Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Ilsetal, unterhalb der schäumenden Ilsefälle, stand vor langen, langen Jahren, als das Reisen eben Mode geworden war, eine Bude mit glitzernden Glassachen, Vasen, Gläschen, Dosen und Tellern, die die Aufschrift: »Andenken an das Ilsetal« trugen. Der Besitzer dieser Verkaufsbude war ein noch junger, sehr eifriger und fleißiger Mensch. Er hatte den Andenkenhandel im Ilsetal bisher ganz allein für sich gehabt. Daher wollte er seinen Augen nicht trauen, als eines Tages ein fremder Mensch mit einem Wagen voll Bretter und Kisten angezogen kam und gegenüber von seiner Bude an der andern Seite des Weges gleichfalls eine Bude aufschlug.
Mit steigender Angst sah er dem Werke zu. Was fiel dem Menschen ein? Was wollte der hier? Was wird der aus seinen Kisten ans Tageslicht bringen? Ums Himmels willen, doch nichts, was seiner Ware ähnelte? Er fragte, bekam aber groben, ausweichenden Bescheid; da wartete er in größter Spannung.
Und siehe da, seine ahnende Sorge war nicht umsonst gewesen. Er fiel beinahe um vor Schreck, als der Mann nach Fertigstellung seines großen, sauberen Verkaufsstandes an das Auspacken der Kisten ging.
Glaswaren! – Andenken! – Wahrhaftig!
Hans Peter, unser junger Händler, konnte keinen Blick von den Schätzen seines Nebenbuhlers wenden. Ja, Schätze, wirkliche Schätze! Rot und bleich wurde Hans Peter. Er hätte sie zertrümmern mögen, diese reizenden, schöngeformten, farbenschillernden Sachen. Ein bittrer Schmerz erfüllte seine Seele. Wo mochte der Händler diese Ware aufgetrieben haben? In ein Nichts versanken nun seine Sachen, die ihm gestern noch so hübsch gedünkt. Die Formen seiner Gläschen und Väschen kannte man nun schon seit so vielen Jahren. Aber der da drüben hatte lauter neue, wundervolle Sachen, die man hier im Tale noch nie gesehen. Daß so etwas überhaupt aus Glas zu machen sei, hätte Hans Peter nie geglaubt.
»Ich kann gleich einpacken,« dachte er völlig vernichtet. Noch einmal faßte er sich ein Herz und schöpfte ein bißchen Hoffnung. Viele der Reisenden, die jedes Jahr wieder nach dem Brocken kamen, kannten ihn; sie würden gewiß nicht so treulos sein, bei dem da drüben zu kaufen. Übrigens wollte er es allen Leuten erzählen. Welches Recht hatte dieser Mensch, sich daherzusetzen? Den Andenkenhandel hatte er besorgt, er war sein seit vielen Jahren.
Er rief unter heftigen Schmähreden seinem Gegenüber dies alles zu.
Der neue Budenbesitzer lachte aber nur, und ebenso lachten auch die Menschen, die er unter allerlei aufreizenden Reden von drüben wegzubringen und an seinen Stand zu locken suchte. Man rief ihm entgegen, was ihm denn einfalle! Er sei zu komisch! Was einem besser gefiele, das dürfe man doch kaufen. Diese neumodischen Büchsen, Gläschen und Vasen, himmelblau, lichtgrün und rubinrot, mit blitzendem Silber oder Gold, seien eben wirklich reizend. Und das Recht, hier im Tale seine Waren zu verkaufen, habe doch jedermann.
Ein paar seiner früheren Kunden kauften auch wirklich bei dem Abscheulichen. Der arme Hans Peter durchlebte einige Tage voll harter Qual.
Es war wonniger Frühling, kurz vor Pfingsten, die beste Zeit zum Wandern und Reisen. Das ganze Tal hallte schon wider vom Lachen und Jauchzen, von Tritten und Wanderliedern. Wer es vermochte, hatte sich schon jetzt, mehrere Tage vor dem Feste, aufgemacht, denn die Natur war nun nach vielen Regenwochen zur größten irdischen Herrlichkeit aufgewacht, alle Kräuter und Blumen strotzten von Schönheit und Kraft, alle Vögel sangen, das ganze Tal war ein einziger grüngoldiger Schimmer, durch den die Ilse in ihrem funkelnden Silberkleid lustiger als je tänzelte und hüpfte.
In dieser Pracht und Lieblichkeit saß am Sonnabend vor dem Pfingstfeste Hans Peter ein paar hundert Schritte oberhalb seiner Bude an einer einsamen umbuschten Waldstelle und weinte. Der arme Kerl! Er hatte eben etwas ganz Verzweifeltes getan, er hatte seine Bude geschlossen. Drei Tage lang dieses Fieber, dieses schmerzliche Beneiden, Grollen, Grämen zu ertragen, das war das Ärgste gewesen, was er auszustehen vermocht hatte. Nun war seine Kraft gebrochen, nun konnte er nicht mehr. Die Leute drängten sich ja förmlich drüben um die neumodischen Herrlichkeiten. Wer vorbeikam, blieb dort stehen. Wer nicht kaufte, der lobte und bewunderte wenigstens. Zu ihm flog höchstens einmal ein mitleidiger oder spöttischer Blick. »Ach, das sind die altmodischen Sachen, die man schon hundert Jahre kennt.« Ans Kaufen dachte kein Mensch. Nichts, rein nichts hatte er eingenommen in dieser ganzen Zeit.
Da war ein wilder Zorn über ihn gekommen. Vor aller Leute Augen auf den Steinen zerschlagen hatte er seine prächtigen Gläschen, Zerbrochenes und Gutes in die Kiste geworfen, den Deckel zugeschlagen und mit dröhnendem Hammerschlage die Bude abgebrochen.
»Wie ein törichtes, unbändiges Kind,« hatte jeder gedacht, der es sah.
Und wie ein Kind saß er nun da, der lange, starke Mensch und trotzte und schluchzte und weinte. Tief traurig sah er in die goldige Frühlingspracht. Im ganzen Tale war nur ein einziges Wesen, das noch betrübter, noch trauriger blickte.
Von Hans Peter unbemerkt, ihm gegenüber auf einem umrankten Felsstücke nahe der Ilse saß dieses Geschöpf. Daß so etwas Liebliches trauern kann, hätte man nicht meinen sollen. Die Pracht dieses goldigen Haares, die schneeige Zartheit dieses Gesichtes, das Funkeln und Glitzern dieses weißen, silbergestickten Gewandes blendeten wie Sonnenlicht. Und doch sprach aus den schönen, blauen Augen tiefste Kümmernis, bitterstes Leid. Das bleiche Gesichtchen war wie erstarrt und bekam erst ein wenig Leben, als die traurigen Blicke zufällig auf den abgehärmten Burschen da drüben fielen. »Gibt's noch mehr Leid? Weinen auch noch andre?« schienen die schönen Augen verwundert zu fragen. Immer mitleidiger, immer ängstlicher starrten sie auf das schluchzende Menschenkind.
Und plötzlich hielt es die weiße, himmlische Gestalt nicht mehr auf ihrem Steine. Ein heller Glanz floß in die lauschige, grüne Dämmerung, in der Hans Peter saß. Als dieser betroffen aufblickte, stand sie vor ihm, so schön, wie er noch nie etwas auf der Welt erblickt hatte.
Er wußte gar nicht, was er in seiner Bestürzung sagen und tun sollte. Eine Fee erschien ihm, dem armen, unglücklichen Menschensohne! Zu ihren Füßen wollte er hinknieen, von Bewunderung und Demut überwältigt.
Aber da wehrte sie mit einem milden Lächeln ab. Vor ihr dürfe niemand knieen, sagte sie heftig. Er solle ihr nur sagen, was ihm fehle, was ihn so unglücklich und verzweifelt mache. Vielleicht könne sie ihm helfen.
Was ihm fehle? Hans Peter wußte es in diesem Augenblicke selbst kaum mehr. Die Erscheinung entzückte ihn so mit ihrer Schönheit, ihrem sanften, überirdischen Glanze, sein Herz schlug so heftig, daß er die Gedanken kaum sammeln konnte. Verschämt und stotternd brachte er endlich seine Kümmernisse heraus, immer wieder um Verzeihung bittend, daß er von so niederen Dingen mit einer mächtigen Fee zu reden wage. Sie solle ihm doch nicht zürnen, bat er bescheiden und verlegen.
Nein, die Fremde sah ihn wahrhaftig nicht so an, als ob sie zürne. Nur traurig, nur eigentümlich forschend und nachdenklich hafteten ihre Blicke, während er sprach, auf seinem Gesichte.
»Ich könnte dir vielleicht helfen,« sagte sie leise, noch immer in Sinnen versunken, als er seine Erzählung geendet hatte.
Er sah sie an voll gespannter Erwartung.
»Willst du mich als Dienerin, als Verkäuferin nehmen für deine Krambude?« fragte sie leise und schüchtern. »Dann wirst du Glück haben!«
Hans Peter wollte seinen Ohren nicht trauen. »Dich? Als Verkäuferin?« stotterte er. »Dich, eine Fee?«
Da ergriff das schimmernde Wesen mit demütiger Gebärde seine Hand.
»Nimm mich an!« sagte sie, und ihre leise Stimme zitterte vor tiefer Bewegung. »Laß mich dir dienen drei Jahre lang in Fleiß und Treue! Dann wirst du reich sein, der reichste Mann im ganzen Harz.«
Hans Peter starrte immer noch, als höre er nicht gut, auf die wunderbare Sprecherin.
»Das kann doch nicht sein!« sagte er wie im Traume. »Du, meine Magd? Das ist ja unmöglich! Ich bin ja nur ein armer Mensch!«
»Und ich,« sagte sie, und ein schluchzender Ton rang sich aus ihrer Brust, »ich bin ein noch viel ärmeres Wesen. Ich bin ein verstoßenes Kind aus dem Feenreiche, eine Bestrafte, eine Verbannte!«
Und leise, in traurigem Tone erzählte sie ihm ihr Geschick.
Was nie geschieht im Reiche der Feen, das hatte sie getan. Sie war der Herrin, der Königin ungehorsam gewesen. In unbezwinglicher Sehnsucht nach den Wundern der Erde hatte sie das Feenland verlassen, ehe sie in das Alter eingetreten war, in dem den Feentöchtern ein Blick in die Erdenwelt vergönnt ist. Nun war ihr die Pforte zu ihrer seligen Heimat verschlossen. Drei Jahre lang mußte sie einem Menschen dienen und gehorsam sein, um ihren Ungehorsam zu sühnen. Drei Jahre lang mußte sie Magd sein, und zwar eine makellose Magd. Sobald sie sich dreimal einen Tadel zugezogen, mußte sie weiter wandern und von neuem in einem andern Dienste ihre drei Strafjahre beginnen. »Drei Jahre ohne ein Scheltwort, ohne Strafe! Man sagt, das sei schwer, schwer im Menschenlande. Man sagt, die besten Menschen seien oft ungerecht und heftig gegen ihre Mägde, auch dann, wenn diese wirklich ihr Bestes tun. Und das will ich tun, das werde ich tun! Grund zur Klage wirst du gewiß nie haben, wenn du mich nimmst. Ich will dir nicht nur dienen in Geduld und Gehorsam, ich will dir auch die Ware zum Verkaufe holen und schaffen aus einem Orte, wo es herrliche Dinge gibt, wie kein andrer Mensch sie hat. Nur eins: sei mir ein guter Herr! Sei freundlich, sei gütig zu mir! Tadle mich nicht, schilt mich nicht – sonst muß ich dich verlassen!«
»Dich schelten? Ich dich schelten?«
Ein Ton tiefer Rührung und Bewegung war es, in dem der junge Glashändler diese Worte sprach. Er konnte es noch immer nicht fassen: die Fee, die herrliche, himmlische, zu ihm, dem armen Schlucker, als Magd! Noch immer wehrte er ab in Scheu, in Demut. Aber das Feenkind bat so innig, so eindringlich; sie habe ihr Magdgewand mitbekommen, sagte sie. Wenn er einwillige, sie zu nehmen, kleidete sie sich im Augenblick im tiefen Walde an und ginge als schlichte Magd, der keiner die Herkunft ansehen werde, mit ihm seines Weges. Morgen früh, ehe jemand erwache, werde sie ihm seinen Kram aufbauen so schön, daß er lachen und staunen werde.
»Willst du mir auch wirklich ein guter Herr sein?« fragte sie mit stehendem, ängstlichem Ausdruck, als sie sah, wie er mehr und mehr auf ihre Bitten und Vorstellungen einging. »Sieh, wenn ich in meinen Magdkleidern stecke, wenn ich dir dann untertänig diene, wirst du es vielleicht einmal vergessen, wer ich eigentlich bin!«
Da fuhr er gekränkt auf: »Vergessen? Nie! Immer werde ich dich sehen, wie ich dich jetzt sehe. Ich kann das Glück gar nicht fassen, daß du mit mir gehst.«
»Warte nur,« sagte sie freundlich, »wenn ich mein Magdkleid erst anhabe, dann erscheint dir alles gleich viel natürlicher.«
Es war auch so. Viel natürlicher und nüchterner kam ihm die ganze Sache ein paar Minuten später vor.
Im einfachsten Jäckchen und Rock, eine saubere Schürze vorgebunden, das goldene Haar fest und glatt geflochten, ein ärmliches Bündel in der Hand, war die Fee nach kurzem Verschwinden wieder zum Vorschein gekommen.
Wirklich, als sei sie immer und immer nur eine arme Magd gewesen, so schlicht und einfach ging sie dahin in bescheidener Haltung und sittigem Schritt. Nichts fiel an ihr auf. Das blasse Gesicht sah sehr lieb und gut aus, aber der blendende Schimmer war davon wie abgestreift.
Trotzdem schlug des Burschen Herz in lauten Schlägen, als er so neben ihr herging. Mochte es auch kein andrer mehr erkennen, er wußte: »Die, die neben dir schreitet, ist eine Fee voll gewaltiger Macht; sie wird dir Glück bringen und Segen, sie kann mehr als das mächtigste Menschenkind.« Große Ehrfurcht vor ihr erfüllte sein Herz, und eine eigene festliche Erwartung gesellte sich dazu. Was werde ich morgen erleben? Eine Fee füllt mir meinen Laden mit Wunderschätzen, da kann es nicht fehlen, daß ich meinen Gegner aussteche.
Er malte sich die ganze Nacht hindurch seinen blitzenden, glitzernden Stand so schön und lustig wie möglich aus.
Aber die Wirklichkeit übertraf doch noch seine Erwartungen.
Berta, wie die Fee als Magd genannt sein wollte, hatte beim gestrigen Abschiede bescheiden und freundlich gebeten, er möge sie morgens früh allein mit Karren und Kisten hinausfahren und alles besorgen lassen. Das Frühstück wollte sie ihm bereitstellen. Wenn er es genossen habe, solle er nachkommen. Wo sie schlafe und ruhe, das solle ihn nicht kümmern. Sie finde ein Plätzchen; meist werde sie weg sein in der Nacht, dann solle er sich nicht sorgen; sie hole dann die Ware aus dem großen Lager glitzernder Kristallschätze, das zum Feenreiche gehöre.
Ohne den geringsten Zweifel, als sei sie schon viele Jahre in seinem Dienste, hatte der Mann sich auf ihr Wort verlassen. Und alles war so, wie sie gesagt. Auf dem Tische in seiner Küche stand ein Frühstück, so kräftig und schmackhaft, wie er es noch nie genossen; das Stübchen war rein und festlich blank.
Und sein Kramladen draußen im Ilsetal! Hans Peter meinte, das Herz müsse ihm zerspringen vor Stolz und Glück, als er die Andenkenbude, die er gestern in seiner Verzweiflung geschlossen, heute im Sonnenlichte wiedersah. Was für entzückende, wonnige Sachen standen da! Welch ein Blitzen und Glitzern ging von ihnen aus! Gläser von echten Edelsteinfarben, rosigzarte, topasfarbene, saphirblaue, lichtgrüne, weiße, alle in den wunderbarsten Formen, von einem Eisgeglitzer bedeckt, mit Regenbogenschimmer und sanftem Taugefunkel überhaucht wie feuchte Blumen, andre selbst in Blumenform als Rosen und Tulipanen, jedes Stück mit dem Worte »Ilsetal« in alter Goldschrift. Winzige Spinnrädchen aus gesponnenem Glase, mit Maiglöckchen verziert, Körbchen mit winzigen Früchten, Dosen aus Spiegelglas, Salzfäßchen, Schreibzeuge und viele andre liebliche Dinge mehr standen da in anmutiger Ordnung aufgereiht.
Der Bursche hätte seiner gütigen Fee die Hände küssen mögen vor heißem Dank. Aber von Dank mochte die stille, geschäftige Berta durchaus nichts wissen. Ganz verwundert sah sie ihn an, als er davon sprach. Er war der Herr, er sollte nur sagen, ob er zufrieden sei. Seine Zufriedenheit zu erwerben, war ihr einziges, eifriges Bemühen. Er mußte angeben, zu welchem Preise die Sachen verkauft werden sollten. Aufmerksam hörte sie zu. Und wie flog sie geschäftig hin und her, als der herrliche Pfingstsonntag Reisende in großer Menge ins Tal lockte und jeder mit einem Ausruf des Entzückens vor Hans Peters Kaufstand stehen blieb und jeder, auch der Ärmlichste, ein Stück von diesen wunderbaren Herrlichkeiten kaufen und mitnehmen wollte!
Der ganze Stand war am Nachmittage ausverkauft. Der neue Händler, der heute fast gar keine Geschäfte gemacht hatte, atmete auf; Hans Peter war selig.
Er war höchst verwundert, als Berta auf dem Heimwege in den Ort, statt seinen Dank anzunehmen, ängstlich und demütig um Verzeihung bat. »Bitte, habe Geduld, schilt mich nicht! Es war zu wenig Ware heute, ich weiß es wohl. Morgen hole ich mehr. Hab' nur immer Geduld mit mir! Ich bitte dich, sei gut, sei nachsichtig!«
Pans Peter fragte ganz bewegt, wie es denn anders sein könne! Wie sie so reden könne! Welch ein Recht er denn auf ihre Güte habe? Er könne ja nur immer danken, immer danken!
Da sah sie ihn freundlich und glücklich an. Und jedesmal, wenn er sie lobte und pries, hatte sie diesen dankbaren, glücklichen Blick.
Er lobte und pries sie von Tag zu Tag immer mehr. Er wußte kaum, was anfangen vor Glück und Seligkeit. Am zweiten Tage war der Kaufstand noch viel schöner und reicher versehen als am ersten. Das Geschäft ging glänzend; schwerer noch als gestern war der Beutel am Nachmittage, und wieder mußte die Bude vor Sonnenuntergang wegen ausverkauften Vorrats geschlossen werden. Die ganze Pfingstwoche ging es so weiter, und auch dann hörte die gute Zeit nicht auf, denn das Ilsetal wird ja nie leer von Wanderern und Reisenden. Der lustigste Tag für Hans Peter war es, als der Nebenbuhler ihm gegenüber wegen schlechten Geschäftsganges seine Bude schloß und davonzog. Nun hatte er das Tal wieder allein! Wenn es so fortging wie jetzt, war er in ein paar Jahren ein steinreicher Mann.
Ein Häuschen wollte er sich nun überhaupt nicht erst kaufen, sondern warten, bis er genug hatte zu einem großen Gute. Drei Jahre lang wollte die Fee bei ihm bleiben. In drei Jahren mußte er so viel haben, daß es zu einem Gute reichte; er hatte sich's ausgerechnet. Sobald er an das glückliche, stolze Ziel dachte, kam immer eine ganz besondere, unruhige Hast über ihn. Er vermochte den Kunden seine Sachen nicht genug anzupreisen, das Geschäft konnte nicht flott genug gehen.
In einer solchen aufgeregten Stimmung war ihm einmal etwas Unbegreifliches, Unverzeihliches widerfahren.
Er hatte sich ausgerechnet, so und so viel müsse bis zum Abende verdient sein, und das war, obwohl die Summe groß war, leicht möglich, denn es lag heute ein Prachtstück auf dem Verkaufstische, eine herrliche Schale von Kristall, die allein einige Taler wert war. Ein reicher Herr, der in einer stattlichen Kutsche vorbeifuhr und am Verkaufsstande hielt, war auch wirklich ganz entzückt von der Schale, fand den Preis nicht zu hoch und wollte sie kaufen. Erfreut reichte Hans Peter die Schale der Berta hin, daß sie diese in feines Papier einwickle; eilig und dienstfertig griff Berta zu – zu dienstfertig vielleicht – die Schale fiel zu Boden und zersplitterte in tausend kleine Stücke.
In diesem Augenblick hatte Hans Peter ganz vergessen, daß seine holde Gehilfin ein Feenkind war. Die Zornader schwoll auf seiner Stirn.
»Kannst du nicht achtgeben, du ungeschicktes Ding?« schrie er aufgebracht. »Die schönste Schale!«
Im nächsten Augenblicke besann er sich, sein Zorn verrauchte; er war totenbleich.
»Berta,« bat er tief beschämt, als der Herr mit einem andern kleinen Einkäufe davongefahren war, »verzeihe mir, was ich gesagt habe! Ich weiß nicht, wie es über mich kam. O ich Tor, wie konnte ich vergessen! Oh, kannst du mir verzeihen?«
Das Mädchen antwortete mit keiner Silbe. Sie stand da, die Hände vor das Gesicht geschlagen, in tiefem Schmerze. Ein trauriger Blick traf den Mann, als sie endlich aufblickte und sich wieder an ihre Arbeit begab.
»Noch zweimal,« flüsterte sie leise, »dann muß ich gehen!«
Dem Manne fuhr der Schreck durch und durch. Gehen? Nein! Das sollte wirklich und wahrhaftig nicht geschehen! Er hatte sie ja nicht kränken wollen, er hatte sich nur übereilt.
»Du hast mich gescholten,« sagte sie sanft, in großer Traurigkeit. »Es war das erste Mal!«
»Aber auch das letzte Mal, so wahr ich – –«
»Schwöre nicht!« unterbrach sie ihn eifrig. »Hab' nur Geduld mit mir! Nimm dich nur zusammen! Zürne mir nicht mehr!«
Der Mann nahm sich vor: Wahrhaftig, das will ich! Er war traurig, zornig über sich selbst. Immer von neuem sann er nach: Wie konnte das nur geschehen? Ein wenig war auch sie schuld daran, sagte er sich. Warum war sie gar so dienstbeflissen, so ängstlich, ihm alles recht zu machen? Wäre sie anders, er hätte sich nicht vergessen, hätte nie ein hartes Wort auszusprechen gewagt. Warum war sie so? Er konnte es manchmal wirklich kaum ertragen, sie so unterwürfig zu sehen. Das hatte ihn schon immer gereizt.
Von dieser Zeit an war er noch öfter aufgeregt. Wie demütig sie sich zu jeder geringen Arbeit schickte! Wie bescheiden sie fragte, ob sie es ihm recht gemacht! Wie sie abends nach getaner Arbeit höflich bat: »Darf ich gehen, Herr? Darf ich?« da sie doch immer nur für ihn ging, neue Schätze, neue Reichtümer aus der Berge Schoß herbeizuholen.
»Geh zum Kuckuck!« schrie er sie eines Abends ärgerlich an.
Sie ging aber nicht. Sie blieb an der Tür stehen, und ein Blick der Klage und des bittersten Vorwurfs flog zu ihm hin. Da besann er sich.
»Zum zweitenmal!« sagte sie tiefbetrübt.
»Aber auch zum letztenmal!« rief der Mann und schlug sich mit der Hand vor den Kopf, als wollte er den starren, törichten Kopf zerschellen. »Verlaß dich darauf! O ich unsinniger Tor! Ich meinte es ja nicht schlimm! Und ich will mich nun noch besser im Zaume halten. Meine Wohltäterin, verzeih mir, daß ich mich hinreißen ließ! Es war das letzte Mal, gewiß das letzte Mal!«
Die Fee in Magdgestalt schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich glaube dir nicht!« sagte sie. »Ihr Menschen könnt es nicht vertragen, daß jemand euch dient. Das sagten mir schon die Schwestern im Feenlande. Treue Dienstbarkeit macht euch hochmütig und heftig. Selten, selten wie Gold im Bergesschoße seien die Tugenden der Gebieter: Nachsicht und Freundlichkeit!«
Er wollte ihr dies ausreden, wollte sie eines Bessern belehren, aber sie schüttelte nur ungläubig und traurig den Kopf.
»Du wirst es sehen!« sagte sie, »ich muß von dir gehen.«
»Nein, o nein!« rief er. »Ich werde doch meine Fee nicht von mir lassen! Ich achte fortan auf mich, du wirst es sehen. Gewiß, gewiß! Verzeihe mir nur noch diesmal!«
Sie sagte in schmerzlichem Tone: »An meiner Verzeihung liegt es nicht.«
Einige Wochen waren seitdem vergangen. Hans Peter konnte sein eigenes Inneres nicht verstehen. Er konnte es selbst kaum fassen: drei-, viermal war er in dieser Zeit nahe daran gewesen, seine holde Feenmagd wieder anzufahren, zu schelten. Mit Gewalt hatte er immer noch an sich gehalten, sich vorgestellt, was das heiße, das Wesen, vor dem er einst in Demut gekniet, das ihm all sein Glück gegeben, schlecht zu behandeln. Und doch – ein Ungeschick, ein Versehen von ihr – und da wallte das Herrengefühl gegen die Magd in ihm auf.
Eines Tages wäre es bald wieder zum Ausbruch gekommen. Er hatte sich noch beherrscht, hatte im rechten Augenblick noch tief bereut. Nur einen zornigen Blick hatte Berta aufgefangen. Zusammenzuckend hatte sie sich da von ihm abgewandt; den ganzen Tag hatte sie ihre traurigen Augen, aus denen die Tränen rollten, nicht mehr aufgeschlagen.
Mit kaum vernehmbarer Stimme hatte sie ihm am Abende »Schlaf wohl!« gesagt. Das klang so eigen.
Er fand die ganze Nacht keine Ruhe vor banger Angst.
Wäre es möglich, könnte sein unfreundlicher Blick schon als Schelte gelten? Könnte sie ihm verloren gehen, Vertrieben werden durch seine Schuld? Dieser Gedanke war ihm unerträglich. Er konnte den Morgen kaum erwarten, den Augenblick, da er sie Wiedersehen sollte.
Als er sich von seinem Lager erhob, stieg seine Angst. Kein Frühstück stand für ihn bereit, kein Blumenstrauß stand wie sonst auf dem Tische.
Da benahm ihm die Angst den Atem. »Verloren, verloren das Glück!« dachte er ganz außer sich. In heißer Erregung stürmte er den gewohnten lieben Weg zu seinem Kaufstande hinaus. Das Geplauder der Ilse, die ihm über die blanken Steine entgegentanzte, schien ihn zu höhnen. Und noch spöttischer klang's, als er sein Ziel erreichte, als er in der kühlen Morgenfrische droben stand neben dem leeren, kahlen Verkaufstische, wartend, nach allen Seiten spähend.
Berta kam nicht. Es war alles vorbei!
Er überlegte nicht, daß es eigentlich noch viel zu früh war, daß er um diese Stunde noch niemals hier geweilt habe.
Er wartete und wurde dabei immer ärgerlicher, immer aufgeregter, je vergeblicher sein Warten schien, zornig auf sich selbst, der in läppischer Heftigkeit das liebliche, rührende Geschöpf auf immer von seiner Seite vertrieben, der sein Glück zerstört hatte – und das ihrige dazu.
Er schalt sich; er hätte sich schlagen mögen! Doch sieh! – War sie aus der Erde gestiegen? War sie aus der Ilse emporgetaucht? War sie aus dem Walde gekommen mit ihrem großen Korbe voll glitzernder Herrlichkeit? In aller Lieblichkeit stand sie auf einmal neben ihm, die Erwartete, Ersehnte, das zarte Gesicht voll scheuer Angst, ob sie nicht zu spät komme.
Da schlug eine helle, heiße Freude in dem Manne auf. Umsonst hatte er sich Vorwürfe gemacht, umsonst sich gesorgt. Nicht er hatte etwas verschuldet – sie hatte die Zeit versäumt.
Und als er das überlegte, stieg plötzlich ein heftiger Zorn über ihre Saumseligkeit, ihre Langsamkeit in ihm auf.
»Da steh' ich,« schrie er sie an, »da warte ich seit Stunden und du versäumst und verträumst die Zeit! Spute dich ein wenig, langsame, faule Magd!«
Einen Augenblick später standen sie beide wie erstarrt einander gegenüber. Lange dauerte es, bis sie Worte fanden. Nur ihre Blicke tauchten ineinander, voll trostloser Reue die seinen, voll bitterer Klage die ihren.
»Leb' wohl!« sagte sie dann leise. »Ich wäre so gern bei dir geblieben! Aber ich wußte es ja! Ich wußte, es werde so kommen!«
Er war wie toll vor Schmerz, er bat, er flehte. Aber sie schüttelte voll trauriger Bestimmtheit den Kopf. Es half nichts, sie mußte fort! Sie hatte ihn oft genug gewarnt. Nun konnte sie ihm nur noch einmal die Hand reichen. Ehe er sich's recht besann, war sie verschwunden, wie vom Erdboden weggeweht samt ihrem Korbe voll glitzernder Pracht.
Und weggeweht waren damit aus Hans Peters Leben Glück und Freudigkeit. Die schweren Vorwürfe ließen ihm niemals Ruhe. Er konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie das zugegangen war.
Sein Leben war zerstört. Sein Handel war ihm verleidet. Seit er die Sachen aus dem Feenlande gesehen, konnte er sich nicht entschließen, noch einmal mit den einfachen, böhmischen Glassachen zu handeln. Auch sein Geld freute ihn nicht, und zur Ruhe und Untätigkeit konnte er sich nicht entschließen.
In späteren Jahren, nachdem er eine lange Krankheit überstanden, und nachdem der Andenkenhandel im Ilsetal schon ganz aufgehört, kam ihm ein tröstender Gedanke. Er wanderte mit den wenigen schönen Stücken, die ihm von den Glasschätzen der Feen verblieben waren, nach Böhmen hinein, zeigte sie den Glasfabrikanten und ruhte nicht, bis die schönen, zierlichen Formen, die feinen, leuchtenden Farben und glitzernden Muster nachgeahmt wurden, so gut Menschenhände es vermochten.
Seitdem sind viele wundervolle Glasgegenstände allerwärts im Handel, und die Andenkenhändler haben gute Zeiten.
Aber in manchen Familien findet sich aus längstvergangenen Jahren her doch noch ein Stück, mit dem es an Feinheit und Pracht selbst die köstlichsten böhmischen Kunstwerke nicht aufnehmen können. Eine eigene Schönheit liegt in der Form, ein herrlicher Glanz über den goldenen Verzierungen. In zarter Goldschrift steht auf diesen auserlesenen Stücken: »Andenken aus dem Ilsetal.«
Diese stammen noch aus dem Schatze der Fee, die dem Menschensohne, der sie durch seinen Jähzorn vertrieb, so gern treu dienen wollte.
Was mag aus dem Feenkinde geworden sein? Ob es wohl einen Herrn gefunden hat, der seine liebliche Demut und Unterwürfigkeit nicht lohnte mit Heftigkeit und Zorn?