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III. Ubaldo Lapo

1.

O schöne Zeit der Kunst! Seitdem Athen
In Staub sank bei der Völkerstürme Wüthen,
Hat eine gleiche nicht die Welt gesehn,
Wie da im freud'gen Wiederauferstehn
Sich in Florenz die Götter alter Mythen
Im Morgenlicht des neuen Tages sonnten
Und wieder sich zu freiern Horizonten
An ihrer Hand empor die Menschheit rang.
So wie der Hauch des Mai durch die erstarrten
Gefilde, ging ein frischer Lebensdrang
Dahin durch alle Seelen und umschlang
Die Zinnen und die Thürme und die Warten
Der düstern Stadt mit jungem Frühlingsgrün
Und ließ zu einem großen Zaubergarten
Von Stein des goldnen Arno Strand erblühn.
Mit Marmorbildern füllten sich die Säle,
Um der Korinther schöne Kapitäle
Wand rankend der Akanth sich himmelwärts,
Und vor Ghiberti's Geiste schmolz das Erz
Im Gusse zu den Paradiesesthüren,
Die noch in St. Johanns Kapelle führen.
Verwandelt ward zur Göttin Griechenlands
Die hagere Madonna von Byzanz,
Der bleiche Christus lächelte verklärt,
Und Benvenuto's Perseus mit dem Schwert
Vertrieb der Heil'gen klägliche Gestalten,
Indeß von Donatello's ehrnen Faunen
Die Stimmen höhnend hinter ihnen hallten:
»Armsel'ge! bei des jüngsten Tags Posaunen
Dereinst mögt ihr gerecht erfunden werden,
Doch aus für immer ist eu'r Reich auf Erden!«

Von jenem Hang, der an des Arno Borden,
Wie nirgend sonst, sich regt' und Blüthen trieb,
War auch erfaßt Ubaldo Lapo worden.
Seit er, noch Kind, beraubt der Eltern blieb
Und ihn in Obhut Michel Angelo's
Der Vater auf dem Sterbebett gestellt,
Sein Traum gewesen war's, als Bildner groß
Mit seinem Ruhm zu füllen einst die Welt;
Und da der Meister sich zuerst gesträubt,
Mit Bitten hatt' er ihm das Ohr betäubt,
Bis Jener seinem Drängen nachgegeben.

In seiner Werkstatt schafft der Jüngling so
Und thut, der neu vollbrachten Arbeit froh,
Den letzten Schlag an einen Marmor eben,
Als Michel Angelo in Reisetracht
Eintritt und ihm die Hand entgegenstreckt.
Ubaldo, überrascht und halb erschreckt,
Blickt zu ihm auf: »Wer hätte das gedacht?
Ihr, Meister, hier? Seid tausendmal willkommen!
So habt Ihr Eure Romfahrt wohl vollbracht?
Bang war mir Eurethalb das Herz beklommen,
Denn Räuber hausen, heißt's, am Trasimener.« -
»Nicht hatt' ich ihrer Acht«, erwidert Jener,
»Noch scheu' ich so die ehrlichen Banditen,
Die offen auf dem Heerweg Trotz uns bieten,
Wie die verkappten innerhalb der Mauern,
Die hier bei uns auf Straßen und auf Plätzen
Die günst'ge Stunde zum Verrath erlauern.«

Dann auf Ubaldo's Ladung, sich zu setzen,
Wirft in den Armstuhl nieder sich der Meister
Und läßt die Blicke zu der Werkstatt Seiten,
Wo Bilder sich an Bilder reihen, gleiten.
»Trau' ich den Augen? Alle guten Geister!
Geduldig war der Marmor und der Thon;
Statue an Statue drängt sich ja, Modell
Dicht an Modell auf jeglichem Gestell;
Allein du selbst, kannst du – gesteh mir's, Sohn! –
Dich deiner Arbeit freun? Hier der Gesell,
Der sich so linkisch spreizt, soll Jupiter
Das sein, der Götter und der Menschen Herr?
Zehn Fuß zwar mißt er; doch nach einem Zolle,
Der gut, späh' ich vergebens an dem Bild;
Wie aufgepolstert ist der Kerl aus Wolle,
Ein Brei sein ganzer Leib; es macht mich wild,
Die Pfuscherei zu sehn. Dort Mars – die Knochen
In allen Gliedern scheinen ihm gebrochen,
In Frauenkleider sollte man ihn stecken;
Doch dazu selbst taugt nicht solch traur'ger Held.
Dort das Modell vom Faune mit dem Becken!
Ein Mädchen, das nach Vorschrift des Pariser
Tanzmeisters ihre Füße zierlich stellt,
Glaub' ich vor mir zu sehn; und nun gar dieser
Apollo, welche Mißgeburt! – Nein, Junge,
Zur Schmeichelei gab Gott mir nicht die Zunge,
Drum sag' ich's grade dir heraus: nie wird
Aus dir ein Künstler werden; kehr denn um,
So lang es Zeit noch ist.«

Die Blicke stumm
Zu Boden schlug Ubald und stand verwirrt,
Das Antlitz überflammt von hohem Roth.
Und wieder anhub Jener: »Vor dem Tod
Vertraute noch – oft hab' ich's dir gesagt –
Dein Vater seinen letzten Wunsch mir an,
Ein Krieger möchtest du, ein Reitersmann,
So wie er selber, werden. Unverzagt,
Ruhmvoll hat für die Freiheit unsrer Stadt
In zwanzig Schlachten er gekämpft, geblutet.
Wohlan denn! wenn den Meißel du entmutet
Bei Seite legst, so winkt ein Lorbeerblatt,
Vielleicht ein voller Kranz dir auf der Bahn,
Auf welcher glorreich er und schon dein Ahn
Und Aeltervater dir voraufgeschritten.
Wenn ich dich auch zu zwingen nicht vermag –
Denn mündig bist du – ernstlich doch dich bitten,
Dir rathen will ich. Jeder Meißelschlag,
Den du noch thust, ist, glaub, in Luft gethan;
Für immer fahren laß darum den Wahn,
Erringen könntest je durch Kunst du Ehre!
Selbst lachen wirst du über dieses leere
Machwerk, wenn erst verflogen ist dein Rausch.
Jetzt eben in der Jugend voller Stärke
Blühst du, ein Zwanzigjähriger; vertausch
Die Bildnerei denn mit dem Waffenwerke!
Vielleicht bald deiner können wir bedürfen,
Denn schon hört man von feindlichen Entwürfen
Der Kaiserlichen, in die Tyrannei
Der Medicäer wieder uns zu knechten;
Da ist nicht Rettung, als wenn alle ächten
Söhne der Väter, Alle, denen frei
Und kühn das Herz schlägt, sich zum Kampf bereiten.
Vom trefflichen Ferrucci wird ein Heer
Schon Tag für Tag geübt zur Gegenwehr,
Und vor der Stadt den Festungsbau zu leiten
Ward mir vertraut. So rüste dich bei Zeiten,
Daß du gewandt, das Schwert zu führen, seist.
Wie freudig nicht wird deines Vaters Geist
Herniederschauen, wenn er als Soldaten
Den Sohn erblickt, wenn gar von deinen Thaten
In seinen Himmel ihm die Kunde schallt! –
Gehab dich wohl für heute, mein Ubald,
Und glaube mir, aus treuem Herzen kam,
Wenn auch in rauhem Wort, was ich gesprochen.«

2.

Von Unmuth halb bewältigt, halb von Scham,
Blieb regungslos der Jüngling, wie gebrochen,
Und konnte lange sich empor nicht raffen.
Was er mit voller Seelenkraft geschaffen,
Woran er sich vom ersten Strahl des Lichts
Bis in die Nacht gemüht, es sollt' ein Nichts,
Nur werth des Lachens sein? und eitel Dunst
Sein hoher Traum, als Meister in der Kunst
Einst dazustehn? »Vergebens denn geflammt
Hat mir das Feuer der Begeisterung,
Da Michel Angelo mich so verdammt?
Allein ein Greis ist er, und ich bin jung;
Und schaun auf das, was Jünglinge gestalten,
Nicht immerdar mißgünst'gen Blicks die Alten?
Verkennt er nicht auch deshalb mich vielleicht,
Weil seiner Weise meine Art nicht gleicht?«

So gingen ihm im Haupte die Gedanken;
Doch wenn sein Geist auf einen Augenblick
Sich aufgerungen, bald von Neuem sanken
Die Schwingen dem entmuteten zurück.
Schon durch den Erker in die Werkstatt hatten
Gebreitet sich die Abenddämmerschatten.
Da auf die Locken drückt' er das Barett
Und schritt hinaus, entlang dem Arnobett
Und weiter auf den Platz der Signorie.
Dort im Palast mit hangendem Balkone,
Dem Bau des Brunelleschi, wohnte sie,
Die hoch er hielt als aller Weiber Krone,
Die schöne junge Wittwe, Aloise.
Geschmückt für sie mit reichem Marmorfriese
Hat er den Saal, und wenn beim Werk er war,
Ließ sie ihr blaues Auge himmelklar
Hold auf ihm ruhn – so sah er bald die Kluft
Von ihm zu ihr vor seinem Blick verschwinden,
Und selbst die Hoffnung, ihr sich zu verbinden,
Schien ihm kein Traum mehr. –

Wie in Frühlingsluft
Gefangne, athmet aus der Herzensqual
Er auf, als er eintritt in ihren Saal
Und sich zwei Arme ihm entgegenbreiten.
Der Jüngling drückt Alvise an die Brust,
Und kurz erzittert, wie geschwungne Saiten
Vom Klange der Musik, sein Herz von Lust,
Doch bald sinkt er zurück in trübes Brüten.
»Freund! was umdüstert heute deinen Sinn?« –
Fragt sie und führt ihn zu der Ruhbank hin,
Auf die ein Oleander seine Blüthen
Aus einer Jaspisvase niedersenkt –
»Trüb scheint dein Auge von verhaltnen Thränen;
Was ist geschehen? hat dich wer gekränkt?
Vertrau's mir, daß ich stille deinen Harm!«
Er muß sich hin an ihren Busen lehnen,
Ihn sanft umschlingt sie mit dem weißen Arm
Und spielt mit seinen duftgetränkten Locken.
Da endlich ihr erzählt er, doch mit Stocken,
Wie ihn und all sein Streben, all sein Hoffen
Des Meisters Wort mit gift'gem Pfeil getroffen,
So daß er muthlos nur an Sterben denkt.
Doch sie lacht auf: »Und um den alten Prahler
Dich kümmerst du? Er meint, als Bildner, Maler,
Baumeister herrschen müsst er unumschränkt,
Ein König von Florenz. Wenn ganz verrenkt
Des Leibes Glieder sind, nicht zu den Füßen
Die Beine passen, noch zum Kopf der Rumpf,
Das rühmt er als der ächten Kunst Triumph,
Und wer es anders macht, der muß es büßen.« –
Ihr in das Antlitz blickt der Jüngling groß:
»Du schmähst Italiens größten Genius?« –
– »Nenn' ihn nicht also! Roh und anmuthlos,
Nur für Barbarenseelen ein Genuß,
Sind die Gestalten, die er schafft; doch deine,
O mein Ubald, wie hold, wie süß, wie weich!
Wie zauberst du die Formen aus dem Steine
Und überschüttest ihrer jede reich
Mit Schönheitreiz! Und wenn ich gar erwäge,
Wie du schon Alle hinter dir gelassen,
So jung du bist, dann weiß ich kaum zu fassen,
Welch höhre Werke deine Meißelschläge
Noch einst, wenn vollends deine Kunst gereift,
Ins Leben rufen werden. Keiner nennen
Wird dann mehr Den, noch seinen Namen kennen,
Der jetzt mit Schmähungen dich überhäuft.«

Die süßen Schmeichellaute einzusaugen
Ward nicht der Jüngling müd; mit freierm Schlag
Hob wieder sich sein Herz, und in die Augen
Der Lieblichen, in deren Arm er lag,
Sah er zum ersten Male wieder heiter.
»Auch glaub das Eine mir,« – sprach Jene weiter –
»Neid ist's vor Allem, was den Alten treibt,
Auf das, was du geschaffen hast, zu schmähen!
Er weiß und fühlt es wohl, daß nichts ihm bleibt,
Als deinem Siegeszuge nachzusehen,
Wenn weiter du verfolgst des Ruhmes Pfad.
Darum bring ihm von seiner bösen Saat
Die Ernte heim und schüttle so die Last
Des Unmuths ab! Seit lange schon verhaßt
Ist mir der alte grimme Demokrat,
Weil er zum Sturz der edlen Medici,
Die tückisch er der Willkürherrschaft zieh,
Den Pöbel von Florenz gestachelt hat.
In die Verbannung mußten, gleich so Vielen,
Auf seinen Antrieb meine Brüder ziehn –
Nun, zücht'gen werden sie mit Nächstem ihn;
Doch schon zuvor ihm einen Streich zu spielen,
Ist mir ein wahres Labsal. Höre nun!
Jetzt eben jubelt mit der Masken Schwall
Hin durch Florenz der muntre Carneval,
Und der Groß-Mogul tummelt mit Neptun
Und Arlechino sich im lust'gen Schwank.
Da soll zu Hohn und Spott des alten Narren
Ein Zug sich bilden und mit einem Karren
Von Platz zu Platze ziehn. Auf jeder Bank
Des Wagens steht in grausiger Verrenkung,
Wie er sie liebt, die Muskeln hochgespannt,
Ein tollverzerrtes Bildwerk seiner Hand;
Und vor dem Wagen, ihm zu größrer Kränkung,
Spottlieder singend, die der Hörer Ohr
Betäuben, geht ein Musikanten-Chor.
Du, mein Ubaldo, ordne solchen Zug!
Der jungen Freunde hast du ja genug;
Wenn ihr, Antlitz und Glieder marmorweiß,
In solche Statuen lustig euch vermummt,
Tragt ihr davon des ganzen Faschings Preis,
Und noch auf Monde lang, glaub mir, verstummt
Nicht das Gelächter über diese Posse.
Ich selber leihe gerne die Karosse,
Die dazu noth.« – »Nein«, fiel Ubaldo ein,
»Mag schwer der Meister mich beleidigt haben,
Nicht dergestalt gleich ungerathnen Knaben
Will ich an ihm mich rächen – nochmals nein!
Doch, daß ich alle Kraft zusammenraffe
Und immer Größres, immer Schönres schaffe,
Alvise, das soll meine Rache sein!« –
»So ernst doch ist der Maskenscherz, bei Gott,
Nicht, wie du glaubst! Und hat er solchen Spott
Nicht überreich verdient? Wenn dem Verdruß,
Den er dir angethan hat, Luft zu machen
Du selbst nicht Lust hast, schaffe den Genuß
Doch mir, Ubaldo! O, wie werd' ich lachen,
Der Kurzweil zuzuschauen vom Altane!
Von jeher war ich Freundin solcher Schwänke
Und sehe schon die lust'ge Karavane,
Wie ihr, verrenkt die Glieder, die Gelenke
Verdreht nach Michel Angelo's Schablone,
Hin durch die Straßen fahrt; ein Cicerone
Steht neben euch und zeigt auf jedem Brette
Die Statuen, in komischem Sonette
Jedwede feiernd, und ein Weihrauchfaß
Zu Ehren des modernen Phidias
Schwingt vor dem Zug ein andrer Maskenträger,
Indessen Buben, Sänger, Lautenschläger
Jubelnd voranziehn – herrlich, köstlich das!
Nein, diese Lust mir weigern darfst du nicht!
Und wenn du mir nicht das Versprechen gibst,
So muß ich glauben, daß du mich nicht liebst.«

Noch lang, bis grauend schon das Morgenlicht
Durchs Fenster einfällt, reden so die Beiden.
Bis ihr zuletzt der Jüngling vor dem Scheiden
Mit halbem Wort, was sie verlangt, verspricht.

3.

Ubaldo, in die Wohnung heimgekehrt,
Sucht Schlaf, allein umsonst; zu mächtig gährt
In seiner Brust der Zwiespalt der Gefühle
Und treibt hinaus ihn wieder in die Kühle.
Unmuth, all das, woran er hochbegeistert
Geschaffen hat, als Stümperwerk gemeistert,
Verhöhnt zu sehn als kindischen Versuch;
Argwohn, daß Buonarotti solchen Spruch
Aus Neid gethan, wie Aloise glaubt;
Verlangen, sich für diese Schmach zu rächen;
Dann Ehrfurcht vor des Meisters greisem Haupt
Und wieder das gegebene Versprechen –
Er kämpft und schwankt, wofür er sich entscheide,
Und wie der Strauch des Ginsters auf der Heide
Sich hin und her im Hauch der Stürme wirft,
Die bald aus der Schlucht, bald aus jener brechen,
So sein Gemüth. In durst'gen Zügen schlürft
Er ein den Balsamhauch der Morgenfrische,
Doch mehrt er ihm der Seele fieberische
Erregung nur.

Hin an den Stromgeländen
Des Arno irrend, auf ein Marmorstück
Wirft er, ermüdet, sich zuletzt zurück:
»Durch solchen Bubenstreich mich sollt' ich schänden?
Hinweg, Versucherin! Mein Wort gegeben
Dir hätt' ich? Listig und nach Widerstreben
Nur halb entrangst du's mir.«

Indeß in Brüten
Er so am Ponte Vecchio sinnt und sinnt,
Schon in den Gassen von Florenz beginnt
Es sich zu regen, und wie seinen Blüthen
Voraus der Lenz bereits im lauen Wehn
Des März die ersten Schmetterlinge sendet,
So schickt der Fasching einzle Masken schon,
Eh er in reicher Fülle sie verschwendet,
Auf Plätz' und Straßen aus, und der Balkon
Und jener wird mit Teppichen bedeckt.
Durch einer wohlbekannten Stimme Ton
Wird da Ubald vom Brüten aufgeschreckt,
Blickt auf und sieht den jungen Grafensohn
Ascanio Strozzi, dem sein Wappenschild
Und Ahnenglanz und Reichthum minder gilt,
Als die Palette, die er führt. »Gepriesen
Mein gutes Glück« – ruft ihm Ascanio zu –
»Daß ich dich finde, denn von Aloisen
Werd' ich zu dir gesandt.« – »Bei ihr warst du?« –
»Auftrug sie mir, mit Fresken eine Wand
Für sie zu schmücken; just wollt' ich beginnen;
Da von dem Schwank, der dir bereits bekannt,
Mir sprach sie; Schönres läßt sich nicht ersinnen!
Es wird ein Fest für Götter! Komm, bei Zeiten
Laß diesen Maskenscherz uns vorbereiten!
Zu unsern Freunden hab' ich schon gesandt,
Daß sie uns beistehn.« Und ihn an der Hand
Fortziehn will er; doch: »Solchen Bubenstreich
Mir sinnst du an? Ich überlass' ihn euch,
Wofern ihr euch nicht schämt,« ruft Jener aus.
Allein von andern Jünglingen inzwischen,
Die lachend sich in ihre Zwiesprach mischen,
Sind Beide schon umringt. »Bei mir zu Haus
Hab' ich ein Mahl für uns bestellt; dort laßt
Uns fröhlich sein; auch dich lad' ich zu Gast,«
Spricht Strozzi weiter, während er am Arm
Den immer zögernden Ubaldo faßt.
Und schon in Faschingslaune wälzt der Schwarm
Mit Jenem in der Mitte dem Palast
Ascanio's sich zu. Eintraten Alle
In die mit frischem Grün geschmückte Halle
Und weiter in den marmorblanken Saal,
Wo sich Festons und blumige Guirlanden
Von Säule hin zu Säule duftend wanden,
Und leuchtend auf die Tafel, die zum Mahl
Geschmückt war, durch die Kuppel der Rotunde
Herniederzitterte des Himmels Blau.
Dem Wirth gehorsam setzten in die Runde
Die Gäste sich, und einen mächt'gen Pfau,
Das köstlichste Gericht für Florentiner,
Auf einer Silberplatte brachten Diener
Und Muscheln, an Gorgona's Felsgestaden
Von Tauchern abgerungen den Najaden.
Aus Bechern, dran, von Benvenuto's Hand
Gebildet, Nereiden und Tritonen
Sich haschen, gießen Weine wärmrer Zonen
Das Sonnenfeuer, das auf sie gebrannt,
In alle Herzen, und des Frohsinns Töchter,
Beschwingte Scherze, gaukeln mit Gelächter
Von Mund zu Mund. Da mit dem Becher klirrt
Zum Zeichen, daß man schweigen soll, der Wirth:
»Vertheilen will ich nun der Rollen jede
Für unsern Aufzug.« Aber in die Rede
Fällt ihm Ubaldo: »Immer noch der tolle
Boshafte Plan? Ich spiele keine Rolle.«
Drauf Jener weiter: »Zu gerechtem Grolle
Gab Buonarotti dir doch Grund zumeist.
Daß er dich nur den Damen-Sculptor heißt,
Weiß ganz Florenz, auch daß er oft gemeint,
In Zucker müßtest, statt in Stein, du meißeln;
Und wer sich so dir zeigt als offnen Feind,
Durch Spott vor Aller Augen ihn zu geißeln,
Gewährt dir Labsal nicht?« Ubaldo schweigt,
Indeß der Wein, der Cyperns Strahlenglut
Noch birgt in seiner Wellen goldner Flut,
Ihm sinnbewältigend zu Haupte steigt.
Und neu anhebt Ascanio: »Den Ruin
Der Künste bringt uns dieser alte Narr;
Auf die Madonnen unsres Perugin
Schmäht er, sie hätten ewig den Katarrh,
Drum das Gesicht verzögen sie zum Weinen –
Als Muster gelten sollen nur die seinen,
Zwitter von Mann und Weib, mit den verdrehten
Gliedmaßen und dem hagern Leibe, dran
Man selbst der Knochen kleinsten zählen kann!
Ans Werk nun! – Beppo, du spielst den Propheten
Jonas, der rückwärts wie ein Trunkenbold
Das Haupt wirft! Euch, Arrigo und Bartold,
Geb' ich die Sklaven, die mit einem Beine
Nach links, dem anderen nach rechtshin gehn;
Für dich, Pandolf, ist Moses ausersehn,
Das Monstrum, das im Arme Kieselsteine
Anstatt der Muskeln hat; Brunetto, du
Stellst Bacchus vor, die grause Mißgestalt
Mit aufgeschwemmtem Leibe; dir, Ubald,
Theil' ich den ungeschlachten David zu,
Die Ausgeburt von Ungeschmack und Schwulst:
Ausstopfen wollen wir dir Glied an Glied
Mit Wolle, bis zu einem großen Wulst
Du wirst, der jenem David ähnlich sieht.«

Ubaldo schwankt noch, aber in ihm pulst
Die Glut des Weines, seine Schläfe pocht
Von Unmuth über den gekränkten Stolz,
Der fort und fort in seiner Seele kocht.
So endlich springt er auf und ruft: »Ihr wollt's,
Wohlan!« Und Alle treffen unter Leitung
Ascanio's für den Zug die Vorbereitung.

4.

An Fenstern, auf Balkonen und Terrassen
Dicht drängt sich Haupt an Haupt, und auf den Gassen
Wie wogt und schwillt der bunte Mummenschanz!
Poeten, auf dem Haupt den Lorbeerkranz,
Doctoren mit Perrücken und mit Brillen!
Essenzen bietet, Elixire, Pillen
Mit Stentorstimme feil der Charlatan,
Indessen auf ihn nieder vom Altan
Ein weißer Hagel von Confetti stäubt.
Dazwischen hallt Geschnarr von Dudelsäcken
Und Schall von Pfeifen, der das Ohr betäubt.
Barbiere tragen auf dem Haupt ihr Becken,
Im wehnden Kleide gaukelt Columbine,
Der Capitano fuchtelt mit dem Schwert
In Lüften hoch – da auseinander fährt
Die Menge rings; es klirren Tamburine,
Dazwischen tönt Gelächter, Schall von Bechern,
Und her auf laubbekränzten Wagen zieht,
Evviva Bacco jubelnd und im Lied
Den Weingott preisend, eine Schaar von Zechern.

Von Porta Pinti so zum Römerthore,
Vom Ponte Vecchio nach Marie del Fiore
Und nach dem stolzen Platz, auf den die Braut
Des Michel Angelo herniederschaut, Die Kirche Santa Maria Novella, für die Michel Angelo eine solche Vorliebe hatte, daß er sie seine Braut nannte.
Wälzt das Gewühl sich hin. Mit Mast an Mast,
Dran bunte Fahnen wehn, ist der Palast
Der Signorie umringt; dort um die Bogen
Orgagna's schlägt das Fest die höchsten Wogen,
Und fort und fort, je mehr der Tag sich neigt,
Noch aus der finstern Seitengassen Enge
Strömt's zu dem Platz heran und schwillt und steigt
Zu immer höhrer Flut. Der Podesta
Schaut vom Balkon herab auf das Gedränge;
Auf einmal schallt ein Ruf: »Sieh da! sieh da!«
Und Bahn bricht sich ein Wagen durch die Menge,
Nach dem sich staunend richtet jeder Blick.
Besetzt – das ist der tollste aller Schwänke –
Sind mit lebendigen Statuen die Bänke,
Davon der einen jedes der Gelenke
Gebrochen scheint, der andern das Genick;
Mit rechtem Arme stützt aufs linke Knie
Der dritte sich – heraus kaum wieder finden
Kann man sich aus der Glieder Irrgewinden –
Und lautes Lachen schallt umher: »Sieh! sieh!
Von Michel Angelo sind das die Bilder,
An eines jeden Fuße zeigen Schilder
Zum Ueberflusse noch den Namen an:
Adonis dort, die Mißgeburt, dort Moses,
Der seiner Muskeln Last kaum schleppen kann,
Dort David – ja, in Wahrheit, solch monströses
Gebild ist er, solch schwamm'ges Ungethüm!«
Und wie der Wagen hinrollt, wälzt mit ihm
Sich schallendes Gelächter durch die Schaaren
Gedrängten Volks, und schmetternde Fanfaren
Ertönen, und bei gellem Pfeifenklang
Reiht lärmend eine Bande Possenreißer
Mit Klappern, Knarren und mit Spottgesang
Sich vor dem Zug.

Ubaldo, der als weißer
Marmorkoloß, die Glieder aufgebauscht,
Reglos dasteht, fühlt, wie schon nach und nach
Der wirre Geistestaumel ihm verrauscht,
Der ihn fortriß, als er zu Hohn und Schmach
Des Meisters sich den Andern zugesellt.
Ihm ist wie Dem, der arge That verbrach,
Und wie ein Chor von Höllenfurien gellt
Ihm vor dem Ohr des Volkes Hohngeschrei,
Der Spießgesellen Spottlied. Eben da
Am Signorie-Palast rollt er vorbei
Und sieht zu seinen Häupten nah, ganz nah
Den David Buonarotti's sich erheben,
Wie ihn die Sonne untergehend eben
Mit vollem Purpurglorienschein umflammt;
Kaum wagt er aufzuschaun: ihm ist, als drohe
Mit der erhobnen Schleuder ihm der hohe
Göttliche Jüngling, um das Rächeramt
Des Meisters an dem Frevler zu vollziehn.
Nur weiter, weiter! Aber rings um ihn
Drängt sich so dicht das Volk, daß nicht mehr Bahn
Dem Wagen bleibt; und während ihm verwirrt
Der Blick bald hierhin und bald dorthin irrt,
Glaubt er zu schaun, wie drüben vom Altan,
Von eines jungen Mannes Armen traut
Umschlungen, Aloise niederschaut.
Und schärfer blickt er zu – ja, er erkennt:
Ascanio, kein Andrer, ist der Mann;
Zu ihr zu eilen, als der Zug begann,
Hat von den Anderen er sich getrennt. –

Reglos nach ihm hinstarrt Ubald; er fühlt,
Zurück in jähem Strome schießt sein Blut.
Nun zu dem Allen, was sein Herz zerwühlt,
Das Letzte noch, betrogner Liebe Wuth!
Wie Einer, den des Himmels Blitz erschlagen,
Stürzt sinnberaubt er nieder in den Wagen.

5.

Der Jüngling ward in Hast von den Gefährten
Durch das Gewühl in sein Gemach getragen;
Sie aber, nur der Kurzweil denkend, kehrten
Zur Faschingslust zurück. Und so seit Tagen
In hoher Glut des Fiebers liegt Ubald,
Vom Diener Carlo, der zu seinen Häupten
Am Lager dasitzt, sorglich-treu gepflegt.
Bewußtlos ist er, und wenn im betäubten
Gehirne halb sich ihm Bewußtsein regt,
So irrt bald die, bald jene Mißgestalt
An ihm vorbei; bald mit verzerrten Zügen
Starrt Aloise ihm ins Antlitz kalt
Und fragt: Was trautest du auch meinen Lügen?
Bald Michel Angelo glaubt er zu schauen,
Dem zornig unter seinen hohen Brauen
Das Auge flammt; drauf wiederum hallt wilde
Musik ins Ohr ihm, und bei dem Getön
Sieht er sich seiner eignen Kunst Gebilde,
Die Götter des Olymp, im Tanze drehn
Und hört sie lachen: Ei, wir sind doch schön!

Einst, als es morgenhell im Stübchen ward,
Zerrann die Nacht, die seinen Geist umwoben;
Zum ersten Male, matt das Haupt erhoben,
Mit klarern Augen schaut er auf. Was starrt
Und starrt er unverwandten Blickes so?
Er ist's, ja, es ist Michel Angelo,
Der neben ihm am Lager sitzt. Den Blick
Des Meisters nicht ertragend, wirft der Kranke
Erschrocken auf das Kissen sich zurück –
Ihn mahnt sein erster, dämmernder Gedanke
An seine Schuld; er glaubt, das Strafgericht
An ihm vollziehen wolle Jener, deckt
Mit beiden Händen sich das Angesicht
Und liegt von Neuem reglos hingestreckt.

Ein Tag und eine Nacht fliehn abermals;
Da wiederum den Schein des Morgenstrahls
Fühlt er belebend in sein Antlitz blitzen,
Fühlt in der seinen ruhen eine Hand,
Schaut auf und sieht an seines Bettes Rand,
So wie zuvor, den Buonarotti sitzen:
»Glückauf, mein Sohn! die Krankheit ist gebrochen;
Viel Sorge trug ich deinethalb seit Wochen.«
Noch starr, nachdem der Alte so gesprochen,
Liegt erst Ubald; Verzeihung flehend dann
Die beiden Arme streckt er ihm entgegen.
»Was meinst du, Sohn?« – hebt Jener wieder an –
»Von deiner Kindheit an auf allen Wegen,
Du weißt es ja, dir wünsch' ich Heil und Segen.«
Und schluchzend auf des Meisters Rechte preßt
Der Jüngling seinen Mund mit heißen Küssen
Und netzt sie mit des Auges Thränengüssen.
Zuletzt allein mit seinem Diener läßt
Ihn Buonarotti: »Ruhe thut dir noth;
Mich wieder wirst du sehn beim Morgenroth.«

Und in der Frühe, als sein Schlummer weicht,
Gewahrt der Jüngling, wie mit leichtem Tritte
Der Meister wieder an sein Lager schleicht,
Fühlt, wie er freundlich ihm die Rechte reicht,
Und hört ihn sprechen: »Mein Ubald, ich bitte,
Sei nicht erzürnt, wenn ich dir wehe that;
Oft rauh sind meine Worte – Jeder hat
So seine Art – zu Herzen dir vielleicht
Nahmst du zu tief, was ich gesprochen habe;
Doch glaube mir, gut war's von mir gemeint!
Daß nur gering mir deine Künstlergabe
Bedäucht, mußt' ich dir sagen als dein Freund.
Allein dir hängt einmal daran der Sinn;
So sei's! Gib ganz der Bildnerei dich hin!
Vielleicht zu Höherm auch durch stetes Ringen,
Als ich gedacht, kannst du empor dich schwingen.«

Leuchtenden Blicks schaut ihn der Jüngling an.
Noch ruht auf seinem Mund des Schweigens Bann;
Doch heißen Danks, da ihm versagt das Wort,
Will er zu Buonarotti's Füßen sinken;
Da mahnt der Meister ihn mit ernstem Winken,
Auf seinem Pfühl zu bleiben, und fährt fort:
»Bald ganz, mein Sohn, dem Himmel sei's gedankt,
Wirst du genesen sein; in Carlo's Hut
Drum lassen kann ich dich. Seit du erkrankt,
Vor vieler Arbeit hab' ich kaum geruht,
Und, nun mein Werk in der Lorenz-Kapelle
Glücklich vollendet, muß ich Festungswälle
Am Pinti-Thore, Schanzen baun und Thürme,
Denn wider uns heran ziehn schwere Stürme.
Schon naht das Heer des Kaisers, das mit Tod
Die Freiheit unsrer theuern Stadt bedroht;
Allein bald wird der Eingang jedes Thors
Umstarrt von Palissaden sein und Forts,
Der Boden allumher von Minen hohl;
Dann komme nur der Feind! – Ubald, leb wohl!«

6.

In schnellerem Genesen Tag für Tag
Und frischer Kraft aufblüht der Jüngling nun;
Sein Herz thut immer höhern, höhern Schlag
Und läßt ihn kaum noch auf dem Lager ruhn.
Der vielgeliebten Kunst zurückgegeben,
Versöhnt fühlt er aufs Neue sich dem Leben.
Wohl die Erinnrung an Alvise legt
Noch über seine Stirne düstre Falten,
Doch sagt er sich: »Die Sinne, tief erregt,
Vielleicht nur täuschten mich durch Truggestalten,
Und seh' ich sie, so wird sich Alles klären,
Daß ich sie selber wegen meines leeren
Argwohnes um Verzeihung bitten muß.«
So eilt er, aufgerafft von seinem Pfühl,
Hinaus zur Thür in plötzlichem Entschluß
Und weiter längs des Stroms. O, im Gefühl
Erneuter Stärke, wie so frisch, so frei
Hebt sich der Odem ihm im Hauch des Mai,
Der eben her von Bellosguardo's Hügel
Laufächelnd weht! Er stürmt, als hätt' er Flügel,
Zu der Geliebten Haus und pocht ans Thor;
Da von des Pförtners Mund schallt an sein Ohr
Die Kunde: »Graf Ascanio Strozzi hat
Mit Donna Aloise sich vermählt;
Auf eine Villa nun am Meergestad,
Die sie zum Sommersitze sich gewählt,
Sind sie gereist.« Wie von des Blitzes Strahl
Getroffen, starrt Ubaldo bei der Kunde;
Bewußtlos taumelnd dann von dem Portal
Stürzt er hinweg; die Häuser in der Runde
Drehn sich um ihn, den Boden fühlt er schwanken,
Und zuckend, wie in unterird'scher Höhle
Schlagende Wetter, schießen Irrgedanken
Hin durch das tiefe Dunkel seiner Seele.
Schon nachtet's; selten, immer seltner hallt
Ein Fußtritt von des Platzes mächt'gen Quadern
Zurück, vom Apennin her weht es kalt;
Doch er, dem siedend heiß durch alle Adern
Das Blut dahinrollt, achtet dessen nicht
Und wirft sich nieder zu des Perseus Füßen,
An Aloisens Fenster das Gesicht
Noch fort und fort gebannt. »Sie soll mir's büßen,
Ja, Rache, Rache!« ruft's in ihm, »nie solch
Gericht noch soll die Welt gesehen haben,
Wie es an der Verrätherin mein Dolch
Vollstrecken wird.«

In Schlaf und Traum begraben
Liegt schon die Stadt, als er noch Plan auf Pläne
Im Geiste wälzt; wie tief die Schlucht auch gähne
Wie fern der Strand sei, wo sie sich geborgen,
Nacheilen will er ihr und schon vor Morgen
Aufbrechen zu der Fahrt. So, wie er sinnt
Und sinnt, zuletzt in wüsten Traum zerrinnt
Das Denken ihm. Alvise, ach Alvise!
Die Worte dumpf noch haucht er in den Wind,
Dann sinkt bewußtlos auf des Bodens Fliese
Das Haupt ihm hin.

Vom Morgenlicht geweckt,
In dessen Strahle sich der Riesenschatte
Von Buonarotti's David weithin streckt,
Erhebt Ubald sich von der kalten Platte,
Auf der er lag; noch wie im Wirbel kreist
Alles, was er erlebt, vor seinem Geist
Und dünkt ihn fast ein Bild, vom Fieberwahn
Erzeugt, ein nächt'ger Spuk. Dann nach und nach
Von Neuem wird in ihm der Racheplan
Mit der Erinnrung des Geschehnen wach –
Und doch, ein Schwanken kommt in den Entschluß,
Nicht gleich aufbrechen kann er zu der That;
Daß er zu Buonarotti eilen muß,
Der ihn vom Grabesrand gerissen hat,
Sagt ihm sein Herz. Und als er so den Pfad
Zum Pinti-Thore schreitet, nimmt er wahr,
Wie hier und dort das Volk sich gruppenweise
Zusammendrängt. Vorbei an einer Schaar,
Die sich um einen Redenden im Kreise
Gesammelt hat, kommt er und hört, wie schon
Her von Bologna durch den Apennin
Die Kaiserlichen und die Spanier ziehn
Und mit Belagerung Florenz bedrohn,
Es neu zu schmieden ins verhaßte Joch.
Das Heer Ferrucci's, so vernimmt er noch,
Sei ihnen halb gewachsen kaum an Stärke;
Und weiter fragt man, ob die Festungswerke,
Die Buonarotti leitet, auch der Macht
Der Feinde trotzen können; doch sein Ohr
Nur hört, sein Geist hat kaum der Rede Acht,
Und vorwärts eilt er auf dem Weg zum Thor,
Wo er den Meister anzutreffen denkt.
Da, als er eben auf dem Gang vorbei
Am Platz von St. Lorenz die Schritte lenkt,
Zu seiner Seite reden hört er Zwei:
»Vollendet auf der Medicäer Grab
Stehn nun die Bilder Michel Angelo's;
In keinem Werk noch, das der Welt er gab,
Hat er so herrlich sich gezeigt, so groß.«

Nicht widerstehen kann bei diesem Worte
Ubald; und wär's für einen Augenblick,
Selbst muß er schaun des Meisters Meisterstück.
Da, als er eingetreten durch die Pforte
Von St. Lorenz und in die Grabkapelle,
O ungeahnte Herrlichkeit um ihn!
Bewältigt steht er da, und hinzuknien
Ihn zwingt's, wie in des Morgens Dämmerhelle
Die Bilder Buonarotti's von den Wänden
Urweltlich groß auf ihn herniederschauen.
Von Menschen nicht, nein, von Titanenhänden
Aus Felsen sind die mächtigen gehauen,
Und ein Titanengeist hat sie geboren!
Wie ruht sie dort, in dunkeln Traum verloren,
Die alte Nacht, die, kaum dem Weltabgrunde
Entstiegen, das Geheimniß aller Dinge
In starrer Brust verschließt! Es ist, als ringe
Mühsam ein Odem sich von ihrem Munde,
In dem das erste Leben kämpft mit Tod.
An ihrer Seite auf dem Sarkophag
Halb aufrecht blickt der erstgeborne Tag
Dem jungen Licht entgegen und bedroht
Die Finsterniß, die noch mit ihren Falten
Ihn zu umschlingen trachtet – in der Ferne
Beim Zitterlichte untergehnder Sterne
Schaut er, wie Länder, Meere sich dem alten
Chaos entwinden – o! noch nie ein Andrer,
Nur Dante hat, der gotterfüllte Wandrer,
Durch Höll' und Büßungswelt und Himmelreich
Im Dichtungssturm zu Werken, diesen gleich,
Sich aufgeschwungen –

Und rings an der Wand
Die andern hehren Bilder! Hier Aurore,
Die aus den Locken über Meer und Land
Den Morgen schüttelt, während ihre Hand
Den Vorhang lüftet an des Tages Thore –
Die Abenddämmrung dort, so schwermutvoll,
Wie wenn sie der Campagna Tempeltrümmer
Umleuchtet mit dem letzten matten Schimmer. –
Ubald weiß nicht, wohin er schauen soll,
Kaum fassen kann er all die Herrlichkeit
Der neuen großen Welt, die ihn umfängt:
An diesem Bild bald, bald an jenem hängt
Sein Auge staunend; doch, als ob entweiht
Durch seinen Blick so Göttlich-Hohes würde,
War ihm zu Sinn; es wuchtete die Bürde
Der Schuld auf seiner Brust mit Centnerlast.
Noch einmal sah er auf; dann, schnell gefaßt,
Aus der Kapelle und aus St. Lorenz
Forteilend durch die Straßen von Florenz,
In seine Werkstatt trat er festen Schritts
Und schlug mit eines wucht'gen Hammers Rücken
Die Bilder all, die er geformt, zu Stücken,
Bis, wie zerschmettert von des Himmels Blitz,
Am Boden lag, was irgend er geschaffen,
Ein Wust zerstörter Statuen und Büsten.

Drauf von der Wand nimmt er des Vaters Waffen,
Geht, sich von Haupt zu Fuß in Erz zu rüsten,
Am Ponte Vecchio noch zu einem Schmied,
Schnürt sich in Panzermaschen jedes Glied
Und eilt ans Nordthor, wo von einer Schanze
Den Bau der Festung Buonarotti leitet.

Der Meister sieht verwundert, wie mit Lanze
Und Helm zu ihm heran ein Jüngling schreitet,
Und will kaum seinen Augen traun, so fremd
Erscheint er ihm. »Ist's möglich, mein Ubald,
Als Krieger du im ehrnen Panzerhemd,
Das Schwert des Vaters um den Leib geschnallt?
Komm an mein Herz!« Und ihn mit Ungestüm
Will er umarmen; doch, ins Angesicht
Dem Greis zu schauen, wagt der Jüngling nicht;
Auf Knieen hin zu Füßen sinkt er ihm
Und küßt die Hand dem hohen Angelo
Und liegt stumm, ohne Regung lange so.
Dann stürmt er zu Ferrucci's Heere fort,
Das bei Pistoja sich der Feindesmacht
Entgegenstemmt; und tapfer kämpfend dort
Gefallen ist er in der ersten Schlacht.


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