Rahel Sanzara
Das verlorene Kind
Rahel Sanzara

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Nach einem Jahr brachte die Frau des Pächters einen zweiten Sohn zur Welt, dunklen Hauptes und ähnlich ihr selbst, gleich dem ersten. Emma, gut und vertraut gehalten von dem Herrn und der Frau, pflegte nun alle drei, zog sie auf, bereitete ihnen ihre erste Kindheit voll tiefster, herzlicher Hingabe, voller Glück über die eigene gerettete Jugend. Sie erhielt eine Stube angewiesen, in der sie allein mit den drei Kindern schlief, sie durfte Tag und Nacht um sie sein. Sie trug sie im Sommer, zwei auf ihren jungen, starken Armen, das dritte in der Wiege ihres aufgeschürzten Kleides, mit scherzend schaukelndem Gang über die Felder an den Rand des Waldes, wo sie sich mit ihnen niederließ und nicht müde wurde, ihren Spielen, ihrem Lachen zu dienen; von den winzigen Gesichtern der Kleinen, von ihren lallenden Lauten, ihren weichen, hilfebedürftigen Körpern empfing sie, die mädchenhafte Mutter, alles Glück ihres Lebens. Hatte ihr Kind, als sie es mit Schmerzen geboren, sie wieder versöhnt mit ihrem Schicksal, ihre entsetzte Seele wieder begütigt, so liebte sie es jetzt doch nicht tiefer als die beiden anderen Kinder. Ja, da die beiden Kinder der Frau schwächer als das ihre und durch das dunkle Haar und die dunklen Augen fremder von Ansehen waren, fühlte sie tiefere Sorgfalt noch für sie und erwies ihnen zartere Pflege, weichere Liebkosungen als dem eigenen.

Die beiden Söhne des Herrn hießen Karl und Gustav. Sie wuchsen später zu der stattlichen Größe des Vaters auf. Sie entwickelten einen guten Charakter, wurden fleißig und klug.

Der Sohn der Magd hieß Fritz. Er war von seiner Geburt an ein ungewöhnlich schönes und starkes Kind. Er hatte das sanfte Antlitz der Mutter, ihre Augen von tiefem Blau, ihr lichtes Haar, den schönen kraftvollen Leib. Er schlief viel, weinte nie und ward der Mutter nie zur Last. Er nahm beim Wachsen stetig zu an Kraft und Gesundheit, lief als erstes von den drei Kindern und begann bald, sich in Spiel und Gewohnheiten von den beiden anderen abzusondern. Dagegen lernte er sehr spät sprechen und war ungewöhnlich still und sanft Obwohl er ohne jeden Unterschied mit den Kindern des Herrn aufwuchs und sie wie Brüder alle gemeinsam gehalten wurden, zeigte er doch immer mehr, in dem Maße, als Charakter und Gewohnheit sich entwickelten, eine sonderbare Demut gegen den Herrn und die Frau, auch gegen die Brüder selbst, einen leidenschaftlichen Hang, zu dienen, zu arbeiten und gefällig zu sein. Als vierjähriges Kind schon drängte er sich zur Arbeit. Er schlich sich von den spielenden Knaben fort, lauerte still in einer Ecke der Küche oder an der Wand des Hauses im Hof und lief den Mägden nach, um ihnen mit seinen kleinen Händen zu helfen, wenn sie Holz in ihren Schürzen schichteten, Wasser schöpften oder Gemüse aus der Erde des Gartens zogen. Er schlich sich in die Ställe, und, auf die Zehenspitzen gereckt, reichte er heimlich kleine Heubündel den Pferden in die Krippen, versuchte Eimer zu schleppen und große Besen oder Mistgabeln zu bewegen. Frühzeitig verrichtete er Aufträge, die die Frauen in der Küche ihm gaben, geschickt und schnell und mit ungewöhnlichem Eifer. Seine Wangen waren dann glühend gerötet, seine Augen glänzten, seine kleine Brust atmete keuchend, in solcher Eile und Erregung hatte er die kleinen Aufgaben erfüllt. War er fertig und gelobt worden, schlich er sich abseits, um allein zu sein, hielt einen Stein, ein Stück Holz oder eine Krume Erde in seinen heißen, zitternden Händen und sang leise vor sich hin. Er hatte eine helle, sanfte, in besonderem Wohllaut klingende Stimme, der alle, die sie hörten, mit Entzücken lauschten. Doch sang er fast nur, wenn er allein war. Im Chor mit den andern, im Spiel mit den Kindern, schwieg er meist. In geheimnisvollem Gegensatz zu dieser schöntönenden Stimme aber stand sein sonderbares Lachen. Es war lautlos, erschütterte aber seinen ganzen Körper, es öffnete wohl seinen sanften Mund, aber kein Ton drang daraus hervor, nur das leise Zischen des erregten Atems.

Er sprach nie einen Wunsch aus, nie brauchte er gestraft zu werden, und so weinte er auch nie. Oft mußte er von dem Herrn oder der Frau zum Essen gezwungen werden, da er aus Bescheidenheit keine Speisen nehmen wollte. In der Schule, in die die Kinder zweimal in der Woche gingen und bei schlechtem Wetter auf dem Wagen hingebracht wurden, lernte er gut und bewies vor allem ein außergewöhnliches Gedächtnis. Er war auch da fleißig und gewissenhaft und galt als Musterschüler. Auch zu Hause, auf dem Hofe, wurde er viel gelobt, doch seine Demut und seine Bescheidenheit blieben sich unverändert gleich. Die beiden Brüder, die Söhne des Herrn, umwarben den schönen, allen wohlgefälligen Freund mit offener, neidloser Liebe, doch er zog sich vor ihnen zurück, mied ihre Spiele, schwieg bei den Gesprächen, verkroch sich hinter die Dienstbarkeit eines Knechtes. Abends, vor dem gemeinsamen Schlaf, zögerte er lange, sich zu entkleiden, sammelte erst die Kleider und Schuhe der Brüder auf, schlüpfte damit auf den Gang vor die Tür, um sie zu reinigen, und erst, wenn die anderen schon im Dämmer des ersten Schlafes lagen, entkleidete auch er sich schnell und schlich ins Bett. Morgens stand er als erster auf, ungeweckt, eilte auf den Hof, um sich unter dem Brunnen zu waschen, und war schon angekleidet, wenn die anderen aufwachten und beschämt und verlegen nach ihren Kleidern suchten. Er zeigte sehr früh ein eigensinniges Schamgefühl, und sein einziger Ungehorsam bestand darin, als er sich im Alter von vier Jahren plötzlich weigerte, mit den anderen Knaben gemeinsam zu baden.

Da ließ, als Fritz acht Jahre alt war, ein Ereignis sonderbare, fast erschreckende Untergründe seines so sanften Wesens erkennen. Es war an einem Frühlingsnachmittag, und der Knabe saß in der Küche am Herd, half geschickt wie ein Mädchen der Magd beim Schälen von Kartoffeln für den Abend, als plötzlich, mit starkem, ungestümem Schritt, die Hand der bleichen, voll Entsetzen um sich blickenden Mutter haltend, ein Mann von riesenhafter Größe eintrat. In seinem ebenfalls ungewöhnlich großen und völlig farblosen Gesicht versanken die kleinen, schmalen Augen unter dicken, rostroten Brauen, ein wilder, roter Bart umwucherte seinen großen aschfarbenen Mund, der breit wie ein Maul zwischen die mächtigen Kiefern gezogen war. In Büscheln stand das Haar auf dem riesigen Schädel, der auf einem breiten, kurzen Halse saß. Beim Sprechen dröhnte seine Stimme, und der Atem seiner starken Brust bewegte wehend den Bart um seinen Mund.

Die Mutter hob die freie Hand, die heftig zitterte, deutete auf Fritz und sagte leise: »Da!«

Der Mann schoß aus seinen kleinen, in dem trüben Antlitz versunkenen Augen einen hellen, scharfen Blick auf ihn, streckte seine mächtige Hand aus und sagte, während seine Stimme dröhnte: »Na, komm her!«

Fritz rührte sich nicht. Aus dem sanften, engelgleichen Gesicht richtete er den demütigen Blick der blauen Augen auf ihn.

»Komm!« sagte die Mutter, »komm, es ist der Vater.«

Der Mann ließ ihre Hand los und trat zu dem Kind. »Gib die Hand«, befahl er und streckte die seine entgegen.

Das Kind ergriff langsam die Hand. Sie war groß und hart, mit roten Haaren bewachsen. Das Kind senkte den Blick der großen Augen nieder, es errötete, sein Mund öffnete sich, und plötzlich hackte sein Kopf nieder, die Zähne schlugen fest und tief in das harte Fleisch der Hand ein. Der Mann brüllte auf mit dröhnendem Laut, er wollte die Hand fortreißen, doch in weitem Bogen schwebte das Kind, festgebissen, mit.

»Du Aas!« schrie der Vater, ergriff das Kind mit der noch freien Hand, riß sich endlich los von seinem Biß und schleuderte es mit solcher Gewalt gegen die Wand, daß es mit krachendem Schlag niederfiel und wimmernd bewußtlos liegenblieb. Die Mutter stürzte zu ihm, bettete es auf ihren Schoß.

Der Mann ging. Die verwundete Hand, die lange tropfend blutete, bedeckte er mit der gesunden. Er preßte die grauen Lippen seines riesigen Mundes aufeinander, in Gedanken sprach er, ohne sie zu bewegen: »Das ist einmal ein verfluchtes Aas!« Doch in seinem wüsten Herzen fühlte er über Zorn und Wut hinweg den Stachel eines nie gefühlten Schmerzes. Er wanderte zurück in die Stadt, aus der er gekommen war, nie wollte er Mutter und Kind wiedersehen. Doch es blieben ihm zur Erinnerung die kleinen, perlenförmigen Narben in seiner harten Hand und der Biß des Schmerzes in seinem Herzen. Und von Zeit zu Zeit in den künftigen Jahren, in den Stunden schweren Rausches, pflegte er zu sagen: »Ich habe einen Sohn, das ist ein verfluchtes Aas!« Und einmal fiel eine Träne, still aus den kleinen Augen tretend und fast unsichtbar über das fahle, riesige Gesicht rinnend, nieder auf seine Hand. Er kümmerte sich nicht mehr um das Kind, doch vergaß er es nicht und zählte die Jahre seines Lebens von ferne mit.

Fritz und die Mutter blieben nun in Frieden zurück auf dem Gute, ihrer Heimat

Nach dem furchtbaren, geschleuderten Sturz an die Wand lag das Kind zwei Tage und zwei Nächte krank. Es schien zu fiebern, bewußtlos lag es in Träumen. Mit gefalteten Händen, die Seele in flehendem Gebet erhoben, wachte die Mutter bei ihm. Denn im Fieber, im Schlaf, war das Kind furchtbar verändert. Über das sanfte, engelgleich gebildete Gesicht fluteten, wie aus trüber Tiefe des kindlichen Blutes, der kindlichen Seele aufgerührt, Wellen von schwarzer Röte, weiteten es aus, verzerrten den Mund, gruben Furchen in die Wangen, rafften die Stirn in tückische Falten, stießen die Augen unter den geschlossenen Lidern zu rollenden, unsichtbaren Blicken hin und her, emporgezaubert von böser Kraft stieg eine teuflische Maske von drohender Wildheit auf und breitete sich in höhnischem Sieg über die Züge des Kindergesichts aus. Seine kleinen Zähne knirschten, fest ineinandergeschlagen, die kleinen, kräftigen Hände öffneten und ballten sich, die Nägel schlugen tief ins eigene Fleisch, dann wieder tat sich der Mund auf, lautloses Lachen, mit fauchendem Atem ausgestoßen, erschütterte völlig den kleinen Körper.

Emma, die Mutter, fürchtete sich vor dem eigenen Kind. Sie floh von seinem Lager, und nur, um ihn vor den Blicken anderer zu verbergen, kehrte sie zu ihm zurück, versuchte ihn zu erwecken, indem sie nasse Tücher um seinen glühenden, rasenden Leib schlug. Sie trug ihn am Abend, als die anderen Knaben zum Schlafengehen in die Stube kamen, wie einen Toten in ein Leinen verhüllt, in eine leere Kammer im Gesindehaus, wo sie ihm ein Lager aus Heu bereitete. Sie wagte niemanden um Hilfe zu bitten, damit niemand ihr furchtbar verändertes Kind erblicke. Sie betete für es.

In der zweiten Nacht, in der sie bei ihm wachte, schlief sie gegen Morgen ein, die Hand vor die Augen gepreßt, um nur einmal dem Anblick zu entfliehen, und am Morgen beim Erwachen fand sie zu ihrer unbeschreiblichen Freude das Kind wie immer, still schlafend, das weiße, sanfte Gesichtchen zur Seite geneigt, geglättet die kindlichen Züge, die kleine Brust zart bewegt von leise seufzenden Atemzügen, die kräftigen Kinderhände lagen gelöst in rührender Unschuld auf dem Tuch, das sie als Decke über ihn gebreitet hatte. Sie rührte ihn an, und er schlug die Augen auf, das reine, klare Widerspiel der ihren, und lächelte sie an. Sie lief und brachte ihm Milch. Er trank sie und dankte ihr mit seiner schönen weichen Stimme. Er stand am Mittag auf und war wie immer, fleißig, demütig und sanft. Abend für Abend betrachtete Emma in Sorge sein schlafendes Gesicht, doch es blieb unverändert schön und friedlich, es war edler und schöner als das aller Kinder, die sie je gesehen hatte. So vergaß sie nach und nach ihr Entsetzen und die Furcht vor dem eigenen Kind und hielt ihn ihrem mütterlich reich liebenden Herzen nahe, wie die beiden anderen Kinder, die ein fremder Leib geboren hatte, nicht mehr und nicht weniger.

Als dann Fritz elf Jahre alt geworden war, übergab ihm der Herr, um das ungewöhnliche Arbeitsbedürfnis des Knaben zu befriedigen, gegen einen kleinen Wochenlohn einen Posten als Hüte- und Dienstjunge auf dem Hof. Nun sah man Fritz nur noch bei der Arbeit, in seiner freien Zeit hielt er sich allein und versteckt, und es war, als ob er, außer wenn er arbeitete, überhaupt nicht lebe. Er verdiente sich Lob und Zufriedenheit und bereitete der Mutter auf lange Zeit nur noch reine Freude.

Die nächsten Jahre vergingen für alle gut, die auf dem Hofe beieinander lebten. Die Felder brachten reiche Ernten, die Herden gediehen, die Menschen lebten in Eintracht, die Kinder wuchsen auf, gesund, gut und schön. Der Lohn war gerecht, das Mahl reichlich, die Feiertage voll friedlicher Freuden. Der Mann und die Frau lebten noch immer in dem Glück ihrer ersten Tage. An den Tagen die Arbeit, die Sorgen und Mühen, die Ernten, der Gewinn, das Gedeihen der Kinder, alles diente ihnen nur, sie täglich neu zu verbünden und die Nächte hochzeitlich zu erwarten, in denen die Frau ihren Kuß auf die Lippen des Mannes schmiegte, übermütig ihr Lachen aus der jungen, vollen Brust strömen ließ. Am Tage saß sie bei den Mahlzeiten an der Tafel ihm zur Seite, seine Magd, wie die anderen auch, gehorchend seinem klugen Blick, seinem guten Wort, wie die anderen auch. Aller Augen hingen stets an ihm, denn mit seinen Sorgen trug er die Sorgen aller, mit seinen Freuden empfingen sie die ihren.

Der Herr war jetzt siebenunddreißig Jahre alt. Groß die Gestalt, mit breiten Schultern, licht das Haupt über einer reinen, sehr hohen, leicht gewölbten Stirn, licht der Bart, der das energische Kinn bedeckte, den schmalen frommen Mund beschützte, von Adern durchzogen sah man die schmalen Schläfen und Hände; doch am stärksten ruhte die stille und gütige Macht, die von ihm ausstrahlte, in dem klugen, herrschenden Blick seiner klaren Augen, die tief in ihre Höhlen gebettet waren, von schweren Lidern keusch verhangen. Er sprach nicht viel, ohne Befehl fast geschah alles nach seinem vorsorgenden Willen. Er arbeitete von früh bis spät und ruhte nicht mehr und nicht früher, als alle ruhen durften. Er lebte unter dem Gesinde, und das Gesinde lebte im Vertrauen auf ihn. Er achtete bis zum Tagelöhner auf alle Menschen, die ihn umgaben, und hatte sie sich gut erwählt.

Als erster stand ihm Blank, der Wirtschafter, zur Seite, ergraut in Alter und reicher Erfahrung, doch gefügig und treu dem Willen seines jungen Herrn. Weiter hatte er um sich geschart den Fischer Andres, der den großen Teich am Gutshof und die kleinen Seen der Gemarkung bewachte, die schweren Teichfische fing, die kleinen Dämme und Wehre errichtete, die die Bewässerung der Wiesen speisten und regulierten, denn ein Fluß durchzog die Gegend nicht. Dann den Schmied, der die Wagen und Pflüge baute und im Stande hielt, die Pferde beschlug, Schlösser und Gitter errichtete, wo sie gebraucht wurden, dann den Tischler und Zimmermann, den Dachdecker und die große Zahl der Knechte, Mägde und Feldarbeiter. Die Katenwohnungen, die in weitem Bogen das Gehöft umstanden, hatte er wohnlich herstellen lassen, denn die Handwerker hausten drinnen mit Frauen und Kindern, die verheirateten Feldarbeiter und Knechte. Die kleinen Häuser waren jedes umzogen von einem schmalen Streifen Garten, in dem Gemüse wuchs und Blumen blühten. Denn alle Nahrung, Mehl, Kartoffeln, Fleisch, die Wäsche und Kleidung für Sommer und Winter, erhielten sie von dem Gute. So kam es, daß sie nur für ihren Herrn arbeiteten, reine Feierstunden genossen und doch den Lohn für Not und Alter sparen konnten. Die übrigen, Knechte, Hirten, Pferdefütterer und Dienstboten, zwanzig an der Zahl, wohnten in dem großen, geräumigen Gesindehaus, die Mägde in den hellen Kammern des neuen Wohnhauses.

Zwischen beiden nun, zwischen dem Kreis der kleinen Hütten und den stattlichen Gebäuden des Gutes, lag wie ein Wahrzeichen ein großer Teich, sanft eingesenkt in ein kleines Wiesental, mit einer hellen, im Wind leicht sich kräuselnden Wasserfläche und weit im Rund geschwungenen Ufern, die dicht bestanden waren von Weiden, in deren Gebüsch im Frühling Nachtigallen sich lockten und Frösche knarrten, während an den Sommertagen die Enten mit ihren Jungen auf der sanft bewegten Wasserfläche schwammen und tauchten. Hier war der Lieblingsaufenthalt der Kinder, die an seinen Ufern spielten und zusahen, wenn die Enten gefüttert wurden, die Stätte der fröhlichen Zusammenkunft der Erwachsenen an den sommerlichen Abenden und den Nachmittagen des Sonntags und das heimliche Versteck der Liebenden.

Das Gehöft nun selbst erhob sich in der Ebene der riesigen Felder ungefähr hundert Meter weit vom Teich entfernt, mit seinem stattlichen Wohnhaus, vor dessen Vorderfront der große, mit Quadersteinen sauber gepflasterte Hof lag, mit einem Brunnen in der Mitte, während es mit seiner Rückenfront in einen ebenfalls großen Garten blickte, dessen schwere schwarze Erde mit Gemüsen und Beerensträuchern aller Art bepflanzt war, und der wiederum umgrenzt wurde von einer Hecke wilder Rosen, zwischen denen große, reichlaubige Holunder- und Nußbäume aufragten. Zwischen den Hecken eingebaut lagen die Bienenkörbe, und in einer Ecke stand eine schöngezimmerte Laube, von Blattwerk umrankt. Rechts und links des Wohnhauses standen in reichlicher Zahl die Gebäude der Ställe, des Gesindehauses, der Scheunen und Schuppen, alle gut gefügt und erhalten. Ein nicht allzu breiter Weg mit Obstbäumen auf beiden Seiten führte vom Hofe durch die Felder, dann ein Stück die Wiesen entlang, dann durch einen Tannenwald (der mitsamt dem Jagdbestand, der sich in ihm befand, der Pacht zugehörte und das Gehöft auf eine schöne natürliche Weise nach dieser Seite abgrenzte) auf die große Landstraße nach S., dem Marktflecken. Das Gut lag also abgeschlossen, ein Dorf, eine Welt für sich. Um nach S. zur Kirche, Schule oder zum Markt zu kommen, waren es zu Fuß drei Stunden Weges. Zweimal in der Woche wurden also in dem großen, selbstgebauten Leiterwagen, bespannt mit den kräftigen, schön gestriegelten Pferden, die man schon von weitem als die Treuener erkannte, die Milchprodukte, die Eier, das Geflügel und Gemüse zum Markt oder zur Poststation zum Versand gebracht.

Mit zwei Wagen aber, sauber gewaschen und geputzt, über die an Regentagen schützende Planen aufgezogen und die im Winter bei Schnee auf Schlittenkufen gesetzt wurden, fuhr man, von schön aufgezäumten Pferden gezogen, dicht aneinandergedrängt auf den die Wagenwände entlang aufgestellten Bänken, an jedem Sonntag von Treuen nach S. zur Kirche. Abwechselnd miteinander fuhr so das ganze Gesinde zum Gottesdienst und zurück; es waren heitere Fahrten, und keiner versäumte sie.

Vorauf rollte der Herrschaftswagen, eine Kutsche mit vier Sitzen, gefedert und mit einem zusammenfaltbaren Lederdach überdeckt, bespannt mit zwei goldbraunen Füchsen, den schönsten Pferden vom Hof. Diese Fahrten glichen einem kleinen festlichen Zug, und sie erregten Neid und auch Spott, von denen Christian B.s bescheidenes Leben sonst verschont war. Doch Christian B. liebte diese Fahrten mit ihrer kleinen Pracht, und sie erfüllten ihn mit Stolz. Er arbeitete für den fremden Besitz, als ob es der seine wäre, denn er arbeitete nicht um des Gewinnes willen, den er, da er trotzdem sich bot, selbst in bestimmten Grenzen hielt; er wollte nicht mehr gewinnen als ein Vermögen für seine Kinder, das ihnen einmal eine gleiche Existenz ermöglichen sollte wie die seine, und den Notgroschen für Alter und Krankheit. Was ihn erfreute und trieb, war der Wunsch, zu schaffen, für andere zu sorgen, ihnen Vorsehung, Halt und Heimat zu sein, sie leben zu lassen durch ihn. Mit einer zeugenden Kraft und einem väterlichen Gefühl umfaßte er die Welt und sein eigenes Dasein. Und alle Erfüllung sah er sich gegeben, wenn er die Seinen in heiterer Fahrt, gut genährt und sonntäglich gekleidet, zum Gottesdienst führte. Seine Andacht ging nicht mit der allgemeinen, in der die Worte der Schrift und die Predigten des Pfarrers vernommen wurden, sondern Gott schien sich ihm näher zu offenbaren, er glaubte Gottes Willen, sein Angesicht, ahnend zu erkennen, wenn er nach seinen gerechten und guten Worten und Gesetzen gerecht und gut zu leben bestrebt war. Und er vergaß nie, Gott zu danken und die Menschen zu lieben.

Zur letzten Vollendung seines Glückes aber, zur Bestätigung seines Daseins, wie er es begriff, wurde ihm nach fünfzehnjähriger Ehe die Geburt einer Tochter, die zu einem bezaubernden Kinde aufwuchs. Als es vier Jahre alt war, war es der Liebling aller, die es nur einmal erblickten. Es war ein immer heiteres, strahlendes Kind; es trug die Züge des Vaters, verklärt von der sieghaften Lebensseligkeit der Mutter, es blickte aus des Vaters blauen Augen, doch sie waren weit geöffnet wie die der Mutter, in rührendem Vertrauen zur Welt, es hatte des Vaters reine Stirn, die ergreifend sein frisches, rundes Kindergesichtchen krönte, und es trug des Vaters lichte Haare, die in weichen, flaumigen Locken sein Köpfchen umschwebten. Seine Gestalt war zart, es hatte die tänzerische, freudige Anmut der Mutter in den Bewegungen und ihr leises, strömendes Lachen, weich wie Taubenlaut, unter dem seine kleine Kehle tanzte. Es hieß Anna.

Christian liebte das Kind mit einer noch nie gefühlten, tiefer Innigkeit. Er war ergriffen von seinem Anblick, von seinen Zügen, die ihm selbst so glichen, von seinen Augen, seinen Bewegungen und seinem Lachen, von denen jedes der Mutter Wesen widerspiegelte und ihm das Geheimnis ihrer tiefsten Vereinigung zu offenbaren schien. In dem Kind liebte er zum ersten Male sich selbst, in ihm liebte er sich, die Mutter und das Kind zugleich.

Auch die Frau war seit der Geburt des Kindes verändert. Annas Bettchen stand zu Füßen des Ehebettes an Stelle der Truhe. Nie mehr umarmte sie den Mann in der Dunkelheit mit ihrem lockenden Lachen, mit ihren fordernden Armen, und morgens beim Erwachen, im Anblick des Kindes, errötete sie und senkte den weit offenen Blick ihrer Augen, In den Nächten erfüllte sie beide, die doch die Liebe der Jugend füreinander noch fühlten, eine neue, keusche Zärtlichkeit, die sie mit sanftem Zwang auseinanderhielt, wie die vergangene sie zusammengeführt hatte. Hatten sie nebeneinander geruht, vereinigt nur in ihren Herzen, hob die Frau am Morgen das Kind aus dem Bett und reichte es dem Mann. Sie reichte es ihm, als schenke sie so sich ihm selbst, aber das schönste, ihr selbst verborgene Teil ihres Wesens, als schenke sie ihm ihre Jugend, jünger als die, die er gekannt, ihre Schönheit, schöner als die, die ihn bezaubert hatte, und ein Glück, herrlicher als das tiefste Glück, das sie ihm je bereitet. Und er nahm es entgegen und erwartete des Kindes unschuldiges Lächeln, mit dem es aufwachte. Er fühlte sein Glück und nie mehr die Furcht und Mahnung nächtlicher Dunkelheit.

Um des Kindes Liebe, sein Zutrauen, ja nur sein Lächeln, bewarben sich alle.

Emma sah mit eifersüchtiger Trauer, daß es an der Brust der Mutter genährt wurde, und daß es im Zimmer der Eltern schlief und sie es nicht, wie die anderen Kinder früher, Tag und Nacht bewachen und pflegen konnte. Sie strickte wenigstens seine Strümpfchen und nähte seine Kleider, sie entzückte sich an seinem Anblick.

Die Brüder, im wildesten Knabenalter stehend, liebkosten es scheu und sahen mit hilfloser Zärtlichkeit zu ihm herab.

Vor der Wiege des neugeborenen Kindes hatte auch Fritz gestanden. Er war dreizehn Jahre alt, groß und stark, seine Glieder mit einer zarten Fülle von Fleisch schön überformt, das volle, weiße Gesicht durchleuchtet von dem Glanz seiner großen blauen Augen, über der runden Stirne das üppige lichte Haar, rosig gefärbt Mund, Kinn und Wangen. Er beugte sich lächelnd zu dem friedlich ruhenden Kinde herab. Er hob langsam, von einem sonderbaren Begehren gezogen, seine volle, kräftige Hand und legte sie auf das weiche, winzige Köpfchen des Kindes nieder. Er fühlte den kleinen, noch knochenlosen, von feuchter Wärme umdunsteten Schädel in seiner Hand, er fühlte feines, zartes Pochen von schwachen Pulsen, und es ergriff ihn etwas Furchtbares. Von den weich und warm gegen das Innere seiner Hand anpochenden Schlägen, von dem lauen Strömen der kleinen Pulse angetrieben, fühlte er plötzlich sein eigenes Blut aufjagen, seine eigenen Pulse aufhämmern und sein Herz in Stößen schlagend die Kehle ihm zusammenpressen; ein Zittern, wohlig und schrecklich zugleich, schüttelte seinen Körper, schwarze Röte überflutete sein Gesicht, der Mund fiel auseinander, zischend entfuhr ihm lautloses Lachen. In würgendem Krampf zuckten seine Hände, aber er riß sie los von dem weichen, warmen Haupt des Kindes, er schlug die Nägel in das eigene Fleisch, er floh aus dem Zimmer, rannte über den Hof, suchte nach Arbeit und ergriff endlich eine Axt, um mit wilden, weit ausholenden Schlägen einen Stamm Holz zu spalten, und ließ das lautlose Lachen aus der aufgewühlten Brust über die weit auseinander geöffneten Lippen nach und nach ganz entweichen. Als er ruhig und müde wurde, spürte er Durst. Er ging zum Brunnen und trank, fing das Wasser in die gehöhlten Hände auf, fühlte wollüstig die Kühlung erst da und dann in der heißen trockenen Höhle seines Mundes, in der er jeden Schluck erst lange hin und her bewegte, ehe er ihn in die Kehle rinnen ließ.

Von diesem Ereignis an begann er völlig scheu zu werden und alle menschliche Gesellschaft zu meiden. Da die drei Knaben nun von der Amme getrennt wurden, und die Söhne eine eigene Kammer bezogen, bat er, von nun an im Gesindehaus und allein schlafen zu dürfen, da er doch ja nun bald zu den Knechten gehöre. Seine Mutter freute sich über seine Bescheidenheit und setzte die Erfüllung seiner Bitte durch, obwohl der Herr es gern hatte, den Knaben wie einen seiner Söhne zu halten.

Nachdem so Fritz ein kleines Gelaß mit einem Bett im Gesindehaus bezogen hatte, konnte er sich völlig versteckt halten. Die anderen sahen ihn nur noch bei der Arbeit und bei den Mahlzeiten. In den Feierstunden lief er allein durch die Felder in den Wald, streifte umher, sang mit seiner hohen, sanften Stimme vor sich hin. In der Dämmerung verkroch er sich oft in das Weidengebüsch des Teiches und lauschte dem Treiben der Frösche, von den weichen, hüpfenden Tieren seltsam angezogen. Er horchte auf ihre schnarrenden Rufe, auf das Glucksen und hohle Plätschern ihrer Sprünge, nach und nach erkannte er auch ihre Gestalten in der Dämmerung, sah sie auf den Blättern der Sumpfgewächse hocken, unbeweglich still, in den weichknochigen Leibern zuckte klopfend der Hammer der Pulse, wie Pulse klopfend bewegten sich auch die vor- und zurückspringenden Hügel der Augen. Einmal beugte er sich nieder und fing ein Tier in seine hohl aneinander geschlossenen Hände. Weich und kühl und doch von Herzschlägen durchbebt, zuckte es leise gegen die Flächen seiner Hände. Vom sanften Pulsschlag des Tieres erweckt und aufgetrieben, strömte sein Blut auf, antwortete im geheimnisvollen, gleichen Takt der harte Schlag seines Herzens jenen kühlen, weichen Schlägen, die an das Innere seiner Hände rührten, und krampften sich seine Hände zusammen, um das Tier, um die lockenden Herzschläge zu ersticken, so ward im gleichen Maße seine Kehle zusammengepreßt, er mußte den Mund öffnen, tief nach Luft seufzen, sein Kopf sank tief in den Nacken, über das zurückgeneigte, engelhafte Gesicht goß sich in Wellen schwarze Röte, die Augen, weit geöffnet und mit glitzerndem Schein überzogen, starrten in den sanft verschleierten Himmel der Dämmerung, und sein starker Körper ward von lautlosem Lachen furchtbar erschüttert. Es drängte ihn, die Hände ganz ineinander zu pressen, in tiefster Vereinigung den Herzschlag dort und den Herzschlag in der eigenen Brust zu ersticken, die Kehle dort und die eigene Kehle ganz zu erwürgen; doch er riß sie noch im letzten Augenblick auseinander und tötete nicht völlig das Tier, das zur Erde niederfiel und mit lahmen Sprüngen in das Gebüsch sich rettete. Nun versank in Ruhe sein Herz und in Müdigkeit sein Blut. In haltloser Leichtigkeit flatterten seine Hände. Er barg sie in den Taschen seines Rockes und ging mit langsamen, erschöpften Schritten zum Haus. Er floh von diesem Tage ab den Teich und seine Nähe.

Ein Jahr später, wieder im Sommer, sah er, durch den Wald wandernd, einen jungen, aus dem Nest gefallenen Vogel am Boden liegen. Es war ein Rotkehlchen; seine winzigen, schwarzen Augen blinkten, der kleine Schnabel öffnete und schloß sich lautlos klagend. Er hob ihn auf und nahm ihn zwischen seine Hände. Das Herz des geängstigten Tieres, das rasend gegen seine Hände schlug, jagte ihn auf; sein Blut, das in wilden Strömen von ihm zu dem Vogel und von dem Vogel zu ihm zurück in geheimnisvoller Verbundenheit kreiste, sein Herz, das zu furchtbaren Doppelschlägen angefeuert wurde vom Takt des rasend in Angst schlagenden Tierherzens, es jagte ihn auf, zur Flucht. Die Hand um den Vogel gepreßt, die eigene Kehle umwürgt, flog er in hastigen Sätzen dahin, gepeitscht durch die Stöße seines Herzens, Schweiß auf seiner heiß geröteten Stirn, mit weit geöffnetem Mund, der zischend aus der engen Kehle den emporgekeuchten Atem ausstieß. Aber er erreichte das Haus noch, solange der Vogel lebte.

Er eilte in seine Kammer und ließ den Vogel aus seinen Händen in eine Mütze gleiten, hielt die Innenflächen seiner Hände aufrecht und ausgebreitet in die Luft, bis in der Kühlung seines Blutes aller Aufruhr in ihm verging. Er begann dann, das Tierchen zu füttern, und es gelang ihm auch, es mit vieler Mühe großzuziehen und es zu zähmen. Es erkannte seinen Pfiff, mit dem er es rief, flog herbei und setzte sich auf seine Schulter und fraß aus seiner Hand. Er schnitzte ihm einen schönen geräumigen Käfig. Nur einen Namen fand er nicht für das Tier, obwohl er oft in seiner Kammer in einfachen, langgedehnten Lauten seiner weichen Stimme mit ihm sprach.

Im Frühjahr, das nun folgte, flog ihm der Vogel, wenn sein Käfig geöffnet war, aus dem Fenster seiner Kammer bis auf den Hof entgegen. Da erblickte ihn zum erstenmal die kleine Anna und streckte in kindlicher Freude und Verlangen ihre Ärmchen nach ihm aus. Sofort holte Fritz den Käfig, lockte den Vogel hinein und brachte ihn dem Kinde als Geschenk. Die Frau wollte ihm zur Belohnung ein Geldstück schenken, doch er nahm es nicht. Das Kind aber war so erfreut über den Vogel, daß es ihn den ganzen Tag, neben ihm sitzend, betrachtete, mit kindlicher Sprache zu ihm redete und sein glückliches Lachen ihm entgegensprudelte. Am Abend, als es schlafen sollte, ruhte es nicht eher, als bis der Käfig auf einem Stuhl neben sein Bettchen gestellt wurde. Fritz, der wie früher noch die Kleider und Schuhe der Herrschaftskinder sammelte, um sie zu reinigen, kam an der offenen Tür des Schlafzimmers vorbei. Er sah das schlafende Kind und neben ihm den Käfig mit dem schlafenden Vogel auf der Stange. Er trat ein, ging leise zum Bettchen des Kindes und sah es in der noch lichten Dämmerung des Frühlingsabends an. Er hob die freie linke Hand und senkte sie dem Köpfchen des Kindes entgegen, den zarten Flaum seiner duftigen Locken fühlte er schon warm ihn berühren, feines, stechendes Klopfen regte sich schon im Innern seiner Hand, da schreckte ihn das leise Flattern der schlafesschweren Flügel des kleinen Vogels auf. Er riß die Hand vom Haupt des Kindes zurück, zitternd und gierig öffnete er mit dieser Hand die kleine Tür des Käfigs, ergriff den Vogel, aber noch ehe ihre beiden Herzen wie damals im Wald in wilden Schlägen sich ineinander verfangen konnten, drückte er zu, den glitzernd geweiteten Blick auf das schlafende Kind gerichtet. Er hörte das leise Krachen der zarten Knochen unter dem weichen Federkleid, und er fühlte heiße Feuchtigkeit zwischen seine Finger sich drängen, sammetweich schmiegte sich das Blut des Vogels in seine Hand, alles besänftigend. Sein Herz war ruhig. Weiß und engelgleich war sein Gesicht. Um ihn zu verbergen, ließ er den toten Vogel in den Schuh der kleinen Anna gleiten und ging so zur Treppe hinab, durch die Küche an seiner Mutter vorbei in den Garten. Unter dem Stamm eines Holunderbaumes grub er mit seinen Händen eine kleine Grube, ließ den Vogel, ohne ihn noch einmal zu berühren, ohne sich niederzubeugen, von der Höhe seiner Gestalt herab, aus dem Schuh in die Höhlung niederfallen, deckte Erde über ihn und stampfte sie mit den Füßen fest. Der Geruch der Erde, feucht und stark, das Erfühlen ihrer Krume, kühl, weich und ohne klopfendes Leben in seinen Händen, und die kleine, alles verbergende Ebene der Grube stimmte ihn leicht und fröhlich, leise sang er bei seiner Arbeit mit seiner sanften Stimme.

Am nächsten Morgen glaubten alle, der Vogel sei durch die Unachtsamkeit des Kindes aus dem Käfig gekommen und entflogen. Das Kind weinte bitterlich um den Verlust und fragte Fritz täglich, ob der Vogel nicht wieder geflogen komme. Fritz schüttelte stumm den Kopf und sah es an. Er ging aber und sägte von einem wilden Kirschbaum einen Ast ab und schnitzte unter vieler Mühe und Sorgfalt dem Kinde eine Puppe, mit einem schön ausgeführten Gesicht und wohlgestalteten Gliedern. Er erwies sich als sehr geschickt für alle diese Dinge und gab seiner Mutter auch genau an, wie sie die Kleider der Puppe nähen sollte. Das Kind liebte die Puppe nun ebenso, wie es den Vogel geliebt hatte, und ließ sie nicht aus seinen kleinen Armen.

Zum Trost auch für den fortgeflogenen Vogel schenkte der Vater ihm und den Geschwistern ein Ponygespann, und nun fuhr Fritz unermüdlich die kleine Anna spazieren, ließ sie auf den Rücken der kleinen Pferde reiten, sie sorgsam und geschickt, wie eine Frau, haltend. Er lief geduldig nebenher, so lange das Lachen und Jauchzen des Kindes nur anhielt. Er ging nie mehr zum Teich, und durch den Wald nur bei wichtigen Wegen, er hielt dann den Blick fest vorwärts gerichtet und seine Hände in den Taschen vergraben. Hörte er das zarte Rufen der Brut in den Nestern, pfiff er laut vor sich hin, um es zu übertönen. Im Herbst grub er gern in dem Garten, warf die schwarze Erde auf und wendete sie. Er sammelte welke Blätter, um Lauberde zu gewinnen, vermischte sie mit Erdkrumen, häufte und wendete sie fleißig im Laufe des Winters, und es bereitete ihm eine tiefe, beruhigende Freude, zu beobachten, wie langsam das Laub zerfiel und bis zum Frühjahr in feine weiche Erde, der andern völlig gleich, sich verwandelt hatte. Doch wußte er nie, warum er alles so tat und so fühlte, und gab dem keinerlei Namen. Die nächsten Jahre vergingen auch für ihn noch gut.


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