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Der Gulistan (Rosengarten) war Frucht der mehr als dreißig Wanderjahre Saadi's, in denen er Reisen durch den Vorderen Orient und die arabische Welt unternommen hat. Um 656 d. H. (1258 n. Chr.), ein Jahr nach Vollendung seines Bostan, widmete er auch dieses zweite Werk Abu Bakr ibn Saad, dem Herrscher von Fars.
In einer Mischung aus gebundener und ungebundener Rede ergänzt sich anziehende Unterhaltung mit einer belehrenden Tendenz. Dieses didaktische Anliegen, das auch Rückert hatte, verbindet den persischen mit dem deutschen Dichter. Der Gulistan ist ein Plauderbuch, in dem der kluge und weitgereiste Scheich seine Erfahrungen und Lebensweisheiten in anmutige Anekdoten, Historien und Erzählungen kleidet. In der Einleitung, die Rückert nicht übersetzt hat, schreibt Saadi, sein Buch sei zu mannigfacher Belehrung gedacht. Es soll zu rechter Geselligkeit anweisen und Regeln für die Unterhaltung geben. »Perlen der guten Lehre, die an Fäden des schönen Ausdrucks aufgefädelt sind«, aber auch »bittere Arzneien des guten Rates« finden sich im Gulistan, die »durch den Honig der feinen Rede versüßt werdenÜbersetzung nach K. H. Graf, Moslicheddin Sa'di's Rosengarten (1846) S. 4« Als »Inbegriff der Sittenverfeinerung« wurde der Gulistan in Persien jahrhundertelang dem Unterricht der Jugend zu Grunde gelegt und von allen Büchern nach dem Koran am meisten auswendig gelernt. Viele Zitate sind sprichwörtlich geworden. In der späteren persisch-türkischen Dichtung spielte man gern auf die Nachtigallen an, die zuerst den Gulistan lesen müssen, um die Geschichte der Rosen zu verstehen.
Saadi schildert in seiner Einleitung die Entstehung seines ›Rosengartens‹: Er habe eines Nachts über sein vergangenes Leben nachgedacht. Im Bewußtsein, wie rasch das Dasein verfließe, und im Kummer, kostbare Zeit vertan zu haben, trieb es ihn weg von seinen Freunden, um die ihm noch bleibenden Tage in Einsamkeit zu leben und zu schweigen. Ein Freund in Freud und Leid besuchte ihn und plauderte wie gewohnt. Doch Saadi schwieg, seinem Gelöbnis getreu. Voller Ärger und Empörung schwor der Freund, er werde nicht gehen, ehe Saadi mit ihm spricht, ». . . denn das Herz der Freunde zu kränken ist schlecht«. Notgedrungen mußte der Dichter sein Schweigen brechen. Es war gerade Frühling geworden, »Nachtigallen auf den Zweigen sangen, Tauperlen auf den Rosen lagen« und die Freunde verbrachten die Nacht im Gespräch wandelnd im Garten. Am Morgen pflückte der Freund Rosen, Basilien, Hyazinthen und Amaranten. Saadi sagte zu ihm: »Auf den Bestand des Gartens kann man nicht vertrauen, und auf die Verheißungen des Rosengartens nicht bauen.« Er erinnerte den Freund an einen Spruch der Weisen: »Du sollst den Dingen, die nicht währen, nicht Einlaß in dein Herz gewähren . . .« »Was ist denn zu tun?«, fragte der Freund. In diesem Augenblick faßte Saadi den Plan zu einem Buch des Rosengartens, »dessen Blätter der Herbststurm nicht zerreißen und dessen Frühlingslust das Rad der Zeit nicht zerstören kann«. Er versprach dem Freund, daß 28 die Schönheit seines Gartens immer bestehen werde. Dieser glaubte ihm und erinnerte an das arabische Sprichwort: »Der Edle hält, was er verspricht«. Noch am gleichen Tag begann Saadi zu schreiben, und er vollendete sein Buch »noch ehe die Rosen jenes Gartens verwelkt waren . . .«
Saadi's Gulistan ist häufig in andere islamische Sprachen übersetzt worden, und die Miniaturmaler haben es mit prächtigen Bildern geschmückt. Schon früh interessierten sich auch europäische Orientalisten für dieses Werk Saadi's. Neben Teilübersetzungen André du Ryers (1634) ins Französische (»L'Empire des Roses«), Johann Friedrich Ochsenbachs (1635) ins Deutsche und Gentius' (1651) ins Lateinische, lieferte Adam Olearius (1654) die erste ausführliche ÜbersetzungPersianischer Rosenthal. In welchem viel lustige Historien/scharfsinnige Reden und nützliche Regeln. Vor 400 Jahren von einem sinnreichen Poeten Schich Saadi in persischer Sprach beschrieben. Jetzo aber von Adamo Oleario, mit Zuziehung eines alten Persianers Namens Hakwirdi übersetzet/in Hochdeutscher Sprache herausgegeben/und mit vielen Kupferstücken gezieret ( . . .), die so beliebt war, daß sie mehrere Auflagen hatte (1660,1663, 1671, 1696).
Auch im 18. Jahrhundert erschienen weitere Teilauszüge in europäischen Sprachen. Eine Erleichterung für die europäischen Orientalisten waren im 19. Jahrhundert die nun auch im Druck zugänglichen persischen Texte Saadi's. Zwischen 1800 und 1900 erschienen von Gulistan und Bostan sieben Übersetzungen ins Englische und drei ins Französische. In Frankreich hatte Saadi große Wirkung auf Lafontaine, Diderot, Voltaire und Victor Hugo In Deutschland wurde Herder von Saadi's Rosengarten stark beeinflußt. Seine »Morgenländischen Dichtungen« enthalten viele dem Perser nachempfundene Moralsprüche. Im Vergleich zu den Gulistan-Übersetzungen P. Wolfs (1841) und G. H. F. Nesselmanns (1864) ist die deutsche Übertragung K. H. Grafs (1846) die genaueste, »die allerdings durch die modernen persischen Textausgaben überholt ist, manche Irrtümer enthält und dem Laien den Zugang zu dieser Dichtung auch sprachlich nicht leicht macht« . Heute ist die beste Standardausgabe des persischen Textes die mit einem ausführlichen Kommentar herausgegebene Edition von Mohammad Chazaeli (Teheran 1965).
Während K. H. Graf sowohl Prosa als auch Verse des Rosengartens übersetzt hatte, übertrug Rückert nur einen Großteil der den Prosaerzählungen eingefügten und angehängten Verse, die den moralischen Kern enthalten. Der Prosatext war ihm nur eine Einkleidung, allein die Essenz von diesem schien ihm wichtig. E. Bayer, der erste Herausgeber, vermutete, daß die Verse aus dem Gulistan zwischen 1845 und 1849 von Rückert übertragen worden sind. 29
Die Editionen John Herbert Haringtons (Calcutta 1792), Francis Gladwins (Calcutta 1806) und N. Semelets (Paris, 1828 »Le Parterre de Fleurs du Cheikh-Moslih-eddin Sadi de Chiraz«) waren Rückerts Grundtexte. An Haringtons Ausgabe, die erstmals in Europa die Gesammelten Werke Saadi's in Persisch umfaßte, bemängelte er Unstimmigkeiten, Wiederholungen und Textverderbnisse. Rückert kannte wahrscheinlich weder die deutsche Bearbeitung des Olearius (1654) noch die vollständige Graf-Übersetzung des Rosengartens (1848).
Die Herausgabe seiner Übersetzungen der »Verse aus dem Gulistan« erlebte er nicht mehr. Erst 1894 wurden sie von Edmund Bayer wiederentdeckt und in der Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte (Band VII und X, 1894,1896) veröffentlicht.