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Es wollte schlecht gehen mit meiner Privatpflege. Ich glaubte, jeder würde mich mit meiner Blüchertrompete mit offenen Armen aufnehmen, aber überall kam ich in ausgesogene Dörfer, überall begegnete ich nur gedrückten, sorgenvollen Menschen, die wegen des Mißerfolges bei Großgörschen bang in die Zukunft blickten. Der Napoleon wird doch am Ende wieder aufkommen, meinten verschiedene, und dann schrecklich Musterung halten.
Mühsam schleppte ich mich bis Jena. Hier wurde ich freundlich aufgenommen. Einige lahme und bucklige Studenten, die absolut nicht mit fortgekonnt hatten und darum das ganze Personal der Universität bildeten, nahmen mich in ihre Obhut. Sie verbanden mich sorgfältig und, was für mich das Wohltätigste war, sie hegten die frohe Hoffnung, daß die letzte Stunde des Korsen, trotz Großgörschen, dennoch in nicht allzuferner Zeit schlagen werde. Im Winkel vor dem Burgkeller beim Kännchen Lichtenhainer wurde dergleichen durchgesprochen.
Die Franzosen benutzten aber unterdessen ihren Vorteil und überschwemmten Sachsen und Thüringen von neuem. Ich mußte mich daher alsbald verborgen halten, in einem alten düsteren Hause in der Kollegiengasse, und fand es nach ungefähr acht Tagen, in denen meine Wunden auffallend schnell in ihrer Heilung fortgeschritten waren, für besser, mich nach Böhmen hinüber zu schleichen, wo ich mich, wie man mir sagte, ganz gefahrlos auskurieren könne. Im geheimen hatte man eine Geldsammlung für mich veranstaltet, und als ich schied von dem lieben Kreise guter Menschen und der freundlichen Stadt, da drückte man mir noch ein reichliches Reisegeld in die Hand.
Es war mittlerweile Frühling geworden, überall prangte die Natur im herrlichsten Blütenschmucke, nur hoch oben in dem armen, unfruchtbaren Erzgebirge pfiff noch der kalte Wind. Bald stieg ich aber in das gesegnete Böhmerland hinein.
Ich wußte nun freilich nicht, wohin ich eigentlich wollte. An einem Morgen hatte ich auch, einige Stunden vor der Grenze, um nicht von französischen Wächtern erwischt zu werden, die Straße verlassen und war nur immer gerade aus gen Süden vorsichtig durch Feld und Wald gestrichen. Meine verräterische Trompete und mein Waldhorn hatte ich während dieses gefährlichen Marsches sorgsam unter meine Kleider verborgen. Als ich mich endlich glücklich in Böhmen befand und das dort steil abfallende Gebirge hinabstieg, wollte ich gern wieder zu einer Heerstraße gelangen, konnte mich aber aus einem dichten Forste nicht hinausfinden.
Schon neigte sich der Tag und machte mich für mein Verbleiben besorgt, als ich plötzlich ziemlich nahe vor mir lautes, fröhliches Lachen vernahm. Freudig sprang ich vorwärts, bog schnell die etwas dichten Zweige auseinander und – sauste im nächsten Augenblick prasselnd einen Abhang hinab. Dann krachte und polterte es, summte und brummte es mir um den Kopf, helle Stimmen schrieen auf, ein Heidenlärm brach los und ich saß mitten drin. Doch schnell besann ich mich und sah zu meinem Schrecken, daß ich durch das leichte Strohdach einer Bienenhütte gebrochen und auf einen Bienenkorb gestürzt war, den ich infolgedessen umgeworfen hatte und aus dem nun ein Schwarm böse gewordener Bienen den Friedenstörer umflogen. Schon stürmten die wütenden Tiere auf mich ein, verschiedene hatten sich bereits in meinem Haar verwickelt, bereits saßen mir mehrere auf der einen Wange und stachen mich, daß die Muskeln krampfhaft zuckten, als ein Wasserstrom mir über den Kopf stürzte und, ehe ich zu mir kommen konnte, ein zweiter, so daß ich ganz verwirrt zusammenfuhr. Der Schwarm der wilden Bienen aber mich erschrocken zurück.
»Allons, allons,« rief mir in demselben Augenblicke eine helle Stimme zu, »schnell heraus, ehe die Bienen wieder kommen!«
Eiligst entsprang ich triefend der gefahrvollen Lage und befand mich nun mehreren jungen Mädchen gegenüber, von denen eine einen Eimer in der Hand hielt, während die anderen mit grünen Zweigen und Blumen beladen waren.
»Jesus, Maria, Joseph!« rief eines der hinten stehenden Mädchen, »es ist wirklich kein Gespenst!«
»Dummes Ding,« versetzte die Trägerin des Eimers, indem sie diesen beiseite setzte. Dann wandte sie sich an mich und sagte mit schelmischem Lächeln:
»Der kürzeste Weg war das zwar von da oben herab, aber nicht der bequemste. Doch kommen Sie schnell, sonst könnten Sie nochmals den Bienen in die Stacheln geraten.«
Ich vermochte nicht zu antworten. Die so schnelle Veränderung meiner Situation, die vielfachen Stöße, die ich auf meiner kurzen Fahrt erhalten hatte, die juckenden Bienenstiche auf meiner Wange – alles das hatte mich förmlich betäubt, so daß ich willens- und urteilslos folgte. Als ich unwillkürlich noch einmal zu meiner Unglücksstätte zurückblickte, sah ich einen alten Mann den umgestürzten Bienenkorb bereits wieder aufrichten.
Wir traten aus einem Gärtchen hinaus ins Freie und blieben nun einen Augenblick stehen.
Eine kurze Stille trat ein. Ich fühlte, ich mußte irgendwelchen Dank abstatten, besonders dem jungen Mädchen, das mich durch das resolute Sturzbad vor den wütenden Bienen geschützt hatte. Dann mußte ich sagen, wer ich sei und wie es gekommen, daß ich so unerwartet hier eingebrochen.
Als ich aber meine Retterin sah, vermochte ich vor Verwunderung kein Wort hervorzubringen, denn eine sonderbar reizvolle Mädchengestalt bot sich in ihr mir dar.
Auf dem frischen rosigen Gesichte spiegelte sich eine feine Schalkhaftigkeit ab, aus den glänzenden braunen Augen leuchtete ein lebendiges Feuer – was mich aber ganz besonders überraschte, die zierliche, graziöse Gestalt zeigte sich mir in einer eleganten Tracht, die mir ganz fremd war, und die sie den anderen Mädchen gegenüber wie eine Königin erscheinen ließ.
Zum Glück für mich trat jetzt der alte Mann ebenfalls aus dem Gärtchen heraus, so daß ich endlich den Mut zum Reden bekam. Ich bat der unliebsamen Störung wegen um Verzeihung und berichtete dann in kurzen Worten, wer und was ich sei, und daß ich in Böhmen meine Wunden auskurieren wolle.
Es mag nicht ohne Stottern abgegangen sein, auch mag mein rotes, verlegenes Gesicht sich lächerlich genug dabei ausgenommen haben, besonders als ich sagte, daß ich ein preußischer Soldat sei, denn bei diesen Worten ging ein eigentümlicher Schatten über das schöne Mädchengesicht.
Doch lenkte der Alte, der zu mir getreten war, meine Gedanken ab.
»Da sind Sie gerade in ein leidlich gutes Nest hineingefallen,« rief er, »ich bin Verwalter des alten Schlosses dort drüben und freue mich, einen tapferen preußischen Soldaten eines von den vielen leerstehenden Zimmern anbieten zu können, damit er sich pflege für neue Taten.«
Der Alte hatte die letzten Worte mit eigentümlicher Betonung gesprochen, als wollte er noch mehr als diesen einfachen Sinn damit ausdrücken. In mir aber hatte die Einladung einen freudigen Widerhall gefunden. Ich drückte dem Alten dankbar die Hand und blickte ihm in das faltige, von schlichtem weißem Haar umrahmte Gesicht, aus dem mir eine treuherzige Gutmütigkeit entgegenwehte. »Das wäre ja die schnellste Erfüllung meiner Wünsche,« versetzte ich fröhlich.
»In diesen schweren Zeiten muß jeder sehen, wie er helfen kann,« erwiderte er. »Aber dann wollen wir aufbrechen,« fuhr er fort, »Sie sind naß und werden auch müde und hungrig sein.«
Wir gingen, und nun bemerkte ich erst verwundert, daß meine Retterin sich bereits dem alten stattlichen Schlosse, das in geringer Entfernung auf einem kleinen Hügel vor uns lag, zugewandt hatte.
Wie ich die schöne Gestalt so im Abendrote den sanft ansteigenden Weg uns voranschreiten sah, da war mir, als wandere ich in ein verzaubertes Schloß, und als sei die Dahinwandelnde die mächtige Zauberin, die mich jetzt mit unbesiegbarer Gewalt in ihren Zauberbann zöge. Und wie ich ihr so nachblickte und nur beklommen folgte, gewahrte ich, daß sie jetzt eine dunkelblaue Mütze, die am Rande mit schwarzem, krausem Pelz verbrämt und oben mit einem glatten, viereckigen Deckel geschlossen war, keck auf ihr schönes Haupt gesetzt hatte. Die überaus gefällige, zierliche Kopfbedeckung erkannte ich sogleich als eine polnische Mütze. Jetzt ließ ich meine Blicke auch weiter über das Mädchen gleiten, und nun bemerkte ich, daß sie eine feine, ebenfalls mit Pelz besetzte dunkle Jacke trug, die durch reichen Schnurenbesatz einen mir gänzlich fremden Charakter erhielt. Das Kleid fiel zwar nach der Mode der Zeit nur kurz herab und ließ zwei zierliche Lederstiefelchen sehen, die aber, gegen den damaligen Geschmack, bis zum Knöchel reichten und außerdem mit zierlichen hohen Häckchen versehen waren. Der Gang des Mädchens erhielt dadurch eine kecke Anmut, die zu der Gestalt ganz richtig paßte.
Unterdessen erzählte mir der freundliche Alte, der mir zur Seite daherging, daß auch er ehedem ein preußischer Soldat gewesen sei, aber vor fünfzig Jahren, zu des Großen Friedrichs Zeiten, und daß er ebenfalls verwundet worden sei, und zwar in der Schlacht bei Prag. Er sei damals in einem Dörfchen liegen geblieben und dann sein ganzes Leben lang nicht wieder aus Böhmen hinausgekommen. Heutigen Tages wisse man überhaupt kaum noch, daß der alte Melchior jemals ein Fremder gewesen sei.
Mittlerweile waren wir bei dem alten Schlosse angelangt und traten nun durch das von unseren Schritten dröhnende gewölbte Tor in einen kleinen mit Gras bewachsenen stillen Schloßhof.
Zu meiner Überraschung erblickte ich dort an einem Haupteingange einen stattlichen alten Herrn, der seinen linken Arm auf die Schulter meiner schönen Retterin gelegt hatte, während er in der rechten Hand ein Papier hielt.
Der alte Herr begrüßte mich mit einer feinen Höflichkeit. Ich hielt ihn für den Herrn des Schlosses und wollte zu ihm hintreten, als mich Melchior rasch am Arme zog und mir zuraunte:
»Die sind auch nur Gäste!«
Der alte Herr bemerkte das und lächelte leicht.
»Wie ich höre,« sagte er dann zu mir, »kommen Sie vom Kriegstheater.«
Ich bejahte.
»Obgleich ich Ihnen völlig fremd bin,« fuhr er dann mit einer leichten, gewinnenden Verbeugung fort, »so bin ich doch so frei, an Sie eine Bitte zu richten, und zwar die, mir über den Stand der Verhältnisse einige Aufklärung zu geben. Beliebt es Ihnen vielleicht, bei uns das Abendbrot einzunehmen, so bin ich so frei, Sie hierdurch einzuladen.«
Verwundert und unentschlossen schaute ich Melchior an.
»Ich werde Ihnen unterdessen Ihr Stüblein zurecht machen,« antwortete dieser mir ziemlich mißvergnügt.
»Dann gestatten Sie mir, mich Ihnen vorzustellen,« fuhr hierauf der alte Herr fort, »ich bin Stanislaus von Kaminski und das ist meine Tochter Valeska!«
Er verneigte sich mit feinem Anstande und das junge Mädchen machte mir ein ganz allerliebstes graziöses Kompliment, so daß ich nur verlegen meinen Namen hervorstottern konnte.
Herr von Kaminski führte mich nun in ein kleines, hochgewölbtes Zimmer, auf dessen braunes Getäfel eben der Purpurglanz der scheidenden Sonne fiel; hier fanden wir das Abendbrot bereits aufgetragen, so daß wir uns gleich zu Tisch setzen konnten.
Meine kurze Kriegsgeschichte, die schließlich nur den einen Höhepunkt, die Schlacht bei Großgörschen, besaß, ward bald erzählt. Herr von Kaminski und seine schöne Tochter hatten aufmerksam zugehört. Sie hatten mich an keiner Stelle unterbrochen, nur wenn mir das Herz bei der Schilderung irgendeiner Szene einmal wärmer geschlagen und mein Zorn gegen die Franzosen lebhafter emporgelodert hatte, war ein eigentümliches Lächeln über das ruhige, glattrasierte Gesicht des alten Herrn geglitten.
Schließlich dankte er mir für meine Mitteilungen, erwiderte mir aber zu meiner Verwunderung nichts auf mein Gesagtes und meine daran geknüpften Hoffnungen. Nach kurzer Pause, während welcher ich zu Valeska aufzuschauen gewagt hatte, begann er dann:
»Nach diesen aufregenden Kriegswochen wird Ihnen der ländliche Friede hier recht wohl tun.« Dann wußte er mich in anziehender Weise von dem alten Schlosse zu unterhalten, dessen wahrscheinliche Erbauung er in die Zeit des dreizehnten Jahrhunderts setzte, was er an der Art der Gebäudegruppierung und dem Baustil mit reichem Wissen erläuterte – bis Melchior hereintrat, um mir mitzuteilen, daß er mir mein Stübchen instand gesetzt habe.
So gern ich auch noch in der angenehmen Gesellschaft geblieben wäre, mußte ich doch meiner Abspannung und Müdigkeit Rechnung tragen. Ich empfahl mich; ein voller Blick Valeskas traf mich noch, als ich noch einmal in der Türe, wohl gegen ihr Erwarten, zu ihr aufsah – und mühsam stieg ich mit heißem Gesicht in Begleitung des alten Melchior eine Wendeltreppe hinauf in ein behagliches Turmzimmer, in welchem meiner ein mächtiges Himmelbett mit säulenartigen, gedrehten Füßen harrte.
Der jetzt etwas mürrische Alte zündete mir ein Licht an, wünschte mir gute Ruhe und ging.
Als ich allein war, schaute ich mich um und strich mir über die Stirn. Ich mußte mich erst wieder besinnen, was in der kurzen Zeit alles mit mir vorgegangen war. Dabei fühlte ich aber auch wieder das Brennen meiner Wunde, die vom Fallen in das Bienenhaus etwas aufgerissen sein mochte, stellte daher meine Trompete auf den Tisch, holte etwas von der weichen Leinwand hervor, die man mir in Jena vorsorglich mitgegeben, verband mich frisch und streckte mich bald wonniglich auf das weiche Lager nieder.
Mit dem Einschlafen ging es jedoch nicht so schnell; ich war noch zu aufgeregt, und wenn ich auch die Augen schloß, so kam doch noch kein Schlaf, vielmehr ging mir alsbald das bunte Durcheinander der letzten Woche regellos im Kopfe herum; alle die Begebnisse der jüngsten Zeit spukten und kollerten mir durch die Gedanken. Bald sah ich uns im Lärm von Breslau mitten unter der schlesischen Landwehr, bald zog ich einsam über die kahlen höchsten Rücken des Erzgebirges, dann glänzten mir wieder die großen, begeisterten Augen unseres trefflichen Rektors entgegen, dann wurde es grün und blätterreich vor mir, blühende Bäume dufteten mir entgegen und schöne braune Augen blitzten auf, schalkhafte rote Lippen lächelten mir zu. Schon wollte ich verlangend die Arme ausstrecken, als alles verschwand, Waffenlärm erklang, Kanonendonner mich umdröhnte, Kommandorufe, Stimmengewirr und das ganze Geschrei der Schlacht mich umtoste – bis ich plötzlich schmerzvoll im Lazarette lag und der greise Held mit seinen funkelnden Stahlaugen mich anschaute, die blitzende Trompete in der Hand. – »Hilf damit bald die vermaledeiten Franzosen aus Deutschland hinausblasen – blase sie stets zu Deutschlands Ehre!« – ich drückte das Kleinod fest an meine Brust, der Glanz des erhofften neuen deutschen Reiches ging vor mir auf, heilige Weihe kam über mich – feierlicher Friede lag über dem weiten, herrlichen Vaterlande – ich lag in tiefem Schlummer.
Der helle Sonnenschein glänzte bereits durch die runden Scheiben in mein kleines Gemach, als ich verwundert erwachte.
Ich mußte mich erst wieder einen Augenblick besinnen, wo ich mich befand, so fremd erschienen mir die hochlehnigen, mit Leder beschlagenen Stühle, die mit braunem Tannenholz getäfelten Wände, die beiden bärtigen Männer, die zu beiden Seiten der Türe finster aus ihren breiten schwarzen Rahmen auf mich herab blickten und beide mit der rechten Hand ein Wappen hielten, in welchem der Hussitenkelch strahlte.
Ich ließ die trüben Gesellen, erhob mich und blickte neugierig zum Fenster hinaus. Ein herrliches blühendes Tal breitete sich vor mir aus, und unmittelbar unter meinem Fenster duftete und prangte ein schattiger Schloßgarten.
Zuerst glaubte ich, es sei alles still drunten, doch nach wenigen Augenblicken vernahm ich etwas gedämpfte Stimmen rechts zur Seite. Ich schaute genau hin und sah helle Sommerkleider durch das Grün schimmern. Da sich diese jedoch nicht bewegten, so schloß ich, daß sich dort eine Laube befinde, in der eine jugendliche Mädchengesellschaft Platz genommen. Etwas Genaueres vermochte ich durch die dichten Zweige nicht zu erspähen. Die Stimmen konnte ich jedoch ziemlich deutlich vernehmen; ich lauschte daher.
»Das wäre herrlich!« sagte die eine.
»Ob er es aber auch tun wird?« zweifelte eine andere.
»O, wenn wir ihn recht darum bitten,« versetzte zuversichtlich eine dritte – und diese klare Stimme kannte ich.
»Ja, wenn Sie ihn darum bitten,« rief da die erste Stimme freudig lauter.
»Ob er aber auch etwas anderes als Signale blasen kann?« warf eine Ungläubige dazwischen.
Mir schoß das Blut in den Kopf – sollte ich der Gegenstand der Unterhaltung sein? »Das wäre fatal,« entgegnete die mir bekannte Stimme; »doch nein, er sieht aus, als könnte er auch etwas mehr.«
»Dies Vertrauen mußt Du rechtfertigen,« fuhr mir sogleich durch den Kopf. Schnell nahm ich meine Trompete zur Hand, einen Augenblick sann ich nach, dann nahm ich alle meine Kunst zusammen und blies leise das hübsche Lied von Meister Tieck, das damals viel gesungen wurde:
»Feldeinwärts flog ein Vögelein
Und sang im muntern Sonnenschein
Mit süßem, wunderbarem Ton:
Ade; ich fliege nun davon!
Weit, weit
Reis' ich noch heut!«
Ich wunderte mich selbst, wie ich das so hübsch glatt und voll hinein blies in die frische Landschaft. Doch noch weit mehr erstaunte ich, als eine wundervolle, klare Stimme aus dem Grün, mir gleichsam antwortend, den zweiten Vers zu singen begann:
»Ich horchte auf den Feldgesang,
Mir ward so wohl und doch so bang;
Mit frohem Scherz und trüber Lust
Stieg wechselnd bald und sank die Brust:
Herz, Herz!
Brichst du vor Wonn' oder Schmerz?«
Das klang so wunderbar schön, so prächtig, daß ich nun entzückt den Schlußvers des Liedes zu blasen begann, meinend, da müsse die Sängerin nun erst recht mit einstimmen. Allein sie schwieg zu meinem großen Bedauern, und ich hatte nun Mühe, den Vers zu Ende zu blasen, so reizlos, so hohl klang mir auf einmal der Ton meiner Trompete.
Enttäuscht stellte ich mein Instrument auf die Fensterbank und lehnte mich zum Fenster hinaus nach der Laube; doch so sehr ich mich auch bemühte, ich vermochte kein Streifchen eines Sommerkleides zu entdecken. – Alles war still und leer.
In diesem Augenblicke klopfte es an meiner Türe, eine alte Frau, wohl eine alte Dienerin des Hauses, fragte, ob es mir gefällig wäre, in das Wohnzimmer hinab zu kommen, um den Morgenkaffee einzunehmen.
Ich tat schnell noch einen Blick in den Spiegel und bemerkte unwillig, daß mein Gesicht von den gestrigen Bienenstichen noch ziemlich entstellt war.
Als ich unten eintrat, fand ich Valeska und ihren Vater bereits am Frühstückstische stehend. Sie verneigte sich leicht mir gegenüber, auch der alte Herr wünschte mir mit einer eleganten Handbewegung einen guten Morgen.
»Nun, wie haben Sie geruht in dem alten Gemäuer?« fragte er sodann.
Es wollte nicht recht mit meiner Sprache vorwärts gehen, denn meine Augen hafteten immer wieder, obgleich ich sie verschiedentlich versuchte abzulenken, an der graziösen Mädchengestalt, die in einem hellen Sommerkleide in reizvollster Jugendschöne neben dem alternden Vater lehnte. Dazu umspielte den rosigen Mund ein so sonniges Lächeln, die braunen Augen glänzten so sinnbestrickend, daß es nicht Wunder nehmen konnte, wenn ich nur Unüberlegtes hervorbringen konnte.
Der Herr von Kaminski half mir aber in höflicher Weise über die Klippe hinweg, indem er mich fragte, ob ich ein bestimmtes Reiseziel habe, und als ich verneinte, rief er mit gewinnender Freundlichkeit:
»Dann macht es mir Vergnügen, Ihnen die Burg als Kurort anempfehlen zu können. Sie ist zwar nicht mein Eigentum, aber ich weiß, daß ich im Sinne ihres Besitzers handle, wenn ich so frei bin, sie Ihnen zum Aufenthaltsorte anzubieten.«
Unwillkürlich sah ich zu Valeska auf. Ein glänzender Schalkblick traf mich, der nicht verbarg, daß sie keine abschlägige Antwort erwarte. Und doch hätte ich am liebsten gleich wieder mein kleines Bündel geschnürt und wäre hinweggegangen, wenn auch mit wehmütigem Herzen. Denn was sollte das werden mit mir armem Soldaten, konnten meine trunkenen Blicke noch länger an diesem Frauenbilde hängen!
Sie bemerkte meine Verlegenheit, schien sie aber anders zu deuten und sagte mit sanfter Stimme, der ich eine leise Trauer anzuhören glaubte:
»Freilich können wir Ihnen nichts weiter bieten, als ein stilles Landleben – und unsere einfache Gesellschaft.«
»Höchstens noch bisweilen etwas Eigensinn,« fügte der Vater mit komischem Ernste hinzu.
»Aber nur bisweilen,« rief Valeska, während sie den rosigen Mund in leichtem Schmollen zusammenzog.
Da war mein Schicksal entschieden. Ich nahm das freundliche Anerbieten an.
Hierauf setzten wir uns; sie servierte wie eine umsichtige Hausfrau den Kaffee, und dabei plauderten wir über allerlei kleine Vorfälle aus Haus und Feld.
Nach dem Morgenimbiß, als wir vom Tische aufgestanden waren, traf mich ein voller Blick ihrer dunklen Augen, so daß ich unwillkürlich stehen blieb. Sie trat denn auch zu mir heran und sagte: Es sei heute, wie ich wohl wisse, der Tag des heiligen Nepomuk. An diesem mache man hier stets eine Prozession nach einer für die Gegend sehr wichtigen hohen Brücke, die über einen reißenden Gebirgsbach führe, und auf dem sich ein Standbild des Landesheiligen und des besonderen Beschützers der Brücken befinde. Dieses Nepomukfest sei stets ein fröhliches, das man sich gern durch Musik verschöne. Leider seien in diesem Jahre die bisherigen Musikanten beim Heere, man habe jedoch freudig bemerkt, daß ich im Besitz einer Trompete sei und hoffe nun, daß ich mit ihr das Fest verschönen helfen werde.
Das war eigentlich eine Bitte; aber es klang wie ein vornehmer Befehl, dem man nur die Form eines Wunsches gegeben hatte, weil eine Weigerung ganz außerhalb des Gedankenkreises der Bittstellerin zu liegen schien.
Ich wagte denn auch kaum einzuwenden, daß ich kein Katholik, sondern ein Lutherischer sei, und versprach, trotz alledem meine ganze Kunst für den Heiligen zu entfalten.