Ludwig Salomon
Die Blüchertrompete
Ludwig Salomon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zuerst wanderte ich nach dem Sterbehause Scharnhorsts und blickte zu dem Zimmer hinauf, in dem er verschieden war. Kinder spielten jetzt lustig an dessen Fenstern. Dann schritt ich durch den Altstädter Turm auf die Karlsbrücke, ging an den vielen Statuen der Heiligen vorüber, die, ganz wie ehedem, ernst auf mich herniederblickten, lehnte an dem Brückengeländer und schaute in die wirbelnden Fluten der Moldau hinab. Hierauf stieg ich zum Hradschin hinauf, der im hellen Morgenglanze vor mir lag.

Aus dem Dome klangen mir Orgeltöne entgegen – die weihevolle Melodie wehte mich wie ein sanfter Trost in Traurigkeit an – ich trat ein.

Es wurde eine Messe gehalten; verschiedene Andächtige knieten im Mittelschiff und an den Seiten vor kleinen Altären. Leise wandte ich mich an den Säulen vorüber nach dem stilleren Teile des Domes und blieb an einem kleinen Altare stehen, vor dem nur eine einzelne Dame an einem kleinen Gebetpulte kniete.

Ich lehnte mich an das Schnitzwerk und blickte in Gedanken versunken auf einen goldenen Sonnenstrahl, der hell auf die dunkeln Steine des Fußbodens fiel und in dem Tausende von kleinen Stäubchen tanzten. Die Orgel war mittlerweile zu einem feierlicheren Thema übergegangen, in erhabener Schönheit quollen die Töne herab – und ein wundersamer Friede zog mir ins Herz. Als die letzten Töne verhallten und der Gesang des Priesters wieder begann, atmete ich auf – die Wehmut, die mich niedergedrückt hatte, war verschwunden.

Ich mochte aber zu laut aufgeatmet haben, die Betende neben mir wandte sich leicht um und blickte zu mir empor. Verlegen wollte ich zurücktreten, als sich unsere Blicke trafen und ich erschrocken zusammenfuhr. Mir schwindelte; ich mußte mich fest an dem Schnitzwerk des Altars halten. Ein verdorrter Totenkranz fiel dabei auf die Fliese und eine Staubwolke wirbelte auf.

Wie mit einem Zauberschlage waren alle meine Gedanken durcheinander geworfen, zitternd starrte ich auf die Knieende, die wieder das Haupt tief auf ihr Andachtsbuch gesenkt hatte. Täuschte ich mich denn auch nicht, trieben meine Sinne denn auch kein entsetzliches Spiel mit mir – ich sah sie knieen, so dicht vor mir, so nahe – und ich konnte mich nicht irren – nein, nein, es war nicht möglich – ich hatte dasselbe Bild vor mir, das ich von jener Abschiedsstunde in meiner Seele trug. Ganz so, wie damals am Sorgenstuhle des alten Melchior, so lehnte die schlanke Gestalt auch hier am Altare – und jenes Antlitz – wandte es sich mir auch nur eine Sekunde lang zu –

»Beim Allmächtigen!« stammelte ich leise, indem ich mich wie betend etwas zu ihr hinab beugte, »Valeska, sind Sie es denn wirklich?«

Sie antwortete nicht, aber ich sah, wie ihre Hände auf dem Gebetbuche zitterten.

»O, reißen Sie mich aus dieser entsetzlichen Ungewißheit,« brachte ich weiter hervor, »sagen Sie mir ein einziges Wort, damit ich weiß, daß mich nicht Fieberphantasien umgaukeln!«

Sie wandte langsam das schöne Haupt nach mir zur Seite, aber nur wenig, nur daß sie mich sehen konnte – als sie mich aber erblickte und als ich ihr in die dunklen glänzenden Augen schaute, da zuckten wir beide zusammen. Dann beugte sie sich wieder über ihr Gebetbuch, aber bleich, bleich wie die Blätter ihres Buches.

Mir aber klopfte das Herz mit überwältigender Macht. Es war keine Täuschung, es war kein Trugbild – das waren dieselben schönen Züge, die ich unverwischbar mir durch alle Stürme des Krieges im Gedächtnis bewahrt, das war dieses selbe zauberische Auge, das mir so oft in meinen Träumen glänzend geleuchtet hatte. Und doch schien es mir auch wieder, als sei ein fremder Hauch über das Antlitz gegangen, der es anders gemacht habe. Angstvoll forschte ich mit meinen heißen Augen, aber ich vermochte nichts zu erspähen; nur ein Streifchen blasser Wange sah ich, auf dem ein kleines braunes Löckchen losgelöst sich ringelte.

Jetzt senkte sie den Kopf noch tiefer zum Buche nieder und lehnte regungslos auf dem Betpulte.

In demselben Augenblicke begann die Orgel wieder einen volltönigen Choral, der mächtig durch den weiten Dom brauste.

»O, Valeska,« rief ich nun leise zu ihr hinab, »hier führte uns der Himmel wieder zusammen. Die trüben Schatten, welche der Kampf zweier Nationen zwischen uns geworfen hatte, sind geschwunden; Napoleon ist geschlagen. Es mußte so kommen. Die neue Ordnung der Dinge, die jetzt erstehen wird, kann auch für Polen nur segensreich sein. Und sie wird es sein, wenn eine Verständigung ernstlich angebahnt werden wird.«

Ich hielt beklommen inne – es entging mir nicht, sie war in tiefster Bewegung.

»Wenn Ihr Herz noch schlägt wie damals,« wagte ich, kaum hörbar, ihr weiter zuzuflüstern, »wenn Sie noch – –«

Ihr Atem jagte, ihre wogende Brust hob und senkte sich in stürmischer Erregung.

»O lassen Sie mich hoffen, daß Sie noch dieselbe sind, deren Bild ich während der ganzen schweren Zeit in der Seele trug, deren beseligender Zauber mein ganzes Wesen erfüllt, ohne« – –

Sie rang krampfhaft nach Luft – mir versagte die Stimme.

Gleich darauf schloß mit einem vollen Akkorde der Choral, und die Messe war zu Ende.

Ein dumpfes Getöse entstand durch das Aufstehen und Hinausgehen der Andächtigen; ein Diener in reicher Livree schritt an mir vorüber auf Valeska zu, sie stand auf und ich trat etwas zurück. Er hing ihr einen schwarzen, mit weißem Pelz verbrämten Sammetmantel über die Schultern, sie streifte sich noch die Handschuhe über die Finger, nahm das Gebetbuch und wandte sich um.

Es ging mir ein Schauer durch alle Glieder, als das schöne blasse Gesicht sich ganz zu mir wendete. Sie blickte mich mit ihren großen dunklen Augen ruhig an, und indem sie leicht und elegant grüßend an mir vorüber ging, sagte sie:

»Auf Wiedersehen!«

Ich vermochte kein Wort hervorzubringen, so überwältigend war der Eindruck, den die stolze Gestalt auf mich machte. Erst als das Rauschen ihres Kleides sich im allgemeinen Getöse verlor, schien mir das Blut wieder in die Adern zu rinnen.

Ich schaute ihr nach, aber ich sah sie nicht mehr, nur einem neugierigen Blicke des Bedienten begegnete ich noch.

Einen Wagenschlag hörte ich nun ins Schloß fallen, einen Wagen davonrollen – noch einige alte Leute schritten vorsichtig über die Schwelle des Portals – und leer und öde war der weite Raum des Gotteshauses.

Ein wehmütiges Gefühl des Verlassenseins überkam mich, ich blickte noch einmal zu der Stelle hin, wo sie gekniet hatte, und verließ den Dom.

Ich schritt wieder, ohne recht zu wissen warum, hinab in die Stadt, aber die Bilder und Klänge aus dem Dome ließen mich nicht los; mitten im Gewühl der Straßen hörte ich immer wieder sie sagen: »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen.« – Ja, das war ihre Stimme von ehedem, so klang sie damals im Schloßgarten, in der schattigen Laube.

Ich war wieder auf der Karlsbrücke angelangt, lehnte mich in die Böschung eines Pfeilers und schaute hinab in den Strom.

Und ihre Augen – ja, das waren dieselben großen, glänzenden Augen, in die ich so oft geschaut hatte, dieselben, die ich dann so oft in meinen Träumen vor mir aufleuchten gesehen. Und doch wiederum lag etwas Fremdes in diesen Augen, das ich nicht verstehen konnte. Und der Klang der Stimme – ja wohl, es war derselbe, den mir die Erinnerung treulich aufbewahrt – aber er war voller geworden, er hatte eine eigene Färbung erhalten. »Auf Wiedersehen,« nein, das hätte doch damals anders geklungen.

Da plötzlich erschrak ich. Wahrhaftig – wie fiel mir denn das erst jetzt ein – ich sollte sie wiedersehen, aber wo und wann? Sie konnte unmöglich wissen, wo ich abgestiegen war – und ich hatte mich ja bereits vergeblich nach ihr erkundigt. Stumm und ungeschickt hatte ich dagestanden, und nun – war sie mir nicht fast so gut wie abermals verloren? Doch nein, heute konnte sie vielleicht den Unerwarteten nicht sofort empfangen, auf morgen wollte sie sich wahrscheinlich die Zeit zurechtlegen, und ganz gewiß hatte sie gemeint, ich komme auch morgen vormittag wieder zur selben Zeit die Messe besuchen – aber, o, unglückseliges Geschick, wo mußte ich dann schon sein! denn gewiß noch heute abend hatte ich meine Rückreise anzutreten.

Entsetzt über diesen Gedanken starrte ich ins Wasser. Zertrümmert lagen wieder alle Hoffnungen vor mir. Aber ich wußte doch nun, daß sie sich in Prag befand, der größte Teil des Tages lag noch vor mir, sollte ich sie nicht noch aufzufinden vermögen?

Ein fieberhaftes Drängen kam über mich, ich machte mich eilig auf, um alle wohlhabenderen Stadtteile zu durchforschen.

Eine Straße nach der anderen durchsuchte ich – es wurde Mittag, es wurde Nachmittag – ich fand sie nicht. Allerlei Namen warf man mir durcheinander, die Kreuz und Quer schickte man mich. Mit immer ängstlicherer Hast eilte ich von Haus zu Haus, erschrocken fuhr ich bei jedem neuen Stundenschlage zusammen – schon rückte die Zeit heran, zu der ich bei Genz zu erscheinen hatte und noch immer war all mein rastloses Mühen vergeblich gewesen. Erschöpft bog ich eben um eine Ecke – und hielt überrascht inne: Valeskas Diener stand vor mir. Auch er war verwundert, doch brach er sofort in die Worte aus:

»Endlich treffe ich Sie! Nur noch in diesem letzten Gasthause hätte ich nach Ihnen fragen können – ich habe schon die ganze Stadt nach Ihnen abgelaufen. Ich sollte auf jeden Fall,« fuhr er fort, als ich noch immer nicht antwortete, »von meinem gnädigen Fräulein eine Empfehlung an Sie ausrichten und Sie bitten, mit meinem gnädigen Fräulein zu Mittag zu speisen. Dazu wird es aber nun doch wohl zu spät sein; Sie werden wohl schon gespeist haben.«

»Schnell, führen Sie mich zu ihr!« rief ich jetzt und erfaßte die Hand des Dieners, als hätte ich Angst, er könnte mir wieder verloren gehen.

Wir schritten durch einige kleine Gäßchen und gelangten dann auf den Wenzelsplatz.

Stumm waren wir nebeneinander hergegangen, denn mir wirbelten zu viel lange innig gepflegte Gedanken im Kopf, als daß ich ihn um gleichgiltigere äußere Verhältnisse Valeskas hätte befragen können.

Vor einem großen, schönen Hause blieben wir stehen.

»Hier wohnt das gnädige Fräulein,« unterbrach der Diener unser Schweigen.

In demselben Augenblicke schlug eine Turmuhr halb Fünf.

Wir traten ein und stiegen die mit Teppichen belegte Treppe zum ersten Stock hinauf.

Eine feine Eleganz zeigte sich überall.

Der Vorsaal war schon erleuchtet; eine Ampel, die von der Decke herabhing, verbreitete durch ihr rotes Glas ein sanftes Licht. Sie mochte eben erst angezündet worden sein, noch schwankte sie ein wenig hin und her.

Eine wunderliche Beklommenheit überkam mich. Der Diener öffnete die Türe und ich stand mit klopfendem Herzen in einem prächtigen, hell erleuchteten Zimmer.

In demselben Augenblicke tat sich die Türe an der anderen Seite des Zimmers auf und Valeska eilte mir entgegen.

»O, mein Gott!« rief sie, »was habe ich für Angst um Sie ausgestanden!«

Sie ergriff meine Hand und sah mir mit ihren dunklen, glänzenden Augen ins Gesicht. Eine leichte Röte hatte sich auf ihre zarten Wangen gelegt, ein reizendes Lächeln umspielte ihre frischen Lippen – sie sah bezaubernd schön aus in dieser freudigen Erregung, in die sie meine Ankunft versetzt hatte. Sie geleitete mich zu einem Sofa und setzte sich mir gegenüber.

»Sagen Sie mir vor allem,« fuhr sie dann fort, »zürnen Sie mir, daß ich im Dome nicht weiter mit Ihnen sprach?«

»Wie könnte ich das!« versetzte ich.

»Daran erkenne ich Sie völlig wieder,« fiel sie schnell ein, »Sie haben sich Ihr edles Herz ganz bewahrt. – Und so sieht man sich wieder,« setzte sie langsamer hinzu.

Eine kurze Pause entstand. Mir war die Kehle wie zugeschnürt und doch war mir jede Minute kostbar.

»Daß Sie mich sogleich erkannt haben!« sagte sie jetzt wieder lebhafter, nahm einen Fächer, der auf dem Tische vor dem Sofa lag, und schlug ihn auf.

»Ihr Bild stand mir unauslöschlich in der Seele,« brachte ich endlich hervor.

»Aber ich habe mich doch sehr verändert in der verhältnismäßig kurzen Zeit,« entgegnete sie, indem sie den Kopf nach vorn senkte und das Gesicht bis an die Augen mit dem Fächer deckte.

»Nicht Sie erscheinen mir anders, nur Ihre Umgebung ist mir neu, und darum kam es Ihnen vielleicht vor, als ob ich zuerst –« »Und was auch geschehen,« unterbrach sie mich fast heftig, »Sie verzeihen mir!«

Sie blickte über den Rand des Fächers zu mir hinüber.

»O, was hätte ich Ihnen zu verzeihen!« rief ich. »Die verschiedenen politischen Meinungen, die uns damals trennten, die sind zerfallen!«

»Sie haben recht,« sagte sie aufatmend, klappte den Fächer zusammen und warf ihn wieder auf den Tisch. »Sodann bin ich auch zu der Einsicht gekommen, daß Frauen sich nicht mit Staatsgeschäften abgeben dürfen, sonst kommen sie in das kunstreiche Räderwerk der Politik und werden zermalmt. Außerdem ist ja alles vorbei und Napoleons Stern geht unter!«

Bei diesen letzten Worten zuckte ich zusammen. Ich hatte sie ja erst heute Morgen bei Genz gehört – jetzt erinnerten sie mich an meine Pflicht.

»Was ist Ihnen?« fragte sie und blickte mich besorgt an.

Meine Augen hingen wie verzaubert an der reizvollen, üppigen Gestalt und ich sollte mich losreißen. Aber ich überwand mich mit aller Macht.

»Ich muß fort,« stieß ich hervor und berichtete ihr nun mit jagendem Atem den eigentlichen Zweck meines Hierseins. »Und dabei denken Sie nur an die Politik,« versetzte sie tonlos. »Ob Sie dabei ein –«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Und nun ist alles wieder zertreten,« fuhr sie darauf fort. »O Gott, wie habe ich so oft in heißer Sehnsucht diese Stunde herbeigewünscht – und nun, da ich aus diesem schalen Glanze entfliehen könnte, entreißen Sie mir wieder Ihre Hand – und geben mich preis!«

In leidenschaftlicher Erregung hatte sie diese letzten Worte ausgestoßen und barg nun weinend ihr Gesicht in den Kissen des Sofas.

»Das sei ferne von mir, Valeska,« entgegnete ich aber ernst. »Schlecht ist der Mann, der seine Pflicht verletzt. Sie werden nicht wollen, daß ich Ihrer unwürdig werde. Sie haben mir die süßesten Hoffnungen meines Lebens neu erstehen lassen, Sie haben mir die Aussicht auf ein beseligendes Paradies eröffnet, meinem ganzen Sein –«

In demselben Augenblicke entstand auf dem Vorsaal ein Geräusch, über das ich zusammenschrak. Auch sie fuhr auf.

»Der Baron!« hauchte sie unwillkürlich.

Sie erhob sich schnell. »Wenn es denn sein muß,« sagte sie mit einem herben Lächeln, und über ihrem schönen Gesichte lag wieder der fremde, stolze Zug.

Man sprach laut auf dem Vorsaal. Sie schlug rasch die Portiere zu einem dunklen Nebenzimmer zurück und schlüpfte mit mir hinein.

Einen Augenblick lauschte sie, ich hörte es an ihrem Atem, dann fühlte ich mich plötzlich von zitternden Armen hastig umschlungen; heiße Lippen preßten sich leidenschaftlich auf die meinen.

»Du findest mich wieder, wenn Du wiederkommst,« raunte sie mir mit bebender Stimme in's Ohr.

»Und ich komme wieder, so wahr es einen Gott im Himmel gibt,« schwur ich mit heiligem Ernste.

Gleich darauf öffnete sich drüben an der anderen Wand eine Tapetentüre. Ein matter Lichtstrahl fiel in das Zimmer.

»Belieben der gnädige Herr hier auszutreten,« rief mir der Diener leise zu und machte eine unzweideutige Handbewegung, die ein Trinkgeld erheischte.

Ich gab ihm einige Münzen, ich wußte nicht welche; wie betäubt stürzte ich die Treppe hinab durch die Straßen.

Fünf dumpfe Glockenschläge verkündeten die fünfte Stunde; gleich darauf trat ich bei Genz ein, nahm meine Depeschen in Empfang – und wenige Minuten später jagte ich in den dämmernden Abend hinein.

Bald wußte ich gar nicht mehr, daß ich schon wieder auf dem Pferde saß. Die Hände mit den Zügeln waren mir auf den Sattelknopf hinabgeglitten, und während das kluge Tier den Rückweg sicher verfolgte, war ich tief versunken in die Erinnerung an die eben durchlebten Stunden.

Ich stieg noch einmal die Treppe hinauf und schritt in das sanfte, rote Licht des Vorsaales. Dann öffneten sich mir die Flügeltüren und ich trat in das glänzende Gemach. Ein zarter Duft wehte mich an, wie von blühenden Orangenbüschen, wie aus den Zaubergärten der Prinzessin von Bagdad. – Und plötzlich stand sie vor mir, die stolze Zauberin. Ein magisches Feuer strahlte mir aus ihren Augen entgegen, ihre roten Lippen lächelten mich an, ihre warmen Hände ergriffen die meinen. Nun sanken wir auf die schwellenden Polster; ihr dunkles, seidenes Gewand knisterte leise, sie strich mit ihren schlanken weißen Fingern die bauschigen Falten zusammen und nahm sich den Fächer vom Tisch. Dabei senkte sie leicht das Haupt, und die Strahlen der Kerzen von dem Armleuchter, der auf dem Tische stand, schossen hinein in das braune, glänzende Haar, als wollten sie ein Diadem für eine Göttin flechten. Ihre Augen sandten mir Blicke zu, die mir bis in die Seele drangen; zu alle dem sprach sie süße, glutvolle Worte zu mir, daß mich ein Wonneschauer durchfuhr. Dann aber atmete sie schwer, und Tränen rannen ihr glitzernd über die erhitzten Wangen.

Aufspringen und sie umschlingen wollt ich, und ihr hinwegküssen alle die heißen Tränen, aber da ging mir auf einmal ein kaltes Wort durch die Gedanken, wie ein Reif in Frühlingsnacht legte sich lähmender Frost auf mein Herz.

Nun rauschte es um mich, die Lichter verschwanden, plötzlich brannte ein heißer Kuß auf meinen Lippen – ich fuhr erschrocken auf – einsam jagte ich durch das Dunkel der Nacht.

Jetzt besann ich mich erst wieder, daß ich mich ja auf der Rückkehr nach Leipzig befand, und daß ich bald wieder mitten im Lärm des Krieges sein werde. Allein die tief ernsten Bilder der Schlachten tauchten nur schattenhaft in mir auf; über alle noch vor uns liegenden Mühsalen schaute ich froh hinüber in die sehnlichst erhoffte, sonnige Friedenszeit, in der in rüstiger Arbeit sich jeder einen segensreichen Wirkungskreis schaffen werde. Auch für mich sah ich eine solche glückliche Zukunft; auch für mich sollte der große Überwindungskampf bei Leipzig solche schönen Früchte tragen – und mit ihr sollte ich sie beseligt teilen dürfen!

Das freudige Gefühl des Sieges überkam mich, meine Trompete zog ich hervor, und kräftig blies ich in die stille Nacht hinein:

»Heil Dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands,
Heil, König, Dir!
Fühl in des Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Liebling des Volks zu sein,
Heil, König, Dir!«

Es ist bitter, an diese Träume zu denken. Er hat die hohe Wonne nie gefühlt, er hat im Glanze des ihm von seinem Volke wieder aufgerichteten Thrones der ehrlich ihm dargebrachten Liebe nie getraut, sie nicht gewürdigt und ihr den schuldigen Zoll der Dankbarkeit versagt.–

In Leipzig traf ich das Heer sowie das Hauptquartier nicht mehr, man war bereits nach Frankfurt aufgebrochen – aber den Jammer und das Elend, die getreuen Folgen der entsetzlichen Schlacht, sah ich noch mich grauenvoll von allen Seiten angrinsen.

Von Frankfurt aus stieß ich wieder zur Blücherschen Armee und am Neujahrstage 1814 zog ich bei Caub mit über den Rhein in das französische Gebiet. Nun ging es vorwärts, aber nicht so glatt, wie man das wohl so später erzählte. In der nichtswürdigen Klemme bei Laon, wo unser armer Blücher krank darniederlag, und wo sich York, Gneisenau und Bülow uneinig hin und her zerrten, bekam ich für meinen Teil einen Prellschuß in's linke Bein. Es war aber nicht so schlimm; zudem behandelte ich die leichte Wunde mit aller Sorgfalt, denn ich wollte dieser Kleinigkeit wegen nicht um den Einzug von Paris kommen.

Auf allen unseren mühevollen Märschen aber, auf den einsamen Wachten in den rauhen Winternächten und mitten in dem stürmischen Auf- und Niederwogen des Krieges blieb mir Valeskas schönes Bild klar vor der Seele stehen, und die Hoffnung beseelte mich und ließ mich alle Mühsalen mutig bestehen, die frohe Hoffnung auf eine beglückende Heimkehr.


 << zurück weiter >>