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1693. 1694. 1695
Der Tod des Herzogs Claude / Saint-Simons Heirat / Lafontaines und Mignards Tod
Am 3. Mai 1693 erklärte der König, daß er nach Flandern gehen wolle, um den Oberbefehl einer seiner Armeen zu übernehmen.
Am selben Tage, gegen zehn Uhr abends, hatte ich das Unglück, meinen Vater zu verlieren. Er war siebenundachtzig Jahre alt und hatte sich nie recht von einer schweren Krankheit erholt, die er zwei Jahre zuvor in Blaye durchgemacht hatte. In der letzten Zeit war er ein wenig gichtleidend. Meine Mutter, die ihn stark altern sah, schlug ihm vor, er möge seine häuslichen Angelegenheiten ordnen, was er als guter Vater auch tat. Ferner sorgte sie dafür, daß er seiner Herzogs- und Pairswürde zu meinen Gunsten entsagte.
Da er stets Gesellschaft bei sich sah, hatte er einige Freunde zu Mittag als Gäste bei sich gehabt. Gegen Abend legte er sich ohne Unwohlsein zu Bett, und während man mit ihm plauderte, seufzte er plötzlich dreimal nacheinander laut auf. Er war tot, noch ehe man hätte erklären können, daß ihm nicht wohl sei. Es war kein Öl mehr auf der Lampe.
Ich erfuhr die traurige Nachricht, als ich vom Coucher des Königs zurückkam, der ein Abführmittel für den nächsten Tag eingenommen hatte. Die Nacht war den gerechten Gefühlen der Natur geweiht. Am folgenden Tag ging ich zu Bontemps Siehe Einleitung S. 69, Fußnote. (dem Leibkammerdiener des Königs) und hierauf zum Herzog von Beauvillier Siehe Einleitung S. 70, Fußnote., der in diesem Jahre diensttuender Kammerherr war. Sein Vater war ein Freund des meinigen gewesen. Herr von Beauvillier war voller Güte gegen mich und versprach mir, die Statthaltereien meines Vaters für mich vom König zu erbitten Ludwig XIV. hatte es sich selbst zum Gesetz gemacht, die Anwartschaft auf die Statthaltereien nicht mehr zu erteilen; oft erhielt der Sohn den Titel, während der Vater seine Gehälter weiterbezog., sobald er ihm den Bettvorhang wegzöge. Es ward auf der Stelle bewilligt. Bontemps, der meinem Vater sehr ergeben war, kam nach der Tribüne, wo ich wartete, um es mir mitzuteilen. Hierauf erschien Herr von Beauvillier selbst und sagte mir, ich möchte mich um drei Uhr in der Galerie einfinden, von wo er mich nach der Hoftafel zu Majestät rufen lassen wolle.
Ich fand das Gemach schon von der Menge verlassen. Sobald mich Monsieur, der am Kopfende des königlichen Bettes stand, bemerkte, rief er ganz laut: Ah, da ist der Herzog von Saint-Simon! Ich näherte mich dem Bette und dankte mit einer tiefen Verbeugung. Der König erkundigte sich angelegentlich, wie das Unglück gekommen sei, und sprach sehr gütig von meinem Vater und von mir. Er war ein Meister in der Kunst, gnädig zu sein. Unter anderem sprach er davon, daß mein Vater die Letzte Ölung nicht mehr habe empfangen können. Ich berichtete, daß er sich ganz kurz zuvor auf ein paar Tage nach Saint-Lazare zurückgezogen habe, wo er bei seinem Beichtvater gebeichtet und das Abendmahl genommen hatte, und fügte ein Wort über seinen frommen Lebenswandel hinzu. Die Unterredung dauerte ziemlich lange und endigte mit der Ermahnung, ich möge fortfahren, brav und tüchtig zu sein, und mit dem Versprechen, er werde für mich sorgen.
Während des Winters 1695 war meine Mutter beschäftigt, eine gute Heirat für mich zu finden. Sie war ärgerlich, daß es ihr nicht schon im Jahre vorher gelungen war. Saint-Simon hatte damals ein Auge auf die älteste Tochter des Herzogs von Beauvillier geworfen, nicht weil er sie, wie er (II, 1-4) erzählt, liebte, sondern weil ihm die Ehe des herzoglichen Paares mustergültig erschien. Es kam nicht zu einer Heirat, weil Fräulein von Beauvillier ins Kloster ging. Saint-Simon, der diese Werbung mit dem ihm eigenen Feuer erzählt, zog sich nach seiner Abweisung in das allbekannte Kloster La Trappe zurück, wo der berühmte Abt Armand-Jean Bouthillier de Rancé (1626 bis 1700) wirkte. La Trappe schildert er bei dieser Gelegenheit wie folgt: La Trappe ist ein so vielgenannter und bekannter Ort und sein Reorganisator ist derartig berühmt, daß ich mir jegliche Schilderung und Beschreibung schenken darf. Ich will nur erwähnen, daß die Abtei fünf Wegstunden von dem Gute La Ferté-au-Vidame entfernt liegt. Man muß diese umständliche Ortsbezeichnung anwenden, weil es in Frankreich zahlreiche Fertés (d. h. Festung, fester Ort, gebildet aus dem lateinischen firmitas) gibt. Einem Wunsche Ludwigs XIII. gemäß war dieses Ferté von meinem Vater gekauft worden. Es war nämlich nach dem Tode Lafins zur gerichtlichen Versteigerung gekommen. Lafin war erst Mitverschwörer des Herzogs von Biron gewesen, hatte ihn dann aber schmählich und erbarmungslos verraten. Die Nähe von Saint-Germain und Versailles – es sind nur zwanzig Wegstunden bis dahin – erklärt den Kauf. Es war unser einziges Gut, das ein Herrenhaus hatte. Deshalb verbrachte mein Vater gewöhnlich daselbst den Herbst. Er war von jeher ein sehr guter Bekannter, ja ein vertrauter Freund von Herrn von La Trappe gewesen. Die nahe Nachbarschaft vertiefte diese Beziehungen noch. Alljährlich war mein Vater auf mehrere Tage Gast in der Abtei. So kam auch ich mit hin. Ich war noch ein Kind, aber Herr von La Trappe erschien mir so anziehend, daß ich ihn in mein Herz schloß. Auch die Örtlichkeit entzückte mich durch die Romantik der Frömmigkeit. Ich empfand eine wahre Sehnsucht dahin, die mir alle Jahre mehrere Male gestillt ward. Mitunter blieb ich wochenlang dort. Die rührenden Eindrücke daselbst erzeugten in mir eine große Bewunderung für den Mann, der dies alles zu Gottes und seiner Ehre und zur Erbauung so vieler Menschen in das Leben gerufen hatte. Meine Zuneigung erfreute ihn sehr, und darum gewann er den Sohn seines Freundes so lieb wie sein eigenes Kind. Ich verehrte ihn, als ob ich das in der Tat gewesen wäre. Für mein Alter war dieser trauliche Bund mit einem hochbedeutenden und durch seine Frömmigkeit hervorragenden Mann etwas ganz Außerordentliches. Ich werde nie aufhören zu bedauern, daß ich daraus nicht ungleich mehr ideellen Nutzen gezogen habe. (Mémoires, éd. Boislisle, II, 14-16). Ich war der einzige Sohn und besaß Würden und Aussichten. Man sprach von Fräulein von Armagnac Charlotte de Lorraine (1678 bis 1757), die Tochter des Oberstallmeisters; sie blieb unvermählt. und von Fräulein von La Tremoïlle Die Tochter des ersten Kammerherrn (1677 bis 1717). Sie heiratete 1696 den Herzog von Albert., aber nur so leichthin, und von mehreren anderen. Die Herzogin von Bracciano Anne-Marie de la Trémoïlle (1642 bis 1722), vermählt in zweiter Ehe 1675 mit dem Duca di Bracciano. Fräulein de Royan (1676 bis 1708) war ihre Nichte. lebte seit langem in Paris, fern von ihrem Gatten und von Rom. Sie wohnte in unsrer Nähe und war mit meiner Mutter, die sie oft besuchte, befreundet. Ihr Geist, ihre Anmut, ihr ganzes Wesen hatten mich entzückt. Sie empfing mich mit Güte, und ich verbrachte den ganzen Tag bei ihr. Frau von Bracciano hatte den Herzenswunsch, Fräulein von Royan zu verheiraten, die Tochter ihrer Schwester, eine Erbin und Waise. Diese hätte Frau von Bracciano gar zu gern zu meiner Frau gemacht. Sie sprach oft mit mir vom Heiraten, auch mit meiner Mutter, um zu sehen, ob nicht ein Wort fiele, an das sie hätte anknüpfen können. Es wäre eine vornehme und reiche Heirat gewesen; aber ich stand allein und brauchte einen Schwiegervater und eine Familie, um mich auf sie zu stützen.
Während des Feldzugs [1694] waren den Prinzessinnen Die Prinzessin von Conti, die Herzogin von Bourbon-Condé (genannt: die Frau Herzogin) und die Herzogin von Chartres. einige Abenteuer zugestoßen. Mit diesem Namen bezeichnete man allein die drei Töchter des Königs. Monsieur hatte mit Recht verlangt, daß die Herzogin von Chartres die beiden andern mit »Schwester« anrede, diese dagegen sie stets nur »Madame« nennen durften. Das war billig; aber sie waren ärgerlich, daß es der König so verfügt hatte. Die Prinzessin von Conti unterwarf sich dem Gebot ohne Widerrede; die Herzogin von Bourbon-Condé jedoch, als Kind der gleichen Liebschaft, nannte Frau von Chartres »Mignonne«. Nun gab es auf der Welt nichts, was weniger »mignon« gewesen wäre als deren Gesicht und Wuchs und ganzes Wesen. Sie selbst wagte keine Einrede. Als es aber schließlich Monsieur erfuhr, fühlte er das Lächerliche und daß es nur eine Ausflucht war, um nicht »Madame« zu sagen. Er ließ Seiner Empörung vollen Lauf. Der König verbot der Herzogin diese Vertraulichkeit aufs Strengste. Sie war nun noch mehr beleidigt, aber sie ließ es nicht merken.
Bei einem Ausflug nach Trianon, wo die Prinzessinnen zusammen übernachteten, machten sie nächtliche Spaziergänge und brannten Feuerwerk ab. War es nun Bosheit der beiden ältesten oder Unvorsichtigkeit: eines Nachts schossen sie eine Rakete unter Monsieurs Fenstern los und weckten ihn aus dem Schlafe, was er sehr übelnahm. Er beschwerte sich beim König, der die Prinzessinnen tüchtig vornahm und große Mühe hatte, seinen Bruder zu besänftigen. Seine Wut zeigte sich besonders zu Hause. Die Herzogin von Chartres hatte noch lange darunter zu leiden, und ich weiß nicht, ob dies den anderen Schwestern zu Herzen ging. Man beschuldigte sogar die Herzogin von Bourbon-Condé, sie habe mehrere Spottlieder auf die Herzogin von Chartres gedichtet. Zuletzt wurde alles wieder beigelegt, und Monsieur verzieh seiner Schwiegertochter. Frau von Montespan, die er stets sehr verehrt hatte, machte ihm nämlich einen Besuch in Saint-Cloud und versöhnte bei dieser Gelegenheit auch ihre beiden Töchter untereinander, auf die sie noch immer großen Einfluß ausübte und die ihr große Ehrerbietung bewiesen.
Die Prinzessin von Conti hatte noch ein anderes Abenteuer, das großes Aussehen erregte und beträchtliche Folgen nach sich zog. Die Gräfin von Bury Anne-Marie d'Urre d'Aiguebonne, 1633 bis 1724, die Gemahlin des Grafen de Bury, des Kammerherrn Gaston von Orleans. Sie verließ den Hof 1693. In den Briefen der Frau von Sévigné ist oft von ihr die Rede. war bei ihrer Verheiratung ihre Ehrendame geworden. Diese hatte eine Nichte, eine Baronesse von Choin Siehe Einleitung S. 116. Marie-Emilie Joly de Choin war die Tochter des Gouverneurs de Bourg-en-Bresse. Wie Saint-Simon (VIII, 288) erzählt, starb sie 1723., aus dem Dauphine kommen lassen und sie zum Ehrenfräulein der Prinzessin gemacht. Das war ein dickes untersetztes Mädchen, krumm, häßlich, stumpfnasig, zwar klug, aber durchtrieben und ränkesüchtig. Sie sah Monseigneur tagtäglich bei der Prinzessin Conti. Sie verstand, ihn gut zu unterhalten, und wurde seine Vertraute, ohne daß es auffiel.
Monseigneur interessierte sich für einen Fähnrich der Schweren Gardereiter, namens Clermont François-Alphonse de Clermont-Chaste, zuerst Chevalier und dann Marquis de Clermont-Roussillon, 1671 bis 1740. Er erschien erst unter der Regentschaft wieder bei Hofe., aus einer Seitenlinie des Hauses Chaste. Dieser war ein großer, schöngewachsener Mann, der nichts besaß als seinen Schneid und seine Ehre, dabei einige Begabung zu Ränken. Er schloß sich dem Marschall von Luxemburg als einem Verwandten an, und dieser erwies ihm die Auszeichnung, sich seiner anzunehmen. Sehr bald fand er, er sei ein geeignetes Werkzeug bei seinen Machenschaften. Clermont hatte sich bei der Prinzessin von Conti eingeführt und den Verliebten gespielt. Sie ihrerseits vernarrte sich tatsächlich in ihn. Durch diesen doppelten Rückhalt wurde er alsbald ein Günstling Monseigneurs. Herr von Luxemburg hatte ihn schon eingeweiht, und so ging er auf dessen und des Prinzen von Conti Absichten ein, die sich das Ziel gesetzt hatten, Monseigneur zu beherrschen, um, wenn er dereinst zur Herrschaft gelangte, die Macht im Staate zu besitzen.
Mit diesem Hintergedanken rieten sie Clermont, sich an die Choin heranzumachen, ihr Liebhaber zu werden und zu tun, als wolle er sie heiraten. Sie teilten ihm vertraulich mit, was sie von Monseigneur und ihr wußten, und versicherten ihm, dieser Weg führe ihn unbedingt zu seinem Glück. Clermont, arm wie er war, glaubte dergleichen ohne weiteres. Er spielte seine Rolle und fand die Choin nicht grausam. Die Liebe, die er heuchelte, die sie aber wirklich empfand, schuf einen innigen Bund. Sie verbarg ihm Monseigneurs Neigung nicht, und bald machte ihm auch Monseigneur kein Geheimnis mehr aus seinem Verhältnisse mit der Choin. Die Prinzessin von Conti war nun die von allen Betrogene. Als man bald darauf ins Feld zog, erhielt Clermont alle Auszeichnungen, über die der Marschall von Luxemburg zu verfügen hatte.
Der König, der diese um seinen Sohn gesponnenen Kabalen ahnte, ließ alle abreisen und machte sich alsbald daran, ihr Vertrauen auf das Postgeheimnis auszunützen. Die eigenen Läufer der Verbündeten brachten ihn zwar oft um seine Beute, aber schließlich waren sie doch unvorsichtig genug, auch die Post zu benutzen, und so verriet sich die Sache. Der König bekam Briefe von ihnen in die Hand. Daraus ersah er die Absicht Clermonts und der Choin, einander zu heiraten, um Monseigneur jetzt und später zu beherrschen. Er erkannte aber auch, wie sehr Luxemburg die Seele dieser ganzen Geschichte war und welche Wunderdinge er davon erwartete. Die Choin und Clermont sprachen mit der höchsten Verachtung von der Prinzessin von Conti, mit deren Briefen Clermont Mißbrauch trieb. Einige von ihnen fand der König in der aufgefangenen Postsendung. Die meisten Briefe ließ er an ihre Empfänger weitergehen, nachdem er Auszüge hatte machen lassen. Unter anderen behielt er aber einen Brief Clermonts, in dem dieser sein Herz so recht ausschüttete, mit der Prinzessin von Conti rücksichtslos verfuhr und Monseigneur immer nur als seinen »dicken Freund« bezeichnete. Der König glaubte genug entdeckt zu haben, und eines Nachmittags, da er wegen des schlechten Wetters nicht ausging, ließ er die Prinzessin von Conti in sein Kabinett rufen. Briefe von ihr an Clermont und welche von ihm an sie, aus denen ihre Liebschaft klar hervorging, sowie solche, in denen er und die Choin sich darüber lustig machten, hatte er zur Hand.
Die Prinzessin, die, wie ihre Schwestern, niemals zu anderer Zeit als zwischen der Abendtafel und dem Coucher den König aufsuchte, war über diesen Befehl arg betroffen. Voller Sorge, was er wohl von ihr wolle, machte sie sich auf den Weg. Er war nämlich in seiner eigenen Familie wenn möglich noch mehr gefürchtet als von seinen übrigen Untertanen. Ihre Ehrendame blieb in einem Vorgemach, während der König sie in sein Arbeitszimmer führte. Hier sagte er ihr in strengem Tone, er wisse alles. Sie brauche vor ihm ihre Schwäche für Clermont gar nicht erst zu leugnen. Ohne Verzug fügte er hinzu, daß er ihre Briefe besäße. Er zog sie aus seiner Tasche und fragte sie: »Kennen Sie diese Schrift?« Es war die ihre und die Clermonts. Bei diesem Anblick fiel die Prinzessin in Ohnmacht. Der König empfand Mitleid mit ihr und brachte sie, so gut er konnte, wieder zu sich. Dann gab er ihr die Briefe und hielt ihr eine Strafpredigt, doch ziemlich milde. Hierauf bemerkte er, dies wäre noch nicht alles. Er habe ihr noch andere zu zeigen, aus denen sie ersehen könne, wie schlecht angebracht ihre Neigung und welcher Nebenbuhlerin sie geopfert worden sei. Dieser neue Schlag war wohl noch mehr niederschmetternd als der erste, und die Prinzessin fiel aufs neue in Ohnmacht. Der König brachte sie abermals zu sich, aber nur, um sie noch grausamer zu strafen. Er verlangte, daß sie in seiner Gegenwart nicht allein die Briefe Clermonts und der Choin vorlese, sondern auch ihre eigenen, die Clermont preisgegeben hatte. Sie vermeinte zu sterben. Voller Verzweiflung warf sie sich dem König zu Füßen, weinte und konnte kaum ein Wort hervorbringen. Schluchzend und wutentbrannt flehte sie um Verzeihung, Vergeltung und Rache. Die ließen nicht lange auf sich warten. Die Choin ward am nächsten Tage vom Hof weggejagt Sie zog sich nach Paris zurück, wo sie in einem kleinen Hause wohnte. Die Neigung Monseigneurs zu seiner Freundin erlitt durch diese Vorkommnisse keinen Abbruch. Das Paar sah sich, wie Saint-Simon (XIV, 396) erzählt, heimlich in Meudon, und später galt die Choin als die anerkannte Favoritin des Thronerben: »On la considerait auprès de Monseigneur comme Mme. de Maintenon auprès du Roi.« Der Herzog von Burgund und seine Gemahlin begegneten ihr mit der Achtung, die man einer Stiefmutter bezeigt., und der Marschall von Luxemburg erhielt zu gleicher Zeit den Befehl, Clermont nach der nächstgelegenen Festung, nach Tournay, zu schicken. Er mußte seine Stelle niederlegen und sich in das Dauphiné zurückgehen, das er nicht mehr verlassen durfte. Gleichzeitig teilte der König seinem Sohne mit, was zwischen ihm und seiner Tochter vorgefallen war, und machte es ihm dadurch unmöglich, etwas für die beiden Unglücklichen zu tun.
Der Gedanke meiner Mutter, mich verheiratet zu sehen, rastete nicht. Bereits im vergangenen Jahre [1694] war die älteste Tochter (Marie Gabriele) des Marschalls von Lorge in Frage gekommen. Die Verhandlungen waren damals zwar alsbald wieder eingeschlafen, aber der Wunsch, sie wieder aufzunehmen, war auf beiden Seiten beträchtlich. Der Marschall, der vermögenslos gewesen war und sich nichts erdient hatte denn seinen Marschallstab, war mit der Tochter des königlichen Schatzmeisters Frémont Nicolas de Frémont, 1622 bis 1694, eigentlich Loye, der aus bescheidensten Verhältnissen stammte und sich als Steuerpächter ein bedeutendes Vermögen und zahlreiche Herrensitze (Marquisat de Rosay und die Herrschaften d'Auneuil, Audinville, Dominois u. a.) erworben hatte. Er war 1689 bis 1694 königlicher Schatzmeister. Er galt als gewiegter Finanzmann. Bei seinem Tode hinterließ er ein großes, aber nicht gesichertes Vermögen. Als unter der Regentschaft die Steuerpächter, die sich unter Ludwig XIV. bereichert hatten, zur Rechenschaft gezogen werden sollten, hatte Saint-Simon Mühe, den Onkel seiner Frau, den Requetenmeister Frémont, zu retten (XII, 432). Der Haß, den sich die Steuerpächter zugezogen hatten, war schuld, daß man selten über ihre Herkunft wegsah. Die Mesalliance des Marschalls de Lorge wurde diesem nie verziehen, und die Übelwollenden sagten ihm nach, er habe die Tochter eines Lakaien geheiratet. verheiratet, der sich unter Colbert ein großes Vermögen erworben hatte, eines sehr erfahrenen und einflußreichen Geldmannes. Unmittelbar nach der Heirat bekam der Marschall die Garde-du-corps-Kompagnie, die durch den Tod des Marschalls von Rochefort frei geworden war. Als Soldat stand Lorge im Rufe hoher Ehrenhaftigkeit. Er war ein tapferer und fähiger Truppenführer, soweit er dies als Neffe und Lieblingsschüler Turennes betätigen konnte, da Louvois den großen Feldherrn und alles, was zu ihm gehörte, mit untilgbarem Hasse verfolgte. Die Rechtlichkeit, Geradheit und Offenheit des Marschalls gefielen mir über die Maßen. Ich hatte diese seine Eigenschaften während des Feldzuges kennen gelernt, den ich unter ihm mitgemacht hatte. Die Armee schätzte und liebte ihn. Bei Hofe war er hochgeachtet. Überall führte er ein glänzendes Leben. Er war von vornehmer Geburt, und seine vorzüglichen verwandtschaftlichen Beziehungen ließen die Geldheirat – übrigens die erste in seiner Familie –, zu der ihn seine Lage gezwungen hatte, übersehen. Ein älterer Bruder von ihm stand gleichfalls im höchsten Ansehen. Merkwürdigerweise hatten sie beide die nämliche Würde und den nämlichen Rang. Beide Brüder und ihre ganze große vielköpfige Familie lebten in der besten Eintracht. Vor allem aber waren es die Güte und die Aufrichtigkeit des Marschalls, Eigenschaften, die so selten zu finden sind, die den aufrichtigen Wunsch in mir erweckt hatten, in seine Familie zu heiraten. Ich glaubte damit alles das zu finden, was ich nötig hatte, um gut und sicher vorwärtszukommen und angenehm in einem Kreise hervorragender Verwandten und in einem liebenswerten Hause zu leben.
Die Marschallin war eine Frau ohne Tadel. In sehr geschickter Weise war es ihr gelungen, ihren Mann endlich mit Louvois auszusöhnen und es als Preis für diese Wiederannäherung zuwege zu bringen, daß Herrn von Lorge die Herzogswürde zufiel. Dies verschaffte ihr Ansehen und Bewunderung und machte sie zum trefflichen Vorbild für ihre Tochter. Ihre feine, kluge und vornehme Art als Frau eines Hauses, das ausschließlich der besten Gesellschaft offen stand, und ihr bescheidenes Auftreten, wobei sie trotzdem auf die ihr als Marschallin gebührenden Ehren sah, brachten es zuwege, daß man ihr in der Familie des Marschalls wie bei Hofe und in der Öffentlichkeit die volle Hochachtung zollte und ihre Herkunft vergaß. Übrigens ging sie in der Fürsorge für ihren Gatten und die Seinigen völlig auf. Der Marschall hegte das größte Vertrauen zu ihr, lebte mit ihr und allen ihren Verwandten im besten Einvernehmen und behandelte sie mit einer ihn ehrenden Hochachtung.
Der Ehe entstammten ein einziger Sohn, den beide Eltern über alles liebten und der damals erst zwölf Jahre alt war, sowie fünf Töchter. Die beiden ältesten waren als Kinder bei den Benediktinerinnen zu Conflans an der Marne erzogen worden, wo die Schwester der Frau Frémont Oberin war. Sodann waren sie zwei oder drei Jahre im Hause ihrer Großmutter, der Frau Frémont. Dieses Haus war mit dem des Marschalls benachbart und verbunden. Die Älteste war siebzehn Jahre alt, die zweite fünfzehn. Ihre Großmutter ließ sie nie aus den Augen. Das war eine sehr kluge und tüchtige Dame, ehedem und noch immer eine schöne Frau, dabei fromm und wohltätig und auf die Erziehung ihrer beiden Enkelinnen allereifrigst bedacht. Ihr Gatte litt schon seit Jahren an Gicht und andern Übeln, hatte aber seinen vollen Verstand und leitete noch alle seine Geschäfte. Der Marschall stand mit beiden in freundschaftlichstem Verkehr und hielt sehr viel auf sie. Diese wiederum schätzten und liebten ihn zärtlich.
Dieser drei, des Marschalls und seiner Schwiegereltern, geheimer Liebling war die Älteste, Fräulein von Lorge genannt. Die Marschallin hatte eine Vorliebe für die Zweite, das Fräulein von Quintin, und hatte sich zunächst viele Mühe gegeben, ihre älteste Tochter zum Eintritt in das Kloster zu bereden. Dann hätte sie ihre Lieblingstochter besser verheiraten können. Diese war eine Brünette mit schönen Augen. Die Älteste war blond, von prächtiger Hautfarbe, tadellosem Wuchs und sehr liebenswürdigem Gesichtsausdruck. In ihrem Wesen war sie vornehm, bescheiden und gütig. In ihrem Auftreten lag etwas Hoheitsvolles. Als ich die beiden Mädchen zum ersten Male sah, gefiel mir die älteste sofort über alle Maßen. Ich glaubte in ihr das Glück meines Lebens gefunden zu haben. Und das war in der Tat so. Da sie meine Frau geworden ist, kann ich sie nicht noch mehr loben. Nur das will ich hinzufügen, daß sie meine Hoffnungen und das, was andere mir von ihr versprachen, weit übertroffen hat.
Als meine Heirat eine beschlossene und geregelte Sache war, sprach der Marschall mit dem König in seinem und meinem Namen darüber. Der König antwortete ihm huldvoll, er könne nichts Besseres tun. Sodann machte er ein paar sehr schmeichelhafte Bemerkungen über mich, die mir der Marschall voller Freude wiederholte. Ich hatte ihm während des Feldzuges gefallen, wo er mich in der Absicht, mich von neuem an sich heranzuziehen, im geheimen beobachtet hatte. Schon damals war er entschlossen, mich sowohl dem Herzog von Luxemburg als auch dem Herzog von Montfort, dem Sohne des Herzogs von Chevreuse, und einer Anzahl anderer Herren vorzuziehen. Der Herzog von Beauvillier, mein Ratgeber in allen Dingen, tat in meiner Heiratsangelegenheit, was er nur konnte, ohne Rücksicht auf die Absichten seines Neffen und trotz der engen Beziehungen, die zwischen ihm und dem Herzoge von Chevreuse bestanden. Die Frauen beider waren Schwestern.
Am Donnerstag vor Palmsonntag stellten wir den Ehevertrag auf, und zwei Tage darauf unterbreiteten wir die Urkunde dem König. Ich kam alle Abende in das Lorgesche Haus, als mit einem Male nichts mehr aus der Heirat zu werden schien. Es gab nämlich einen dunklen Punkt in dem Ehevertrage, und wir kamen zu keiner Einigung hierüber. Während wir uns noch halsstarrig gegenüberstanden, kam glücklicherweise der Marschallin einziger Bruder, Herr von Auneuil, Staatsrat, von seinem Landgute zurück, auf dem er geweilt hatte. Er beseitigte die Schwierigkeit auf seine Kosten. Indem er das Heiratsgut von 300 000 auf 400 000 Livres erhöhte. Das Vermögen der Frémont muß schon damals erschüttert gewesen sein; denn die Mitgift war für die Enkelin eines a1s ungeheuer reich geltenden Steuerpächters gering. Es ist mir eine Ehrensache, dies ausdrücklich zu erwähnen. Ich bin ihm auch allezeit herzlich dankbar gewesen. Der glückliche Ausweg war mir sehr unerwartet gekommen.
Dieser Zwischenfall blieb so ziemlich unter uns, und die Hochzeit wurde am 8. April [1795] im Hotel Lorge gefeiert. Mit dem vollsten Rechte habe ich diesen Tag allezeit für den glücklichsten meines Lebens angesehen. Um sieben Uhr abends versammelten wir uns. Es war der Donnerstag vor Quasimodo. Wir unterzeichneten den Ehevertrag. Danach fand ein Festmahl im engsten Familienkreise statt. Um Mitternacht las der Pfarrer von Saint-Roch die Messe und traute uns in der Kapelle des Hauses. Tags vorher hatte meine Mutter meiner Braut Schmuck im Werte von 40 000 Franken geschenkt. Ich selbst hatte ihr einen Korb geschickt, in dem 600 Louisdors und all die kleinen Liebesgeschenke lagen, die man bei solcher Gelegenheit zu geben pflegt.
Wir schliefen im Saale des Hotels Lorge. Am andern Tage gab uns Seigneur von Auneuil, der gegenüber wohnte, ein großes Festmahl. Darauf empfing die junge Frau auf ihrem Bett im Hotel Lorge ganz Frankreich. Neugier und gesellschaftliche Höflichkeit zogen eine Menge Besucher an. Zuallererst erschien die Herzogin von Bracciano mit ihren beiden Nichten. Da meine Mutter noch Halbtrauer hatte und ihre Wohnung noch schwarz und grau ausgeschlagen war, hatten wir das Hotel Lorge zum Empfang vorgezogen. Am Tage nach diesen Empfängen, die alle an einem Tage erledigt werden mußten, fuhren wir nach Versailles.
Der König hatte die Gnade, die Neuvermählte in den Gemächern der Frau von Maintenon zu empfangen, wo sie ihm von meiner und ihrer Mutter vorgestellt werden sollte. Als wir mit dem König nach den Gemächern der Marquise gingen, plauderte und scherzte er mit mir darüber. Die Damen begrüßte er sodann sehr huldvoll unter Auszeichnungen und schmeichelhaften Worten. Hinterher bei der Abendtafel nahm die neue Herzogin ihr Taburett ein. Der König sagte beim Herantreten an die Tafel zu ihr: »Gnädige Frau, bitte, setzen Sie sich.« Als des Königs Mundtuch entfaltet wurde, bemerkte er, daß alle Herzoginnen und Prinzessinnen noch standen. Da erhob er sich von seinem Stuhle und sagte zur Frau Saint-Simon: »Gnädige Frau, ich bitte Sie nochmals, sich setzen zu wollen.« Alle, die das Recht dazu hatten, nahmen nunmehr Platz. Meine Frau saß zwischen meiner Mutter und der ihrigen, die ihr jetzt im Range nachstand.
Am folgenden Tage empfing meine Frau die Hofgesellschaft, und zwar in der Wohnung der Herzogin von Arpajon Cathérine-Henriette d'Harcourt-Beuvron, von 1651 bis 1701, die GemahIin des Herzogs von Arpajon, seit 1684 Hofdame., die sich in einem Erdgeschosse befand und darum bequemer war. Der Marschall und ich waren nur dann zugegen, wenn sich ein Mitglied des Königlichen Hauses einstellte. Am nächsten Tage begaben wir uns nach Saint-Germain und sodann nach Paris, wo ich am Abend ein großes Mahl gab, an dem die ganze Hochzeitsgesellschaft teilnahm. Alle noch lebenden Freunde meines Vaters vereinigte ich wiederum einen Tag darauf zu einer Abendtafel im engen Kreise. Noch ehe meine Heirat allgemein bekanntgegeben war, hatte ich diese Herren davon in Kenntnis gesetzt. Mit allen habe ich bis zu dem Tode der einzelnen sorgfältigst freundschaftliche Beziehungen unterhalten.
Der Hingang zweier Männer von Bedeutung machte [1695] viel von sich reden. Es waren dies Lafontaine Jean de Lafontaine, geb. am 28. Juli 1621 in Château-Thierry, gest. am 13. April 1695., der bekannte Dichter der Fabeln und Erzählungen – übrigens mündlich ein sehr schwerfälliger Erzähler –, und der berühmte Maler Mignard. Pierre Mignard, 1610 bis 1695; der Hofmaler Annas von Österreich, seit 1690 der Nachfolger Lebruns. Der letztere hatte eine einzige, auffallend schöne Tochter. Er hat sie vielfach in seinen Gemälden verewigt, vor allem auf etlichen der großen geschichtlichen Darstellungen in der Kleinen Galerie Saint-Simon schreibt irrtümlich in der »Großen Galerie«. Die Malereien in dieser sind von Lebrun. Die »Kleine Galerie«, die zu den Gemächern des Königs gehörte, wurde nach dessen Tod eingerissen. und in zwei Sälen des Versailler Schlosses. Diese Wandgemälde sind nicht zum geringsten daran schuld, daß sich ganz Europa gegen Ludwig XIV. stellte und sich, weniger gegen sein Reich als vielmehr gegen seine Person verbündete.