Saadi
Verse aus dem Gulistan
Saadi

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Eingangspforte

1

        Seines Fehls Entschuldigung ist was der Knecht
Einzig vor des Herren Thron soll bringen;
Andre Leistung würdig Seiner Herrlichkeit
Kann er nicht mit seiner Kraft vollbringen.

2

        O Milder der du vom geheimen Schatze
Besoldungen an Gaur und Christ verschenkst,
Wie ließest du wohl leer ausgehn die Freunde,
Da du mit Huld die Feinde selbst bedenkst!

3

        Wenn mich jemand will nach Seiner Kunde fragen,
Was vom Zeichenlosen soll Herzloser sagen?
Vom Geliebten sind die Liebenden erschlagen;
Tote haben nichts zu sagen.

4

        Wie der Hahn sich brüsten mag als Sieger,
Gegen Falkenklaun ist er kein Krieger,
Für die Maus ein Löw ist wohl die Katze,
Aber eine Maus nur vor dem Tiger. 32

 

I.
Von den Königen und dem Hofleben

1

        In der Not, wo für die Flucht
Ist kein Raum gelassen,
Wird die bloße Hand ein Schwert
Bei der Spitz anfassen.

2

        Wer da weiß daß was er sagt der Sultan tut,
Weh ihm wenn er andres sagt als was ist gut.

3

        Von dem Manne, bevor er spricht,
Kennt man Tugend und Fehler nicht.
Halt für leer nicht jeden Strauch,
Drin schlafen kann der Tiger auch.

4
Kampflied

        Ich will nicht der sein, der am Tage des Kampfs euch zeigt den Rücken;
Der bin ich, dessen Haupt ihr mögt in Blut und Staub erblicken.
Denn nur sein eignes Leben setzt aufs Spiel, wer kämpft entschlossen,
Doch wer am Tag der Wahlstatt flieht, das Leben der Genossen. 33

5

        Weißt du was der Vater Sal zu Rostem sprach?
Achten darf man keinen Feind gering und schwach.
Oftmal sahn wir: eine kleine Quelle rann,
Bis sie groß ward, und verschlang dann Roß und Mann.

6

        Vermeiden kann ich irgendwen zu kränken;
Was hilfts dem Neider, der sich selber kränkt?
Stirb Neider, um vom Übel zu genesen!
Denn nur der Tod ists der dir Heilung schenkt.

7

        Unselige gönnen einem Glücklichern
An Gut und Ansehn jeden Schaden gern.
Doch wenn die Fledermaus nicht sieht am Tage,
Betrifft den Sonnenquell darum die Klage?
Ein tausend solcher Augen darf erblinden
Ehr als der Glanz im Sonnenauge schwinden.

8

        O satter, gut nicht findest du das Gerstenbrot;
Das Liebchen nennst du häßlich, das als schön ich pries.
Für Paradiesgäst ist der Limbus höllengleich
Frag Höllengäst ob er nicht ist ein Paradies?

9

        Es ist ein großer Unterschied,
Ob man sein Liebchen hält im Arm,
Ob, es erwartend, nach der Türe sieht. 34

10

        Vor einem solchen magst du beben,
O Weiser, welcher bebt vor dir.
Ob auch mit hundert seinesgleichen
Du es im Kampf aufnehmen kannst.
O siehst du nicht, wie selbst die Katze,
Die sich nicht mehr zu helfen weiß,
In Todesangst ins Tigerauge
Die Kralle schlägt? Die Schlange sticht den
Fuß des Hirten, weil sie fürchtet,
Er treff' ihr mit dem Stein den Kopf.

11

        Die Hand des Todes schlägt des Aufbruchs Pauke;
Ihr Augen nehmt Abschied vom Haupte nun!
Ihr meine beiden Hände, beiden Arme
Verabschiedet euch von einander nun!
Der Feind des Lebens hat mich überfallen
Ihr Freunde, geht nur auseinander nun!
Das Leben ist in Unverstand verstrichen,
Ich nahm es nicht, o nehmt in Acht es nun!

12

        O ihr Gebornen Eines Weibes
Seid ihr nicht Glieder Eines Leibes?
Kann auch ein Glied dem Weh verfallen,
Daß es nicht wird gefühlt von allen?
Du den nicht Menschenleiden rühren
Kannst auch den Namen Mensch nicht führen.

13

        In Mittagschlummer sah ich einen Frevler ruhn,
Und sagte: besser weckt man nicht des Volkes Not,
Ja, dessen Schlafen besser als sein Wachen ist,
Ein solcher Übellebender ist besser tot.

14

        Keinen Bestand hat Gut in freigebiger Hand,
Geduld im Herzen der Liebe oder Wasser im Siebe. 35
Der Tor der jetzt die Kampherkerz aufsteckt am hellen Tage,
Bald wirst du sehn daß er bei Nacht kein Öl hat in der Lampe.

16

        Man soll nicht dem Begehrenden zu sich die Pfort' erschließen;
Und wenn man aufgeschlossen hat, soll man nicht barsch verschließen.

17

        Wer sieht wohl jemals um ein brakisch Wasser
Die Durstigen der Reise sich versammeln?
Nur wo die süße Quelle fließt, da werden Mensch,
Vogel und Ameise sich versammeln.

18

        Die in dem Winkel des Heils sich gefunden
Stopfte das Maul den Menschen und Hunden,
Das Papierblatt zerrissen sie
Und wurden frei
Von Silbenstecher-Wortklauberei.

19
Fürstengünstling.

        Ob hundert Jahr ein Gaur das Feuer bedien',
Er fällt einmal hinein, so brennt es ihn.

20

        Mancher legt sich hungrig schlafen, niemand fragt ihm nach;
Manchem geht der Atem aus und niemand klagt ihm nach. 36

21

        Gradheit bringt Gottes Segen,
Niemand sah ich irrgehn auf graden Wegen.

22

        Schreit im Amt nicht weit aus, daß dein Rücktritt nicht
Freien Spielraum gebe bösem Schalke.
Rein bewahr dich und o Bruder fürchte nichts,
Nur unreines Zeuch kommt in die Walke.

23

        Das Meer gewährt Vorteile mancherhand;
Suchst du die Sicherheit, die ist am Land.

24

        Wenn einer durch Gottes Fügung gefallen;
Gleich wird er mit Füßen getreten von allen,
Doch sehn sie das Glück ihm die Hand hinhalten,
Gleich werden sie vor ihm die Hände falten.

25

        Weißt du nicht, daß in den Block dein Fuß gerät
Wenn dein Ohr der Leute guten Rat verschmäht?
Kannst du nicht den Stich ertragen, stecke doch
Deinen Finger nicht ins Skorpionenloch.

26

        Streiche nicht, wenn du nicht wohlempfohlen bist,
Um Wesires, Emirs oder Sultans Schloß.
Hund und Pförtner, wittern sie den Fremdling nur,
Packt am Kragen dieser, jener ihn am Schoß. 37

27
Fürbitte für einen in Ungnade gefallenen Freund.

        Gebieter, gnadenreich so lange, welche Schuld
Sahst du am Diener, daß du ihm entzogst die Huld!
Gott ist der wahre groß und güt'ge, der da sieht
Die Schuld des Dieners und ihm nicht das Brot entzieht.

28
Der Schatzmeister an den Sultan.

        Wenn du deinen Schatz dem Volk verteilest,
Wird ein Reiskorn auf den Hauswirt kommen.
Lieber nimm von jedem ein Korn Silber
Und ein Schatz stets neu ins Haus wird kommen.

29

        Wenn der Fürst im Bauerngarten einen Apfel bricht,
Scheut den Baum gar auszureißen sein Gefolg sich nicht,
Um fünf Eier, welche sie der Sultan nehmen hieß,
Stecken die Soldaten tausend Hennen an den Spieß.

30

        Nicht jeder wer ein Amt hat und den starken Arm,
Mag straflos mit Gewalt der Leute Gut verschlingen;
Den harten Knochen kann man durch die Gurgel zwingen,
Doch unterm Nabel steckt er und durchsticht den Darm.

31

        Wenn du siehst vom Glück begünstigt einen Wicht,
Ihm zu widerstreben rät die Klugheit nicht.
Wenn du nicht hast scharfe Nägel an der Hand,
Leiste lieber Bösen keinen Widerstand.
Wer die Faust macht gegen einen Eisenarm,
Nur den eignen Silberschultern macht er Harm.
Warte bis die Hand ihm bindet das Geschick,
Dann zur Lust der Freunde bricht ihm das Genick! 38

32

        Immer liegt ein Vers im Sinn mir, den am Nil
Der Kornak sprach, der den Elefanten ritt:
Weißt, wie's unter deinem Fuß der Ameis ist?
Wie es dir wär' unterm Elefantentritt.

33

        Wenn du schießest deinen Pfeil dem Feinde zu,
So bedenk: in seinem Schuß auch stehest du.

34

        Das Wort geht durch des Feindes Mund,
Dem ist nicht auszuweichen,
Soll dir sein Wort nicht bitter sein
Mußt du den Mund mit Honig ihm bestreichenden Mund mit Honig bestreichen: einem den Mund süß machen; versöhnen, beschwichtigen

35

        Der in jedem Augenblick dir Gutes tut,
Tut er weh einmal dir, halt' es ihm zu gut!

36

        Wer nur zwei Morgen aufgewartet hat dem Schah,
Am dritten wird er freundlich auf ihn blicken.
So darf ein treuer Gottverehrer hoffen auch,
Gott werd ihn ohne Hoffnung fort nicht schicken.

37

        Bist du Schlange, daß du jeden Wandrer den du siehest stichst,
Oder Eule daß du jedes Haus worauf du ruhst zerbrichst? 39

38
Der alte Schützenmeister.

        Treu' entweder gab es niemals in der Welt
Oder Niemand lebt jetzt, der sie treibe.
Keiner hat von mir die Schützenkunst gelernt.
Der zuletzt nicht mich gemacht zur Scheibe.

39

        Mach dir zu Nutze was sich heut dir fand zur Hand,
Denn diese Herrlichkeiten gehn von Hand zu Hand.

40

        Zeitliches alswie ein Wind der Wüst' ist hingegangen,
Alles Süß und Bittre, Schön und Wüst' ist hingegangen.
Der Bedrücker dacht' uns wohl in seinem Druck zu zwacken,
Über uns ging hin der Druck, ihm blieb er auf dem Nacken.

41

        Dem Rat des Sultans widerraten wollen
Heißt seine Hand im eignen Blute baden.
Ja wenn er sagt am hellen Tag: Nacht ist's,
So sag: hier ist der Mond und die Pleiaden.

42

        Ein Mann ist der nicht in Verständ'ger Augen,
Wer Kampf mit wilden Elefanten wagt.
Ein Mann ist in der Tat und in der Wahrheit
Wer selbst im Zorne nichts unrechtes sagt.

43

        Tu wo möglich keinem weh,
Mancher Dorn liegt auf den Wegen;
Hilf der Not des Armen ab,
Dir auch kommt die Not entgegen! 40

44

        Ehr sollst du glühnden Kalk mit Händen kneten
Als händefaltend vor den Fürsten treten.

45

        Wenns ohne mein Dreinreden geht von Statten,
Brauch' ich mich nicht mit Reden zu ermatten.
Doch säh ich einen Blinden und die Grube,
Wollt ich dann schweigen, so wär ich ein Bube.

46

        Wenn die Speise mit der Weisheit wüchse,
Bliebe freilich leer des Dummen Büchse;
Einem Dummen gibt man soviel Speise
Daß darüber staunen hundert Weise.

47
Widerwärtig.

        Solch ein Gesicht, wie widerwärtig
Ist nicht zu sagen ohn' Unlust,
Dazu die Üchse, Gott behüt' und,
Ein Aas im Sonnenschein des August.

48

        Ein Ketzer, hungrig allein im Haus mit vollem Speisekasten,
Unglaublich ist es dem Verstand, daß er wird halten die Fasten.

49

        Wie dürft' in Sultans Hand zurückgelangen
Der Apfel, der gefallen in den Mist?
Wird auch ein Durstiger am Kruge hangen,
Wenn er an grindgem Mund gewesen ist? 41

50

        Der hat mit Größe sich nicht geputzt,
Wer große Namen nur beschmutzt.

51

        Nichts ist all dies, wenn es ist vergangen,
Saus und Braus der Macht und Thron und Krone;
Schone Hintergangner guten Namen
Daß die Zukunft deinen Namen schone.

 

II.
Von den Gesinnungen der Derwische

1

        Siehst du, ein ehrlich Kleid hat einer an,
Laß gelten ihn für einen Ehrenmann;
Weißt du nicht wie bestellt sein Innres sei,
Was hat im Haus zu tun die Polizei?

2

        Anzuklagen hab ich mich versäumten Dienstes,
Denn nicht Beistand kann erfüllte Pflicht mir leihn.
Gottverehrer flehn die Sünde zu vergeben,
Gotterkenner die Verehrung zu verzeihn.

3

        Böcke sind auf Gottes Trist und Lämmer,
Sufis nehmts nicht übel, wir sind Schlemmer.
Jeder hat sein Werk und seine Hoffnung;
Wir sind Bettler dieser Stadt, nicht Krämer. 42

4

        In der Demut Staub das Antlitz senkend
Sprech ich wenn mich weckt des Morgens Hauch:
O du dessen nimmer ich vergesse,
Denkest du wohl deines Knechtes auch?

5

        Wer kommt daß er dir Andrer Fehl' aufzähle,
Bringt ohne Zweifel Andren deine Fehle.

6

        Wer kann wissen welch ein Mann steckt in dem Kleid?
Nur der Schreiber weiß des Briefes Heimlichkeit.
Oder:
Wer weiß was in des Herzens Tiefe steht?
Der Schreiber nur weiß was im Briefe steht.vgl. Rückert »Saadi's Bostan« (1882), hrsg. v. W. Pertsch. S. 190 V. 20

7

        Nicht im härenen Gewand ist Klausnertum,
Sei im Geist ein Klausner und leg Alles um.

8

        Die Frommen tragen Kutten ums Genicke,
Doch aufs Geschöpfe richten sie die Blicke.
Die Frömmigkeit ist, weltlichen Begierden
Entsagen, nicht entsagen Kleiderzierden.
Tu fromme Werk und was du magst leg an,
Trag auf dem Haupt den Helm, am Arm die Fahn!
Im Panzerrocke stecken muß ein Ritter,
Was hilft das kriegrische Gewand dem Zwitter? 43

9

        Seht die Frommen, die sich in die Kutte stecken,
Machen aus der Kaaba Vorhang Eselsdecken.

10

        Einer von dem Trupp macht einen dummen Streich
Und entgelten müssen all es arm und reich.
Auf der Waide hat sich eine Kuh befleckt.
Sieh, und alle Küh im Dorfe sind bekleckt.

11

        Auch nur ein ungehobelter allein
Ist einer sinnigen Gesellschaft Pein.
Ein ganz Bassin voll Rosenwasser mache!
Ein Hund fällt drein und es ist eine Lache.

12

        Bei der Kaaba, fürcht ich, kommst du, Araber, nicht an,
Denn der Weg hier den du einschlägst geht nach Turkistan.

13

        Der die Tugend auf der flachen Hand
Und das Laster unterm Arme hält,
Was, betörter Mann, am Tag der Not
Willst du kaufen für dein falsches Geld?

14

        Nur sich selber sieht der Anspruchsvolle
Dessen Blick umschleiert Eigenwahn.
Wenn ihm würd' ein Auge Gott zu schauen,
Säh er sich in seiner Ohnmacht an. 44

15

        In der Menschen Augen ist mein Äußres schön,
Während ich verborgne Fehler büße.
Alle Welt belobt am Pfau die Farbenpracht,
Doch er schämt sich seiner garstgen Füße.

16

        Man fragte jenen, der den Sohn verloren:
O weiser Greis, von hohem Stamm geboren,
Du rochest aus Aegypten Josephs Hemde,
Wie blieb er dir in Kanans Brunnen fremde?
Er sprach: Ein Blitzstrahl ist was wir empfinden,
Der bald sich zeigt, bald wieder muß verschwinden.
Bald ist im vierten Himmel mein Entzücken,
Bald seh ich nicht bis auf des Fußes Rücken,
Wenn stets der Derwisch blieb' in seinem Stand,
So schlüg er die zwei Welten aus der Hand.

17
Der nahe Ferne.

        Er ist näher mir als ich mir bin,
Und, o Rätsel, fern empfind' ich ihn.
Wie erklär' ichs? er ruht mir im Schoße
Und mir ists als ob er mich verstoße.

18

        Wenn dem Hörer für die Rede fehlt der Sinn,
Fordre Schwung nicht von dem Rednergeiste;
Bring ihn erst zum Spielraum guten Willens hin
Und dann sieh was er im Ballschlag leiste.

19
Pilgerlied.

        Wie lange geht des armen Pilgers Fuß
Wo selbst ermattet keucht der Dromedar!
Indes der wohlbeleibte schmächtig wird,
Da ist der schmächtige gestorben gar. 45

20

        Angenehm ists unterm Dornbusch auf der Wüste Weg auszuruhn,
Wo die Mannschaft aufbrach, doch Verzicht aufs Leben muß man tun.

21

        Wenn jammervoll zu töten mich hingibt der werte Freund,
O denk nicht, in dem Augenblick tu' mir mein Leben leid.
Ich sage: welch ein Fehl ist von mir Armen denn geschehn,
Wodurch ich ihn erzürnte? das nur eben tut mir leid.

22

        Wenn du in Not gerätst, verzweifle nicht Gesell,
Zieh Freunden aus den Pelz und Feinden ab das Fell!

23

        Was Kutte, Rosenkranz und heilge Lumpen?
Sei fromm und dir nichts schmähliches erlaube.
Du brauchst, um einen Derwisch vorzustellen,
Den Kopf nicht zu bedecken mit der Schaube.
Ein Derwisch an Gesinnung sei und trage
Dann auf dem Haupte die Tatarenhaube.

24
Derwischlied.

        Als wir mit der Pilgerkarawane nach Hidschas aus Kufa
zogen, gesellte sich zu uns ein Derwisch, barhaupt und
barfuß, und sang:
Nicht Reiter auf dem Kamel, noch Maultier unter der Last,
Nicht ein Gebieter der Sklaven, noch Sklav aus dem Palast,
Besorgt nicht für das Dasein noch um das Nichtsein bang,
Ruhig im Augenblick also geh ich mein Leben lang. 46

25
Der Heuchler.

        Der ganz wie die Pistazie lauter Kern mir schien
Haut über Haut als wie die Zwiebel fand ich ihn.
Ein solcher Frommer betet mit dem Rücken
Zur Kibla, zum Geschöpfe mit den Blicken.

26

        Der Knecht, der sein den Herrn will nennen,
Darf auch nichts außerm Herren kennen.

27

        Ein Eisen das der Rost zerfressen
Macht kein Polieren wieder rein;
Was hilft es finstern Herzen predigen?
Der Nagel dringt nicht in den Stein.

28

        In des Wohlseins Tagen nimm dich der Bedrängten an,
Weil des Armen guter Wunsch Unheil abwenden kann.
Was dir abverlangt des Bettlers flehende Gestalt,
Gib es, oder ein Bedrückter nimmt es mit Gewalt.

29

        Man kann kein kleinstes Wort im Scherze sagen,
Dem Weisen wird es eine Lehre tragen.
Von Weisheit hundert Hauptstück einem Toren
Gepredigt sind ein Scherz in seinen Ohren.

30

        Dein Innres stopfe nicht mit Fraß, wenn leuchten
Erkenntnisleuchte soll in deinem Glase.
So leer von Einsicht bist du nur deswegen,
Weil du bist so voll Fraß bis an die Nase. 47

31

        Der Strafe Gottes kannst du durch die Buß entgehn,
Doch nicht entgehn kannst du den Menschenzungen.

32

        Sei lieber gut und laß dich böse schmähn
Als böse und dich für gut ansehn.

33

        Wenn ich täte was ich spräche,
Stürb' ich als ein Heiliger.

34

        Schließen unsre Tür wir vor den Leuten,
Daß sie unsre Fehler nicht ausdeutendie Fehler ausdeuten: den Tadel entfalten,
Was hilft der Verschluß, da ein allklares
Auge sieht geheim und offenbares!

35

        Sei guten Wandels daß nichts möge finden
An dir der Übelwollende zu rupfen.
Die Laute, wenn sie hat die rechte Stimmung,
Was braucht der Spieler sie am Ohr zu zupfen?das Ohr der Laute: der Wirbel

36

        Wenn das Herz dir jede Stunde geht wo anders hin,
Bringt dir Einsamkeit auch in der Klause nicht Gewinn.
Ob du Geld und Güter hast und machst Geschäfte mit,
Wo dein Herz bei Gott nur ist, bist du sein Eremit.

37

        Nicht Bulbul unter Rosen nur hat Seinen Preis gesungen,
Am Strauch sind alle Dornen Ihn zu preisen feine Zungen. 48

38

        Wo weltlich Gut nicht ist, ruhn wir auf Nesseln
Und wo es ist, da wird es uns zu Fesseln.
Kein größer Ungemach als diese Welt
Die, sei sie oder nicht, zur Last uns fällt.

39
Die Angestellten.

        In der Würd', in Amtes Drang und Treiben
Haben sie nicht für Bekannte Zeit.
Wenn sie trifft Verlassenheit und Armut,
Tragen sie zum Freund ihr Herzeleid.

40

        Wenn ein lästiger Gast zur Tür
Hinaus will, halt ihm die Hand nicht für.

41

        Mir ward erzählt: ein Mann von edlem Stamm
Riß aus des Wolfes Rachen einst ein Lamm.
Nachts setzt' er ihm das Messer an die Kehle,
Darob wehklagete des Lammes Seele:
Du wolltest aus Wolfsklauen mich befrein
Das seh ich nun, um selbst mein Wolf zu sein.

42

        O der du in des Haushalts Fußblock liegest,
Umsonst daß du in Freiheitstraum dich wiegest!
Die Sorg um Kind, um Speis und um Gewand
Zieht dich ab von der Reis' ins Himmelsland.
Den ganzen Tag such ich es zu beschicken
Um in der Nacht mit Gott mich zu erquicken;
Wenn ich die Nacht nun im Gebet gesessen,
Was werden meine Kinder morgen essen? 49

43
Der schöne Schenke.

        Um ihn verdursten Menschen, denn er ist
Ein Schenke nur zum Sehn und nicht zum Schenken;
Das Auge wird vom Sehn so wenig satt
Als Eufrats Flut die Wassersucht kann tränken.

44

        Wer etwas hat, wem etwas fehlt,
Sei Geistlichen nicht beigezählt.

45

        Welch Geistlicher dein Gold nimmt gern,
Such du dir einen Geistlichern.

46

        Ich Hungriger laur' an der Speisezelle,
Wie vorm Frauenbad ein Junggeselle.

47

        Weltentsagung predigen sie der Welt,
Selber häufen sie Getreid und Geld.
Welcher Weise nichts als Reden hat,
Wenn er redet, findets keine Statt.
Der ist weise, der nach Gutem ringt
Und nicht lehrt was er nicht selbst vollbringt.

48

        Ein Prediger, der seiner Lust und seines Leibs will pflegen,
Geht irre selber, kann er wohl uns leiten auf den Wegen? 50

49
Antwort.

        Hör ein Wort des Weisen, mag sein Wort auch
Nicht auf seine Taten sich erstrecken.
Ohne Kraft ist was die Spötter sagen:
Kann die Schläfer wohl ein Schläfer wecken?
Nimm, o Mann , den Rat, wo du ihn findest,
Seis auch von der Schrift an Mauerecken.

50

        Vom Kloster trat ein weiser Mann ins Lehramt ein
Und brach der Weltentsagung heilge Kette.
Denselben fragt ich: Sage mir, aus welchem Grund
Von dort du hier herüber bist getreten.
Worin erkennest du den großen Unterschied
Vom Weisen dieser Welt und vom Asketen?
Er sprach: Sein Hemd will dieser aus dem Wasser ziehn
Und jener sucht Ertrinkende zu retten.

51

        Ein tiefes Wasser trübt kein Steinwurf leicht;
Wenn Weisheit sich erzürnt, ist sie noch seicht.

52

        Wenn jemand weh dir tut, laß dichs nicht kränken,
Vergib und dir auch wird man Sünden schenken.
Da alles endlich wird dem Staub zum Raube,
Freund, werde Staub bevor du wirst zum Staube. 51

53

        Höre diese Mär, wie in Bagdad
Fahn' und Vorhang einst gestritten hat.
Fahne müd vom Ritt, vom Weg bestaubt
Häufte Vorwurf auf des Vorhangs Haupt:
Sind wir beide doch Schulkameraden,
Hofbediente von des Sultans Gnaden;
Ich nun durfte rasten nie von Müh,
Stets auf Reisen war ich spät und früh,
Weder Märsche noch Belagerungen
Machtest du noch wardst vom Wind geschwungen,
Weit an Tat bin ich voraus vor dir,
Wie hast du den Vorzug nun vor mir?
Du hier um mondschöne Knaben schwebend
Ros'ge Mädchen senkend dich und hebend?
Ich dort in der Knechte Hand gefallen
Muß gefesselt gehn und tummelnd wallen.
Vorhang sprach: Das Haupt zur Schwelle neig' ich,
Nicht wie du voll Stolz zum Himmel steig' ich.
Wer sich mit hochmütigen Gebärden
Überhebt, fällt mit dem Kopf zur Erden.

54

        Laß dein Pochen auf die Faust, dein Großtun mit dem Mannesleib!
Unterliegend niederm Triebe, bist du Mann dann oder Weib?
Bringe lieber, wo es geht, auf Lippen Honigtropfen,
Keine Manneskunst ist's mit der Faust den Mund zu stopfen.

55

        Wenn dir der Gefährte voreilt, ist er dein Gefährte nicht;
Binde nicht dein Herz an einen, der nicht seins in deines flicht. 52

56
Der Lederkauer.

        Ein alter Mann, von Höflichkeit ein Muster,
In Bagdad, gab die Tochter einem Schuster.
Das Männlein von steinhartem Herzen biß
Ihr so den Mund, daß blutig ward ein Riß.
Am Morgen, da sie also sah der Vater,
Zu seinem Eidam mit der Frage trat er:
Was für ein Biß vom Zahn ist das, du schnöder!
Was kaust du ihren Mund? es ist kein Leder. –
Zum Scherze hab' ich nicht gesagt dies Wort;
Nimm dir den Ernst heraus, den Scherz laß fort
Wo Unart fest sich setzt in der Natur,
Geht sie im Tode von der Stelle nur.

57

        Häßlich wird Damast und Brokat,
Die eine garstge Braut anhat.

58

        Der Mann des garstgen Weibes ist am besten blind.

59

        Nicht wer an Jemands Türe sich zum Heischen niedersetzt
Und wo man seinen Willen ihm nicht tut, zum Streit aufsteht; –
Ja, wenn vom Berg hernieder selbst ein Mühlstein rollete,
Der ist ein Gottesmann nicht, wer ihm aus dem Wege geht.

60

        Du innerlich von Frömmigkeit entblößt,
Von außen kommt dir Heuchelschein zu Statten;
Zieh nur den Siebenfarbenvorhang weg
O der du hast im Hause Binsenmatten. 53

61

        Aus frischen Rosen manchen Strauß gewunden
Sah ich von einem Dorn mit Gras gebunden
Und sprach: Wie kommt das Gras dazu, das schlechte,
Daß es der Rose sich zu nahn erfrechte?
O schweig! ließ weinend sich das Gras vernehmen,
Des Umgangs wird die Großmut sich nicht schämen.
Wenn ich auch Duft und Schönheit nicht besaß,
Aus Seinem Garten bin ich doch ein Gras.

62

        Gib Armensteuer von deinem Gut! Der Gärtner muß entlauben,
Erst seines Weinstocks Überwuchs, dann bringt er ihm mehr Trauben. 54

 

III.
Von dem Werte der Genügsamkeit

1

        Genügsamkeit, o mache du mich reich,
Denn außer dir ist Reichtum nicht zu finden.
Entsagung ist was Lokman wählt, denn nur
Mit Weisheit kann Entsagung sich verbinden.

2

        Ich Ameis die sie treten mit den Füßen,
Nicht Wesp' um deren Stich sie klagen müssen,
Wie kann ich Dank genug der Gnade sagen,
Daß mir die Macht nicht ward die Welt zu plagen.

3

        Trocknes Brot soll mir genügen und geflicktes Lappenkleid
Leichter ist die Last der Armut als die Last der Dankbarkeit.

4

        Des Kleides Lappen flicken und im Armutwinkel bleiben
Ist besser als um ein Gewand an reiche Lappen schreiben.
In Wahrheit scheint mit Höllenpein mir gleich zu stellen dieses:
Durch Nachbars Beistand einzugehn zur Lust des Paradieses.

5

        Dann wird seine Zung ein Weiser rühren
Oder seine Hand zum Bissen führen
Wenn aus seinem Schweigen Schaden käme,
Und er durch sein Fasten Schaden nähme;
Also wird sein Reden bringen Zucht
Und sein Essen der Gesundheit Frucht. 55

6

        Das Wölflein zu füttern ein Mann sich befliß,
Da ward es ein Wolf der den Mann zerriß.Parabel in knappster Form, vgl. Rückert »Saadi's Bostan« (1882) S. 267

7.

        Wir essen um zu leben und nicht Gottes zu vergessen,
Du aber bist des Glaubens daß du lebest um zu essen.

8

        Iß nicht soviel daß dirs im Schlund aufsteht
Und nicht sowenig, daß die Seel' im Mund ausgeht.

9

        Iß, wenn du ein Mensch bist, mit Mäßigkeit,
In Schmach bringt den Hund seine Fräßigkeit

10

        Besser nicht beim großen Herren betteln
Als daß von der Tür dich stößt sein Wächter;
Besser ohne Fleisch im Topfe sterben
Als daß an die Schuld dich mahn' ein Schlächter.

11

        Hätt' er als seinen Brotlaib
Im Tischkasten die Sonnenscheib',
So bekäme bis zum jüngsten Tag
Die Sonne zu sehn weder Mann noch Weib. 56

12

        Was du von Niedern erbitten mußt
Ist Gewinn an Leib, an der Seele Verlust.
Oder:
Was du verdankst fremden Gnaden
Ist dem Leib ein Gewinn, der Seel ein Schaden.

13

        Von Holden laß dir Kolokynthen spenden,
Nicht Honig von des Sauertopfes Händen.

14

        Trag ein Anliegen nicht mit finstrer Braune
Zum Freunde, du verdirbst auch ihm die Laune.
Trag es mit frischem Blicke lächelnd vor,
Der offnen Stirne schließt sich nicht das Tor.

15

        Trag zu keinem Mürr'schen deine Bitte,
Der dir übel macht durch sein Gesicht.
Willst du Herzweh klagen, klag es einem
Dessen Blick dir bare Lust verspricht.

16

        Der Löw ißt nicht was übrig ließ ein Hund
Und stürb er Hungers in der Höhle Grund.
Der Not, dem Mangel sei dein Leib erlegen,
Nur streck die Hand nicht einem Wicht entgegen! 57

17

        Wer sein Brot durch Arbeit hat gefunden
Ist dem Hatem Tai nicht dankverbunden.

18

        Der die sieben Zonen regiert
Hat jedem gegeben was ihm gebührt;
Wären der Katze Flügel gegeben,
Ließe sie keinen Sperling am Leben.

19

        Wenn der Niedrige wird vornehm groß und reich,
Fordert er vom Schicksal einen Backenstreich.
Ist es nicht ein Ausspruch den ein Weiser tat?
Besser wenn die Ameis keine Flügel hat.

20

        Der Vater hat wohl Honig im Schrank,
Aber der Sohn ist fieberkrank.
Der dir nicht hat Reichtum verliehn,
Weiß besser als du, was zum Heil dir dien'.

21

        In dürrer Wüst' im Flugsand gilt dem Munde
Des Durstgen Perle gleich und Muschelschal:
Gleichgültig ist im Gurte Gold und Scherbe
Dem vorratlosen in des Hungers Qual.

22
Lied des durstigen Arabers

        O daß mir vor dem letzten Hauch
Noch würd ein Wunsch gewähret auch:
Ein Fluß der mir ging an den Bauch,
Aus dem ich füllte meinen Schlauch!Der Text ist arabisch, nicht persisch 58

23
Ein Sprichwort.

1. Arabisch
        Sie sagen: euer Mörtel ist nicht rein und pur,
Wir sagen: wir verstreichen einen Abtritt nur.
2. Persisch.
Ist im Christenbrunnen auch nicht rein die Flut,
Eine Judenleiche wasch ich, so ists gut.

24
Der dem Sultan trotzende reiche Bettler

        Was mit Gelindigkeit nicht ist zu wenden,
Das wird in rücksichtslosem Zwang sich enden.
Wer selbst will sein Verderben, wenn man den
Verderben läßt, ist ihm sein Recht geschehn.

25

        Hast du das gehört, wie in der Wüste Gor
Vorges Jahr ein Kaufherr niedersank im Trab?
Und er rief: Des Reichen enges Auge füllt
Genügsamkeit entweder oder Staub vom Grab.

26

        Von seinem Gebratnen hat einen Gast
Nie mehr als der Geruch erquickt,
Von seines Brotessens Brosamen hat
Nie ein Vogel sich satt gepickt. 59

27

        Laß Anderen zu Nutz dein Gold und Silber,
Und woll' auch dir den Niessebrauch gestatten,
Vergiß nicht daß du dieses Haus mußt lassen,
Seis auch gebaut aus Gold und Silberplatten.

28

        Was wird dem die Andacht frommen,
Wenn die Not sein Herz beklommen,
Der wohl Hände früh und späte
Pflegt zu heben zum Gebete,
Doch wenn er einmal soll schenken,
Unterm Arm sie zu verschrenken.

29

        Wenn der Feind ist an den Leib gerannt,
Ists zu spät daß man den Bogen spannt.

30
Schmähverse.

        Man kann nicht sagen, einem Menschen gleicht dies Tier,
Nur daß man's Rock und Haub und Putz sieht tragen.
Geh alles durch was ihm gehört, du findest nichts
Unsündlichs an ihm als ihn totzuschlagen.

31
Scherif und Jude.

        Mag der Scherif an Glück herunter kommen,
Sein hoher Rang wird darum tief nie werden.
Schlag er in Silberschwellen goldne Nägel,
Der Jude doch wird ein Scherif nie werden. 60

32

        Vorzüge sind verloren
Wenn sie verborgen bleiben;
Anzünden muß man Aloe
Und Moschus zerreiben.

33

        Wenn zweihundert Tugenden an jedem Härchen hangen,
Wo das Glück nichts hilft, ist nichts mit ihnen anzufangen.

34

        Ein Reicher ist in Wald und Feld und Wüstenei kein Fremder,
Wohin er kommt, bestellt er sein Gemach, sein Zelt aufspannt er;
Wer aber keinen Anspruch hat aufs Gut der Welt zu machen,
Der ist am Orte der Geburt ein Fremder Unbekannter.

35

        Ein Mann von Wissen ist geschlagnem Golde gleich,
Wohin er kommt, da ist sein Wert verstanden.
Ein Edler ohne Wissen gleicht dem städtischen
Münzzeichen, das nichts gilt in fremden Landen.

36

        Wo der Schöne hin mag gehen ist er wert und lieb,
Wenn auch Vater ihn und Mutter mit Gewalt vertrieb.
Eine Pfauenfeder sah ich liegen im Koran,
Sprach: Doch diese Stelle steht deinem Wert nicht an.
Schweige, sprach sie: wer sich hüllet in der Schönheit Flor
Wo den Fuß er hinsetzt hält Niemand die Hand ihm vor. 61

37

        Ist ein Sohn von Lieblichkeit und Anmut nicht entblößt,
Schadets auch nicht wenn der eigne Vater ihn verstößt.
Er ist eine Perle, laß die Muschel auch ihr fehlen,
Wer sie sieht wird sich zu ihren Kaufliebhabern zählen.

38

        Wie süß ist ein sanftklagender Gesang
Im Ohr der Zecher bei des Frühtrunks Most!
Ein schön Gesicht gleicht nicht der schönen Stimme,
Denn es ist Sinnenreiz, sie Seelenkost.

39

        Wenn er aus seiner Stadt geht in die Fremde,
Wird der Schuhflicker ohne Not bestehn;
Wenn er aus seinem Reich fällt in die Wüste,
Wird Südlands König hungrig schlafen gehn.

40

        Obgleich gewiß von Gott die Nahrung kommt,
Doch tust du wohl darnach dich aufzumachen;
Obgleich ohn ein Verhängnis Niemand stirbt,
Doch renne du nicht in des Drachen Rachen!

41

        Kann der Mann an seinem Ort nicht mehr bestehn,
Was verschlägts ihm? in die Welt geht er hinaus.
Jeder Reiche schläft in seinem Haus die Nacht,
Für den Derwisch wo die Nacht kommt ist sein Haus.

42

        Ein Rüstiger, den Unfäll' überkamen,
Geht hin wo man von ihm nicht kennt den Namen. 62

43

        Wo du kein Geld hast, kannst du Niemand zwingen,
Und hast du Geld, so brauchst du keinen Zwang.

44

        Friedfertig zeige dich, wo Streit du siehst,
Denn Sanftmut schließt des Krieges Pforten zu.
Dem Trotz entgegen setze Lindigkeit,
Durch weiche Seide dringt kein scharfes Schwert.
Mit guten Worten und mit Freundlichkeit
Lenkst du an einem Haar den Elefanten.

45

        Wie wahr ist, was Jektasch zu Chailtasch sprach:
Wen einmal du kneiptest, dem trau nie hernach.

46

        Ein Mückenschwarm erlegt den Elefanten,
Wie derb und ungeschlacht sei der Gesell,
Und ist ein Heer Ameischen einverstanden,
Zerreißen sie dem wilden Leun das Fell.

47

        Vor der Schlange wußt ich mich zu hüten
Da mit ihrer Art ich war bekannt;
Schlimmer ist der Zahnbiß eines Feindes
Der sich birgt in eines Freunds Gewand.

48

        Unfreundlich mag sich Fremdlingen erweisen
Wer selbst nie war in fremdem Land auf Reisen.

49

        Wenn nur ans Krokodil der Taucher dächte,
Die edle Perle nie zur Hand er brächte. 63

50

        Welches Mahl in seiner Höhle kann der Löw' erjagen?
Und der Falk in seinem Neste welchen Raub eintragen?
 
Von der Jagd, die du in deinem Hause willst gewinnen,
Bleibest du an Arm und Beinen mager wie die Spinnen.

51

        Der Jäger wird nicht jedesmal
Ein Wild erjagen;
Es trifft sich einst, daß ihn der Tiger
Davon wird tragen.

52

        Oft ists dem erleuchtetsten begegnet
Daß sein Rat nicht gut ausfiel,
Und oft schoß der unverständge Knabe
Aus Versehn den Pfeil ans Ziel.

53

        Wer für sich auftut des Begehrens Türe,
Der trägt, bis ihn der Tod befreit, das Joch.
Laß die Begier und übe Fürstenwürde!
Der Nacken von Begierde frei ist hoch.

54

        In des Emirs, in des Wesires Pflichten
Muß man sich bücken und aufrichten.
An wessen Tische du einmal gesessen,
Du stehst hinfort im Dienste dessen;
Weil seine Großmut du nicht kannst erwidern,
Mußt du zur Demut dich erniedern. 64

 

IV
Von den Vorteilen des Stillschweigens

1

        Die Tugenden erklärt für Fehler Feindeszorn;
Die Ros' ist Saadi, doch im Feindesaug ein Dorn.

2

        Klage dein Leid nicht den Ungetreuen,
Die sagen: o Gott! und sich heimlich freuen.

3

        Kennst du das Märchen? ein Sufi schlug
Ein Paar Nägel in seinen Schuh.
Da nahm ein Hauptmann ihn beim Kragen:
Komm du sollst mir mein Ross beschlagen.

4

        Ungesprochen ficht Niemand dich an,
Doch wenn du sprichst, beweis es, o Mann!

5

        Streit ist und Zank nicht zwischen zwei Verständigen,
Auch kämpft mit einem Toren nicht der Weise;
Wenn ungeschlachte Rede der Unweise führt,
Beschwichtigt ihn der kluge Gegner leise.
Ein Haar genügt zur Schranke zwei vernünftigen
Auch wo nur einer ist der Scheu beflissen;
Doch wo der Unverstand von beider Seite ist,
Da wird auch eine Kette selbst zerreißen.

6

        Ob süß dein Wort sei herzgewinnend,
Der Annahm und des Beifalls wert,
Hast du's gesagt, so sag's nicht wieder,
Konfekt wird nur einmal verzehrt. 65

7

        Die Red' hat einen Kopf und Schwanz
Nicht red hinein ehr sie ist ganz.
Wen Gott mit gutem Sinn beriet,
Der redet wann er schweigen sieht.

8

        Ein Verständiger wird nicht alles was er weiß beschwätzen,
An des Schahs Geheimnis darf man seinen Kopf nicht setzen.

9
Schmähverse.

Der teure Nachbar.

        Das Haus das dich zum Nachbarn hat;
Zehn leichte Taler ist es wert;
Doch ist zu hoffen, wenn du stirbst,
Daß es um tausend wird begehrt.

10

        Gutes hoffend blickt man dem und jenem ins Gesicht;
Gutes hoff' ich nicht von dir, tu mir nur Böses nicht.

11

        Der Schaufler der den Kot vom Pflastersteine scharrt
Zerreißt nicht so das Herz, wie deine Stimme schnarrt. 66

 

V.
Von der Liebe und der Jugend

1

        Wer ansieht mit dem Blick des Übelwollens,
Der findet daß nicht Jusufs Schönheit tauge,
Und wer den Teufel mit Wohlwollen anblickt,
Den schaut ein Engel an mit Cherubsauge.

2

        Wenn der Herr einmal mit seinem schönen
Sklaven sich ergeht in Scherz und Lachen,
Wird der Sklave bald den Herren machen
Und der Herr des Sklaven Launen fröhnen.vgl. Rückert »Saadi's Bostan« (1882) S. 178

3

        Zum Sklaven taugt ein Lohnarbeiter, Wasserträger;
Ein Sklave zart und zierlich wird ein Schläger.

4

        O Jammer, Wermut hat der Arzt verschrieben,
Und Zucker ist der kranken Lust Belieben.

5

        Hast du gehört was Liebchen im Gemach
Zu jenem armen Herzberaubten sprach?
Legst du dir selber einen Wert noch bei,
Sprich, was mein Wert in deinen Augen sei?

6

        Der mich getötet, hat zu mir sich wieder hergefunden;
Gewiß mit seinem Opfer hat er Mitleid nun empfunden. 67

7

        Des Korans Siebenabschnitt sagst du sonst auswendig her;
Wenn du den Kopf verlorst, weißt du das ABC nicht mehr.

8

        Es wundern mich die Toten nicht, vor dir im Staub gebettet;
Es wundert mich ein Lebender wie er vor dir sich rettet.

9

        Nicht so, o Paradieseswang', ist mein Versenken
In dich, daß ich dabei an mich noch könnte denken.
Von deinem Anblick könnt' ich ab den Blick nicht wenden
Und säh' ich dich mir einen Pfeil entgegen senden!

10

        Mir kam dein Traum von dessen Glanz die Nacht war hell entglommen;
Mich wunderte das Glück woher mir solch ein Heil gekommen.

11

        Spät kommst du, seltner Gast, zur Stelle;
Nun kommst du nicht vom Platz so schnelle.
Wenn man sein Liebchen soll so spat sehn,
Dann muß man wenigstens sich satt sehn.

12
Der feindselige Freundesbesuch.

        Da du in Begleitung nur mir hast Besuch gewährt,
Wenn du gleich im Frieden kommst, doch hast du Krieg erklärt.Arabischer Vers, nicht von Saadi 68

13

        Als Liebchen einen Augenblick nur freundlich tat mit andern,
Viel fehlte nicht so hätte mich getötet Eifersucht.
Sie lächelte: Die Kerze der Gesellschaft bin ich, Saadi,
Was soll ich, wenn ein Schmetterling den Tod mit Eifer sucht?

14

        Sagt es meinem Langgeliebten: Wolle nur mit Worten nicht
Mich verbrennen, was mit Schwertern selber nicht geschehen kann.
Neid verzehrt mich, daß ein Auge satt sich dürfe sehn an dir;
Doch was sag' ich? da kein Auge satt an dir sich sehen kann.

15

        Wer vor den Schönen nicht sein Herz bewahrt,
Der gibt in andrer Hände seinen Bart.
Ein Reh, das sich läßt auf den Rücken legen
Das Halfter, geht nicht mehr auf eignen Wegen.

16
Absagung.

        Geh nur und tu was dir immer beliebt,
Lieb dich! mich hast du nimmer geliebt.

17
Erwiderung.

        Will die Fledermaus nichts von der Sonne wissen,
Keinen Glanz deswegen wird die Sonne missen. 69

18
Nachruf.

        O komm zurück, und töte mich, denn besser ist aufgeben
Vor dir als tragen ohne dich das Leben.

19
Verblühte Schönheit – Verglühte Liebe.

        Holder Frühling, welk geworden ist dein Strauß!
Rücke deinen Topf nicht an, mein Feuer ist aus.

20
Der häßliche Bart des Schönen.

        Lieblich, sagt man, ist im Garten frisches Grün:
Wer das sagt, der weiß was es bedeutet;
Nämlich auf der schönen Wange zarter Flaum
Hat verliebte Herzen meist erbeutet.
Doch dein Schönheitsgarten ist ein Knoblauchbeet
Wachsend immermehr je mehr man's reutet.vgl. Rückert »Saadi's Diwan« (1892) hrsg. v. E. A. Bayer, Buch der Frivolitäten S. 146

21
Fernere (frostige) Bartscherze.

        Magst du geduldig oder ungeduldig seinIm Persischen ist das ›Haar des Ohrläppchens‹ (eine seltsame Bezeichnung des Backenbartes) der Grund des Geduldig- oder Ungeduldigseins?,
Dein Schönheitsreich ist nun im Niederfahren.
Hätt ich das Leben in der Hand, wie du den Bart,
Ich ließ es bis zum jüngsten Tag nicht wieder fahren.
Ich fragt und sprach: was ists mit deiner Wange nur
Daß um den Mund Ameisenheere wogen?
Er lacht': ich weiß nicht, was es ist; sie hat wohl Schwarz
Zur Trauer um die Schönheit angezogen. 70

22

        Wer früh zu deinem Morgengruß erwacht,
Dem wandelt sich der Tag des Heils zur Nacht.
Dir sollt' ein Unhold gleich dir sein gesellt;
Doch wo ist einer gleich dir in der Welt?

23

        Der Gartenmauer wird kein Vogel nahn,
Wenn man dein Bildnis hat gemalt daran.
Und wenn dein Platz wird sein in Paradiesen,
So werden andere die Höll' erkiesen.

24

        Wie Lilien und Rosen sitzt ein Kreis
Und du dazwischen wie ein dürres Reis,
Wie ein rauher Wind und ein unholder Frost
Wie Schnee gelagert, angesetzt wie Eis.

25

        War nicht zwischen uns ein Bund der Treue?
Und du brachst ihn lieblos ohne Scheue.
Einzig hatt' ich dir mein Herz verbunden:
Dacht' ich, daß es dich sobald gereue?
Jetzt auch, komm nur, willst du Frieden machen,
Und sei zwiefach mir geliebt aufs neue.

26

        Besser ist sein Aug auf Lanzenspitzen
Als sich sehn im Feindeskreise sitzen;
Lieber magst du tausend Holde meiden
Um nicht sehn zu müssen einen leiden.

27

        Man muß das Herz an nichts und niemand binden,
Denn es hält schwer, das Herz dem Band entwinden. 71

28

        Daß jenes Tages da dein Fuß trat in des Todes Dorn
Aufs Haupt mir des Verderbens Schwert gezückt hätt Himmelszorn,
Daß ich an diesem Tag die Welt nicht sehn mußt' ohne dich,
Ich über deinem Grab! o Schmach, daß nicht darunter ich!

29

        Gestern durft' ich wie der Pfau im Liebespark mich brüsten,
Heute wind' ich wie die Schlange mich durch Trennungswüsten.

30

        Möchten jene, die mich töricht schelten,
Nur einmal dich sehn, mein Herzbezwinger,
Daß bei deinem Anblick statt des Apfels
Unbewußt sie schnitten ihren Finger!

31

        Bei dir find' ich für Mitleid keine Stell',
Nur ein mitleidender sei mein Gesell,
Mit dem vereint ich klagen kann; zusammen
Gelegt zwei Scheiter werden besser flammen.

32

        Nichts vermag mich deinem Angedenken zu entführen,
Wie die kopfgetroffne Schlange kann ich mich nicht rühren.

33

        Sieh' wie anmutig, wie sein Zorn aufbrauset,
Wie er die finstre Braue lieblich krauset. 72

34

        Von deiner Hand an den Mund ein Schlag
Schmeckt besser als mein täglich Brot mir schmecken mag.

35

        Die neugereifte Traub ist herb von Schmack,
Wart' ein Paar Tag' und sie wird süß.

36

        Alles forschen muß man nicht zu gründlich,
Sünden Edler spähn ist sündlich.

37

        Wer selber tat Unehre viel
Dem ist des Andern Ehr' ein Spiel.
Manch guter Mann von fünfzig Jahren
Ist schlecht mit einem schlechten gefahren.

38

        O wenn die Liebe nur nach Tadel früge,
Wie gerne hört' ich jedes Tadlers Lüge!Arabischer Vers, nicht von Saadi

39

        Wo Gold erscheint, bückt ihm sich all's,
Die Waage selbst mit ehrnem Hals.

40

        Wenn seinen Raub gefaßt der Löwe hält,
Was schadets ihm daß ihn der Hund anbellt?
In Freundesantlitz laß dein Antlitz schaun,
Dann mag dein Feind an seinen Fingern kaun. 73

41

        Wie du des Verdrusses Ärmel über mich ausschüttelst,
Nie werde ich von deinem Saum darum die Hand abziehen.
Wenn von dieser meiner Schuld Befreiung scheint unmöglich,
Doch bei jener deiner Huld ist Hoffnung mir verliehen.

42

        Alle seid ihr eignes Fehles Träger,
Seid nicht fremder Fehle Jäger! 74

 


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