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»Da bin ich, gottlob! gerettet, auf deutschem Boden. Und kann nun aufatmend fast schon lächeln über die entsetzliche Nacht, über die Nacht voll Schrecken und Angstschweiß, die ich hinter mir habe. In fünf Tagen bin ich bei euch, dann werd' ich's euch erzählen. Mit schönsten Grüßen euer Eduard Hesse. – P.S. Vedi Napoli, poi mori habe ich, wie so viele Laffen, mir noch vorgestern auch vorgesagt mit geschwellten Gefühlen; heut sag' ich: liebes Neapel – – – die Gedankenstriche mögt ihr selber ausfüllen, aber so unschön als möglich. D.O.«
Datiert war diese Postkarte aus dem Golf von Neapel und trug den Poststempel des Norddeutschen Lloyddampfers »Iduna«; gerichtet war sie an den Stammtisch einer kleinen Gesellschaft von Hofmusikern in einer süddeutschen Residenzstadt, wo sie denn des Staunens und Ratens nicht wenig verursachte.
Von Nervi aus, wohin er von seinem Arzt wegen eines Lungenspitzenkatarrhs geschickt worden war, hatte Kollege Hesse (der zweite Violinist vom Hoftheater) immer nur lustige und vergnügte Karten geschickt, und sehr erfreut, ja mit Entzücken und Begeisterung hatte er auch von seiner bevorstehenden Fahrt nach Neapel gemeldet. Denn der Vater eines seiner Schüler, ein großer Geschäftsmann am Ort, hatte ihm dazu eine Freikarte Erster Klasse beim Lloyd verschafft, auch war er deswegen von dem ganzen Stammtisch nicht wenig beneidet worden. »Dieser schmachtlockige Jüngling ist ein verdammter Glückspilz«, hatte der dicke, kahlköpfige Josef Bender, der Mann vom Kontrabaß, nicht ohne bittere Mißgunst ausgerufen.
Nach all dem nun diese heutige Karte!
Natürlich war ihre Neugierde ungeheuer, und als nach nicht ganz acht Tagen Eduard Hesse wohlbehalten in ihrer Mitte saß, wurde diese Neugierde geradezu bis zur Nervosität gesteigert, weil der schönlockige Kollege erst behaglich von einigen kleinen Abenteuerchen auf dem Dampfer erzählte; ja sozusagen auf die Einzelheiten seiner Seekrankheit ging er weitschweifig ein und brauchte so fast eine Stunde, bis sein Glücksschiff am andern Morgen gegen elf Uhr glücklich in den Hafen von Neapel einlief und dann auf festem Boden der häßliche Kampf begann, den der Fremde hier mit den Tausenden von zerlumpten Spitzbuben (spitzbübischen Lumpen) zu bestehen hat.
»Um es kurz zu machen,« meinte Eduard Hesse endlich, »so überließ ich mein Köfferchen zuletzt einem halbnackten Lazzaronijungen, dem ich dann auf Gnade und Ungnade folgte. Wir kamen über eine Art Fischmarkt, wo es schrecklich nach faulen Muscheln stank, dann durch einige unglaublich schmutzige Gassen; von da aber traten wir plötzlich in eine weite, schöne Straße hinaus, wie sie selbst in Leipzig nicht schöner zu finden sein dürfte, nur daß einen ein Übermaß von Sonnenlicht unangenehm blendete. An einem Eckhause las ich in mächtig großen Buchstaben: Corso Umberto I.
Ihn wenigstens, diesen grandiosen Corso Umberto I. – (er ist, wie der Schreiber bemerken will, eine der charakterlosesten Neustraßen der Stadt) – ihn habe ich also doch gesehen, wenn auch sonst nichts von ganz Neapel. Wir machten auch nur noch wenige Schritte hier, da wandte sich mein schnellfüßiger napolitanischer Kobold gegen mich um, sagte:. » Ecco, Signore!« und wies mit der Hand nach einer schildförmigen Tafel mit der Inschrift: » Albergo della buona Stella.« Das heißt auf deutsch: »Zum guten Stern.«
Nun, meine Freunde, mir war's ein böser Stern. Gedacht hätt' ich's nicht in jenem Augenblick, vielmehr beglückwünschte ich mich, in einer so schönen Straße zu wohnen, und auch von dem stattlichen Haus muß ich sagen, daß es durch sein Aussehen keineswegs aus dem Bild herausfiel; das konnte nur ein gutes, vornehmes Hotel sein.
Freilich das schachtartige steinerne Treppenhaus, in dem wir hinaufstiegen, ließ an Sauberkeit zu wünschen, es schien mir nicht mehr ganz zu stimmen zu dem glanzvollen Korso, und oben im ersten Stock der Herr Oberkellner roch verdammt nach Knoblauch in seinem fettig schmuddeligen Frack. Aber das Zimmer, das er mir öffnete, war hoch und geräumig und mit nicht weniger als drei Fenstern nach dem Korso hinaus. Ich öffnete eines davon mitsamt den durchbrochenen Läden davor, und wahrlich, das war ganz ein Blick wie zu Leipzig in der Nürnberger Straße, wenn nämlich, wie gesagt, das blendende Licht einen nicht so molestiert hätte ...
Und nur zwei Lire sollte es kosten. Ihr könnt euch denken, daß ich zufrieden war. Und natürlich hätte ich am liebsten nun gleich das ganze Neapel ein wenig in Augenschein genommen. Aber ich hatte auf dem Schiff die ganze Nacht kein Auge zugetan, so zog ich es vor, mich erst ein wenig hinzulegen und auszuruhen.
Darüber muß ich dann eingeschlafen sein, und als ich einmal von einem Geräusch in die Höhe fuhr, war die Sonne verschwunden, ich schaute auf die Uhr, sie zeigte bereits auf fünf.
Während ich mich dann an meiner Waschschüssel etwas erfrischte, schlugen plötzlich eigentümliche Töne an mein Ohr. Es klang wie das Kichern junger Frauenstimmen. Ich sah mich um, und mein Blick fiel auf eine Tür, die wohl in ein Zimmer nebenan führte und die ich am Mittag nicht weiter beachtet hatte.
Hinter dieser Tür scholl immer wieder von Zeit zu Zeit das sirenenhafte Kichern – und darum näherte ich mich dieser Tür und geriet da im ersten Augenblick in keinen kleinen Schrecken.
Ich bemerkte nämlich, daß das Schloß auffällig gelockert war, ja, als ich vorsichtig daran griff, wie es denn mit seiner Festigkeit bestellt sei, blieb mir das ganze Schloß in der Hand mitsamt den Nägeln, die doch eigentlich den Beruf gehabt hatten, es festzuhalten.
Und mit dem losgegangenen Schloß in der Hand stand ich verblüfft da. Drüben aber hörte ich von neuem Kichern – Sirenengesang. Ihr seid ja Musiker, ihr wißt, was das Wort bedeutet.
Ihr wißt aber auch, daß ich allzeit meines Lebens ein ehrbarer Jüngling war ...«
»Nanu«, ließ der Hoboist Gödeke sich hier vernehmen. »Ehrbarer Jüngling.« »In der Wiege schon«, ergänzte Franz Hubmayer, der Mann der Bratsche, doch Eduard Hesse ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
»Ihr wißt es oder ihr wißt es nicht,« fuhr er ganz ernsthaft fort, »und so oder so, legte ich das ledig gewordene Schloß sanft auf meine Bettdecke, daß es kein Geräusch gab, und war nun natürlich sehr begierig, was denn eigentlich die Tür dazu sagen werde.
Die sagte aber gar nichts, und ohne auch nur im geringsten zu graunzen, gab sie meinem Finger willig nach, und es entstand ein Spalt. Und da konnte ich mich nicht enthalten, ich mußte die entgegenkommende Tür noch etwas weiter öffnen und hatte mm auf einmal einen nicht unlieblichen Anblick vor mir.
Der Tür schräg gegenüber auf einem Sofa von grünem Rips rekelten sich zwei Frauenzimmerchen, wie ich so schöne in meinem Leben nicht gesehen habe. Sie schienen außer ihren weißen Unterröckchen wenig anzuhaben. Die eine war rücklings hingelagert mit zwei nackten Armen hinter dem Kopf, und was für Armen; die andere schien sich auch erst gerade aufgerichtet zu haben; mit vorstehenden nackten Ellenbogen, ich hatte nicht gewußt, daß Ellenbogen so weiß sein können, nistelte und nestelte sie an ihrem schwarzen Haargebäude herum. Leider gähnte sie dabei.
Sie hatten offenbar, wie ich, ein Schläfchen getan und waren jetzt daran, sich vollends zu ermuntern. Plötzlich aber stieß die Sitzende, die gerade gegähnt hatte, einen Schrei aus; sie hatte mich erblickt. Sie raffte zugleich ein Tuch vom Boden aus und umhüllte damit ihre Schultern, die andere warf mit einem Schwupps ihre beiden Beine über den Kopf ihrer Freundin hinweg, schnellte sich in die Höhe, und da stand sie aufgerichtet, wie drohend; ein Stoff war ihr nicht in Greifweite, sie bedeckte ihre Brust mit den ausgespreiteten Händen.
Was ich wolle, warum ich die Tür geöffnet hätte, so ungefähr sprudelte mir's entgegen.
Und ich? Nun, mein Italienisch vom Konservatorium versagte in diesem Augenblick ein wenig. Ich brachte zunächst kaum mehr als ein paar Stottertöne hervor und mag dabei vielleicht nicht sehr intelligent ausgesehen haben, denn die beiden Schönen hatten ihre erschreckend drohende oder drohend erschreckte Haltung aufgegeben, sie brachen beide in lautes Gelächter aus.
Und so war ihr Lachen, daß ich wie berauscht davon wurde, und eine Kühnheit kam mir, ich machte einen Schritt ins Zimmer, ich bat, so gut ich die Worte finden konnte, um Entschuldigung, kurz, ich versuchte eben, ob ich diese verlockende Gelegenheit nicht etwa benutzen könne, mein Italienisch etwas zu fördern.
Aber die beiden Frauenzimmer waren schon wieder ernst geworden, und wenn ich auch von ihrem Gekreisch nicht alle Worte verstand, wurde mir doch klar, daß sie mich heftig und unter Vorwürfen aufforderten, mich zurückzuziehen, und eine, so viel begriff ich, sprach von ihrem Mann, den sie zurückerwartete, und deutete dabei nach der Gangtüre, als ob sie ihn schon kommen höre ...«
»Na, da hat denn wohl der blonde sächsische Jüngling schleunigst und mit Grazie den Rückzug angetreten; oder irre ich mich?«
»Du irrst dich nicht, Gödeke«, antwortete Hesse dem Spotte des Hoboisten. »Der blonde sächsische Jüngling hat wirklich den Rückzug angetreten. Ob mit mehr oder weniger Grazie, gehört nicht zur Sache; nur das gehört dazu, daß ich so behutsam und geräuschlos als möglich das untreue Schloß wieder an seine Stelle zu bringen suchte und jeden Nagel akkurat in sein Loch drückte, als ob das nur so mein Handwerk gewesen wäre.
Ich fühlte mich davon befriedigt und schon fünf Minuten später stand ich bereits drunten auf dem wundervollen Corso Umberto I.
Aber wohin nun? Und sieh, ich hatte Glück. Denn schon nach einigen hundert Schritten fiel mir ein Türrahmen ins Auge, denkt euch, ein Türrahmen in geschwungenem und verschlungenem, kurz, im herrlichsten, neuesten, deutschen Jugendstil, und ich dachte, wie weit es doch die Deutschen gebracht haben, daß man sie jetzt schon überall in der Welt nachahmt. Als ich näher kam, blickte mir auf der Tür, sie war von Glas, sogar ein deutsches Wort, ein ehrliches deutsches Wort entgegen: Weinstube.
Ich hatte trotz meines Hungers – nach anderthalb Tagen Seekrankheit – die Stadt etwas näher in Augenschein nehmen wollen, aber nun tat die deutsche Kunst und das liebe deutsche Wort mir's an, ich konnte nicht anders, ich mußte da eintreten.
Die Stube war fast leer, hinter dem Büfett stand ein putziger Pikkolo, an einem Tisch in nächster Nähe saßen ein Herr und eine Frau, ich sah mich etwas unschlüssig um.
›Guten Tag, Herr Landsmann,‹ hörte ich plötzlich sagen, ›wollen Sie nicht bei uns Platz nehmen?‹ Und denkt euch, im schönsten Leipziger Sächsisch. Ach, wie mir da das Herz heimatselig pupperte.
Und selbstverständlich wollte ich bei den lieben Landsleuten Platz nehmen. Die beiden Leutchen hatten vor sich eine große Schüssel kalten Aufschnitt, Leberwurst, Blutwurst, Fleischwurst, dieselbe Wurst, die ich am Abend zuvor auf dem Dampfer auftragen sah, wo ich aber nichts davon essen konnte, weil ich seekrank war.
Ich wurde eingeladen, mitzuhalten, der Pikkolo brachte einen Teller mit Messer und Gabel, und weil man mich doch einmal so freundlich aufforderte, sing ich an, tüchtig einzuhauen. ›Das bekommen Sie so leicht nicht noch einmal in Neapel,‹ ermunterte mich der Herr Landsmann, ›lassen Sie sich's nur schmecken, wenn es all ist, ist es noch lang nicht all.‹ Und er wies nach einem Korb auf der Bank, aus dem noch drei oder vier Mordswürste hervorstarrten ...«
»Kurios, diese Wurstgeschichte«, brummte Josef Bender unter seinem hängenden Schnauzbart hervor.
»Ihr müßt denken, er ist beim Aufschnitt,« witzelte der Bratschist Hubmayer, »da kommt's auf ein bißchen Aufschneiden mehr oder weniger nicht an; wenn es all ist, ist es noch lang nicht all.«
Eduard Hesse fuhr fort: »Die Sache verlangt allerdings eine Erklärung. Der Herr Landsmann war nämlich, wie ich auch erst im Lauf des Abends erfuhr, eine Art Angestellter des Norddeutschen Lloyd, der aus eigener Schlächterei zu Neapel die Schiffe der Gesellschaft mit frischer Wurstware versorgte.
Jedenfalls aber war er ein gemütlicher Leipziger, trotz seiner schwäbischen Frau, und so werdet ihr euch nicht wundern, wir tranken ja zudem einen hitzigen Vesuvwein, daß mir wohlig das Herz aufging, wobei ich denn bald mein kleines Abenteuerchen vom Nachmittag zum besten gab. Und ich konnte mein Bedauern nicht unterdrücken, die prickelige Angelegenheit nicht wenigstens ein klein wenig weitergetrieben zu haben.
Der Landsmann war anderer Meinung. Nein, nein, mit solchen Dingen sei in Neapel nicht zu spaßen. Frauen, die dem Fremden zur Verfügung stehen, gab es ja Tausende; aber dabei an eine Unrechte zu geraten, das sei hier ganz anders gefährlich als im gemütlichen Deutschland daheim. Die Napolitaner verstünden da keinen Scherz.
Meine schwäbische Nachbarin lenkte ab, wir sprachen wieder von weniger anzüglichen Dingen, und als ich mich, bereits gegen Mitternacht, nach meinem ›guten‹ Stern aufmachte, dachte ich wahrhaftig mit keinem Gedanken mehr an die ganze Sache.
Das Hotel war geschlossen, ich mußte läuten. Ein barfüßiger junger Mensch in schmutzfarbigem Hemd und notdürftig geknüpfter Hose öffnete. Im ersten Stock oben brannte Licht und, in der Tasche nach meinem Zimmerschlüssel fühlend, stieg ich, wie in einem steinernen Schacht, die Treppe empor. Aber oben im Gang, der zu meinem Zimmer führte, sah ich mir plötzlich den Weg versperrt.
Nicht weniger als vier Kerle traten mir entgegen: der schmierige Oberkellner vom Vormittag, immer noch in seinem unmöglichen Frack, ein Dicker in bürgerlich schwarzem Anzug (er gab sich später für den Wirt aus) und zwei – nun, wie soll ich sagen, zwei jüngere Herren, der eine in hellblauem, der andere in hellgrauem Kostüm, mit noch farbigeren Krawatten um den Hals, kurz, in einer Aufmachung und auch mit sonstigen Anzeichen, daß man sie, wenigstens in Deutschland, sicher für Artisten oder so ähnliches gehalten hätte.
In meiner kleinen Weinheiterkeit dachte ich mir zunächst nichts Böses; ich lüftete höflich den Hut und erwartete, daß man mir Raum gäbe. Da nahm der Kellner zuerst das Wort und zugleich wies er mit der Hand nach einer Art Gelaß, mehr Loch als Zimmer, wo ich am Boden neben einem schmutzigen, schmalen Bett zu meinem höchsten Erstaunen mein Köfferchen erblickte.
Aus seiner Rede hörte ich heraus, daß ich die Nacht nicht in meinem Zimmer, sondern in diesem Gelaß zubringen werde. Ich fragte nach dem Warum, er zuckte die Achsel. Ich hätte am Nachmittag in meinem Zimmer ein Schloß erbrochen, erklärte jetzt der Wirt.
Ihr könnt euch denken, daß ich da plötzlich bodennüchtern wurde.
Und natürlich protestierte ich. Das Schloß habe schon vorher lose in seinen Nägeln gehangen und sei mir beim bloßen Anrühren einfach in der Hand geblieben.
Die beiden Hellfarbigen lachten höhnisch. Der Wirt: All sein Personal werde das Gegenteil bezeugen. Der Hellblaue: Was ich in dem Zimmer der Damen gesucht hätte? Der Perlgraue: Ob ich leugnen wolle, daß ich in einem fremden Zimmer unbescholtenen fremden Damen mit unanständigen Anträgen auf den Leib gerückt sei! Ob ich frech genug sei, es leugnen zu wollen?
Herrgott, was für eine Szene! Ein vielstimmiges Geräusch einer schrillen Rhetorik überschüttete mich, heißer Atem fauchte mich an, Arme fuchtelten, Fäuste ballten sich mir unter der Nase, unheimliche Hände umkrallten mir den Arm und schüttelten mich – – –«
Der Erzähler hielt ergriffen inne.
»Armer Eduard,« sprach mit aufrichtiger Teilnahme Freund Hubmayer, »das war kein Spaß.«
»Entsetzlich war's«, nahm Hesse wieder das Wort. »Ich verstand ja nicht den hundertsten Teil von all den überschwenglichen Wörterfluten, die auf mich einstürmten; aber daß von porte forzate, von erbrochenen Schlössern, von Einbruch und Hausfriedensbruch, von gewalttätigen Angriffen auf die weibliche Ehre und ähnlichen schönen Dingen immer und immer wieder die Rede war, begriff ich allmählich nur allzu gut. Und auch, daß darauf Gefängnis stehe, mehrmonatiges Gefängnis, und daß man nach dem Kommissar geschickt habe und den Karabinieri, und daß man es mir schon beibringen werde, was es heißen wolle, mit Gewalt in fremde Zimmer einzudringen und italienischen Damen über den Hals zu fallen, und so weiter, und so weiter.
An die anderthalb Stunden wenigstens hatte ich diesem Verfahren standzuhalten, bis die Herren endlich doch ermüdeten, da immer noch kein Kommissar mit seinen Karabinieri erscheinen wollte, woraus der unheimliche Kellner – der Wirt hatte sich früher davon gemacht – mich in die erwähnte Spelunke hineinwies, während die andern mir die Versicherung nachriefen: am Morgen werde es schon nicht fehlen und der Kommissar zur Stelle sein, und dann werde ich schon erfahren und so weiter.
Ich fühlte mich also endlich allein in einem engen, stockfinsteren Raum, und wie halb blödsinnig sprach ich immer und immer wieder vor mich hin: du bist verloren, du bist verloren. An Schlafen oder auch nur daran, mich niederzulegen, kein Gedanke. Ach Gott, war das eine Nacht.
Allmählich aber gewann ich wieder etwas Herrschaft über mein Denken. Ich überlegte, ob ein Ausweg zur Rettung möglich sei. Ich fand keinen. Du kannst es nicht beweisen, sagte ich mir, der Schein ist gegen dich. Wenn der Wirt und seine Leute bezeugen, daß das Schloß in Ordnung war, so bleibt es auf dir sitzen; du hast es mit Gewalt losgebrochen, du bist und bleibst ein Einbrecher. Und der kalte Schweiß tropfte mir von der Stirn.
Indessen nahm aber doch auch diese Nacht, wie alles einmal, ein Ende, mein Zimmer wurde heller und heller, man hörte Türen öffnen und schließen und Tritte auf den Gängen. Ich erwartete jeden Augenblick, daß es bei mir klopfe und der Kommissar mir gegenüberstehen werde.
Eine Zeitlang harrte ich so in Zittern, aber es klopfte nicht, und draußen im Gang war auch wieder alles ganz still. Da faßte ich mir ein Herz, nahm in meine rechte Hand zwei Lire fünfzig, in die linke Schirm und Köfferchen, dann öffnete ich die Türe, es war niemand zu sehen. Also in Gottesnamen sagte ich mir, nun nichts als auf und davon.
Im ganzen ersten Stock und auch im Treppenschacht keine Seele. Erst an der Hoteltür unten gewahrte ich ein menschliches Wesen. Es war der Bursche, der mir am Abend geöffnet hatte. Ich wolle mein Zimmer bezahlen, sagte ich ihm.
Der Oberkellner werde gleich kommen; er drückte auf eine Klingel. ›Nicht wahr‹ sagte er gutmütig, fast in kameradschaftlichem Ton, ›nicht wahr, man hat Euch Angst gemacht gestern abend. Die beiden Komödianten wollten Geld von Euch haben. Sie haben sich geärgert, daß es nicht gelungen ist.‹
In diesem Augenblick erschien der Kellner, ich gab ihm mir die bedungenen zwei Lire, die fünfzig Centesimi gab ich dem Burschen, und ohne Gruß, immer noch im Bann der erlebten Ängste, machte ich mich davon nach dem Hafen, und ich muß gestehen, trotz der hausknechtlichen Ausplauderung, daß ich mich erst ganz sicher und gerettet fühlte, als ich statt des Pflasters der verdammten Stadt die Deckdielen der ›Iduna‹ unter meinen Sohlen fühlte ...«
So Eduard Hesse. Die Gesichter der Kollegen hatten sich gegen Ende zu wieder entspannt, der dicke Josef Bender mit dem hängenden Schnurrbart meinte: Ende gut, alles gut, und wenn der geneigte Leser seinen erhabenen Weisheitsspruch für die Moral dieser ein wenig unmoralischen Geschichte nehmen will, hat der Schreiber seinerseits nichts dagegen.