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V. Der Flüchtling von Damascus

Südlich von dem Felsenthore,
Das, in Flut die Flut ergießend,
Ocean und Mittelmeer
Mit der Wogen Schwall umbranden,
Windet sich ein Zug von Reitern
Zwischen grünumrankten Schluchten
Berghinan. Voran mit Fahnen,
Die im Morgenhauche wallen,
Wegeskundige Aethiopen;
Hoch auf Berberrossen dann
Eine Schaar von Reisigen,
Krieger, ataghanumgürtet,
Weißbeturbant, ihre Lanzen
In des Frühlichts Strahle blitzend.

Auf der Höhe, wo zum letzten
Mal der Blick aufs Meer hinabschweift,
Hält der Zug. Sich rückwärts wendend,
Sehn die Reiter ferne dämmernd
Hinter Dschebel Tarik's Enge
Andalusiens blaue Küsten,
Und von manchen Lippen quellen
Bange Seufzer. Lange haften
An des Horizontes Saume
Ihre Blicke wehmutsvoll;
Aber Einer, den als Häuptling,
Also scheint's, die Andern ehren,
Musa, winkt gebieterisch,
Mit der Hand nach Morgen weisend,
Und auf steilem Weg landeinwärts
Geht der Zug gen Osten weiter.

Hinter ihnen bald verschwunden
Sind die grünen Uferhügel,
Und in öde Felsenschluchten
Stürzt der Pfad. In sich versunken
Bleiben Alle lang, gedenkend,
Daß mit jedem Fall der Hufe
Nun das schöne Land Hispanien
Weiter in die Ferne schwinde,
Denkend, wie die Heimgebliebnen
Drüben im Olivendickicht
Nun die Mittagsglut beim Rauschen
Des Guadalquivir verträumen.
»Theure Heimath, die so liebreich
Du am Busen uns erzogen,
Deine trauten Stätten, werden
Wir sie jemals wiederschauen?
Je durch deine Balsamhaine
Wieder streifen und zur Nachtzeit
An des Springquells Becken ruhen,
Wenn die lauen Sommerlüfte
Durch Limonenäste fächeln?
Weit, voll Mühsal und Gefahren,
Ist der Weg noch durch dies öde
Afrika, und, führt er wirklich
Durch der Wüste bleiche Schrecken
Uns zum Sonnenaufgangslande,
Wird die Rückkehr auch gelingen?«

Leis geflüstert geht die Klage
So dahin von Mund zu Munde.
Doch mit ernsten Worten mahnt
Musa die Verzagten: »Mögt ihr
Eurer kleinen Sorgen denken,
Da der Islam selbst euch ruft,
Ihm den strahlendsten Rubin
In dem Turban des Propheten
Vor der Räuber Gier zu retten?
Herrlich über alle Länder,
Die das Glaubensschwert erobert,
Ist dies Eiland Andalusien,
Wo in ewig grünen Wäldern
Ew'ger Frühling wohnt. Mit hellerm
Glanz noch, als an Jemens Himmel,
Leuchteten Arabiens Sterne
Lang dort, seit das Halbmondbanner
Tarik an sein Ufer pflanzte.
In des Nordens rauhe Berge
Flüchteten erschreckt die Gothen,
Und von Calpe's Riesenfelsen
Bis zum Wall der Pyrenäen
Stiegen Heiligthümer Allahs
Ueber Kirchenschutt empor,
Und des höchsten Himmels Engel
Neigten sich herab, zu lauschen,
Wie von tausend Minareten
Des Muezzin Isan-Ruf
Zu der Gläub'gen Ohr ertönte.
Rastlos kreisend goß das Schöpfrad
Wasserfälle auf die Fluren,
Wo des sonn'gen Ostens Kinder,
Die Banane und die Dattel,
In der feuchten Luft des Westens
Zwischen saft'gem Laubgrün reiften. –
Aber, ach! dies Bild der Wonne,
Das der Väter Augen schauten,
Tief getrübt vor Derer Blicken,
Die jetzt leben, liegt es da.
Denn der alte Fluch der Wüste,
Der die Söhne Ismaels
Ruhlos kämpfend über ihres
Sandes öde Flächen hinjagt,
Traf auch Andalusiens Volk.
Hader und Parteiung rissen
Es in blut'ger Bürgerkriege
Wirbel fort, daß Stamm mit Stamm sich,
Daß der Bruder mit dem Bruder
Sich befehdet und das Würgschwert
Nimmer in der Scheide rastet.
So, von Raub verheert und Plündrung,
Liegen öd die Ackerfelder,
Müssen Saat und Frucht verdorren,
Und aus ihren Felsenhöhlen
Brechen die verhaßten Christen
Wieder keck hervor, ihr Kreuz
Auf die Tempel Allah's pflanzend.
Wenn nicht eines mächt'gen Herrschers
Faust die Hydra Zwietracht bändigt,
Wird durch seiner eignen Söhne
Wahnsinn bald mit Trümmerhaufen
Ueberdeckt ganz Spanien sein
Und der Glaube der Moslimen
Aus dem Abendlande flüchten. –
Wie, da sie der Ordnung Säulen
Einsturz drohen sahen, jüngst
In Jaen die bessern Männer
Aller Stämme sich berathen,
Um in unsres Vaterlandes
Letzter, schwerster Noth die Rettung,
Die noch möglich, zu erkunden:
Wie mein Rath in ihrem Kreise
Sieg gewonnen und als Boten
Mich die Scheichs nach Syrien senden,
Wißt ihr, meine Stammgenossen!
Fest, gleich einem Pol, im Herzen
Steht die Hoffnung mir, von dort
Werde neu ein Stern des Heiles
Ueber Spanien aufgehn – laßt uns
Denn auf Allah baun, ihr Brüder!
Mögen böse Dschinnenheere,
Mag die Würgerin Hyäne
Uns bedrohn mit grimmem Rachen:
Durch Gebirg und Wüstenei
Wird uns seine Huld geleiten!«

Also Musa, und die Laute
Des Verzagens niederkämpfend,
Ziehen an des Häuptlings Seite
Stumm die Reis'gen vorwärts. Kreisend
Ueber ihrem Haupt erheben
Sich die Tag- und Nachtgestirne,
Aber ob die scheitelrechte
Sonne brenne, ob durchs Nachtblau
Aldebaran's Sternbild funkle,
Hier und da nur kurzes Rasten
Gönnt die Karavane sich.
Hagre Felsen, nur von dürren
Sträuchen spärlich überkleidet,
Ziehn wie wandelnde Gerippe
Längs des Wegs dahin; kein Bächlein
Labt das Ohr mit seiner Wellen
Kühlem Murmeln; selten nur
Daß ein Terebinthenwipfel
Auf den ausgedörrten Boden
Dürft'gen Schatten breitet. – Weiter
Schwindet in der stummen Wüste
Auch die letzte Spur des Lebens;
Brennend wälzt das unermeßne
Sandmeer seine gelben Wogen,
Wallt empor in Staubeswirbeln,
Die der Reiter Turbanhäupter
Dicht umhüllen. Wären reichlich
Nicht mit Naß gefüllt die Schläuche,
Wohl in dieser weiten Oede
Müßte Untergang die Kühnen
Bald ereilen.

Schon seit Tagen,
Wie auf küstenlosem Meere
Fort und fort nach Osten steuernd,
Sind sie so dahingezogen;
Plötzlich an des Zuges Spitze
Ruft den Andern Musa Halt:
»Welch ein Klang? Wie bange Seufzer
Dorther schallt's, vernehmt ihr nicht?«
Mit der Hand zur Seite weist er,
Und verwundert lauschen Alle.
Klagetöne, deutlich hörbar,
Hallen an ihr Ohr; sie sitzen
Von den Sätteln ab und schreiten,
Um zu forschen, was es sei,
In des Klanges Richtung weiter.
Ja, von einer Menschenstimme
Sind die Laute, und alsbald auch,
Wie sie spähn, gewahren sie
Einen Wandrer, auf den Boden
Hingesunken und vom Sande
Halb begraben; kaum die Glieder
Deckt ihm ein zerrißner Kaftan,
Und die Binde der Beduinen
Ist vom Haupt herabgesunken.
Wie des nahen Todes harrend,
Hält der Unglückselige
Auf der Brust gekreuzt die Hände;
Seine Augen, fast gebrochen,
Starren regungslos ins Leere.
Noch auf junge Jahre würden,
Also scheint's, die Züge deuten,
Wäre das geblaßte Antlitz
Nicht von Spuren langen Elends
Tief gefurcht, nicht Bart und Haupthaar
Schon mit Grau besprengt.

Voll Mitleid
Kniet zu dem Verschmachtenden
Musa nieder und befeuchtet
Ihm aus einem Wasserschlauche,
Den die Sklaven eilends bringen,
Emsig die verdorrten Lippen;
Doch vergebens; selbst das Aechzen
Ist verstummt, die Athemzüge,
Wie sie gehn und kommen, einzig
Zeugen, daß der Tod sein Opfer
Noch nicht heimgeholt.

Das Lager
Aufzuschlagen, gibt der Häuptling
Den Befehl, und nichts zu sparen,
Um den Sterbenden zu retten.
Ueber ihm ein schattig Zeltdach
Läßt er spannen und besorglich
Ihn auf weichem Teppich betten.
Selbst bei ihm im Zelte bleibend,
Fort und fort mit frischem Naß
Tränkt er ihn und späht und späht,
Ob nicht auf die bleichen Wangen
Neues Roth des Lebens steige.
Siehe! und der Todesmatte
Schlägt die Augen endlich auf,
Hebt das Haupt empor mit Mühe,
Reicht die Rechte wie zum Danke
Seinem Pfleger hin und sinkt
Wieder dann erschöpft zu Boden.

Stunden schwinden noch; zuletzt
Scheinen neue Lebenskräfte
Den vom Grabesrand Erstandnen
Zu durchrinnen, und in Worte
Feur'gen Danks an seine Retter
Bricht er aus.

Zu ihm spricht Musa:
»Nicht die Tracht der Beduinen
Täuscht mich; deine Rede kündet,
Daß Damascus deine Heimat.
Sag denn! kannst von Abdurrahman,
Von dem Sohne Moawia's,
Du mir Nachricht geben?«

Jener,
Wie erschreckt zusammenfahrend,
Schüttelt stumm das Haupt zur Antwort;
Dann, das Angesicht dem Boden
Zugewandt, aufs Neue reglos
Liegt er da. Von seiner Seite
Weicht nicht Musa und versucht,
Den Verzagten zu ermuth'gen:
»Sei getrost! Gekräftigt wirst du
Bald erstehen und mit uns
Aus der unwirthbaren Oede
In die Welt der Menschen kehren.
Unterdeß, um der Minuten
Träges Schleichen zu beflügeln,
Laß von ihm, nach dem ich forschte,
Von dem Sohne Moawia's
Dir erzählen. Meiner Kindheit
Freund war jener Abdurrahman –
O, was sag' ich: Freund? Nicht inn'ger
Können sich zwei Brüder lieben.
Sah der Eine in des Andern
Augen einen Wunsch nur keimen,
Ruhe fand er nicht, bevor er
Die Erfüllung ihm geschafft.
Jedem Wort von seinem Munde
Sann ich lange nach, als wär' es
Tiefer Weisheit voll; und hörte
Er von ungefähr ein Lied mich
Singen, bald von seinen Lippen
Scholl dieselbe Melodie.
Uns an Wuchs und Antlitz ähnlich
Waren wir wie Zwillinge;
Aber er ein Omajjade,
Hohem Herrscherstamm entsprossen,
Ich ein elternloser Knabe,
Schien ein Abgrund uns zu trennen;
Dennoch, statt in Stolz von mir sich
Abzuwenden, sann er einzig,
Meinem Blick es zu verdecken,
Welche Kluft uns Beide schied.
So beim Lernen wie beim Spiele
Nie von ihm mich trennen durft' ich;
In der Kunst des Lanzenwurfes
Wie im Tummeln wilder Rosse
War ein Wettstreit zwischen Beiden.
An den grünen Bergeshängen,
Durch die Thäler von Damascus
Schweiften wir vereint und träumten,
Große Thaten einst zu thun
Gleich den Helden, den erlauchten,
Die zuerst des Islam Banner
Siegreich von der Inder Gränzen
Bis ans Meer des Westens trugen.
O, wie oft, bis spät zur Nachtzeit
Schon mit rothem Schein Antares
Durch das Blätterzeltdach glomm,
Unter einer Palme Wipfel
Arm in Arme saßen wir,
Uns mit tausend heil'gen Schwüren
Freundschaft bis zum Tod gelobend
Und von hohen Planen redend.
Fern dem Thron als Nebensprößling
Des Chalifenhauses stand
Abdurrahman, doch wir bauten
Goldne Schlösser für die Zukunft,
Wie er einst, ein mächt'ger Herrscher,
Segnend über weite Reiche
Walten würde. Als Vezir
Mich an seiner Seite dacht' ich,
Und im Geiste sahen wir,
Wie die Erde bei des Frühlings
Regenschauern, schon die Länder
Unter unsrer Pflege blühen.
Auf des Rechtes, der Gesetze
Unerschütterliche Säulen
Fest der Bau des Reichs gegründet;
An den Gränzen, waffenstarrend,
Eines Kriegsheers Eisenmauer,
Daß, geschützt vor Feindesangriff,
Jede Friedenskunst gedeihe –
Solche Bilder uns zu malen,
Nimmer müde wurden wir.
Doch beschämt oft von des Freundes
Hohem Geiste fand ich mich.
Wenn ich in sein Auge blickte,
War's, als säh' ich draus Entwürfe
Auf Entwürfe, groß und herrlich,
Gleich des Himmels Sternen leuchten;
Eine Glorie künft'gen Ruhmes,
Künft'ger Größe schien sein Haupt
Zu umstrahlen, und unsterblich,
Dacht' ich, müßte Abdurrahmans
Namen einst auf Erden werden. –
Trat er aus der hohen Welt
Seines Denkens dann von Neuem
In des Lebens niedre Kreise,
Heiter wie ein Kind und einfach
Schritt er durch der Menschen Reihen,
Schon ihn sehen, war ihn lieben,
Und der Schatten seiner Nähe
Machte Alles um ihn glücklich.
Aber, ach! erst seit hinweg
Ich von ihm gerissen worden,
Ist sein Sternbild mir im vollen
Glanze aufgestiegen. – Höre!
Oftmals unter meines Oheims
Dach, wo ich erzogen wurde,
Kam der Freund in meine Klause,
Daß mit mir er an des Wissens
Quellen seinen Geist erlabe.
Einst beim Morgendämmern da
Schreckte mich ein heftig Pochen
An die Thür empor vom Lager.
Ich that auf, und Abdurrahman
Stürzte athemlos herein.
›Eile, Musa! wirf aufs Roß dich!
Schleun'ge Flucht nur kann dich retten!
Beim Chalifen sind die Männer
Deines Stamms verleumdet worden,
Daß Verrath mit Abul Abbas,
Seinem Feinde, sie gesponnen,
Und im ersten Ingrimm hat
Hischam den Befehl gegeben,
Keinen ihres Bluts, die Weiber
Selbst und Kinder nicht, zu schonen!
Eile! nah sind schon die Häscher.‹
Und gewaltsam mich Erschrocknen
Aus dem Hause zog er: ›Wenn du
Je mich liebtest, schwöre nun
Mir den Eid, mit Hast des Windes
In das Abendland zu fliehn!
Von Saidah wird ein Schiff dich
Westwärts tragen – fort nun, fort!‹
Und ich that den Schwur; noch einmal
In die Arme sank er mir,
Und mich auf den Renner schwingend,
Fast besinnungslos von dannen
Sprengt' ich. – Was seitdem geschehen,
Erst nach Jahren ward mir's kund.
Noch an mir, dem fernhin Fliehnden,
Haftete sein Blick, da nahten
Sich die Häscher. ›Sucht ihr Musa?
Wohl, hier ist er!‹ rief, entgegen
Ihnen tretend, Abdurrahman,
Und zum Richtplatz fortgeführt,
Festen Schrittes ans Schaffot
Trat er hin, wo schon der Henker
Mit dem Beile stand. Ein Wort
Konnt' ihn retten, doch er wußte:
Wenn er als vom Stamm Omajja's
Sich bekannte, war den Schergen
Ich verfallen; ringshin wären
Sie enteilt, mich einzuholen.
So, für mich den Tod zu leiden,
Legt' er auf den Block das Haupt;
Eben da, schon früh zum Jagdzug
Aufgebrochen, ritt am Richtplatz
Hischam, der Chalif, vorüber,
Und den Blick von Ungefähr
Auf den Hingeknieten werfend:
›Halt da, halt!‹ dem Henker rief er,
›Eines Omajjaden Haupt
Willst du fällen?‹ – Musa sei es,
Ward ihm Antwort von den Häschern,
Aber er: ›Mit euerm Haupte
Bürgt ihr mir, daß Musa nicht
Mir entrinne! Auf und sucht ihn!
Dieser hier ist Abdurrahman;
An dem Mahle seines Nackens
Ihn erkenn' ich.‹ So gerettet
Ward mein Freund, doch ewig, ewig,
Gleich als ob er ihn gestorben,
Steht sein Opfertod im Herzen
Mir geschrieben. – Ich indessen,
Wie durch Wunder nur den Häschern
In das Abendland entronnen,
Fort und fort nach einer Kunde
Von dem Vielgeliebten forscht' ich –
Ach vergebens! Jahre schwanden,
Lange Jahre, und der Boten,
Die ich sandte, kehrte keiner,
Um auch seines Lebens nur
Eine Kunde mir zu bringen.«

Musa sprach es und verhüllte,
In Erinnerung versunken,
Trauernd sich das Haupt. Da plötzlich,
Von dem Lager aufgerafft,
Warf mit halbersticktem Schluchzen
Sich der Fremdling an die Brust ihm:
»Musa, Musa, bist du's wirklich?
Kennst du deinen Abdurrahman,
Deinen Jugendfreund nicht mehr?«

Und sich fest umschlungen hielten
Beide; ihre Lippen bebten
Aneinander, ihre Thränen
Mischten sich, doch nur der Herzen
Klopfen sprach; der Mund blieb stumm.

Endlich: »Ja, alsbald« – ruft Musa
»Da ich dich erblickte, mahnte
Mich ein Zug in deinem Antlitz
An den langverlornen Freund!
Aber so verhüllt in niedre
Tracht, so ganz verwandelt, sag mir,
Theurer, konnt' ich dich erkennen?
Wie geblaßt dein Antlitz find' ich,
Wie gefurcht die Stirn! Ist's möglich?
Hier in weltentlegner Wüste
Halbentseelt am Boden lagst du?«

Abdurrahman, auf den Boden
Starrend, ringt umsonst nach Fassung;
Doch zuletzt, die Lebensgeister,
Die schon halb geschwunden, mühsam
Sammelnd, spricht er: »Ausgerottet
Ist der Stamm der Omajjaden,
Im Palaste der Chalifen
Krächzt ihr heisres Lied die Eule;
Ich, allein von all den Meinen
Noch dem Untergang entronnen,
Irre hülflos und geächtet,
Bis auch mich der Abassiden
Mordschwert trifft. Vernimm! die Rache,
Die Omajja's Söhnen lange
Für vergangne Frevelthaten
Ueberm Haupt geschwebt, ereilte
Den Chalifen. Abul Abbas
Schlug des Todfeinds Heer; ans Kreuz
Ließ er den Besiegten nageln,
Seine Schlösser niederreißen
Und aus seiner Ahnen Gräbern
In den Wind die Asche streuen.
Hin von Mark zu Mark des Reiches
Trugen Boten den Befehl,
Alle Glieder des gestürzten
Herrscherhauses zu erwürgen,
Und in Strömen floß ihr Blut.
Um der Omajjaden Leichen
Stritten sich die Schakalheerden,
Ihre Todenbeine bleichten
An des Hauran Felsenhängen,
Und die Spinne wob ihr Netz
In den leeren Augenhöhlen.
Nur ein Rest noch, dreißig Männer –
Ich Unseliger mit ihnen, –
Irrte flüchtig, lagerlos
Durchs Gebirge. Aus Damascus
Kam uns von des neuen Herrschers
Stellvertreter, von Abdallah,
Da die Botschaft: ›Der Chalife
Will Omajja's Söhnen länger
Nicht mehr grollen; den Befehl
Gab er mir, den Eid der Treue
Ihnen abzunehmen. Kommt denn
In mein Schloß! Ein prächtig Gastmahl
Soll den Frieden zwischen euch
Und den Abbassiden feiern.‹ –
Kaum Berathung ward gepflogen;
Aus der Wildniß, wo der Tod uns
Tag für Tag bedrohte, zogen,
Froh des neugeschenkten Lebens,
Wir zur Stadt. Durchs Thor des Schlosses
Waren, mir voran, die Andern
Schon getreten; plötzlich nahte
Mir ein Greis: ›Hinweg! hinweg!
Flieh, so schnell du kannst, dies Alles
Ist Verrath von Abul Abbas!‹
Schrecken faßte mich, und zweifelnd
Stand ich erst, doch bald trieb Scham,
Daß allein ich fliehen sollte,
Den Gefährten nach ins Schloß mich.
In das Thor der Halle tretend,
Schon im Kreis dort meine Freunde
Um das Mahl versammelt sah ich.
Eben ließ der Wirth Abdallah
Sammt den andern Abbassiden
Seinen Becher auf Versöhnung
Fröhlich an die ihren klingen.
Unbeachtet noch von Allen,
In die Reihn der Zecher setzen
Wollt' ich mich, doch blieb auf einmal
An dem Thor wie festgewurzelt,
Als ein Sänger grimmen Aussehns
Eintrat und die Saiten wild
Unter seinem Griffe rauschten.
In den Adern stand das Blut mir
Bei dem Liede, das er sang:
›Allahs Fluch ruht auf Omajja's
Enkeln bis zum letzten Gliede,
Und du zögerst noch, Gebieter,
In dem Blute der Verhaßten
Deinen Rachedurst zu löschen?
Auf! mit Einem Streich vertilge
Wurzel, Stamm und Ast zugleich!‹
Und das Lied verklang; Abdallah
Winkte, und in Blutdurst rasend
Stürzten mit geschwungnen Säbeln,
Piken, Keulen, Eisenstangen
Reihen von Gewaffneten
In die Halle. Löwen gleich,
Wenn umzingelt in der Grube,
War das Häuflein Omajjaden
In der Mordbegier'gen Mitte.
Selbst der Waffen im Vertrauen
Auf den heil'gen Schutz des Gastrechts
Sich entledigt hatten sie.
Horch! und über ihren Häuptern
Plötzlich sausten hundert Klingen;
Von den Hieben sank der Erste,
Sank der Zweite zuckend nieder,
Und mit Sterbenden im Nu
War bedeckt der ganze Boden.
Krampfhaft noch mit letzten Kräften
Schlangen wüthend sie die Arme
Um die Würger, doch, von Keulen
Hingeschmettert, nur mit Aechzen
Allahs Fluch noch auf die Frevler
Niederflehen konnten sie.
Blutende, zerstückte Glieder
Lagen rings verstreut, und gräßlich,
Jedes Haar des Haupts mir sträubend,
Wälzte sich das Mordgetümmel
Ueber sie dahin – nicht lang,
Und der Letzte meines Stammes
Stürzte mit gespaltnem Kopfe
In die rothe Lache nieder.
Ueber die erwürgten Leiber
Wurden Teppiche gezogen,
Und an solcher grausen Tafel
Feierten die Abbassiden
Ein entsetzlich Bacchanal.
Sklaven füllten goldne Becher
Neu mit Wein, und starr vor Schrecken,
Hört' ich mit der Sieger Jauchzen
Und dem Klirren der Pokale
Der Erwürgten dumpfes Röcheln
Sich vermengen, während dichter
Blutqualm, durch den Teppich dampfend,
Aufwärts bis zur Decke stieg.

»An der Thür wie festgebannt
Stand ich noch, als eine Hand mich
Mit Gewalt von dannen zog
Und des greisen Warners Stimme
Zu mir sprach: ›Fürwahr, ein Engel
Aus dem siebenten der Himmel
Hat mit seinen Flügeln schirmend
Dich beschattet, daß nicht Einer
Dich erkannt als Omajjaden.
Doch hinweg nun! Flieh, entfliehe
Bis zum Erdenrand! So lang noch
Menschenblicke dich erreichen,
Lauert vor dir, hinter dir
Und zur Seite dir der Tod!‹

»Von Entsetzen fortgetrieben,
Stürzt' ich sinnlos, athemlos Durch das nächt'ge Dunkel weiter.
Noch der Würger Jubellieder,
Der Erschlagnen Jammerrufe
Tönten mir im Ohre fort,
Und als, aus den Wolken tretend,
Mich der Mond beschien, gewahrt' ich
Schaudernd, wie mit rothem Naß
Ganz besprengt ich war, wie Blut mir
Tropfend aus den Locken rann.

»Scheu am Tage mich verbergend,
Floh ich so von Ort zu Orte
Durch Gebirg und Wüsteneien.
Jedes Trittes ferner Schall
Ließ mich einen Mörder ahnen,
Denn, an Abul Abbas lebend
Oder todt mich auszuliefern,
War in jede Mark des Reiches
Der Befehl ergangen. Zuflucht
Boten gastliche Beduinen
Endlich mir im fernen Libyen;
Doch von Neuem tief und tiefer
Vor der Abbassiden Spähern
In die Wüsten mußt' ich fliehn.
Ach! was nahm der Tod, den halb ich
Jüngst gestorben schon, nicht ganz
Mich von hinnen? Besser wär' ich
Fern der Menschenwelt verschmachtet,
Als daß, auf Damascus' Zinnen
Aufgepflanzt, mein Haupt den Feinden
Zum Gespött dient. Ja, selbst säh' ich
Nicht auf jedem Schritt vom Mordstahl
Mich bedroht, was soll das Leben
Mir noch ferner? Ach, mein Musa,
Hin das Hoffen unsrer Jugend,
Hin der Traum von großen Thaten,
Hohem Wirken! Wie die Wüste
Um mich her, so leer und öde
Liegt die Welt vor meinen Blicken.«

»Nein!« ruft Musa – »nein, Geliebter
Nicht umsonst hat schützend Allah
Ueber deinem Haupt gewaltet.
Herrlich, wie im kühnsten Traum wir
Niemals hoffen konnten, öffnet
Nun ein glorreich Feld des Wirkens
Sich vor dir. Vernimm! der Kämpfe
Müde, die ihr Land verwüsten,
Suchten Andalusiens Scheichs
Einen Herrscher, dessen Hand
Der Parteien Zwietracht bänd'ge.
Da von Ort zu Orte zog ich,
Deine Tugend, deine Milde,
Deines Geistes hohe Plane
Allen vor die Seele führend.
Siehe! und dein Bild, das leuchtend
Mir im Herzen stets gestanden,
Bald ein Hoffnungsstern dem Volke
Wie den Führern ward's. Von dir
Rettung hoffend, mich entsandten
Sie nach Syrien, dich zu suchen
Und des schönsten Landes Krone
Dir zu bieten. Auf denn! folg mir,
Daß das Reich der Omajjaden,
Das im Osten unterging,
Unter dir im Abendlande
Neu und herrlicher erstehe!«

Und die Wand des Zeltes öffnend,
Rief den Seinen Musa zu:
»Tretet ein! Der Vielersehnte
Ist gefunden! Abdurrahman
Von der Omajjaden Stamme
Steht vor euch.« In Reihen traten
Jene staunend in das Zelt,
Und zu seines Freundes Füßen
Hingekniet, rief Musa: »Nimm
Als Gebieter Andalusiens
Meine Huldigung, Erhabner!«
Und im Staube rieben Alle
Ihre Stirnen, und von Aller
Lippen scholl's: »Hoch Abdurrahman,
Der Chalif des Abendlandes!«

Drauf, mit Schwertern und mit Lanzen
Sich um den Gebieter schaarend,
Führten schnellen Zugs die Krieger
Ihn zu Tariks Meeresenge
Und, die Wogen überschiffend,
An des neuen Reiches Strand.
Jubelnd ihm entgegen eilten
All die Edelsten des Landes,
Und, umringt von mächt'gem Kriegsheer,
Bald mit seiner Feinde Blut
Düngt' er Andalusiens Felder.
Dann, wie nach dem Wettersturme
Glühender die Sonne flammt,
Ließ er seines Waltens Segen
Auf sein Reich herniederströmen.
Auf den Wink des Herrschers stiegen
Blühnde Städte, Zwillingsschwestern
Von Damascus, aus dem Boden,
Schüttete aus tausend Adern
Ihren Ueberfluß die Erde.
Weiß vom Vließe woll'ger Heerden
Schimmerten die Höhn, die Thäler,
Und der Weihrauch Jemens füllte
Mit Arom die trunknen Lüfte.
Kühngewölbte Brücken führten
Der Gebirge kühles Labsal
In der Villen Zauberhaine,
Ja, zu bunten Feenschlössern
Blühte selbst der Stein empor,
Und um all das schöne Leben
Schlang Arabiens Lieblingstochter,
Dichtkunst, ihre duft'gen Kränze.

Bald im alten Cordova
Hob aus blum'ger Gärten Mitte
Ein Palast der Omajjaden
Seine ries'gen Marmorhallen.
Dort auf ragender Terrasse
Nach vollbrachtem Herrschertagwerk
Abends oft saß Abdurrahman,
Und an seiner Seite lehnte
Musa, sein Vezir und Freund.
Unter ihnen dehnten weithin,
In der Ferne Duft verdämmernd,
Sich die Fluren Andalusiens,
Wo aus Grün der Saaten zahllos
Villen, Dörfer, Städte glänzten
Und die wellenreichen Ströme
Von der Schiffe Menge stockten.
Glitt dann Abdurrahmans Blick
Auf das Häusermeer, das wogend
Sich mit bleigedeckten Kuppeln
Ueber Berg und Thal ergoß;
Sah er im Gewühl der Gassen
Lange Karawanenzüge,
Die des Ostens reichste Waaren
Gegen Spaniens Schätze tauschten:
Ruhte sinnend ihm das Auge
Auf den Hallen der Medresen,
Wo zuerst der Strahl des Wissens
Durch die Nacht, die rings die Länder
Noch bedeckte, leuchtend aufstieg
Und, von ferne hergepilgert,
Selbst des rauhen Nordens Söhne
An dem Quell der Griechen-Weisheit
Ihren Durst nach Bildung löschten:
Wohl bewegten Herzens zog er
Musa dann an seine Brust.
An der Kindheit frohe Tage
In den Thälern von Damascus,
An die wunderbar erfüllten
Jugendträume dachten Beide,
Und von ihren Wimpern nieder
Rann der Freundschaft heil'ge Zähre,
Während über ihren Häuptern
Ernst und groß die Sterne stiegen.


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