Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Seifengedanken während des Rasierens.

Während des Rasierens hat man, wenn auch nicht die besten, doch gewiß die wahrsten Gedanken; denn man ist nur dann wahr, wenn einem das Messer an der Kehle sitzt!

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Nicht nur das Herz hat sein Bewußtsein, sondern auch der Kopf. Gute Gedanken wie gute Thaten, wenn sie auch nicht anerkannt werden, geben ein herrliches Bewußtsein.

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Jeder Wunsch, den der Mensch hat, ist ein Flügel an seinem Herzen; er trägt ihn entweder aufwärts zum Himmel, oder abwärts zur Hölle. Das Unglück im Leben ist, daß die Gimpel sich Adlerflügel wachsen lassen.

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Jean Paul sagt: Witz ist der angeschaute Verstand, darum sind jetzt alle unsere Journalisten witzig; denn einen schnellen Verstand kann man nicht anschauen, den Journalisten aber bleibt der Verstand alle Augenblicke stehen, da können sie ihn recht anschauen!!

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Wenn man früher große Reisen machte, so brachte man einen leeren Beutel und einen vollen Kopf zurück. Durch unsere Eisenbahnen wird man von der größten Reise einen vollen Beutel und einen leeren Kopf zurückbringen.

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Ein Lotterielos ist die Exerzierschule der Hoffnung und des Heiratens; jeder einzelne glaubt, seine Nummer wird doch nicht immer ungezogen bleiben.

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Große Männer, hohe Ideen und hohe Berge sind sich dann gleich, daß, wenn wir sie erstiegen haben, wir erst sehen, daß sie oben flach sind.

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Wenn man ein Kalb alle Tage ein paar Stunden lang auf den Schultern trägt und damit alle Tage fortfährt, so kann man zuletzt den ganzen Ochsen auch tragen; daher ist es begreiflich, wie so mancher Erzieher seinen Zögling noch als Mann ertragen kann.

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Witz und Verstand sind Blutsverwandte, anscheinlich halten sie zusammen, im stillen verfolgen sie sich.

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Unter den Menschen sind gewöhnlich die Engelsköpfchen am flatterhaftesten, sie haben die Flügel nicht einmal an den Schultern, sondern sogleich hart an den Engelsköpfchen.

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Unsere Journalisten haben neben dem Tintenfaß noch ein Weinfaß oder Bierfaß stehen; aus dem Tintenfaß kleckt ihnen alles, aus dem Bierfaß kleckt ihnen gar nichts. Die Wahrheit schöpfen sie aus dem Tintenfaß wie aus dem Bierfaß, immer nur eine – Halbe.

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Von den Toten soll man nichts als Gutes sagen. Den Schriftstellern gönnt man nur darum Unsterblichkeit, um ihnen nie etwas Gutes nachsagen zu müssen.

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Kleine Seelen sterben an den Wunden, die ihnen das Schicksal schlägt, große Seelen sterben an den Narben dieser Wunden, und sind denn nicht am Ende die vollsten und die süßesten Herzen wie die vollsten Traubenkörner am zerrissensten?

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Wenn bei einer Ehefrau Feuer im Dache ist, das heißt im Kopfe, so sind alle Vernunftgründe dagegen wie die Löscheimer, sie kommen voll an und gehen leer zurück.

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Die Menschen sind wie die Zeitungen; wenn eine schlechte That geschieht, ein Frevel, eine schauderhafte That, davon reden sie lange und ausführlich; wenn eine gute That geschieht, so wird sie kaum erwähnt.

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Das Licht ist die Schwester des Verstandes, die Finsternis die Gebieterin der Sinne und die Dämmerung die Vertraute des Herzens.

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In der Ehe hat der Mann nur einen dreispitzigen weiblichen Seufzer-Reim:

Schneider!
Kleider!
Leider!

Und die Frau einen dito männlichen Seufzer-Reim:

Ihm ist nur wert
Zigarre oder Pferd
Und – – was ihm nicht gehört!

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Die Satire gehört ins Schreibzimmer, die Laune ins Speisezimmer, die Höflichkeit ins Besuchzimmer, der Witz ins Gesellschaftszimmer und die Wahrheit – ins Schlafzimmer!

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Kein Mensch lebt davon, daß der andere etwas weiß, viel Tausende leben davon, daß die andern nichts wissen: wenn man also die Unwissenheit befördert, so ist das nichts als reine Nächstenliebe und Sorgfalt für einen großen Nahrungszweig.

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»Die Falten auf der Stirne sind Särge ohne Deckel«, sagt ein genialer Humorist. Ja, in jeder solcher Falte liegen teuere Tote begraben; allein die ganz kleinen Sorgenstiche, die ganz dünnen, dünnen Linien aus dem Baurisse des Grames auf dem menschlichen Antlitz, erfüllen uns mit mehr Wehmut als die tiefen Furchen und Einschnitte, so wie der Anblick eines Kindersarges uns mit mehr Wehmut erfüllt als die großen Särge der Erwachsenen.


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