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Achtzehntes Kapitel

Unter den grünen Linden im Posthofgarten ist um die Mittagszeit ein Leben. Das hallt und schallt von kräftigem Handdrücken, von Einander-auf-die-Schulter-klopfen, von freudigem Lachen und vergnüglichem Wundern, von heller Wiedersehensfreude der Leute von der grünen Zunft.

Es ist, als wollten die Mannen am liebsten jeden Augenblick losbrechen in Juchzen und Tanz vor Vergnügtheit.

»Grüß Gott!« und »Recht guten Tag!« und »Weidmannsheil!« und »Guten Anblick!« ruft es fröhlich durcheinander. Und: »Holla, Leut! Da war' ja die ganze Jägerei wieder mal glücklich beinander!« – »Herr Forstrat, das freut mich aber!« »Schaut an, der Schöttl, der Keydl, der Moderegger! Wie geht's? Wie steht's? Gut allerseits? Das ist g'scheit!« »Und da, die ganze, verehrte Sollacherei! Was seh ich? Auch der Herr Professor! Mit Weiberln! Ist das a Freud'! Und das sind also die drei jungen Schwägerinnen? Weidmannsheil, Schwestern in Huberto! Juhu! wird das heut a G'mütlichkeit!«

Dazwischen Frauenstimmen, Kinderlachen! – –

Manchmal ein gebieterisch zur Ruhe gewiesenes Geblaff, ein kurzes, helles Geläut vierbeiniger Jagdgenossen, von denen sich einige durchaus nicht zu Haus haben halten lassen.

Ein Anflug von Standesernst, Beamtenwürde zeigt sich hie und da unter den jüngeren Forstleuten; in der Hauptsache aber herrscht ungezwungene Ursprünglichkeit.

Ein buntes Durcheinander von grauen und grünen Forstbeamten-Uniformen und Lodenjoppen, von modischem Frauenstaat und rührender Einfachheit; unter den Frauen und Bräuten der einfachen Förster sind sogar einige Bauerntöchter im bunten Bäuerinnensonntagsstaat mit herrlichem, altererbtem Silberschmuck.

Man sieht stattliche und liebliche Frauen, viel einfache, frische Gesichter, viel guten Wuchs.

Über allen weiblichen Erscheinungen liegt als hervorstechendes Merkmal Gesundheit, wie über denen der Männer Gewandtheit und Kraft.

Prachtvolle Gesichter und Typen sind unter den letzteren; ja, die Mannsleute sind hier der entschieden schönere Teil der Menschheit, wie die Künstlerin Elly in stiller Freude an diesen charaktervollen Erscheinungen festgestellt hat. Stämmige Gestalten sieht man, scharf ausgeprägte Profile, viel charaktervolle, muskulöse Magerkeit. Viel Schneid ist unter den Jungen, viel fröhlicher, verschmitzter Humor unter den Alten.

Auch an drolligen Figuren fehlt's nicht.

Auf grünen Filzhüten ragen die geschweiften Stoßfedern des Spielhahns, schneeiger Eulen- und Adlerflaum. Gold- und silbergefaßte Hirschgranen, Adlerkrallen und Eberzähne baumeln an den Uhrketten.

Hohe Reitgamaschen sieht man neben nagelbeschlagenen Bergschuhen.

Von weit her sind manche gekommen, aus dem richtigen Hinterwald.

Zu Pferd, zu Wagen, zu Fuß und mit der Eisenbahn kamen sie her.

»Um zwei Uhr in der Nacht, bei völliger Dunkelheit aufgebrochen, durch den stockfinsteren Wald getappt«, hört man ein Blutjunges, schlankes Förstersfrauerl mit stolzer Freude der beleibten Frau Gevatterin erzählen.

Ein jovialer, hoher Forstbeamter mit blitzenden Augen und langem, schneeweißem Bart schlägt die Kniee im Schuhplattltakt vor einem kräftigschlanken Dirndl in reicher Bauerntracht.

»Ja, grüß Sie Gott, Fräulein Sollacher, Fräulein Huberta! Ich hätt Sie, meiner Seel', beinah nimmer erkannt!« sagt er erstaunt und überrascht.

Das war vielen anderen ebenso ergangen.

Huberta sagt seelenvergnügt: »Das macht mei' Tracht!«

In leuchtender Freude streicht sie mit gespreizten Händen am grünviolett schillernden Seidenschurz entlang. Sie ist so froh, daß sie gestern auf die Idee kam, den Bruder Professor heute durch Anlegen des von ihm geschenkten Gewandes zu überraschen. Spät abends hat sie das Kofferl mit dem geliebten Staat, den sie erst ein einziges Mal, auf einer Bauernhochzeit, getragen hat, auf dem Rad noch nach dem Ort gebracht, und ihn sich nach der Kirche in Wabis Kämmerlein angelegt.

Wie gut ihr die blumigen Kanten, die hellbunten Farben des Brusttuchs, das schneeweiße, gestickte Hemdlatzl und das reiche Silbergehäng zu Gesicht stehn, dessen ist sie sich nicht besonders bewußt.

Sie ist ganz unbefangen, hört's ober achtet's nicht, wie es um sie herum flüstert und schwirrt:

.

Der Herr Forstmeister.

»Schau, die hat sich mal gut ausgewachsen in dem Sommer!« – »Die wird nach der Mutter, kriegt auch so a langs, lieblichs Gesicht!« sagen die Frauen. – »Die wird ja ganz nach ihren Mannen, kriegt auch so rechte, kräftige, schlanke Sollachergestalt!« wissen die Mannsleute zu rühmen.

Sie selbst weiß nur eins: sie fühlt sich in einer dem festtäglichen Gewand angepaßten, echt festtäglichen Stimmung! Ihr ist, als wäre nie ein Tag so sonnenerfüllt gewesen, als der!

Wie ihr Bruder Professor sich gefreut hat über sie!

Und wie die Leut' ihren Vater ehren! Was für Ansehn der genießt unter den Forstleuten! Wie sich alles um ihn herumdrängt! Zweifellos: der Herrlichste, Prächtigste von allen ist er! Ihr schwillt das junge Herz vor Freud' und Stolz.

Bald an seinem, bald an der Brüder Arm wandelt sie fröhlich unter den befreundeten Menschen auf und ab! Wo sie geht und steht, begrüßen sie herzhafte Händedrücke, vertraute, freudige Zurufe.

Viel stattliches, junges Blut drängt sich um sie her, plaudert und neckt sich mit ihr, sichert sich jetzt schon Tänze für den Abend.

Manchmal mag sie den Ton, in dem es geschieht, nicht so ganz leiden. Sie findet namentlich die Blicke, mit denen der junge Oberförster Rodl, ein bildschöner, wie ein Waldbaum aufrecht und stämmig ragender, deutschblonder Jagersmann aus der Münchner Gegend sie anblitzt und mustert, unangenehm vertraut und siegesbewußt.

Aber die heitere, sonnenfrohe Stimmung siegt immer wieder, sie drängt den leichten Unwillen geschwind zurück und gibt fein, schlagfertig und neckisch Bescheid, wehrt geschickt und taktvoll ab, ohne zu verletzen und zu kränken.

Immer größer wird das Geschwirr im Garten. Kinder plagen ihre jungen Mütter bereits maunzend: »Gibt's nit bald was zum Essen?«

»Ja, freilich, gewiß, gleich!« tröstet die Huberta, sachkundig ein paar sichre Anzeichen deutend.

Aus der Küche duftet's und dampft's schon lange verlockend.

Nach lauter schönen Sachen riecht's: nach kräftiger Suppe, Fischen und Hühnern, Selchfleisch und Kraut, Gamsbraten und brodelnden Schmalzkrapfen.

Die Kellnerinnen fliegen atemlos mit hochroten Gesichtern hin und her. Alle haben alle Hände voll zu tun.

Sie sind alle in etwas gereizter Stimmung, wie immer an solchen Freudentagen andrer Leut.

Wenn Huberta nicht vorhin in der Küche die Wabi als so ruhige Herrscherin am großen Anrichtetisch walten gesehn hätte, während die Mutter am glutsprühenden, freistehenden eisernen Riesenherd über den Pfannen und Töpfen regierte, könnte ihr Bang werden.

Aber nun erschallt wirklich ganz pünktlich und richtig die erlösende Mittagsglocke, eh der Hunger noch eins der geduldlosen Bübchen im winzigen Jägeranzügl mit den festen Hornknöpfen oder im kurzen Gamslederhöserl umgebracht hat.

Und bald sitzen sie alle reihenlang im Dufte der Tannenzweige an den schöngedeckten, blumengeschmückten Tafeln im bekränzten Saal.

Die Teller und Löffel klappern; in Gläsern und Flaschen spiegelt sich der frohe Sonnenschein. Und:

»Es lebe, was auf Erden
Stolziert in grüner Tracht!«

ruft der Senior der Vereinigung, der alte Forstrat – auch ein Sollacher – mit hocherhobenem Glase und hocherhobener, mächtigschallender Stimme den Tafelnden zu.

Und wie mit einem Ruck erheben sich alle beim letzten Wort und sprechen, mit gleichfalls hocherhobenen Gläsern, laut, wie aus einem Mund:

»Die Felder und die Wälder,
Die Jäger und die Jagd!«

* * *

In Lust und Witz und Laune und viel Wohlgefallen an den schmackhaften Tafelgenüssen vergeht das Mahl.

Die Frauen pflegen dann im Garten und in den Veranden beim Schalerl Kaffee der Bequemlichkeit und erzählen einander von Haus und Hof und Stall, von Kindern und Gesinde, von Blumen und Geflügel, tauschen Rezepte aus, holen die Handarbeiten aus den Beuteln.

Was gibt's da alles zu hören! Da wird Brot gebacken; da werden Gurken und Zwetschgen eingemacht, Federn geschliffen, Kinder gepäppelt – –

Und die jagerischen Herren schmauchen einstweilen im luftig gewordenen Eßsaal – weidlich und unwankelig weitertrinkend – ihre geliebten Pfeifen und erzählen einander dabei abermals viel von monströsen Gehörnen und abnormem Jägerglück, erzählen neue und uralte Jägerwitze und Jägergeschichten, tischen Jägerlatein auf, Jägerlügen, so toll oft und übermütig, daß sie selber laut darüber lachen müssen.

Der Moderegger ist natürlich schon wieder einmal in seiner Höhle mit den Bärengerippen, von denen niemand nix gesehn und gehört hat außer ihm.

Sorgenvoll klagen sich nach dem weidlichen Geprotz aber auch einige der Herren ihre schweren Nöte.

Dem einen noch jungen Förster hat die Nonne ein Stück herrlichen Nadelwald verheert.

»Den ganzen Stand kranken Wald hab' ich schlagen müssen und ein Stück gesunden dazu, daß keine Ansteckung möglich war,« klagt der Mann fast weinend. »So Staatsbäum', so Riesen, durch so elendes Raupengezücht zu Grund gehn sehn.«

»Hättst Holzteerringe um die Bäum legen lassen statt Leimgürtel, Freunderl,« rät ihm einer, ein Alter leider zu spät. »A Riesenarbeit ist's, ich hab's mal schneidig geschwind durchgesetzt vor Jahren, meinem damaligen fürstlichen Herrn ein Stück Wald erhalten, das schon zum Hieb verurteilt war wegen der Nonne. Hunderttausend Mark hat's ausgemacht. Fünfzig hab i fei als Belohnung kriegt!«

Das gibt ein echtes, schallendes Jägergelächter!

* * *

Etliches junges Volk ist einstweilen in Booten draußen auf dem See, die drei Stadtdamen mit ihren Tischherren, die ihnen sehr gut gefallen haben, darunter auch der Max Sollacher mit der Agnes, die nach Tisch vom Schlößchen herunterkam, ein paar fröhliche Jägertöchter und Bräute mit Freunden und Liebsten, auch junge Frauen.

Deren Kinder stehen unterdes im Postgarten unter der Aufsicht der Huberta, die gern da blieb, als sie sah, wie die Frauen gar so gern mitfahren wollten.

Sie tanzt mit dem kleinen Volk Ringelspiele. Sie schaukelt die größeren Büberln, sitzt dann mit der ganzen Kinderschar um den Tisch und spielt unter Lachen und lebhaftem Geflatter der dicken Patschhändchen das uralte Spiel: »Es fliegt, es fliegt! Adler fliegen, Häher fliegen, Falken fliegen, – Schweinle fliegen!« mit ihnen.

* * *

Und dann knallen im Bleichgarten die Büchsen.

Mit Rosen und Herzen, mit Rehen und feschen Dirndln bemalt, prangen die bekränzten Scheiben in langer Reihe.

Der alte Bade- und Schwimmeister Brandl, hat's wichtig, er ist Scheibenweiser; sein Sohn, der Brandl-Franzl, ist Büchsenlader. Es geht erst um kleine Geldprämien, rote Seidenfähnchen und um kleinere Silberpreise mit bezahlten Schüssen.

Da drängt sich das fröhliche Volk der jungen und alten Weiblein mit gespanntem Interesse und Eifer in Scharen um die Schützen her. Die roten Seidentüchel der Fähnchen sind nämlich ihr Tribut; darum ist's ihnen dringlich zu tun, sie können das rote Seidenzeug zu Kravatten und Kleiderschmuck gar zu nett verwenden.

Die jungen Mädchen namentlich!

Eine besondre Spannung und Vorfreude herrscht. Über dem Ausschießen des Geldes, der Fahnen, der kleineren Silberpreise steigert sich das Schußfieber mehr und mehr.

Ein Hauptpreis ist ausgesetzt worden aus dem Fonds der Gesellschaftskasse als »Best'« für ein allgemeines Wettschießen. Auf einem bekränzten Seitentisch im Eßsaal stand er zwischen den kleinen Silberbechern, Vasen, Bierseideln mit Wald- und Wildemblemen vorhin zur Schau: ein herrlicher, hoher Silberbecher ist's, ein Meisterstück edelster Münchner Goldschmiedekunst, groß und schwer, mit künstlerisch getriebenen Jagd- und Waldszenen.

Darum klopfen jetzt schon manche Herzen, und die Schützen halten sich doppelt daran, um sich recht gut einzuschießen für die große Hauptsache.

Das knallt und schallt, das pufft und kracht!

Nur einer tut nicht mit in der frohen Aufregung.

Huberta hätte mit dem Fuß stampfen und aufweinen können aus Verdruß und Ärger über diesen einen.

Am liebsten möchte sie mit ihm raufen! – –

Wie, zum erstenmal im Leben soll sie nicht stolz sein auf ihren Bruder, ihren Sollacher bei solcher Gelegenheit? Zum erstenmal kei Freud an dem erleben?

Sonst war der doch bei allen Schützenfesten allen voran!

Alle ihre roten Seidentücheln hat er ihr erschossen. Und manchen Preis sich und dem Hause dazu. Auf allen Borten, allen den alten, tiefen, dunklen Eichenschränken im Haus stehn die Schützentrophäen aus Silber und Zinn. Nicht die wenigsten darunter sind vom Max.

Und heut! Sie bebt vor Ärger, wenn sie den Bruder nur ansieht.

Lässig und mißmutig tut er ein paar Schüsse, als ginge ihn die Sache nichts an, einerlei ob ins Zentrum oder in irgend einen Kreis oder ganz daneben.

Ihr frißt's am Herzen, das zu sehn!

Ihr Sollacher schießt fehl! Ihr Sollacher hat kei' Schneid!

Ob ihm gar etwas ist? Etwas Ernstes? Eine Unruhe steigt in ihr auf. So war er doch noch nie!

Er war doch noch bei Tische so voll Freud und Lust und Witz!

Und mit so blitzenden Blicken fuhr er im Boot aufs blitzende Wasser hinaus, im leisen Gespräch mit der Agnes. Da hat sie den beiden noch mit so heißen Wünschen in treuer Liebe nachgeschaut.

Freilich, – als er dann wiederkam – – –

In ihr trübes Sinnen kommt auf einmal Licht.

Ja, ja, von da stammt's! – – Wie dumpfe Gewitterangst steigt's nun in ihr auf.

Sie raunzt den Abgott ihres Herzens zum erstenmal in ihrem Leben verstohlen an: »Was hast denn, Max? So gramli und granti hab' ich dich doch noch nie gesehn!« –

Er sagt, trotzig abwehrend: »Laß mich in Ruh! I mag net!«

Weh, weidwund blickt er sie dabei an.

Ihr gibt's einen Ruck durch und durch!

»O mei, o mei, der hat was Krankes im Herzen!« sagt sie sich besorgt. Und sofort auch gehn ihre Blicke suchend im Garten herum. Die Agnes, ihrer Seele Liebling, auch die kam ihr ja vorhin so besonders vor!

Besonders schön, hat sie freilich da in der Eile nur gemeint.

»Wie die leibhaftige St. Agnes mit dem Lamm im Feldkapellchen drunten!«

Nun fällt's ihr aber ein: »Ja wirklich, so wie die, die Märtyrerin, so voll Lieb und Leid!«

Wo sie nun wohl steckt, die Geliebte, Süße?

In der Wabi kleinem Zimmer findet sie sie endlich, nachdem sie sie lang in Haus und Garten vergeblich gesucht, auf der Wabi weißem Bett, vor sich hinblickend, schmerzlich lächelnd, die Hände ineinander gefaltet.

Es sei ihr nicht ganz gut gewesen. Jetzt sei's schon besser, sagt sie sanft und gefaßt auf Hubertas besorgte Frage.

Und sonst? Sonst? forscht Huberta mit innigem, treuem Blick.

»Sonst? – – Nichts!« – – –

Die Agnes will zu lächeln versuchen, als sie es sagt, fällt dann aber der Huberta, die sie zart umschlingt, um den Hals und weint in leidenschaftlichem Schmerz.

»Dein Bruder – –«

Mit einem einzigen harten Blick habe der sie weggestoßen aus allem Gut- und Liebsein, mit dem er sie umgab, aus etwas Leisem, Zartem, Schönem, was sie doch so wundertief beglückt hatte.

»Ich hab' mir nichts dabei gedacht,« sagt die Agnes klagend. »Ich hab' ihm nur erzählt, daß Großvater so froh ist, so herzensfroh für sich und für mich. Den dummen, langen Prozeß hat er gewonnen. Gestern hat er die Nachricht gekriegt. Wie ich das deinem Bruder gesagt hab', ist's wie eiskaltes Gletscherwasser aus seinem Wesen über mich hingeflossen. Hart und fremd hat er mich angeschaut, kein Wort mehr mit mir gesprochen. Ich hab's gesehn, wie ihm ordentlich die Worte auf der Zunge erstorben sind, als er's versucht hat. Ist's denn möglich? Kann's sein, daß er mich so verkennt, für so niedrig hält, denkt, ich habe das Geld lieb, ich hänge dadran, weil ich ein bissel froh davon gesprochen hab'? Kann er mich deshalb verachten?«

Nicht ganz so war's, meint leise und vorsichtig die Huberta. Weich und zart tröstet sie und streichelt sie ihren Liebling, spricht, so sanft und so heiter sie's kann, von den Mucken der Mannsleute, die herkämen, man wisse nicht wo, und die überhaupt niemand verstände.

Sie bittet die Agnes dringlich, mit herzlichem Überreden, sie solle nur ganz guten Mutes sein. Sie selbst versteht ihren Bruder ja so genau. Ein offenes, erklärendes Wort nur darf sie nicht sprechen, das ist schwer für sie; ganz furchtbar vorsichtig, fein und zart muß sie die Sache anfassen. Eine heikle Geschichte ist's!

Bei dem Sollacher darf man an Herzenssachen ja überhaupt nicht anrühren, darf beileib nichts sagen, sich nicht merken lassen, daß man nur entfernt ahne, er habe ein Herz im Leib.

Da könnte man nur schaden!

Sonst wäre sie jetzt jauchzend zu ihm geflogen, mit einer beglückenden, seligen Gewißheit.

Aber in seinen Gemütssachen ist der starke, große Mensch wunderbar verlegen und schamhaft.

Wie ein Rührmichnichtan steht zwischen den beiden Geschwistern der geliebte Name Agnes.

Huberta muß förmlich tun, als sei sie blind, als ahne sie nicht, was ihres Bruders Augen aufleuchten läßt, wenn er ihre liebliche Freundin sieht, was ihn magnetisch in ihre Nähe zieht, was sein ganzes Wesen verändert und durchsonnt seit jenem Morgen, als er Agnes über den Kleeacker weg zuerst wiedergesehen hat.

So kann sie auch jetzt nur zart begütigen und streicheln. Guten Mutes ist sie durch und durch, trotz allem. Und den sucht sie der Freundin einzuflößen. Schwer nehmen kann sie's nicht!

Wo zwei so starke Ströme zusammenwollen, – die kommen zusammen! Unfehlbar!

Das fühlt sie ganz genau!

* * *

»Numero 21!«

»Herr Forstadjunkt Max Sollacher!«

»Sollacher junior!«

»Der Sollacher! Sollacher! Forstadjunkt Sollacher! Himmelsakra, wo steckt denn der?«

»Der Sollacher ist abhanden gekommen!«

So ruft's und schreit's vor dem Scheibenstand, recht verwundert und unwillig über das Fehlen des sonst »nie fehlenden Weidmannes,« just in dem wichtigen Augenblick!

Die Reihe im Preisschießen, im Gemüter erregenden Becherschießen ist jetzt an ihm!

Durch Losen ist die Reihenfolge der Mannen festgestellt worden. Die ersten zwanzig Schützen haben ihr Glück versucht. Ein paar haben großartige Schußsicherheit bewiesen.

Aber die Forderung für dieses besonders interessante, aufregende »Bestschießen« heißt:

»Sechsmal ins Blattl, d. h. ins Schwarze derselben Scheibe, die der Schütz sich unter den vorhandenen zwanzig wählen darf! Bei 90 Meter Entfernung!«

War es die schwirrende Unruhe des Festplatzes, das Gewimmel, das Drängen und Necken der Frauen, die leise Aufregung wegen Ehr' und Preis und wegen des Wertes des seltenen Silberschatzes, der allen in die Augen stach, – die sechs Schüsse ins Schwarze hatte noch keiner getroffen. Einige haben es bis fünf gebracht; zwischen denen soll später ein weiteres Wettschießen entscheiden, falls keiner sie übertrifft.

Viele Schützen stehen noch wartend. Und die bekommen's jetzt mit der Ungeduld wegen des Aufenthalts im Vergnügen.

»He, Sollacher! Deixel noch mal! Wo steckst denn?« lassen sich wieder Stimmen hören.

Jetzt geht wahrhaftig schon ein bissel Geschimpf los auf den Ausreißer, wenn auch recht gutmütiges, mehr scherzendes.

»Weiter also! Wer nicht da ist, der schießt nicht!«, heißt's endlich.

»Ganz auslassen 21!« schlagen ein paar eifrige Weidbrüder unbrüderlich vor.

Dagegen erhebt sich Widerspruch; erregt geht's einige Minuten hin und her, bis eine klare, frische Mädchenstimme kräftig über den Lärm hinwegruft:

»Ist's erlaubt, daß ich für meinen Bruder schieße?«

Dieses Wort bringt Einhalt in das Getöse. Alle horchen auf. Einige lachen, wie zu einem guten Scherz.

»Fräulein Huberta, so a Idee!« hört man sagen.

Die meisten andern rufen, wohl staunend, aber freundlich und freudig zustimmend:

»Dös is a Blitzidee! Dös is g'scheit! Stellvertretung ist in dem Fall erlaubt! Jawohl!«

»Silentium, ihr Leut!'« läßt sich ein stimmkräftiger, junger Jagersmann durchdringend dernehmen: »Fräulein Huberta Sollacher schießt für den Sollacher-Max! Hat wer was dagegen einz'wenden?«

»Ich nicht!« ertönt's fest und laut von ein paar Seiten.

»I net, i net, i net! – I net, – i a net!« singen gleich ein paar der Mannen launig im Chor.

»Recht!' s'ist abgemacht!« rufen andere: »Also los!«

Allgemeiner Beifall zu Hubertas Entschluß folgt nun. Kein Widerspruch wird mehr laut. Der Vater Hubertas und der Professor, die selbst noch nicht an der Reihe waren, rufen ihr aufmunternd zu: »Mach' uns nur Ehr!«

Da richtet sie sich fest und freudig auf, ergreift die ihr vom Flintenlader mit ermutigendem Zwinkern hingestreckte geladene Büchse, atmet froh, hebt sich ein bißchen in den Hüften ihres Breiten, gefältelten Bauernrocks, zieht die Büchse fest in die Schulter, schaut scharf. »Die stellt sich schon recht an,« murmelt beifällig blinzelnd der junge Brandl.

Und Huberta stößt gleich danach einen leisen, kurzverhaltenen Freudenruf aus.

Der Schuß hat geknallt; die Kugel flog.

»Kernschuß! Bravo!« hat Brandl schallend gemeldet. Mitten ins schwarze Mittelherz der großen weißen Herzscheibe, die sie sich zum Ziel gewählt, hat sie getroffen.

Alle freuen sich darüber. Der Büchsenlader reicht seiner guten Freundin von der Schulbank her mit aufmunterndem Greinen zum zweiten Male die Büchse zum Schuß.

»Weidmannsheil!« ruft er eifrig.

Huberta antwortet fröhlich: »Weidmannsdank!« Wieder legt sie ruhig an, zielt, schießt ...

Stille herrscht. Dann knallt's, und aus dem Hintergründe tönt, vom allgemeinen Bravo der Zuschauerschaft begleitet, des Scheibenweisers dröhnender Ruf: »Tiefschuß!«

»No, dös geht gut!« rufen höchst vergnügt einige Stimmen. Die gesamte Jagerei gerät allmählich in teilnehmende Spannung. Auch der dritte Schuß trifft, ins Herz des Herzens. Und unter immer wieder anfeuerndem Beifall auch der vierte; – der fünfte; – der sechste!!

Da kommt's wie ein allgemeines Fieber über die Leute; kaum können sie es erwarten, daß nun weiter geschossen wird. Huberta hat zu tun, die voreiligen jubelnden Glückwünsche zurückzuweisen und zu dämpfen. Bescheiden und doch strahlend beschwichtigt sie die Leut' nach allen Seiten.

»Noch kommen ja so viele gute Schützen hinter mir!« sagt sie. Tief in die Menge der anderen versteckt, schaut sie mit glänzenden, lachenden Augen höchst vergnügt dem weiteren Verlauf der Sache zu.

Der geht jetzt in beschleunigtem Tempo vor sich. Die Spannung wächst; ganz dramatisch bewegt wird die Situation. Jeder strengt sich jetzt doppelt an und will doch doppelt gleichmütig erscheinen; mit den lustigsten Witzen oder mit huldigenden, ritterlichen Anspielungen auf Huberta bemänteln viele ihr Pech, wenn's zu der Sache nicht reicht. Mit einem Hallo der Anerkennung wird es begrüßt, daß ein paar ältere Meisterschützen – unter anderen Hubertas Vater und ihr Bruder Professor – von der Wettbewerbung zurücktreten.

»Auf alle Fäll'! Des Respekts wegen!« vermeldet der Herr Forstmeister Sollacher mit scherzhaftem Achselzucken und unter einem verstohlenen Blick des Stolzes auf sein erglühendes Kind.

So ist die Reihe der Schützen in kurzem durch, und nur ein einziger hat außer Huberta die sechs Schüsse ins Blattl getroffen. Ein »Sicherer« ist das, von dem es nicht anders erwartet wurde, einer, der so leicht überhaupt nicht fehlt, der Rodl, der junge fesche Oberförster aus der Münchner Ebene, der kraftstrotzende, selbstbewußte Mensch.

Zwischen dem und der Huberta kommt's nun zum Stechen! Das heißt: jeder von ihnen hat noch einen Schuß; wer jetzt ins Ziel trifft, dem gehört der Preis; treffen beide, so geht das Stechen von neuem los.

Das Wettschießen mit der Huberta das paßt ihm, dem Rodl! Das Los hat ihn zum Vortritt bestimmt. Ehe er anlegt, blitzt er die Huberta mit seinen übermütigen Augen triumphierend an, als wollte er sagen: »Ja, wir zwei! Jetzt schau aber erst einmal, wer von uns dem andern über ist!«

Diesen sieghaften Blick erwidert die Huberta ganz nebensächlich, völlig ruhig. Ihr Antlitz ist gespannt, ihre Augen sind geweitet und glänzen hell und ernst.

Die Sache, die Aufgabe interessiert sie jetzt so mächtig, übermächtig, daß sie alles andere darüber vergißt.

Ernst, jungfräulich stolz und hold, wie sie ihm vorhin noch nicht erschienen ist, sieht der Rodl die junge Schwester in Huberto, seine Konkurrentin, vor sich stehen.

Da flammt's eigen in ihm auf. Unruhige heißflackernde Siegessehnsucht packt ihn. Sein Blut wallt, steigt ihm heiß ins Gesicht.

Das darf es aber beileibe nicht beim Schießen!

Die ruhigste Fassung, die schärfste Aufmerksamkeit lenkt allein das Blei zum Ziel. Ein Millimeter Abweichung hier ist dort, in der weiten Entfernung, ein halber Meter. – – –

Rodls Schuß ist ein Fehlschuß. Ein finstergrollender, tiefdunkler Schatten geht über des jungen Waldbeherrschers Gesicht. Aber niemand bemerkt's, beachtet's.

»Nun, Fräulein Sollacher! Fräulein Huberta Sollacher, Sie sind dran!« drängt's leidenschaftlich eifrig von allen Seiten.

Und Huberta nimmt mit jetzt merklich erblaßtem, tiefernstem Gesicht die Büchse in die Hand.

Das Jägerblut ist erwacht in ihr, der ganze Jäger- und Schützenehrgeiz ihres Geschlechts beherrscht sie. Kein Nebengedanke lenkt sie ab.

Sie will! Sie will! Dem Sollacher, ihrem Lehrmeister, zu Stolz und Ehr! Ihrem Vater zur Freud!

Alles strafft sich, streckt sich an ihr! Todruhig, mit tiefer Sammlung und Aufmerksamkeit, steht sie, faßt sie das Ziel ins Auge.

Und nun steht auch die gesamte Zuschauermenge in Schweigen. Kein Anfeuern, kein Zuruf ertönt. Wie auf Vereinbarung schweigen sie alle, um Huberta nicht in ihrer Ruhe zu stören. Nur ein Lächeln und Leuchten geht über die Gesichter, die alten und die jungen, als sie an den Stand herantritt. Eine Herzensbewegung hat die Leute ergriffen für die Huberta; ganz mitgerissen sind sie alle. Eines Geistes, eines Sinnes wünschen sie, das Seltene, das Reizvolle möge geschehn: – das junge Mädel, die Jägertochter, die Tochter des Allverehrten, möge siegen! Frauen, Mädchen und Kinder sind von der frohen Stimmung erfaßt, schaun mit verhaltenem Atem, mit glänzenden Augen zu. Totenstille herrscht.

Und dann auf einmal bricht's los: ein Tumult, ein Sachen, ein Jubeln!

»Schwarz getroffen! Gewonnen!« schmettert Brandl überlaut über die Wiese her.

»Sie hat's! Sie hat's! Vivat! Vivat! Juhuuu! – Viktoria! Fräulein Huberta Sollacher ist unsre Schützenkönigin! Hoch, hoch, hoch!« rufen jauchzende Stimmen von allen Seiten.

Huberta steht im Kreise der Männer und Weiber, der juchzenden, tücherschwenkenden Menge wie übermannt. Sie weiß sich kaum zu fassen.

So hat sie sich's nicht gedacht! – – –

Ein allgemeines Händeschütteln, Gratulieren, Loben und Preisen ihrer Geschicklichkeit geht los.

»Musik her! Musik her!« wird gerufen. Auf einem großen Kupferbrett bringt der Oberförster Rodl den mit einem Kranz von lose hin geworfenen roten Rosen umgebenen silbernen Becher aus dem Saal und reicht ihn ihr mit gebogenem Knie. Das ist ihm noch als Bestes eingefallen in seiner Besiegtheit!

Glühendrot vor Verwirrung, mit einem feuchten Schimmer in den leuchtenden Augen, Rat heischend und gleichsam um Vergebung bittend für ihr Glück schaut Huberta die Leute an.

Da sieht sie lauter Zunicken, Hüte schwenken, Hüte in die Luft werfen, hört ein einziges Juchzen und Jubilieren. Die Musikbande kommt heran, sechs Mann stark. »Hoch soll sie leben! Hoch soll sie leben! Fräulein Sollacher hoch!« singen jubelnd die Leute. Der Vater, ihr Bruder Rupert, der Oberst Ruffel stehn neben ihr und nicken ihr fröhlich und freundlich zu. Wie in einem goldenen Nebel verschwimmend sieht sie Agnes, Thea, die Schwippschwägerinnen in ihrer Nähe.

Und von deren gleichfalls jauchzendem Zulachen ermutigt, nimmt sie den Becher in die Hand und beschaut mit liebkosendem Blick das herrliche Kunstwerk von allen Seiten.

»Für meinen Bruder,« sagt sie bescheiden.

»Aber nein, da gibt's nix!« »Ja, dös war was!« hört sie rufen. »Das ist jetzt schon ganz allein für Sie!« behaupten ein paar Herren sehr bestimmt.

Und ehe sie sich versieht, wird sie auf einen Stuhl gehoben und im Triumph von vier jungen Jägern durch den Garten getragen. Ein langer, froher Zug formt sich hinter ihnen drein. Kinder laufen, Vivat, Hoch und Hurrah schreiend, nebenher, die roten Fähnchen schwenkend, die ihnen die Väter erschossen haben.

Die Musika spielt einen feurigen, festlichen Jägermarsch voll heller Fanfaren. Ein einziger Jubel ist's. Und Huberta streift ihre Verlegenheit ab, findet sich mit natürlicher, lachender Grazie darein, einmal Königin zu sein.

Dreimal wird sie durch den Garten getragen, dann im Speisesaal, der jetzt ausgeräumt und zum Tanzsaal umgewandelt ist, gelandet.

Da läßt die Musik auf Befehl des Tanzordners die Marschweise in lockende, rhythmisch-schöne Koschat'sche Walzerklänge übergehn.

Um die in lachender Verwirrung dastehende Schützenkönigin drängen sich die werbenden Tänzer, Forsträte und Forstmeister, Ober- und Unterförster. Aus allen heraus blitzen förmlich zwingend Rodls herrische Augen. Huberta, die nicht an solche Auszeichnung Gewöhnte, steht ein paar Augenblicke verdutzt, unschlüssig da. Dann zuckt es hell und froh über ihr Gesicht.

»Ich kann mich gar nicht finden in so viel Ehr'!« sagt sie lächelnd. »Ich möcht keinen Jäger kränken!«

Und damit neigt sie sich leicht vor dem einzigen Nichtjäger im Kreise, dem in einiger Entfernung stehenden guten, alten Onkel Ruffel und sagt: »Wenn's Ihnen recht wär, Herr Oberst!«

Der nickt und verneigt sich glücklich vor der gefeierten Ehrenperson, umschlingt sie fest und sicher und segelt in schwebendem Rundtanz fröhlich triumphierend, wie ein sieghafter Feldherr, mit ihr davon.

Und alle andern verstehn, wie das gemeint war.

.

Man hört das Urteil: »Unser Sollacherfräuln, das is noch a Wesen, das is noch a Menschenkind!«

Jeder engagiert sich nun flugs das weibliche Wesen, das seinem Leben oder Herzen am nächsten steht, tritt an mit ihr und tanzt los.

Alles dreht sich bald im schleifenden, melodiösen Takt.

Die Abendsonne scheint hell durch die klaren Fensterscheiben in den tannenbekränzten Saal.

Ja, auf einmal ist's, als wäre noch eine zweite Sonne angezündet worden zu der im Versinken so schön leuchtenden: Die Fröhlichkeit des Tages bricht nun auf einmal stürmisch los, steigert sich zu ihrem Höhepunkt und setzt sich schallend fort unter den bald daraus angezündeten, elektrischen Kronen.

Bekannte, beliebte Tänze, zu denen zum Teil laut gesungen wird, werden gespielt.

Und dann und wann schallt aus dem durch den Flur vom Saal getrennten, berühmten Leutstübel der Post, der sogenannten Tränk, ein die Stimmung noch mehr anfeuernder Juchzer, Zither- und Guitarrespiel und G'stanzlgesang.

Die Kutscher der Festgäste und die Hölzer und Waldarbeiter der Umgegend, die im Winter auch Treiber sind, sitzen dort mit allerlei Leuten aus dem Ort bei einer Unzahl von Maßeln schäumenden Schloßbiers beieinander. Das Jagerfest ist wie eine Kirchweih für den ganzen Ort. Jeder will da gern dabei sein. Von der urwüchsigen Fröhlichkeit da drüben angesteckt, fordert auch unter den Herrenleuten mancher gut aufgelegte Tänzer seine Dame nun mit einem Juchzer zu der freieren Tanzweise der Gebirgstänze aus.

Die begehrteste Dame ist Huberta. Sie tanzt immerzu, ohne Ermüden, schwenkt und dreht sich frei und leicht, geht von Arm zu Arm.

»Ist das a Lust!« jauchzt sie einmal, das ebenfalls tanzberauschte Gundel atemlos umschlingend.

.

Die schüttelt staunend und lächelnd den Kopf.

»Ich kenn' dich gar nicht mehr wieder, Huberta! Wie hast du dich in der Stadt beim Tanzen angestellt?«

Huberta lacht, schon wieder einem flotten Tänzer folgend.

»Hier und dort! Das ist aber auch ein Unterschied!« ruft sie zurück.

* * *

Am See unten sitzt der Sollacher-Maxl und starrt mit finsterem Gesicht auf das finstre Wasser. Die Sonne ist feurigrot darin versunken, und kein einziger Stern ist noch darüber aufgegangen.

Wie festgewachsen ist der Jägersmann auf der Bank.

Er hat sich schon seit Stunden losreißen, sich aufraffen, mit aller Gewalt zum Hinaufgehn zwingen wollen.

Der Jubel und die Musik da droben aber verstimmen ihn gar zu grimmig, wie ihn zuvor die fröhlich knallenden Schüsse verstimmten und festbannten in seinem Trotzversteck.

Nein, er kann's nicht, kann absolut nicht unter die lachenden Leut gehn heut! – – –

So eine Jägerliebe, die ist wild und stark, herb und trutzig! O, wie's in ihm tobt!

Die Agnes, die Agnes ist ihm verloren!

Das reiche Mädel! – Um das will und kann er nicht frein! Alles wollte er der Agnes sein, alles ihr geben!

Wie soll er mit dem Schmerz fertig werden, der ihm nun am Herzen frißt!

Einen Baum möcht' er schlagen, mit der schweren, scharfen Axt zum Hieb ausheben in weitem, gewaltigem Schwung, immer wieder hineintreffen in dieselbe weiße klaffende Wunde, die eigentümliche Erregung spüren, wenn der Baumriese zuerst leise ins Wanken kommt, wenn er schließlich umrauscht, unter Brausen und Rieseln, fast wie ein starker, übers Wehr stürzender Bach, Äste und Zweige der Nachbarbäume mit sich reißend im mächtigen Fall, gleich wie ein herrlicher Sterbender die Gedanken, die Lebenskräfte derer, die ihn umstehn, die ihn lieben!

Ins Moos möcht er sich werfen, sich hineinwühlen ins dichte Polster, das die Mutter Erde flicht, an einen Knorren sich ankrallen, schluchzen wie ein krankes Kind.

Einen Hirsch schießen in wilder Flucht durch die brechenden, knackenden Büsche!

Mit Wilddieben raufen auf Leben und Tod! Ja, Tod – – –!

* * *

»Aha, mei brüderliche Lieb, da steckst! Ich such' dich überall! Die Leut' vermissen dich alle und wundern sich schon! Bitt' schön, komm!«

Mitten in seinen trotzigsten Phantasien legt sich dem Träumer ein voller, weicher Arm um die Schulter und an die Wange an. Der Huberta frische Stimme klingt ihm schwesterlich gut und zärtlich ins Ohr.

Aber das schwesterlich Freundliche, Sorgende, das macht den großen Trotzkopf vollends rabiat. Ärgerlich schiebt er den sanften Arm von sich fort.

»Geh doch! Ich kann nicht! Ich mag nicht! Kümmer' dich nicht um mich! Ich hab' kei Stimmung heut!« ruft er verdrossen.

Da ist's, als ob der dunkle Umriß der Huberta hoch neben ihm aufwüchse in der weichen Dämmerung.

»Was, in dem Ton redst mit mir?« fährt die Schwester mit zitternder Stimme im Ton tiefer, bitterer Verwunderung auf. »Auch recht! Da muß ich halt aber auch in einem andern Ton mit dir reden.«

»Was fällt dir denn ein?« fährt sie bebend fort. »Wie bist du denn heut? Wenn du Kümmernis hast, brauchen denn das alle Leut, die da droben versammelt sind, zu merken? Müssen die alle 's Gered' haben um uns? Dei Verstimmung ist schon recht nett aufgefallen! Ich bin dir noch nicht bös gewesen in meinem ganzen Leben. Du weißt's selbst gut, wie ich dich lieb hab! Aber wenn du mir jetzt mei Bitte abschlägst, kannst schaun, wie du mich wieder gut bekommst. So – also! Ich fordre dich hiermit zum Tanzen auf!« Immer festeren Tones hatte sie gesprochen.

Sie wußten beide nicht, wie's geschah –; sie sahen sich erst einen Moment unschlüssig an, dann lachten sie mitten in der tiefernsten Verfassung auf einmal beide hellauf!

So neu war dem Max der energische, zornsprühende Stimmklang seiner sonst immer so ergebenen, gefälligen Schwester! So neu war der Huberta selbst ihr herrisches, wenn auch gutgemeintes Aufbegehren dem verwöhnten Abgott gegenüber!

Unter Lachen, das freilich seltsam traurig klang, bequemte der Max sich nun geschwind von seinem Sitz in die Höh. Und mit verlegenem und doch gar fröhlichem Lachen hing Huberta sich in seinen Arm, glückselig, daß sie den Trotzkopf bezwungen hatte!

»Jetzt mach' ein freundliches Gesicht! Ich bitt' dich tausend-, tausendmal herzinnig!« drang sie schmeichelnd in ihn, als sie Hand in Hand zusammen den Saal betraten.

Er sagte kurz, mit einem trutzigen Aufwerfen des Kopfes und doch einem leisen Zucken, wie von Rührung in den ernsten Augen: »So komm!«

Ein reizender Ländler wurde drin eben gespielt.

Den tanzten die Geschwister nun zusammen, erst schlicht, auf gewöhnliche Weise umgefaßt, dann in allerlei figurenreichen Drehungen, auseinander- und wieder zusammenschreitend, die Hände gegenseitig auf die Schultern gelegt; Huberta unter Maxens hochgehobenem Arm hindurchschlupfend, dann wieder wie getragen von seinem Arm, graziös dahinschwebend.

So schön, so eigen war das Bild, das die beiden schlanken, hohen Kraftgestalten dabei boten, daß von den Mittanzenden ein Paar nach dem andern den Tanz abbrach und abtrat, um ihnen mit stillem Genusse zuzusehen.

Sie merkten es und wurden einen Augenblick stutzig und verlegen; Huberta errötete leicht; dann nickten sie sich unmerkbar zu und tanzten mit guter Laune erst recht weiter, mit aller Grazie und Geschmeidigkeit, wie die Sicherheit und Kraft sie geben.

»Jetzt amal a ganz sanfte Musi!« wies jemand in flüsterndem Kommandoton die Musikanten an.

Da stimmten die derben Bläser Klarinette und Flöte zu weichsten Tönen. In feinem, klarem Piano kam die reizende, schleifende Melodie heraus, und das Geschwisterpaar wiegte und schmiegte sich dazu – Huberta mit lächelnder Freude, – bis der Sollacher, das graziöse Spiel unterbrechend, unter schlitterndem Aufstapfen aus die Diele den Musici kräftig im Dialekt anbefahl:

»Und jetzt amal an Schuhplattl, ihr Leut', an ordentlichen!«

Lautes Beifallsklatschen und Rufen, das sowohl der Beendeten, wie der angekündigten Tanzleistung galt, brach los. Und gleich darauf brauste eine stürmische, donnernde Tanzweise durch den Saal.

»Komm Dirndl!« rief der Sollacher-Maxl und streckte unter festem Gestampf die gebogenen Arme lockend gegen die Schwester aus.

Auf die Knie klatschend, juchzend, pfeifend, niederknieend und mit riesiger Kraft pfeilgerad in die Höh schnellend, umtanzte er sie, während sie in ruhiger Gelassenheit in fortgesetztem, kreisendem Drehen ihre sanften Tanzbewegungen ausführte.

Mit Leib und Seele waren sie beide dabei.

Der Schuhplattl, das ist ja der richtige Jagertanz! Die Jagdleute tanzen ihn mit besondrem Schneid, mit besondrer Begeisterung!

Dies wilde, stolze Geschnalz und Getu der Burschen ist ja den Lauten und Tanzbewegungen des Birkhahns nachgeahmt, wenn der als Freier um die Birkhenne wirbt, balzt, wie es in der Jägersprache heißt.

Die Tanzlust bei diesem Tanz steckt mächtig an. Ein paar Gebirgsförster reißt's gleich mit fort; unter Juchzen schuhplatteln sie, so gut sie können, mit ihren Frauen und Bräuten.

Und plötzlich schüttern die Dielen vom schwersten Nagelschuhgestampf.

Die Saaltür war aufgerissen worden. Unter spöttischem Beifallsklatschen, Johlen, Höhnen, Possenreißen hatten sich ein paar keck und wild aussehende Gestalten aus der Bierstübelgesellschaft zuschauend in den Saal gedrängt, Burschen und Männer mit geflickten Joppen und zerschederten Hosen, mit aus der Stirn auf den Hinterkopf geschobenen Hüten, deren Federstutze weit nach hinten geschoben waren zum bekannten Zeichen derber Rauf- und Streitlust.

Und nun sprang der gefürchtetste Raufer und Lärmmacher unter ihnen, der wüste Toni, der Hammerschmiedsgesell, eine eben mal ledig vorübersausende Sonntags-Kellnerin an der Hand fassend, mit trutzigem Kraftsprung und derbem Aufstampfen der eisenbeschlagenen Sohlen unter schrillem Gejuchz in das Tanzgetriebe der Jagerleute hinein, mit blitzenden Augen, keck aufgedreht den pechschwarzen Schnauzer.

Ein paar andere, ähnlich verwegen aussehende Kumpane folgten ihm und taten es ihm, keck auflachend, nach.

»Geht hinaus, ihr Leute! Ihr gehört nicht hierher!« gebot der Forstmeister Sollacher mit seiner klangvollen, kräftigen Stimme voll ruhiger, ja freundlicher Würde. »Der Saal ist heute von uns gemietet!«

Die Eindringlinge stutzten, zögerten, greinten.

Einen Augenblick sah's aus, als wollten sie schleunigst gehorchen, besännen sich nur noch auf einen kecken Witz zum Abgang.

Dem Max Sollacher, der seit dem Eindringen der wilden Gäste mit geschwollenen Zornadern in der Mitte des Saales stand, dauerte dieses Zögern aber schon viel zu lange.

Seine Tänzerin loslassend, rief er mit scharfer, zornbebender Stimme, voll kochender Ungeduld: »Außi geht's! Ihr habt hier nichts zu suchen! Auf der Stelle schaut, daß ihr weiter kommt!« – – –

Ein wieherndes Hohngelächter war die Antwort.

Der Hammerschmieds-Toni rief schallend, mit schneidendem Hohn in jedem Wort, über den Saal weg dem Sollacher zu:

»Ha, Jager, jetzt, das ist g'spaßig! Du willst uns aus dem Saal verweisen? Du Lackl? Denkst halt, der ist auch Euer von Herrgottsgnaden, wie der Wald? Euer allein? Dös is guat!«

»Jetzt extra!« setzte er, wuchtig aufstampfend, hinzu.

Und unter donnerndem Gestapf und Geschrei ging das Tanzen nun erst recht los. Die Fenster des Saales zitterten und klirrten; der Boden krachte. Immer toller ward das Gelach. Dazwischen erhoben sich die Stimmen der Jägerleute, teils besänftigend, teils zu aufgebrachtem, aufgeregtem Befehlen und Drohen.

»Musik! Sofort aufhören!« kommandierte der junge Sollacher, den Arm aufreckend, kurz und scharf. Mit Gequiek setzten die Dorfmusikanten sofort mitten im Takt ihre Instrumente ab.

»Dös is g'spaßig!« johlte der Hammerschmieds-Toni extra laut, zog ein Paar blitzende Talerstücke aus seinem Hosensack und warf sie den Spielleuten klirrend auf ihren Musikantentisch.

»Jetzt extra spielt's auf! Für uns! Mir ham's! Mir san mir!« rief er mit frechem Gelach, sich stolz in die Brust werfend. Und als sich dennoch kein Ton rührte, wußte er sich noch lustiger zu helfen.

»Bubn und Leut! Holla! Holt's die Zither aus dem Bierstübl und die Ziehharmonika! Spielt auf!« befahl er übermütig.

Jubelnd wurde ihm Gehorsam geleistet.

Ein paar Witzmacher stimmten Schnadahüpfl an im Tanztakt als Tanzmusik zum wildlustigen Gestapf, – Spott- und Trutzverse voll höhnischer Anzüglichkeiten auf die Grünspechte, die Jäger.

Die Waldleute, die aus dem Leutstübel mit herübergekommen sind, die Kutscher, die Holzer, die Trister, wollen ihren Herren helfen, die friedenstörenden Gesellen hinauswerfen. Wortwechsel und Handgemenge beginnt, Fäuste fuchteln in der Luft, immer heißer und röter werden die Gesichter, blitzender die Augen. Das juchzende Lachen bekommt etwas Herausforderndes, Gefährliches. Höhnende Worte über Holz- und Wilddiebe werden von seiten der Waldarbeiter laut. Und die Verdächtigen geben es zurück, gießen ihren Spott über die so oft und so keck betrogene Waldpolizei, die eifrigen Spürnasen, die doch die rechte Spur tausendmal nicht winden, kräftig aus.

Die schärfsten Pfeile fliegen dem jungen Sollacher zu. Dessen scharfes Vorgehn reizt die Leute zu immer größerer Widersetzlichkeit. Immer größer wird der in Augenblickszeit, im Handumdrehn entstandene Tumult.

Hat in des wilden Toni Hand unterm roten Sacktuch nicht gar schon der scharfgeschliffene Taschenfeitl geblitzt, feindlich, wie Tonis blitzende Augen?

Huberta war es, als hätte sie so etwas gesehn.

Von allen anwesenden weiblichen Wesen ängstigt sie, die so ruhig tut, die anderen Damen beschwichtigt, die lacht und scherzt und zur Gelassenheit mahnt, sich wohl am heißesten. Ihr ist, als gälte das ganze Lärmen der rebellischen Gesellen einem. Einem vor Allen, dem Schärfsten, dem Unduldsamsten, dem Allerschneidigsten, ihrem Bruder.

Der Max redet so gräßlich zornig und wild, so bitter, als sei jede Spur von Humor und freundlicher, guter Laune für immer von ihm gewichen. Huberta ahnt warum, ahnt, wieso der heut gar nichts leicht nehmen kann. Zu seinem Jägerzorn kommt jetzt noch ein nagender Extraschmerz. Als er in den Saal kam, war die Agnes, um die er sich den ganzen Nachmittag nicht gekümmert, die er trotzig gemieden hatte, verschwunden.

Nun blicken seine Augen so weh, so scharf. Huberta hat gesehn, wie sie dem höhnischen Lachblick des Toni einmal begegneten, – wie geschliffener Stahl.

Und Tonis Blicke hat sie ebenso blitzscharf antworten sehn, hat die ganze, große Gefahr darin erkannt. Sie fühlt's bis ins innerste Mark: Ihr Bruder, – der wird gehaßt!

Die Gefahr, die ihm drohen kann, im voraus erwägend, schaut sie sich um. Da sieht sie unter dem Leuteknäul, das die Tür stopft, ein halb verlegen, halb schadenfroh greinendes Männergesicht, verschmitzt und gutmütig, unternehmend und schwach Zugleich.

Der Hanker!

Der also auch hier! fährt ihr's durch den Sinn. Und wie sie deutlich an dem Herüber- und Hinübergezwinker zwischen ihm und den Rebellischen sieht, mit den Jagerfeinden im geheimen Bund!

»Das ist der Lohn für meine Müh am Roserl!« denkt sie einen Augenblick voll trauriger Bitterkeit.

Dann aber wird's hell vor ihren inneren Augen. Ein vergangener Augenblick fällt ihr ein, der, in dem sie das genesene, in Gesundheit prangende Roserl seinen Eltern vor einem halben Jahr nach winterlanger Pflege wieder zugeführt hat.

Bis vor die Tür hinaus hat sie der beglückte Mann damals gebracht, hat ihr die Hand gedrückt, bewegt bis zum Weinen, hat von seiner verstorbenen tugendhaften Frau gesprochen, »die kei Sünd gekannt hat,« hat gesagt, wie leicht sein Herz jetzt der gegenüber sei.

»Wann ich Ihnen mal a Lieb antun könnt! – Fräuln Sollacher, mei Leben gab i hin,« hat er damals gesprochen.

» Jetzt!« raunt Huberta im flüchtigen Vorbeigehn dem Hanker voll flehender Dringlichkeit zu. » Jetzt tun's mir a Lieb

Auf ihren halb herrischen, halb bittenden Wink ist der Mann ihr da gehorsam, wenn auch halb widerwillig, in den Flur gefolgt.

Dort hat sie ihn beschworen:

»Ich weiß jetzt genau, daß die Raufbolde da drinnen alle miteinander eine gefährliche Bande bilden, und ich weiß, Sie stecken mit ihnen unter einer Decke! Ob als Hehler, als Dieb, danach kann ich jetzt nicht forschen. Ich will's nicht wissen. Ich fordre von Ihnen, gebrauchen's Ihren Einfluß bei den andern! Schaffen's Ruh! Sie sind der Nüchternste! Ein Wort, ein Wink von Ihnen kann viel nützen. Mein Bruder holt sonst im Augenblick die Gendarmen! Der hat keine Geduld! Das wissen Sie! Es geht euch allen schlecht, wenn jetzt ein scharfes Verhör stattfindet. Denken Sie an Ihre gute, selige Frau, die kei Sünd gekannt hat. Denken Sie ans Roserl, das ich nie verlassen werd!«

* * *

Ein paar Minuten später war Ruhe im Saal.

Brummend, grollend, hohnlachend sind die Burschen abgezogen. Der Hanker hat es fertiggebracht. Wer weiß wie?

Die Lust zum Raufen stand jedem der Gesellen noch brandrot auf der Stirn.

Huberta fing einen Blick auf, den der letzte, der schwarze Toni, ihrem Bruder Max zuwarf.

Darin stand: »Wart' du, Jager, wann wir wieder z'samm kommen! G'freu' di!«

Ein gut aufgelegter Lustiger hatte sich im Hinausgehn mit spöttischer Huldigung vor Huberta verneigt und in gekünsteltem Hochdeutsch gesagt:

»Hoheit Fräulein Königin haben es befohlen!«

Die Festgesellschaft oder vielmehr der Rest derselben – viele waren schon am Nachmittag heimgefahren, viele mit Kindern in die Quartiere im Ort gegangen, um morgen früh zum Einkaufen und Besorgen in den kleinen Kaufläden mit den bunten Auslagen frisch und munter zu sein – blieb nach dem störenden Zusammenprall extra noch ein Stündl stillgemütlich beieinander.

Mit dem Tanzen war's freilich vorbei. »Aber nur die Laune nicht verderben lassen!« lautete die Parole.– – – – – – – – – – – –

»Gute Nacht allmiteinand! Kommt gut heim! Auf frohes Wiedersehn nächstes Jahr!« scholl's dann, eine Stunde vor Mitternacht, auf der Dorfstraße vor der Post.

Vom Balkon der Professorwohnung rief eine weiche weibliche Stimme einem hutschwenkenden jungen Alpenförster freundlich und fröhlich zu:

»Auf Wiedersehn! Gute Nacht! Gute Nacht!«

Mit dem letzten Zug der Lokalbahn fahren die Sollacherleute heim. Da gibt's auf dem Bahnhöfl noch eine kleine Abschiedsfeier. Eine ganze Geleitschaft von Herren steht auf dem Perron und winkt der Schützenkönigin zu, bis der kleine Eisenbahnzug in Nacht verschwindet.

Nach dem ersten lauten, gegenseitigen Aussprechen über den ereignisreichen Tag ist's auf der ganzen Heimfahrt im Coupé still.

Forschend sieht Huberta von Zeit zu Zeit nach ihres Bruders dunkel blitzenden Augen hin. Sie denkt sorgend der Augen voll heißem Haß, deren Blick ihn heute am Schluß der bösen Szene getroffen hat. Dann aber denkt sie andrer Augen, holder, wunderschöner Mädchenaugen, die voll demutvoller, todtreuer Liebe schimmerten und strahlten, als die, der sie angehörten, von ihm sprach.

» Der wird geliebt!« geht's ihr da jauchzend durch den Sinn.

Und daneben versinkt alles andre, alle Angst, alles Sorgen und Bangen tief.

Das Jauchzen behält die Oberstimme in ihr. Sie wird nicht müde, während der Fahrt über den reichen, inhaltschweren Tag nachzudenken.

Und sie findet, daß er trotz des störenden Zwischenfalls, der Angst, des Ärgers, der kleinen Bitternisse doch der wundervollste Tag ihres Lebens gewesen sei.

Kein Wunder!

Als sie sich zu Haus in ihrem stillen Stübel auszieht, fällt ihr der Buschen vierblättriger Kleeblätter aus dem Mieder, den sie am Morgen hineingesteckt hat. Ganz warm und welk!

An dem Aberglauben hält die Huberta nun sicher fest, – ihr Leben lang! –

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