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Die schöne Ungarin spielte von jeher eine Hauptrolle in der Geschichte des galanten Wien, denn es liegt in der Eigenthümlichkeit ihrer Raçe und ihres Landes, daß sie alle jene Reize vereinigt, von denen in der Regel ein einziger genügt, um ein Weib bezaubernd zu machen, feurige Schönheit, einen lebhaften mit allen öffentlichen Angelegenheiten vertrauten Geist, eine hinreißende Großmuth des Herzens, ein an Wildheit streifendes kühnes Amazonenthum, den Applomb der Aristokratin und die pikante Nonchalance der Demimonde-Dame. Von der Natur mit den zugleich beglückendsten und verderblichsten Gaben bis zum Übermaße ausgestattet, wird die schöne Ungarin je nach dem Stempel, den Lebensverhältnisse, Schicksal oder Neigung ihrem Wesen aufdrücken, das beste, herrlichste, oder auch das entsetzlichste Weib werden.
Sarolta, die Heldin unserer Geschichte trug ursprünglich ohne Zweifel alle Keime einer Madonna, und einer Astarte in sich; daß in ihrer Seele die dunklen Gewalten bald über die lichten himmlischen den Sieg davontrugen, lag vielleicht nur an der ersten unseligen Wendung, welche ihre Ältern ihrem Leben gaben.
Sie wurde mit kaum sechszehn Jahren an einen alten Mann verheirathet, einen Mann, den sie mehr fürchtete als achtete, und den sie durchaus nicht liebte, aber sie war eine arme Comtesse und mußte also den Traditionen ihres Standes getreu um jeden Preis eine reiche Heirath machen. Und die Folge? Eine Geschichte, die täglich wiederkehrt. Aeltern, welche den Idealismus des Herzens bei ihrem Kinde grausam verhöhnen und zum Besten desselben, wie sie glauben, ausrotten, werden statt des sicheren ruhigen Glückes, das sie demselben zu bereiten hoffen, nur Unzufriedenheit, Mißmuth, Sünde, und nicht selten sogar ernstes Unheil säen.
Sarolta war nicht zur Dulderin geboren; aus einem frühreifen Mädchen in einer freudenlosen nüchternen Ehe rasch zu einem eigenwilligen, selbstbewußten, klugberechnenden Weibe geworden, suchte sie den Genuß, der sie in ihrem Hause floh, außer demselben, und die Vorsicht, welche sie bei dem galligen Temperament und der Eifersucht ihres Gemahls dabei gebrauchen mußte, um nicht den ganzen asiatischen Glanz ihres Lebens mit einem Male auf das Spiel zu setzen, machte sie täglich nur noch herzloser, hinterlistiger und raffinirter. Sie war ein Weib jener wilden Raçe, welche in der Geschichte und Sage Ungarns eine typische Rolle spielt, welche sich, um ihre Schönheit ewig frisch und jung zu erhalten, im Menschenblute badet, ihren Liebhaber in den Pflug spannt und mit der Peitsche antreibt oder in ein Wolfsfell nähen läßt, um dann mit ihren Rüden auf ihn Jagd zu machen.
Ihre Schönheit war die eines Dämons. Hoch und schlank gewachsen, zeigte sie in jeder Bewegung die Weichheit, Elastizität und Energie des grausam-zierlichen Katzengeschlechtes. Blauschwarzes Haar von einer ungewöhnlichen Fülle rahmte ihr reizvolles Antlitz ein, dessen dunkles von sanftem Roth durchzogenes Kolorit an den Orient mahnte, unter dem geheimnißvollen Schleier langer dunkler Wimpern loderten ein Paar große schwarze, räthselhafte Augen. Sarolta erregte als Amazone durch ihren Muth und ihre dämonische Grazie nicht allein in Wien, wo sie mit ihrem Gatten den Winter zubrachte, sondern auch in ihrer Heimath, wo sie den Sommer über auf ihren Gütern weilte, allgemeines Aufsehen und entzückte die Frauen kaum weniger als die Männer. Jeder, der in ihre Nähe kam, in ihren Zauberkreis gerieth, fühlte nur zu bald die Macht ihrer zur Herrschaft berufenen Natur, aber Keiner wehrte sich gegen dieselbe, ein Jeder unterwarf sich willig, ja begeistert. So regierte sie in dem Kreise, der sie huldigend umgab, unumschränkt wie eine Monarchin und oft willkürlich und grausam, gleich der schlimmsten Despotin.
In Wien freilich mußte sie ihren Centaurenpassionen die Zügel anlegen, denn ein Ritt im Prater oder auf der Ringstraße war nicht im Stande, dieser ungestümen Pferdebändigerin zu genügen. Theater, Spiel, Gesellschaft und Lektüre mußten der launenhaften Frau hier im Vereine mit den Leidenschaften, welche sie in der Menge der ihr nahenden Männer erregte, die Zeit vertreiben. Dafür stürmte sie im Sommer, wenn sie ihren Aufenthalt wieder in dem alten Magnatenschlosse mitten in der Pußta genommen hatte, mit ihrem Viergespann gleich einem der trojanischen Helden über die unendliche Fläche oder hetzte mit einem Gefolge schöner Frauen und ritterlicher Männer einen armen Fuchs oder Hasen zu Tode, wobei sie allen voran Hecken, Zäune, Gräben und andere Hindernisse übersetzte, unbekümmert darum, ob einer von Jenen, die ihr verwegenes Beispiel fortriß, Arm, Bein oder gar das Genick brach. Ihr Gatte hatte, wie es in Ungarn Sitte ist, einen talentvollen Knaben, den Sohn eines seiner kleinen Beamten, der früh Waise geworden war, auf seine Kosten studiren lassen. Er hieß Stefan Bakotzi. Nachdem er das Gymnasium in irgend einem Neste tief unten in Ungarn zurückgelegt, kam er in das Haus des Magnaten nach Wien, um die Rechte an der ersten Universität Österreichs zu absolviren. Der erste Eindruck, den er auf seinen Protektor wie auf dessen junge Gemahlin machte, war ein sehr günstiger, und so wurde er denn wie der Sohn des Hauses aufgenommen und behandelt. Stefan war ein hübscher Blondin von zwanzig Jahren, kräftig gebaut, aber dabei frisch, weiß und roth wie ein junges Mädchen. Aus seinen blauen Augen sprach eine gewisse edle Einfalt und Schwärmerei. Anfangs zeigte er sich ziemlich schüchtern und unbeholfen, aber Sarolta, der dies für einige Zeit Zerstreuung versprach, übernahm es selbst, ihn zu dressiren und nach kaum einem halben Jahre hatte sich der junge intelligente Student die feinen Manieren der Aristokratie vollkommen angeeignet.
Im Mai übersiedelte die Herrschaft wie gewöhnlich nach Ungarn und Stefan blieb mit einem alten Haushofmeister so gut wie allein in dem Palais der Residenz zurück, um das Semester zu vollenden. Mit Beginn der Ferien eilte auch er in die Heimath.
Ein unseliger Zufall wollte, daß er Sarolta auf ihrem Schlosse allein fand. Ihr Gemahl, welcher an dem politischen Leben seines Vaterlandes regen Antheil nahm, war in Pest und in seiner Abwesenheit mußte die eroberungslustige Frau die äußerste Vorsicht gebrauchen, da sie keinen Augenblick darüber im Zweifel war, daß ihr Gatte sie mit Spionen umgab. Sie lebte also einsam und langweilte sich entsetzlich.
Die Ankunft Stefans, welche ihr Abwechslung und Zeitvertreib versprach, bekam unter diesen Umständen für Sarolta eine ganz ungewöhnliche Bedeutung. Sie erwartete ihn auf dem Bahnhofe der letzten Station und führte ihn selbst mit ihrem Viergespann in das Schloß. Auch für den jungen Studenten war die Situation jetzt eine ganz andere und weit gefährlichere als in Wien, wo sein Verkehr mit der schönen Magnatin stets durch Zeugen eingeschränkt war.
Sarolta hatte nichts zu thun und wollte sich um jeden Preis unterhalten; sie begann also mit Stefan zu kokettiren und eroberte den unerfahrenen jungen Mann in kurzer Zeit so vollständig, wie sie es vielleicht anfangs weder erwartet noch auch beabsichtigt hatte, und als sie erst seiner reinen mächtigen Leidenschaft gewiß war, gab sie sich auch dem ihr fremden Elemente willenlos hin. Sie begann den armen Studenten nach ihrer Art zu lieben, das heißt alle ihre rasch wechselnden Launen an ihm auszulassen und ihn in jeder erdenklichen Weise zu peinigen. Einmal goß sie ihm Bier in den Wein und zwang ihn, das Höllengetränke bis auf die Neige zu leeren, ein andermal ließ sie ihm durch das Stubenmädchen Brennesseln in das Bett streuen. Plötzlich kam ihr die Idee, er müßte mit ihr reiten, und da der arme Schüler des Horaz und Virgil nie ein Pferd bestiegen hatte, zwang sie ihn, ihr auf die Reitbahn zu folgen und begann, ohne ihn erst zu fragen, in eigener Person den Unterricht.
Es war ein heiteres seltsames Bild, der zaghafte Student hoch zu Rosse, der jeden Augenblick die Zügel verlor und in die Mähne seines Thieres griff, und die schöne schlanke Frau, die brennende Cigarre im Munde, welche, in der Mitte der Sandbahn stehend, mit der langen Peitsche das Pferd antrieb.
Nachdem der arme Stefan wiederholt vom Pferde gestürzt war und sich von dem Gelächter seiner Peinigerin verfolgt, trotz seiner zerschlagenen Arme und Kniee, wieder aufgeschwungen hatte, verlor diese endlich die Geduld und griff zu einem in Ungarn beliebten drastischen Mittel, sie ließ dem Studenten die Kniee an die Bügel seines Pferdes festbinden, schwang sich dann selbst in den Sattel und sprengte, seinen Zügel in der Hand, mit ihm hinaus ins Freie.
Nach einem wilden Ritte von mehr als einer Stunde brachte sie Stefan mehr todt als lebendig in das Schloß zurück. Man band ihn los, er war aber unfähig vom Pferde zu steigen und mußte von den Stallknechten herabgehoben werden. Sarolta zeigte nicht das geringste Mitleid mit ihrem Opfer, sondern lachte es noch aus.
Wie gerädert lag der arme Junge Abends in seinem Zimmer auf einem alten fadenscheinigen Ruhebette und suchte sich klar zu machen, wodurch er mit einem Male die Abneigung seiner schönen Herrin erregt hatte, denn die schnöde Art und Weise, wie sie ihn seit Kurzem behandelte, schien ihm nur aus Haß entspringen zu können. Da geschah etwas, worauf er am allerwenigsten gefaßt war; Sarolta trat in sein Zimmer, setzte sich zu ihm und begann mit ihm zu plaudern, so liebenswürdig, so theilnehmend, wie er sie noch nicht gefunden.
Stefan staunte, aber es kam noch besser. Mit einem Male nahm ihn die schöne stolze Frau beim Kopfe und küßte ihn, und er? – er hatte in demselben Augenblicke den halsbrecherischen Ritt vergessen und seine müden Glieder und ihr spöttisches Lachen, er lag vor ihr auf den Knieen und umschlang sie, und stammelte Worte des Entzückens, und sagte ihr alles das, was er jetzt so überwältigend empfand und was er vor wenigen Minuten selbst noch nicht gewußt hatte.
In derselben Nacht noch gehörte Sarolta ihm, oder eigentlich er gehörte ihr, denn dieses Weib gab sich nicht hin, es riß den Mann, den es liebte, wild und gebieterisch an sich, um ihn dann, wenn es ihn nicht mehr liebte, ebenso rücksichtslos und höhnisch von sich zu stoßen.
Er gehörte ihr und das alte, einsame, öde Schloß schien auf einmal mit tausend heiteren Kobolden und muthwilligen Amoretten erfüllt, welche es mit Rosenketten drapirten.
Die Idylle währte indeß nicht zu lange. Der alte Magnat kehrte zurück und der Umgang der Liebenden war von demselben Augenblicke an auf das äußerste beschränkt. Sarolta war jedoch nicht die Natur, solch einen Zwang lange zu ertragen. Während ihr Gemahl mit dem Studenten Schach spielte, lag sie stundenlang auf ihrer Ottomane und brütete, oder sie bestieg ein Pferd und ließ sich, während der Wind sie mit ihrem eigenen aufgelösten Haare peitschte, über die Pußta dahinstürmend von bösen Gedanken wie von Dämonen umflattern.
Ein Zufall brachte sie zum vollen Bewußtsein dessen, was sie wollte, wohin ihre unbezähmbare Selbstsucht trachtete.
Es war zur Zeit, als das Räuberunwesen in Ungarn in der höchste Blüthe stand. Kein Tag verging, wo man nicht in der Nachbarschaft von einem kühnen Raube, einem blutigen Morde hörte. Das Standrecht war proklamirt. Militär-Kolonnen durchstreiften die Gegend, der Galgen arbeitete ohne Unterbrechung, aber das Übel nahm eher zu als ab.
Sarolta's Gemahl hatte sich, wie es Brauch war, mit den Räubern, welche in der Nähe hausten, abgefunden. Er zahlte ihnen eine bestimmte Summe und bewirthete sie fürstlich, wenn sie sich bei ihm einluden. Dafür war er jedoch vor jedem Attentate auf sein Gut und Leben und das seiner Leute gesichert.
Wieder sagten sich die Räuber einmal im Schlosse an, man bereitete ihnen ein reichliches Mahl, rollte Fässer trefflichen Weines aus dem Keller herauf, bestellte eine Zigeunermusik und Mädchen zum Tanze. Die Räuber kamen, zechten und drehten sich munter im Csardas; da kamen zum Unglücke Gensdarmen. Die Räuber schwangen sich auf ihre Pferde und waren im Nu verschwunden, aber der Schloßherr sprach die Überzeugung aus, daß sie sich für verrathen halten und an ihm Rache nehmen würden.
Dies war der Funke, der in die Seele der dämonischen Frau fiel. Noch in derselben Nacht setzte Sarolta alle Vorsicht bei Seite und suchte den Geliebten auf. In seinen Armen ruhend entwickelte sie ihm ihren Plan; er erschrak, er beschwor sie, den unseligen Gedanken aufzugeben, aber sie ließ ihm nur die Wahl zwischen ihrem Besitze und dem Verbrechen.
Als sie ihn verließ, war er entschlossen ihr zu gehorchen.
Wenige Tage später ritt der Gemahl Sarolta's Nachmittags zu einem Nachbar, mit dem er den Verkauf eines Waldes zu besprechen hatte. Man erwartete gegen Abend seine Rückkehr. Er kam nicht, er kam auch nicht in der Nacht, und auch nicht am nächsten Morgen.
Sarolta ritt mit einigen ihrer Leute aus, ihn zu suchen. Sie fanden ihn an der Straße in einem Graben liegen in einer Blutlache, ermordet und beraubt.
Sarolta warf sich vom Pferde und über seine Leiche, sie schrie verzweifelt und wurde ohnmächtig in das Schloß zurückgebracht.
Vergebens durchstreiften Gensdarmen die Gegend, um den Mörder gefangen zu nehmen, denn alle Welt war überzeugt, daß die Räuber, welche sich durch Sarolta's Gemahl verrathen glaubten, die blutige That vollbracht. Da kam eines Tages ein lateinischer, seltsam stilisirter Zettel an den Sicherheits-Kommissär, welcher Namens der Räuber erklärte, daß Keiner aus ihrer Mitte das Blut des alten Magnaten vergossen habe, der Thäter vielmehr in ganz anderen Kreisen zu suchen sei.
Der Sicherheits-Kommissär kam nun auf das Schloß, um die näheren Umstände zu erheben und Sarolta zu befragen, auf wen sie etwa einen Verdacht werfen würde. Die Schloßfrau zeigte sich ruhig und gefaßt, sie erklärte, daß sie weder an einen Racheakt glaube, noch überhaupt irgend Jemand unter ihren Leuten oder Bedienten die That zumuthen könne.
Der Sicherheits-Kommissär nahm nun die Bewohner des Schlosses der Reihe nach ins Verhör. Alle stimmten mit ihrer Gebieterin überein. Stefan war abwesend. Als er in das Schloß zurückkehrte, war der Sicherheits-Kommissär eben im Begriffe, dasselbe mit seinen Panduren zu verlassen. Sein Blick fiel nur flüchtig auf den Mann, als er ihn aber unter demselben erbleichen sah, stieg sofort ein Verdacht in ihm auf und er hielt ihn fest. Wenige Fragen genügten, um den Studenten vollkommen zu verwirren. Man verhaftete ihn, eine Stunde später hatte er seine That gestanden und da er behauptete, keinerlei Mitschuldige zu haben, wurde er noch an demselben Abende zum Tode durch den Strang verurtheilt.
Als man ihm die Hände auf den Rücken band, begann er am ganzen Leibe zu zittern und blickte mit thränenerfüllten Augen empor zu dem alten Magnatenschlosse, aus dessen Fenstern das schöne dämonische Weib auf ihn heruntersah, auf dessen Geheiß er den Mord an seinem Wohlthäter begangen hatte.
Einige Minuten später war Alles vorbei.
Sarolta verließ noch an demselben Tage ihre Güter, um in ein böhmisches Bad zu gehen, in den rauschenden Vergnügungen der eleganten Gesellschaft hatte sie bald die mahnenden Schatten ihres Gatten und ihres Geliebten vergessen. Man sah sie in dem folgenden Winter in Paris stets an der Seite eines schönen Polen, der, wie Viele behaupteten, ein Abenteurer von der schlimmsten Sorte war. Dann kehrte sie nach Wien zurück und suchte in wüsten Orgien die Stimme ihres Gewissens zu betäuben.
Und wieder einige Jahre später sah man in Baden eine früh gealterte Frau mit einem hämischen hageren Vampyrgesicht und erloschenem Blick in einem Rollstuhl. Niemand sprach mit ihr, denn sie war gelähmt und konnte sich nur mühsam durch Zeichen mit dem alten Diener verständigen, der sie im Parke hin- und herfuhr. Diese Frau war die einst so schöne und lebensfrohe Amazone Sarolta.
Sie selbst hatte sich die Strafe für ihre blutige That bereitet.