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Es ist nicht lange her, daß ich in Wien die Bekanntschaft eines Malers machte, recht zufällig und doch nicht ohne Absicht von meiner Seite. Wir tranken seit Monaten unseren Nachmittagskaffee an demselben Tisch und lasen unsere Zeitungen Rücken gegen Rücken. Der bleiche junge Mann mit dem kurzen, krausen, schwarzen Haare, den großen düster brennenden dunklen Augen zog mich an, ganz besonders interessirte mich der schwermüthige Zug von Fatalismus in seinem beinahe schönen Gesichte, er schien mir einer von Jenen, die ihr Unheil, ihr Schicksal mit sich herumtragen in der eigenen Brust und welche stumm resignirt den Kampf dagegen aufgegeben haben.
Ein recht apartes Bild in den fliegenden Blättern vermittelte unsere Annäherung, es war dies eine abscheuliche Äffin in der bekannten Atitude der hehren Göttin der Tribuna mit der Unterschrift: Das Urbild der medicäischen Venus nach Karl Vogt.
So sehr das Bild mein Gefühl, meine Sinne beleidigte, ich mußte doch dabei laut auflachen. Mein Nachbar wurde aufmerksam. Ich legte das Blatt vor ihm auf den Tisch, er ergriff es hastig, warf einen Blick auf dasselbe und schleuderte es eben so hastig von sich.
»Wie können Sie über so etwas lachen«, sagte er beleidigt.
»Es mag infam sein«, erwiderte ich, »aber es ist unwiderstehlich komisch.«
»Ich kann über nichts lachen, was mir heilig ist«, warf er hin, »man mag Alles karrikiren, was ein thörichter Wahn mit dem Strahlenkranze umkleidet hat, nur nicht das Heiligste, was es überhaupt gibt, die Liebe, das Weib als Symbol der Menschheit, als das Mysterium des Daseins.«
So waren wir bekannt geworden und bald vertraut.
Es dauerte nicht lange, so lud er mich ein, ihn in seinem Atelier zu besuchen, oder besser gesagt in der Dachstube, in welcher seine Staffelei stand und ein paar angefangene Bilder hingen.
»Heute sollen Sie eine andere Venus sehen«, sagte er, nachdem ich alle seine Mappen und Skizzenbücher durchgestöbert hatte. Er sperrte die Thüre, öffnete einen Wandschrank und nahm eine Leinwand heraus, welche er von mir abgekehrt hielt und vorsichtig auf die Staffelei stellte. Er blieb vor ihr stehen und versank in ihre Betrachtung so vollständig, daß er die Welt und mich ganz vergessen zu haben schien.
»Eine Venus?« sagte ich, in der Absicht, ihn aus seinem Traum zu wecken.
Er schrak zusammen, sah mich an, wie Einer der nicht bei sich ist, und lächelte endlich.
Dann winkte er mir, vor das Bild zu treten.
Ich gehorchte und stand sprachlos.
Die Szene, welche in kühner Zeichnung, herrlicher Farbenpracht aus der Leinwand quoll, gewann Leben vor mir, und ich begann etwas wie Angst zu fühlen vor dem teuflisch holden Weibe, das sich auf seinem Lager aufgerichtet hatte, um den geliebten Mann, der ihr entfliehen wollte, von Neuem zu berücken, von Neuem in ihren goldweichen Locken zu fangen, ich erschrak bis in das Innerste meiner Seele vor diesen wunderbaren pompejanischen Formen, vor diesen sanften, verzehrenden dunklen Augen, welche unter halbgeschlossenen Lidern hervorblitzten, vor diesem kleinen halboffenen Munde mit den kleinen weißen Zähnen, vor diesem siegreichen Lächeln, das ihn umspielte, ich fühlte selbst die seidene Haarschlinge um den Hals, mit welcher sie den Tannhäuser zu erwürgen drohte.
»So ein Bild« sagte ich endlich, »kann nur Einer malen, der selbst im Venusberge war.«
Der bleiche Maler nickte. »Ich war im Venusberge«, erwiderte er traurig, »und dort habe ich es gemalt. Das Bild ist mein, ich gebe es Niemand. Ich gebe es nicht um diese Erde!« – Er nahm es hastig und verbarg es wieder.
»Kennen Sie sie?« fragte er nach einiger Zeit.
»Nein«, erwiderte ich, »lebt dieses Weib?«
Statt einer Antwort schlug der Maler ein großes Photographien-Album auf und hielt es mir hin. Es war dieselbe schöne blonde Frau wie auf seinem Gemälde, aber in einer weißen Sommerrobe, einen mit Rosen geschmückten Strohhut in der Hand.
»Also ein Geheimniß«, sprach ich dann.
»Wie Sie wollen«, antwortete mir mein Freund. »Ein Geheimniß und auch kein Geheimniß, die Dame ist nicht von Jenen, welche die Öffentlichkeit scheuen.«
»Wie?«
»Ich meine, ich darf Ihnen die seltsame Geschichte dieses Bildes erzählen.«
»Ich brenne vor Neugierde.«
»Also –« er setzte sich auf sein armseliges Bett und blickte vor sich hin, wie Einer, der im Fieber spricht. –
»Das Bild lag in meiner Seele wie ein Keim, der heraus muß an das Licht. Es lag in meiner Natur, es war mein Schicksal, das es mir zuerst gleich einer Ahnung im Nebel der Phantasie aufsteigen ließ, mein Schicksal, das mich dazu trieb und sich darin verkörperte. Ich entwarf eine Skizze und suchte zunächst ein Modell für die Liebesgöttin. Sie wissen, was ein Modell ist, aber sie wissen kaum, wie schwer es hält, ein schönes Modell zu erobern, sogar bei uns in Wien, wo doch die Frauen aller Stände ganz besonders schön sind und es durch die verschiedenen Stämme, welche in der Residenz vertreten sind, wie durch die große Racenkreuzung an keinem der vielen Typen fehlt. Aber ein schlechtes Weib ist in der Regel auch ein schlechtes Modell. Halten Sie das für keine idealistische Schrulle. Es gibt aber in Wien sehr brave Mädchen, welche Modell stehen, um ihre armen Eltern zu erhalten, anständige Frauen, welche es vorziehen, aus Liebe zu ihrem Gatten, ihren Kindern, eher ihre Schönheit als ihre Tugend preis zu geben. Ich suchte also unter diesen, ich bot jede Summe, aber ich fand nicht, was ich suchte. Ich bildete mir ein, meine Venus müsse blond sein und dunkle Augen haben.
Endlich wählte ich den absonderlichen Weg eines Inserates.
Es kam lange kein Antrag, endlich doch ein Brief, aber in eben so seltsamer Form wie meine Aufforderung.
Er lautete: »Eine Dame, jung, schön, blond mit dunklen Augen, will Ihnen zu Ihrer Liebesgöttin Modell stehen, aber Sie haben es als eine Gunst anzunehmen, welche Ihnen Ihre Venus erweisen wird, und weder zu fragen, noch nachzuforschen. Und wehe Ihnen, wenn Sie undankbar genug sind, den Verräther zu spielen, wo man Ihnen mit beispiellosem Vertrauen naht. Man erwartet Sie den nächsten Sonnabend elf Uhr Nachts im Pratersterne.«
»Und Sie folgten der Aufforderung?«
»Fragen Sie noch? Ja, ich ging hin, mit klopfendem Herzen. Es war eine stürmische Winternacht. Ein Wagen erwartete mich, ein alter Diener in unbekannter Livree, eine Freiherrenkrone auf den Knöpfen, hob mich hinein, setzte sich zu mir, verband mir die Augen und dann rollten wir davon.
Offenbar fuhr der Kutscher absichtlich hin und her, um mich zu täuschen, denn es währte gut eine Stunde, ehe wir ankamen. In dem verdeckten Thorweg eines, wie es schien, villenartigen Gebäudes ließ man mich aussteigen und der alte Diener, welcher mir jetzt die Binde abnahm, führte mich eine mit Blumen geschmückte Treppe empor und ließ mich dann in einem mit verschwenderischer Pracht eingerichteten, angenehm durchwärmten und glänzend erleuchteten Salon allein.
Aber nicht zu lange. –
Die Portière rauschte und eine fließende Seidenschleppe stimmte in das melodische Rauschen ein.
Vor mir stand ein Weib, die Liebesgöttin selbst!
Aber wozu soll ich sie beschreiben, ich habe sie gemalt, Sie kennen sie also. Denken Sie sich meine Venus, welche Tannhäuser mit ihren Locken fängt, nur verhüllt von einem dunklen Gewande, die goldene Fluth ihres Haares über den Rücken fließend, mit einem Lächeln um die Lippen, das halb neugierig, halb spöttisch war.
Ein sanfter Blick ihrer dämonischen Augen traf mich, ein einziger Blick und ich war berückt, verzaubert, und erst als sie mit der schalkhaften Frage: »Aber bin ich Ihnen auch schön genug«, ihr Gewand fallen ließ und auf einmal vor mir stand, wie die Göttin selbst –
Wenn ich nach Innen blicke, in meine Seele, sehe ich das teuflische Weib noch vor mir stehen wie damals – damals aber lag ich vor ihr auf den Knieen und küßte ihre kleinen bloßen Füße – Sie behielt mich bei sich –
Ich war ihr Hausgenosse, oder besser gesagt, ihr Gefangener. Ich durfte nicht nach ihrem Namen fragen, mein Zimmer nicht verlassen, ohne daß sie mich rief. Ich malte sie und liebte sie, und sie – sie ließ sich von mir malen und lieben.
Über sie nachzudenken hatte sie mir nicht verboten. Wenn ich also allein war, beschäftigte ich mich unaufhörlich mit ihr. Ich hielt sie für eine Dame, welche eine Laune in meine Arme geführt hatte, vielleicht eine Russin, ihr hartes Deutsch sprach wenigstens dafür. Reich war sie, beispiellos reich, das verriethen mir ihre stets ebenso kostbaren wie poesievollen Toiletten.
Ich hatte mein Bild vollendet und ihr eine Copie davon gemacht. Noch immer wollte sie sich mir nicht zu erkennen geben, aber ebensowenig mich entlassen. Und ich – ich liebte sie endlich so wahnsinnig – daß ich nicht mehr verstand, wie ich ohne sie leben sollte.
»Du bist mein«, rief ich einmal, »ich will Dich aber ganz und für immer besitzen.«
»Das ist unmöglich«, sagte sie erbleichend.
»Du willst also nicht?« stammelte ich.
»Ich kann nicht.«
Ich lachte auf. »Du kannst nicht? Nun dann muß ich mich von Dir trennen können.«
»Aber höre mich doch, ich liebe nur Dich«, rief sie voll Angst, »aber ich kann Dir nicht gehören.«
»Du bist also das Weib eines Andern.«
»Nein –«
»Was also?«
»Seine – Maitresse.«
Ich sah sie vernichtet an: »Maitresse!« murmelte ich. »Weib, was habe ich Dir gethan, daß Du mich so elend gemacht hast, so entsetzlich elend, um Dir vielleicht ein paar Stunden zu vertreiben?«
»O! Ich kenne Dich lange schon«, rief sie, »und ich liebe Dich, das ist meine Schuld, das allein.«
Ich entfloh in derselben Nacht, aber ich habe seitdem keine Ruhe, keinen guten Augenblick gehabt, ich kann auch nicht malen, die Liebesgöttin verfolgt mich mit ihren dunklen Augen, sie wirft ihre goldenen Haarschlingen nach mir aus, und ich muß zu ihr zurückkehren in den Venusberg, und dann wird auch mein dürrer Malerstock wieder grünen und vielleicht noch einmal blühende Rosen tragen.«