zufällig und unter der Hand gleichsam (so muß es dem Begriff der Organisation nach sein).« Zusatz der ersten Auflage. ein neues Individuum; welches Prinzip in dieser Operation das Übergewicht erlange, erscheint uns als zufällig, als notwendig aber, daß das Übergewicht eines Prinzips über das andere sich durch eine verschiedene Bildung verrate, welches ohne Zweifel ebenso natürlich ist, als daß auf dem mit Bernsteinpulver bestreuten Harzkuchen andere Figuren mit positiver, andere mit negativer Elektrizität gezeichnet werden.
Jede Bildung in der organischen wie in der anorgischen Natur geschieht durch einen Übergang der Materie aus flüssigem in festen Zustand. Dieser Übergang heißt vorzugsweise bei tierischen Flüssigkeiten – Gerinnung. Es ist merkwürdig, daß im Blut (der unmittelbaren Quelle aller Nahrungssäfte) schon gleichsam der Dualismus der Hauptorgane des tierischen Körpers erkennbar ist. Das Blut, sobald es aus den Gefäßen geflossen ist, trennt sich freiwillig in zwei verschiedene Bestandteile, den Blutkuchen und das Blutwasser. Es scheint ausgemacht, daß der erstere die Bestandteile des Muskelfleisches enthält. Die Meinung, als ob das Blut außer dem Körper durch Verlust der Wärme gerinne, ist schon von Hewson und später von Parmentier und Deyeux widerlegt worden. (Man s. in Reils Archiv für die Physiologie Band 1 Heft 2, ihre Abhandlung über das Blut, S. 125.) Die letztgenannten Schriftsteller behaupten, daß die Entweichung eines eigentümlichen Lebensprinzips die Ursache der Gerinnung sei.
Die gewisseste Ursache der Gerinnung ist wohl das Oxygene. Denn es ist allgemein bekannt, daß alle tierischen Flüssigkeiten, z.B. die Milch, mit Säuren behandelt gerinnen; die Butter sondert sich von der Milch nur durch Wirkung des atmosphärischen Oxygenes ab. Der Nasenschleim erlangt durch Einfluß des in der Luft konzentrierten Oxygenes Festigkeit, und ist so die Ursache des Schnupfens, den man auch durch Einatmen der Dämpfe von oxygenierter Salzsäure künstlich hervorbringen kann. (S. eine Abhandlung von Fourcroy und Vauquelin a. a. O. drittes Heft, S. 48 ff.) Auch die Tränen gerinnen durch Behandlung mit oxygenierter Salzsäure, durch Behandlung mit Alkalien werden sie flüssiger. Mit der Gerinnung ist immer zugleich die Scheidung des Blutkuchens vom Blutwasser verbunden. Es scheint, daß durch Berührung des Oxygenes das Neutralitätsverhältnis dieser beiden Substanzen im Blut aufgehoben wird, und daß nun die Gerinnung des roten und fadenartigen Teils erfolgt. Denn so viel ist ausgemacht, daß alle, vorzüglich Mineralsäuren, die Gerinnung des Bluts befördern. Dagegen wird das Blut durch Berührung sauerstoffleerer Medien, z.B. von Hydrogenegas, flüssiger und weniger gerinnbar (Hamilton annales de chimie T. V.).
Das Merkwürdigste aber ist, daß Neutralsalze die Gerinnung des Bluts völlig verhindern, so daß es alsdann durch kein Mittel weiter zum Gerinnen zu bringen ist. Aus dieser Tatsache erhellt, daß der Gerinnung des Bluts eine Scheidung der beiden Bestandteile (des Blutkuchens und des Blutwassers) vorangehen muß. Das letztere enthält reines, freies Alkali, denn es färbt den Veilchensirup grün ( Reils Archiv a. a. O. S. III). Daraus erhellt meines Erachtens, daß im Blut des lebenden Körpers Sauerstoff und Alkali sich das Gleichgewicht halten, und daß jedes Gerinnen oder Anschießen zu festen Teilen mit einer Störung dieses Gleichgewichts verbunden ist. – Ich betrachte diese Idee als die erste Grundlage einer Theorie des Nutritionsprozesses. Wenn der rote Teil des Bluts die Elemente der Muskeln enthält, so ist wahrscheinlich jedes Anschießen fester Teile im Muskel mit Entwicklung von Sauerstoff verbunden, wodurch die erste Anlage zur Irritabilität gemacht wird. Die Grundlage aller weißen Organe des tierischen Körpers, also vorzüglich der Nerven, ist Gallerte. Der fadenartige Teil des Bluts nun enthält nach Parmentier, Deyuex, Fourcroy (a. a. O. S. 116) keine Gallerte. Die Elemente der Nervenfieber müssen also in einem andern Teil des Bluts, im sogenannten Blutwasser enthalten sein. So ist es auch, die Gallerte ist allein dem Blutwasser eigentümlich. In demselben ist sie mit Alkali verbunden, und verliert durch sich als Gallerte zu zeigen. »Wo sie also als Gallerte sich zeigt (in der Nervenfiber), muß Alkali frei werden.« Zusatz der ersten Auflage. Die Entmischung des Bluts in entgegengesetzte Bestandteile, die kontinuierliche Zusammenziehung und damit verbundene des Lebens (der Muskeln und Nerven) ist sonach ohne Zweifel ein und derselbe Prozeß. »Wer sich an die von Humboldt entdeckte Wirkung der Säuren und Alkalien auf Muskeln und Nerven bei den galvanischen Versuchen erinnert, wird diese Vermutung vielleicht nicht ganz uninteressant finden.« Zusatz d. ersten Aufl.
Da (dem Bisherigen zufolge) in jeder Organisation der Lebensprozeß einen Ansatz toter Masse, als Caput mortuum, zurückläßt, so kann die Natur dem Lebensprozeß nicht Permanenz geben, als insofern sie ihn immer von vorne wiederholt, d.h. durch stete Zersetzung und Wiederersetzung der Materie. Es mußte also in jedem belebten Körper ein steter Wechsel der Materie unterhalten werden, wenn auch nicht die tote Masse an sich schon einer beständigen Zersetzbarkeit unterworfen wäre, da sie sich in einem gezwungenen Zustand befindet, den sie, wenigstens sobald das Leben erloschen ist, freiwillig verläßt. Es gehört also zur Möglichkeit des Lebens eine stete Aufeinanderfolge zersetzender und wiederersetzender Prozesse, worin die tierische Materie doch nicht den blinden Gesetzen der chemischen Verwandtschaft allein, sondern dem Einfluß der positiven Ursache des Lebens gehorcht, die es im lebenden Körper nicht zur totalen Auflösung kommen läßt. Daß aber auch aus Erfahrungsgründen ein solcher kontinuierlicher Wechsel der tierischen Materie angenommen werden muß, ist in dem Versuch über die Lebenskraft von Brandis evident erwiesen.
Nun ist ohne Zweifel mit jedem Anschießen fester Teile (welches durch Gerinnung geschieht) Entwicklung von Oxygene verbunden, mit dem das Blut durch die Respiration versehen wird. Wo nun auch dieses aus dem Blut entwickelte Oxygene hinkomme, so müßten die Organe, welche es durchdringt, endlich damit überladen (suroxydés) werden, und das Anschießen fester Teile, d.h. der Ernährungsprozeß müßte endlich ganz stillstehen, wenn nicht durch einen umgekehrten Prozeß das Oxygene wieder ausgeführt und die Kapazität der Organe wiederhergestellt würde. Also können wir a priori beweisen, daß dem Oxydationsprozeß, welcher im tierischen Körper beständig im Gange ist, ein beständiger Desoxydationsprozeß entgegengesetzt sein müsse, wodurch wir endlich auf eine höhere Bestimmung des Begriffs von Leben kommen, welches diesem nach in einer Aufeinanderfolge einzelner Prozesse besteht, deren jeder der umgekehrte oder negative des vorhergehenden ist.
Es fragt sich jetzt nur, ob sich wirklich ein solcher beständiger Desoxydationsprozeß im lebenden Körper a posteriori auffinden läßt?
Die Erfahrung scheint freiwillig uns entgegenzukommen. Man hat schon lange davon geredet, und man kann es als ausgemacht ansehen, daß das Oxygene bei der Irritabilität eine bedeutende Rolle spielt. Man wußte nur nicht anzugeben, wie das Oxygene dabei wirksam sei. Nach unsrer Vorstellungsart hat es dabei eine bloß sekundäre Rolle. Jede Zusammenziehung ist eine Desoxydation; wir können uns vorerst vorstellen, daß durch jede Desoxydation das Volum des Organs, in welchem sie vorgeht, vermindert werde, um zu begreifen, wie ein solcher Prozeß eine Zusammenziehung bewirken könne.
Es soll in alle Funktionen des Lebens Kontinuität gebracht werden, eine Funktion soll in die andere eingreifen, eine die andere kontinuierlich reproduzieren. – Wie das Gehen ein beständig verhindertes Fallen, so das Leben ein beständig verhindertes Erlöschen des Lebensprozesses. Die tierischen Funktionen müssen in bezug aufeinander wechselseitig positiv und negativ sein. So ist uns Irritabilität vorerst nichts anderes als der negative Nutritionsprozeß. Nur insofern die Irritabilität der umgekehrte Prozeß der Nutrition ist, ist sie im System des animalischen Lebens notwendig, und als solche konnten wir sie a priori ableiten. Unmittelbare Beweise für unsere Behauptung aber sind folgende:
a) Je mehr Reizbarkeit in einem lebenden Wesen, desto mehr Bedürfnis der Nahrung. Ein Tier, das viele Bewegung hat, hat viel Appetit und bleibt dabei mager. Zugleich ist in ihm der Atem schneller, das Blut kehrt öfter zu den Lungen zurück, um sich mit dem Oxygene zu beladen, das es dem ganzen Körper mitteilt; in eben dem Verhältnis aber wird auch das Bedürfnis der Nahrung größer (man s. Brandis über die Lebenskraft § 16). Man sieht also, daß durch Irritabilität die Wirkung der Nutrition aufgehoben wird, und umgekehrt.
b) Die Muskeln selbst bilden sich erst allmählich durch viele Bewegung. Was als halbflüssige Lymphe um alle Organe ausgegossen ist, scheint durch häufige Übung der Muskeln (die regelmäßig mit Desoxydation verbunden ist), sich immer mehr in festes derbes Muskelfleisch zusammenziehen, wodurch der ausgearbeitete Körper und das prononzierte Muskelsystem entsteht, das wir zum Teil an den männlichen Figuren der Alten bewundern. Wo also viel Muskelbewegung ist, nährt sich der Muskel stärker, wie es unsern Prinzipien nach sein muß, wenn die Nutrition der umgekehrte Prozeß der Irritabilität ist.
c) Hinwiederum, wo wenig Muskelbewegung und Reizbarkeit ist, wird der Körper mit Oxygene überladen, ein Zustand, der sich durch das Fettwerden ankündigt. Jedermann weiß, daß Ruhe bei häufiger Nahrung fett macht, und daß gewöhnlich mit zunehmendem Fett die Reizbarkeit abnimmt. Das tierische Fett aber ist nichts anderes als eine Art von ölichter Materie, die sich an den Endungen der Schlagadern, so weit als möglich vom Mittelpunkt der Bewegung entfernt, durch einen beträchtlichen Zusatz von Sauerstoff zu Fett bildet (s. Fourcroys chemische Philosophie, übersetzt von Gehler, S. 156). Daß zur Bildung des Fetts der Sauerstoff verwendet werde, sieht man auch daraus, daß das Organ, welches bestimmt ist, das Fett aus dem Blute abzusondern, bei Neugeborenen, die durch willkürliche Bewegung keine Oxygene zersetzen konnten, unverhältnismäßig groß ist, und daß man dieselbe Beschaffenheit dieses Organs bei Tieren findet, die bei der Eingeschränktheit ihrer Respiration träg, empfindlich und fast leblos sind (s. Vauquelin über die Leber des Rochen in den Ann. de Chim. Vol. X. und in Reils Archiv Bd. I, Heft 3, S. 54). Es ist hier nicht der Ort, weiter auszuführen, welche Folgen aus dieser Vorstellungsart in Ansehung des Ursprungs mancher Krankheiten gezogen werden können; ich begnüge mich hier, bewiesen zu haben, daß die Irritabilität ursprünglich nichts anderes als der umgekehrte Prozeß der Nutrition ist.
Anmerk. Es erhellt aus dem Bisherigen, daß es falsch ist, wenn Girtanner ganz allgemein sagt: Was die Quantität des Oxygenes im Körper vermehrt, vermehrt die Irritabilität, da vielmehr umgekehrt, was die Irritabilität vermehrt, das Oxygene im Körper vermindert (mager macht), und was die Irritabilität vermindert, das Oxygene im Körper anhäuft (fett macht). Hätte Girtanner dies bemerkt, so hätte er auch weiter geschlossen, daß das Oxygene nicht einziger Grund, oder gar die erste Ursache der Irritabilität sein könne, da, anstatt daß die Irritabilität von der Quantität des Oxygenes im Körper abhängig ist, umgekehrt vielmehr die Quantität des Oxygenes im Körper von der Quantität der Irritabilität abhängt. Ich gestehe, daß mir die von Hrn. Girtanner angestellten Versuche nichts weniger als beweisend (für seine Hypothese) vorkommen; desto beweisender aber für einen Anteil des Oxygenes an dem Phänomen der Irritabilität ist die Menge von Tatsachen aus der gemeinen Erfahrung, die er in seiner Abhandlung gesammelt hat. Dieser Tatsachen sind wirklich (noch außer denen von Girtanner angeführten) so viele, daß man Mühe hat, eine Auswahl zu treffen.
Ich will hier nur an die außerordentlich schnelle und von auffallenden Symptomen begleitete Erschöpfung aller Muskelkräfte auf einer Höhe von 1400-1500 Toisen über der Meeresfläche erinnern. Eine solche hatte Bouguer schon auf den Cordilleren empfunden, sie aber für eine gewöhnliche Folge der Ermüdung gehalten; allein Saussüre (Voy. d. l. A. Vol. II, § 559) hat unwidersprechlich bewiesen, daß diese Erschöpfung ganz eigner Art – eine absolute Unmöglichkeit sich zu bewegen ist, die doch (wie das bei der Ermüdung nicht geschieht) durch kurze Ruhe auf einige Augenblicke wieder aufgehoben wird. Dieser Zustand ist wohl nicht allein, wie Saussüre meint, aus der Erschlaffung des Gefäßsystems – (womit sich die gleichzeitig eintretende Tätigkeit der Arterien, und der ungewöhnlich schnelle Blutumlauf ebensowenig als die schnelle Wiederherstellung der Muskelkraft durch kurze Ruhe verträgt) – oder aus dem verminderten Druck der äußern Luft, die den ausbreitenden Kräften des Körpers das Gleichgewicht nicht zu halten vermag, sondern weit eher aus dem Mangel des Sauerstoffs in jenen Höhen zu erklären, da die Luft daselbst nicht nur verdünnt, sondern auch durch das von stehendem Gewässer immer aufsteigende entzündliche Gas verdorben ist. (Man vergl. Volta Lettere sull' aria inflammabile nativa della palludi, Como 1777). Wirklich hat Saussüre durch eudiometrische, auf dem Gipfel der höchsten Alpen angestellte Versuche gefunden, daß auf ihnen die Luft bei weitem weniger rein ist als auf den mittleren Höhen.
Hier haben wir nun zuerst eine ganze bestimmte Aktion, die aus den negativen Lebensprinzipien nicht mehr erklärbar ist, nämlich eine Ursache, durch welche der umgekehrte Prozeß der Oxydation im lebenden Körper kontinuierlich unterhalten wird, und die also nicht im Oxygene oder irgend einem andern sekundären Prinzip gesucht werden kann. Hätte der Physiolog, der zuerst das Oxygene als Lebensprinzip nannte, die Frage sich aufgeworfen, wie das Oxygene Ursache der Irritabilität sein könne, so hätte ihn die Untersuchung von selbst auf die Entdeckung geführt, daß das Oxygene nur das negative Prinzip der Irritabilität sein könne, und also eine positive, höhere Ursache dieses Phänomens selbst voraussetze. – Indes kann weder die plebejische Art, wie einige Hasser des Neuen jene Hypothese angegriffen, noch der vornehme Ton, den einige andere, ohne daß sie etwas Besseres an ihre Stelle zu setzen wüßten, und während sie blind herumtappen, ob etwa der glückliche Zufall eines Versuchs ihnen die Wahrheit in die Hand spielen werde, gegen jene keck entworfene Hypothese angenommen haben, ihr den Ruhm rauben, wenigstens der erste Versuch einer Anreihung dieses Naturphänomens an chemische Verhältnisse gewesen zu sein.
Es ergeben sich nun aus unsern bisherigen Untersuchungen von selbst folgende Hauptsätze:
a) Der Begriff des Lebens (und also auch der Irritabilität) ist nur aus entgegengesetzten Prinzipien konstruierbar. Dieser Satz ist a priori gewiß (oben II. c). Hieraus folgt
aa) für jene Hypothese, daß allerdings ein eigentümliches negatives Prinzip der Irritabilität angenommen werden muß, wofür nun noch andere aus der Erfahrung hergenommene Gründe sprechen, welche Pfaff in seiner vortrefflichen Untersuchung über die Reizbarkeit (in der Schrift über tierische Elektrizität, S. 279 ff.) angeführt hat;
bb) gegen jene Hypothese, daß ein negatives Prinzip der Irritabilität allein nicht hinreicht, dieses Phänomen zu erklären.
b) Die Irritabilität ist im System des Lebens nur insofern notwendig, als sie in einem Desoxydationsprozeß besteht (ich bediene mich indes des kurzem Ausdrucks, ihn näher zu bestimmen wird tiefer unten der Ort sein); woraus denn abermals folgt
aa) für jene Hypothese, daß das Oxygene bei der Irritabilität allerdings eine Rolle spielt, wofür noch andere Gründe sprechen, die Pfaff a. a. O. angeführt hat, und die hauptsächlich folgende sind:
α die Menge von Blutgefäßen, die in den Muskeln sich verbreiten, und deren Stelle bei den Pflanzen die Luftgefäße vertreten;
β die Lähmung, welche im Muskel, wenn man seine Arterie unterbindet, ebensogut, als wenn man seine Nerven durchschneidet, erfolgt;
γ die Zerstörung der Reizbarkeit durch starke (allgemeine oder örtliche) Verblutung, sowohl als durch Einspritzen mephitischer Luftarten (vorzüglich solcher, die das Oxygene absorbieren, wie die Salpeterluft) ins Blut.
Dies alles beweist, daß in den Tieren durch das Blut (das in den Lungen die Luft berührt), in den Pflanzen durch die Luftgefäße ein Prinzip herbeigeführt werden muß, das zur Irritabilität notwendig ist, und das sonach kein anderes sein kann als das atmosphärische Oxygene.
Anmerk. Sonderbarer »Jede Stahlschere wird galvanisiert, wenn ihre Enden die entgegengesetzten Pole eines Magnets berühren.« Zusatz der ersten Auflage. hat leicht niemand diese Theorie bestritten, als der gelehrte Hr. Reil in Halle. »Wenn wir«, sagt er in seinem Archiv I. Bd., 3. Heft, S. 173, »irgend einen körperlichen Stoff als Prinzip der Kontraktilität annehmen, so sollte doch wohl derselbe die Erscheinungen, die man ihm zuschreibt, auch dann, wenn er für sich und abgesondert ist, in vollem Maße besitzen.- Allein wir finden in der Natur keinen Stoff, der für sich und abgesondert die Phänomene, die wir tierische Kontraktilität nennen, hervorbrächte. Der Sauerstoff hat für sich weder Irritabilität noch Kontraktilität« – welche Argumentation ohne Zweifel ebenso scharfsinnig ist, als wenn man dem Antiphlogistiker einwenden wollte: »Wenn wir irgend einen körperlichen Stoff als Prinzip des Verbrennens annehmen wollten, so sollte doch wohl derselbe die Erscheinungen der Brennbarkeit auch dann, wenn er für sich und abgesondert ist, besitzen. – Allein der Sauerstoff zeigt an sich und abgesondert die Eigenschaft der Brennbarkeit ganz und gar nicht, also kann er auch nicht Prinzip des Verbrennens sein«. – Diese Physiologen werden nicht müde zu wiederholen, daß alle Veränderungen im lebenden Körper von Mischungsveränderungen abhängen: gleichwohl wollen sie nicht, daß man diese Mischungsveränderungen bestimmt angebe, sondern daß man unter vagen und allgemeinen Begriffen, die sie aus der Chemie entlehnen, ohne sie erklären zu können, herumtappe, oder mit leertönenden Worten sich begnüge. Einigermaßen indes trifft jener Einwurf die voreiligen Erklärer, die das Oxygene als alleinige Ursache der Irritabilität (ohne das Wie dabei erklären zu können) angeben. Unsere Erklärungsart entgeht diesen Einwendungen.
bb) gegen jene Hypothese, daß das Oxygene bei der Irritabilität nur eine sekundäre Rolle spielt, da die Irritabilität ein desoxydierender Prozeß ist; daher die eigentliche Ursache (das positive Prinzip) der Irritabilität nicht Oxygene, sondern ein demselben gerade entgegengesetztes Prinzip sein muß.
*
Es war bisher einzig darum zu tun, zu beweisen, daß was man bis jetzt für Prinzip des Lebens ausgegeben, nur zu den negativen Bedingungen des Lebens gehöre. Wir haben durch eine vollständige Induktion gezeigt, daß die chemisch-physiologischen Vorstellungsarten immer noch das positive Prinzip und die eigentliche Ursache des Lebens unbestimmt lassen. Es liegt uns jetzt ob zu zeigen, daß mit der Annahme eines solchen Prinzips erst alle animalischen Prozesse vollständig erklärbar werden, und so können wir, indem wir das positive Prinzip des Lebens in seinen verschiedenen Funktionen betrachten, durch allmähliche Approximation dahin gelangen, zu bestimmen, welches seine Natur, und welches sein Ursprung sei?
Das Erste, was wir als Funktion des Lebensprinzips ansehen müssen, ist der rastlose Umtrieb, in welchem es die tierischen Flüssigkeiten erhält; denn das Flüssige hat die Natur als das eigentliche Element des Lebens jedem Lebendigen als das Innerste zugeteilt, wodurch der Körper, der als starr sonst überall nur Gefäß und Gerüste ist, eigentlich erst zum beseelten wird ( Baaders Beiträge zur Elementarphysiologie, S. 47). Nun sehen wir, daß, wo ein Teil des Körpers vor dem andern gereizt wird, eine Anschwellung, d.h. ein Zuströmen tierischer Flüssigkeiten stattfindet. Dies läßt sich nun nicht anders erklären, als wenn man annimmt, daß durch jeden Reiz im gereizten Organ eine vermehrte Kapazität für das negative Lebensprinzip, das dem Blut anhängt, entsteht (denn nur das Blut, das die Arterien führen, wird nicht durch mechanische oder hydrauliche Kunst fortgepreßt, dagegen hinter dem dunkelgefärbten Blut der Venen Klappen sich schließen, um seinen Rückfluß vom Herzen zu verhindern), ungefähr so, wie in einem System von Körpern, wenn das Gleichgewicht der Temperatur gestört wird, die Wärmematerie dem Körper zuströmt, dessen Kapazität vermehrt ist. Nur dadurch allein wird der lebende Körper zum System, d.h. zu einem in sich selbst beschlossenen Ganzen. – Der Umtrieb des Bluts würde diesemnach abhängen von einem beständigen Wechsel entgegengesetzter Prozesse, deren einer durch das positive Prinzip vermittelst der Nerven, der andere durch das Blut als Vehikel des negativen Prinzips unterhalten wird. Daß ein solcher Wechsel im lebenden Körper kontinuierlich stattfinde, und daß durch diesen Wechsel allein die Bewegung der animalischen Flüssigkeiten vollständig erklärt wird, werden uns bald noch andere Erfahrungen lehren.
Um nämlich begreifen zu können, wie aus der gemeinschaftlichen Quelle der Nahrung jedes Organ sich dasjenige zueigne, was seine Mischung und Form zu erhalten fähig ist, mußten wir annehmen, daß jedes Organ eine eigentümliche Fähigkeit habe, das Blut während seines Umlaufs auf bestimmte Art zu entmischen. Die Physiologen haben den Grund dieser spezifischen Assimilationskraft in einer spezifischen Reizbarkeit jedes Organs gesucht. Wir wollen uns an diesen Begriff halten, und nur suchen ihn auf natürliche Ursachen zurückzuführen, und so (da er bis jetzt eine wahrhafte Qualitas occulta ist) wo möglich verständlich zu machen.
A. Folgende Sätze werden vorausgesetzt:
1. Es muß außer dem lebenden Körper ein Prinzip angenommen werden, das die Kapazität der Organe für das negative Lebensprinzip beständig unterhält.
2. Jenes Prinzip aber wird nicht auf alle Organe gleich wirken, also auch nicht in allen gleiche Kapazität für das Oxygene hervorbringen; es wird jedem Organ eine spezifische Kapazität erteilen: diese spezifische Kapazität für das Oxygene ist nun das, was man spezifische Reizbarkeit nennen kann.
B. Es ist nun weiter nicht schwer einzusehen, wie von der spezifischen Kapazität eines Organs für das Oxygene seine spezifische Assimilationskraft abhängig sein könne. Denn
a) dieses Prinzip allein gibt allen tierischen Flüssigkeiten Konsistenz (Festigkeit). Mit jedem oxydierenden Prozeß in der lebenden Fiber ist also auch ein Anschießen fester Teile verbunden. – Um sich die Sache durch Analogien deutlich zu machen, denke man sich, daß das positive Prinzip als positive Elektrizität wirke, so wird, indem es auf die lebende Fiber wirkt, eine bestimmte Kapazität für das Oxygene in ihr entstehen (so wie wenn Metalle durch positive Elektrizität in Lebensluft verkalkt werden), und gleichzeitig und im Verhältnis mit der entstandenen Kapazität wird eine Absorption von Oxygene aus dem Blute, und damit ein Anschießen fester Teile stattfinden. – Ich sage nicht, daß das Lebensprinzip positive Elektrizität sei, ich brauche nur dieses Beispiel, um mich verständlich zu machen.
b) Nun ist ferner die eigentümliche Mischung jedes Organs von dem quantitativen Verhältnis des Sauerstoffs zu den übrigen Stoffen in ihm abhängig. Mithin hängt am Ende die Regeneration jedes Organs von seiner spezifischen Kapazität für den Sauerstoff, d.h. von seiner spezifischen Reizbarkeit ab, und so hat die Natur durch das einfachste Mittel dem Lebensprozeß Permanenz gegeben, dadurch daß sie dem Nutritionsprozeß den Irritabilitätsprozeß gegenüber stellte.
a) Es ist nämlich schon lange davon die Rede, daß in der irritabeln Fiber ein beständiger phlogistischer Prozeß unterhalten werde, oder mit andern Worten, daß das Oxygene bei der Irritabilität tätig sei. Alle Physiologen aber, welche einen solchen phlogistischen Prozeß im lebenden Körper annehmen, sind in Verlegenheit nicht nur das Wie, sondern vorzüglich auch die Ursache der bestimmten Quantität dieses Prozesses anzugeben. Brandis z.B. in seinem oft angeführten Versuch usw. § 18 sagt: »daß dieser phlogistische Prozeß in der lebendigen Faser nicht größer werde, als er sein darf, um die organische Fiber nicht zu zerstören, hängt von der geringen Menge Sauerstoff ab, die jedesmal dabei vorrätig ist«. – Allein man sieht leicht, wie unbefriedigend diese Erklärung ist. Es ist also offenbar, daß man, um einen solchen kontinuierlichen Oxydationsprozeß zu begreifen, eine Ursache annehmen muß, die ihm zum voraus seine Quantität bestimmt, welches nun keine andere sein kann, als, wie wir gleich anfangs behauptet haben, ein desoxydierendes Prinzip, dergestalt, daß der Grad der Oxydation in jeder einzelnen Fiber gleich ist dem Grad der Oxydation, die ihr voranging.
b) Allein nun entsteht ganz natürlich die Frage: was bestimmt hinwiederum den Grad dieser Desoxydation? – Wir haben oben (2) vorausgesetzt, das positive Prinzip wirke nicht gleich auf alle Organe, und dadurch entstehe eine spezifische Kapazität derselben für das negative Prinzip. Aber, wird man fragen, was bestimmt denn den Grad, in welchem das positive Prinzip auf die Organe wirkt? und wenn wir diese Frage beantworten wollen, – sehen wir uns in einem unvermeidlichen Zirkel befangen, der uns jedoch nicht ganz unerwartet sein kann. Der Gegenstand unsrer Untersuchung ist der Ursprung des Lebens. Das Leben aber besteht in einem Kreislauf, in einer Aufeinanderfolge von Prozessen, die kontinuierlich in sich selbst zurückkehren, so daß es unmöglich ist anzugeben, welcher Prozeß eigentlich das Leben anfache, welcher der frühere, welcher der spätere sei. Jede Organisation ist ein in sich beschlossenes Ganzes, in welchem alles zugleich ist, und wo die mechanische Erklärungsart uns ganz verläßt, weil es in einem solchen Ganzen kein Vor und kein Nach gibt.
Wir können also nicht besser tun als zu behaupten, daß keiner jener entgegengesetzten Prozesse den andern, sondern daß sie sich beide wechselseitig bestimmen, beide sich wechselseitig das Gleichgewicht halten.
Wenn nun der positive Prozeß durch den negativen, der negative durch den positiven bestimmt ist, so ergibt sich von selbst der Satz: Je geringer die Kapazität für das positive Prinzip in einem Organ, desto geringer auch die Kapazität für das negative, und umgekehrt, je größer die Kapazität für das negative Prinzip in einem Organ, desto größer auch die Kapazität für das positive.
Es fragt sich, wonach die Kapazität eines Organs für das positive und negative Prinzip geschätzt werden könne?
Das positive Prinzip wirkt vermittelst der Nerven auf die irritabeln Organe. Je weniger also Nerven zu einem Organ gehen, desto geringer seine Kapazität für das Oxygene, und je geringer seine Kapazität für das Oxygene, desto notwendiger (der Willkür weniger unterworfen) der desoxydierende Prozeß in ihm, desto rastloser seine Irritabilität.
In dem Herzen wird durch das einströmende arterielle Blut das Gleichgewicht der Mischung kontinuierlich gestört, weil seine Kapazität für das negative Prinzip so gering ist; völlig unwillkürlich also ist der entgegengesetzte Prozeß in ihm beständig im Gange, und dieser Muskel selbst heißt deswegen ein unwillkürlicher Muskel. – Die Nerven des Herzens sind so zart und sparsam, daß man neuerdings sogar an ihrer Existenz zu zweifeln angefangen hat ( Behrends Diss. qua probatur, cor nervis carere, in Ludwig. Script. Neurol. min. T. III, p. 1 ff.). Durch dieses Mittel hat die Natur erreicht, daß dieser Muskel einzig und allein dem animalischen Impuls gehorche, weil ein Tropfen oxygenierten Bluts das Gleichgewicht seiner Mischung zu stören imstande ist. Denn daß die Knoten des Interkostalnerven, dessen Zweige zum Herzen gehen, diesen Muskel der Willkür entziehen, indem sie als untergeordnete Gehirne seinen Zusammenhang mit dem Hauptgehirn unterbrechen, ist zwar ein sinnreicher, aber unwahrer Gedanke, da auch Nerven, die zu willkürlichen Muskeln gehen, solcher Knoten nicht entbehren.
Nun wird aber auch der umgekehrte Satz gelten: Je mehrere und größere Nerven zu einem Organ gehen, desto größer seine Kapazität für das Oxygene, und je größer seine Kapazität für das Oxygene, desto geringere Notwendigkeit und Unwillkürlichkeit in seinen Irritabilitätsäußerungen (durch welche nämlich Oxygene zersetzt wird). Zu den am meisten der Willkür unterworfenen Organen gehen die meisten und größten Nerven. Haller schon bemerkt, daß nach dem Daumen allein mehr Nerven gehen, als nach dem unermüdlich-reizbaren Herzen. Wenn die unwillkürlichen Muskeln durch ein Atom von Oxygene zu Bewegungen gereizt werden (das ausgeschnittene Herz eines Tiers belebt oft ein einziger Lufthauch aufs neue), so scheint dagegen eine gewisse Quantität jenes Prinzips nötig, die willkürlichen Bewegungen zu unterhalten, daher die Ermüdung der willkürlichen. Organe, die Notwendigkeit der Ruhe, und die temporäre Aufhebung aller willkürlichen Bewegungen im Schlaf.
Wenn die Natur die Irritabilität der unwillkürlichen Muskeln vom animalischen Prozeß abhängig gemacht hat, so hat sie dagegen von der Irritabilität der willkürlichen Organe umgekehrt den animalischen Prozeß abhängig gemacht. – Gelähmte Glieder werden welk, schlaff, und schwinden sichtbar. Da durch jede Muskelbewegung die Kapazität der Organe für das negative Prinzip vermehrt wird, und da jede Entwicklung desselben aus dem Blut mit einer partiellen Gerinnung verbunden ist, so erklärt sich hieraus, warum in den am meisten geübten Organen (dem rechten Arm z.B., dem rechten Fuß usw.) die Muskeln nicht nur, sondern selbst die Arterien und alle übrigen Teile fester, größer und stärker werden.
Endlich, da die Natur diese Bewegungen nicht vom animalischen Prozeß abhängig machen konnte, mußte die Ursache derselben in eine höhere, vom animalischen Prozeß unabhängige Eigenschaft (die Sensibilität) gelegt werden.
Anmerk. Strenger, als hier geschehen ist, können sich willkürliche und unwillkürliche Organe nicht entgegengesetzt werden, da auch auf unwillkürliche, wie das Herz, die Willkür in Leidenschaften einigen Einfluß hat, und dagegen willkürliche Organe (vielleicht, weil ihre Kapazität für das negative Prinzip bis zu einem hohen Grade vermindert wird) in schrecklichen Krankheiten in unwillkürliche übergehen.
Wenn wir innerhalb des Kreises bleiben, der uns durch den Begriff Leben gezogen ist, sehen wir nun doch, daß die unwillkürlichen Bewegungen durch das negative Prinzip angefacht werden, und daß das Gegenteil bei den willkürlichen statthabe: daß aber beide doch nur durch entgegengesetzte Prinzipien möglich sind. Damit stimmen die Erscheinungen der Zusammenziehung des Herzens vollkommen überein: die Herzkammern ziehen sich nicht sogleich, nachdem das Blut in sie eingeströmt ist, zusammen. Diese Beobachtung (die Hallern so viel zu schaffen machte) beweist augenscheinlich, daß nicht das negative Prinzip (des Bluts) für sich die Zusammenziehung bewirke, sondern daß die Wirkung eines andern (des positiven) Prinzips hinzukommen muß, um die Zusammenziehung wirklich zu machen.
Wenn das Oxygene allein Grund der Reizbarkeit des Herzens wäre, so müßte dieser Muskel endlich mit Oxygene überladen werden. Das Oxygene aber dient nur, das Herz zur Zusammenziehung tüchtig zu machen. Durch jede Zusammenziehung (deren Ursache in einem weit höheren Prinzip zu suchen ist) verliert es das Oxygene wieder, und so kann derselbe Prozeß immer neu wiederholt werden, da er sonst, wenn nicht ein entgegengesetzter ihm das Gleichgewicht hielte, bald stille stehen würde.
Es ist jetzt wohl entschieden, daß die Irritabilität gemeinschaftliches Produkt entgegengesetzter Prinzipien ist, noch nicht aber, wie diese Prinzipien bei der Irritabilität wirken.
Wenn man sich unter der Zusammenziehung eines Organs nur eine chemische Reduktion (ungefähr wie die Reduktion der Metallkalke durch den elektrischen Funken) vorstellen wollte, so würde man daraus zwar eine Verminderung des Volums im irritierten Organ nicht aber die Elastizität erklären können, mit welcher das Organ sich zusammenzieht.
Es ist daher Zeit, die toten Begriffe zu verlassen, welche durch die Ausdrücke: phlogistischer Prozeß usw. über den Ursprung der Irritabilität erregt werden.
a) Daß das Oxygene dabei tätig ist, beweist so wenig, daß in der Irritabilität ein phlogistischer Prozeß statthabe, als daß ein solcher in der Elektrizität stattfindet, weil die Lebensluft dabei mit ins Spiel kommt. Zudem ist schon oben bemerkt worden, daß das Azote, die Grundlage aller irritabeln Organe, kein an sich brennbarer Stoff ist, d.h. daß er sich nicht wie die eigentlich verbrennlichen Substanzen mit dem Oxygene verbindet, woraus von selbst folgt, daß wohl auch das Verhältnis beider Stoffe in der Irritabilität ein weit höheres ist, als das in phlogistischen Prozessen stattfindet. – Eben jene eigentümliche Beschaffenheit des Azotes enthält ohne Zweifel den Grund, warum es beinahe ausschließlicher Anteil der tierischen Materie ist.
Dies erhellt auch aus folgenden Bemerkungen unwidersprechlich. Die Grundlage aller weißen Organe, z.B. der Nerven, ist Gallerte, sie enthalten kein Azote, und sind höchstwahrscheinlich eben deswegen die Organe, welche die Natur den Muskeln, als dem Sitz der Irritabilität, entgegengesetzt hat. Dagegen ist der Eiweißstoff, die Grundlage der Membranen, Sehnen, Knorpeln, schon empfänglicher für das Oxygene und durch Säuren gerinnbar. Endlich der fadenartige Teil des Bluts, die Grundlage der Muskeln, enthält die größte Menge Stickstoff, wodurch jene eine ganz eigentümliche Kapazität für das Oxygene erlangen und der eigentliche Sitz der Irritabilität werden.
Es ist überdies nicht schwer eine Stufenfolge der allmählichen Fortbildung der tierischen Materie bis zur Irritabilität zu bemerken. Die erste Anlage dazu erkennt man schon in der Gerinnbarkeit der flüssigen Teile (die ohne Zweifel der Gegenwart des Stickstoffs zuzuschreiben ist), auf einer höheren Stufe zeigt sie sich in der von Blumenbach außer Zweifel gesetzten Kontraktilität des Zellgewebes, endlich auf der höchsten Stufe in der Reizbarkeit der Muskeln.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ebenso das negative Lebensprinzip, das der ersten Grundlage der tierischen Materie als toter Sauerstoff anhängt, allmählich zu negativer Elektrizität sich fortbilde, als welche es zur Substanz der Muskeln, als eigentliches Prinzip der Irritabilität, gehört.
Anmerk. Wie irgend ein in der anorgischen Natur vorhandenes Prinzip in den tierischen Organen Ursache eigentümlicher Erscheinungen (z.B. der Irritabilität) sein könne, wäre freilich schwer zu begreifen, wenn man nicht annähme, daß es zu dem tierischen Stoff auch ein ganz eigentümliches und besonderes Verhältnis annehme. Daß nun z.B. das Prinzip der Irritabilität ein solches ganz eignes Verhältnis zum tierischen Stoff habe, ist sogar durch Erfahrungen ausgemacht. Hr. v. Humboldt hat gefunden, daß alle Schwammarten (d.h. Vegetabilien, die viel Stickstoff enthalten), und die im Zustande der Fäulnis einen kadaverösen, tierischen Geruch von sich geben, ebenso vollkommene Leiter in der galvanischen Kette sind als wirkliche tierische Organe. Daß sie ihre Leitungskraft nicht ihrer Feuchtigkeit verdanken, hat Hr. v. H. außer Zweifel gesetzt. »Sie leiten (sagt er in dem Werk über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, S. 173) nicht wie nasse Leinwand und alle wasserhaltigen Substanzen, sondern wegen der eigentümlichen Mischung ihrer Faser, wegen der fast tierischen Natur ihrer Lymphe«. – Eben dieser Naturforscher hat ein, wie mir dünkt, höchst merkwürdiges Gesetz gefunden und durch Experimente bestätigt, nämlich, daß eine vegetabilische oder tierische Flüssigkeit als ein desto wirksamerer Leiter des Galvanismus erscheint, je mehr sie belebt ist, d.h. je weniger ihre Elemente nach den von uns erkannten Gesetzen der chemischen Affinität gemischt sind (a. a. O. S. 151). Ich glaube, daß es nach solchen Entdeckungen nicht mehr als Erdichtung anzusehen ist, wenn man, wie die in dieser Rücksicht über die chemischen Physiologen weit erhabenen Verteidiger der Lebenskraft, den allgemein verbreiteten Naturprinzipien in der belebten Organisation eine ganz andere Wirksamkeit zuschreibt, als sie in der anorgischen Natur zeigen. Eben daraus folgt aber auch, daß wir, um das tierische Leben zu erklären, nicht nötig haben, unbekannte Prinzipien oder dunkle Qualitäten zu fingieren.
b) Leicht und natürlich ist es nun, weiter zu schließen: die Irritabilität ist gemeinschaftliches Produkt entgegengesetzter Organe, also ohne Zweifel auch entgegengesetzter Prinzipien. Da nun ein allgemeiner Dualismus der Prinzipien auch in der anorgischen Natur herrscht, so können wir, wenn nur das Eine Prinzip der Irritabilität bekannt ist, keck auf sein entgegengesetztes schließen. Wenn nun das negative Prinzip aus dem allgemeinen Medium des Lebens stammt, so ist wohl auch das positive durch dasselbe verbreitet.
Es verkünden viele Erscheinungen das Dasein entgegengesetzter Prinzipien in der Atmosphäre. Um nur Eines zu nennen, so muß, da die negative Elektrizität atmosphärischen Ursprungs ist, auch ein ähnlicher Ursprung der positiven vermutet werden. Die Analogie läßt sich wirklich sehr weit treiben. Es ist an sich schon schwer zu glauben, daß die Heterogeneität der Elemente der atmosphärischen Luft, die im elektrischen Dualismus ohne Zweifel sich offenbart (oben S. 547 ff.), nicht auch auf die entgegengesetzten Prinzipien der Irritabilität einigen Bezug habe, so etwa, daß das durch die Atmosphäre verbreitete positive Prinzip auf ähnliche Weise, wie es z.B. durch den Mechanismus des Reibens zu + E modifiziert wird, im tierischen Körper zum positiven Prinzip der Irritabilität modifiziert werde.
Allein wir müssen gestehen, daß alle diese Vermutungen höchst ungewiß sind, und daß durch Erfahrungen bis jetzt nichts erwiesen ist, als daß jede Irritabilitätsäußerung von einer chemischen Veränderung der irritabeln Organe begleitet sei, deren Bedingungen jedoch bis jetzt nicht erforscht sind.
Anmerk. Daß der letzte Grund der galvanischen Erscheinungen in den irritabeln Organen selbst liege, scheint jetzt durch die Humboldtschen Versuche entschieden, und so wäre Galvanis große Entdeckung wieder in die Dignität eingesetzt, die ihr Voltas Scharfsinn zu rauben drohte.
Daß die galvanischen Zuckungen von einer chemischen Veränderung der Organe begleitet seien, ist aus vielen Erfahrungen gewiß, da z.B. Exzitatoren, die zuvor unwirksam waren, nach wirksamen angewandt, wieder Zuckungen erregen, wenn der Prozeß einmal im Gang ist, und die galvanisierten Teile früher in Fäulnis übergehen, als die nicht galvanisierten. – Wenn man sich nun eine solche Veränderung als bewirkt unter der bestimmten Form des Galvanismus anders nicht zu erklären weiß, so kann man sich vorstellen, daß dabei eine Anziehung in entgegengesetzter Richtung stattfindet, und wenn man von der Wirkung einer solchen Anziehung handgreifliche Beispiele verlangt, in die Chemie blicken, wo man eine Menge Fälle finden wird, da zwei Körper nicht eher sich wechselseitig dekomponieren, als bis die Wirkung eines dritten hinzukommt. Folgende von Herrn v. Humboldt (S. 473) angeführte Beobachtung, die zwar nicht unmittelbar, aber doch mittelbar für den Galvanismus interessant ist, mag als Beispiel dienen. »Zwei homogene Zinkplatten mit Wasser befeuchtet aufeinander gelegt haben auf das Wasser keine Wirkung. Legt man auf dieselbe Art Zink und Silber zusammen, so wird das Wasser vom Zink zerlegt.« – Was hier das (in seinen Elementen heterogene Wasser zwischen entgegengesetzten Metallen ist) ist das (in sich selbst heterogene) tierische Organ zwischen beiden; wie dieses wird auch jenes zwischen beiden dekomponiert oder – galvanisiert, denn beides ist gleichbedeutend.
Wenn man mir nun weiter verstatten will, über diese Phänomene meine Meinung zu sagen, so wünschte ich, daß man sich vorerst an die entschiedensten und evidentesten Versuche hielte, und die weniger evidenten eher nach jenen, als umgekehrt jene nach diesen beurteile. Das Evidenteste in diesen Versuchen ist nun wohl, daß die heterogensten Metalle zwischen Muskel und Nerv die heftigsten Zuckungen erregen. – Wie wirken diese Metalle? – Dies ist die große Frage, deren Beantwortung ohne Zweifel die allgemeinste Formel für alle Fälle geben würde. – Die Metalle können auf die Organe
a) nicht durch Mitteilung wirken, so etwa, daß sie entgegengesetzte Elektrizitäten in die Organe leiteten. Denn, außerdem daß eine solche eigentümliche Elektrizität der Metalle nicht erweislich ist, wäre es in der Tat schwer zu begreifen, wie durch Unterbindung selbst mit feuchten, leitenden Substanzen der Lauf der Elektrizität gehemmt werden könne.
b) Auch können die Metalle nicht wirken dadurch, daß sie schon vorhandene entgegengesetzte Prinzipien in M. und N. verbinden (wie etwa nach der Flaschentheorie der Bologner Schule), denn sonst würden heterogene Metalle nicht stärker wirken als homogene. Dieser letzte Umstand muß vor allem erklärt werden. Eine Theorie, die diese Forderung nicht erfüllt, erklärt gar nichts; Voltas Theorie hat sie erfüllt, allein nach Humboldts neuen Entdeckungen ist sie als zweifelhaft zu betrachten, und Humboldts eigne Theorie beruht auf einer bloßen Möglichkeit und erklärt einige Phänomene in der Tat gar nicht.
c) Es bleibt nichts übrig, als daß die Metalle dadurch wirken,
aa) daß sie etwas in den Organen selbst erst erwecken;
bb) dadurch, daß sie in M. und N. entgegengesetzte Prinzipien erwecken, wobei man nun gar nicht nötig hat an ein ausströmendes galvanisches Fluidum zu denken.
Die Möglichkeit einer solchen Erweckung – (nach der atomistischen Philosophie freilich kann ein Körper auf den andern überhaupt nur durch Mitteilung wirken) – kann nun doch nach Wells und Humboldts Experimenten nicht mehr geleugnet werden, die sogar die Metalle selbst galvanisiert, d.h. einem durch das andere Exzitationskraft erteilt haben (vgl. den letztern, S. 242); oder glaubt man etwa, daß hier ein Metall dem andern auch einen unbekannten Stoff mitteile? – Muß man nicht glauben, daß Zink und Silber, wenn sie durch einen metallischen Bogen verbunden worden, ineinander dieselbe Veränderung hervorbringen, die sie in dem zwischen ihnen eingeschlossenen Organ (der Zunge oder dem Muskel) hervorbringen, obgleich diese Veränderung sich nicht durch Bewegungen offenbart? Welche Veränderungen Körper durch bloße Berührung ineinander hervorbringen, sehen wir in den meisten Fällen nicht, weil wir weder Instrumente noch Organe haben, die uns dies anzeigen: in diesem Fall zeigt es uns das reizbarste aller Organe an.
Der Galvanismus ist also etwas weit Allgemeineres, als man gewöhnlich sich vorstellt. – Die Analogien drängen sich auf. Wenn man eine (dünne) idioelektrische Platte auf der einen Seite mit Wolle reibt und auf der andern während des Reibens den Finger aufsetzt, wird die eine Seite der Platte positiv-, die andere negativ-elektrisch. So, wenn die galvanische Kette sich schließt, treten die Elemente des Galvanismus (man verzeihe uns diesen Ausdruck, den wir bloß brauchen, um uns verständlich zu machen), an N. und M. gleichsam als entgegengesetzten Polen der Irritabilität auseinander38. –
Dieser Satz: daß heterogene Metalle entgegengesetzte Beschaffenheiten in N. und M. – (einen Dualismus der Prinzipien) – erwecken, oder wieder trennen, was im Leben kontinuierlich getrennt wird (Ideen zur Ph. d. Nat. S. 64 [dieses Bandes S. 233]), muß als Prinzip aller weiteren Untersuchung zugrunde gelegt werden. Da nämlich der letzte Grund der galvanischen Erscheinungen in der (durch kein Mittel auszuschließenden) ursprünglichen Heterogeneität der Organe, wodurch diese einer wechselseitigen Erregung fähig werden, zu suchen ist, so läßt sich begreifen, daß wenn auch nur homogene Metalle oder feuchte Teile die Kette zwischen N. und M. schließen (wobei diese nur als Fortsetzungen von N. und M. dienen), oder wenn der Nerv auf den entblößten Muskel mittelst einer isolierenden Substanz zurückgeworfen wird (ein Versuch, der fast immer, und oft lange Zeit gelingt), oder wenn auch gar keine Kette Nerv und Muskel verbindet, z.B. wenn der einfache isolierte Nerv an einem Punkt nur mit Zink oder Silber berührt wird (ein Versuch, der sehr oft gelingt, und von dem die Humboldtschen Versuche [Fig. 9 ff.] ohne Kette bloße Modifikationen sind) – daß, sage ich, in allen diesen Fällen Zuckungen entstehen können, weil diese leiseste Veränderung des Nerven den Dualismus der Prinzipien in N. und M. und dadurch den Prozeß wieder anfachen kann, der sogar oft freiwillig geschieht, wenn das sich selbst überlassene Organ ohne äußeren Stimulus, von selbst gleichsam sich entladend, in Zuckungen gerät.
Erst, wenn diese allgemeinen Prinzipien des Galvanismus im Reinen sind, wird es Zeit sein, nun dem Materiellen in diesen Erscheinungen emsig nachzuspüren, wobei nun vorzüglich die entgegengesetzte chemische Beschaffenheit der Exzitatoren (die man von bloßen Leitern genau unterscheiden muß) in Betrachtung gezogen werden kann, z.B. ihr entgegengesetztes Verhältnis zum Sauerstoff und zur Elektrizität, da jetzt nach dem, was Hr. v. Humboldt hierüber gesagt hat (S. 124 seines oft angeführten Werks), auch der Braunstein nicht mehr als Ausnahme von der Regel (daß kein Körper, der nicht zum Oxygene Verwandtschaft hat und die Elektrizität leitet, Exzitator des Galvanismus ist), angeführt werden kann. Am nächsten zum Ziel müßte es wohl führen, sich die Exzitatoren selbst nach Analogien zu erfinden (wie z.B. Schwefelleber am Nerv, Salzsäure am Muskel), worin Humboldt einen vortrefflichen Anfang gemacht hat, durch die (freilich nach meinen eignen Experimenten noch nicht ganz ins Reine gebrachte) Entdeckung der entgegengesetzten Wirkung, die Alkalien und Säuren auf N. und M. haben, wo man den Dualismus der Prinzipien gleichsam mit Händen greift – in der Atmosphäre ist das principe oxygène und alcaligène, der Galvanismus erregt auf der Zunge sauren und alkalinischen Geschmack, je nachdem Silber oder Zink oben liegt; denn daß einige den alkalinischen durch Silber erregten Geschmack nur für einen schwächeren säuerlichen ausgeben, rührt von einer Täuschung her, weil jener Geschmack bei Aufhebung des Kontakts wirklich in den entgegengesetzten übergeht, aus demselben Grund ohne Zweifel, aus welchem, wenn Silber am Nerven und Zink am Muskel außer Kontakt kommen, ebenso gut Zuckungen entstehen, als wenn sie sich berühren. – Pfaff (über tierische Elektrizität, S. 74) hat schon das Gesetz gefunden: daß diejenigen Armaturen, welche an die Nerven angebracht, mit ihren entgegengesetzten schwächer wirken, als wenn diese an die Nerven angebracht werden, auch dann Zuckungen erregen, wenn die Muskelexzitatoren mit ihnen außer Berührung kommen – ein Satz, der sich auch bei dem Blitzversuch bestätigt, da, wenn Zink auf der Zunge, Silber zwischen der Oberlippe liegt, der Blitz, auch bei Aufhebung des Kontakts, bei umgekehrter Ordnung der Metalle nur bei der ersten Berührung erfolgt – ein Satz, worin ich den Keim einer künftigen Theorie des Galvanismus (die gewiß zustande kommt) erkenne, und der mit einigen andern Sätzen in genauem Zusammenhang steht, z.B. daß die Exzitatoren, welche zum Oxygene die größte Verwandtschaft haben, am Nerven die heftigsten Zuckungen, zwischen der Oberlippe, wenn die entgegengesetzten Metalle an der Zunge liegen, den stärksten Blitz verursachen, daß aber, wenn die Armaturen oft verwechselt werden, die Zuckungen am ausdauerndsten sind, dagegen z.B. Zink a. N., Silber a. M., wenn sie nicht verwechselt werden, erst die heftigsten Zuckungen erregen, bald die Irritabilität erschöpfen. –
In solchen kleinen, leicht übersehenen Beobachtungen liegt für den vorurteilsfreien Kopf, der, wenn ich sagen darf, mit keuschen Sinnen an die Untersuchung geht, die einfache lautere Wahrheit, die Einmal an den Tag gebracht, für die ganze Physiologie ein neues, kaum geahntes, Licht aufstellen wird.
Die Irritabilität ist gleichsam der Mittelpunkt, um den alle organischen Kräfte sich sammeln; ihre Ursachen entdecken, hieße das Geheimnis des Lebens enthüllen und den Schleier der Natur aufheben.
a) Wenn die Natur dem animalischen Prozeß die Irritabilität entgegensetzte, so hat sie hinwiederum der Irritabilität die Sensibilität entgegengesetzt. Die Sensibilität ist keine absolute Eigenschaft der tierischen Natur, sie ist nur als der Gegensatz Erste Ausgabe: »als das Negative«. der Irritabilität vorstellbar. Daher so wenig Irritabilität ohne Sensibilität, als Sensibilität ohne Irritabilität.
Auf Sensibilität wird überhaupt nur geschlossen aus eigentümlichen und willkürlichen Bewegungen, die ein äußerer Reiz im Lebenden hervorbringt. Auf das Lebende wirkt das Äußere anders als auf das Tote, das Licht ist nur für das Auge Licht; auf diese Eigentümlichkeit der Wirkungen aber, welche ein äußerer Reiz auf das Lebende hat, kann nur aus der Eigentümlichkeit der Bewegungen, welche darauf erfolgen, geschlossen werden. Also ist dem Tier durch die Sphäre möglicher Bewegungen auch die Sphäre möglicher Empfindungen bestimmt. So vielerlei willkürlicher Bewegungen das Tier fähig ist, ebenso vielerlei sensibler Eindrücke, und umgekehrt. Durch die Sphäre seiner Irritabilität also ist dem Tier die Sphäre seiner Sensibilität, und umgekehrt durch die Sphäre seiner Sensibilität die Sphäre seiner Irritabilität bestimmt.
Eben dadurch nämlich – um es mit Einem Worte zu sagen – unterscheidet sich das Lebende vom Toten, daß dieses jedes Eindrucks fähig ist, diesem aber eine bestimmte Sphäre eigentümlicher Eindrücke durch seine eigne Natur zum voraus bestimmt ist.
Im Tier nämlich ist ein Trieb zur Bewegung, aber die Richtung dieses Triebs ist ursprünglich unbestimmt. Nur insofern der Trieb zur Bewegung ursprünglich im Tier ist, ist es der Sensibilität fähig, denn Sensibilität ist nur das Negative jenes Triebs.
Daher erlischt zugleich mit dem Trieb zur Bewegung auch die Sensibilität (im Schlaf), und umgekehrt, mit wiederkehrender Sensibilität stellt sich auch der Trieb zur Bewegung wieder ein. Träume sind die Vorboten des Erwachens. Die Träume des Gesunden sind Morgenträume. – Sensibilität also ist im Tier nur, insofern in ihm Trieb zur Bewegung ist. Dieser Trieb aber geht ursprünglich (wie jeder Trieb) auf ein Unbestimmtes. Bestimmt wird ihm seine Richtung nur durch den äußern Reiz. Irritabilität also, ursprünglich das Negative des animalischen Prozesses, ist das Positive der Sensibilität.
Fassen wir endlich Irritabilität und Sensibilität in einem Begriff zusammen, so entsteht der Begriff des Instinkts (denn der Trieb zur Bewegung, durch Sensibilität bestimmt, ist Instinkt), und so wären wir denn durch allmähliche Trennung und Wiedervereinigung entgegengesetzter Eigenschaften im Tier auf die höchste Synthesis gekommen, in welcher das Willkürliche und Unwillkürliche, Zufällige und Notwendige der tierischen Funktionen vollkommen vereinigt ist.
Anmerk. Da unsere gegenwärtige Untersuchung den rein physiologischen Standpunkt genommen hat, so kann hier nicht umständlicher ausgeführt werden, wie der Satz: »Sensibilität ist nur das Umgekehrte der Irritabilität« – philosophisch weiter und tiefer greift, als manchem erst scheinen möchte. Das Tier sieht und hört nur vermittelst seines Instinkts – ( Leibniz sagt irgendwo, daß auch die Tiere erhabenere Vorstellungen haben, weil sie der Eindrücke des Lichts empfänglich seien; allein das Licht auch ist für das Tier nur ein Medium seines Instinkts, und als solches erscheint es nur einem höheren Sinne). – Ebenso sieht und hört der Mensch, was er sieht und hört, nur vermittelst eines höheren Instinkts, der, wo er vorzugsweise auf das Große und Schöne gerichtet ist, Genie heißt; überhaupt ist alles Erkennen das Negative eines (vorausgesetzten) Positiven; der Mensch erkennt nur das, was er zu erkennen Trieb hat; es ist vergebliche Arbeit, Menschen etwas verständlich zu machen, was zu verstehen sie gar keinen Drang haben. – So sammelt sich endlich das Mannigfaltige in jedem Naturwesen im Instinkt, als der alles belebenden Seele, ohne deren Antrieb nie ein in sich selbst vollendetes Ganzes zustande käme.
b) Außerdem, daß Sensibilität überhaupt nicht als absolute Eigenschaft der tierischen Natur vorstellbar ist, zeigt auch die Erfahrung nicht nur, daß die Sensibilität dem animalischen Prozeß Abbruch tut, sondern auch, daß im einzelnen Individuum mit unnatürlich wachsender Irritabilität (in hitzigen Krankheiten) die Sensibilität verloren geht oder zerrüttet wird, und daß auch in der Reihe der belebten Wesen die Sensibilität im umgekehrten Verhältnis der Irritabilität wächst und abnimmt.
Wenn nach dem oben (S. 647) aufgestellten Gesetz die Willkür der Bewegungen in einem Organ wie die Anzahl und Größe seiner Nerven zunimmt, so ist klar, daß das von Sömmering entdeckte Gesetz, daß mit der verhältnismäßigen Dicke und Größe der Nerven die intellektuellen Anlagen abnehmen ( Sömmering de basi encephali, p. 17. Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer, S. 59) nichts anderes sagt, als daß die Sensibilität im umgekehrten Verhältnis der Irritabilität wachse und abnehme.
So hat also die Natur, indem sie die Bewegung der Willkür ganz zu überantworten schien, sie durch Erhöhung der Sensibilität der Willkür wieder entzogen; denn die Bewegungen der empfindlichsten Tiere sind auch am wenigsten willkürlich, und umgekehrt, die größte Willkür der Bewegungen ist in den trägen Geschöpfen. So nimmt mit steigender Sensibilität des Nervensystems das Willkürliche (Abgemessene) der Bewegungen durch die ganze Reihe der Organisationen, und sogar in Individuen derselben Gattung (nach Verschiedenheit des Geschlechts, Klimas, Temperaments usw.) regelmäßig ab.
c) Da nun Steigen und Fallen der Irritabilität dem Fallen und Steigen der Sensibilität parallel geht, und diese sonach nur das Umgekehrte von jener ist, so wären, wenn nur die materiellen Prinzipien der Irritabilität gefunden wären, eben damit auch die materiellen Prinzipien der Sensibilität gefunden, was nun auch durch unmittelbare Erfahrungen bestätigt wird, da dieselbe Ursache, welche tierische Bewegungen hervorbringt (der galvanische Reiz z.B.) auch Sensationen verursacht.
Anmerk. Das Allgemeinste, was man über die Ursachen der Sensibilität jetzt schon sagen kann, ist, daß auch in ihnen ein Dualismus der Prinzipien herrschen muß, und so wäre vom Licht an, – das an jedem einzelnen Strahl eine doppelte Seite zeigt ( Newton, Optic.III, quaest. 26) und an heterogenen Rändern wie an entgegengesetzten Polen auseinander tritt – (nach Goethes Beiträgen zur Optik) bis zum höchsten, was die Natur erreicht hat (der Sensibilität), ein Gesetz – ein allgemeines Auseinandergehen in entgegengesetzte Prinzipien herrschend.
Die Naturforscher scheinen sich gescheut zu haben, in dieses innere Heiligtum der Natur mit Experimenten zu dringen, so gering ist noch unsere Kenntnis von dem edelsten Organ, das über den animalischen Prozeß erhaben, durch seine Natur und Mischung ohne Zweifel gegen jede Teilnahme an demselben neutralisiert (gesichert), zum eigentlichen Sitz des Denkens von jeher bestimmt schien. Gleichwohl ist die Bildung und Organisation dieses auf den ersten Anblick einer unorganischen Masse ähnlichen Eingeweides bis in das Kleinste so konstant und gleichförmig, daß man zum voraus eine große Mannigfaltigkeit von Funktionen, zu denen es bestimmt ist, zu erwarten Grund hat.
Der Hauptgrund aber, warum auf dem Wege der Erfahrung in dieser Gegend noch so wenig erforscht ist, ist ohne Zweifel das Vorurteil, daß ein solcher Gegenstand für den menschlichen Geist überhaupt unerforschlich sei. Hierüber nur so viel:
Nach Prinzipien der Transzendentalphilosophie ist davon, wie Vorstellungen auf materielle Organe, z.B. das Gehirn, wirken, so wenig ein verständlicher Begriff möglich, als davon, wie umgekehrt materielle Ursachen auf eine Intelligenz einwirken. Diejenigen, welche eine Wechselwirkung zwischen Geist und Körper dadurch begreiflich zu machen glauben, daß sie zwischen beide feine, ätherische Materien als Medium treten lassen, sind wahrhaftig nicht scharfsinniger, als jener, der glaubte, wenn man nur einen recht weiten Umweg machte, müßte man endlich zu Land – nach England kommen. – Die Philosophie, solcher Behelfmittel der Trägheit müde, hat sich eben deswegen von dem Empirismus losgerissen und die Funktionen der Intelligenz rein-transzendental zu betrachten angefangen. Es bleibt den Physikern nichts übrig, als hinwiederum an ihrem Teil die Funktionen des animalischen Lebens rein-physiologisch zu betrachten. Ihre Sorge ist das nicht, wie endlich diese ganz entgegengesetzte Ansicht der Dinge zu einer gemeinschaftlichen sich vereinigen werde.
Auf diese rein-physiologische Ansicht suche ich die Untersuchung über tierische Sensibilität einzuschränken, indem ich sie als das Entgegengesetzte der Irritabilität aufstelle, denn nur wenn sie dieses ist, hat man Hoffnung, auch ihre Funktionen endlich auf Bewegungen zurückführen zu können, was man zwar von jeher – aber immer vergebens – versucht hat.
Da es nun dem Bisherigen zufolge unleugbar ist, daß im lebenden Wesen eine Stufenfolge der Funktionen statthat, da die Natur dem animalischen Prozeß die Irritabilität, der Irritabilität die Sensibilität entgegenstellte, und so einen Antagonismus der Kräfte veranstaltete, die sich wechselseitig das Gleichgewicht halten, indem, wie die eine steigt, die andere fällt, und umgekehrt, so wird man auf den Gedanken geleitet, daß alle diese Funktionen nur Zweige einer und derselben Kraft seien, und daß etwa das Eine Naturprinzip, das wir als Ursache des Lebens annehmen müssen, in ihnen nur als in seinen einzelnen Erscheinungen hervortrete, ebenso wie ohne Zweifel ein und dasselbe allgemeinverbreitete Prinzip im Licht, in der Elektrizität usw. nur als in verschiedenen Erscheinungen sich offenbart.
Anmerk. Da große Naturforscher zu demselben Resultat auf anderem Wege gelangt sind, so kann man zu dieser Idee um so kecker Zutrauen fassen. Besonders bestätigt sie sich durch Betrachtung der fortschreitenden Entwicklung der organischen Kräfte in der Reihe der Organisationen, worüber ich den Leser auf die schon im Jahr 1793 erschienene Rede des Hrn. Professor Kielmeyer über diesen Gegenstand verweise, eine Rede, von welcher an das künftige Zeitalter ohne Zweifel die Epoche einer ganz neuen Naturgeschichte rechnen wird.
Auf der tiefsten Stufe würde sich dieses Prinzip in dem allgemeinen Bildungstrieb offenbaren, den wir als Prinzip aller Organisation voraussetzen müssen; denn die Bildungskraft, die auch der toten Materie zukommt, allein konnte nur tote Produkte erzeugen. Die ursprünglichste Anlage der Materie zur Organisation liegt allerdings in den bildenden Kräften, die der Materie als solcher zukommen, weil ohne sie gar kein Ursprung einer durch Figur und Kohäsion unterscheidbaren Materie denkbar ist. Eben deswegen aber, weil die Bildungskraft auch in der anorgischen Natur herrschend ist, muß zu ihr in der organischen Natur ein Prinzip hinzukommen, das diese über jene erhebt. – Es fragt sich, wie die allgemeine Bildungskraft der Materie in Bildungstrieb übergehe?
Im Begriffe des Bildungstriebs liegt, daß die Bildung nicht blind, d.h. durch Kräfte, die der Materie als solcher eigen sind, allein geschehe, sondern daß zu dem Notwendigen, was in diesen Kräften liegt, das Zufällige eines fremden Einflusses hinzu komme, der, indem er die bildenden Kräfte der Materie modifiziert, Erste Ausgabe: »stört«. sie zugleich zwingt, eine bestimmte Gestalt zu produzieren. In dieser eigentümlichen Gestalt, die die Materie sich selbst überlassen nicht annimmt, liegt eben das Zufällige jeder Organisation, und dieses Zufällige der Bildung eigentlich wird durch den Begriff des Bildungs triebs ausgedrückt.
Die Bildungs kraft wird also zum Bildungs trieb, sobald zu der toten Wirkung der ersten etwas Zufälliges, etwa der störende Einfluß eines fremden Prinzips hinzukommt.
Dieses fremde Prinzip kann nun nicht wieder eine Kraft sein; denn Kraft überhaupt ist etwas Totes; dieses Tote aber, was in bloßen Kräften liegt, soll eben hier ausgeschlossen werden. Der Begriff Lebenskraft ist sonach ein völlig leerer Begriff. Ein Verteidiger dieses Prinzips hat sogar den klugen Gedanken, sie als ein Analogen der Schwerkraft anzusehen, die man ja, sagt er, auch nicht weiter erklären könne! Das Wesen des Lebens aber besteht überhaupt nicht in einer Kraft, sondern in einem freien Spiel von Kräften, das durch irgend einen äußern Einfluß kontinuierlich unterhalten wird.
Das Notwendige im Leben sind die allgemeinen Naturkräfte, die dabei im Spiel sind; das Zufällige, das durch seinen Einfluß dieses Spiel unterhält, muß ein besonderes, d.h. mit andern Worten ein materielles Prinzip sein.
Organisation und Leben drücken überhaupt nichts an sich Bestehendes, sondern nur eine bestimmte Form des Seins, ein Gemeinsames aus mehreren zusammenwirkenden Ursachen aus. Das Prinzip des Lebens ist also nur die Ursache einer bestimmten Form des Seins, nicht die Ursache des Seins selbst (denn eine solche ist gar nicht zu denken).
Die Kräfte also, die während des Lebens im Spiel sind, sind keine besonderen, der organischen Natur eignen Kräfte; was aber jene Naturkräfte in das Spiel versetzt, dessen Resultat Leben ist, muß ein besonderes Prinzip sein, das die organische Natur aus der Sphäre der allgemeinen Naturkräfte gleichsam hinwegnimmt, und was sonst totes Produkt bildender Kräfte wäre, in die höhere Sphäre des Lebens versetzt.
So allein erscheint der Ursprung aller Organisationen als zufällig, wie es dem Begriff der Organisationen nach sein soll; denn die Natur soll sie nicht notwendig hervorbringen; wo sie entsteht, soll die Natur frei gehandelt haben; nur insofern die Organisation Produkt der Natur in ihrer Freiheit (eines freien Naturspiels) ist, kann sie Ideen von Zweckmäßigkeit aufregen, und nur insofern sie diese Ideen aufregt, ist sie Organisation.
Jenes Prinzip nun, da es Ursache des Lebens ist, kann nicht hinwiederum Produkt des Lebens sein. Es muß also mit den ersten Organen des Lebens in unmittelbarer Beziehung stehen. Es muß allgemein verbreitet sein, obgleich es nur da wirkt, wo es eine bestimmte Rezeptivität findet. So ist die Ursache des Magnetismus überall gegenwärtig, und wirkt doch nur auf wenige Körper. Der magnetische Strom findet die unscheinbare Nadel auf dem offenen, freien Meer so gut als im verschlossenen Gemach, und wo er sie findet, gibt er ihr die polarische Richtung. So trifft der Strom des Lebens, von wannen er komme, die Organe, die für ihn empfänglich sind, und gibt ihnen, wo er sie trifft, die Tätigkeit des Lebens.
Dieses Prinzip nun ist in seinen Wirkungen allein durch die Rezeptivität des Stoffes beschränkt, mit dem es sich identifiziert hat, und je nach Verschiedenheit dieser Rezeptivität mußten verschiedene Organisationen entstehen. Eben deswegen ist jenes Prinzip, obgleich aller Formen empfänglich, doch ursprünglich selbst formlos ( amorphon) und nirgends als bestimmte Materie darstellbar. So konnte sich jenes allgemeine Prinzip des Lebens in einzelnen Wesen individualisieren, sowie durch Überlieferung durch alle Geschlechter hindurch in ununterbrochenem Zusammenhang bleiben mit allen lebenden Wesen. – Das Prinzip des Lebens ist nicht von außen in die organische Materie (etwa durch Infusion) gekommen – (eine geistlose, doch weitverbreitete Vorstellung) –, sondern umgekehrt, dieses Prinzip hat sich die organische Materie angebildet. So indem es in einzelnen Wesen sich individualisierte und hinwiederum diesen ihre Individualität gab, ist es zu einem aus der Organisation selbst unerklärbaren Prinzip geworden, dessen Einwirkung nur als ein immer reger Trieb dem individuellen Gefühl sich offenbart.
Dieses Prinzip, da es Ursache des Lebens ist, kann nun nicht als Bestandteil in den Lebensprozeß eingehen; keiner chemischen Verwandtschaft unterworfen, ist es das Unveränderliche ( aphtharton) in jedem Organisierten. – Davon freilich kann nicht die Rede sein, daß dieses Prinzip die toten Kräfte der Materie im lebenden Körper aufhebe, wohl aber, daß es 1. diesen toten Kräften eine Richtung gebe, die sie, sich selbst überlassen, in einer freien ungestörten Bildung, nicht genommen hätten: 2. daß es den Konflikt dieser Kräfte, die, sich selbst überlassen, sich bald in Gleichgewicht und Ruhe versetzt hätten, immer neu anfache und kontinuierlich unterhalte.
Da dieses Prinzip, als Ursache des Lebens, jedem Auge sich entzieht, und so in sein eigen Werk sich verhüllt, so kann es nur in den einzelnen Erscheinungen, in welchen es hervortritt, erkannt werden, und so steht die Betrachtung der anorgischen so gut wie der organischen Natur vor jenem Unbekannten stille, in welchem die älteste Philosophie schon die erste Kraft der Natur vermutet hat.
Alle Funktionen des Lebens und der Vegetation stehen mit den allgemeinen Naturveränderungen in solchem Zusammenhang, daß man das gemeinschaftliche Prinzip beider in einer und derselben Ursache suchen muß. Wir sehen, daß der reichlichere Zufluß des Lichts eine allgemeine Bewegung in der organischen Natur zur Folge hat, die man doch nicht dem unmittelbaren Einfluß des Lichts selbst, soweit wir seine Kräfte kennen, sondern eher einem Prinzip zuschreiben kann, das allgemein verbreitet ist, und aus dem vielleicht selbst erst durch unbekannte Operationen das Licht erzeugt wird, so wie hinwiederum dieses dazu dient, jenes Prinzip immer neu anzufachen. Es ist auffallend wenigstens, daß, unerachtet die Quelle des Lichts nicht versiegt und in der Beschaffenheit der Luft und der Witterung keine bemerkliche Veränderung vorgegangen ist, manche Jahre doch durch allgemeinen Mißwachs und gehemmten Fortgang der Vegetation sich auszeichnen. Die Ursachen der meteorologischen Veränderungen sind noch nicht erforscht und ohne Zweifel in höheren Prozessen zu suchen; eben diese Veränderungen nun beweisen auf den sensibeln Körper eine Wirkung, die man aus der chemischen oder hygrometrischen Beschaffenheit der Luft nicht zu erklären weiß. – Es ist also anzunehmen, daß außer den Bestandteilen der Atmosphäre, die wir chemisch darstellen können, in ihr ein besonderes Medium verbreitet sei, durch welches alle atmosphärischen Veränderungen dem lebenden Körper fühlbar werden. – Wenn die Atmosphäre mit Elektrizität überladen ist, verraten fast alle Tiere eine besondere Bangigkeit, während des Gewitters gelingen die galvanischen Versuche besser, stärker leuchtet der Hunter'sche Blitz, unerachtet kein Grund ist zu glauben, daß die Elektrizität unmittelbar Ursache dieser Erscheinungen sei. Den Ausbruch großer Erdbeben hat, mit veränderter Farbe des Himmels, Traurigkeit und selbst das Wehklagen mancher Tiere verkündet, als ob dieselbe Ursache, welche Berge verschüttet und Inseln aus dem Meere emporhebt, auch die atmende Brust der Tiere höbe – Erfahrungen, die man nicht erklären kann, ohne eine allgemeine Kontinuität aller Naturursachen und ein gemeinschaftliches Medium anzunehmen, durch welches allein alle Kräfte der Natur auf das sensible Wesen wirken.
Da nun dieses Prinzip die Kontinuität der anorgischen und der organischen Welt unterhält und die ganze Natur zu einem allgemeinen Organismus verknüpft, so erkennen wir aufs neue in ihm jenes Wesen, das die älteste Philosophie als die gemeinschaftliche Seele der Natur ahndend begrüßte, und das einige Physiker jener Zeit mit dem formenden und bildenden Äther (dem Anteil der edelsten Naturen) für Eines hielten.