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Puvis de Chavannes

Alle wahre Kunst ist Lobeserhebung.

John Ruskin. Lawes of Fesole.

 

Als Zwanzigjähriger lernte ich einen einsiedlerischen Maler kennen, der es niemals zu grossen Erfolgen gebracht hat, vielleicht weil doch sein thatsächliches positives Können, wie bei manchen neueren Deutschen, jenem Höchsten in der Kunst nicht entsprach, dem er mit der ganzen Kraft seiner Seele nachstrebte. Doch hatte er hohe und seltene Begriffe von seiner Kunst. Ein Abscheu war ihm jedes Kunstwerk und jeder Künstler, die durch den Stoff wirken wollten. Die gepriesene Historienmalerei unserer Akademien, die so lange für das Höchste gelten durfte, stellte er nicht ein Haar höher als die Histörchenmalerei, die man Genre zu nennen pflegt; er stellte sie tiefer, tiefer als einen gemalten Witz, weil sie, bei all ihrem theatralisch gespreizten und pompösen Auftreten, inhaltlos und geistlos war durch und durch, eine Orgie des rohen Stoffes, ein Pathos ohne Poesie, eine trostlose Prosa. Mir jungem Menschen suchte er klar zu machen, dass die Wirkung eines Gemäldes, das ein Kunstwerk ist, dieselbe sei, wie die guter Musik, unabhängig vom Stoff, unübersetzbar in die Sprache, undenkbar mit dem Verstand. Keiner Kunst sei die Malerei so verwandt, wie der Musik, und nicht umsonst habe unsere Sprache für das Ausdrucksmittel beider ein und dasselbe Wort, das Wort »Töne«. »Zarte Liebe denkt in Tönen«, habe Tieck gemeint; wenn man das Wort auf die Musik wie auf die Malerei verwende mit dem Accent auf »denkt«, so habe man eine ganze Aesthetik ausgesprochen.

Drei Meister verehrte mein Freund unter den neueren Deutschen, Anselm Feuerbach, Arnold Böcklin und Hans von Marées. Von dem letztern, als dem wenigst bekannten, sprach er am liebsten. Er suchte mir eine Idee davon zu geben, was dieser einsame und unverstandene Künstler mit seinen Bildern angestrebt habe, welche hohe Ahnung einer stillen und heiligen Schönheit in geträumten Götterwelten diese Bilder erwecken trotz ihrer Unfertigkeit. Und ich brannte vor Begierde, das Werk des unglücklichen und tödtlich besiegten Malertitanen kennen zu lernen.

Ohne diesen Wunsch erfüllt zu sehen, ging ich damals nach Paris. Wenn mein einsiedlerischer und sehr abseitsstehender Freund von den neueren Franzosen sprach, rühmte er mit grosser Selbstbescheidung immer eins: das umfassende positive Können, das ehrliche Streben im Handwerk, worin sie den Deutschen von heute – vielmehr von damals – als leuchtende Muster dienen müssten. Aber das Letzte und Höchste in der Kunst schien er bei den Franzosen nicht zu finden und auch nicht zu erwarten. Ich freute mich vor allem auf den Louvre; denn ich hatte auch von alten Bildern noch wenig Gutes gesehen.

Aber ehe ich den Louvre nur zu betreten Gelegenheit fand, führte mich der Zufall in die neue Sorbonne, in deren Grossem Amphitheater ein berühmter Kathederredner Vorträge über Voltaire hielt. Ich erwartete dort nicht wenig, aber etwas ganz anderes erlebte ich; ich erlebte das Grösste, eine überwältigende Offenbarung, nicht über Voltaire und den Geist des 18. Jahrhunderts, sondern über die heilige ewige Kunst und ihr inneres unaussprechbares Wesen.

Das Grosse Amphitheater der neuen Sorbonne ist an sich schon vielleicht der schönste Hörsaal der Welt. Dazu besitzt er einen Schatz, der den schönen Raum im höchsten Sinn zu einem Heiligthum macht. Ich fühlte mich bei meinem Eintreten wie von einem neuen höheren Licht umfangen. Ich stand wie vor einer Vision. Alle dunklen Ahnungen, die mein Freund mir in der Seele erweckt hatte, wenn er von den künstlerischen Absichten seines verehrten Marées sprach, sie standen plötzlich vor mir als deutliche, als farbige, als lebendige Anschauung.

Was ich sah, war so etwas wie der Olymp und seine Bewohner; oder Apollo und die neun Musen. Öderes war vielleicht auch etwas anderes, richtig, ich hatte davon gehört, die Frauengestalt in der Mitte war die heilige Sorbonne selber. Aber ich hätte davon nicht eine Silbe zu wissen brauchen, Götter hätte ich dennoch gesehen, d. h. göttliche Menschheit. Und heilig und ewig in ihrer schönen Jugend hätte ich all die Gestalten empfunden und die Landschaft in der sie ruhten oder wandelten. Dennoch hatte keine etwas gewollt Uebermenschliches, und ihre Schönheit war nichts, was mit Begriffen und Regeln zu fassen gewesen wäre; ihre Schönheit war – ich finde keinen anderen Ausdruck – ein stilles Geheimniss. Und diese göttlichen Gestalten, diese Lorbeerbäume, diese Wiesen mit Blumen, dieses Licht vom heiteren Himmel, das Ganze in seiner künstlerischen Einheit fluthete mir entgegen als Musik. Diese Malerei wirkte wie Musik. Aber nicht wie eine beliebige. Nicht wie eine pathetische Musik. Nicht wie laute Musik. Nicht wie Wagner-Musik zum Beispiel. Gar nicht. Das war eine stille, heilige, freudige Musik, die die Seele froh machte und andächtig zugleich. Es war, wenn man so will, eine christliche Musik, trotzdem sie eigentlich vom Olymp ausging. Sie lag eben nicht im Stoff, das war klar, sondern im künstlerischen Ausdruck.

So lernte ich Puvis de Chavannes kennen. Und es war gleich die Krone seiner Werke, mit der er mir zuerst entgegentrat. Ich erlebte damit aber zugleich auch eine auffallende und seltene Kontrastwirkung. Denn grössere Gegensätze lassen sich nicht denken, als der Geist, der unten im Saal durch den Vortrag des Redners lebendig wurde, und der Geist, der oben aus den Farben sprach. Dort der grosse Geistreiche des 18. Jahrhunderts, der diabolisch frechste, der boshafteste, der frivolste aller grossen Geister, der grosse Hasser, der grosse Cyniker, der grosse Spötter, der grosse Hohnlacher, der grosse Blasphemist – der Mann, auf den Schiller sein »Krieg führt der Witz auf ewig mit dem Schönen« gemünzt hat; und oben in der Höhe, gleich einem Gloria Deo in excelsis et in terra pax, ein heiliger Hymnus vom ewigen Frieden und ewiger seliger Liebe einer göttlich geträumten schönen Menschheit, ein Hymnus, in dem jeder Ton, nämlich jede Farbe, von seligen Dingen sang, von stillem, heimlichem Glück, von leidenschaftsloser, ungetrübter Freude. Von einem solchen Werk aber geht eine zwingende Kraft aus. Das nimmt uns in seinen Bann, wir wissen nicht wie. Wir werden unwillkürlich fromm wie das Werk selbst,

Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Thäten im Grossen,
Was der Beste im Kleinen
Thut oder möchte.

Unter diesem Bilde wurde über Voltaire gesprochen, und der Redner auf dem Katheder war wie von Voltaire angesteckt; sein Held schien ihm von der eigenen Bissigkeit mitgetheilt zu haben, er hatte immer tausend giftige Bosheiten auf der Zunge gegen den grossen Boshaften des 18. Jahrhunderts.

* * *

Das Hervorstechendste an unserer Zeit ist Disharmonie; harmonische Menschen sind Fremdlinge in ihr und harmonische Werke scheinen unmöglich. Puvis de Chavannes schuf dennoch solche Werke. Aber er wurde mit einer seiner herrlichsten Schöpfungen in einen Raum verwiesen, wo in seine stille heilige Musik immerfort die hässlichsten Dissonanzen hineinschreien dürfen, obwohl der Raum ein Tempel sein will. Ich meine das Pantheon. Was Puvis de Chavannes hier malte ist Poesie, was die anderen mit akademischer Routine vor ihm gemalt haben, ist entweder nüchterne historische Kostümkunde oder politisches Pathos, und meistens pöbelhaft schreiendes Pathos, dessen ganzer Text und Sinn nichts weiter bedeutet, als ein gedankenloses Vive la Republique, das aber von Zeit zu Zeit kleine liebliche Variationen annimmt, wie etwa »Nieder mit Zola« oder »Nieder mit Dreyfus«. Nicht nur passen die zarten stillharmonischen Farbenakkorde des Meisters nicht dahinein, auch seine Heilige selber muss sich in der Gesellschaft unbehaglich fühlen.

An sich aber ist die Genovefen-Legende im Pantheon eines der rührendsten und innerlichsten Werke des Malers. Die christliche Legende spielt sonst kaum eine Rolle in seinen Werken; aber diese heilige Genovefa, deren geheimnissvoll keltischer Name eine Jungfrau bedeutet die Zauberkränze windet, scheint er zu lieben wie eine himmlische Patronin. Dieses Hirtenmädchen von Nanterre, diese Vorläuferin der Johanna von Arc, hat es ihm angethan, und als ein Künstler, der sich im Gegensatz fühlte zu seiner Zeit, mochte es ihm eine grosse Genugthuung gewesen sein, eine Nationalheilige zu verherrlichen, die mit den Götzen des Tages nichts zu thun hatte, mit der die nationalen Maulhelden einer vielrednerischen Zeit so wenig etwas anzufangen wussten, wie die Maulhelden der Kritik mit seiner Kunst. Die hl. Genovefa mochte für ihn fast eine symbolische Bedeutung haben. Ihr Name bedeutete wohl für ihn ganz besonders eine Jungfrau die Zauberkränze windet. Das reine, in den Augen der Welt unscheinbare Mädchen, die Einsame der stillen Fluren, die zuletzt als Göttin in das Pantheon einzieht, das war seine Kunst.

Ein angesehener und einflussreicher Schriftsteller, Edmond About, noch dazu ein persönlicher Freund des Malers, hat es den Franzosen wie oft gesagt, dass ein Schüler der letzten Dorfschule besser zeichne als Puvis de Chavannes. Und so mag vielleicht auch gerade der Herr Pfarrer von Nanterre, der bestellte Verwalter des Sakraments, am verächtlichsten auf das arme Mädchen heruntergesehen haben, als auf ein überspanntes Gänschen, dem dann Volk und Priester und der König einen Tempel bauten, der alle anderen Kirchen von Paris und selbst die Notre-Dame hoch überragte. Was ist das aber anderes als die Geschichte des Genies!

Ueberhaupt gehört der Heiligenkultus, richtig verstanden, nach meiner Meinung zum Schönsten in der katholischen Kirche und ist eine der menschlichsten Seiten ihres ganzen Dogmengehalts. Puvis de Chavannes, dem wahrhaftig in seinem ganzen Werk nichts ferner liegt als christlich-kirchliche Mystik, gestaltete die kirchliche Legende zu einer epischen Dichtung grossen Stils. Er erreichte dies besonders durch seine breite Behandlung der Landschaft, worin er ein so grosser Meister ist, und durch sein besonderes Vermögen, Landschaft und Menschen als eine poetische Einheit empfinden zu lassen, was unter allen Neueren, in gleicher Kraft und Stärke, nur noch unser Arnold Böcklin vermag, der andere grosse Farbenpoet unseres unfarbigen und, ich fürchte, auch unpoetischen Jahrhunderts.

Die Landschaften der Genovefen-Legende sind trotz allen entzückenden Einzelheiten von einer solchen vereinfachenden Charakteristik, nämlich von einem solchen verblüffenden Gefühl für Stil, für grossen Stil, dass sie fast unbegreiflich erscheinen in einer Zeit, wo gerade der Naturalismus seine schönsten Orgien feierte und mit seinem Rausch die besten Geister umnebelte, weil ihnen der naturalistische Rausch mit Recht immer noch lieber war, als die akademische Erstarrung und lebensfeindliche Kälte.

Ganz grosse Landschaft hat Puvis de Chavannes auch in Marseille gemalt, im Palais Longchamp, besonders in dem einen der dortigen Gemälde, das Marseille als griechische Kolonie darstellt. Mit den berühmten Landschaftern unter seinen Landsleuten aber kann Puvis de Chavannes gar nicht verglichen werden. Das wird einem nirgend so klar, als zu Lyon vor seiner Darstellung, die als »Heiliger Hain« bezeichnet wird. In diesem Gemälde ist das einfache griechische Schönheitsgefühl wieder lebendig geworden. Doch auch die erhöhtere religiöse Weihestimmung und die knospenhafte schüchterne Seelenzartheit des italienischen Quatrocento spricht aus diesem Bild. Und wenn man zugleich ein modernes Element darin erkennen will, so ist es die schmerzliche Sehnsucht einer grossen Künstlerseele in einer Zeit der Prosa und würdelosen Hast, in einer »gnadenlosen« Zeit, von der – »die Schönheit weinend abgewendet«.

Der Heilige Hain zu Lyon ist im Werk des französischen Meisters, was die Insel der Seligen im Werke Arnold Böcklin's. Diese beiden Gemälde sind Kunstwerke allerersten Ranges. Bei ihnen fragt man nicht mehr darnach, was sie »vorstellen«. Oder nur ein Bauer könnte es fragen. Der Stoff ist in ihnen glücklich und vollkommen aufgelöst, und so wirken sie schon aus diesem Grunde wie Musik, bei der, wie Goethe es zuerst richtig erkannt hat, »die Würde der Kunst vielleicht am eminentesten erscheint, weil sie keinen Stoff hat, der abgerechnet werden müsste«.

Aber so ausgiebig nun die Musik in Deutschland kultivirt wird, auch abgesehen von der Oper, die sich einem Stoff vermählt hat, die anderen Künste haben des keinen Gewinn; in ihnen klammert man sich krampfhaft ans roh Stoffliche. Für das rein Künstlerische in ihnen scheint es den Deutschen von heute (noch etwas mehr als anderen heutigen Europäern) an einem Organ zu fehlen, Mit dem Verstand aber ist einmal der Kunst nicht beizukommen.

Puvis de Chavannes est vraiment le Virgile de la peinture, meinte ein geistreicher französischer Schriftsteller in besonderer Beziehung zu dem Bois sacré. Wenn Puvis ein Deutscher wäre, wir würden sagen, Puvis de Chavannes sei der Goethe der Malerei. Wenigstens wüsste ich keine menschliche Schöpfung, worin ich Goethe's Geist so deutlich zu spüren vermeine, wie in den Farbendichtungen des grossen Burgunders. Bei Böcklin ist das z. B. viel weniger der Fall. Böcklin ist eine zu eruptive Natur. Böcklin's heisse Farbengluth entspricht kaum der ruhigen Gedämpftheit der Goethe'schen Natur. Diese finde ich dagegen durchaus in Puvis de Chavannes. Ich bin nie vor einem Werke dieses, ich möchte sagen unfranzösischen Franzosen gestanden, ohne dass ich heimlich und leise eine Stimme in mir hörte:

Füllest wieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz;
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz.

Das Bild Nebelglanz ist sogar, wie es kaum ein anderes wäre, charakteristisch für die koloristische Eigenart in Puvis de Chavannes, für diese etwas blasse leise Farbenabtönung, die alle Körperlichkeit aufzulösen scheint, und deren Zartheit gerade des Meisters Kraft und Stärke ausmacht.

* * *

Puvis de Chavannes war bis vor Kurzem wenig in Deutschland bekannt – einmal ausnahmsweise gerade so wenig wie etwa Böcklin in Frankreich. Wenn die Franzosen je einen deutschen Maler nennen, so ist es Liebermann oder Menzel. Diese beiden wissen sie zu schätzen. Beide haben am meisten das, was die Franzosen selber haben. Von Böcklin, der etwas anderes hat, mögen sie nichts wissen. Das ist echt französisch, die Franzosen waren immer so. Wir Deutschen verhalten uns umgekehrt, wir mögen das an den Franzosen am liebsten bewundern, was uns am meisten abgeht. Darum sind die französischen Malkünstler, das Wort im engeren handwerklichen Sinn verstanden, bei uns in aller Mund, und Puvis de Chavannes, der französische Böcklin (cum grano salis) ist uns bis heute fast fremd geblieben.

Er war aber auch in Frankreich selber lange genug ein Fremder, ein Unbekannter, ein Unverstandener. Im Jahre 1850 hat Puvis zum erstenmal im Salon ausgestellt, in den Jahren 1851 bis 1854 ist er zurückgewiesen worden. Er hat sich dann nicht mehr gemeldet bis zum Jahre 1861. In diesem Jahre erschien er von neuem mit seinen beiden Gemälden »Krieg« und »Frieden«. Das Ergebniss: er wurde ausgepfiffen. Drei Kritiker waren freilich für ihn, und es waren nicht die schlechtesten, es waren Leute wie Theophile Gautier, Paul de Saint-Victor und Theodore de Banville. Allein auch diese wagten nur schüchterne Worte, und der Spott und das Hohngelächter aller übrigen dauerte ununterbrochen fort, dreissig Jahre lang. Puvis wurde 67 Jahre alt, bis er endlich sagen konnte, ich habe gesiegt.

Das ist ja oft genug das Loos des Genies.

Die beiden Gemälde »Krieg« und »Frieden«, die den Anfang bilden von des Meisters eigenartiger Kunst, sind im Besitz des Museums von Amiens. Wer denkt bei dem Titel dieser Bilder nicht an Allegorien? Keine Spur. Es sind Landschaften mit Menschen darin, mit Menschen ohne eine bestimmt ausgesprochene Handlung, nur mit charakteristischer Zuständlichkeit. Und denselben Charakter haben auch die Stücke »Arbeit« und »Ruhe« zu Amiens, sowie die beiden dortigen Wandgemälde, »Picardia nutrix« und »Ludus pro Patria«, welche auf »Krieg« und »Frieden« unmittelbar folgten. Die gänzliche Verbannung alles Allegorischen zeichnet sie gleichmässig aus. Puvis de Chavannes hat niemals, auch in seiner grünsten Jugend nicht, anderer Leute Schweine gehütet, wie Heine sich vielleicht ausdrücken würde. Er machte nicht viel Schüler-Irrsäle durch, er hielt es bei Henry Scheffer nur kurze Zeit und bei Couture nur drei Monate lang aus, er fand früh das ihm allein angemessene Ausdrucksmittel.

Nur die Farbe der Bilder zu Amiens muthet den, der die späteren Werke vorher gesehen, etwas fremdartig an. Puvis hat sich gewissermassen umgekehrt entwickelt wie Böcklin. Während dieser, wenn man so sagen kann, immer tiefer in die Farben gegriffen hat, immer lautere höhere Jubeltöne angeschlagen hat, ist Puvis, wie er inniger wurde, immer leiser und stiller geworden, und ist damit zu einem Farbenakkord gekommen, der einen ganz andersartigen, aber kaum geringeren Zauber ausübt als die glühende Farbigkeit Böcklin's. So wie Puvis de Chavannes hat sich in Deutschland Anselm Feuerbach koloristisch entwickelt, dieser dritte grosse Poet der farbigen Kunst, der ebenfalls den Franzosen ganz unbekannt und in Deutschland den Malkünstlern eine Verachtung ist.

Man hat Puvis de Chavannes in Frankreich oft einen Symbolisten genannt, und man hat ihn zu den englischen Präraphaeliten in Beziehung gebracht. Eine gewisse Verwandtschaft ist nicht zu leugnen. Auch Puvis wurde als Jüngling zuerst von den alten Florentinern inspirirt, besonders von Botticelli, von Ghirlandajo, von Fra Angelico da Fiesole, von Pierro della Francesca. Er hat sich aber entschieden selbständiger entwickelt und hat mehr modernes Blut in seinen Adern und einen viel stärkeren koloristischen Zauber als ein Rossetti oder ein Burne-Jones, die ihrerseits vielleicht eine grössere Formenlieblichkeit für sich in Anspruch nehmen dürfen. Puvis ist auch unverkennbar weniger monoton als jene. Er ist sogar nicht einmal symbolistisch, wenigstens nicht im engeren Sinn des Wortes, während Burne-Jones und besonders Watts der abstrakten Gedankenmalerei bedenklich nahe kommen und selbst vor der räthselhaften Allegorie nicht zurückschrecken. Gemein hat er mit ihnen die tiefe schmerzliche Sehnsucht nach etwas wie einem Traum und die süsse Seelenmelancholie, die sich bildlich wie ein leiser Schleier über seinen Gemälden auszubreiten scheint, und die ihn so wesentlich von dem derberen und vollsaftigeren Böcklin unterscheidet. Puvis ist auch ein viel naiverer Künstler als etwa Burne-Jones, das beweist in besonders rührender Weise sein Gemälde im Museum zu Rouen, wo ihn auch das undankbarste Kostüm nicht aus dem Konzept, d. h. aus der Stimmung bringt.

Am 24. Oktober 1898 ist Puvis de Chavannes gestorben. Sein ganzes Leben lang, in allen seinen Werken, hat er den Frieden gepredigt, die Milde und die Seligkeit der Menschen und Götter im Schaffen des Guten und Schönen. Als er schied, war sein Land und Volk zerrissen wie nie, entstellt wie nie von Bruderhass und tobsüchtigem Wüthen der Einen gegen die Anderen, gefährdet in seinem moralischen Lebenskeim durch die Wurmgänge lichtscheuer Umtriebe. Nie war sein Volk so friedlos, nie schien es so verlassen von allen lichten Genien, nie senkten die Guten des Landes so das Haupt in schmerzvoller Trauer und Verzweiflung.

Sein Tod war wie eine Demonstration.


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