Albrecht Schaeffer
Das Prisma
Albrecht Schaeffer

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Der Reiter mit dem Mandelbaum

1

Der junge Reiter in Eisen fand sich plötzlich, aus der Tiefe emporgestiegen, am Rande eines ganz wiesengrünen Hochtals. Flach, eine Schale, deren Durchmesser einige hundert Galopp-Sprünge betragen mochte, lag es wie in den Gipfel eines Kraters eingelassen, vom scharfen, baumlosen Rand umschlossen und überzogen mit einer Decke von kurzer Grasnarbe. Unferne zur Linken und Rechten und weite Meilen zu übersehn, erstreckten sich die schneebedeckten, schimmernden Gipfel der Alpen-Kette.

Ein leiser stetiger Hauch aus Süden regte sich in dem unendlichen schweigenden Raum. Über dem Reiter war das Gewölbe dunkel von Regen-Gewölk, aber zu seiner Rechten im südlichen West, wo die Sonne über der goldglitzernden Zacken-Reihe brodelte, war der Himmel rein und hellblau.

Er fühlte, wie seine Brust sich langsam mit der Tiefe und Reinheit der Aussicht zu einem andächtigen Staunen erfüllte; der Aussicht, die auch sein Roß, den erhobenen Kopf hierhin und dorthin drehend, glänzenden Auges auszuspähen schien. Es war weiß, aber Fell und Farbe hatten 448 gelitten von Witterung, waren struppig und angegraut; von großer rüstiger Gestalt, ein junger bretonischer Hengst, trug es die Schwere seiner stämmigen Knochen offen zur Schau. Nun streckte es den Hals und machte einen Schritt, aber der Reiter zog die Trense empor, und es stand wieder und wartete.

Der Reiter selber war folgendermaßen bekleidet und bewaffnet. Ein graues Gewebe eiserner Maschen umschloß ihn vom Kopf zu den Knien. Es umhüllte sein Haupt als Kapuze, die, unter dem Kinn fest schließend, nur das Gesicht freiließ, wie einen runden Mond; umhüllte den Hals in lockeren Falten, als Hemd die Brust und den oberen Teil der Beine; diese außerdem in Hosen mit Zacken, die über die Knie hingen, und die Füße endlich in Schuhen ohne Sporen, während die Unterschenkel sorgfältig mit hirschledernen Riemen voll kleiner gebuckelter Eisenquadrate umwickelt waren. Seine linke Körperhälfte war fast umschlossen von der runden Wölbung eines halbmannshohen Schildes ohne Devise, der an einem Ledergurt über die rechte Achsel gehängt war. Aus ihm reckten sich die dünnen, mit wenigen rosigen Blüten besteckten Ruten eines kleinen Mandelbaumes hervor, den der Reiter im Arm hielt. Die rechte Schulter überragte der Kreuzgriff des über den Rücken gehängten Schwerts; im rechten Ellbogengelenk lehnte die im ledernen Bügelschuh stehende Lanze; an der eisernen Sattellehne vorn waren ein Paar Handschuh in Eisenmaschen und der Helmtopf mit grader Decke aufgehängt. Ein schwarzes Bären-Fell 449 lag unter dem Sattel dem Pferde auf, und ein gleiches bedeckte einen auf die Kruppe geschnallten Packen. – Das Pferd hatte zu tragen.

Im Süden, grad gegenüber dem unbeweglich Haltenden, wurde jetzt über den Rand ein Rudel dunkler Bälle geworfen, ein Stück in die Mulde herabfliegend und dann still. Gemsen, – der Mensch sah sie stehen, kurzbeinig, und gleich darauf jagten sie abgeschnellt und in harten Sprüngen ein Sehnenstück des Umkreises ab und verschwanden kopfüber. Im nächsten Augenblick fiel ein rauschender Regen leicht und dicht über das Tal und verschleierte dem Reiter Alles umher, auch das, worauf ihn sein Roß nun zutrug: das niedrige Mauer-Rund einer Zisterne, daneben den kleinen kahlen Baum und die zwei schwarzen Tannen, nicht ganz in der Mitte der grünen Schale. Doch durchdrang schon die Sonne den Regen, als er dort anlangte, und ließ ihn golden erglänzen.

Die Lanze aus dem Bügelschuh hebend und an die Vorderlehne des Sattels geneigt auf den Boden stellend, stieg der Reiter ab und setzte den Mandelbaum in einem blau-grün aufleuchtenden Tontopf auf den Rand der Zisterne; hängte den Schild ab und legte ihn schräg gegen den Mauer-Ring; ergriff dann den am Boden stehenden Leder-Eimer und warf ihn an seiner Kette nach einem Blick in die geringe Tiefe dort hinab. Ein braunes Blatt schwamm auf der dunklen Flut, die den herauskommenden füllte. Er entfernte es und stand einen Augenblick, die Hände auf den Rand des auf der steinernen Einfassung 450 stehenden Gefäßes gestützt, überrascht von seinem unverhofft ihm erschienenen Spiegel-Bild; auf einem Grunde von Dunkel und zugleich hellem Blau glänzte ihm sein erschöpftes und hageres Gesicht in einer ganz goldenen Bräune, zart und deutlich umflimmert vom Bartflaum, schattenhaft zugleich und die Augen darin so blau, als durchschiene der Himmel das Bildnis.

Er goß hierauf behutsam ein Weniges auf die Erde des Mandelbaum-Topfes, stand noch, bis es versickert war, ging dann zum Pferde, das, ruhig stehend auf allen vier unbeschlagenen und gelblichen Hufen, nur den Kopf herwandte, erwartenden Auges, und ließ es, den Eimer schräg auf dem Knie haltend, das grauschwarze Maul hineinstecken. Es trank in langen Zügen, und er belauschte das fromme Schlürfen in der himmelnahen Stille der Berge.

Endlich hob es den Kopf, blies, wieherte leise und stampfte einmal mit dem rechten Vorderhuf zum Zeichen der Sättigung, wobei die Lanze ins Rutschen kam und an seinem Halse hin zu Boden schlug. Der Reiter, einen Rest Wasser im Eimer entdeckend, hakte einen hölzernen Becher vom Leibgurt, füllte und leerte ihn wieder in einem Schluck. Den Eimer fortgestellt, ging er um das Pferd, die Lanze aufzuheben, und hatte nun im Sichaufrichten einen wunderbaren Anblick.

Nämlich der Fuß eines gewaltigen, schön und deutlich mit den Streifen aller Farben bis zum Zenit aufragenden Regenbogens stand keine zweihundert Schritte entfernt 451 zwischen dem Brunnen und dem Rande des Tals. Hinter ihm schien der Himmel zu schweben in grauem Blau. Erstaunt, auf die Lanze gestützt, blickte der Mensch in das feurige Leuchten der ganz reinen Farben aus Licht, das sich vom Himmel in solche Nähe zu ihm gesenkt hatte; und bald überkam die lautlose Erscheinung ihn schauernd gewaltiger. Er senkte das Haupt und murmelte, sich mehrfach bekreuzend, Worte des Gebets unter wiederholtem Ora pro nobis! Er tat dies lange, immer niedergeschlagenen Blicks, als ob er nicht aufsehen dürfte, ehe die Erscheinung erloschen war, die vielleicht gar nicht gesehen sein wollte. Da er endlich die Augen erhob, war sie leider nur blasser geworden, aber er atmete erleichtert, weil nun doch keine Boten in weißen Kleidern dort standen, herabgestiegen mit einem himmlischen Auftrag. Er wartete dann geduldig die Minute bis zum gänzlichen Schwinden des heiligen Farbenspiels ab, ging dann und rüstete sich zum Aufbruch. Aber während er den Schild aufnahm und umhängte, noch am Sattelgurt zog und Alles abtastete, endlich das Bäumchen an sich nahm und aufsaß, mußte er mehrmals einen Blick nach der nun leeren Stelle der Erscheinung werfen. Doch nur das Schweigen des luftigen Raumes offenbarte sich ihm geisterhafter, und schon aufgesessen, fühlte er seinen Blick wie angeschlossen ans Grenzenlose, an die reine Feierlichkeit der unabsehbar schimmernden Gipfel-Zacken, zu denen der ganze Erdkreis erstarrt schien. Endlich trieb er an und zog fort, tiefer einatmend die Schärfe der dünnen Luft. 452

Wieder haltend am jenseitigen Rand, entdeckte er, daß die schwärzlichen Wälder der Fichten hier bis auf hundert Schritte heraufgekommen waren – ähnlich einem belagernden Heerbann – während der Zeit, so schien es, seines Aufenthalts in der Mulde. Von vielen Seiten strömte das Tannen-Gehügel in schweren Wogen, immer tiefer abfallend und in Bögen zusammenflutend, gegeneinander, unabsehlich in tiefe Fernen des sonnenbeleuchteten Südens. Er beugte sich nun im Sattel vor bis zum Auge des Pferdes, das entgegengewandt starr doch antwortend blitzte. Gleich darauf setzte es sich in Bewegung, die Schrägung des glatten Gras-Hanges hinunter, wandte sich links, begann zu traben, dann zu galoppieren, am Waldrand hin, und kaum noch hatte der Reiter den getretenen Pfad in der Grasnarbe erkannt, der, seine Richtung querend, im Wald verlief, so war es dort zwischen den pelzig zottigen Behang der Fichten hineingebrochen, der hinter ihm zusammenschlug. Im Dunkel des schmalen Ganges, der sich talwärts senkte, fiel es wieder in Schritt. Der Reiter lächelte, hing die Trense am Sattel auf und setzte sich lässiger.

Als er eine Weile später, aufwärtsblickend, hoch über der Fichten-Schlucht das Blau des Himmels rinnen sah wie einen geschlängelten Bach, stellte sich gleich der Regenbogen dar, in die Einsamkeit der grünen Schale hinabgesenkt. Erst ernsthaft, dann mit leisem Lächeln, faßte er ihn ins Auge und murmelte, während der Himmlische langsam zerging: Es war doch wie ein Zeichen. Was wird kommen? Wird heute, endlich, mir Etwas begegnen? 453

Und er zog seines einsamen Weges im Dunkel weiter, erwartungsvoll.

2

Eine, auch zwei Stunden später, tief im Südosten von jenem Hochtal, trat das weiße Pferd zwischen den hohen Fichten hervor in eine enge Wald-Schlucht, deren Sohle die hastig talab über Geröll strudelnden Wellen eines Baches fast ganz erfüllten; kaum sichtbar an ihrem Rand in der Dämmerung des Abends lief der Hirten-Pfad, den das Roß beschritt. Hier traf den Reiter überraschend und fast mit Heftigkeit der Geruch von blühenden Mandelbäumen wie ein Begegnender aus dem Dunkel, und er senkte erstaunt das Gesicht auf die Zweige seines eigenen Baums, murmelnd: Bist du das? Gleich darauf spürte er in Einem das raschere Ausschreiten seines Tiers – Anzeichen eines menschlichen Wohnsitzes – und ein linderes, wärmeres Anströmen der Dämmer-Luft. – Bin ich, fragte er sich, nun über den Berg, und dies ist Italien?

Es dauerte nicht lange, so traf die Tannen-Schlucht auf ein Tal in der Quere, wo mancherlei Unerwartetes sich zeigte in der wieder lichteren Tages-Helle.

Zunächst die lanzenwurfbreite Fläche eines kleinen Flusses, in den der Bach sich ergoß. Sie lag still, dunkel von der Spiegelung der Wald-Ufer, mittwärts erleuchtet vom Widerschein des Himmels, aber nur wenig unterhalb zeigte ein heftig rauschendes Tosen den Fall an, jenseits dessen der Fluß tiefer in seinem Bett, regelloser und eiliger talab schoß. Dem Reiter gegenüber war ein breites Stück 454 aus der Bewaldung des Hanges herausgeschnitten und zum größten Teile erfüllt mit dem rosig blühenden Gewipfel zahlloser Mandelbäume; das Übrige war teilweise mit Acker bedeckt, teilweise mit kahlen oder weißlich blühenden Bäumen bestanden; eine Obst-Pflanzung. Schließlich war ein wenig oberhalb des Falles auf dem senkrecht einige Fuß abstürzenden Stein-Ufer eine sitzende Gestalt zu entdecken, die eine Angelrute unbeweglich über die glänzende Fläche ausgestreckt hielt.

Das Roß strebte vorwärts. Bei seinem Näherkommen wandte der Angler – er trug ein mönchisches braunes Gewand, neben ihm standen ein hölzerner Napf und ein Bottich – das Gesicht her, uralt, verwittert, aber frommen Ausdrucks, wiewohl etwas blöde. Neben ihm haltend, sah der Reiter den Napf voll Würmer, den Bottich voll handlanger und größerer heller Fische mit rötlichen Flossen. Das Stauwerk, von Menschenhänden aus Balken, Steinen und Lehm gezimmert, erstreckte sich über die ganze Breite des Flusses. Der Angelnde blickte still und angstlos aus den kleinen hellen Augen empor, antwortete aber dann auf des Reiters grüßendes Pax tecum mit einem freundlichen Et tibi! Danach auf die Frage nach einer Herberge, talab deutend: Videsne pontem? Ibi! worauf er sich lächelnd abwandte. Das Pferd war schon in Bewegung.

Der Reiter glaubte den ihm gewiesenen Brückensteg in der Ferne zu sehn; der Pfad über dem scharf abfallenden Ufer, am Stauwerk vorüber, war schmal, aber das Pferd 455 beschritt ihn ohne Zaudern. Nun verbreiterte er sich; da war auch hier aus dem Tannen-Hang ein Stück geschnitten, diesmal in Form eines Dreiecks, dessen Basis der Weg bildete, angefüllt mit braunem Acker. Und dort kam in der Dämmrung grad auf den Reiter zu, am schwarzen Waldrand herab, ein Ungeheuer von einem gelben Stier geschritten. Vor der breiten gesenkten Stirne mit kurzem Gehörn ein Brett, einen Ausdruck geduldigen Grimms in den rollenden Augen und um das geraffte kleine Maul, unter dem die mächtigen Hautfalten der Wampen im Bogen bis zu den Knien herabhingen, setzte er, langsam bergunter schreitend, eines der kurzen Beine vor das andre. Er schleppte so einen Pflug, und über der riesigen Wölbung des hochgebogenen Rückens tauchte ein blondes, noch knabenhaftes Gesicht auf; dann sah der Reiter die ganze, lange und schmale Gestalt des einsamen Pflügers in einem anliegenden blauen Hemd, nacktfüßig. Er sah schmutzig aus; sein Gesicht verfinsterte sich nach der ersten Überraschung, er senkte es, rief mit dumpfer Stimme seinem Gewaltigen ein Wort zu und warf sich ganzen Leibes zurück, an der Leine zerrend. Der Koloß, am Ende der Furche angekommen, drehte sich grollend langsam und schwerfällig. Schon vorüber an Beiden wandte sich der Reiter im Sattel zurück und sah den gelbweißen Bullen, dampfend aus den Nüstern, und dahinter die schmale blaue Gestalt wieder an der Tannen-Wand bergauf ziehn, in der Dämmerung ihr schweres und stummes Werk unaufhaltsam verrichtend. 456

Da lag die Brücke, ein grader, nicht mehr als zwei Schuh breiter Steg von Balken, querüber dicht und fest mit Knütteln benagelt. Jenseits, ebenda wo ihr Ende auflag, sprang eine Felswand gegen das Ufer vor, und dort schien kein Pfad mehr zu sein und Alles zu Ende. Allein, da noch der Reiter sich fragte, wie er hinüber komme – der Steg hatte nur an einer Seite ein leichtes Geländer –, betrat das Pferd schon die Balken und schritt hinüber, mit Geschick das Schwanken des Stegs in seiner eignen Bewegung auffangend. Drüben führte ein schmaler Pfad um die Ecke der Felswand. Der Reiter hielt vor einem kleinen Platz.

Ihn begrenzte zum Teil das, mit der Biegung des tiefer liegenden Flusses im Kreisviertel herumgeführte Geländer aus Baum-Ästen; zum Teil, dem Reiter gegenüber, der ansteigende Tannen-Hang; ein Weg, breit genug, mündete zwischen beiden. Wie aber der Reiter, nach dem Tosen des Stauwerks umfangen von der Stille, in die es gedämpft aus der Ferne hereinscholl, sich nach links wandte, so erstreckte sich da statt der erwarteten Felswand die Stirnseite eines großen und dunklen Hauses von ihm fort in den Hintergrund, und ein niedrigeres Gebäude mit Luken unter dem Dach schloß sich an: ein Stall wohl, – gedämpftes Brummen eines Rindes schien dort herauszutönen. Gleichzeitig vernahm der Reiter aus dem Innern des Hauses den Gesang einer weiblichen Stimme; getragene, einzelne, klare Noten, ein wenig klagend, und er erkannte Worte und Melodie der kindlich vertrauten 457 Vesper-Hymne: Ave maris stella, deren vorletzte Strophe eben ertönte:

Gieb ein reines Leben,
Sicher führ die Wege,
Daß wir Jesus sehend
Ewig mit dir froh sind . . .

und die er ergriffenen Herzens auf sich bezog, so daß er den Nacken bog, sich bekreuzte und lange in der andächtigen Haltung blieb. Dabei sah er vom Haus doch so viel, daß es aus starken, dunkel gebräunten Balken gezimmert war und zwei Galerien vor den Stockwerken hatte mit Brüstungen, in Säulenform ausgeschnitten. Das flache Dach sprang weit über die obere vor und war mit schräg untergestemmten Balken gestützt, welches dem Ganzen etwas drohend unter Brauen Hervorblickendes verlieh. – Aufschauend sah er über dem engen Tal und den westlichen Bergen den Späthimmel, sehr kühler Reine, bläulich und vergoldet, und dunkler schien ihm, da er den Blick zurücknahm, seine Umgebung und das Haus.

An ihm emporsehend, nahm er erst jetzt – oder war sie nun erst erschienen? – die weibliche Gestalt auf der Galerie wahr, die sich dort über die Brüstung neigte, stille herunterblickend auf ihn. Die Sängerin war es nicht, denn die letzten Töne der Hymne schwebten noch aus dem Hause hervor. Ihre Augen schienen schwarz, sehr weiß das Antlitz, dessen Umrißlinien, an Schläfen und Wangen herab, ganz grade waren; dunkel der Mund. Eine starke Flechte von dunklem Rot fiel am Halse vorüber auf die mattblaue 458 Farbe des Kleides. Nicht weit von ihr stand auf dem Geländer eine Lilie in einem grünblauen Gefäß, dem ähnlich, das den Mandelbaum des Reiters enthielt. Noch entdeckte der Ausschauende über ihr und dem Hausdach schwebend rosiges Mandel-Gewölk, jedoch weiter zurück, als gäbe es dahinter einen hochgelegenen Garten.

Der Reiter grüßte sein: Friede sei mit dir! nicht ohne Beklommenheit, indem er von Etwas an ihrer Erscheinung oder ihren Zügen, das er als brennend empfand, erschreckt wurde und denken mußte: Ach, soll es das sein? – in verworrener Erinnerung des Regenbogens. Sie antwortete mit einer so zärtlich klingenden Stimme, daß es ihm Furcht erregte, lächelte darauf und fragte: Wer bist du, Reiter mit dem Mandelbaum?

Ich, sagte er zaudernd, da er seine Worte erst in das ungewohnte Lateinisch übersetzen mußte, ich bin nichts weiter, als was du sagst.

Woher? fragte sie ernst.

Aus meiner Heimat Bretagne.

Das ist weit. Und wohin?

Nach Byzanz.

Dieses Weges? fragte sie erstaunt. Die Heer-Straße zieht im Süden.

Der Reiter erwiderte, indem er es wieder leicht fand, in der fremden Sprache zu reden, die seine Worte zu denen eines Andern zu machen schien und ihn selbst zu verbergen: Die Heer-Straße ist nicht mein Weg. Den meinen weiß nur mein Pferd. 459

Ach! sagte sie und verstummte. Er folgte ihren Blicken, die sich auf das Tier senkten und seine Gestalt nachzogen bis zu den unbeschlagenen Hufen, die rissig waren und mit aufgebogenen Rändern. Sie schien nachdenklich geworden.

Du möchtest wohl Obdach? fragte sie dann. Ich weiß nicht, ob du es bekommen wirst. Du mußt warten, bis mein Vater heimkommt.

Wartest du dort oben auf ihn? fragte er, sich kühn vorkommend.

Nein! sagte sie hart, fast böse. Ich warte hier auf die Sonne.

Da sie sich der lateinischen Sprache bediente, in der die Sonne männlichen Geschlechts ist, konnte sie fortfahren, mit den Augen nach einem Gegenüber deutend:

Er kommt alle Abend dort zwischen die Berge und läßt mich seine goldene Hand küssen. Gleich wird er da sein.

Der Reiter wandte sich ihrem Blick nach und sah den Einschnitt zwischen den Wäldern, wo schon güldene Strahlen spielten und das Grün rauchend aufleuchtete.

Aber, hörte er sie fortfahren, du mußt nicht warten. Ich komme herunter.

Sie war verschwunden, als er wieder hinaufblickte. Er stieg nun ab, lehnte seine Lanze an die Hauswand, setzte das Bäumchen auf eine Bank neben der Tür, hängte endlich auch den Schild ab und lehnte ihn an. Dann öffnete sich die Tür, es erschien aber nicht die Schöne von der Galerie, sondern eine mütterliche Gestalt, braun 460 gekleidet, in einer Dalmatika. Der Ausdruck ihrer noch ungealterten Augen in einem sehr hagern, sehr harmvollen und edlen Gesicht maß den Fremden mit einer staunenden Wehmut. Die Haltung ihres Kopfes und die Art, wie sie den Kragen unter dem Hals mit der Rechten zusammenhielt, war nicht ohne Würde, aber der Mund bebte hülflos eine Weile, ehe sie den ehrerbietigen Gruß des Gastes beantworten konnte. Nach Byzanz? fügte sie hinzu und: Ach Gott, das ist weit! Hinter ihr im Dunkel, wo ein Feuer-Schein leuchtete, erschien die Gestalt der Tochter, nach der sie sich nun umwandte, so daß sie hervortrat und sagte: Auch die Mutter meint, daß wir warten müssen. Wir sind ganz allein im Haus, und du bist der Erste seit Jahren. Wenn du dich waschen möchtest, setzte sie hinzu, es wird Zeit genug sein. Willst du Milch oder Wein? Beides ist da.

Er verneigte sich, Milch erbittend, und löste, gleichsam um mehr von sich zu erkennen zu geben, die Eisen-Kapuze am Hals, die er dann vom Kopf zum Genick streifte. Das braune Haar fiel ihm in Locken schweißverklebt bis auf die Brauen. Ach! sagte die Mutter, wie jung er ist! Er und die Tochter lächelten; sie sagte: Nun komm nur! und er folgte.

In einer großen düsteren Halle brannte ein mäßiges Feuer inmitten auf einem breiten Herd unter einem Kessel. Eine Tür im Hintergrund aufschlagend, führte ihn das Mädchen, das eine zierliche goldene Lampe ergriffen hatte, eine Treppe hinunter, öffnete wiederum eine Tür und leuchtete in den Raum hinein, der eiskalt war: Das Bad. 461

Warm, sagte sie, kannst du es so schnell nicht bekommen, aber du wirst es gewohnt sein! und stellte die Lampe auf einen kleinen Tisch. Verlegen sah er sie bei dienend weiblichen Geschäften: einer Truhe ein großes Leinentuch entnehmen und über einen Schemel breiten und Schuhe aus rotem und weichem Leder hinstellen. Sie deutete noch auf einen der großen kupfernen Hahnen, die er über mehreren umfangreichen Holzbottichen mit blanker Kupferbereifung aus der Wand ragen sah, nickte ihm lächelnd zu und ging mit einer plötzlichen Gebärde der Hoheit.

Der Reiter blickte sich erstaunt um. Dies war so freundlich; freundlicher fast als kostbar. Der Lampen-Schein erleuchtete dämmrig rosa getünchte Wände und Gewölbe und ließ das Metall glänzen wie Feuer und Gold. Endlich trat er zu der Wanne, die nicht über einem Feuerrost angebracht war, das Wasser für das Warmbad aufzunehmen bestimmt, drehte den Hahn und sah erfreut einen starken grünweißen Strahl mit Dröhnen und Getöse in die Wanne stürzen. Wie es schien, kam er geradeswegs durch eine unterirdische Leitung und Kläranlage aus dem Fluß. Während die Wanne sich rauschend mit klarer Flut anfüllte, legte er die Rüstung und was er darunter trug, ein ledernes grüngefärbtes, ein leinenes weißes Hemd und die gleichfalls grüne hirschlederne Hose ab, worauf er sich glücklich fühlte, den verschweißten Leib mit der eiskalten Flut zu laben. 462

3

Sie führte den fremden Gast, nachdem er sich unter den bekümmerten Augen der Mutter an Milch und weißem Gebäck erquickt hatte, zu einer Bank, die am Geländer über dem Flusse stand, und sie ließen sich nieder. Es war nun dunkel geworden; das Stauwerk rauschte vernehmlicher in der Stille, und im noch Lichten des Himmels über den schwarz gewordenen Berg-Wänden zeigten sich die ersten schwachen Licht-Punkte der Sterne.

Eine Weile saßen sie schweigend, das Mädchen talauf blickend, einen Arm auf dem Geländer. Er wagte es nicht, die Augen auf sie zu richten, denn das blaue Tuch lag der oberen Hälfte ihres Leibes so faltenlos an, daß die Rundungen ihrer Brüste und wie sie sich atmend bewegten, trotz der Dunkelheit deutlich erkennbar waren. Dazu quälte ihn fast der Geruch unsichtbarer Blumen oder Gewächse, stärker schwellend im Dunkel, als er ihn beim Kommen empfunden hatte, und allzuscharf für seine zarten und reinen Sinne.

In dem Augenblick, wo sie die Lippen zum Sprechen öffnete, hörte er ein fernes Klirren, das vom Winde getragen klappernd näherkam, und sie sagte, den Kopf hebend: Julian. Mein Bruder.

Es dauerte nicht lange, so erschien in der Mündung des Wegs in den Platz der gewaltige Schatten des Bullen, seine helle Farbe und ungetümen Gliederbau zeigend, während er vorbeischritt. Dem Knaben mit dem Hakenpflug über der Achsel rief die Schwester ein paar Worte in einer 463 dem Reiter unverständlichen Sprache zu. Er verschwand wortlos im Dunkel bei dem Stallgebäude.

Sie legte eine Hand auf seinen Arm. Nun sprich! bat sie mit allzu verlockender Stimme. Erzähle, wer du bist! Du mußt wissen, daß du der erste – sie wollte Mann sagen – vir –, stockte aber und fuhr fort mit viator – Pilger bist, den ich sah, und verzeih die Neugier! Was ist das mit jenem Mandelbaum, und welche Bewandtnis hat es mit einem Pferd, das den Weg weiß statt des Reiters? Julian, fügte sie hinzu, wird ihm Futter geben, er ist gut. Es frißt doch? fragte sie lächelnd, ein wenig spöttisch, und schloß, ohne eine Antwort zu erwarten, unversehens: Ich heiße Justina.

Verwirrt von dem weiblichen Hin und Her, versetzte er, daß er gern von sich Alles sagen wolle, obgleich es – so scheine es ihm – sehr einfache Dinge sein würden. Doch müsse sie Geduld haben wegen der Langsamkeit, da er das Lateinische nur wenig gesprochen habe.

Danach begann er, eine Pause machend vor jedem neuen Satz aus Not des Übersetzens, und bald, bewegt von der Feierlichkeit dessen, was er jetzt zum ersten Mal in Worte zu fassen hatte, in den getragenen Ton der Legenden fallend, an denen er die Sprache geübt hatte, und der ihm für die Form des Erzählens der einzig mögliche war, wie folgt.

 

Meine Heimat ist, wie ich dir schon sagte, die Bretagne, und ich reise hier wegen eines Bruders, den ich hatte, und nun ist er tot. 464

Ernestus war sein Name, und der meine Geoffroy. Aber wir tauschten unsre Namen zum Zeichen der Liebe, kurz bevor er verschied, und nenne mich also Ernestus.

Mein Vater war ein Graf in der Bretagne, aber er ist auch seit langem bei seinen Vätern, auf die Stimme zu warten, die ertönen wird mit Zungen der Engel am Tage des Gerichts, Amen.

Dessen Name war auch Geoffroy, dazu hieß er du Pied-Sainte-Marie, nämlich nach einer Stelle am Felsen der Küste, in die der Erste des Geschlechtes sein Schloß baute, welche die Form eines Fußes hatte; und mit Zunamen Mercator, deswegen weil er ein vertriebener Edelmann war aus dem römischen Reich und begonnen hatte, Handel zu treiben mit Waren, Bernstein und Zinn aus den Bergen in Cornwall, das gegenüber liegt; und mein ganzer Name also heißt so: Ernestus Geoffroy du Pied-Sainte-Marie Mercator Comte du Morlaix.

Meine Mutter lebt. Sie war eine Fränkin aus edlem Hause, aus den Tälern des Main, und sie lebt kranken Herzens.

Denn dort ist nur Meer, wo sie wohnt, jenes, das zwischen Britannia und dem Festland hindurch in den größten Ozean strömt unendlichen Brausens.

Und meilenweit ist die See nur Schaum und Getöse der langen Brandungen zwischen den vielen Klippen.

Korn gedeiht spärlich, Fische sind die Nahrung, und alles Köstliche kommt tageweit aus dem Binnenlande von Süden, Wein und Früchte, und oft sind sie faul. 465

Wein-Land aber ist, wo sie zuhaus war; die Täler füllt die Woge der Saat, und das Baum-Obst gedeiht.

Und ich wäre auch nicht aufgebrochen von ihr, wo nicht meines Bruders wegen, den ich bekam erst vor kurzem, denn ein leiblicher war es nicht.

Sondern weither aus Osten war er gekommen, nämlich aus Byzantion, seiner Heimat.

Er gehörte zum heiligen Orden der Brüder Benediktiner, und mit einer Anzahl von ihnen war er gekommen, obwohl siechen Leibes.

Dieselben hatte nämlich ins Land gerufen ein frommer Mann, der Graf de la Haie du Puits, welchen der Unglauben des Volkes betrübt hatte.

Denn unter ihnen war die reine Lehre noch neu, und Viele waren wieder abgefallen und opferten ihren heidnischen Götzen.

Deswegen hatte er beschlossen, eine Kirche zu bauen, und, wenn es Mehreren der frommen Brüder gefalle, zu bleiben: eine Abtei.

Und er hatte Briefe geschrieben, sowohl nach Rom an den Heiligen Vater und auch nach Byzanz an den Patriarchen, aber lange war keine Antwort gekommen.

Diese Bewandtnis aber hatte es mit Bruder Ernestus, welcher keine Eltern gehabt hat, von denen sich wissen ließ, sondern er war ein Findling.

Nämlich vor vierundzwanzig Jahren, und das war im Jahre Eintausendunddreißig, da wir nunmehr das Eintausendundvierundfünfzigste zählen seit der Geburt unseres 466 Heilandes Jesus Christi, – er vergebe uns unsre Sünden, Amen!

Da saß der heilige Prior des Klosters der Brüder Benediktiner zu Byzantion am Fenster seiner Zelle, das über dem Meere lag an seinem Ausgang, wo es das Goldne Horn genannt ist, und siehe da, er sieht Etwas hergefahren kommen auf den Wellen.

Kein Schiff, sondern es war ein Kruzifix von Armes Länge, auf das war genagelt ein ganz kleines Kind.

So stracks kam das auf ihn zugefahren, daß er erschrak und lief und den Brüdern rief, und sie kamen und taten ein Tor auf nah überm Wasser, wo der Fischmeister seine Boote hatte, und siehe, da schwamm es herein.

Es lebte fast nicht mehr, jenes Kind, aber da sie es abgelöst hatten von den grausamen Nägeln und ihm heiße Milch eingaben und es rieben mit Tüchern, so kam es zu sich und nieste.

Es schien aber gewiß Allen, die es sahen, daß es Ungläubige gewesen waren, Korsaren, die es geraubt und ihm also übel getan hatten aus Lust.

Und gewiß auch, daß ihm vorbehalten worden von Gott dem Herrn, der Alles sieht, ein heiliges Leben, dieweil es so frühe das Leiden seines eingeborenen Sohnes hatte auf sich genommen.

Also ließ ers aufziehn, und es ward ein sehr schöner Knabe, ob schon fast lahm auf den Füßen, auch behielt er ein inneres Siechtum.

An Weisheit nahm er gewaltig zu, aber was alle Welt 467 mit Liebe zu ihm hinzog, das war seiner Augen tiefe traurige Güte.

Mit Namen genannt wurde er in der heiligen Taufe Jesus fraterculus, dieweil sie ihn gefunden hatten, ein Brüderchen des Heilands am Kreuz, aber er selber nahm am Tage des Gelübdes den Namen Ernestus an, weil es ihm unlieblich schien, ein Bruder unseres Heilandes Jesus Christi zu heißen, dessen allesamt Brüder sind, die ihn lieben, und sonst nicht.

Da aber nun die Briefe ankamen aus der Bretagne, und der heilige Patriarch einen Aufruf ergehen ließ an die Brüder des Ordens, welche dorthin ziehen wollten, vielleicht die Krone des Märtyrers zu erwerben, so wollte erst Niemand, dieweil sie die weite Reise scheuten und die Kälte des nordischen Landes.

Alle außer Ernestus. Ihm nämlich erschien, da er betete, ob er ziehen solle, dieweil er gelähmter Füße und siechenden Leibes war, ihm erschien Benedictus Sanctus im Garten des Klosters; und er deutete auf einen blühenden Mandelbaum und sprach: Nimm und geh! und dieses zu drei Malen.

Weil es aber November war und keiner der Bäume blühend war in dem Garten, die er doch alle blühend gesehen im Traum –

So begriff er, daß er ein Reis nehmen sollte von ihrer einem – den er auch wohl erkannte am Tag, als welcher bezeichnet war, gewachsen wie eine Leier –

Und ziehen mit dem und es einpflanzen dort, wo es aufblühen würde, und daselbst die Kirche erbaun. 468

Und so ist es geschehn. Denn er nahm von dem Baume ein starkes Reis, und mit ihm eine Schar von Brüdern, welche bewegt waren mit Feuer von dem Gesicht seines Traumes, sie machten sich auf im November.

Und im Februar langten sie an, da lag überall hoch der Schnee, aber eines Nachts – siehe da, und das Reis steht in Blüte!

Da trugen sie es mit Singen und Frohlocken, bis Ernestus gebot halt, und siehe da, die selbige Stelle ists, die der Graf de la Haie du Puits bedacht hatte zum Bauen des Klosters.

Das Zeichen aber wirkte weitum in dem Volk, und sie kamen und erneuerten den Glauben und brachten zur heiligen Taufe viele ihrer Kinder, noch ungetauft, und bei Hundert kamen, das Gelübde des Ordens auf sich zu nehmen.

Auch Geldes genug kam zusammen, also daß der Bau in Bälde konnte vollendet werden und sehr schön, aber mein Ernestus siechte dahin.

Weil er zudem aber krank war von Verlangen nach den Gärten und nach dem Meer seiner Heimat, so ließ er sich nach der Küste hinschaffen, unser Meer zu sehen und vielleicht, wenn es im Frühjahr erblaue, wieder zuzunehmen an Kräften.

Denn zweimal inzwischen wars Winter geworden. Also aber ist es geschehen und kam er zu uns, nämlich zu meiner Mutter, die ihn gebeten hatte, und ich sah ihn.

Liebe zu ihm ergriff da mein Herz also stark, wie wenn einen jungen Baum ein heftiger Wirbelsturm faßte und 469 beugte ihn bis zur Erde mit seinem Wipfel und er erzittert in den Spitzen seiner Wurzeln.

Und auch sein Herz neigte sich wieder zu mir in großer Zärtlichkeit, der letzten, –

Da er dem Himmel schon näher war als uns Allen.

Er hatte aber bei sich ein Reis von jenem Reis, das ihn hergeführt hatte aus dem Byzantion; bei sich in einem lasurnen Topf, wie du gesehen hast, und dies war sein Verlangen, es blühen zu sehn vor seinem Scheiden.

Doch dies erfüllte sich nicht – oder auch – wer weiß? – dieweil es auch Februar war, und die Küste krachte von Eise.

Und er ist gestorben in einer Nacht, da er allein war. Ich aber, als ich zu ihm kam in der Frühe, ich fand ihn tot. In seinen Händen der Topf mit dem Mandelreis, – sie waren kalt, aber es blühte über und über, auferweckt von der großen Glut seiner fiebernden Hände.

Und Niemand weiß, ob er es nicht wahrgenommen hatte vor seinem Verscheiden, denn über die Maßen selig war das Lächeln seines Schlafes.

Und dieses Reises wegen nun ists, daß du mich hier siehst, aber dieses folgendermaßen.

Denn noch war es einige Tage, vor dem ihm zu scheiden bestimmt war, da rief er mich zu sich des Nachts, da ich in einer Kammer schlief neben der seinen, und er sagte:

Auf, mein Bruder, mache dich eilig auf gegen Byzanz! Sanctus Benedictus, er entführte mich in einem Traum; er stellte mich neben ihm auf den Turm des Klosters und zeigte 470 mir unter unsren Füßen das ganze Land Asia, wimmelnd von einem Kriegs-Volk der Ungläubigen, und er sprach: Ach, wehe Byzantion! Wehe, sie wollen dich vertilgen!

Und wir weinten zusammen über die goldene Stadt, und von dem Weinen erwacht ich.

So mache dich nun eilends auf, zögere nicht, nimm Waffen und ein Pferd, und ich will es zuvor segnen, daß es dich hintrage des kürzesten Weges.

Auf daß du kämpfen sollst allda für mein Byzantion! so befahl er mir, und dies sagte er noch:

Mit dir sollst du meinen Mandelbaum nehmen, der nicht blühen wird, daß ich es sehe, und sollst ihn einpflanzen an der Stätte im Garten, von wo er kam.

Dies wird mein Verlangen sättigen, so sprach er, denn ich bin mitnichten heilig, wie sie schon sagen.

Solcherlei sprach er noch mehr, und ich mußte seinem Wunsch willfahren und zog ein Pferd aus dem Stall, knapp zweijährig, das noch keinen Reiter getragen hatte, und brachte ihn hin zu dem auf meinen Armen.

Und er machte das Zeichen des heiligen Kreuzes dreimal über seine Stirne und sprach zu ihm: Gehe nach Byzanz!

Danach gebot er mir, aufzubrechen, aber ich gehorchte ihm nicht, sondern ich blieb, bis daß er geschieden war.

Und auch danach wäre ich vielleicht nicht gegangen, dieweil meine Mutter mich bat, wäre nicht lange schon ein eigenes Verlangen in mir aufgebrochen nach der Stadt mit den goldenen Kuppeln und Türmen, die er mir oftmals beschrieben. 471

Und schließlich geschahs, daß aus dem Stall trat der weiße Hengst, den er eingesegnet hatte zur Reise, und stellte sich mir dar auf dem Hof, da ich hinüber ging, und vertrat mir den Weg.

So ist es gekommen, daß ich Urlaub nahm von meiner Mutter und den Schwestern, schweren Herzens mit Tränen.

Meine Reise aber verlief glatt und eben, und in einer einzigen Richte ging mein Roß dem Osten zu etwas nach Süd.

Die Straßen vermied es nicht, obwohl es auch querein ging durch wegarme Wälder. Es scheute die Bäche nicht, noch die Ströme, die Maas und die Marne, noch den Rhein und wie sie alle heißen, und wo keine Brücken waren, da stürzte es rüstig hinein und trug mich hinüber.

Auch über die Gebirge brachte es mich unermüdlichen Ganges, und niemals ließen seine Kräfte ihm nach – eher die meinen –, und hart wie Stein wurde das Horn seiner Hufe.

Oftmals machten wir an siebzehn Wegstunden am Tag. und im Sattel hing ich als ein Entschlafner.

Wir nächteten im Freien zumeist, und mich schützte die Müdigkeit, daß ich die Kälte empfand, auch die Wärme seines Leibes, an den ich mich legte.

Und Nichts begegnete uns unterwegs, kein Räuber und keinerlei Gewalttat, und wir blieben unversehrt, ich und es und das Bäumchen. 472

Und heute nun ist es der neunzehnte Tag unsres Reitens und der dritte, seit ich einen Menschen gesehn habe.

Siehe da, neben dir sitze ich nun im Dunkel, da ich dich fast nicht sehe; meine eigene Stimme tönt mir unbekannt in den Ohren, und alles Dies ist wie ein Traum.

4

Als Ernestus, wie er sich genannt hatte, schwieg, war es Nacht geworden und die Finsternis vollkommen um Beide her. Im Erdgeschoß des Hauses glimmte eines der kleinen Horn-Fenster, ein Viereck von trübem Rot; oben die Decke des Tales war reich ausgelegt mit Schätzen der Sterne. Im Anfange seiner Erzählung hatte Ernestus eine kleine dunkle Gestalt an der Hausecke erscheinen sehn, die, einen Bottich tragend, schnelle drinnen verschwunden war, der Angler; und eine Weile später hatte er den Pflüger aus dem Stall kommen und zu dem Schimmel gehn sehn, einen Packen Heu auf den Armen. Auch eine Krippe trug er hinaus. Jetzt war noch ein bleicher Schein des weißen Fells dort erkennbar; von Zeit zu Zeit war das leise Stampfen eines Hufes das einzige Geräusch in der Stille gewesen; dazu freilich das unermüdliche Rauschen des Stauwerks.

Der Bretone nahm jetzt die Augen aus der Höhe der Sterne zurück, in die er sie seit langem geheftet hatte, und sah das Mädchen sitzen, das – plötzlich fiel es ihm ein – von der Sonne gesprochen hatte wie von einem Geliebten. Ihr Haupt lag im Nacken, und eine Welle von Glanz 473 ging, wie er schon mehrmals gesehen zu haben glaubte, über ihre Augen, die davon überzufließen schienen; doch wollte er sichs nicht zugestehn, daß es Tränen waren. Er glühte und atmete hastig und kurz. Ein warmer feuchter Südwind blies stetig das Tal herauf, und vielleicht von ihm, mehr noch von seiner eigenen Erzählung, und nicht zum wenigsten von der atmend nahen Weiblichkeit des Leibes strömte die Glut aus, die ihn erfüllte. Ratlos machten ihn ihre Tränen, kraftlos das scheinende Weiß von Antlitz und Hals und ein Blick auf ihre linke Hand, die um die eine Brust gepreßt lag als um etwas völlig Rundes von schauriger Weiche. Er stand auf und beugte sich über das Geländer.

Ihre Stimme sagte: Hab Dank! Du bist so gut und fromm. – Sie schwieg, obgleich ihm war, als ob sie noch habe weitersprechen wollen. Erst lange Zeit später hörte er sie hinhauchen wie ein Schluchzen:

Und wie du duftest nach Wäldern!

Einen Augenblick danach hörte er sie sagen: Still! Hörst du? das ist er! und vernahm aufhorchend in der Nachtferne ein leises Klingen. Das sind die Schellen seiner Maultiere, sagte Justina, nun wird er gleich hier sein. Siehst du die Lichter? – Er gewahrte rote Lichtpunkte im Süden, die sich bewegten. Und plötzlich kam es ihm vor, als ob hier Alles unendlich viel einsamer sei als die Welt, die er mit sich und dem Pferde durchreist hatte.

Lange blieb Alles still. Die Stimme Justinas sagte plötzlich gesanghaft: Wir haben hier eine Sorte sehr edler Äpfel, 474 die wir in Fichtennadeln verpacken und aromatisches Moos und reine Wald-Erde. Davon bekommen sie einen sonderlichen Duft und Geschmack, den die Herren und Damen sehr lieben – unten in Byzanz und in Rom und Venedig. Sie stockte, lachte dann und stand auf. Daran erinnerst du so.

Er wagte nicht, sich zu wenden. Das Klingeln der Schellen tönte seltsam in seinen Ohren. Die Lichter im Süd wurden größer, wurden Fackeln, er hörte Getrappel.

Dicht neben ihm flüsterte ihre Stimme, während ihr Leib sich an ihn drängte: Vielleicht erzähle ich dir heute noch meine – unsre Geschichte. Oder – wenn du Augen hast, so kannst du sie ablesen von unsern Gesichtern.

Er atmete auf, als er merkte, daß sie von ihm gewichen war. Gleich darauf sah er deutlich die Schattenrisse von Pferden unter Fackeln auf dem Weg, sah den Widerschein unten im Wasser und einen riesigen Reiter-Schatten tanzend im Flußbett.

Nun tauchte die Gestalt eines mächtigen schwarzen Rosses im Trabe auf, das eine schwere Gestalt trug; dahinter Reiter auf Maultieren, Fackeln in Händen, die mehrere Tiere mit Packsätteln führten. Aus der Tür des Hauses trat die Frau und eine Magd, die eine Lampe hochhielt. Plötzlich erschienen alle Gesichter beleuchtet und überall bewegliche schwarze Schlagschatten. Ernestus sah das Antlitz des ersten Reiters, gelb und über die Maßen fett unter strähnigem schwarzen Haar, und aus kleinen schwarzglitzernden Augen stach es träge und hochmütig auf ihn ein, während das große Roß sich nahe zu ihm bewegte. 475

Quis? fragte der Reiter kurz.

Ernestus gab Auskunft und wiederholte seine Bitte um Obdach, worauf der Reiter gleichmütig nickte und Anstalten traf, vom Pferde zu steigen oder sich zu wälzen, und brachte das keuchend zustande. Am Boden stehend, schien er eine formlose Masse in einem vorn offen stehenden Pelz, den er, noch ächzend, über einem bläulich glänzenden Maschenhemd zurechtrückte. Der Rappe bekam einen Gertenhieb, auf den hin er ausfeuerte und ergrimmt zu den Ställen abging. Darauf begaben sich Alle miteinander ins Haus.

Die Halle war jetzt festlich erhellt von einer Unzahl Lampen, die zum Teil von der Decke herabhingen, zum Teil an Wand-Armen befestigt waren, allesamt überaus kostbar. An der Schmalwand des niedrigen Raumes war eine auf einer Estrade stehende Tafel gedeckt, überladen mit Geschirr, Gläsern und Gerichten. Der Hausherr war für Minuten verschwunden und nahm wiederkehrend den Platz am einen Ende des Tisches ein, seinem Gast den zur Rechten anweisend. Ihm gegenüber, an der Hallen-Wand, setzte sich die Mutter, die Tochter daneben, dann der Sohn, der plötzlich vorhanden war, Niemanden ansah und in dem selben blauen schmutzigen Hemde erschien, in dem er pflügte. Neben Ernestus fand sich das mönchische kleine Wesen ein, das geangelt hatte und nun den Tisch-Segen sprach. In der Mitte blieb die Tafel frei; am anderen Ende setzten sich nacheinander, wie sie hereinkamen, die Maultier-Treiber, Kerle wie Räuber und Schurken, dazu eine alte 476 Magd, die beständig aufzustehn und Schüsseln zu reichen hatte.

Die Gerichte waren unzählbar, sämtlich reichlich mit Öl oder Fett angemacht und gewürzt. Spanferkel, verschiedene Arten Fische, Pasteten, Geflügel, Salate von Endivien, Bohnen, Gurken, endlich sehr erlesenes Obst, das überwintert hatte, Äpfel und Birnen, in Spanschachteln zusammengepreßte Feigen, Mandeln, und noch eingezuckerte Früchte, Nüsse, Datteln, Aprikosen und Spelten von Limonen. Becher und die Kannen, aus denen ein hellroter perlender Wein geschenkt wurde, waren von purem Gold; doch entschuldigte sich der Bretone mit einem Gelübde, und außer dem Hausherrn sah er nur die Treiber am Tisch-Ende trinken, diese allesamt als hätten sie Wasser im Becher, und fraßen unmäßig. Der Fette vor allem verschlang unerhörte Mengen, laut schmatzend und rülpsend und Hände und Arme bis zu den aufgestreiften Pelz-Ärmeln mit Fett einsalbend. Unter dem offenen Pelz war jetzt kein Panzerhemd sichtbar, sondern ein linnenes, das sich geöffnet hatte und die dichte schwarze Wolle der Brust zeigte. All das bildete einen sonderlichen Gegensatz zu dem deutlichen Adel seiner in Fettwülste gebetteten Züge, insonderheit der Stirn, die ihre Schmalheit nicht hatte einbüßen können. Die schweren Wangen und das Doppelkinn waren von krankem bräunlichen Gelb, dazu schwarz von Stoppeln.

Als er mehrere Becher geleert hatte, begann er ein kurzes, hochfahrend faules Gefrage und zwar – nachdem Ernestus über Herkunft und Weg ausgesagt hatte – nach den 477 natürlichen Erzeugnissen der Länder, durch die er gekommen war, worüber Ernestus Auskunft gab, so gut er konnte.

Denn der Jüngling befand sich in einer kaum zu beschreibenden Verwirrung. Gefahren, alle Abenteuer des Schwertes, ja vielleicht ein Wunder an seinem Wege erwartend, traf der aus einer unendlichen Einsamkeit – seiner Reise und seiner ganzen Jugendzeit – Hergekommene in eine Wirklichkeit, wo Alles, grenzend ans Wunder, furchtbar anders war, als je eine Einbildung geträumt hatte. Ihn zu verstören, hätten fast die scharfen Dünste der Speisen genügt, nebst dem wohlriechend gemachten Öle der Lampen, die seinen von Natur feinen und unverderbten Geruchsinn belästigten nach der wochenlangen Reinheit der Lüfte über Tälern und Ebenen. Und wohin er blickte, war drohendes, halb sich enthüllendes Geheimnis. In dem gewaltigen, Speisen verschlingenden Menschen, finster, träge, höhnisch und edelsten Standes, das Geheimnis verlorener Herrschaft, einer Verbannung vielleicht, eines zerstörten Schicksals, zerbrochenen Lebens jedenfalls. Daneben der lebendig verhungernde Seelen-Gram der hülflos alternden Frau, geheimnisvoll aus Augen blickend, durch eine lange trostlose Nacht. Dann, unbegreiflich schöner als die kostbarste Lampe, mit süßem Feuer gefüllt, brennend und leuchtend das Geheimnis der Jungfrau, deren Antlitz, seltsam zu sehn – obwohl sie es kaum bewegte, nicht den Blick vom Teller erhob, kaum zu atmen schien –, sich mit einer immer tieferen Glut überzog, der gleich, in der er sein eigenes Antlitz über und über brennen fühlte. Und 478 endlich die trübe Verfinsterung und das Geheimnis einer zerdrückten und vergewaltigten Jugend im Antlitz jenes jungen Julian, der, die Arme auf dem Tisch, kaute und schluckte wie ein Knecht, ohne aufzusehn, doch kaum gebändigten Zornes – ähnlich seinem Stier, doch ganz ohne Duldsamkeit. Dennoch war in den schweren Zügen unter blondem und struppigem Haar, die aus einem rötlichen braunen Holz geschnitten zu sein schienen, grob knochig, die Nase erst eingedrückt, dann emporgezogen, die Augen vertieft und die Buckel der Brauen wie Knollen – in ihnen war Etwas, das sie dem Gast angenehm machte, darauf zu verweilen; das Empfinden einer Verwandtschaft, das ihn hin zu dem Ärmlichen zog. Wen oder Was haßte dieser Knabe? Warum zeigte sich auf dem glühenden, gesenkten Antlitz der Schwester hier und da der Anbruch eines Lächelns, das frieren machte von Härte? Warum das Leiden der Mutter, warum das Schweigen des Vaters und seine offene Nichtachtung gegen alle Drei, die jeder auf seine Weise und alle mit Stummheit vergalten? Warum so viel unanständiges und gemeines Gebaren bei so viel Adel, und wieso der viele Prunk in der Einöde?

Dem Gast war zumut, als habe er unablässig an den verschiedenen Stäben ein und desselben Gitter-Fensters zu rütteln, hinter dem er gefangen stak ohne Ausblick, denn es saß ihm zu hoch in der Wand. Und zu alledem drang es hinter ihm heraus, erinnernd und mahnend: Im dunklen Alkoven das bleiche, schweißbedeckte Gesicht in schwarzen Strähnen, und Seele und Leiden gewordene Hände, 479 verflochten im Gebet, welche die Wundnarben des Heilands trugen; hinter trüben Fenstern Sturm und die graugelbe Verschleierung des Winter-Meers; die zärtliche Kummer-Gestalt der Mutter, einer Schwester der Leidens-Frau hier; und die ungesehene Stadt mit den goldenen Kuppeln und Türmen. Aber wo lagen die unermeßlichen Ebenen nun mit der Wölbung der endlosen Himmel, die seine Seele getrunken hatte wie unzählbare Becher des Glücks und der Reinheit? Gab es noch ein Roß mit einem Horn auf der Stirn, das nach Osten wies, unschuldig wie das Einhorn der Jungfrau Gottes-Mutter, ein Jünglings-Hengst wie er selbst?

Auf einmal erschien ihm der Regenbogen in der grünenden Schale, eine farbige Verkündung des Glücks. Jedoch sie verzog sich unhaltbar, und wo sie schmolz, erschien das in Feuer gebadete Antlitz mit der rostroten Flechte, und aus braunen Augen-Sternen, in denen goldene Ringe schwebten, traf ihn, herzdurchbohrend, ein langer Blick.

Nun das plötzliche Durcheinander des Aufbruchs. Undeutlich eine halbe Verneigung zur Seite des Hausherrn wahrnehmend, fand Ernestus sich unversehens allein, stehend am Tisch, von dem die Magd Speisen und Geschirr abräumte. Doch Julian saß noch an seinem Platz, scheinbaren Gleichmuts, kauend und Nüsse zerklopfend mit dem Hirschhorn-Griff seines Messers. An seinem Ausdruck schien es dem Bretonen plötzlich, als habe in all dem Schweigen der Mahlzeit eine zähe Kampf-Handlung stattgefunden, deren Dasein der Knabe nun leugnete durch Unbefangenheit. 480

Langsam sich umdrehend am Tisch, die Hand an einem der Wolfs-Zähne, die sein Leder-Hemd vorne schlossen, sah er das Mädchen in der Außentür stehen, mit erhobenen Armen die Hände an den Pfosten, und jetzt machte ihm die weiße Furche ihres Scheitels am Hinterkopf mit den langhängenden Zöpfen einen recht kindlichen Eindruck, so daß er die Jüngste seiner Schwestern sitzen sah, über ihren Stickrahmen gebeugt. Das schwand freilich augenblicks, als sie sich wandte und das brennende Antlitz erschien, das sie durch den Raum hin trug mit gesenkten Lidern.

An der jenseitigen Tür hielt sie an, drehte das Gesicht bis zur Achsel und sagte halblaut: Komm! in den Garten.

Nun stand er aus langangesammelter Glut jähen Schlages in Flammen und folgte.

5

Im Flur brannte eine kleine Wandlampe und beleuchtete den unteren Teil einer Treppe, die das Mädchen hinanschritt. Im Dunkel oben fühlte Ernestus seine Hand ergriffen, hörte sie atmen und flüstern: Gieb acht! und fand sich alsbald am Geländer einer neuen Treppe, die er an ihrer Hand erstieg. Sie zog ihn einen Gang hinunter, öffnete eine Tür, und er sah ihren Schattenriß im hellen Lichte des halben Mondes, der über dem schwarzen Rücken des Berges schwebte. Fast geblendet von dem fahlhellen Licht, das den Garten wie ein Gewässer überflutet hatte, strömte ihn eine solche Fülle verschiedenartiger und meist 481 herber Gerüche an, daß er sich betäubt fühlte und mühsam den Niesreiz unterdrückte. Ihm unbekannt einer wie der andere, waren sie auch sämtlich ihm peinlich und ließen die kaum verstummte Stimme der Warnung in seiner Brust wieder laut werden. Er schauderte in der Kühle; die weiche Hand ließ die seine, die darauf rasch und seltsam erkaltete.

Wie es riecht! flüsterte er, beklommen umhersehend. Bäume, massig schwarze und solche mit weißen Blüten, Sträucher und vielerlei gestaltenhaft Schwarzes: das stand Alles mit seinen schwarzen Schatten, seltsam erhellt zugleich in einer gläsernen Helle, die auch wieder Dunkelheit war, und überall lag schwarzer Grund. Die Stille kam ihm bezaubert vor. Er hätte sich bekreuzen mögen und erbebte vor der Süßigkeit der leise lachenden Stimme, die auf seinen Ausruf erwiderte: Was meinst du?

Er sagte: Alles! und hörte sie schnobern wie ein Tier, während sie ging und er folgte. Um die wenigen kleinen Schlangen der Wege waren die Massen des blühenden oder des riechenden Laubwerks gehäuft, und sie nannte ihm im Vorangehen mit Namen das Herbe und das Süßere: Lorbeer, Oleander und Myrte, den fleischlichen Odem der Veilchen, den scharfen grünen der Tulpen, den Gewürz-Hauch des Enzians, den himmlischen der Narzisse, den beißenden der blühenden Azalee und den weicheren des Rhododendrons, den zärtlichen Duft des persischen Flieders, und den schmerzlichen schnürenden des Jasmin. Er begriff nicht, betäubt, wie sie eine und die andre Ranke 482 oder Blüten-Dolde ihrem Gesicht nahe bringen konnte, und als sie aus der weißen Sternen-Masse des Jasmin einen vollen Zweig zu seinen Lippen bog, schrak er zurück wie ein Roß vor einer Viper, in seiner Seele durchschnitten. Und kaum erholt, fühlte er sich vom Duften der Mandelbaum-Blüte, der reinen, bekannten, durchzogen wie vom Hauch eines schmerzlichen Fernseins, seltsam erinnernd an eine unsichtbare Schalmei, deren sanfte Klage er einmal in einer Unermeßlichkeit gehört hatte.

Dieser Gang auf den Gartenwegen schien ihm eine Ewigkeit gewährt zu haben, als er vor dem schwarzen Grunde des Tannen-Hangs die dämmrig erhellte schwarze Pyramide einer beschnittenen Eibe in der Luft schweben sah; eine menschliche Gestalt bewegte sich darunter, Julian. Den Stamm des Baumes umlief eine Bank, Ernestus setzte sich auf einen Wink des Mädchens; das undurchdringliche Dach des Gewipfels war nahe über ihm. Sie nahm an seiner Rechten, der Bruder ein wenig später zu seiner Linken Platz, so daß einem Jeden nur wenig vom Andern sichtbar blieb.

Bald darauf vernahm er die Stimme Justinas:

Du hast oben das Stauwerk gesehen im Fluß?

Er bejahte.

Und den Mandelbaum-Wald? Und die Obstpflanzung und die Äcker? Das Haus hier genau, diesen Garten und Alles, was auf den Tisch kam, auch die Geräte?

Nachdem er alle diese Fragen beantwortet hatte, fuhr sie mit verhärteter Stimme fort: 483

All das ist sein Werk, und was es Lobenswertes an ihm giebt, das verbirgt sich nicht. Hier war Wüstenei, und er machte sie urbar. Sie trägt nun viel, und aus dem Fluß holt er die Forelle und den Salm, den er abfängt, wenn er zum Laichen über die Fälle springt. Das Stauwerk ist das dritte, das er baute, aus Holz und Steinen gezimmert, nun hält es stand, und wenn im Frühjahr der Fluß vom Eis-Wasser schwillt, so leiden doch die Maisfelder unten im Tal keinen Schaden; nur die Kanäle füllen sich reich, und das Land gedeiht. Apfelbaum, Birnen und Pfirsich und alle anderen Frucht-Bäume tragen das edelste Obst, das seine Pflege erzog. Ja, des Edlen gedeiht Vieles unter seiner Hand, nur er selber ist roh und böse wie ein verwilderter Hund.

Sie fiel, ob es in ihrer Absicht lag oder nicht, beim Weitersprechen in einen ähnlichen Ton des Erzählens wie der des Ernestus. Dabei erschreckte ihn die unglaubliche und sachliche Härte ihres Ausdrucks, sobald sie von ihrem Vater sprach, ohne je diesen Namen für ihn zu gebrauchen. Sie fuhr fort.

Du sollst hören. Denn gar zu viel habe ich jahrelang schweigsam ertragen, und es ist wie eine Schickung, daß du nun kommst, eben da es unerträglich geworden ist.

Was du mir von dem Deinen erzählt hast, das war Alles lieblich und wunderbar: die Glocke der himmlischen Seligkeit läutete über dem Allem. Aber du hast aus unsern Gesichtern gelesen und gesehn: auf jedem stand Haß.

Aller Haß kam aus ihm. 484

Den Namen dessen, der neben dir sitzt und meine Worte versteht, wenn er auch selber diese Sprache nicht zu reden vermag, kennst du, Julian, und den meinen, Justina. Die Mutter Julians ist Sofia aus dem edlen Geschlecht der Grafen von Tirol; sie ist nicht die meine. Der Name der meinen war Angelika, achtzehn Jahr ist sie schon in der ewigen Seligkeit, froher als wir, und sie waren Schwestern. Der Name unseres Vaters ist vor Zeiten ausgetilgt worden, und Niemand braucht ihn zu wissen.

Solange über das Reich von Byzantion der Kaiser Romanus herrschte, welcher der dritte des Namens war, stand er am nächsten zum Thron. Ein Amt bekleidete er nicht, ihm gehörten unzählbare Güter und Liegenschaften als Erbe, die er vergrößerte und vermehrte, so daß sein Eigentum nicht mehr zu ermessen war. Er war des Kaisers erster Ratgeber und Freund, ja, er war mächtiger als der Kaiser selbst, der gut, aber schwachen Herzens war, halb ein Knabe, halb schon ein Greis, und lange Jahre galt er im Volk als der Herrscher.

Ich und meine Mutter, wir erfuhren nicht, was dann geschah. Des Romanus Gattin war Zoë, eine Tochter Konstantins, des achten dieses Namens, dessen Thron sie Romanus gegeben hatte, als er starb. Sie war so schön wie böse, ausschweifend in Lastern, eine Buhlerin, und siehe da, eines Tages beim Gastmahl erhob sich der Kaiser, ihr Gatte, blickte starr und sank hinter sich um ohne Laut und war tot, gestorben an Gift.

Dies hörte ich erzählen und auch, Wer es war, aus den 485 er die Starre seines letzten Blickes geheftet hatte. Danach verging wenig Zeit, dann bestieg Michael, als der vierte seines Namens, den Thron von Byzanz an der Hand der Zoë, und wir gingen in die Verbannung.

Und auch meine Mutter hat sterben sollen, wie der Kaiser starb, das weiß ich gewiß, obwohl ich in jenen Jahren ein Kind war, fünf Jahre alt. Aber ich habe einen Brief gelesen nach ihrem Tode, ich fand ihn in einer Truhe, von der Hand der Zoë, darin stand, daß man sie eines Weges zwingen würde, so sie ihn nicht freiwillig zu gehn wisse.

Dennoch hat er diesen Mord nicht auf sich nehmen wollen, und sei es auch nur, daß er zu hoffärtig war, die Krone von Byzanz aus der Hand der Zoë zu empfangen, und also geriet ihm sein Schicksal.

Und lange zog er in anderen Ländern umher, in Italien und in Deutschland, aber behalten wollte ihn Niemand trotz seines Reichtums und starken Geistes.

Damals zog eine Paßstraße ein wenig oberhalb dieses Tals und ein Wachtturm stand dort, bis im Süden die Heer-Straße gebaut wurde.

Und da er inzwischen sein Herz und sein ganzes Wesen mit Bitterkeit angefüllt hatte, mit Reue gegen sich selbst und mit Grimm auf meine Mutter, die ihm die Wurzel schien allen Unheils.

So siedelte er sich hier an, einsam, mit meiner Mutter und mir, mit zwei Knechten, die ihm verblieben waren – doch einer entlief ihm nach wenig Wochen und wurde von der Lawine erschlagen und begraben, bis zum Frühjahr, – 486 noch liegen an der Stelle seine gebleichten Knochen, und den andern erschlug später ein Baum –, und dazu Pater Eustachius, den du sahst; der war der Beichtiger meiner Mutter.

Sie war aber heitern und leichten Gemüts bis zu jenem Tag, wo sie den Brief bekam, seitdem sie furchtsam wurde und stumm und oft von einem inneren Schauder befallen, daß sie erbebte.

Ihn liebte sie sehr, dieweil er damals ein schöner Mann war, in der Mitte seiner Kraft, und bis zu ihrem Tod hing sie ihm an; aber frühe begann sie zu siechen, und er brachte es dahin, daß sie starb, zwei Jahre nachdem wir hierher gekommen waren.

Und unter dieser Eibe liegt sie begraben.

Mit ihm aber war es so. Rastlosigkeit überfiel ihn zuerst, und fast allein, mit dem einzigen Knecht, fiel er ein in dies Ödland und machte es fruchtbar.

Die Wälder rodete er aus, nahm Korn von den Bauern im Tal, und die Kerne von Obst, sie zu pflanzen, auch Stecklinge von Reben, grub und säete mit eigener Hand.

Auch Weingärten legte er an, die aber nicht gediehn, ich weiß nicht weshalb, danach Fruchtgärten und begann den Fischfang mit Kunst. Alsdann versuchte er das Stauwerk und brachte es fertig im fünften Jahre seines Hierseins.

Danach erlahmte er. Bis dahin hatte er sich geplagt bei Tage und Nacht in einem wilden Zorn, kein Wort redend zu Keinem, außer was not war wegen der Arbeit, entstellt von Haß über die Zerrüttung seines Lebens, mehr 487 wütend gegen den Boden, als ihn pflegend, lieblos gegen Alle und Alles, und wunderbar scheint es, daß gleichwohl so Vieles gedieh. Pater Eustachius freilich sagt: Immer voll Dankbarkeit ist die Erde.

So war meine Mutter: wie die leichte weiße Blüte der Winde am Garten-Zaun; rundum folgt sie der Sonne auf ihrer Bahn und wiegt sich in ihrer Lieblichkeit. Ist aber die Sonne hinabgegangen, so schließt sie sich zu und hängt da wie ein leeres Kleid.

Er war die Sonne, und seine Liebe war ihr Leitgestirn, und als er sich abwandte, ward Nacht um sie her, sie siechte und konnte nicht leben.

Ach, daß ich gestorben wäre mit ihr, da ich doch herzkrank lag am Heimweh nach der ›Stadt mit den goldenen Kuppeln und Türmen‹, – fünf Jahre war ich darinnen ein glückliches Kind.

Aber ich war zu jung und zu stark, und als die Liebe ausging in meinem Becher, lernt ich ihn füllen mit Haß und davon leben.

Sie aber, meine Mutter, hatte vor ihrem Ende noch Botschaft geschickt an ihre Schwester jenseits der Berge in Tirol, daß sie zu ihr komme und sie pflege. Sie kam, und sie ist geblieben an ihrer Statt. Er zwang sie, oder sie tat es aus Liebe.

Wohl, aus Liebe, denn da sie selber heut krank ist und dem Tode fast nah, krank am Leibe und mehr noch am Herzen, – was verhalf ihr zu solcher Geduld, und was machte so sanft ihre Augen? 488

Daß sie sein Eigentum ist, und sie sagt: Gelobt sei, was er tut, einmal wird er weich werden! Und sie wartet.

Julian ist ihr Sohn, den sie ein Jahr nach dem Ehe-Gelöbnis gebar ohne ein Hülfe, seitdem sie kränkelt.

Das Wesen seines Vaters erlitt aber keine Änderung gegen Einen von uns, weder durch den Tod meiner Mutter, noch durch die Liebe ihrer Schwester, noch durch die Geburt des Sohns, sondern er wurde nur fett.

Und ein Gefäß des Zornes und des Hasses blieb er jahraus jahrein, gönnte Niemand ein Wort, außer ein solches, das voll Gift war und biß, gönnte Niemand einen Blick, außer solche, die brennend waren und stachen von Bosheit, und wenn er in Grimm geriet, gab es Schläge.

Ich, wie du mich siehst, ich habe sommers und winters meine Wäsche und die der Andern im Wasser oder im Eise des Flusses gewaschen bis zu meinem neunzehnten Jahr, wo ich erkrankte. Aber auch danach, da ich mich fortan weigerte, hätte er mich fast erschlagen.

Meinen Bruder Julian schickte er siebenjährig mit den Geißen in die Berge und zwang ihn mit dreizehn, den Hakenpflug zu führen wie ein Knecht, bis ihm das Blut aus den Nägeln sprang und er ächzte vor Schmerzen.

Denn er selber war lange schon faul geworden und ein solcher Fresser, wie du ihn sahst, und er beschränkte sein ganzes Tun auf ein wenig Angeln und seine Ware talwärts zu schaffen zu den Händlern, die eine halbe Tages-Reise weit südwärts wohnen an der Straße.

Er war klug und verstand Gold zu raffen, denn seine 489 Fische und Früchte wurden sehr beliebt wegen ihres Wohlgeschmacks in den Städten des Südens. Und was die Salme angeht und die Forellen, so bringt er sie lebendig fort in Fässern voll Wassers, in denen sie schnappen.

Den Obst-Garten zu pflegen, zwang er die Mutter und mich, Julian auf den Acker und in den Stall, mit Schlägen, bis er gehorchte. Nun aber ist er stark geworden und fürchtet sich nicht und sagt, daß er es satt hat. –

 

Plötzlich war Stille. Das Mondlicht schien zu plätschern auf den Wegen und in den Bäumen zu rauschen, die sich bewegten. Ernestus fror.

Er hörte dann den Knaben an seiner Seite in der unbekannten Sprache reden mit gehässigem Ausdruck. Seine Schwester antwortete, und wieder war Schweigen. Im Hellen des Weg-Ausschnitts erschien eine dunkle Gestalt.

Das ist sie, sagte Justina, und mit einem Aufschluchzen: Oh, sterbenssatt sind wir es Alle, und lange wird es auch keinesfalls mehr dauern! worauf sie aufsprang, die Nähergekommene in die Arme schloß und küßte und ihr zusprach in einer zärtlichen Weise, die den Ernestus versöhnte. Er war nun sehr traurig geworden; die Lieblichkeit des Mädchens schien ihm entstellt von Haß, ihre Würde von Elend, allein kaum daß der verhärtete Ton ihres Berichts verklungen war, und daß er die Bewegung des Herzens gesehn hatte, mit der sie sich der Mutter zuwandte, so versüßte sich schon seine Schwermut, und zugleich ergriff ihn eine mächtige Angst, eine frierende Aufgeregtheit, als 490 stünde etwas Unbekanntes drohend und auch verlockend bevor. Die Betäubtheit seiner Sinne war nun gewichen durch die Gewöhnung, aber um so freier sein Geist sich hätte bewegen sollen, um so beklommener fühlte er ihn umschlossen.

Justina kehrte allein zu ihm zurück. Ihre Schmerzen lassen sie nachts nicht schlafen, sagte sie zornig, und tags muß sie wach sein. O laß uns fort, Bruder, laß uns fort.

Ernestus sprang auf. Es lag ihm auf der Zunge, überzuwallen und zu sagen: Nehmt mich an! Alles, was mein ist! Aber schon bei dem Gedanken an sein Pferd saß Alles in ihm fest wie ein im Schilfe verhaktes Floß, und es scholl wie ein mahnender Donner aus dem heiteren Himmel seiner Fahrt und seines Gelübdes. Nun hörte er wieder Justina, die vor ihn trat und zu funkeln schien, wie sie ihn anblickte.

Siehe, da bist du gekommen, sagte sie, Reiter aus dem Legenden-Land, und unter dem Hufschlag deines Rosses brach unter uns der langausgehöhlte Boden. Deiner bedurfte es eben, der du aus Unermeßlichkeit kamst und in Unermeßlichkeit ziehen willst voll Vertrauen. Nun weiß ich doch erst, daß eine Welt ist jenseits dieser Berge, Menschen und Städte und das goldene Licht der Gemeinschaft. Ach, sind wir alle Vier hier nicht Rasende geworden vor Warten? Denn daß er erschlaffte in seinem Tun, das war am Tage, wo ihm Kunde kam, daß der vierte Michael in Byzanz Todes gestorben war, aber ein neuer Michael folgte nur, und aber ein Konstantin, und wir hörten, der 491 ist lange krank und auch die Zoë ist dahin, und er wartet, wie er gewartet hat jahrein jahraus, unfähig zu Allem, außer zum Reiten südwärts, woher Kunde kommen könnte, immer wartend, daß seiner sich erinnert werde. Ach, aber die Menschen vergessen, was erst überhell strahlte und erloschen ist; sie würden die Sonne vergessen, ginge sie eines Tages nicht mehr auf, und wir könnten Alle verderben. Wenn aber die Stadt, meine Heimat, auch seinen Kindern verschlossen ist, so giebt es andre genug, wo es sich leben läßt; leben und nicht ewig verdursten wie hier.

Wohin denn wollt ihr? fragte Ernestus dumpf. Auf einmal schlug sie die Hände vors Gesicht und rief: Ach, wer will denn? Nur ich!

Auch Julian war aufgestanden, trat nun zu ihr, legte einen Arm um ihre Schulter und sprach ihr zu. Eine Weile wechselten sie Rede und Gegenrede in ihrer Sprache, dann ließ er sie los, reckte die Arme, gähnte und dehnte sich bäurisch und ging in der Richtung des Hauses davon. Ernestus spürte sein Herz, da sie allein blieben. Sie war an einen jungen Baum mit harten und gezahnten Blättern getreten, zog an einem Zweig und spielte mit den Blättern, während sie sagte:

Du fragst, ob wir fliehn wollen. Sieh, mit uns ist das so: Die Mutter leidet unsäglich hier, aber wo sie auch sein wird, wird sie leiden. Um meinetwillen jedoch würde sie mit mir kommen. Julian dagegen will bleiben, denn er liebt dies Tal und was er selber darin schon geschaffen hat; und nur daß er ihn wie einen Sklaven hält und ihm 492 das ganze Jahr ein einziges solches Hemde zur Kleidung giebt, wie du ihn tragen sahst, das will er nicht dulden. Stark genug ist er nun, und was – Jenen betrifft, so wird unsre Flucht ihn brechen. Aber ein Stück Weges will er uns bringen. Herkules – das ist der Stier – trägt uns Beide, die Mutter und mich; er wandelt langsam, aber die Heer-Straße nach Trient erreicht er in einer Nacht. Dort wohnen die Händler, sie sind ihm ergeben, da sie durch ihn reich werden, aber sie würden uns doch helfen. Vor zwei Jahren, als er krank lag an einer Verletzung, nahm Julian den schwarzen Hengst und ritt zu ihnen und sprach mit ihnen. Zehn Gold-Zechinen verlangen sie, oder den Wert von zwölfen in Silber, und wir haben kaum erst acht in Silber beisammen. Sie lachte. – Du mußt wissen, er – das war immer der Vater – bringt Geld genug heim von seinen Fahrten nach Süden; uns giebt er keins, wir brauchen ja nichts, er verschließt es in einen Kasten und zählt es wohl hundertmal, wenn er allein sitzt und trinkt. Oft aber kommt es vor, daß er es liegen läßt bei seiner Heimkunft, wenn er ins Bad geht oder sehr hungrig ist; und dann, Wer dazu kommt von uns, der nimmt etwas, Julian oder ich, auch die Mutter, – nur wenig, auf daß er es nicht gewahr wird, und Silber. Er bringt wenig Gold, flucht oft und sagt, es sei gar selten geworden. Acht Zechinen haben wir nun, es kann noch ein Jahr währen, bis wir haben, was sie verlangen, oh und ich kann nicht mehr warten! Ich sage zu Julian: Nun nehmen wir zweimal ein Goldstück! Das erstemal 493 wird er nicht denken, daß wir es gewesen sind, und das zweitemal brechen wir noch in der Nacht auf. Er trinkt ja und schläft oft bis zum Mittag, und Julian sagt, daß er dem Schwarzen eine Nadel in den Hut stechen will, wenn es sein muß. Julian ist gut. Und meinst du nicht, daß sie es auch tun werden, wenn wir ihnen nur acht Zechinen in Silber bringen und zwei in Gold?

Wie sie da kindlich und fragend zu ihm aufblickte, schmolz Ernestus das Herz zu Glut in der Brust. Indem veränderte sich auch der Ausdruck ihrer Augen seltsam und unverständlich. Sie senkte langsam den Kopf und stand so vor ihm, unbeweglich, und die Frage, was denn eigentlich eine Zechine für eine Münze sei und welches Gewichtes, wollte nicht über seine Lippen.

Nach Sekunden fragte sie leise: Hörtest du von Venedig? Dort gehorchen sie keinem Kaiser oder König, sondern wählen einen Edlen aus ihrer Mitte, den sie den Dogen nennen. Sein Weib heißt die Dogaressa. Aber er hat noch ein andres Weib, das ist das Meer. Sie fahren auf geschmückten Schiffen hinaus; dann wirft er den kostbarsten Ring in das Meer zum Zeichen der Vermählung – die Hochzeit des Meeres heißt es –, und es giebt endlos Feste und Turniere. Sie reiten in gewaltigen Sälen gegeneinander, hört ich sagen, denn dort hat es keine Straßen noch Plätze, sondern nur Wasser und viele Brücken. Weißt du wohl, daß sie auf lauter Pfählen gebaut ist, die ganze Stadt? Wenn du weiter nach Südosten gekommen sein wirst von hier, kannst du das Gebirge ganz kahl sehn, wo 494 sie die Wälder fällten für ihre Bauten. Ach, wer all Das zu sehn bekäme!

Oder vielleicht, fuhr sie leiser fort, während Ernestus, der ihre Augen im vollen Licht des Mondes erglitzern sah, sich noch zerstochen fühlte von der Selbstverständlichkeit, mit der sie gesagt hatte: Wenn du nach Südosten gekommen sein wirst . . .: Oder vielleicht gelobe ich mich unserm Herrn und Heiland Jesus Christus an als eine glückselige Braut . . .

Danach senkte sie das Gesicht, stand so eine Weile und ging langsam in das Dunkel des Weges hinein, als hätte sie ihn vergessen, der ihr nicht zu folgen wagte, bis sie stehen blieb und sich umsah. Ob er müde sei, fragte sie ihn, als er sie erreicht hatte; sie wolle ihn in sein Schlafgemach führen. Er folgte stumm.

Im Finstern des Hauses sagte sie: Warte! Er hörte das Rauschen ihres Kleides und Fußtritte die Treppe hinunter. Nach einer Weile glomm Lichtschein im unteren Stockwerk auf, er vernahm einen leisen Ruf und fand zur Stiege. Unten stand sie in einer halb offenen Tür, eine apfelgroße römische Lampe aus glänzendem Silber in der Hand erhoben, deren Schein ihr Gesicht und den Umkreis dämmrig erleuchtete. Den Arm hebend, deutete sie auf eine Tür am Ende des Vorplatzes, und Ernestus vernahm das Wort des Anglers wieder, jenes Ibi! bei dem sie so lächelte, daß es ihm schien, als wüßte sie um die Wiederholung.

Ernestus neigte sich wortlos und ging. An seiner Tür angelangt, mußte er sich umdrehn. Sie stand noch dort, die 495 Lampe erhoben, selber leuchtend ganzen Gesichts und mit beiden Augen. Plötzlich war Alles erloschen. Ernestus hielt im Finstern den Griff seiner Tür.

6

Sein Zimmer fand der Jüngling erhellt von einem Streifen Mondscheins, der schräg durch eine offene, auf die Galerie führende Türe fiel. Obgleich er am heutigen Tag seinen Ritt eher abgebrochen hatte, als er pflegte, war es nun doch tiefe Nacht geworden und gerann jetzt in ihm die Müdigkeit, daß er schauderte. Noch auf die Galerie hinaustretend, fand er sich auf der Seite des Hauses, die über dem Fluß lag. Unten ruhte stille der kleine Vorplatz; der tiefer gegangene halbe Mond stand im Südwesten über dem Tal, unfertig aussehend und verunglückt in seiner Zerteiltheit. In der Tiefe der Fluß glänzte wie eine breite silberne Schlange. Ernestus hörte das Brausen des Stauwerks laut in der Nacht-Stille; hörte es noch im Halbschlaf, während er seine wenige Kleidung ablegte, und war im nächsten Augenblick auf dem kalten Leinen, mit dem die Strohbündel seines Lagers bedeckt waren, in Schlaf gefallen.

Aber er erwachte nach wenigen Stunden in einer bleichen, aber stark leuchtenden Helligkeit, die sich schräge über sein Lager und die obere Hälfte seines Leibes erstreckte, und entdeckte, den Kopf zur Tür wendend, wieder den Halbmond, der in jenem Ausschnitt der Berge schwebte, wo Justina am Abend die Sonne erwartet hatte. Sich selbst 496 fand er über und über brennend und das Linnen glutheiß. Er wollte weiterschlafen, doch tauchte in ihm wieder das Traumbild auf, aus dem er erwacht war: Die Kemenate seiner Mutter, die er betrat, darin findend den andern Ernestus mit Justina über einem Schachbrett. Glücklich und staunend, ihn lebend zu finden, trat er näher, aber der Bruder blickte nicht auf vom Spiel, dessen Figuren er in einem fort dahin und dorthin setzte, indem er sagte: So wird es gehen . . . Plötzlich aber blickte er auf; Ernestus erschrak vor der sterbenden Traurigkeit seiner Augen; er sagte: Und meinen Mandelbaum hast du auch welken lassen! indem er ihn zeigte. Es war eine der Figuren des Brettspiels, und Ernestus ergriff eine Angst, da er sehen mußte, wie klein der Baum schon geworden war. Überdem fiel er auch in Staub zusammen; Ernestus wollte sich zu Justina wenden, aber sie war aufgestanden und war es nun gar nicht, sondern die ältere seiner Schwestern.

Ernestus wollte, den Traum zu verscheuchen, der mit Unverständlichkeit quälte, seine Gedanken sammeln, dachte an sein Pferd und sah in dem dämmrigen Licht, im Winkel des schmalen Gemaches den Mandelbaum stehn. Daneben waren die Stücke seiner Rüstung über Sitz und Lehnen eines Stuhls gehängt, an dessen Seiten Schild und Schwert angelehnt waren. Seltsam überkam ihn durch den Anblick die Vorstellung einer lange und viel geträumten Stunde: Die Nacht seiner Sporen-Wache vor dem Altar, die er wachend verbringen würde vor dem Tage des Ritterschlags, und alle heiligen und hohen Gedanken, in ihr 497 versammelt, wollten sich blühend entfalten, – aber es kam nicht dazu, sondern Justina erschien, brennend rötlich ihr Antlitz im Licht der erhobenen Lampe vor dem Geheimnis ihrer halb offenen Tür. – Ernestus sprang plötzlich auf und ging zu dem Mandelbaum, befühlte und bog seine Ruten, erleichtert, da er zu fühlen meinte, wie frisch sie noch waren, und den feinen Duft atmete. Er legte sich ruhiger.

Und nun brannte in ihm der Wunsch, ihr zu helfen. Da hatte er auch schon nach dem kleinen Beutel gegriffen, der an einer Halsschnur auf seiner Brust hing, holte ihn hervor, knüpfte und zog die Schnur auf, die ihn zusammen hielt, und betrachtete ihn mit Augen der Liebe.

Es war ein kleiner genähter Beutel aus einem feinen Stück Haut von einem Rehkitz, fast weiß gegerbt und gebleicht und von der Hand seiner Mutter mit einem Kreuz von grüner Seide bestickt und der lateinischen Umschrift: Ora neque time! – Bete und fürchte dich nicht! – Er leerte den Inhalt vor sich auf die Decke. Heraus fielen zuerst die drei goldenen Stücke, der Byzantiner, den der andere Ernestus ihm hinterlassen hatte, mit dem Bilde Christi auf der einen, dem des zweiten Kaisers Basilius auf der anderen Seite, – und die beiden Mainzer Denare, die seine Mutter hineingelegt hatte, mit dem Kreuz und Wappen des Erzbistums geschmückt. Ferner eine alte römische Silbermünze, ein As, Abschieds-Geschenk des Kaplans, Paters Ambrosius, seines Lehrers, der sie im Seesand gefunden und geputzt hatte, bis sie wieder glänzte. Zuletzt ein Stück Federkiel, sorgsam mit rötlichem Wachs 498 verstopft, in dem es leise klapperte, und eine Anzahl farbiger Fäden, seidene, wollne und Zwirn waren herumgewickelt. Das kam von der älteren Schwester. Beide hatten sich lange die Köpfe zerschlagen mit Grübeln, was er notwendig brauchen werde, und was sie ihm geben könnten, denn was hatten sie schon? Und als die eine Faden und Nadeln gefunden hatte und das Röhrchen, in das sie sie verschloß, gab es nicht das Geringste mehr für die Andre, bis ihr einfiel, daß er wohl einmal einen Brief würde abschicken können. Es reisten doch Menschen von Byzanz, wo nicht nach der Bretagne, so doch nach anderen Städten, wo wieder andre waren, die nach der Bretagne kamen. Sie schnitt also eine schöne Feder aus vielen Posen eines wilden Schwans; schnitt sie nur einen Finger lang, damit der Beutel sie aufnehmen könne, und barg sie in einem graden Stück von einem Holunderzweig, aus der sie das Mark entfernt hatte, damit die Spitze nicht zu Schaden käme. Ernestus förderte das Ganze, das sich im Beutel eingeklemmt hatte, zu Tage und war sehr gerührt.

Freilich diese goldnen Denare würden ihm nötig sein und vielleicht auch der Byzantiner, obschon er ihm als Andenken galt, das nicht ausgegeben werden durfte. Er wußte, daß, war nur die erste Aufgabe seiner Reise erschöpft, den Mandelbaum in das Kloster zu bringen, die alte väterliche Rüstung, die er trug, weder den Forderungen seines Standes noch der neuen Bewaffnung genügte. Den Vater Justinas hatte er Panzerhosen tragen sehn, die in einem Stück gearbeitet waren und das ganze Bein 499 umschlossen, und sie und das Maschenhemd hatten blau geschimmert, unglaubwürdig, als ob sie verstählt wären. War er zum Ritter geschlagen, so mußte er einen Schildknecht halten und für diesen vielleicht ein Pferd, – er wußte es nicht genau, hatte es sich aber gern ausgemalt, daß er ihn das Pferd des ersten Ungläubigen besteigen ließ, den er zu Gottes größerer Ehre durchrannt hatte.

Kopfzerbrechen machte ihm auch die Frage, ob die beiden Denare – häßlich beschnitten, wie sie obendrein waren – wohl den Wert jener unbekannten Zechinen hatten, und ob es nötig und jedenfalls großmütiger sein würde, auch den Byzantiner zu opfern. Zechine – das Wort klang glänzend, und er brachte es aus unbekannten Gründen, aber ganz richtig, in Verbindung mit den Festen zu Venedig, die Justina beschrieben hatte. Lange Zeit, die Goldstücke und die anderen Gegenstände in den Fingern hin und her drehend und betrachtend, konnte er sich nicht schlüssig werden, bis er mit plötzlichem Entschluß eine Nadel hervorholte, einfädelte und den Byzantiner mit einigen groben überwendlichen Stichen in den Saum seines Hemdes nähte. Dabei fiel ihm ein, daß er frühmorgens ohne Abschied aufbrechen und das Geld irgendwo niederlegen würde, wo es gefunden werden konnte. Freilich mußte er dann auch den Beutel zum Opfer bringen, tat es aber gern im Hinblick auf den behaltenen Byzantiner.

Darauf brachte er die Gaben seiner Schwestern und des Paters im Futter seines Helmes unter, legte seine Lederhose an und trat aus die Galerie hinaus. 500

Es war dunkler geworden, die Mondscheibe selber verschwunden, nur ihr Glanz überschwebte die westlichen Berge; der halbe Himmel war hell von ihr, selten der weißliche Punkt eines Sternes sichtbar im bläulich Lichten. – Und hier, da er wiederum über den Vorplatz und die Straße neben dem Fluß talabwärts blickte, hatte Ernestus ein glücklich erfreuliches Gesicht. Auf der Ufer-Straße, die er selber von Süden heraufgewandert kam, schritt durch die mondliche Dämmrung ihm der schwarze Koloß entgegen, Herkules, der mächtige Sklave. Zwei Gestalten hielten sich aneinander, zusammengekauert auf seinem Rücken, und schlank und feierlich anzusehn, ging bei den Hörnern des Tiers Julian in seinem dunklen Hemd. Ernestus sah die Augenpaare von allen Drein glänzend, durchdringend und im nächsten Augenblick abwesend und mit dem Lächeln von Seligen auf sich gerichtet, während sie vorüber zogen im langsamen Wandel des Tiers.

Ein leichtes inneres Frost-Zittern bezwingend, ging der Jüngling zum Ende der Galerie; er gedachte, den Beutel vor ihrer Tür niederzulegen, die sich in der Mitte der Galerie befinden mußte.

Dort angelangt, fand er sie vom dunklen Vorhang eines Teppichs nicht völlig verschlossen, und in der Spalte war ein deutlicher ferner Lichtpunkt. Er zauderte lange, konnte die Augen nicht abwenden, ergriff endlich mit bebender Hand den Vorhang und blickte nach drinnen. Zuerst schien dort Finsternis und nichts kenntlich.

Aber dämmrig erhellt sah er bald einen kleinen 501 quadratischen Raum, so voll von kostbaren Dingen, daß er den Atem anhielt. Die Wände glänzten leise von lasurblauer Bemalung; unter der niedrigen weißen Balken-Decke lief ein glitzernd goldenes Spruchband lateinischer Lettern. Der Boden war bedeckt mit Teppichen und Fellen; geschnitzte Truhen standen dunkel an den Wänden, und auf einem köstlichen Tisch in der Mitte, um den Armsessel standen und dessen von einer goldgeschmiedeten Zierleiste eingefaßte ovale Platte dunkelgrünlich schimmerte wie Malachit-Stein, von dem er gehört hatte, gewahrte er eine große Glocke aus vergoldetem Drahtgeflecht, zur Hälfte von einem gelben Seidentuch überhangen, unter dem kleine Gestalten von Vögeln hockten im Schlaf. Im Winkel brannte der winzige Licht-Funken der apfelgroßen Lampe unter einem Muttergottes-Bilde, das rund war, ein Mosaik farbiger Steine, angebracht in einer Sonne aus Gold-Strahlen. Auf dem Brett darunter, das die Lampe trug, stand das blaugrüne Gefäß mit der stillen und edlen Lilie, die er gesehn hatte, und darunter war ein geschnitzter Betschemel zwischen zwei mehr als fußlangen und armdicken Wachskerzen in hohen goldenen Leuchtern mit Löwenfüßen. Dem Ernestus schiens, erblicke in den innersten Kern von Byzanz.

Endlich in die andere Hälfte des Gemachs spähend, sah er die Schlafende gleich, der zu Häupten eine höchst kostbare, in Ketten schwebende Ampel aus Gold, edlen Steinen und farbigen Glasstücken, die nicht brannte, glitzerte im Schein des ewigen Lämpchens. Die Schläferin 502 lag, fast auf der Seite, mit einer blauen Decke verhüllt, auf der ein bloßer Arm ruhte und glänzte. Ihr Gesicht war im Dämmer fast unkenntlich; nur heller wurde es ihm allmählich, weißer der Arm, und deutlich erkennbar plötzlich, daß er erschrak, die Weiße und die halbe Wölbung der einen Brust. Aber, obgleich er im nächsten Augenblick sich durch den Raum gehen sah, sich hinwerfen und Lippen und ganzes Gesicht hineinwühlen in diese furchtbare Weiche, war er in Wahrheit doch viel mehr entsetzt als verlockt von dem nie und nun wirklich erblickten Schaurigen. Schon wollte er gehn, als er plötzlich sah, daß sie wachte. Zwischen ihren Lidern hervor trafen ihn Blicke, und da saß sie auf einmal halb aufrecht an der Wand, mit seitwärts fast ausgebreitet niedergeglittenen Armen, das Haupt im Nacken, geschlossener Augen, den Busen entblößt, brennend über und über, in einer Haltung von Wissen, Warten und Wünschen, daß der Jüngling, tödlich entsetzt, durch Klüfte von Feuer und Frösten stürzte im Wirbel des Schwindels. Zu sich kommend, fühlte er in seiner Hand, die ihm riesenhaft groß vorkam, etwas glühend Weiches, das sich zusammenpreßte; erkannte, bewußtlos vom Druck lassend, den Beutel und las mit den Fingern in den zerdrückten Falten die erhabenen Lettern der Umschrift, die fromm ermahnten: Ora neque time!

Als er die Augen schloß, stand in seiner grünen Schale der Regenbogen, ihn anlächelnd wie sieben feurige Engel, jeder in einer andern Farbe seines Kleides. 503

Ernestus ließ den Beutel lautlos zu Boden gleiten, wandte sich unhörbar und fand sein Zimmer, wo er auf Knien vor dem Kreuzgriff seines Schwertes inbrünstig die alten Gebete sprach, bis ihn Müdigkeit überwältigte, er sich ausstreckte und entschlief, bis das Krähen des Hahnes ihn weckte.

Das Tal war noch dunkel, kaum grau von Morgenluft. Er begrüßte die Sonne, stark und rein wie sie selbst, schon auf der Höhe der Berge, die das Tal im Osten begrenzten.

*

Der Reiter mit dem Mandelbaum setzte den unbeirrten Weg seines Rosses fort und erreichte am neunundzwanzigsten Tage die Stadt Byzanz, wo der Prior des Klosters Sankt Benedikts ihn gütevoll und ergriffen anhörte und ihm im Garten des Klosters die Stelle anwies, die den Baum zu neuem und leichterem Gedeihn aufnahm. – Ernestus Mercator, Graf von Morlaix, kam im Übrigen eben zur Zeit, um bei der Vernichtung eines durch das eroberte Kleinasien weit bis gegen die Tore von Byzanz vorgedrungenen Heeresteils der Seldschukken den Tod zu finden, den er sich wünschte.

 


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