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Wien mit seinen 36 Vorstädten zählt in runder Nummer 8000 Häuser. Das sichtbare Haupt einer jener Herbergen (denn es gibt in Wien auch unsichtbare Hausherren), welche der Wiener Menschheit auf ihrer Wanderung von der Wiege zum Grabe zeitweilig Unterkunft gewähren, bildet eine eigene Spezies in der Naturgeschichte der Kaiserstadt. Der Wiener Hausherr ist ein anderes Wesen als der norddeutsche Wirth, der französische propriétaire, der italienische padron di casa. Wir wählen zum Gegenstand unserer Skizze absichtlich einen Vorstadthausherrn; die Hausherren der innern Stadt gehören nämlich größtentheils zur obenangedeuteten, unsichtbaren Spezies. Wenigstens ist der Verfasser, welcher durch neun Jahre in der innern Stadt wohnte, niemals des Glückes theilhaftig geworden, seinen Hausmonarchen von Angesicht zu Angesicht zu sehen.
In einer beliebigen Vorstadt, nehmen wir z. B. Mariahilf, steht in irgend einer Gasse ein drei- oder vierstöckiges Gebäude, dessen Styl eine auffallende Aehnlichkeit mit dem einer Kaserne zeigt. An das Vordergebäude reihen sich rechts und links sogenannte Trakte oder Flügel; ein dritter Trakt, parallel mit dem Vordergebäude, schließt das Ganze ab. In seltenen Fällen befindet sich hinter demselben ein Gärtchen. Hölzerne Gallerien mit eisernem Geländer ziehen sich in verschiedenen Stockwerken rund um den Hof herum. Sie dienen zur Verbindung der einzelnen Flügel und haben den Vortheil frischer Luft und einer ungehinderten Aussicht in den innern Hof und den Nachtheil, gegen Regen, Schnee und sonstige meteorologische Annehmlichkeiten auch nicht den geringsten Schutz zu gewähren.
Unter dem Thorwege oder in dem Hofe, möglichst nahe dem Thore, gewahrt man ein Pförtchen, zumeist mit Fenstern, und über demselben das Wort: Hausmeister. Die Wohnung dieser, nicht minder interessanten, unter Umständen sogar sehr gefährlichen Spezies der Wiener Fauna ist in der Regel dunkel wie die Höhle eines Troglodyten. Von dem Insassen derselben werden wir später einmal zu sprechen Gelegenheit haben. Für heute halten wir uns an den Hausherrn.
Es ist ein reizender Sommermorgen. Längst schon schleudert Phöbus seine goldenen Pfeile durch die Fenster des ersten Stockes in ein reich, wenn auch nicht gerade geschmackvoll eingerichtetes Zimmer des obenbeschriebenen Hauses. Auf der Straße rasseln ununterbrochen Fiacker, Equipagen, Stellwagen, heimkehrende Milchkarren etc. etc. in betäubendem Durcheinander dahin. Hier oben aber herrscht noch Sabbatstille. Endlich läßt sich aus dem Alkoven ein starkaccentuirtes Gähnen vernehmen; die Vorhänge des Bettes bewegen sich hie und da, und zehn Minuten später tritt, gleich Freiligraths Mohrenfürsten, die schwarze Physiognomie abgerechnet, aus der weißen Umhüllung die wohlbeleibte Gestalt Herrn v. Schnabelbergers, Der Unterschied zwischen Herr von und dem simpeln Herrn ist für den Nichtwiener fast ebenso schwer zu fixeren, als der englische Begriff eines Gentleman. des Autokraten unserer Wiener Zinsburg. Sein Haupt bedeckt ein goldgesticktes, schwarzes Sammetmützchen, um die wohlgenährten Lenden schmiegt sich ein Schlafrock von Damast, rothe Pantoffeln umschließen die Gehwerkzeuge des Gewaltigen.
Sein Blick fällt auf die Pendule. »Schon wiederum halb zehn!« brummt der beleibte Herr. »Ich sag's ja! Der Vetterle und der Fröscht sind vor ein Uhr früh aus dem Kaffeehaus nicht fortzubringen, und da soll unsereins um halb sieben Uhr früh seinen Brunnen trinken. Lächerlich! Marianka!«
Die Thür des Nebenzimmers öffnet sich auf diesen Ruf. Eine jugendliche Mädchengestalt, deren Gesicht den reinsten böhmischen Typus zeigt, erscheint vor dem Gebieter.
»Schaffen, Herr v. Schnabelberger?« fragt die Tochter Libussa's.
»Meinen Kaffee, aber schnell, und das Fremdenblatt!«
Einen Augenblick später dampft der Mokka auf Herrn v. Schnabelbergers Frühstückstisch. Der Hausherr brennt sich eine Milares an, läßt sich auf den schwellenden Divan nieder und beginnt die Lektüre des Fremdenblattes, die er nur dann und wann unterbricht, um die Tasse zum Munde zu führen.
Herr v. Schnabelberger befolgt in seinem Lesen eine eigene Methode; er liest nämlich von hinten nach vorn. Zuerst beschäftigen ihn die Theateranzeigen. »Schon wiederum so ein dalketes dummes ... Stück,« brummt er, »›Fechter von Ravenna!‹ Als ob in Wien nicht genug Fechter herumliefen! Ah! in der Leopoldstadt gibt's was Neues; ›ein Freund‹ vom Kaiser. Na, wenn der Scholz mitspielt können wir's uns einmal anschauen. Richtig, er spielt. Marianka!«
Wieder erscheint die Böhmin.
»Schaffen 'r Gnaden?«
»Schau 'nüber zur Frau, und frag sie, ob sie heu mitgeht in die Leopoldstadt, der Scholz spielt. Dann nimm die zwei Gulden und sag' dem Hausmeister, er soll zwei Sperrsitze holen drinn im Bazar.«
Herr v. Schnabelberger geht vom Theaterzettel zum Kurszettel über; seiner Brust entwindet sich ein Seufzer. Plötzlich vernimmt sein geübtes Ohr das Rauschen eines seidenen Kleides im Nebenzimmer. Der Hausherr bläst eine riesige Rauchwolke von sich, sieht langsam vom Blatte empor und erblickt vor sich seine schönere, zugleich aber auch größere und dürrere Hälfte, die Hausfrau.
»Guten Morgen!« sagt die Gattin, indem sie ihm gegenüber Platz nimmt.
»'Morgen, hm!« brummt Herr v. Schnabelberger ohne seine Lektüre zu unterbrechen.
» Mais, Erneste, papa ne sera pas encore levé; attendez donc!« läßt sich von außen eine nichts weniger als melodische Stimme vernehmen, deren Eigenthümerin eine jener unglücklichen Landsmänninnen Tells ist, welche das undankbare Vaterland bis hierher in den südöstlichsten Winkel Deutschlands verstoßen hat.
Die Thüre fliegt auf, und herein stürmt ein junger bloßwadiger Schotte, der jüngste Sprößling der Schnabelberg'schen Ehe.
» Bonjour papa! avez-vous bien dormi? küß' die Hand, Papa!« schreit der Schotte, auf den Hausmonarchen zu rennend, dessen Hand er an die Lippen führt.
» Merci, Erneste!« erwidert Papa mit einem stolzen Blicke auf seinen hoffnungsvollen Sprößling. »Wie schön das Buberl schon parliren kann! Da komm her, hier hast Du ein Kipferl!« Ein Gebäck ähnlich den Leipziger Hörnchen.
»Geh' hinaus zur Mademoiselle,« sagt Mama, »ich habe mit dem Papa zu sprechen.«
»Ei, so laß doch das Buberl da,« entgegnet Herr v. Schnabelberger, »gelt, Ernsterl, Du willst beim Papa bleiben?«
»Ein Sechserl will ich,« sagt der junge Hochländer.
»Da hast Du ein Sechserl; so; – na, geh' jetzt zur Mademoiselle; nachher kommst Du wieder.«
Ernsterl nimmt den Sechser und springt davon. Herr v. Schnabelberger richtet erwartungsvoll die Augen auf seine Ehehälfte.
»Das sag' ich Dir, Schnabelberger,« beginnt diese, »mit dem Lois kann's nimmer so fort gehen; keine Nacht kommt der Bursch vor zwei Uhr nach Haus.«
»Jugend«, versetzt lakonisch der Gatte und Hausbesitzer.
»Was Jugend, – der Bursch wird auf Michaelis zweiundzwanzig Jahr alt! Nichts kann er, als Pflaster treten und Geld ausgeben. Freilich, wenn der eigene Vater ihm mit dem schlechten Beispiele vorangeht ...«
»Du, Nanni, hör mir auf mit den Geschichten,« unterbricht sie übellaunig Herr v. Schnabelberger. »Soll ich vielleicht gar keine Unterhaltung mehr haben? Und dann, was willst Du denn von dem Lois! Hat er nicht die besten Gesellschaften? Er muß doch mit feinen Leuten Umgang haben. Glaubst Du vielleicht, ein junger Kavalier geht um zehn Uhr Abends ins Nest, wie ein Schlossergesell? Lächerlich!«
»Schon recht,« versetzt gereizt die Mama. »Das Söhnchen kann's Geld hinaus werfen, da sagt der Papa nichts; aber wenn ich oder mein armes Erminerl einmal mit einer kleinen Marchandedemoderechnung kommen, dann ist gleich Feuer im Dache.«
»Ich hab' Dir schon oft gesagt, Frau, das verstehst Du nicht. – Ihr Weiber wißt viel, wie schwer das Geld zu verdienen ist. Da sieh' her auf den Kurszettel; die Metalliques stehen 70¼.«
»Laß mich aus mit Deinen Metalliques! Ich sag' Dir, mit dem Loisl muß es anders werden.«
Herr v. Schnabelberger hüllt sich schweigend in eine Rauchwolke und greift nach seinem Fremdenblatte. »Uebrigens möcht' ich um mein Wochengeld bitten. Wir haben heute Samstag, und vorige Woche habe ich noch überdies 14 Gulden ausgelegt.«
Herr v. Schnabelberger greift nach seiner Brieftasche, zählt seiner Gattin einige Banknoten hin, welche diese ruhig einsteckt, und sagt dann:
»Jetzt aber läßt Du mich in Ruh! Ich möcht mit meinem Frühstücke fertig werden. Verstanden?«
» A propos!« erwidert Frau v. Schnabelberger aufstehend. »Für Deinen Sperrsitz dank' ich; ich bin mit Erminerl heut draußen in Baden bei Frau v. Meier geladen.«
»Das hättest Du auch früher sagen können, ehe ich den Hausmeister in die Stadt geschickt habe. – Na, schon gut, das Billet wird nicht liegen bleiben.«
Herr v. Schnabelberger schlägt das Fremdenblatt um und seine Gemahlin rauscht davon, ohne den Gatten eines Blickes zu würdigen.
Eine weitere Viertelstunde vergeht. Der würdige Hausherr ist gerade mit der Lektüre eines jener Unglücksfälle beschäftigt, die tagtäglich die letzte Seite vor den Annoncen des Fremdenblattes füllen, als die Thüre sich auf's Neue öffnet und, den Hut auf dem Kopfe und eine Arie aus »Rigoletto« pfeifend, Herr v. Schnabelberger jun. eintritt.
»'Morgen Papa, küß' die Hand!« sagt der junge Mann, indem er den Platz der Mutter einnimmt und sofort nach der Cigarrenkiste des Papa greift. »Ausgeschlafen?«
»Danke Loisl,« erwiderte dieser, »was gibt's Neues?«
Lois, eigentlich Alois, ist das jüngere und modische Ebenbild seines Papa. Der junge Mann hat ein gutmüthiges, wenn auch gerade nicht überraschend geistreiches Gesicht. Leider zeigt dasselbe jenen blasirten Ausdruck, der in der Residenz gewissermaßen zum guten Tone gehört. Sein Anzug ist weniger gewählt als elegant, sein volles, blondes Haar ist sorgfältig frisirt.
»Hast Du schon das neue Ballet drin gesehen im Kärntnerthor, Papa, die Satanella?«
»Ach was, Ballet, dummes Zeug!« versetzt Herr v. Schnabelberger, »was liegt mir an dem faden Herumhüpfen? Ich schau mir lieber den Nestroy an.«
»Schade, Papa, das solltest Du sehen, die Ricci tanzt wie ein Engel.«
»Du, Loisl,« sagt Papa Schnabelberger, indem er seinem Gesichte einen ernsten Ausdruck zu geben sucht, »Deine Mutter war so eben hier und hat sich darüber beklagt, daß Du keine Nacht vor zwei Uhr nach Hause kommst.«
»Ich habe Dich schon so oft gebeten, Papa, mich nicht mehr Loisl, sondern Louis zu nennen,« erwidert Schnabelberger jun. mit vorwurfsvollem Tone. »Wahrhaftig, wenn Du Dich einmal in Gesellschaft verschnapptest, ich glaube, ich schämte mich zu Tode. Loisl! wie gemein das klingt!«
»In Gesellschaft werde ich Dich immer Louis nennen, aber unter uns ...«
»Nein, Papa, auch nicht unter uns. Es ist eine schlechte Gewohnheit, und schlechte Gewohnheiten legt man so leicht nicht ab.«
»Hm!« meint Schnabelberger, »Du magst Recht haben. Der Name Lois ist wirklich gemein. Du kannst Dich bei Deiner Mutter dafür bedanken; ich wollte Dich Kaspar taufen lassen. Also sagen wir in Zukunft Louis.«
» A propos, Papa«, sagt Schnabelberger der Jüngere, »Du kennst den jungen Baron Puteany, nicht wahr?«
»Den Ungarn mit dem steifen Schnautzbärtchen? Freilich kenne ich ihn. Ein sehr netter Mensch, und gar nicht stolz.«
»Der arme Istvan,« sagt Louis nach einer kleinen Pause, während er ans seiner Milares einige tiefe Züge thut. »Er dauert mich.«
»So?« fragt Herr v. Schnabelberger neugierig, »ist er krank?«
»Krank? nein, das weniger; aber in einer schändlichen Verlegenheit. Denke Dir, da stirbt ihm vor einigen Tagen plötzlich sein Rendant drunten im Banat; das Gericht kommt, versiegelt alle Papiere, und nun kann der Baron vor mindestens vier Wochen keinen Kreuzer Geld von Hause bekommen. Ist das nicht fatal?«
Bei dem Worte Geld hat Herr v. Schnabelberger einen halb besorgten, halb prüfenden Blick auf seinen Sohn geworfen. Louis macht jedoch das gleichgiltigste Gesicht von der Welt. Wenn seine Züge etwas ausdrückten, so ist es ein freundschaftliches Bedauern über die momentane Verlegenheit seines aristokratischen Freundes.
»Hm!« sagt nach einigem Besinnen Herr v. Schnabelberger, »und hat er denn keine Bekannten, an die er sich wenden könnte?«
»Bekannte genug; aber Du begreifst, daß ein junger Kavalier etwas der Art nur seinem besten Freunde mittheilt. Er hat mir die Geschichte gestern bei Daum erzählt, und ich bedauere nur das Eine, daß ich ihm nicht aus der Verlegenheit helfen kann.«
Papa Schnabelberger greift nach einem Streichhölzchen, um die während des Gespräches ausgegangene Cigarre wieder anzuzünden. Louis richtet die Goldknöpfe seiner Manschetten zurecht, streicht sein Schnurrbärtchen und betrachtet sich wohlgefällig in dem gegenüberhängenden Spiegel.
»Nun, und wieviel braucht er denn?« fragt der Papa, nachdem er eine Weile in den Rauch seiner Cigarre gesehen.
»Ach, eine Bagatelle; hundertfünfzig bis zweihundert Gulden.«
»So? Und das nennst Du eine Bagatelle?«
»Alles im Verhältniß, Papa,« erwidert Herr v. Schnabelberger jun. mit überzeugender Bestimmtheit; »für Dich sind 200 Gulden vielleicht ein Kapital; für den Baron ist es eine Bagatelle.«
Louis hat den Papa an der empfindlichsten Stelle getroffen. Sein Geld- und Hausherrenstolz empört sich gegen die geringschätzende Bemerkung seines Sohnes.
»Nun« versetzt Papa Schnabelberger mit etwas gereiztem Tone, »ich sollte meinen, ein vierstöckiger Hausherr auf der Mariahilf sei gerade auch kein Hungerleider.«
»Nein, Papa, das nicht,« erwidert Louis lachend, »aber schau, Papa, ich kenne Dich zu gut. Es hat mir gestern einen Stich gegeben, als mir Puteany die Geschichte erzählte. Der Baron weiß recht wohl, daß Du reich bist. Vielleicht hat er gedacht, daß ich ihm durch Dich am ersten helfen könnte. Daß er mich nicht um das Geld ersuchte, wirst Du begreifen, denn die Sache ist zu delikat.«
»Nun, und was hast Du ihm denn gesagt?«
»Gesagt? Nichts hab' ich ihm gesagt,« versetzt Louis. »Was sollte ich ihm denn sagen? Vielleicht, daß ich Dich um das Geld bitten wollte, um dann heute zu kommen und ihm zu erklären, daß Du es ihm nicht leihen willst? Werde mich hüten! Aber, wie gesagt, einen Stich hat es mir gegeben. Der Baron hat mich in die feinsten Kavaliergesellschaften eingeführt; er war stets so freundlich mit mir, als ob ich seines Gleichen wäre, und jetzt, wo er selbst ohne alles Verschulden in einer augenblicklichen Verlegenheit sitzt, muß ich ihn drin stecken lassen und kann nichts für ihn thun, als ihn bedauern.«
»Hm!« sagt er nach einigem Ueberlegen Herr v. Schnabelberger, »wenn ich wüßte, daß das Geld sicher wäre ...«
»Ich bitte Dich, Papa, mache Dich nicht lächerlich. Ein Baron Puteany, der sein eigener Herr ist, der ein Gut von 8000 Morgen im Banat besitzt, und nicht sicher!«
Papa Schnabelberger kämpft sichtbar mit einem Entschlusse. Dem geübten Auge seines Sohnes war der Eindruck nicht entgangen, den die letzten Worte auf den Urheber seiner Tage gemacht hatten. Der junge Finanzdiplomat behauptet aber eine Gleichgiltigkeit von drei Grad unter Null.
»Höre Loisl,« sagt Papa Schnabelberger nach einigem Besinnen, »ich wüßte wol, wie dem Baron zu helfen wäre.«
Louis findet für gut, dieses Mal von dem fatalen Namen keine Notiz zu nehmen; er sieht seinen Vater aufmerksam an.
»Ich selbst,« fährt Herr v. Schnabelberger fort, »habe im Augenblicke das Geld nicht; aber ich wüßte vielleicht Jemand, der es dem Baron gegen einen Wechsel und anständige Prozente leihen würde.«
Um Louis' Lippen zuckt ein vieldeutiges Lächeln. »Prozente, Papa, so viel Du willst; aber auf einen Wechsel setzt der Baron für eine solche Lumperei seinen Namen nicht. Begreifst Du denn nicht, daß die Sache im größten Vertrauen abgemacht werden muß?«
»Und auf wie lange braucht er es?«
»Auf sechs Wochen, höchstens zwei Monate.«
»Höre,« sagt Papa Schnabelberger, sich erhebend, und an seinen Schreibtisch tretend, »ich will sehen, ob Du ein Geschäft gescheidt anzufangen verstehst. Du selbst sollst Deinem Freunde das Geld leihen, und zwar von Deinem künftigen Vermögen. Kommst Du um das Geld, so trifft der Schaden nicht mich, sondern Dich.«
»Ich bin unbesorgt,« versetzt Louis mit unerschütterlichem Vertrauen.
Papa Schnabelberger nimmt aus einer Eisenkassette eine Anzahl Banknoten und zählt sie langsam seinem Sohne hin, der sie, um mit Goethe zu sprechen, einstreicht, als wären's eben Pfifferlinge.
»Uebrigens wirst Du mir darüber eine Quittung ausstellen.«
»Mit Vergnügen, Papa,« erwidert Louis, sich an den Schreibtisch setzend.
Ein leises schüchternes Klopfen unterbricht das Zwiegespräch zwischen Vater und Sohn.
»Ob man aber mit Ruhe frühstücken kann? »brummt Herr v. Schnabelberger, den sein hochherziges Geldgeschäft schon zu reuen anfängt. »Herrrein!«
Eine junge Frau öffnet langsam, fast ängstlich die Thüre und wünscht mit bebender Stimme dem Hausmonarchen einen guten Morgen. Ihr hübsches, aber blasses Gesicht, die schönen, etwas tiefliegenden Augen zeugen von trüben Tagen und trüberen Nächten. Ein bedenkliches Anliegen führt sie hierher, der Zins.
Würdiger Leser! Hast Du eine Ahnung davon, was es heißt, in Wien mit seinem Pränumerandozinsbetrag zur rechten Zeit nicht vollkommen in Ordnung zu sein? Ein Leipziger Miethkontrakt auf Wechselrecht ist im Vergleich hiermit ein wahres Eldorado. Ohne uns einer Uebertreibung schuldig zu machen, können wir getrost behaupten, daß ein zinsbarer Wiener sich mit einer Bitte viel lieber unmittelbar an seinen Kaiser und Herrn, als an seinen gestrengen Hausherrn wendet.
Herr v. Schnabelberger hat auf den ersten Blick erkannt, um was es sich handelt; er runzelt die Stirne und fragt barsch:
»Nun, was will die Frau?«
»Ich bitte, Herr v. Schnabelberger,« erwidert an der Thüre stehen bleibend die blasse Frau: »Sie wissen vielleicht, daß mein Mann schon seit sechs Wochen krank ist und nicht auf sein Bureau gehen kann. In acht Tagen ist Johanni und da ...«
»Was ich weiß, werd' ich der Frau gleich sagen,« unterbricht sie Herr v. Schnabelberger mit einer wahren Polizeimiene, »ich weiß leider, daß Sie mich schändlich hintergangen haben, als Sie voriges Jahr das Logis aufnahmen!«
»Hintergangen?« fragt erstaunt die junge Frau.
»Ja wol, hintergangen! Haben Sie mir nicht gesagt, daß Ihr Mann kaiserlicher Beamter sei?«
»Allerdings hab' ich es gesagt, weil es die Wahrheit ist!«
»Was Beamter!« erwidert höhnisch lachend Herr v. Schnabelberger, »Diurnist ist er, ein simpler, lumpiger Diurnist, der täglich einen Gulden verdient und den sein Bureauchef jeden Augenblick fortjagen kann. Und das nennen Sie nicht hintergangen? Pfui, schämen sollten Sie sich!« fügt er mit tugendhafter Entrüstung hinzu.
Die junge, blasse Frau hat auf einmal Farbe bekommen. Ihre Brust wogt ungestüm; eine einzige, schwere Thräne rollt langsam über ihre Wange, aber sie schweigt.
»Adieu, Papa,« sagt Louis, der bisher ein stummer Zuschauer dieser Scene geblieben war, indem er seinen Hut ergreift.
»Adieu, Loisl,« erwidert der Hausherr, »nur gescheidt sein! Verstanden?«
Louis nickt obenhin und entfernt sich pfeifend.
»Das sag' ich der Frau,« fährt Herr v. Schnabelberger in dem früheren Tone fort, »wenn bis zu Johanni Ihr Zins nicht auf die Stunde da ist, so erhalten Sie den andern Tag in aller Früh die gerichtliche Aufsage. Bei mir ist das Grundsatz, verstanden?«
»Aber ich bitte Sie um Gottes Willen, lieber, bester Herr v. Schnabelberger, treiben Sie eine arme Frau nicht zur Verzweiflung! denken Sie ...«
»Ich habe gar nichts zu denken. Denke die Frau, wo sie ihren Zins herkriegt, und damit Punktum. Adieu!«
»Herr v. Schnabelberger ...«
»Adieu, habe ich gesagt. Haben Sie mich verstanden? Adieu! Nicht einmal das Fremdenblatt kann man in Ruhe lesen!«
Der Hausherr wirft sich in einen Fauteuil, kehrt der Bittstellerin den Rücken und greift wieder zu seiner Zeitung. Die so barsch Abgewiesene wirft noch einen jener thränenschweren Blicke, die nur Gott nach Gebühr abwägt, auf Se. Hausherrlichkeit und entfernt sich schweigend.
Mit gebrochenem Herzen durchschreitet das Opfer hausherrlicher Grundsätze den Salon vor dem Frühstückszimmer des Autokraten und ist im Begriffe, die Thüre nach der Treppe zu öffnen, als Louis dieselbe von außen aufmacht und ihr einen Wink gibt, ihm auf sein Zimmer zu folgen.
»Wie viel beträgt Ihr Zins, Frau v. Eberle?« fragt der junge Mann, indem er die Thüre hinter der Eingetretenen schließt.
»Dreißig Gulden sammt den Zinskreuzern,« erwidert die junge Frau mit erstickter Stimme.
»Hier haben Sie das Geld,« sagt Louis, indem er ihr einige jener interessanten Papiere in die Hand drückt, auf denen der Staat das naive Geständniß seiner finanziellen Schwachheiten vor den Augen seiner getreuen Unterthanen ablegt, »Ihr Mann wird mir das Geld zurückgeben, wenn er wieder gesund ist. Entschuldigen Sie den Papa; er ist heut übler Laune und meint es nicht so böse, als er thut.«
»Herr v. Schnabelberger,« sagt mit Thränen in den Augen die Pseudobeamtensgattin, »Sie sind unser guter Engel. Aber darf ich das Geld auch annehmen?«
»Seien Sie ganz ruhig, meine liebe Frau v. Eberle,« erwidert Louis lachend, »das Geld geht dahin, wo es hergekommen ist, nur hat Papa gewiß nicht erwartet, so schnell wieder in Besitz eines Theils seines Eigenthums zu kommen. Lustig ist es jedenfalls, daß er selbst Ihnen dieses Mal den Zins zahlt. Jetzt aber machen wir, daß wir fortkommen. Grüßen Sie mir Herrn v. Eberle; ich werde ihn heute noch besuchen.«
Die junge Frau schleicht vorsichtig aus dem Zimmer nach der Treppe und huscht wie eine Katze über die Stufen. Herr v. Schnabelberger jun. nimmt Hut und Stock und tritt hinaus auf den Gang, wo er durch die angelehnte Salonthüre die Stimme des Papa vernimmt, welcher der Böhmin aufträgt, das Kaffeeservice wegzunehmen und ihm seine Kleider zu bringen.
»Baron Puteany läßt sich dem Herrn Papa empfehlen und wird seine Schuld bezahlen, wenn die Donau von Wien nach Linz fließt,« sagt Louis fröhlich lachend, indem er einen Blick durch die halbgeöffnete Salonthüre nach dem Zimmer des Papa wirft und sich ironisch verbeugt. »Uebrigens wünsche ich, daß das Frühstück wohl bekommen möge.«
Mit diesen Worten drückt Herr v. Schnabelberger jun. die Salonthüre ins Schloß und eilt drei Stufen auf ein Mal nehmend, die Treppe hinab und zum Thore der Zinsburg hinaus.