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Gehen wir an die unmittelbare Ursachenfrage heran, so ist auf den ersten Blick ersichtlich, daß sowohl die Gegenstände, die aus der Fülle deutschen Wesens im Hasse heraus gefaßt werden, die Bilder, die man sich aus unserer Gesamterscheinung herausschneidet und auf Grund deren wir gehaßt werden, als auch die eigentlichen Stoßursachen des Haßimpulses, die Triebfedern des Hasses bei unseren verschiedenen Gegnern zum Teil grundverschieden sind. Dieser Satz duldet gewiß keinen Zweifel. Englischer Konkurrenzärger z. B. und gallische Revancheidee sind so verschiedene Dinge, wie französische, russische und englisch-amerikanische Karrikaturen unseres Wesens grundverschieden sind. Auf die Differenzen dieser Bilder will ich hier nicht eingehen, so interessant es auch wäre. Aber so wahr dies alles ist, so erklärt doch das bloß zufällige, in der Kriegskonstellation liegende Zusammenwirken so ganz verschiedener, ja national lokalisierter, kausaler und Gegenstandsfaktoren des Hasses eine für unsere Erscheinung ganz wesentliche Tatsache nicht. Diese Tatsache ist die einheitliche Dynamik dieses Hasses, die doch jedem von uns ganz unmittelbar fühlbar ist. Bloßes Zusammenwirken ganz verschiedener Ursachen erklärt nicht die sonderbare Krafteinheit dieses giftigen, ätzenden, tödlichen Windes, der uns aus der ganzen Welt, auch aus den meisten neutralen Staaten oder doch aus der Majorität ihrer Bevölkerungen entgegenweht. Und das allein ist es doch eigentlich, was jeden von uns so tief verwunderte, so völlig unvorhergesehen traf und vielen von uns, ja allen – wenn wir ganz ehrlich sind – als ein für den Verstand fast undurchdringliches Mysterium erschien. Daß wir aus diesen und jenen Gründen gehaßt werden, daß man sich in den Literaturen der Völker ganz verschiedene Bilder von uns macht, (daß wir nüchterne Pedanten für die Russen, gefährliche Emporkömmlinge mit der »roten Feder« für die Engländer, schwerfällige und eroberungsgierige Barbaren und Dickköpfe für die Franzosen sind), das wußten wir auch vor dem Kriege. Es ist auch nicht die Stärke des Hasses, was den Hauptgegenstand unserer Verwunderung ausmachte. Es ist seine dynamische Einheit und es ist seine Universalität. Und noch etwas kann durch die auf die Verschiedenheit der nationalen Haßursachen gerichtete Methode des Nachdenkens nicht erklärt werden: das ist das die Vernunft beleidigende Mißverhältnis, das zwischen den ganz verschiedenen Begründungen der aus dem Haß fließenden Werturteile über uns und der g1eichwohl bestehenden dynamischen Einheit des Hasses besteht. Das ist einer der Springpunkte der psychologischen Frage. Und dies Mysterium steigert sich noch, wenn wir beachten, daß sich die Begründungen der typischen Haßurteile oft geradezu glatt widersprechen, der Haß selbst aber dabei dennoch völlig einheitlich bleibt. Nehmen wir nur ein auffälliges Beispiel. Seit Jahrhunderten hat man von uns gesagt, wir seien das Volk des grenzenlosen Individualismus (Personindividualismus wie Stammesindividualismus), das Volk, das wie schicksalsmäßig untereinander kämpft, wenn es sonst niemand zu bekämpfen hat, das Volk, in dem jeder (nicht nur der Professor) seine eigene Meinung und seinen besonderen Starrkopf hat, das Volk, das nur im Kriege einig und nur im Unglück groß sein kann, das Volk der Hyperkritik gegen sich selbst – das eigentlich »unsoziale« Volk. Und heute hören wir genau so oft das gerade Gegenteil: Wir seien ein hyperzentralisierter Bienenstaat, ein Volk serviler Gesinnung und unselbständigen Denkens, das blind seinen militärischen Führern folgt, ein Volk einer bloß klug ausgerechneten Organisation, ohne Originalität und Erfindungskraft in den Wissenschaften, dazu ohne jede Selbstkritik, vielmehr von äußerstem nationalen Größenwahn beseelt. Oder: Französische Gelehrte z. B. Pierre Duhem und andere schreiben, uns fehle jede Denkklarheit und aller gesunde Menschenverstand, wir seien in den Wissenschaften mystisch, nebulos, verworren, und es gelte »scientia germanica ancilla scientiae gallicae«. Siehe Pierre Duhem: »La Science allemande«, 1916. Aus Rußland dagegen tönt es, wir könnten nichts als rationelle Wissenschaft und es fehle uns überall an religiöser mystischer Inspiration. So könnte man stundenlang fortfahren. Muß man da nicht fragen: Wissen vielleicht unsere Feinde, ja weiß die Welt selbst nicht, warum eigentlich sie uns so haßt, wie sie uns haßt? Liegt derjenige Teil der Ursachen, der ihrem Hasse gemeinsam ist – gemeinsam trotz der natürlich noch je dazutretenden besonderen grundverschiedenen national oder politisch fundierten Ursachen – vielleicht für ihr eigenes Bewußtsein noch so sehr im Dunkel, daß darum die Begründungen auseinanderfallen und sich widersprechen können, ja müssen, gleichwohl aber ihr Haß dynamisch einheitlich bleibt? Nun – verehrte Anwesende – ich glaube, und das ist eine der Hauptthesen dieses Vortrages, daß es neben den partikularen Ursachen des Hasses gegen uns auch noch eine einheitliche und gemeinsame Ursache des Hasses gibt, eine Ursache, die eben so einheitlich und gemeinsam ist, wie die Dynamik des Hasses selbst. Und ich glaube weiter, daß der Welt diese Ursache nur dunkel bewußt ist und daß sie sich gar sehr unterscheidet von den mannigfaltigen Gründen, die die Welt für ihren Haß angibt.
Gehen wir nun ein wenig systematisch vor und teilen uns die Gesamtheit der unmittelbaren Ursachen nach Rangstufen ihrer Wirksamkeit ein. Erstens wollen wir sie einteilen in diese einheitliche Ursache und die sich ihr überall ansetzenden je national partikularen Ursachen. Über die partikularen Ursachen verweise ich den Leser auf mein Buch: »Der Genius des Krieges und der Deutsche Krieg.« Zweitens wollen wir die Ursachen scheiden in solche, die 1. in dem wirklichen Sein und Bestand des modernen Deutschland und seinem hervorstechenden Menschentypus gelegen sind, resp. in den wirklichen historischen Entwicklungstendenzen, die zu ihm hinführten; 2. in solche, die auf notwendigen, durch die unverschiebbaren Verstehensgrenzen der nationalen Geistesanlagen selbst bestimmten, durch Aufklärung darum nicht zu beseitigenden, und darum auch nicht »schuldhaften« Mißverständnissen unseres Wesens und unserer Einrichtungen z. B. unseres sogenannten Militarismus beruhen. Also um Mißverständnisse und insofern nicht um Ursachen, die in unserem wirklichen Sein liegen; aber doch um notwendige Mißverständnisse handelt es sich hier. 3. In solche Ursachen, die auf nicht notwendigen, teils durch uns selbst und unser Verhalten verschuldeten, teils durch die uns feindlichen Völker verschuldeten, in Zukunft darum prinzipiell aufhebbaren Mißverständnissen beruhen. 4. In solche Ursachen – es sind jene, die unsere Aufklärer ausschließlich zu sehen pflegen – die bloß in tatsächlichen Irrtümern, falschen Vorstellungen über die deutsche Wirklichkeit bestehen und die durch verbesserten Nachrichtendienst, durch Aufklärung des Verstandes faktisch zu beseitigen wären (z. B. alle die Entstehung des Krieges betreffende Fabeln, Zweideutigkeiten usw.). Trennen wir endlich auch überall die wesentlich in politischen Gedankensystemen und in nationalen Gesichtswinkeln begründeten Haßursachen.
Wenden wir uns zuerst zum Wichtigsten. Welches ist die unseren Feinden gemeinsame Ursache, die zugleich in unserem wirklichen Wesen, Sein und Gehaben liegt.