Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Stimmengewalt

Prolog,
gesprochen vom k.k. Hofschauspieler L. Löwe in Saphirs Akademie zum Besten »der grauen Schwestern«.

Es tönen viel Stimmen mit mächtigem Klang
Durchs irdische, menschliche Leben,
Vom Lallen des Kinds bis zum Sphärengesang
Ist allem hier Sprache gegeben;
Als jauchzend die Welt sich dem Chaos entrang
Mit freudigem, süßem Erbeben,
Als strahlend der Dom sich des Äthers erbaut,
Ertönte die Stimme der Allmacht schon laut.

Es sprechen die Himmel durch Sterne, so hell,
Durch rollende, flammende Sonnen;
Die Erde, sie spricht in geschwätzigem Quell,
Im Bergstrom, dem Felsen entronnen,
Im Schmelze der Wiesen, im Blumenpastell,
In Blättern, als Zungen gewonnen,
Und wenn sie erbeben, da spricht sie ganz laut:
Daß Menschen zu viel auf die Erde vertraut.

Es spricht auch die Luft, wenn sie Ingrimm erfüllt,
In Sturmwinds verheerendem Wüten;
Es spricht auch die Luft, wenn ihr Zorn gestillt,
Im Säuseln der Zweige und Blüten;
Es spricht auch die Luft, wenn sie sanft ist und mild,
Aus Harfen, die Seufzer ihr bieten,
Und wenn sie im Donner den Himmel umgraut,
Dann spricht sie als Stimme der Mahnung ganz laut.

Es sprechen die Wasser im rieselnden Bach,
Mit Blumen und Steinchen am Strande,
Aus murmelndem Quell spricht ein fröhliches »Ach«,
Wenn Frühling gelöst seine Bande,
Die Orgel des Weltmeers wird fürchterlich wach,
Wenn Sehnsucht die Flut jagt zum Lande,
Aus Flut und aus Ebbe auch spricht es ganz laut,
Daß niemand die heimlichen Kräfte durchschaut.

Es spricht auch die Hölle im menschlichen Blick,
Der zuckend umherirrt im Raume,
Es spricht auch der Schutzgeist vom Menschengeschick
In Ahnung, in Mahnung, im Traume;

Es spricht auch die Schuld, die heimliche Tück',
Durch Wangen, die bleich bis zum Saume.
Und durch das Erröten spricht lieblich und laut
Die Stimme der Unschuld in Mädchen und Braut,

Ein Knabe erscheinet mit goldenem Haar,
Von Bergen in Thäler gesprungen,
Schmückt jeglichen Hügel zum Opferaltar,
Mit Blütenguirlanden umschlungen,
Er macht aus den Blumen sich Glocken sogar,
Bevölkert die Wälder mit Zungen,
Die Stimmen der Schöpfung, sie jubeln ganz laut:
»Es hat sich die Erde dem Frühling getraut.«

Der Schmetterling hängt an der Blume Gewand,
Die Biene will Blütenmost nippen,
Die Nachtigall zärtlich ihr Lied sich erfand,
Dem Tau öffnet Rose die Lippen;
Von innigem Drange, von Sehnsucht entbrannt,
Schmiegt weich sich das Moos an die Klippen,
Und Strahlen, wie Lieder herunter getaut,
Erwecken die Stimme der Liebe ganz laut.

Ein herrlicher Klang noch durchdringet die Brust,
Ein Klang, drin das Weltall erzittert,
Und jegliches Herz ist des Klangs sich bewußt,
Und wär' es mit Eisen umgittert,
Es tönt auf dem Schlachtfeld mit eherner Lust,
Wenn Leben an Leben zersplittert,
Wenn Helden umarmen die eiserne Braut,
Erschallet die Stimme der Ehre ganz laut.

Und noch eine Stimme die Vorsicht uns gab,
Ihr Wohlklang ist nimmer zu schildern,
Wo menschliches Richten gebrochen den Stab,
Da steht sie, das Urteil zu mildern;
Sie tönt uns zur Seite bis Bahre und Grab,
Sie läßt uns das Herz nicht verwildern,
Wie glücklich, wer diesem untrüglichen Laut
Der Stimme des Innern mit Glauben vertraut.

Die weicheste Stimme, so mild und sonor,
Sie fließet vom Himmel hernieder,
Sie windet sich schmeichelnd durchs menschliche Ohr
Und klinget im Herzen dann wieder,
Wir hören ein Tönen, wie nie noch zuvor,
Ein Echo der innigsten Lieder,
Wie Nachtigallbitte zur Nachtigallbraut,
Dringt Stimme des Mitleids zum Herzen so laut.

Und wie an dem Trostwort aus zärtlichem Mund
Ein Schmerz sich erquicket, ein stummer,
Und wie an der Wiege zur nächtlichen Stund'
Die Mutter ihr Kind singt in Schlummer,
Und wie an dem Ton, der die Heimat gibt kund,
Das Heimweh zerfließt und der Kummer,
So mild wird das Weh und zerfließet und taut,
Wo Stimme des Mitleids beglückend wird laut!

Die Stimme des Mitleids rief euch hieher,
Es hat euer Herz sie vernommen,
Von Kunst und Talent bringen heute wir her,
Was wir von der Vorsicht bekommen,
Das Wenige macht schon der Himmel zu mehr,
Bringt man's nur der Menschheit zu Frommen,
Ein Hauch für die Menschheit, dem Himmel vertraut,
Kehrt wieder als Stimme der Gnade ganz laut!


 << zurück weiter >>