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Ich besass es doch einmal,
was so köstlich ist ...
Wieder einmal rüstet man sich, unsre Stadt auf das empfindlichste zu schädigen, sie einer niemals zurückzugewinnenden Schönheit kaltblütig zu berauben. Und Wien bleibt ruhig. Kein Aufruhr durchbraust es. Gevatter und Gevatterin lesen neben Todesfällen und Theaternachrichten mit flüchtigen Blicken die nicht allzu belangvolle Mitteilung, meditieren darüber nicht weiter und gehen ihren Geschäften nach.
Man beabsichtigt, einen der wenigen monumentalen Prospekte zu zerstören, der Wien aus seinen grossen historischen Zeiten noch geblieben ist: das Gebäude des Kriegsministeriums »am Hof«.
Bürger dieser schon so arg und unrettbar geschädigten Stadt, ich muss wohl oder übel annehmen, dass ihr nicht sehet, was um euch vorgeht im Sichtbaren, dass alles, was nicht an eure nächsten Zwecke rührt, für euch nicht vorhanden ist; aber bedenket: mit eurer alten Stadt schwindet ein Teil der euch nährenden Atmosphäre, der Boden wankt, darauf ihr eure Utilitarierschritte schreitet, die Fremde tut sich um euch Arglose auf, die Heimat wandelt sich ins Elend.
Ich weiss, es macht euch nichts aus, dass dort, wo ein harmonisches Gebilde gestanden hatte aus Urväterzeiten, sich irgendein architektonisches Monstrum räkelt mit dem Stempel der Gemeinheit vor der wulstigen Stirn. Ihr habt dem Alten nichts abgewinnen können und beurteilt das Neue nicht. Aber ihr, die ihr so gleichmütig seid, glaubet nicht, dass eine schleichende Pest minder wirksam sei als eine plötzliche Katastrophe. Wo ein Leichnam liegt, verderben die Quellen. In einer Stadt, in der die Schönheit an der Wurzel abstirbt, erkrankt leise die Luft. In einer Stadt, wo sich an die Stelle des Ruhigen, des Grossen, des Rhythmischen das Lärmende, das Kleinliche, das Falsche drängen, erhält das Leben ein fahles, faltiges, gehetztes Antlitz.
Bedenket eines, ihr gleichgültigen Bürger einer einst wunderbaren Stadt. Diese Stadt stand um euch in gelassener Existenz. Sie hat euch nicht gestört, sie war aber eine stumme Macht über euer Leben, über das Schicksal eurer noch ungebornen Kinder.
Betrachtet den Dom von St. Stefan. Ihr lasset ihn immer wieder in süsslichen Couplets euch preisen, trinkt Grinzinger zu dem klebrigen Singsang und fühlet euch als beati possidentes. Nehmet an, man verfügte mit eins über euren »alten Steffel«. Man beliebte, ihn abzutragen. Das dünkt euch widersinnig, unmöglich.
Aber glaubet mir, genau so widersinnig ist es, wenn man euch – nicht hinterm Rücken etwa, sondern vor euren stumpfen Augen – das Kriegsministerium »am Hof« abträgt. Es ist kein »Wahrzeichen« wie der Stock im Eisen, der eine Reliquie ist, die ohne die Legende nichts vorstellt als ein ehrwürdiges Kuriosum, es ist weit mehr als so ein erst zu kommentierendes Wahrzeichen: eine architektonische Schönheit. Das Kriegsministerialgebäude ist nicht bloss ehrwürdig vor Alter, sondern weit mehr, es ist ehrwürdig um seiner grossartigen Existenz willen. Es ist ein Prospekt wie die Hofreitschule, wie die Stallburg, wie das Belvédère, die Karlskirche, das Dominikanerkloster, die Technik.
Prachtvoll schliesst diese breite Masse eine Sicht ab. Man nennt dies eben darum einen Abschluss. Das Auge will ruhen. Es fliegt durch Strassen und sucht, wo es eine Weile bleiben darf. Auf dem Dominikanerkloster darf es bleiben, auf der Stallburg. Meint ihr, es verweilte mit Behagen auf euren zinstragenden schändlichen Neubauten, etwa auf den protzigen Kulissen der »erweiterten« Kärntnerstrasse, des schmählich geschändeten »Neuen Marktes« (in dessen Mitte, Daniel zwischen den Bestien, Rafael Donners herrlicher Brunnen ein verwunschenes Dasein führt)? Das »Kriegsministerium« war ihm – ihr ahnt es nicht, Gleichgültige – ein Labsal, eine Friedensstätte.
Nun wollt ihr ihm das Asyl rauben, es weiter schicken in wilder Flucht hinab zum Quai. Warum? Damit die Wagen keinen Umweg zu machen brauchen und der Dienstmann seinen Gang zweckdienlicher einrichte? Der Wahnsinn der Strassenerweiterung reitet eure Doktrinäre.
Fern sei es von mir, heilsamer Verbreiterung des Luft-, Licht- und Bewegungsraumes, ein engherziger Fürsprecher der Enge, mich – theoretisch-platonisch freilich nur – zu widersetzen. Aber es gibt – das Problematische jener Sucht unberedet – ein Höheres als moderne Prinzipien und ihr Götzendienst: die Ehrfurcht vor ehrwürdigem Erbe.
Was macht den Ruhm unsrer alten Städte aus? Nicht ihre Wählerversammlungen, sondern ihre sichtbare Historie. Das, was eine Stadt an drängendem Leben erfüllt, ist nicht ihr Gehalt. Ihr Wesen ist ihre Physiognomie. Die aber hat die Zeit geschaffen.
Und geruhig kann man sagen: alles, was aus den frühern Zeiten, denen, die Kultur besassen (wir haben keine, wir haben dafür – betrogene Betrüger – den »Fortschritt« und die »Freiheit«) stammt, ist architektonisch wertvoll (hygienisch manchmal fragwürdig, zugegeben). Was man an die Stelle setzt, ist schlecht, zumindest dubios.
Es wird hier auch nicht altem Gerümpel, baufälligem Verkehrshindernis das Wort geredet. Es wird nur darauf hingewiesen, dass es Bauten gibt, die erhalten bleiben müssen, soll eine Stadt nicht um ihr historisch-ästhetisch-individuelles Wesen kommen; dass es Häuser gibt, die ganze Noten sind im Gewirr der Trillerketten, die uns heute allüberall überrieseln; dass manchmal noch so löbliche Vorwärtsdrängerei sich bescheiden soll vor gehaltvollem Erbtum; dass man um Gottes willen gelegentlich einmal doch vergleichen möge, was man gehabt hat und was man dereinst wird ausweisen können! –
Noch einmal, eh es zu spät ist, möchte ein Wiener – und vom Ausland aus, nach Vätersitte, – seine Mitbürger vor weichlicher Gelassenheit warnen, die Möglichkeit unersetzlichen Verlustes scheinbar teilnahmslosen Augen grell, schreiend schildern. Mit dem Gebäude des Reichskriegsministeriums »Am Hof« fiele nicht nur ein historisches Monument, mit seiner Verwüstung schwände nicht bloss eine manchem der täglich Vorüberwandelnden liebe Erscheinung, verblasste nicht bloss ein starkes Stück Wien (die Bognergasse war noch vor kurzem ein lückenloses Kapitel Barocke) zur Erinnerung: – ein Element der seelischen Kultur würde Generationen geraubt, künftigen Geschlechtern grausam, grundlos vorenthalten; denn die Erweiterungszwecke sind doch ernstlich kein Einwand gegen die Verteidiger des wahren Wesens einer grossen Stadt!
Was ist dieses prächtige Gebäude, abgesehen davon, dass es ein »Monument« vorstellt? (Heute versteht man unter Monumenten schnöde Bildwerke, wie sie auch schon unsre lang verschont gebliebene Stadt »schmücken«.) Eine der wundervollsten Kulissen Wiens. Weiss man, was im architektonischen Charakterbilde einer Stadt eine Kulisse heisst? Seht euch um, Mitbürger, wie man unsern Schauplatz, unsre »Szene« allgemach verwandelt hat. Vergleichet einmal Hinzugekommenes, all diese protzigen, klotzigen, hässlichen, unsäglich gemeinen Emporkömmlinge mit dem erlauchten Bestände, mit den organischen Gliedern eines herrlichen Ganzen, das nicht mehr als ein riesiger Torso ist: dem Wien, das wir Musikanten (in E. T. A. Hoffmanns Sinne) meinen, wenn wir Wien sagen. Heute freilich fühlt einer, fühlen Tausende bei dem Wort, das andern ganz anders nah geht, die »Lustige Witwe« oder gar etwas Literarisches (»Wiener Note« – »Nachbarin, Euer Fläschchen!«); andre, ehrlich und deutlich gesagt: Bessere fühlen ganz was anders, etwas, das sich ohne Lebende Bilder-Mumpitz aus der lebendigen, im Herzen lebenden Tradition ergibt, die so etwa hinklingt, lässig angeschlagen: Prinz Eugen, Haydn, Mozart, Kongress, Gentz, Prater, Schönbrunn, Bauernfeldt, Nestroy, Grillparzer, Saar, eine Tradition, die in Palästen wie in Vorstadtstuben, beim Heurigen wie in der Freudenau noch mitschwingt, unhörbar groben Ohren, unendlich süss und wehmütig zugleich musikalischen. Dieses Wien lebt nur mehr inkognito, verschämt fast im Lärm des unangenehmen Intellekts, der jetzt die reizende Stadt Fremden fälscht, Einheimischen nahezu verleidet. Und von diesem herrlichsten Erbe stehen noch einige steinerne Zeugen, darunter das »Kriegsministerium«. Noch einmal: nicht »historisch« ist das gesagt, nicht bloss ästhetisch gemeint von einem, der sich in die hässliche Welt der Plakate und Grammophone nicht hineinfinden kann, sondern ethisch! Die imposante breite Masse dieses harmonisch gegliederten Gebäudes ist mehr als ein geradezu einzigartig schöner Abschluss einer Perspektive: sie ist ein Faktor der Seele von Geschlechtern. Glaubt ihr, Mitbürger, dass euren Kindern gar nichts fehlen würde, wenn sie fehlte? Auch denen, die gar nicht wüssten, dass es jemals etwas so unerhört Vornehmes wie dieses Haus gegeben hätte, würde etwas fehlen. Sicherlich! Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob einer in erfüllter oder ob er in leerer Umgebung erwachse. Es ist durchaus nicht belanglos für das Wesen eines Werdenden, welche Eindrücke seine (noch so gleichgültigen) Sinne, die unbewusst offnen, empfangen, aufnehmen, still verarbeiten. Wehe dem Kinde, das in einer Stadt aufwüchse, die nichts vom grossen, echten Erbe der verschwundenen Zeit besässe! Sehet die Amerikaner, die »praktischen«, wie arm sie sind. »Unser Kontinent, das alte,« hat in seinen Vergangenheiten – auch den verlorenen – eine Fülle der seelischen Kraft, die uns festigt zum Kampf gegen das stampfend gegen uns antrampelnde Gemeine. »Nicht vom Brote lebt der Mensch, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt.« Die grosse Kunst aber ist von Gott.
Und nun geht hin und reisst wieder einmal ein adeliges Stück »Natur« gewordener Architektur aus dem wehrlosen Leib dieser geliebten Stadt, geht hin und entfernt alles, was anmutig, harmonisch, gelassen, selig in sich selbst ist, zerstört den Platz am Hof, den Franziskanerplatz, vielleicht auch den Josephsplatz. – – – Ihr regaliert uns ja dann grossmütig wieder mit der Panoptikum-»Kunst« eurer Denkmäler.