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Am Freitag kam der Baron kurz vor sieben Uhr abends in die Rabensteinsche Villa und sah sehr frisch und vergnügt aus.
»Meine Damen und Herren«, sagte er gleich, »heute bitte ich um Ihre größte Aufmerksamkeit, denn ich habe Ihnen Dinge von Melbourne zu erzählen, die Ihr Erstaunen erregen werden.«
Nach diesen Worten versammelten sich Alle gleich im großen Saale, und der Baron sprach so lebhaft, wie er noch nie gesprochen hatte; Alles lauschte, und der Baron erzählte das Folgende:
»Wenn man die Quarkereien hört, die man in Europa hören kann, so könnte man bersten vor Grimm. Aber in Melbourne wars besser; da konnte man an jedem Freitag mit einem Luxuszuge ins Innere der Erde fahren.
Die Wagen fuhren auf Gummirädern, die oben über dem Zuge angebracht waren, sodaß man kein Geräusch hörte, während man bequem in einer Sofaecke saß und zum Fenster hinausblickte.
Es ging zunächst durch kolossale Bergwerke, die prächtig erleuchtet funkelten; da sah man alle Arten von Gesteinen und Metallen, auch kleine Flüsse und viele edle Steine, Farben gabs da in Menge; man sah groteske Höhlen und große Felslandschaften mit weiten Perspektiven, auch viele Nebelgebilde und seltsame Rauchwirbel. Und es fiel mir garnicht unangenehm auf, daß vom blauen Himmel mit seinen Wolken nichts mehr zu bemerken war.
Und dann kamen wir immer tiefer und tiefer ins Gestein, und die Felsformen wurden immer phantastischer, und die Metalle und Edelsteine wurden immer massenhafter sichtbar – und dann gings ganz steil hinunter – mit blitzartiger Geschwindigkeit.
Allmählich kam der Zug dann wieder in die waagerechte Lage, und dann hielt er still, und wir durften auf der sogenannten Frühstücksstation aussteigen.
Und da saß man denn vor kolossalen Glasscheiben, hinter denen Walfische und andre große Fische scharenweise herumschwammen.
Aber ein Bahnbeamter machte uns gleich darauf aufmerksam, daß die Fische, die wir für Walfische hielten, ganz andre Walfische seien als die, die wir auf der Meeresoberfläche kennen lernen könnten; wir befanden uns nämlich siebentausend Meter unter dem Meeresspiegel in einem Tiefseegebiet, das allen Tauchern der Erde noch unbekannt ist; die großen Fische hatten alle riesig große Augen und sehr große Flossen und Schwänze.
Man aß in diesem Tiefseerestaurant natürlich nur Fische – aber natürlich nicht Tiefseefische, da die da unten selbstverständlich nicht gefangen werden konnten.
Die Techniker erzählten, mit welchem Raffinement die viele Meter starken Glasscheiben angebracht wurden – und wie sie auf der Seeseite mechanisch immerzu gereinigt würden.
Der Wasserdruck da unten ist natürlich so stark, daß das ganze Scheibenwerk nur durch Benutzung besondrer geologischer Verhältnisse herzustellen war; die Erörterung derselben würde mich aber zu weit ablenken.
Genug – die Scheiben waren da.
Und außerdem waren auch noch große Glasscheibentunnels da, durch die wir weiter fuhren – auf dem Meeresboden – sieben bis neuntausend Meter unter dem Meeresspiegel.
Da sah man denn rechts und links immer größere Fische – und kolossale quallenartige Tiere – und Tiere mit mächtigen Schlangenleibern. Und außerdem bemerkten wir ungeheure Tiere, die so aussahen, als wären sie mit dem Meeresboden fest zusammengewachsen.
Ein Professor, der in meinem Wagen neben mir saß, erklärte mir, daß einige der großen Tiere tatsächlich mit dem Meeresboden zusammengewachsen seien.
›Sie dürfen nicht vergessen‹, sagte er, ›daß wir bisher von diesen Tiefseeformationen so gut wie garnichts wußten. Von diesen angewachsenen Tieren hatten wir bisher gar keine Ahnung. Und wir dürfen diese angewachsenen Tiere auch ganz sicherlich nicht mit den Fischen, Quallen und Schlangen, die hier unten herumschwimmen, in unmittelbare Verbindung bringen. Diese angewachsenen Tiere haben zweifellos Leiber, die tief ins Innere der Erde hineinreichen. Diese angewachsenen Tiere gehören zur unterirdischen Tierwelt, die mit der oberirdischen, zu der wir natürlich auch alle Tiefseefische und Schlangen rechnen müssen, ganz bestimmt nichts mehr zu tun hat. Wir sind in Melbourne der Überzeugung, daß Alles, was auf der Erdrinde lebt, Parasitennatur besitzt; die Lebewelt der Erdrinde ist wahrscheinlich durch Meteore auf die Erdrinde gekommen und hat mit dem Erdball eigentlich innerlich nichts zu tun. Dagegen müssen wir in den großen angewachsenen Tieren der Tiefsee Lebewesen erblicken, die organisch zur Erde gehören und von dieser unzertrennlich sind, während wir die Erdrindenlebewesen sehr wohl von der Erde trennen können, ohne daß dieser dadurch etwas Wesentliches fortgenommen wird. Doch über diese Fragen sind die Gelehrten noch nicht einer Meinung.‹
›Das ist ein Glück!‹ sagte ich darauf unwillkürlich.
Ich war, wie Sie sich denken können, durch die Ausführungen des australischen Professors natürlich etwas verblüfft.
Ich wollte nun das eine der angewachsenen Tiere etwas näher in Augenschein nehmen – aber die Größe seines Leibes war doch so gewaltig, daß ich sie nicht einmal mit dem Fernrohre überblicken konnte. Wohl sah ich verschiedene hoch aufragende Gliedmaßen von dunkelgrüner und dunkelblauer Farbe; die Haut der Gliedmaßen erinnerte an Schlangenhaut – sah aber sehr porenreich aus und hatte an vielen Stellen große schneeweiße Blasen, in deren Innern es oftmals heftig flackernd aufleuchtete; nach dem Aufleuchten wurden die Blasen ganz bunt wie Opale; doch die Farben bewegten sich sehr lebhaft.
Eine Kopfbildung aber konnte ich an dem Ungeheuer nicht bemerken.
›Bemühen Sie sich nicht‹, sagte der Professor, ›das große Tier besser zu sehen; Sie werden sehr bald noch größere Tiere erblicken – und zwar so, daß Sie die Glaswand nicht mehr beim Sehen behindert; wir kommen gleich aus dem Glastunnel raus.‹
Und das geschah auch.
Wir fuhren durch einen Steintunnel, in dem nichts zu sehen war, und langten danach auf der zweiten Station an, wo uns zunächst ein üppiges Diner erwartete, das in kleinen Salons serviert wurde, in denen sich keine Fenster bemerkbar machten.
Nach dem Diner gingen wir auf die große Terrasse hinaus – mit der Cigarre im Munde.
Und dort auf der großen Terrasse ward uns ein Anblick zuteil – meine Damen und Herren, Sie könnens mir glauben, ich bin nicht schreckhaft, aber mir fiel gleich die Cigarre aus der Hand.
Ich stand in einer ungeheuerlich großen, weiten Höhle, auf deren Wänden viele purpurrote Steine leuchteten – ganz hell leuchteten.
Und unten in der Mitte entdeckte ich den furchtbaren Kopf eines Ungetüms mit weißen hausgroßen Augen, in denen smaragdgrüne Pupillen funkelten – immerzu funkelten wie unzählige Brillanten.
Die Nase des Ungetüms bestand aus vielen polypenartigen Rüsseln, die pechschwarz und glänzend aussahen und sich langsam nach allen Seiten drehten.
Und der Leib des Ungetüms füllte den ganzen Boden der Höhle und bildete eine bewegliche dunkelviolette Masse.
Und die Nasenrüssel des Ungetüms näherten sich unsrer Terrasse, und unbeschreiblich köstliche Wohlgerüche entströmten den Rüsseln.
Und dann hob sich der Kopf des Ungetüms ganz hoch empor bis zur Decke, und die Smaragdpupillen starrten uns an, daß wir zitterten.
Danach ging der Kopf wieder hinunter, und die schwarzen Rüssel drehten sich spiralförmig und wurden ganz dünn und sehr lang, und die Spitzen der Rüssel betasteten dabei die Wände der Höhle, auf denen die purpurroten Steine leuchteten.
Mit leiser Stimme sprach darauf der Führer unsres Zuges:
›Das große Wesen, das Sie sehen, ist mit Vernunft begabt und uns nicht feindlich gesinnt. Sie sehen in diesem Wesen, das ganz mit dem Innern der Erde verwachsen ist, eine Gottheit der Erde, der wir eine göttliche Verehrung entgegenbringen wollten; wir wollten ihm einen Tempel erbauen, doch die schwarzen Rüssel legten sich ganz sanft auf die Hände unsrer Arbeiter und schoben sie ganz sanft zurück. Wir ließen danach den Tempelplan fallen und bauten unsre Bahn weiter. Und beim Weiterbauen der Bahn wurde unser erster Baumeister plötzlich von einem Rüssel ergriffen und da drüben in jene Ecke geführt. Dort sah der Baumeister einen natürlichen Tunnel, ging hinein und untersuchte ihn und kam zu einer anderen Höhle, in der ein anderes Wesen hauste. Als der Baumeister das gesehen hatte, kehrte er um und wurde von demselben Nasenrüssel, der ihn dorthin geführt hatte, wieder ganz sanft zu uns zurückgeführt. Und so bauten wir denn unsre Bahn weiter – durch viele große Höhlen hindurch, in denen uns andre natürliche Tunnel in ähnlicher Weise wie hier gezeigt wurden, sodaß unser Bahnbau sehr schnell fertig wurde.‹
›Es ist zweifellos‹, meinte hierzu der Professor, ›daß wir hier einer echten Gottheit ins Auge gesehen haben.‹
Wir fuhren nun mit unsrem Zuge weiter – durch Höhlen und Tunnel immerfort. Und die Höhlen wurden immer prächtiger, und die riesigen Ungeheuer, die in den Höhlen wohnen, wurden immer seltsamer.
Wir sahen auch ein Ungeheuer, das ein großes Maul hatte; das Maul verzog sich so, daß es lachend aussah. Und dann hörten wirs auch lachen, daß die Wände dröhnten.
Wir sahen auch fabelhaft große Lebewesen, an denen wir eine Kopfbildung nicht entdecken konnten. Wohl aber hatten alle diese großen Erscheinungen unzählige seltsame Gliedmaßen und viele Fühlhörner wie die Schnecken und gewaltige Schlangenarme mit Gelenkbildung und auch Arme ohne diese Gelenkbildung. Und wir sahen auch offene Rüssel, in deren Innern eine fluorescierende Substanz immerzu sich bewegte und leuchtete.
Wir sahen auch viele dieser Körper in einer derartig verhärteten Masse, daß sie sich von der umgebenden Gesteinsbildung nicht unterschied. Manche Körper machten sich als lebend nur durch vielfach veränderliche Farbenerscheinungen bemerkbar.
Dabei rasten wir in unserm Zuge mit unheimlicher Schnelligkeit durch die vielen Grotten und Tunnel immer weiter. Und der ständige Wechsel in den ungeheuerlichen Erscheinungen griff mich sehr an, zumal in manchen Höhlen seltsame Dünste aufstiegen; in einigen Höhlen sahen wir unzählige Blasen herumschweben, die an große Seifenblasen erinnerten.
Um mich ein wenig zu zerstreuen, unterhielt ich mich öfters mit dem Professor, der ein geborner Melbourner war und immer in demselben Wagen mit mir fuhr.
Er erzählte mir auch von einem amerikanischen Naturwissenschaftler, der gleich nach der Entdeckung der großen Höhlen den Vorschlag gemacht hatte, die Riesenkörper wissenschaftlich zu untersuchen.
›Wir lehnten das‹, sagte der Professor, ›natürlich ab; da der Herr aber darauf bestand, gestatteten wir ihm, in einer relativ kleineren Höhle mit langen Leitern hinunterzusteigen. Wir zogen uns in den Eingang des nächsten Tunnels zurück und warteten ruhig ab, wie dem Herrn diese Expedition bekommen würde. Anfänglich ging alles ganz gut, und der große Erdriese bewegte sich nicht. Da jedoch hatte der kühne Herr die Kühnheit, sein Taschenmesser zu ziehen, um den großen, schlangenartig glitzernden Riesenkörper, auf dem er stand, auch mit seinem Taschenmesser zu untersuchen. Kaum aber fing der Herr damit an, so wurde er von zehn blitzschnell hervorschießenden Schlangenarmen gefaßt und in die Höhe gehoben. Und oben erhielt nun der Herr Naturwissenschaftler von andern Armen, die handartige Ausläufer zeigten, rechts und links furchtbare Backpfeifen, daß er jämmerlich schrie. Wir taten nichts zu seiner Rettung, und der Herr wurde danach ganz sanft von den Armen, die ihn festhielten, zu unsern Füßen niedergelegt. Der Ärmste hatte ein ganz geschwollenes Gesicht und so verschwollene Augen, daß er wochenlang nichts sehen konnte. Das Messer, das er fallen gelassen hatte, wurde dem Herrn von einem Arme des Erdriesen geschickt zugeklappt und dem Gemaßregelten mit unglaublicher Geschicklichkeit vor unsern Augen in die Tasche gesteckt. Da kamen wir lachend hervor und zogen schleunigst die Leitern wieder ein. Und nach diesem Vorfall werden wir jeden, der an eine Körperuntersuchung der Erdriesen denkt, sofort so behandeln, wie er es verdient – wir werden ihn eben schleunigst wieder an die Oberfläche der Erde befördern.,
Diese Geschichte amüsierte mich natürlich sehr, und wir sprachen noch viel darüber.
›Was hätten wir denn‹, meinte der Professor, ›gewonnen, wenn wir die Haut dieser Riesen, deren Lebensart uns so vollkommen unverständlich ist und die wir doch als höhere Lebewesen erkennen müssen, untersuchen könnten. Wir stehen hier einer ganz anderen Lebenssphäre gegenüber, die von der unsrer Erdrinde so verschieden ist, daß wir uns auf materialistische Untersuchungen garnicht einlassen dürfen, da sie ja doch zu nichts führen. Genug, daß wir die Riesen mit unsern Augen sehen können. Schließlich könnten wir ja auch unsern Augen nicht trauen und alle diese riesigen Erdhöhlen für Visionen halten. Und nach der Erkenntnistheorie sind ja alle unsre Augeneindrücke nichts weiter als Visionen. Was wollen wir also mit Tastsinnsuntersuchungen? Die haben doch noch weniger Realitätswert als die Augeneindrücke.‹
Wir sprachen noch viel darüber, während immer neue Wundergrotten an uns vorüberzogen – mit prächtigen unterirdischen Felslandschaften; oft sahen wir so köstliche Steine, daß wir minutenlang kein Wort hervorbringen konnten.
Und dann kamen wir in die sogenannte Tempelstation, wo wir mit Kaffee und Kuchen erfrischt wurden.
Hier hatten die Australier nochmals versucht, einen Tempel zu bauen – und waren nicht daran gehindert worden.
Der Tempel bestand nur aus Glas – aus großen, stellenweise undurchsichtigen Glasquadern und aus großen bunten Glasscheiben, durchsichtigen und undurchsichtigen. Durch einen Knopfdruck ließen sich alle Fensterbildungen in die Wände schieben. Und sobald das geschehen war, pflegte man im Innern des Tempels auf Orgeln und andern Instrumenten ein großes Konzert aufzuführen – und zwar mit Pausen.
Blieb in der ersten Pause alles still, so wurde nicht weiter gespielt.
Aber zuweilen kam nach den Tempeltönen aus dem Innern der Höhle eine seltsame feine Musik heraus, die gleichsam eine Antwort war auf das, was im Tempelinnern gespielt wurde.
Die Antwort wurde natürlich sorgfältig fixiert, und die Komponisten haben versucht, auf diese fixierten Töne der Erdhöhle musikalisch eine Gegenantwort zu geben.
Während ich da unten in der Tempelstation war, wurde aber nicht Musik gemacht, was ich sehr lebhaft bedauerte.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, jetzt ganz kurz sein: wir fuhren abermals weiter und kamen nach längerer Zeit in eine Höhle, die an Größe alle bisher gesehenen Höhlen übertraf. Diese Höhle war so groß, daß uns die andere Seite kaum sichtbar wurde. Und als wir da nun ausstiegen, sahen wir über uns – nordlichtartige Erscheinungen und ––– den großen Sternhimmel, den wir auf der Erdoberfläche sehen.
›Wir sind am Südpol!‹ sagte mein Professor ganz leise zu mir.
Es fällt mir schwer, chronologisch das Weitere hintereinander zu erzählen.
Ich wußte nicht recht: sollte ich zuerst nach oben oder nach unten blicken.
Die Erregung aller Reisenden war eine so große, daß der Stationsvorsteher uns bat, zunächst in seinen großen Speisesaal zu kommen, wo wir mit Delikatessen und guten Weinen erfrischt wurden.
Aber diese Erfrischung ließ sich jeder nur für ein paar Minuten gefallen; dann rannten wir alle hinaus.
Ich sah zunächst zum Himmel empor, da ich so lange keinen Himmel über mir gesehen hatte.
Und am Himmel grade über uns sah ich eine große runde, weißlich flimmernde Scheibe mit einem hellblauen Mittelpunkt.
›Das ist‹, sagte mein Professor, der immer an meiner Seite blieb, ›der Südpolmond. Wir haben ihn mit dem Teleskope untersucht; er befindet sich nur vier Meilen über uns und hat Kegelform, daher der hellblaue Mittelpunkt, der auf der oberen Seite die Spitze des Kegels bildet. Wir sehen von hier aus in das Innere des Kegels hinein – so wie in einen spitzen Hut. Was wir sehen, sind die Wände des Kegels – denn der Kegel ist hohl. Welchen Zweck dieser kleine Südpolmond hat, ist uns bisher noch nicht begreiflich, ebenso wenig wissen wir, ob diesem Südpolmonde ein Nordpolmond entspricht, da wir ja den Nordpol leider immer noch nicht entdeckt haben.‹
Da wurde ich etwas heftig und sagte:
›Wir können doch wahrlich damit zufrieden sein, daß wir auf diese Weise den Südpol entdeckt haben. Ich dächte, wir hätten damit vorläufig für die nächsten Jahrhunderte genug entdeckt. Man darf doch nicht unersättlich in seinem Entdeckungseifer werden.‹
Da versetzte mir aber der Professor lächelnd:
›Mein lieber Herr, man darf sich aber auch nicht zimperlich anstellen, wenn ganz neue, große Weltgegenden uns offenbar werden. Ich halte es durchaus nicht für richtig, jetzt so bescheiden zu sein. Blicken Sie zunächst mal in die Tiefe und sagen Sie mir, was Sie da sehen.‹
Ich blickte hinab und sah ein Wogen und Funkeln und ein fortwährendes Fluten von Linien und Formen und immerzu neue Farben, die sich veränderten und vermischten.
›Das ist das Innere der Erde!‹ rief ich begeistert aus.
›Das ist es‹, erwiderte mein Professor, ›aber glauben Sie, daß wir das mit unsern Teleskopen nicht untersuchen dürfen? Wir dürfen es, denn bei der Aufstellung der Teleskope wurden wir nicht behindert – im Gegenteil! Abermals haben uns wieder die Polypenarme der Götter an die Stellen gesetzt, die für Aufstellung von Teleskopen am besten geeignet sind. Wir sind infolgedessen zum Bau einer großen Rundbahn veranlaßt worden – die befindet sich aber erst in den ersten Stadien. Wir werden später Teleskope für das Erdinnere und auch solche für den Südmond haben. Und jetzt blicken Sie noch einmal zu den Wänden dieses riesigen Talkessels empor.‹
Ich tat es und war ganz sprachlos.
Da sah ich ringsum an den Talwänden Riesenleiber, die sich oben über den Kesselrand emporreckten. Ringsum – der ganze Trichterrand – zeigte viele Riesen – die aber waren ganz unbeschreiblich.
Die Riesen hatten Kometenformen an den Köpfen und leuchtende Armglieder, und alle diese feurigen Gliedmaßen reckten sich, was ich so lange noch nicht gesehen hatte, plötzlich hoch empor – und da entstanden Nordlichter ringsum.
›Sehen Sie, mein Herr‹, sagte mein Professor, ›die echten Südpolgeister. Und die kometenartigen protuberanzenartigen Feuerbildungen, die Sie an Nordlichter oder Südlichter erinnern – sind mit diesen zweifellos identisch. Wohl ist es wahrscheinlich, daß auch am Nordpol ähnliche Riesen die Nordlichter erzeugen – wie hier die Südlichter – wohl haben wir anzunehmen, daß auch dort hinter den Eisbergen des Nordpols das Erdinnere mit seinen Erdriesen sichtbar wird – aber wir wissen es nicht.‹
Ich setzte mich auf einen Feldstuhl und blickte hinauf – zu den unbeschreiblich großartigen Gestalten.
Und der Professor fuhrt fort:
›Wir müssen annehmen, daß die Kopfbildungen dieser Erdgeister, die sich hier am Rande des Südpoltrichters zeigen, aus Substanzen bestehen, die wir noch nicht kennen. Es zeigen sich da oben magnetische und elektrische Lichtwunder in so großer Zahl, daß wir noch nicht klug daraus werden. Sehr viele australische Gelehrte neigen zu der Ansicht, daß diese Riesen den Protuberanzen der Sonne ähnlich sind. Wie diese können unsre Trichterriesen mit ihren Köpfen, an denen man Nasen und Augen noch nicht entdeckt hat, sehr fix zu riesigen Höhen emporgelangen. Kurzum: wir habens hier sowohl wie in den Protuberanzen der Sonne mit materiellen Erscheinungen nicht mehr zu tun. Jedenfalls dürfen wir dabei nicht an das Materielle im gewöhnlichen Erdrindensinne denken. Diese Südpolriesen recken ihre Arme sehr oft zu dem Südpolmonde empor, und wir müssen daher annehmen, daß dieser Südpolmond, der übrigens sehr hoch in den Weltraum hinaufreicht, ganz innig mit den hier unten sichtbaren Riesen verwandt ist. Vielleicht bestehen die Wände dieses Kegelmondes auch nur aus solchen Riesen, wie wir sie hier sehen. Doch hierüber wissen wir nichts Genaueres, da die teleskopischen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind.‹«
Nach diesen Worten stand der Baron Münchhausen auf, verbeugte sich vor den Versammelten, die ganz still dasaßen, und ging hastig zur Türe hinaus.
Und als der alte Graf vom Rabenstein dem Baron folgte, war dieser schon fort; er fuhr in seinem Automobilschlitten sehr schnell im Vollmondschein durch den Grunewald – ostwärts.