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Xanten

Siegfried

Siegfried! Mit leuchtenden Augen nennt die Sage den Namen dieses herrlichen Helden vom Niederrhein. Furchtlos und treu zu sein, wie er es sein Lebtag gewesen, liegt im germanischen Geblüt. Und darum lebt seit vielen Jahrhunderten wie keine andere deutsche Sage vom Hürnenen Seyfried die uralte Mär in unser Aller Herzen ewig jung ein unsterbliches, geheimes Leben.

Ein mächtiges Königsschloß stand dazumal in dem uralten Städtchen, das sie später Ad Santos genannt haben, weil hier im vierten Jahrhundert die Helden der thebäischen Legion unter ihrem Führer, dem heiligen Viktor, für den christlichen Glauben in den Tod gegangen sind. In jener Königsburg am Niederrhein wohnten in grauer Vorzeit Siegmund und Sieglinde. Siegfried hieß ihr Sohn. Frühzeitig verband der Knabe mit königlichem Wuchs einen kühnen, schier unbändigen Sinn.

Mit dreizehn Lenzen hielt es den kecken Knaben nicht mehr auf der väterlichen Burg zu Xanten. Aus alten Mären hatte er frühzeitig gehört von kühnen Reckenfahrten und heldenhaften Kämpfen auf heimischer Männererde. Auch ihn drängte es nach Aventiuren, nach Kämpfen und Wagnissen. So verließ eines Tages Jung-Siegfried heimlich das Schloß und wanderte den Strom hinauf. Bald bot sich ihm Gelegenheit, seinen Mut zu erproben.

Am Fuß des Siebengebirges traf der Königssohn den berühmten Waffenschmied Mimer, der schmiedete prächtige Klingen und blitzende Schwerter. Gar sehr behagte dem jungen Fant das kunstvolle Handwerk, und den Meister bat er, ihn aufzunehmen und ihn einzuweihen in die edle Kunst des Waffenschmiedens. Der war's zufrieden, und Siegfried blieb. Unfroh empfanden bald des Schmiedes Gesellen die Kampflust des jungen Recken. Nicht selten packte ihn der aufschäumende Übermut, und er hob sie mannshoch, um sie in den Sand gleiten zu lassen, oder in dem tollen Spiel jugendlicher Krafterprobung schrieb seine breite Faust auf ihren Rücken blaue, krause Zeichen. Einmal gar zerschmetterte seines Hammers Hieb alle Eisenstangen und trieb den Ambos in den Grund.

Dem Meister behagte der unbändige Knabe mit der gewaltigen Körperkraft von nun an wenig, und er beschloß, sich seiner zu entledigen. Zum Kohlenbrennen hieß er ihn gehen, einen Sack zu holen, wohl wissend, daß der ungestüme Gesell nimmer zur Waldschmiede zurückkehren werde.

Denn ein greulicher Drache hauste in jenem Teil des Forstes; der mordete mitleidlos jeden Wanderer, dessen Fuß sich in sein Gebiet verirrte. Siegfried hatte einen Kohlenmeiler angezündet, und lohend schlugen die Flammen aus dem Gebüsch. Da stampfte plötzlich mit langgekrallten Füßen das Ungetüm heran, krümmte gierig den schuppigen Leib und wirbelte fauchend die blutige Zunge, um den neuen Kohlenbrenner zu verschlingen. Kampfglühend aber blitzten des jungen Helden Augen, einen flammenden Kloben riß er aus dem Feuerherd und stieß das brennende Ende dem Lindwurm in den gähnenden Rachen. Da wälzte sich das Untier schmerzbrüllend am Boden und schlug grimmig nach ihm mit dem geringelten Schweif und den gewaltigen Tatzen. Siegfried aber versetzte ihm wuchtige Schläge, wich ihm geschickt aus und zerschmetterte ihm endlich mit einem riesigen Felsblock das Haupt, worauf das Ungetüm röchelnd verendete.

Den schuppigen Wanst schleuderte er in die lodernden Flammen. Da sah der furchtlose junge Held zu seinem Erstaunen, wie ein Strom von Fett aus der Glut hervorquoll und in einer Lache zusammenfloß zu seinen Füßen. Und ein Vöglein hörte er trillern und also singen aus dem Geäst des Lindenbaumes:

Willst du hörnern sein
Und in jedem Streit
Gegen Hieb gefeit,
Recke, tauch hinein!

Da warf Siegfried seine Gewandung ab und salbte seinen sehnigen Körper mit dem Drachenfett an allen Gliedmaßen. Nur ein Fleck an der Achsel blieb frei, wohin ein Lindenblatt gefallen und haften geblieben war.

Kampfesfroh kehrte der kraftvolle Held mit dem Kopf des Lindwurms zur Schmiede zurück und erschlug den heimtückischen Schmied, der ihn hatte verderben wollen. Schmiedete sich dann ein neues Schwert und eine stählerne Brünne. Nachdem er sich aus Mimers Stall das schnellste Roß, den Renner Grani gesattelt, zog er von dannen, um neue Abenteuer zu suchen.

Viele Tagereisen legte der hürnene Siegfried zurück. Er sah Berg und Strom und endlich das Meer. Zu Schiffe stieg er, und die Windsbraut schleudert Held und Hengst an eine Felsenküste. Mutig erklimmt sie der Renner und trägt den Reiter an ein verzaubertes Schloß, das eine wabernde Lohe flammend umzüngelt. Unschlüssig steht Jung-Siegfried, und wiederum klingt über ihm des trillernden Waldvögleins helles Gezwitscher:

Lös den Bann! Hinein
Spreng mit Heldenmut
In die Feuersglut!
Schönste Maid wird dein.

Da spornte der Held sein Roß, daß es sich bäumte und schäumte und Reiter und Tier die erstickende Lohe glühend umfing. Siegfried aber bahnte sich den Weg. Ein gewaltiger Sprung bringt ihn mitten ins Flammenmeer, das prasselnd erlischt. Gelöst ist der Bann, vor ihm liegt ein Zauberschloß in wunderbarer Pracht. Er dringt in die Gemächer und Räume, bestaunt die schlafenden Rosse an ihren Krippen, die schlafenden Roßknechte in den Ställen, die schlafenden Köche am Herde. Dann tritt er in den Burgsaal. Ein unerwartetes Bild! Auf dem Ruhebett liegt in weißschimmerndem Gewand, funkelndes Gestein im reichen, goldblonden Haar, ein göttergleiches Weib.

Wie nun der Held einen Kuß auf ihren rosigen Mund drückt und dadurch Brunhild, das blonde Königskind, zum Leben erwacht samt allen, die hundertjährigem Zauber verfallen waren; wie sie ihrem kühnen Retter sich zu eigen geben will, aber in hartem Walkürentrotz zaudert, einem Mann den Lohn der Minne zu gewähren; wie der Held Siegfried sich vergeblich wappnete gegen die Lockungen der verführerischen Götterjungfrau; wie er endlich des Vögleins Stimme wieder vernimmt von den Riesen und Zwergen zu Niflheim, dem Nibelungenhort und der Tarnkappe, die ihn unbezwingbar mache –, wie endlich der Held sich ermannt und tatenlüstern wegzieht aus dem Bann der königlichen Maid: das alles hat die Sage zaubervoll ausgesponnen, und in aller Mund lebt es heute.

Noch mancherlei rühmliche Abenteuer hat Siegfried mit dem ganzen Feuer seiner heldenhaften Seele bestanden bei seiner Ausfahrt ins Nibelungenland, wo er den tückischen Zwergen den Schatz entwand samt der zaubernden Tarnkappe. Dann aber hat den Helden das Heimweh befallen, und er machte sich auf den Rückweg zum väterlichen Schloß am Niederrhein. Nach Munden langte er hier an und berichtete von seinen Taten. Gar groß war die Freude des edlen Herrscherpaares Siegmund und Sieglinde. Also endete die Ausfahrt Jung-Siegfrieds, des Königssohnes von Xanten.


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