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Noch einmal steig empor im alten Glanz
Mit deinen goldnen Kuppeln von Byzanz
Und deinen Thürmen, die wie Minarete
Zum blauen Himmel ragen! Stadt der Städte,
Nicht so wie heute, wo in stummem Weh
Durch deine öden Straßen schluchzt die See,
Will ich dich schaun – nein, herrlich, wie du warst,
Als du den üpp'gen Lenz der Kunst gebarst,
Der, ob auch jede Blüthe sonst geknickt,
Uns noch mit Regenbogenpracht entzückt,
Phantastisch wie die Flut, aus deren Schaum
Du dich erhobst! – Ein bunter Märchentraum,
Ein Bau der Feen, aus dem fernen Osten
Zu uns getragen und auf Eichenpfosten
Ins Abendmeer gebannt, also vor mir,
Venetia, das Flügelleu'n-Panier
Weitflatternd ob der blauen Adria,
Mit deinen Siegstrophäen stehst du da.
Die Gärten seh' ich über den Kanälen
Und die Paläste, wo in reichen Sälen
Palma und Gian Bellin und Pordenone
Als Meister walten und hoch vom Balkone
Schwarzäugig, goldgelockt die hehren Frauen,
Die sie unsterblich machten, niederschauen.
Fast für der Menge flutendes Gedräng
Ist des St. Marcus Riesenplatz zu eng;
Zahllose reichgeschmückte Nachen wogen
Hin unter Brücken, deren mächt'ger Bogen
Vom Tritt der Käufer und Verkäufer hallt,
Und ringsher über die Lagunen wallt
Bis spät im Dunkel Gondoliergesang.
Dann vor den Fenstern Mandolinenklang,
Guitarrenton zu nächt'gen Serenaden
Und Liebesflüstern unter den Arkaden.
Heimkehrend aus Treviso, wo noch heut
Sein Meisterbild uns Aug' und Herz erfreut,
Fliegt in der Barke durch den Canal grande
Giorgione der Piazzetta zu. Am Strande
Erblickt er den geliebten Schüler schon,
Sebastian, seines todten Freundes Sohn
Und theuer ihm, als ob's sein eigner sei.
Bald in den Armen liegen sich die Zwei;
Begrüß und Wiedergruß und Druck von Händen
Und Frag' und Antwort wollen nimmer enden:
»Ein Jahr, o eine Ewigkeit dies Jahr,
Nicht sah ich dich! Wie schnell, wie wunderbar
Bist du erblüht! Als ich dich ließ, fast Knabe
Noch schienst du mir; jetzt, mit dem Feldherrnstabe
Gemalt, fürwahr gäbst du ein Gegenstück
Zu meinem Gaston mit dem Adlerblick.
Doch, mein Sebastian, nicht durch Schild und Lanze
Zu siegen trachte du! mit edlerm Kranze,
Wie ihn die Kunst auf würd'ge Stirnen drückt,
Sei einst gleich unserm Gian Bellin geschmückt!
Nun? warst du fleißig an der Staffelei,
Und sind die Heil'gen schon gemalt, die drei,
Von denen mir dein Brief berichtet hat?«
Auf alle Fragen, die der Meister that,
Empfing er von Sebastian Bescheid,
Und in des Jünglings freudigem Geleit
Hinschreitend längs der Riva der Sclavonen,
Von Neuem hebt er an: »Hier werd' ich wohnen,
Vor mir das blaue Meer und nah bei ihr,
Bei Angela! Ein Traum fast däucht es mir,
Daß sie, die vor der Seele anmuthvoll
Mir stets geschwebt, mein Auge schauen soll.
Als klein sie auf dem Arm hab' ich gehalten,
Von Jahr zu Jahr ihr Werden und Entfalten
Belauscht und ihre Kunst im Spiel der Laute
Stets wachsen sehn; schon mit dem Kind getraute
Kein Meister sich den Wettstreit einzugehn;
Und seh' ich nun die Jungfrau vor mir stehn,
Der Rose gleich, die aus der Knospe brach,
Wie wird mir sein? Bei ihrem Lautenschlag
Wie muß das Herz mir beben! Sieh, wir nahn
Der Schwelle; auf nachher, Sebastian!«
Betroffen bleibt, als so der Meister spricht,
Der Jüngling stehn, todbleich sein Angesicht;
Stumm in die Weite vor des Mädchens Haus,
Drin Jener eintritt, starrt er lang hinaus.
Aufsteigt Giorgione zum Gemache leise,
Wo seine Angela, seit früh schon Waise,
In Obhut braver Schiffersleute weilt.
Da horch! was hemmt, indeß er aufwärts eilt,
Den Schritt ihm plötzlich auf dem Corridor?
Ein Klang hallt aus dem Garten ihm ans Ohr,
Wie wenn der Wind durch Harfensaiten bebt.
Und lauter dann und immer voller schwebt
Der Ton herüber; jeglicher Akkord
Ist wie ein Seufzer, wie eine Klagewort
Sehnsücht'ger Liebe; solche Töne waren
Dem Mädchen fremd gewesen, als vor Jahren
Sie oft ihm seine Lieblingsmelodien
Gespielt, indessen mit dem Tamburin
Die Freundinnen beim lust'gen Klang der Schelle
Umhergehüpft im Tanz der Tarantelle.
Zu singen nun beginnt sie; leise schleicht
Er in das Gärtchen ein, sein Tritt so leicht,
Daß nichts die Sängerin, die in ihr Lied
Versunkene, gewahrt. Sie ist's; er sieht,
Durch ein Gebüsch vor ihr versteckt, die Holde,
Die einzig Theure, von der Locken Golde
Das Haupt umwallt; was er im kühnsten Traum,
Als mählig sie erblühte, ahnend kaum
Gehofft, nun steht es herrlich und vollendet
Vor seinem Blicke da, der wie geblendet
Hin über all die Wunderreize streift.
Wie des Granatbaums Frucht, die vollgereift
Herniederfällt noch eh die Hand sie pflückt,
Wird ihm dies Mädchen sein. Er schaut entzückt
Das schöne Antlitz, blaß gleich dem Jasmine,
Halb hingesunken auf die Mandoline,
Der liebetiefen Augen zartes Braun,
Draus süße Schauer auf ihn niederthau'n;
Er hört, wie, ihrer tiefsten Brust entquollen,
Die Stimme sich im sanften, seelenvollen
Gesange auf den Saitenklängen wiegt.
»Mir gilt dies Lied; zu mir fernhin nun fliegt
Ihr der Gedanke; hab' ich doch das Kind,
In ihm die Jungfrau ahnend, schon geminnt
Und ihr noch halb im Scherze zugeschworen,
Daß ich zu meiner Braut sie auserkoren;
Sie zeigte früh mir schon im kind'schen Spiel,
Daß auch in ihrem Herzen ein Gefühl
Der Liebe nach und nach für mich erwachte;
Selbst wenn sie spottete und wenn sie lachte,
Nie ward ich irr an ihr, und überreich,
So wie in Blüthenpracht der Mandelzweig,
Hat nun zu ihrem alten Spielgenossen
In Liebe ihre Seele sich erschlossen.«
Er denkt's und will die Arme nach ihr breiten;
Was hemmt ihn plötzlich da? Zum Klang der Saiten
Tönt es: »o mein Sebastian!« an sein Ohr,
Und »mein Sebastian!« nochmals, wie zuvor,
Hört er sie seufzen in der Liebe Weh.
So wie dem Wandrer im Gebirg, wenn jäh
Bei Nacht ein Blitzstrahl vor ihm niederfällt
Und grausenvoll des Abgrunds Schlund erhellt,
An dem er steht, ist ihm bei diesem Wort.
Er stürzt wie sinnlos aus dem Garten fort,
Und Angela erhebt das Haupt voll Schreck;
Erst jetzt ihn sieht sie, wie er dem Versteck
Entflieht; sie eilt ihm nach, sie will ihn rufen,
Doch schon ist er hinab die Treppenstufen.
Von Platz zu Platz, Kanale zu Kanal,
Rastlos getrieben von der Seelenqual,
Eilt durch Venedigs Gassen-Labyrinth
Der Meister hin – vergebens, er entrinnt
Den marternden Gedanken nicht: betrogen!
Von Denen, die er liebevoll erzogen,
Schmachvoll getäuscht! Kein Zweifel, der noch bliebe;
Gestohlen hat Sebastian ihm die Liebe,
Nach der er all sein Glück auf Erden maß.
Er denkt, wie bei dem Namen Angela's
Sein Schüler bleich sich abgewendet hat,
Und neues Zeugniß ist's für den Verrath.
»Der Schändliche, der Alles mir verdankt,
Der mählig sich an mir emporgerankt,
Wie Epheu an dem Stamm! Doch in sein Nichts
Zurück werd' ich ihn schleudern, Angesichts
Von ihr, zu der sich seine Blicke huben,
Den Frechen züchtigen gleich bösen Buben!
Ei, wie es kost, das junge Liebespaar;
Wie mag Giorgione auch, dem bald das Haar
Ergrauen wird, sich thöricht unterfangen,
Mit solchem Milchgesicht von Rosenwangen
Den Wettkampf einzugehn? Doch kann sich's fügen,
Du holde Unschuld mit den Engelszügen,
Daß du mit dem Betrogenen, Verschmähten,
Gezwungen wirst vor den Altar zu treten.
Du wolltest meine Liebe nicht, wohlan,
Laß sehn, was ich von dir ertrotzen kann!«
Gejagt vom wilden Sturme der Gedanken,
Rastlos forteilt er, seine Tritte schwanken,
Und auf der Stirn ihm liegt's wie Blei so schwer.
Ihm ist, als ob ein nächt'ges Geisterheer
Mit dunkeln Flügeln ihm das Haupt umschwirrte,
Und sinnberaubt zuletzt sinkt der Verirrte
Hin vor dem Thor von St. Johann und Paul.
Schon auf den zack'gen Höhen von Friaul
Verglomm der Tag; allmählig seine blassen
Lichtstrahlen durch die volkerfüllten Gassen
Ergießt der Mond: da zieht ein muntrer Schwarm
Von Malern, aus der Werkstatt Arm in Arm
Heimkehrend, an dem Kirchenthor vorbei;
Sie forschen, wer der Hingesunkne sei;
Hinab sich beugen sie und schaun erschreckt,
Wie reglos auf den Boden hingestreckt
In Fieberglut mit halbgeschwundnen Sinnen
Der Meister liegt. Sie tragen ihn von hinnen
Und legen den Erkrankten, der nur matt
Noch aufblickt, sorgend auf die Lagerstatt.
Früh Morgens hört Sebastian mit schwerer
Betrübniß, was geschehn; hin zu dem Lehrer
Eilt er voll Angst und trifft ihn auf den Pfühl
Starr hingebannt; die Schläfe fiebert schwül,
Im Antlitz wechselt Todtenblaß und Roth,
Und durch die Adern pocht's wie naher Tod.
Auch Angela fliegt tiefbewegt herbei,
Und sorgend, pflegend weilen nun die Zwei
Am Bett des Kranken, selbst die Nächte wach.
Sie spähn jedwedem seiner Züge nach,
Ob sich nicht Hoffnung zur Genesung zeigt;
Bald er, bald sie hin über ihn geneigt,
Aufhorchen sie, wie er, vernehmbar kaum,
Von seinen Qualen spricht im Fiebertraum,
Und sengend, wie ein Pfeil von glühndem Erz,
Bohrt jedes Wort sich in ihr tiefstes Herz.
Zu reden nicht noch athmen wagen sie,
Mit Blicken nur einander klagen sie,
Daß schwerer er und immer schwerer krankt.
Lang so am Grabesrand hat er geschwankt;
Da einst, als durch das Fenster, rebumgittert,
Der erste Lichtstrahl auf sein Lager zittert,
Scheint es, daß minder heiß die Stirne glühe.
Entschlummert liegt er sanft im Schein der Frühe,
Und nieder knien die Beiden im Gebete,
Dem Himmel für des Meisters langerflehte
Genesung dankend. Zu dem Mädchen leise
Spricht dann Sebastian: »Eine arme Waise,
Ob auch von anderm Elternpaar geboren,
War ich wie du; fremd standen wir, verloren
In dieser weiten Welt; wer bot uns da
Die Rettungshand? Wer – sag es Angela –
Hat unsre Kindheit liebevoll gehegt?
Muß ich ihn nennen erst, der uns gepflegt
Und vor des Lebens rauhem Sturm gehütet?
Wie Frühlingsluft, die über Knospen brütet,
Umgab uns seiner Liebe warmer Hauch,
Und, wie zwei Blüthen an demselben Strauch,
Erschloß in seines Geistes Sonnenscheine
Der Kunst sich deine Seele wie die meine;
Er war es, der die kleine Hand mir führte,
Als sie noch kaum den schweren Stift regierte;
Er spannte dir zuerst der Leier Saiten
Und lehrte dich, ihn beim Gesang begleiten.
Alles, ja Alles, was wir sind und haben,
Ihm schulden wir's, und nun für all die Gaben
So brächten wir ihm Dank? Du hast gehört,
Was für ein Gram ihm an der Seele zehrt;
Geloben laß uns drum: wenn im Geheimen
Gefühle, Wünsche uns im Herzen keimen,
Die Andres wollen, als was ihn beglückt,
In der Geburt schon seien sie erstickt!
Treu werd' ich dir, wie in der Kindheit Jahren,
Die Liebe, die ein Bruder fühlt, bewahren;
Allein bei dir und in Venedig ist
Für mich nicht ferner mehr zum Bleiben Frist:
Ich will nach Rom und, nur der Kunst geweiht,
Vergessen, daß noch andre Seligkeit
Auf Erden ist. Doch du, wenn wir uns trennen,
O Schwester – so muß ich fortan dich nennen –
Bleib hier zurück an unsres Meisters Seite!
Jedwedem, auch dem kleinsten Wunsch bereite
Erfüllung, den dein Blick im Aug' ihm liest,
Und wenn es ganz von Wonne überfließt,
So denk, daß glücklich du auch mich gemacht!
Gelobst du mir's? Doch, weil er sonst erwacht,
Sprich leise!« –
Angela, die Hand ihm reichend,
That das Gelübd'; in Thränen und erbleichend
Sank sie dem Jüngling an die Brust, und lange
Umarmt sich hielten Beide Wang' an Wange,
Indessen um des Schlummernden Gesicht
Ein rosig Lächeln spielt im Morgenlicht.
Allmählig fühlt Giorgione sich genesen;
Vom Lager, drauf er lang gebannt gewesen,
Erhebt er sich in mancher Stunde schon,
Um, in dem Sessel lehnend, vom Balkon
Die frische Luft des Meeres einzusaugen,
Sich zu ergötzen, wie vor seinen Augen
Die hehre Stadt mit seedurchströmten Gassen,
Palästen, Inseln, Tempeln und Terrassen
Leuchtend emporsteigt, und den Glockenspielen
Zu lauschen von den schlanken Campanilen.
Wie also wieder Kraft und frischer Mut
Ihm durch die Adern strömte, wie die Flut
Des jungen Lebens mächtig nach und nach
In ihm aus halb versiegten Quellen brach,
Schwand mit dem Fiebertraum auch der Verdacht,
Der ihn geängstet, hinter ihm in Nacht,
Gleich einem Wetter, welches fern verrollt.
So liebevoll war Angela, so hold!
Mit blassem Schein auf ihren Zügen lagen
Die Sorgen noch, die sie um ihn getragen;
Erst an der Röthe seiner Wange glühte
Auch ihre hoch und höher auf, als blühte
Genesend sie dem Leben neu entgegen.
Und wider sie den Argwohn konnt' er hegen?
Der Jüngling auch, der Tag für Tag aufs Neue
Ihm seine Liebe zeigte, seine Treue,
Wie hatt' er ihn so ungerecht verkannt!
Und als Sebastian gar vom Tiberstrand
Ihm sprach, daß er der Heimath Lebewohl
Nun sagen wolle, um ans Kapitol
Zum hohen Meister Michel Angelo
Zu ziehn, da, seliger Gewißheit froh,
Glaubt er an eines neuen Lebens Schwelle
Zu stehn, durch dessen Frühlingssonnenhelle
Ihn das geliebte Mädchen führen werde.
Bald auch, daß sie das höchste Glück der Erde
Mit ihrer Hand ihm schenke, bat er sie,
Und süßer als die schönste Melodie,
Zum Lautenklang gesungen, scholl das Ja
Ihm von den Lippen seiner Angela.
Selig Giorgione nun, der edle Meister!
Wie jubeln ihm verjüngt die Lebensgeister,
Seitdem er in den Augen seiner Braut
Glanzvoll die Welt zurückgespiegelt schaut!
Wie, denkend, daß er bald sich ihr vermähle,
Erbebt in freud'ger Hoffnung seine Seele!
Vereinen soll der Tag der Auferstehung
Die Beiden am Altar, und nach Begehung
Des Festes wird zur Stadt, die ihn gebar,
Nach Castelfranco, das beglückte Paar
Der Nachen tragen, während fern hinüber
Zur alten Weltgebietrin an der Tiber
Sebastian für immer scheiden will.
Inzwischen, o wie lieblich der April!
Vorboten schon vom nahen Osterfeste,
Herwehen von der Brenta milde Weste,
Und da die Frühlingssonne wärmern Strahl
Herniedergießt, um Hafen und Kanal,
Lagune, Meer und Inseln zu vergolden,
Schweift an der Seite Angela's, der holden,
Und neben sich den Jüngling als Begleiter,
Giorgione durch die Stadt dahin. Bald heiter
Die lieben Plätze sucht er wieder auf,
Wo er die andern Knaben oft im Lauf
Besiegt hat oder den Ballon geschlagen;
Bald, in der Gondel sanft dahingetragen,
Sieht er die Säulen mit den wehnden Fahnen,
Die an bezwungne Königreiche mahnen,
Die Tempel und die bleigedeckten Dome
Wie traumhaft tauchen aus dem Wellenstrome,
Indeß fernhin die blauen Euganeen
Gleich zack'gen Inseln aus der Flut erstehen.
Doch wenn auf Stadt und Meer und Prachtgebäude
Sein Blick geschweift und er des Herzens Freude
Mit den Begleitern theilen will, warum
In sich versunken schlagen sie so stumm,
Als bebten sie vor ihm, die Augen nieder?
Er bittet Angela, daß sie die Lieder
Ihm singen soll, die ihm vor allen lieb.
Zur Laute greift sie wohl; allein wo blieb
Die alte Meisterschaft? Sie bebt, sie stockt,
Die Klänge, die den Saiten sie entlockt,
Verschmelzen nicht harmonisch zu Akkorden.
Sebastian auch, ein Andrer ganz geworden
Ist er als einst: der alle die Genossen
Durch Scherze sonst ergötzt und Spiel und Possen,
Als wär' es Carneval das ganze Jahr,
Nun ist der Mund ihm jedes Lächelns baar;
Und wie der Festtag näher rückt, so minder
Erkennt der Meister noch die frohen Kinder
Von ehedem; was mag sie nur betrüben?
Sie zu erlust'gen, an den Lido drüben
Fährt er mit ihnen, wo die öden Dünen
Nun in dem Hauch des Lenzes blühn und grünen,
Zur Riva führt er sie, wo buntgemengt
Das Volk sich rings um den Erzähler drängt,
Und Abends auf den Markusplatz, den weiten,
Von Lampen flimmernden, wo an den Seiten
Auf den Gerüsten sich in scheck'gen Trachten
Die Masken tummeln, die stets neu belachten;
Allein nicht Truffaldin noch Pantalon
Erheitert sie. Wohl sucht den muntern Ton
Von sonst der Jüngling, wohl zum Lächeln zwingt
Das Mädchen sich – vergebens, es mißlingt,
Und mehr und mehr – der Meister sieht's mit Bangen –
Verblühn die Rosen auf der Beiden Wangen.
Erschienen ist Venedigs schönster Tag,
Das Palmenfest. Es bebt vom Ruderschlag
Die Flut in den Lagunen und Kanälen;
Hin durch die Brücken, an den Hafenpfählen
Vorüber, die im Morgenlichte glühn,
Wie wogen, reich bekränzt mit Frühlingsgrün,
Ins Meer hinaus die buntbeflaggten Nachen!
Aus jedem schallt Gesang und Scherz und Lachen
Von schönen Frauen, die, im Arm die Cither,
Den Frühling grüßen, während schmucke Ritter,
Umflutet von den goldnen Lockenringen,
Mit Schmeicheln ihren schlanken Leib umschlingen.
Kaufherrn bei Jünglingen altedlen Stamms,
Bildhauer, Maler,
die im seidnen Wamms
Mit weißer Feder auf dem Sammtbaret,
Im Mantel
die mit Degen und Stilet,
Zur Brenta schiffen sie im frohen Zug;
Und jenes Boot, an dessen Vorderbug
Die Muschelhörner blasen Meertritonen,
Kennt ihr das zierliche? Es trägt Giorgionen
Und jene Zwei, die nie von ihm getrennt.
Leichthin durch das beschäumte Element
Zur Küste schwebt die Gondel in den stillen,
Tiefklaren Strom, in dem die weißen Villen,
Die Gärten sich und Rebgelände spiegeln. –
Ans Ufer nun! Schon auf den üpp'gen Hügeln
In muntern Gruppen schweift das Volk umher;
Die sonst nur Himmel schaun und Stadt und Meer,
Jetzt, an den Halden junge Blumen pflückend,
Mit frischer Zweige Grün das Haupt sich schmückend,
Lustwandeln sie durch die Orangengärten,
Mit ihrem Tritt die grünlichen Lacerten
Aufscheuchend, die sich an den Mauern sonnen.
Von Fröhlichen, die an den Sprudelbronnen
Und unter breitem Schattendach der Pinien
Sich lagern, sind weithin erfüllt die Vignen,
Die Myrtenlauben am Gestad der Brenta;
Es perlt der Wein, es duftet die Polenta,
Zum Tanze ruft das wilde Tamburin,
Und Paare, die sich suchen oder fliehn,
Hinauf, hinunter schwingen um die Wette
Sie sich beim lust'gen Schall der Castagnette.
Giorgione wandelt fern der lauten Menge
Mit jenen Beiden durch die Laubengänge;
Obgleich so nah an seiner Wünsche Ziel,
Er fühlt: Der Freudenklang und Scherz und Spiel
Sind nicht für ihn, noch sie. Bald in den Wald,
Wohin nur matt des Jubels Stimme schallt
Und kühler Schauer auf sie niedertrieft,
Sich flüchten sie; in Sinnen ganz vertieft,
Bricht ihrer Einer selten nur das Schweigen
Mit hingeworfnem Wort, dann neu besteigen
Zur Heimfahrt nach Venedig sie das Boot.
Rasch geht die Fahrt; schon glüht das Abendroth
Durch Purpurrauch der Wolken, als ergösse
All ihre Flammenwirbel eine Esse;
Hinwogt's in feur'gen Streifen auf den Wellen
Und sprüht ostwärts zum Horizont in hellen
Lichtgarben, daß Venedigs Thürmespitzen,
Kuppeln und Säulen in dem Goldglanz blitzen.
Doch mit der Sonne, da sie sinkt, schnell taucht
In Dunkel Alles; nur noch leise haucht
Die Nacht, als ob sie schlummernd Athem hole;
Zum Ruderschlag ertönt die Barcarole
Des Gondoliers, indessen sanft der Kahn
Hinschwebt auf kaum bewegtem Meeresplan.
Stumm läßt Giorgione aus der Gondel vorn
Beim Lichte, das aus seinem Silberhorn
Der junge Mond ergießt, das Auge schweifen.
Da, wie ihm träumend die Gedanken streifen,
Fällt ihm der Blick auf Angela: sie liegt
Halbschlummernd in Sebastians Arm geschmiegt,
Das Haupt an seine Brust zurückgelehnt;
Des Jünglings Auge aber ruht bethränt
Auf ihr; er trinkt, hin über sie geneigt,
Den süßen Duft, der ihrem Mund entsteigt,
Und Seufzer haucht er aus in Seelenqual,
Da er sich sagt, daß nun zum letzten Mal
Er die Geliebte so im Arme hält,
Um in die weite, unbekannte Welt,
Die kalte, bald für immerdar zu scheiden.
Lang schaut Giorgione sinnend auf die Beiden,
Dann spricht er vor sich hin: »Könnt' ich bethört
Den Schatz begehren, welcher ihm gehört?
Der Jüngling, meines liebsten Freundes Sohn,
Um meinethalb, dem schon der Lenz geflohn,
Sollt' er des Lebens Herrlichstes verscherzen?
Und an des Mädchens fünfzehnjähr'gem Herzen,
Das in dem seinen eben Wurzeln schlug
Und knospend sich erschloß, übt' ich Betrug?
Was kann ich anders bieten ihr als Trümmer?
Umsonst wär's, aus der Asche flücht'gen Schimmer
Zu fachen, wenn der Flamme Glanz verglüht.
Für mich nicht ist's, daß ihre Jugend blüht;
Ein Frühlingswetter, nicht das Sturmgetose
Des öden Herbstes breche diese Rose!«
Hintritt er zu dem Paare; süß erschreckt
Erhebt sich Angela, vom Schlaf erweckt,
Und Beide staunen sprachlos, wie er spricht:
»Verhehlt mir länger eu'r Geheimniß nicht,
Ihr Vielgeliebten! Heil und Frieden sei
Mit euch in eures Lebens süßem Mai!
Zum Himmel fleh' ich, daß aus reinstem Blaue
Er huldreich, immer lächelnd, auf euch schaue
Und Glück in Fülle auf euch niederregne,
So wie ich euern Bund von Herzen segne!
Erfahr, Sebastian! wisse, Angela!
Der Tag, der eure Wünsche krönt, ist nah:
Am Osterfest sollt ihr, ein frohes Paar,
Im Marcusdom hintreten zum Altar.«
Des Meisters Hand mit Thränen netzend, knieten
Die Beiden, um ihm ihren Dank zu bieten,
Entzückenstumm vor ihm, indeß im Flug
Das Boot sie wieder an die Riva trug.
O Frühling, senktest du dich je zuvor
So zauberisch im Abendpurpurflor
Hernieder auf die Königin der Meere,
Wie heut, da zu des jungen Paares Ehre
In Festesschmuck Giorgione's Villa prangt?
Mit blassem Scheine ob den Gärten hangt
Die Mondesampel schon; allein noch sprüht
Vom Horizont empor bis zum Zenith
Der Spätrothglanz, und durch den Himmel ist
Ein ros'ger Schimmer, klar wie Amethyst,
Ergossen, der durch duft'ge Nebelschleier
Auf Meer und Inseln hinströmt. Von der Feier
Im Marcusdome drängen sich die Gäste
Durchs Villenthor heran zum Hochzeitsfeste.
Entlang den Laubengang, wo nur verirrte
Lichtstrahlen dringen durch das Grün der Myrte,
Hinauf die Treppe, über Marmorfliesen
Wogt's in die Halle, wo bis zu den Friesen
Empor Giovanni's heitre Arabesken
Sich schlängeln und Giorgione's Götter-Fresken
(Wer weiß gleich ihm in Farbenglut zu malen?)
Glorreich hernieder von den Wänden strahlen. –
Sieh da, der Meister selbst! An seinem Arm
Führt er die Neuvermählten durch den Schwarm
Der Grüßenden dahin, und aus der Halle,
Ihm folgend, in den Garten treten Alle,
Wo Marmorbilder aus Granatenbüschen
Die weißen Glieder heben und dazwischen
Im Abendschein der Strahl des Springquells blinkt,
Der bald aufsteigt, bald in das Becken sinkt.
Auf Goldsandpfaden am Lagunenbett,
Das in der Wogen tiefem Violett
Die ersten Sterne spiegelt, durch die Gänge
Hochwipfliger Cypressen wogt die Menge
In langen Reihn; o welche Festgenossen!
Hat je ein Gartenraum mehr Ruhm umschlossen?
Nur Wen'ge nenn' ich. Dort im rothen Sammt
Der Jüngling, dessen Blick so mächtig flammt,
Er ist's, den schon als Knaben ferne Länder
Mit Ehrfurcht nannten, Tizian, der Vollender
Von Allem, was Giorgione nur erstrebt;
Hold flüsternd an des Hohen Seite schwebt
Das Götterweib, die schöne Violante,
Die er unsterblich auf die Leinwand bannte,
Ein Staunen und ein Wunder aller Zeiten.
Nicht fern ihm durch die Lorbeerhecken schreiten
Der Stolz Venedigs, Palma, der erlauchte,
Der in das Morgenroth den Pinsel tauchte,
Als er in St. Marie auf dem Altare
Die Barbara gemalt, die wunderbare.
Dort Gian Bellin, der Greis, so sanft und mild
Wie seine Engel auf dem hehren Bild
In St. Johann – beklagenswerth, ihr Spätern,
Euch nenn' ich, daß ihr nie mehr, gleich den Vätern,
Es schauen werdet: ach, verzehrt von Flammen,
Sank jüngst die ganze Herrlichkeit zusammen!
Zu nachten nun beginnt es; hochauf strahlen
Die Fackeln auf den Marmor-Piedestalen,
Und an der Tafel unterm Rebengitter
Mit ihren Damen nehmen Platz die Ritter,
Giorgione nächst dem Neuvermählten Paar.
Im Hochzeitglanz, Juwelenschmuck im Haar,
Prangt Angela, allein noch heller leuchtet
Ihr Auge, von der Freude Thau gefeuchtet,
Da mit dem ihren sich Sebastians Blick
Begegnet und das wonnige Geschick
Ihr kündet, das, aus süßer Gegenwart
Zu süßrer Zukunft führend, ihrer harrt.
Zu voll von Seligkeit ist ihr Gemüth,
Als daß in Worten sie, was in ihr glüht,
Ihm künden könnte; mit beredtem Schweigen
Sagt nur ihr Antlitz, daß sie ganz sein eigen. –
Von bunter Lampen Schimmer unterdessen
Erglühn die dunkeln Wipfel der Cypressen;
Daher vom Meer, wo leichte Gondeln gleiten,
Schallt Lachen und Gesang und Klang von Saiten,
Und durch das Nachtazur, das tiefe, schießend,
Sprühn, rothe Flammen auf den Garten gießend,
Leuchtkugeln himmelan. Der Festesluft
Erschließt sich mehr und mehr der Gäste Brust,
Die Herzen heben sich in höhern Schlägen;
Es weckt der Cyperwein (wie Frühlingsregen
Lenzdüfte lockt aus wucherndem Gestäude)
In jeder Seele die verborgne Freude.
Da nimmt beim Wiederfüllen des Pokals
Tizian das Wort: »Nun ziemt dem Wirth des Mahls,
Den Beiden, welche dieses Festes Krone,
Ein Lebehoch zu bringen.« Auf Giorgione
Schaun Alle und erschrecken, denn todblaß
Sitzt er mit starrem Blicke. »Meister, was,
Um Gott, was ist's? – Als sollte die Cypresse
Bald seine Gruft beschatten, lagert Blässe
Schreckbar auf seinem Antlitz.« Plötzlich bebt
Bei diesem Wort Giorgione, er erhebt
Das Auge, sucht zum Lächeln sich zu zwingen
Und ringt sich, um das Lebehoch zu bringen,
Vom Sessel auf, doch sinkt ermattet wieder
Zurück, kalt, ohne Regung alle Glieder.
Die Lust verstummt; ein Flüstern geht, erst leis,
Dann laut und lauter durch der Gäste Kreis:
»Weh! von der Krankheit, der die Jugendkraft
Ihn kaum entriß, neu wird er hingerafft!«
Um den Dahingesunkenen verstört
Sich drängen Alle: »Kommt doch zu Euch, hört!
Hört, edler Meister! Nein, er regt sich nicht;
Schafft Hülfe, schnell! Des hellsten Sternes Licht,
Die schönste Perle in des Dogen Krone
Verlöre dieser Freistaat in Giorgione!«
Durch ganz Venedig fliegt von Mund zu Munde
In Hütte wie Palast die Trauerkunde:
Dahingerafft vom jähen Tode sei
Der Meister, unter dessen Hauch ein Mai
Der Kunst am Strand der Adria erblüht,
Wie keiner, gleich von Farbenpracht durchglüht,
Gleich duftreich noch auf Erden sich entfaltet.
»So soll denn diese Rechte, nun erkaltet,
Der Faune trunkne Lust bei Bacchanalen,
Ariadne's Liebesweh uns nie mehr malen;
Uns nie des Himmels Glorie mehr erschließen,
Daß wir schon hier der Sel'gen Glück genießen;
Uns nimmer mehr die Thäler von Cadore
Herzaubern, wo mit siebenfachem Rohre,
In breiter Fichten Schatten hingestreckt,
Der Ziegenhirt des Berges Echo weckt?«
Als ob der Stadt fortan ihr Liebstes fehle,
Schwebt mit den Gondeln über die Kanäle
Die Klage so; doch tröste dich, Venedig!
Dein Genius schützte dir den Liebling gnädig;
Dem Tod nicht gönnt er, ihn dahinzuraffen,
Bis er ein letztes, größtes Werk geschaffen
Und noch einmal mit Kraft des Alpenaars
Den Sonnenflug gewagt.
Nur Ohnmacht war's
Gewesen, was ihm tief den Sinn umwoben;
Zu neuem Leben hat er sich erhoben.
Doch wenn er sonst im Kreis der Freunde gern
Bei Scherz und Spiel geweilt, nun menschenfern
Streift er allein auf abgelegnem Pfade;
Nur mit den Wogen, die sich am Gestade
Der Adria, dem hochbeschäumten, brechen,
Im Sturm hinüberrudernd, mag er sprechen.
Wohl, wenn ihn der Genossen einer fragt,
Ob er erkrankt, ob Gram sein Herz zernagt,
Sucht er mit heiterm Blick den Schein der Trauer
Hinwegzutäuschen; doch auf kurze Dauer
Nur führt er irr den Freunden die Gedanken;
Sie sehn ihn mehr und mehr gleich Schatten schwanken
Und ahnen mit bekümmertem Gemüthe,
Daß hingewelkt ihm sei die Lebensblüte.
Der Schmerz, der ihm in jäher Uebermannung
Plötzlich geraubt der Lebenskräfte Spannung,
Der Gram um hingeschwundnes Lebensglück
Umflort ihm noch die Seele wie den Blick
Mit düsterm Schleier; aber, gleich wie hell
Durch Nebelwolken, ein lebend'ger Quell
Von Strahlenglanz, des Herbstes Sonne bricht,
So ringt sein Geist sich endlich klar und licht
Aus all der Nacht empor, und wieder glättet
Sich seine hohe Stirn, daß sanft gebettet
Auf ihr der Friede ruhe. – Wochen schon
Sind ihm, seit er Sebastian sah, geflohn,
Da tritt der Jüngling mit gewohntem Gruß
In sein Gemach. »Hört, Meister, den Entschluß,
Den ich gefaßt! Mit banger Sorge quält
Das Leiden mich, das Ihr umsonst verhehlt;
Und tiefer noch ist Angela bekümmert,
Mit Euch ja würd' uns alles Glück zertrümmert.
Drum laßt uns sorgend, pflegend bei Euch weilen!
Vielleicht, wenn wir auch nicht Eu'r Leiden heilen,
Doch helfen wir Euch, daß Ihr's leichter tragt!
Schon haben wir der Fahrt nach Rom entsagt.«
Zu ihm Giorgione: »Freund, die Sorge scheuch!
Für immerdar so glücklich wünsch' ich euch,
Wie ich es bin! Ich fühle frische Kraft
Durch meine Adern rinnen, gleich dem Saft,
Der, in den Reben gährend, feur'gen Most
Zum Herbst verheißt! Neu steigt in mir und sproßt
Der alte Schöpfungsdrang empor, und ganz
Genes' ich bald, wenn erst in Farbenglanz
Ein neues Bild aufblüht von meiner Hand.
Lang war ich von der Staffelei verbannt;
Mich treibt das Herz, dahin zurückzukehren,
Und, Freund, du mußt mir einen Wunsch gewähren:
Daß ich dein Weib, daß Angela ich male.
Den ganzen Schmelz aus meiner Farbenschale
Und meiner Seele ganze Glut will ich
Ausströmen auf dies Bild, das jugendlich
Noch, wenn uns längst die Todtenglocke scholl,
Den künftigen Geschlechtern strahlen soll.
Ja, hehr will ich, und mög' ich dann erblassen,
Dies Weib durch alle Zeiten strahlen lassen,
Daß noch die späten Enkel mit Entzücken
Empor zu ihrem Wunderbilde blicken
Und ins Geheime sich mit Neid gestehen:
Wir werden lebend keine Gleiche sehen! –
Wenn ich das Werk vollendet, laß uns scheiden;
Zum großen, ew'gen Rom zieht hin, ihr Beiden!
Auf eurem Haupte ruht mein wärmster Segen,
Und stolz klopft mir das Herz in höhern Schlägen,
Zu denken, wie sich dort in kühnem Schwung
Dein Geist erheben wird. Kraftvoll und jung,
Sebastian, bist du noch und darfst nicht zagen,
Des Genius höchsten Adlerflug zu wagen,
Der mir vergönnt nicht ward. Was lieblich nur
Und sinnbestrickend ist in der Natur,
Das war das Reich, in welchem ich gewaltet,
Und Zauberbilder hab' ich so gestaltet,
Wie sie der Pinsel nie zuvor erschuf.
Doch an die Kunst ergeht ein andrer Ruf;
Vom Irdischen soll sie empor sich ringen
Und in die ew'ge Welt auf mächt'gen Schwingen
Empor die Seele tragen. Zieh nach Rom,
Sebastian! Dort nächst St. Peters Dom,
Der hoch und höher zu den Wolken strebt,
Die Marmorstufen steig hinan! Dir bebt
Das Herz, als stünd'st du an des Himmels Schwelle,
Denn vor dir liegt die einzige Kapelle,
Die göttliche, die selbst der Unerschaffne
Mit seinem Athem füllt – mit Muth denn waffne
Dein Herz, damit die Größe der Gesichte,
Die drinnen deiner harrt, dich nicht vernichte!
Und hast du dich geweiht, dann eingetreten
Zur Decke blick empor, wo die Propheten
Und die Sibyllen mit den mächt'gen Brau'n
Wie vom Beginn der Zeiten niederschaun
Und überm Meer, dem schöpfungsturm-geschwellten,
Unnahbar groß er selbst, der Herr der Welten,
In Allmacht schwebt, den schnaubenden Orkan
Am Zügel führend und die hehre Bahn
Den jungen Sonnen weisend – im Beginn,
Sebastian, wohl verzagen wird dein Sinn,
Wenn über dir dies neue Gottesreich
Der Kunst aufgeht und, Sternenbildern gleich,
Sich dir all die gigantischen Gestalten,
Des Genius höchste Schöpfungen, entfalten;
Doch Tag für Tag dort pilgre hin und stähle
Den Geist an Buonarotti's Riesenseele,
Die vom Gewölb auf dich heruntersieht,
Bis du, in stiller Andacht hingekniet,
In dir die neue Weihe fühlst, und Stärke
Und Muth gewinnst zum eignen großen Werke!
Zu deiner Angela dann kehr zurück,
Und reifen mag durch ihrer Liebe Glück,
Wie Trauben an der Sonne Flammenherd,
Die Frucht, die dir der Genius beschert!
Und nun, geliebter Schüler, schwör' mir du
Mit heiligem Gelübd und Handschlag zu,
Treu zu erfüllen, was ich dir geboten,
Als wär's der letzte Wille eines Todten!
Für Alles, was ich je an dir gethan,
Sei das der Dank. O mein Sebastian,
Sohn meines Leo, mehr als du gedacht,
Der Opfer größtes hab' ich dir gebracht,
Doch freudig that ich's – dieses Eine nur
Will ich als Lohn. Nun? leistest du den Schwur?«
Und schluchzend zu des Meisters Füßen sinkt
Der Jüngling nieder; ihm im Auge blinkt
Das helle Naß der Thränen, lautlos preßt
Er statt des Schwurs Giorgione's Rechte fest
In seine Hand; stumm liegen dann im warmen
Herzenserguß die Zwei sich in den Armen.
Beim Frühroth schon rafft von der Lagerstätte
Der Meister sich empor, um die Palette
Zum Tagewerk zu rüsten – sieh, und bald
Naht Angela, vom Lockenhaar umwallt,
Das um die Schultern in gelösten Flechten
Herniederrollt, die Laute in der Rechten,
Schön wie die erste Rose, die dem Mai
Ihr duftend Herz erschließt! Der Staffelei
Genüber, wo der Sessel ihr bereitet,
Hinlehnt sie, und die weiße Rechte gleitet
Sanft ob den Saiten, daß mit leisem Schall
Töne auf Töne, wie im Wiederhall
Von ihres Herzens Träumen und Empfinden,
Sich zum Akkord, zur Melodie verbinden. –
Giorgione schaut indeß vom Malgerüste
Ins Antlitz ihr, das morgenlichtgeküßte,
Ins tiefe, dunkelglühnde Augenpaar,
In welchem ihre Seele wunderbar
Gespiegelt schwebt. Um aus des Mädchens Zügen
Ein Bild, dem keins sich messen kann, zu fügen,
Gönnt er, durch alle Farbentöne meisternd,
Sich an dem Anblick immer neu begeisternd,
Bis spät sich keine Rast; wenn überwacht
Sein Auge kurz sich schließt, um Mitternacht
Ersehnt er wieder schon die Morgenröthe,
Daß ins Gemach zu ihm die Holde trete
Und ihm durch ihrer Laute süße Töne
Den letzten Zwiespalt in der Brust versöhne.
So, wie er Tag für Tag am Werke schafft,
Scheint er verjüngt in neuer Lebenskraft
Emporzublühn, sein Auge leuchtet klarer,
Da immer herrlicher und immer wahrer
In Farb' und Formenfülle ihm das Bild
Der Lautenspielerin entgegenquillt.
Wie schön das Weib auch sein mag, das er liebt,
In höherm Glanz, als ihn die Erde gibt,
Strahlt dies ihr Bild, von seinem Geist verklärt;
Denn an der Seele Born hat er's genährt,
Es mit des eignen Lebens Hauch getränkt,
Und, mit Unsterblichkeit von ihm beschenkt,
Wird nun, von allen Erdenschlacken rein,
Aus seiner Seele neu zu höherm Sein
Geboren, dieses Weib den künft'gen Jahren
Des Meisters hohe Liebe offenbaren.
Als er den letzten Pinselstrich gethan,
Im Abenddunkel tritt Sebastian
Mit Angela zu ihm. »Nach all der Mühe
Bedürft Ihr langen Schlaf, und in der Frühe
Soll uns die Gondel nach Fusine tragen;
Von dort empfängt uns Rom nach wenig Tagen.
Lebt wohl denn, und dem Himmel sei's gedankt,
Daß wieder nun, als wärt Ihr nie erkrankt,
Ein neues Roth auf Euren Wangen glüht,
Daß heiterer, als jemals, im Gemüth
Wir Euch verlassen. Meister, lebt denn wohl!
Eu'r Wille nur ist unsres Lebens Pol,
Und wenn dereinst aus Rom wir wiederkehren,
Dann sollt Ihr sagen unter Freudenzähren:
Ich weiß, daß treu Ihr dem Gelübde bliebt!
Ihr wart es werth, daß ich Euch so geliebt!«
Und bei des nächsten Morgenroths Erwachen
Schwebt übers Meer auf leichtbewegtem Nachen
Das junge Paar hinweg. Doch als der Strahl
Der Sonne dämmernd in den Arbeitsaal
Giorgione's dringt – o welcher Anblick drinnen!
Gebrochnen Auges, mit geschwundnen Sinnen
Liegt, rückwärts hingesunken vor dem Bild,
Der Meister in dem Sessel da. Gleich mild,
Doch heitrer scheint er, als da er gelebt;
Dies sanfte Lächeln, das den Mund umschwebt,
Auf allen Zügen dieser Engelfrieden –
O, kann es sein? Ist wirklich er geschieden? –
Er ist es; bei des Morgens erstem Roth
Gebrochen hat sein edles Haupt der Tod;
In ew'ger Jugend aber auf ihn hin
Schaut vom Gerüst die Lautenspielerin.