Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Doch konnte man sich nicht verbergen, dass die reinste christliche Religion mit der wahren bildenden Kunst immer sich zwiespältig befinde, weil jene sich von der Sinnlichkeit zu entfernen strebt, diese nun aber das sinnliche Element als ihren eigentlichsten Wirkungskreis anerkennt und darin beharren muss.
Goethe.
Keinen Begriff hat unsere deutsche Bildung so verwirrt als den der Kunst. Wenn eben Blinde von den Farben reden, kann nichts gescheidtes herauskommen. Und solche Blinde waren die meisten unserer Philosophen, die uns die Kunst erklärten. Es waren fast immer Theologen – im weitesten Sinn – nämlich Leute von durchaus transcendentaler Denkweise, Menschen, die mehr oder weniger die ganze sinnliche Welt für nichts achteten und darum, echt christlich, den Schwerpunkt des Daseins über diese hinaus in eine blos gedachte, eine ideelle, eine jenseitige Welt verlegten. Jede Erscheinung der sinnlichen Welt war für diese Leute nichts als eine Art Kleiderständer, ein System von Haken, um ihre Ideen daran aufzuhängen.
So betrachteten sie die Natur und so die Kunst. Die Kunst würden sie überhaupt nicht betrachtet haben, wenn es ihnen verwehrt gewesen wäre, einen Ideenständer aus ihr zu machen. Nur als Aufhängevorrichtung für ihre Ideen galt ihnen die Kunst etwas. Nicht um das, was in der Kunst vorgestellt, den Sinnen zum Genuss vorgestellt wurde, schätzten sie deren Werke, sondern um das, was das Vorgestellte ihrer Meinung nach bedeuten sollte. Die Kunst als eine reine Quelle der Augenlust würden sie mit Acht und Bann belegt haben, wie es die Reformation thatsächlich gethan hat. Nur wenn sie die Kunst als einen Knochen betrachten durften, an dem der deutelnde Verstand nagen konnte mit Herzenslust, liessen sie sie gelten.
Von solchen Leuten hat die deutsche Bildung lange ihren Begriff der Kunst erhalten.
Unter anderen Nationen, in Italien z. B., wären sie nicht gehört und nicht verstanden, oder sie wären, wie Savonarola, verbrannt worden.
Und doch hat es, neben diesen falschen, auch in Deutschland zu allen Zeiten wahre Propheten gegeben, nämlich die Künstler selbst. Alle grossen Künstler waren es in ihren Werken und durch ihre Werke, und einige hat es gegeben, die ihr Propheten- und Lehrerthum sogar, über ihre Werke hinaus, in Wort und Schrift ausgeübt haben.
Noch zu Goethes Tagen erschien die »Moderne Kunstchronik, oder die Rumford'sche Suppe, gekocht und geschrieben von Josef Anton Koch« – eine höchst ergötzliche Schrift, die wenig methodisch, wenig philosophisch, wenig gelehrt, aber dafür um so wärmer und persönlicher, und mit der Sachkenntniss des ausübenden Künstlers, das Bedenkliche der deutschen Kunstbetrachtung darlegte. Der Verfasser muss viel Zorn im Herzen gehegt haben, das merkt man trotz allem Humor des Ausdrucks.
Am tiefsten aber hat Feuerbach's sensitive Natur unter der Missgunst seiner Zeit gelitten. Sein »Vermächtniss«, wie es seine Mutter herausgab, lässt uns nicht nur in das tragische Ringen einer Künstlerseele mit den kunstfeindlichen Mächten ihrer Existenzbedingung den tiefsten Einblick thun; es hat noch eine andere wichtigere Seite: in leidenschaftlichen eruptiven Ausbrüchen, unter plötzlichen, überraschenden Schlaglichtern, zeigt es uns die ganze Verkehrtheit der zeitgenössischen Kunstauffassung. Was Josef Anton Koch mit Humor und Cynismus und mit allerlei Schnurren verbrämt, und auch nur ahnungsweise, ausgesprochen hatte, das war bei Feuerbach, der klarer dachte, zu furchtbarem blutigem Ernst geworden. Manches zwar sagt er auch geistreich und mit spielendem Witz, an anderen Stellen aber kommt es heraus wie der Aufschrei eines Verzweifelnden.
Und diesmal verhallte die Stimme des Rufenden nicht ganz in der Wüste, sie wurde von manchem empfänglichen Ohr vernommen, sie gab unbestreitbar den ersten Anstoss zu einem Umschwung, zu einer Revolution der ästhetischen Weltanschauung in Deutschland.
* * *
Aber auch bei Feuerbach spricht sich alles nur ganz gelegentlich aus, in plötzlicher und unvorbedachter Weise, leidenschaftlich hingeworfen als Briefstelle und Tagebuchblatt. In durchaus zusammenhängender und gründlich abhandelnder Form, und mit unübertrefflicher Klarheit, werden diese Gedanken, mit wesentlicher Erweiterung des Themas, von zwei neueren Künstlern vorgetragen. In specieller Anwendung auf die Plastik thut dies Adolf Hildebrand in seinem »Problem der Form in der bildenden Kunst«, einem Büchlein, das trotz seiner schweren Lesbarkeit bereits von grosser Wirkung gewesen ist. Auf die darstellenden Künste aber bezieht sich Max Klinger in seiner Schrift »Malerei und Zeichnung«.
Dieses kleine Heft gehört mit zum Besten, was in Deutschland über Kunst je geschrieben worden ist. Der Laie wie der Künstler können daraus mehr lernen als in allen dickleibigen Aesthetiken zusammen. Seit hundert Jahren interpretiren unsere Gelehrten und Schulmeister den Laokoon; aber man pries Lessing über den Schellenkönig und stellte meist nach wie vor an die Malerei Forderungen, die allein der Dichtung gegenüber berechtigt waren: man hatte aus dem Laokoon soviel wie nichts gelernt. Erst dem ausübenden Künstler, Max Klinger, war es vorbehalten, aus dem Laokoon neue Gedanken zu entwickeln, und das mit einer Einfachheit und Klarheit der Sprache, die in jedem Wort den denkenden und zugleich praktischen Künstler verräth, und woneben sich die Lessing'sche Abhandlung fast scholastisch ausnimmt.
Nicht nur in der Aesthetik der bildenden Künste, auch der Musik gegenüber hat die poetisirende oder deutlicher spiritualisirende Betrachtungsweise grosse Verwirrung angerichtet. Auch hier begnügte man sich nicht mit dem im gegebenen Material Vorgestellten, nämlich mit den Tönen und deren kunst-gesetzlichen Verbindungen, worin allein das Wesen der Musik besteht, welche keinen anderen »Gehalt« haben kann, als eben diese schöne sinnenbewegende Sinnlichkeit. Auch hier musste man – denn so waren einmal die Geister gestimmt – eine transcendentale, eine übersinnliche, eine geistige Welt, eine Welt von »Gedanken« hineindeuteln in die sinnlichste aller Sinnlichkeiten, – kein Wunder in einer Kultur, wo Sinnlichkeit und Sünde Synonyme geworden waren.
Was nun in der Aesthetik der Musik Eduard Hanslick, wenigstens halb und halb, gethan hat in seinem einfachen Büchlein vom Musikalisch-Schönen, das hat, nur noch einfacher und konsequenter, Max Klinger für die Aesthetik der Malerei vollbracht in seiner Schrift »Malerei und Zeichnung«.
Max Klinger ist von den grossen Künstlern unserer Zeit am raschesten zur Anerkennung gelangt. Und viel ist über ihn geschrieben worden. Auch viel Ueberschwengliches und Laienhaftes. Viele haben sich für Klinger begeistert, nicht weil sie den Künstler als solchen begriffen und bewunderten, sondern weil er seine Kunst gewissen ethisch-socialen Tendenzen der Zeit dienstbar zu machen schien. Darin sah man sein Hauptverdienst. Aber gerade von diesem Verdienst, wenn es eines ist, soll hier abgesehen werden, und ich hoffe, der Künstler wird dabei nicht zu kurz kommen.
Ich gehe dabei aus von seiner schriftstellerischen Leistung.
* * *
Die Schrift Klinger's behandelt zwei Hauptgedanken. Der erste ist widerspruchslos, er enthält die Definition der Malerei, und ihre Grenzbestimmung nach der Seite der Dichtung hin. Es wird hier ausgeführt, klar und unwiderleglich, und auch für den einfachsten Laienverstand fassbar: dass der Werth eines Bildes, als Kunstwerk, einzig in seiner vollendeten Durchbildung besteht, in der Durchbildung und Behandlung von Form, Farbe, Gesammtbildung und Ausdruck; dass jeder Gegenstand, der so behandelt ist diesen Forderungen zu entsprechen, damit zu einem Kunstwerke wird; dass es ausser diesen Forderungen keineswegs einer Idee bedarf: dass auch die erhabenste Idee für den Mangel einer jener Forderungen nicht entschädigen kann.
Mit wunderbarer Präzision betont Klinger, dass ein wirkliches Kunstwerk Fleisch als Fleisch und Licht als Licht geben will – was leider »zu einfach sei, um verstanden zu werden«, wesshalb das ungebildete Publikum, das vom Kunstwerk keine Ahnung hat, etwas anderes verlange, etwas, worüber es fabuliren, und das es nun seinerseits »verstehen« kann.
Ein ruhender Körper, führt Klinger aus, an dem das Licht in irgend einem Sinne hingleitet, in dem nur Ruhe und keinerlei Gemüthsbewegung ausgedrückt sein sollen, ist, vollendet gemalt, schon ein Bild, ein Kunstwerk. Die »Idee« liegt für den Künstler in der der Stellung des Körpers gemässen Formenentwicklung, in seinem Verhältniss zum Raum, in seinen Farbenkombinationen, und es ist ihm völlig gleichgiltig, ob dies Endymion oder Peter ist. Für den Künstler reicht diese Idee aus, und sie reicht aus ...
Aber, bemerkt Klinger weiter, gerade bei solchen einfachen Stoffen sehen wir, wie gewöhnlich die eigentliche Aufgabe durch novellistische Zuthaten, sogenannte »Ideen« umgangen wird. Ueberraschung, Kitzeln u. s. w. lenken den Beschauer von der Kritik der Darstellung ab auf die unkünstlerische Frage: Was wird nun geschehen? Durch die ganze moderne Kunst geht ein Drang nach jener vorerwähnten Novellistik, in der die ruhige, natürliche Form völlig ertränkt erscheint. Es gehören stärkste Anstrengungen dazu, sich aus dieser Fluth zu einer einfachen künstlerischen Anschauung durchzuarbeiten und die Kunst im Menschen, in der Natur zu suchen, statt im Abenteuer.
* * *
So schreibt Max Klinger. Und jeder, dem es um Ehrlichkeit und Klarheit im Denken zu thun ist, wird ihm für seine Ausführungen freudigen Beifall entgegenbringen.
Denken wir uns nun einen solchen Menschen und nehmen wir an, er verlasse bei der angeführten Stelle die Klinger'sche Schrift, um gleich an das wichtigere Werk des Künstlers, um an Klinger's Radirungen heranzutreten, z. B. an die »Dramen«, oder den »Handschuh«, oder »Ein Leben«, oder »Eine Liebe«. Der gute Mensch wird ein sehr verdutztes Gesicht machen. Er wird einfach finden, dass Klinger's Theorie und Praxis einander geradezu ins Gesicht schlagen. Er wird finden, dass der Novellenteufel, den er gerade durch Klinger aus dem Tempel der Kunst hinausgetrieben glaubte, hier in siebenfacher Verstärkung zurückgekehrt ist.
Er wird vor allem die Erfahrung machen, dass eine Anzahl von Blättern ihn zu hellem Entzücken hinreissen, aber nicht weil sie als Kapitel eines Romans gedacht sind, nicht als Mittheilung eines Vorganges, sondern als künstlerischer Ausdruck einer bedeutenden Erscheinung der sichtbaren Welt, mit einem Wort als künstlerische Schönheit. Er wird sich sagen, dass in solchen Darstellungen nur Pöbelmenschen nach Geschehnissen suchen können, Menschen eben, die mit dem vollkommen Dargestellten an sich, d. h. mit der Kunst als solcher, nichts anzufangen wissen, Menschen, für welche andere Blätter dann eigens berechnet scheinen, eine ganze Reihe, die weniger darstellen als erzählen, die sogar allerlei Schauer- und Mordgeschichten erzählen, zu deren Bericht der letzte Reporter gerade gut genug wäre.
Und wenn der Betrachter dann traurig steht, und sprachlos, und nicht begreift, dann nähert sich ihm vielleicht ein Kunstschreiber, ein »Freund des Künstlers«, und spricht ihm von Klinger, dem »düstern Denker«, dem »leidenschaftlichen Seher«,
»der mit bitterem Herzen und flammenden Worten des feierlichsten Pathos sich nun auseinandersetzt mit den grauenhaften Gewalten, welche er mit scheuem Entsetzen hinter dem geschminkten Gesichte der modernen Kultur wittert und in geheimnissvoller Geschäftigkeit das Alte stürzen, noch undefinirbar Neues vorbereiten sieht ..., dessen Fähigkeiten sich nähren in Riesenzügen von jenem tigerhaften und blutdürstigen Fauchen einer oft geleugneten Elementarkraft in der Mitwelt, die doch durch ihre tausend Zeichen und ihre einzelnen Vorstösse die wachsende Unruhe der Gesellschaft vor dieser fürchterlichen Unbekannten seit zwei Dezennien hervorruft –«
Die Botschaft, vielmehr die Worte, wird er hören, der Arme, aber der Glaube und das Verständniss werden ihm fehlen. Er wird vielleicht noch ein wenig zuhören, und es werden ihm Worte an sein Ohr schlagen, wie »erhabene Schicksalsbetrachtung christlicher Empfindung voll«; aber klüger wird er daraus nicht werden. Und zuletzt wird er dem unklaren Erklärer mit seinen hochtönenden schwulstigen Worten davon laufen. Er wird davon laufen, wenn es kein Mensch ist, der sich mit Worten abspeisen lassen mag. Aber diesen Geschmack haben leider noch sehr viele; denn »Mit Worten lässt sich u. s. w.« Und nichts lesen viele Menschen lieber, merkwürdigerweise, als das Unverständliche. Die Freude an hohlem Schwulst in ästhetischen Dingen ist bei uns immer noch weit verbreitet; denn der zitirte Kunstschreiber, F. G. Meissner heisst er, hat eine grosse Lesergemeinde in Deutschland. Er kann eben hohe Worte machen, und einem gewissen Publikum imponiren hohe Worte immer, auch wenn gar nichts dahinter steckt, oder dann erst recht.
Hat nun aber Jemand, der Klinger in grellem Widerspruch mit sich selber findet, wirklich recht? Daran zweifelt er vielleicht, dieser Jemand. Er denkt vielleicht zu hoch von dem Meister, von seinem Kunstverstand nicht weniger wie von seinem künstlerischen Können.
Und er nimmt aufs Neue Klingers Schriftchen zur Hand, ob das ihm seine Zweifel vielleicht löse und alle vermeintlichen Widersprüche als schöne Gesetzlichkeit darstelle.
In der That macht sich Klinger das zur Aufgabe. Zu diesem Ende gerade schreibt er so ausführlich über den Unterschied zwischen Malerei und Griffelkunst, wie sein eigener glücklicher Ausdruck lautet. Was er in dieser Beziehung sagt, besonders über die Bedeutung des Materials, über den rein materiellen Charakter des einen und den mehr ideellen und poetischen oder poetisirenden Charakter des andern, ist ebenso originell wie tief und klar. Er begründet damit aufs feinste den Schluss, zu dem alle seine Ausführungen hinstreben: – dass die zeichnerische Kunst der dichterischen viel näher kommen kann als die Malerei.
In dieser Allgemeinheit ist der Satz unbestreitbar; und Klinger gebührt das Verdienst, ihn zum ersten Mal in begrifflicher Klarheit erfasst und ausgesprochen zu haben. Die hierauf bezüglichen Stellen in seinem Schriftchen sind einzig in ihrer Art. Man hat seine helle Freude an dieser reinlichen Gedankenarbeit.
Dennoch fällt Klinger in einen grossen Irrthum: er zieht eine viel zu äusserliche Grenze zwischen der Griffelkunst und der Malerei; er übersieht, dass es Werke der Griffelkunst giebt, die in Ausführung und Wirkung einem Bilde unendlich näher verwandt sind, als gewisse andere Werke des Griffels, und die also viel eher den Gesetzen der Malerei unterstehen als denen der einfachen Zeichnung, deren allereinfachste und kunstgeschichtlich wichtigste Form die Umrisszeichnung ist.
Gerade auf diese letztere aber beruft sich Klinger in seiner Beweisführung. Sehr geschickt greift er dabei vor Allem auf die Blüthezeit der griechischen Kunst zurück. Und mit Recht betont er den ungeheuren Unterschied zwischen der schönen Ruhe der Monumentalwerke und dem oft toll bewegten Leben in der zeichnerischen Kunst jener Zeit, nämlich der Vasenmalerei, die sich in Wahrheit als Umrisszeichnung darstellt und als solche die kühnste Bewegung, ja die äusserste Possenhaftigkeit der Stellungen nicht ausschliesst.
Aus der neueren Kunstgeschichte nennt Klinger am häufigsten den Spanier Goya. Er hätte auch Callot anführen können, oder Gavarni, oder Grandville, oder meinetwegen Wilhelm Busch. Sie alle beweisen, dass der Griffelkünstler allerdings, unter gewissen Bedingungen, weit über die Grenzen der Malerei hinausgehen darf, ohne aufzuhören reiner Künstler zu sein. Unter gewissen Bedingungen. Nämlich er darf über jene Grenzen dann hinausgehen, wenn seine Darstellung offen zeigt, dass sie nicht Selbstzweck sein will; er darf um so mehr darüber hinaus schweifen, je weniger er die Erscheinungen wirklich darstellen, je mehr er sie in charakteristischer Weise blos andeuten vielleicht blos errathen lassen will, mit einem Wort, je weniger er eben im höheren Sinne des Worts darstellender Künstler ist – ein Satz, der aus der Logik wie aus der Erfahrung abgeleitet werden kann und der sich als Gesetz auch so formen lässt: Der Spielraum des darstellenden Künstlers nach dem Gebiet der Dichtung hin wächst im umgekehrten Verhältniss zu den aufgewandten Mitteln.
* * *
Weder Dürer, noch Schongauer, noch Altdorfer haben ihre berühmten Blätter gestochen, um eigene oder anderer Leute Romane zu erzählen. Sie stellen vielmehr auf diesen Blättern ganz dasselbe dar wie auf ihren Bildern, und sie stellen es nicht anders dar, ob sie malen oder ob sie stechen. Dürer's sogen. heiliger Hieronimus könnte ebenso gut die Reproduktion eines von Dürer gemalten Bildes sein. Von seiner Melancholie und andern Blättern gilt dasselbe. Und Altdorfer fasst auf seinen Stichen die Landschaft um kein Haar anders auf wie in seinen Bildern; seine Blätter sind nicht weniger malerisch wie seine Tafeln.
Die Blätter dieser ersten Meister der Griffelkunst wirken sogar viel malerischer als die Reproduktionswerke der späteren Kupferstecher. Jene Meister sind sich immer bewusst geblieben, dass der Griffel unserer Phantasie nicht nur die Farben zu ergänzen überlassen muss, sondern, dass er ihrer schöpferischen Kraft noch viel mehr überlassen kann und desshalb auf eine der Bildtechnik analoge Durchbildung des Gegenstandes von Punkt zu Punkt verzichten darf, ja verzichten muss.
Sie waren eben alle Maler, und ob sie mit dem Pinsel oder mit dem Grabstichel hantirten, immer arbeiteten sie, ihre Ausdrucks- und Darstellungsmittel mit der grössten Weisheit ausnützend, auf die höchstmögliche malerische Wirkung hin. Wer Dürer studirt hat, kann unmöglich etwas anderes von ihm behaupten wollen.
Ein Wilhelm Busch, ein Oberländer, ein Gavarni, ein Grandville, ein Callot, wollen nicht malerisch wirken, wollen viel weniger das Auge befriedigen, als gewisse Funktionen des Geistes in Spiel setzen. Und diese nun, jeder ein Künstler in seiner Art, mögen ihre Moralsprüchlein aufsagen, oder ihre Narrenpossen vorführen, oder sonst ihre Witze machen; für sie, deren Werke fast immer – was sehr wichtig ist – in Verbindung mit dem Wort auftreten, für sie allein gilt die weitgehende »poetische Lizenz«, die Klinger, sehr mit Unrecht, der ganzen Griffelkunst zuspricht.
Am meisten Unrecht hat er, wenn er diese Freiheit für sich selber in Anspruch nimmt. Da ist er sich selber sein ärgster Feind. Und er missbraucht seine Kunst in unverzeihlicher Weise, wenn er sie dazu benutzt, uns Kolportageromane zu erzählen. Dafür steht seine Kunst zu hoch. Sie ist nicht einmal dazu geeignet.
Denn Klinger ist durch und durch Maler. Er ist es im eminentesten Sinne des Wortes, auch wenn man seine Werke des Pinsels, also des speziellen Malens, nicht übermässig hoch einschätzen will. Er kann aber in seinem Schaffen gar nicht anders, als auf malerische Wirkungen hinarbeiten. Das beweisen schon seine wundervollen Landschaften, mit denen er die Hintergründe seiner einfachsten Darstellungen ausfüllt. Das beweist insbesondere seine geniale Fähigkeit, mit eigenen geheimen Mitteln unsere Phantasie zu zwingen, in seinen Blättern die volle Farbenstimmung zu sehen, wie sein eigenes schöpferisches Auge sie sah. So weitgehende malerische Wirkungen, wie Klinger sie erzielt, sind in der Geschichte der graphischen Künste fast unerhört. Eine solche Kunst ist zu gut zum Erzählen, – schon weil sie zu schlecht dazu ist, weil es ihre Sache nicht ist. Malerische Kunstwerke wollen nur malerisch wirken; jede novellistische Ingredienz bedeutet nicht eine Erhöhung, sondern eine Verminderung, ja eine Zerstörung ihrer künstlerischen Wirkung. Klinger sagt es ja selber.
Diese Gedanken sind Wenigen klar, von den Meisten würden sie bestritten werden. Und doch werden unter den Klinger'schen Blättern ziemlich allgemein diejenigen als die besten genannt, die nicht dem Novellisten oder gar dem Reporter ins Handwerk pfuschen, sondern die rein malerische Ideen darstellen.
Hierhin gehören zum Beispiel die ganze Folge von »Eva und die Zukunft«, die zwei Blätter »Simplizissimus«, die Mehrzahl der »Radirten Skizzen«, die Landschaften in den »Ovidischen Opfern«, und mehr oder weniger, die ganze Serie »Vom Tode«, wo sich überhaupt so ziemlich das beste finden wird, was Klinger mit Nadel und Stift geschaffen hat.
* * *
Die Frage ist: was sind malerische Ideen? Natürlich nichts als reine Anschauungen. Denn was nicht angeschaut werden kann, kann auch nicht gemalt werden. Eine malerische Idee kann etwas sehr einfaches sein: ein Stück Landschaft in einer individuell empfundenen Stimmung und Beleuchtung, ein menschlicher Körper in einer bestimmten Lage oder Haltung. Niemals kann eine Geschichte eine malerische Idee sein.
Wenn Klinger auf dem ersten Blatt seiner »Dramen« folgendes darstellt: ausgestreckte Beine eines Liegenden, eine erschrockene Frau daneben, und oben am Fenster einen Mann mit einer Flinte, so ist das keine rein malerische Idee; denn bei einem solchen Blatt liegt die Hauptsache, wie es doch sein müsste, nicht in dem Dargestellten, nicht in der Anschauung, sondern in einer hinzugedachten Geschichte.
Die darstellende Kunst hat aber ihren Namen daher, dass der darstellende Künstler uns seine Ideen vor die Augen stellt. Wohl bleibt uns nicht verwehrt, dabei zu denken was wir wollen; allein die Hauptsache darf nicht unser Denken sein, sondern das, was uns sichtbar vor Augen steht.
Auf einem grossartigen Blatte der »Dramen«, wo er mit allen Mitteln seines erstaunlichen Könnens einen Wald im Mondlicht darstellt, meint Klinger die Bedeutung des Blattes zu erhöhen, indem er durch ein Häufchen Kleider am Bach einen Selbstmord andeutet. Er irrt sich sehr. Er erhöht die künstlerische Wirkung des Blattes nicht, er vermindert sie, indem er unsere Aufmerksamkeit von dem wirklich Dargestellten, dem unübertrefflich Dargestellten ablenkt, und auf etwas hinzieht, was nicht dargestellt ist. Und das ist doch ein schlechter Tausch.
Diese Logik, denke ich, ist klar; sie stammt übrigens, wie ich abermals betone, von Klinger selber, aus dem ersten Theil seiner Schrift »Malerei und Zeichnung«.
Indem Klinger immer zu viel will, leistet er oft zu wenig. Seine Sorge, nur ja recht viel zu sagen, lässt ihn oft das nächstliegende vernachlässigen. Klinger als Erzähler und Prediger verführt oft den Künstler Klinger zu bösen Dingen. Man trifft bei ihm auf Schluddrigkeiten der Ausführung, die sich von den grossen Künstlern der guten Zeit keiner erlaubt hätte. Klinger selber erklärt die nackte menschliche Gestalt als das A und O aller Kunst. Allein aus ihrer Darstellung sei zu aller Zeit der grosse Stil erwachsen. Er selber aber behandelt die menschliche Gestalt oft genug mit unverzeihlicher Flüchtigkeit.
Sie ist ihm eben oft genug nur ein Schriftzeichen, mit dem er etwas anderes sagen will. In diesem Sinn schreibt Hermann Bahr: Klinger nöthigt den Dingen oft ein Betragen auf, das ihrem Wesen ganz fremd ist. Wie Kinder sagen: dieser Stuhl bedeutet jetzt ein Pferd oder dieses Lineal bedeutet jetzt ein Scepter, so spielt er mit der Welt, indem er sie nach seiner Laune, nicht nach ihrer Natur behandelt. Er kommt nicht dazu, sie uninteressirt zu betrachten; er fasst alles immer persönlich an. Nun ja, sagen seine Freunde, das wollen wir ja gerade: das Leben soll doch »gedeutet« werden! Worauf zu entgegnen wäre, dass damit nicht gemeint sein kann, in die Dinge irgend einen vielleicht witzigen, aber fremden Sinn hineinzutragen, sondern gemeint sein muss, aus ihnen ihren Sinn herauszuholen, den die Natur in sie gelegt und nur ihre zufällige Existenz oft verwischt hat. Sonst ist ja der Phantast vom Künstler nicht mehr zu scheiden und jeder romantische Wahn könnte wieder bei dieser Thüre herein.
* * *
Es ist ein allgemeiner, wenn auch oft verleugneter Satz, der auch für die Dichtung gilt, dass ein Stoff sich um so mehr zur künstlerischen Darstellung eignet, je bekannter er aller Welt ist. Darum giebt es Bedingungen, unter denen auch die Malerei Vorgänge und Geschehnisse darstellen darf, nämlich wenn diese, alles individuellen Charakters entkleidet, zu Allgemeinvorstellungen geworden sind und keinerlei Neugierde mehr herausfordern, also auch die rein künstlerische Aufmerksamkeit nicht ablenken können.
Solcher Art sind die religiösen Traditionen. Und selbst hier ist es noch die Frage, ob der grosse Künstler auch ohne jede äussere Veranlassung zu diesen Stoffen greifen würde. Von Michel Angelo wissen wir, dass er die sixtinische Kapelle nur mit verbissenem Zorn gemalt hat. Und auch Raphael wäre aus freien Stücken niemals an die Darstellung der Disputa oder der Schule von Athen gegangen. Was diese beiden weltberühmten Gemälde eigentlich wollen, müssen wir uns sagen lassen, aus der Darstellung können wir es nicht ersehen. Sie sollen eben mehr sagen, als sie in ihrer Sprache auszudrücken im Stande sind. Solche Bilder malten diese Grossen auf Bestellung. Klinger aber hat von sich aus seinen Christus im Olymp gemalt, hat von sich aus unternommen, etwas zu malen, was nicht zu malen war. Denn die Ueberwindung des Heidenthums durch das Christenthum ist wohl eine Thatsache, eine traurige oder freudige, aber malerisch darstellbar ist sie nicht. Die Lehre Christi hat den Olymp thatsächlich gestürzt; aber diese Lehre ist gewiss nicht zu malen. Was Klinger gemalt hat, sein Christus, sieht nicht darnach aus, den Olymp in Bestürzung zu bringen. Hier ist auf den religiösen Glauben spekulirt, – von der technischen Seite gar nicht zu reden.
Also nicht nur als Griffelkünstler, auch als Maler mit dem Pinsel verkennt Klinger die Grenzen des Darstellbaren.
Zum Glück nicht immer. Er hat z. B. die Eva-Legende dargestellt. Das ist wohl auch Erzählung. Aber Erzählung von etwas durchaus Bekannten. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Und diesem Gegenstand ist er denn auch vollkommen gerecht worden. Er hat den Stoff so rein in der malerischen Idee, d. h. in der Anschauung aufgelöst, dass seine Blätter ebenso gut die Reproduktion von Gemälden sein könnten. Man denkt gar nicht daran, dass hier etwas erzählt werden soll. Mit einem individuellen Erlebniss, also mit einer Novelle, wäre ihm diese Lösung einfach unmöglich gewesen, wie eine Reihe seiner Darstellungen genugsam beweisen.
Auch in der reinen Phantasieschöpfung kann die Griffelkunst in gewissem Sinn mit der Dichtung wetteifern, ja sie überholen. Denn Phantasie ist auch Anschauung. Phantasie ist innere produktive Anschauung. Was in der Phantasie ist, ist desshalb darstellbar. Boecklin und Thoma malen mit Vorliebe Phantasie. Und die zeichnerische Kunst kann noch weiter gehen.
Wir besitzen von Klinger köstliche Blätter dieser Art. Wenn er in den »Skizzen« ein Weib vorführt, die auf dünnen schwanken Zweigen emporklettert und einen schwerfällig nachkletternden Bär mit einem Halm in der Nase kitzelt; wenn er, auf einem Blatt »Vom Tode«, vor einer zaubervollen Landschaft ein Velociped darstellt, mit dem Amor auf dem Vordergestell und der Gestalt des Todes auf dem sargförmigen Hintertheil; oder in den »Rettungen ovidischer Opfer«, die fünf Marabus, die sich, wie fünf Philosophen, mit Würde portraitiren lassen: das alles ist keine Novellistik, das ist reine Anschauung. Das ist Ideendichtung, wo aber nicht die Hauptsache in Gedanken hinzugethan werden muss, sondern wo Anschauung und Idee einander vollkommen decken, und ganz in der Sprache der darstellenden Kunst zum Ausdruck kommen.
Sehr erfreulich wirkt die Betrachtung der Klingerschen Werke in der historischen Reihenfolge. Man sieht da, wie der Künstler wuchs von Werk zu Werk. Und nicht nur im technischen Können. Besonders tritt der erzählende und philosophirende Charakter der einzelnen Blätter gegen den rein malerischen, mit wenigen Ausnahmen, immer mehr zurück.
Und zuletzt hat sich Klinger auf eine neue Kunst geworfen, auf die Plastik, und hat sich damit freiwillig hundertmal engere Grenzen gezogen als diejenigen waren, die er – ein echter Deutscher darin – als Radirer und Maler so gern überschritt. Einer meiner Freunde besuchte ihn kürzlich. Der sonst verschlossene und wenig entgegenkommende Künstler war sehr aufgeräumt. Er hatte gerade eine Sendung farbiger Marmore erhalten, deren Anblick ihm eine kindliche Freude gewährte. Ganz beglückt zeigte er meinem Freund die einzelnen Sorten. Er erklärte deren besondere Schönheit, und er ging fast so weit, dass er die Stücke streichelte und liebkoste. Ich muss gestehen, diese schwärmerische Liebe zu seinem Material scheint mir gesünder für einen Künstler als alles Schwärmen für philosophische Allgemeinheiten und religiöse Weltbeglückungstheorien.
Das sind meine Gedanken über Max Klinger. Ueber die erstaunliche Technik des ausserordentlichen Meisters muss ich Fachleuten das Wort lassen. Von den einzelnen Bildern aber habe ich nichts weiter zu sagen. Man kann über allgemeine Prinzipien und die Gesetze der Kunst sich zu verständigen suchen; aber vor dem einzelnen Kunstwerk, besonders dem Vollkommenen, ist Rede fast Sünde. In populären Zeitschriften hat man allen möglichen Idealismus, Sozialismus und Christianismus aus den Klingerschen Darstellungen herausphilosophirt; das hat mit der Kunst als solcher nichts zu thun. Ein berühmter Kunstgeschichtschreiber hat Klinger's einzelne Blätter ausführlich beschrieben; nichts ist unfruchtbarer. Und nichts ist langweiliger. Gar für Leser, die die Werke nicht kennen. Ich meine, die Schönheit solle man nicht beschreiben wollen. Wer etwas von ihr haben will, muss sie sehen und empfinden. Und wenn er sie wirklich und ohne Beeinflussung durch Autorität und Mode sieht und fühlt, dann wird er am liebsten keine Worte machen. Vielmehr wird sein Geist, überwältigt vom Gefühl ehrfürchtiger Freude, in stummer Anbetung niedersinken, wie es Klinger dargestellt hat auf seinem wunderbaren Blatte »An die Schönheit«.
Uns zur innern Erfahrung zu bringen, uns zum persönlichsten Erlebniss werden zu lassen, was dieses herrliche Blatt ausdrückt, das eben ist der Zweck der höheren Kunst.