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Unter dem Feigenbaum

Vor den Toren von Forli erhob sich einst, die Stadt beherrschend, das schwermassige Kastell von Rivaldino, und in dessen gut gehegtem Garten an der hintersten Mauer, bei dem gewaltigen quadratischen Eckturm, stand, halb aus dem Gemäuer hervorgewachsen und gegen die Nordwinde wohlgeschützt, ein uralter Feigenbaum, dessen honigsüße Feigen seit Menschengedenken berühmt waren weit im Land. Zweimal in sieben Jahren aber hat, wenn auch sehr uneigentlich gesprochen, dieser Baum bittergiftige Frucht getragen. Unter ihm wurde am 13. August 1493 auf Anstiften der Caterina Sforza, Gräfin von Forli und Immola, deren verhätschelter Günstling Giacomo Fevo, nachdem er sieben Jahre das Land und seine Fürstin beherrscht hatte, von einem seiner Hauptleute mit Namen Gianghetti meuchlings ermordet, weil er der jungen Gräfin zu mächtig und mit seinem anmaßenden Wesen unbequem geworden war; und eine zwar anders geartete, aber vielleicht noch viel schauervollere Szene sah dieser Baum mit dem schlangenartig verschlungenen Geäst im Sommer nach jenem blutigen Ausstand der Brüder Orsi, bei dem der Graf Girolamo Riario, der Gemahl der Caterina Sforza, in so entsetzlicher Weise seinen Tod gefunden hat.

Ausgangs Juli war's diesmal, als eines Morgens in der Frühe der Gouverneur von Rivaldino, Tomaso Bruzzone, durch einen berittenen Boten die Nachricht erhielt, daß seine Herrin auf dem Wege sei, ihn auf dem Kastell zu besuchen, worüber er in eine Aufregung geriet, die ihn selber in Erstaunen setzte. Er hatte es sich bisher nicht eingestehen wollen, der gereifte ernste Mann, ausgangs der vierziger Jahre, nun aber konnte er sich's nicht mehr verhehlen, schaudernd ward es ihm zur Gewißheit: er hegte für die angesagte Besucherin heimliche Gefühle im Herzen, die mit seinem Dienstverhältnis zu ihr nichts zu tun hatten, ja eigentlich damit in Widerspruch standen. Was bei ihren Verwandten in Mailand und Bologna wie nicht weniger am römischen Hof längst geredet wurde, daß die schöne Gräfin von Forli zur Zeit das gefährlichste Weib sei durch ganz Italien, ein Weib, dessen verführerischer Macht kein Mann zu widerstehen vermöge, das war ihm nun selber zur Erfahrung geworden, seitdem es ihm am verflossenen 14. April geglückt war, mit eigener höchster Lebensgefahr seine Herrin von schimpflichem Tod zu erretten; mit Grausen dachte er zurück an jene entsetzliche Nacht.

Folgendergestalt aber haben sich damals die Dinge abgespielt.

Die Verschwörung der beiden Bruder Orsi, Ludovico und Cecco, gegen den Grafen Girolamo Riario war trotz großen Anhangs so geheim betrieben worden, daß der Graf und seine Familie ahnungslos geblieben waren. Und dann am Abend des 14. April, als der Graf mit seinem Kanzler im sogenannten Nymphensaal des Schlosses in einer Beratung zusammensaß, trat plötzlich Cecco Orsi in den Saal. Daran war noch nichts Auffallendes, er hatte in seiner Eigenschaft als Schloßhauptmann allzeit freien Zutritt. Sich verbeugend näherte er sich dem Grafen, um ihm, wie er sagte, einen wichtigen Brief eines Freundes zu zeigen. Er hielt den Brief in der linken Hand, aber seine Rechte griff nicht nach der Hand des Grafen, die ihm dieser zum Willkomm freundlich entgegenstreckte, sondern faßte nach dem Dolch unter dem Mantel, und kurz zustoßend traf er den Grafen mitten in die Brust. »Verräter«, schrie Herr Girolamo und flüchtete sich hinter den schwer eichenen Tisch; aber da stürzten auch schon Ludovico Orsi und zwei weitere Mitverschworene in den Saal, und bald, nach kurzem Ringen, lag der Graf entseelt am Boden. Der Kanzler war entwischt. Cecco Orsi aber riß den Fensterflügel auf und verkündete seinem Anhang, der unten den ganzen Platz erfüllte, den Tod des Tyrannen; ein tausendfaches wildes Freudengeschrei erhob sich in der Menge. Der tote Graf hatte keine Freunde mehr – außer einem, dem Messer Tomaso Bruzzone, aber der saß als Gouverneur auf Rivaldino und ließ sich nichts träumen von den grausigen Vorgängen in der Stadt; alle andern hielten es mit den Aufständischen, seine nächsten Günstlinge sogar bemächtigten sich seines blutenden Körpers und warfen ihn, wie man wütenden Hunden einen Fraß zuwirft, hinunter aufs Pflaster, wo alsbald die tobende Menge über ihn herfiel, ihn seiner kostbaren Kleider beraubte und den nackten Leib in unflätigster Weise schändete.

Unterdessen suchten die beiden Brüder Orsi und ihre Gehilfen nach der Gräfin, auch ihren Leichnam forderte der Pöbel. Aber ob man gleich alle Gemächer und alle Winkel durchstöberte, alle Kästen zertrümmerte und selbst die Matratzen zerschnitt, Caterina Sforza war nicht aufzufinden.

Diese Bastardtochter des Herzogs von Mailand war jedenfalls, wie man sie auch beurteilen möge, ein außerordentliches Weib ersten Ranges. Alle noch so ungeheuerlichen Ungereimtheiten der Renaissance, alles Schöne und Starke, wie alles Unheimliche und Schreckliche der Zeit war in ihr verkörpert. Ein Gesandter der Republik des Heiligen Markus nannte sie in einem Schreiben an seine Signoria » la semenza di la serpe indiavolata«, den Samen der Schlange, die den Menschen um das Paradies gebracht hat; aber der fromme Maler Piero di Cosimo hat sie gemalt mit einem Heiligenschein um das stolze Haupt, auf einem Bilde, das noch heut im Museum zu Altenburg zu sehen ist. Sie war fromm, wie ihre Zeit die Frömmigkeit verstand. Sie hat zu Forli (und zu Immola, das ihr ebenfalls gehörte) prachtvolle Kirchen gebaut und reiche Klöster gestiftet. Ihre Lieblingsstiftung aber war das Kloster der Klarissinnen bei San Biagio zu Forli, deren Nonnen sie eine besonders liebe Patronin war und die sie oft zu besuchen pflegte. Und siehe, das hat ihr Segen gebracht, denn in diesem Kloster verweilte sie, während ihre wildgewordenen lieben Untertanen im Schloß ihr Bett durchwühlten und alles zu oberst und zu unterst kehrten, weil sie ihr an die stolze Seele wollten und an den schlohweißen Leib, mit dem sie sich ein ganz besonderes Gaudium versprachen. Sie aber hatte in der Dämmerung, in einfacher Aufmachung und tief verschleiert, auch nur von einer einzigen Kammerfrau begleitet, das Schloß verlassen, um die frommen Töchter der Heiligen Clara zu einem Zuspruch zu besuchen. Dort im Kloster traf sie die Nachricht des Vorgefallenen.

Natürlich konnte sie nicht daran denken, zurückzukehren. Aber auch das Kloster war kein ungefährdeter Aufenthalt. Es brauchte nur einer der Verschworenen auf den Gedanken zu kommen, so war sie rettungslos verloren. Nur eine einzige Hoffnung auf sichere Rettung gab es für sie, das war der würdige Tomaso Bruzzone, der Kastellan von Rivaldino, dessen treue Ergebenheit keinem Zweifel unterstand. Zu ihm schickte sie einen Boten und bat ihn um Rat und Beistand. Sie hatte richtig geurteilt und gehandelt. Tomaso Bruzzone kam noch in der Nacht kunstreich als altes Weib vermummt in das Kloster bei San Biagio und brachte die Gräfin, in gleicher Vermummung, glücklich aus der Stadt und auf ihr festes Kastell vor dem Bologneser Tor, von wo sie unverweilt eilige Stafetten ausschickte an den Oheim ihres gemordeten Gemahls, den römischen Papst, an ihre eigenen Verwandten in Mailand und an die Bentivogli zu Bologna, die ihre Verbündeten waren. Aber bis ihr von diesen verschiedenen Seiten her Hilfe werden konnte, verstrich eine geraume Zeit, und unterdessen mußte sie eine Gefangene bleiben auf ihrem eigenen Kastell, von ihren lieben Untertanen hart belagert.

Rivaldino war wohl eine gute Festung mit den neuesten Geschützen und zahlreicher Bemannung, aber gerade deswegen für eine hohe Dame kein sehr vergnüglicher Aufenthaltsort. Die Gräfin ließ sich in dem nördlichen Eckturm, der nach der dreieckigen hohen Gartenterrasse ein Pförtchen hatte (nahe bei jenem Feigenbaum), so gut es gehen wollte, ein Gemach einrichten; aber außer der schönen Aussicht nach allen Seiten hin, besonders hinunter auf ihre aufrührerische Stadt Forli, mangelte es hier an allem und jedem. Hart entbehrte sie ihre gefüllten Wäsche- und Kleiderschränke und ihren mit tausenderlei Notwendigkeiten ausgestatteten Putztisch, denn sie war in diesem Fach eine große Künstlerin und als solche weit berühmt in ganz Italien. Auch ihre Kammerfrauen fehlten ihr, die alte Aufwärterin des Herrn Kastellans bildete die einzige weibliche Bedienung, die ihr zur Verfügung stand. Nein, das war kein Leben für die schöne Caterina Sforza. Sie verstand sich auf viele Künste, nur nicht auf die des Alleinseins.

Zu Messer Tomaso, dem Kastellan oder Gouverneur des Schlosses, war Caterina bis jetzt in keinerlei persönlicher Beziehung gestanden; er war der Dienstmann ihres Gemahls gewesen, seine ganze Anhänglichkeit und Ergebenheit hatte immer ausschließlich dem Grafen gegolten, die Gräfin dagegen war dem soldatischen Mann, dem zum Hofmann soviel wie alles fehlte, fast unbekannt geblieben, von seiner Gesellschaft konnte sie sich wenig versprechen.

Er ließ sie sogar anfangs sein rauhes Wesen nur allzusehr fühlen. Denn als Geschöpf ihres ermordeten Gemahls, dem er angehangen hatte wie ein Hund seinem Herrn, fühlte er sich innerlich mehr als Feind denn als Freund dieses Weibes, die nach seinem Empfinden die Feindin ihres Gemahls gewesen war und durch ihre despotische Herrschaft den Untergang des, wenn auch unbedeutenden, so doch mild und leutselig gearteten Grafen hauptsächlich herbeigeführt hatte. Bruzzone war wohl ihr Retter geworden, aber keineswegs ihr zuliebe. Sie selber haßte er fast. Und sie merkte das sehr schnell, und daß er ihr gegenüber nur seine Dienstmannpflicht gegen den Herrn Girolamo erfüllt hatte, nicht aber eine freundschaftliche Tat gegen sie, die doch jetzt seine Herrin war, aber allerdings in gewissem Sinne auch seine Gefangene, das demütigte und verletzte sie tief.

Aber er war einstweilen ihr einziger Verteidiger, ihr starker Schirm und Schild, überhaupt, seit dem Tode ihres Gemahls, der mächtigste Mann im Lande, von dem für jetzt ihr ganzes Schicksal abhing. Und so zeigte sie sich ihm schon aus politischer Berechnung von ihrer liebenswürdigsten Seite und ging recht eigentlich darauf aus, ihn mit dem berückenden Zauber ihrer außerordentlichen Persönlichkeit ganz und gar einzuspinnen, was ihr schneller gelang, als sie gedacht hatte. Das bereitete ihr in ihrer augenblicklichen Lage keine kleine Genugtuung. Diesen sonst recht unmanierlichen Bären von einem Kriegsmann mit dem kurzen schwarzen Krausbart sich wie im Handumdrehen zu einem wedelnden und ganz und gar gefügigen Schoßhündchen umgewandelt zu haben, machte ihr fast ein kindisches Vergnügen.

Der würdige Tomaso Bruzzone besaß übrigens in ihren Augen noch ein besonderes Verdienst. Das war sein Neffe Giaconio Fevo, ein achtzehnjähriger Adonis, nicht nur der schönste Jüngling, den die Gräfin je vor Augen bekommen hatte, sondern auch sonst mit überraschenden Talenten ausgestattet. Er wußte meisterhaft die Laute zu schlagen und sang dazu mit einer Stimme wie ein Cherub. Er war ganz geringer Leute Kind und in großer Armut aufgewachsen, bevor der Oheim sich seiner erbarmt hatte; aber sein Betragen war so frei und unbefangen wie das eines wahrhaftigen Prinzen. Er wußte sich mit einer solchen Grazie vor der Gräfin zu verbeugen, daß sie sich nicht genug darüber verwundern konnte, und wenn er dabei einen Blick lang seine leuchtenden Mandelaugen anbetend zu ihr aufschlug, so meinte die Gräfin, oder wenigstens das Weib in ihr, in ihrem Leben keine schönere Huldigung empfangen zu haben; ihr heimliches Bewußtsein, einen krausbärtigen Bären so kurzerhand gezähmt zu haben, bildete also nicht ihr einziges kindisches Vergnügen.

Und also fühlte sie sich bereits nach einigen Wochen lang nicht mehr so unglücklich. Den grauenhaften Tod des Grafen Riario, ihres Gemahls, empfand sie nämlich, wie Messer Tomaso es richtig herausgefühlt hatte, keineswegs so schmerzlich, als man etwa glauben sollte. Zu sagen, sie habe ihn nicht geliebt, wäre zu schwach ausgedrückt; sie hatte ihn (Tomaso Bruzzone war gut beraten) tödlich gehaßt, den Mann, der in seiner Jugend zu Genua ein elender Krämer gewesen war und mit Schuhwichse gehandelt hatte. Nur weil dann sein Oheim, der gelehrte Franziskanermönch Della Rovere, zu Rom auf den höchsten Thron der Welt berufen worden, sah er sich plötzlich aus verächtlicher Niedrigkeit zu fürstlichem Rang emporgehoben. Das war das Schicksal vieler in jener Zeit. Und viele sind dadurch wirklich Große geworden. Diesem Papst-Neffen aber fehlte dazu das Zeug. Er ist, wenigstens nach dem Urteil seiner Genossen, eine schwachmütige, feige Krämerseele geblieben, ohne Schwung und Kraft, ein armseliger, kleinlicher Mensch, bis an sein schmähliches Ende, und die stolze und starke Caterina Sforza hat ihn nicht nur gehaßt, sondern tief verachtet in jeder Stunde ihrer unglückseligen politischen Ehe mit ihm, die doch zu Rom in der Basilika des heiligen Petrus mit einem Pomp begangen worden war wie selten eine.

So beschaffen war die Vergangenheit dieser schönen Frau, die einst zu Rom an der Spitze ihres Söldnerheeres, während ihr Gemahl seinen Lüderlichkeiten nachging, sich der Engelsburg bemächtigt, den Papst selber bedroht und die Kardinäle zur Annahme ihrer Bedingungen genötigt hatte, wobei sie von den begeisterten Römern fast wie ein überirdisches Wesen angestaunt und in Hunderten von guten und schlechten Sonetten besungen wurde. Sie aber sah jetzt nicht zurück in die Vergangenheit, nur der Zukunft galt ihre Sorge. Der Tod ihres Gemahls, wie gesagt, schmerzte sie wenig als Weib; aber die Pflicht der Rache, von der allgemeinen Sitte der Zeit ihr als Fürstin auferlegt, gedachte sie deswegen nicht abzulehnen; sie sann im Gegenteil auf nichts anderes, und wenn trotzdem das Betragen zweier Männer ihr öfter, als man es glauben sollte, ein kindisches Vergnügen bereitete, so zeigte das nur, daß ihr stolzes Fürstenwesen ihrem Weibtum wenig Abbruch tat.

Wochen um Wochen dauerte dieser Zustand, aber endlich nahte doch die Stunde, die aus der Gefangenen eine Freie machen sollte und aus der Duldenden eine Frau der rächenden und vergeltenden Tat. Zwar der Papst-Oheim zu Rom war plötzlich gestorben, als sich ihr Bote zu ihm noch unterwegs befand, nicht aber versagten ihre Verwandten und Verbündeten zu Mailand und Bologna. Deren Söldnerheeren, geführt von dem weitgefürchteten Galeazzo von Aragon-Sanseverino, konnte die Stadt Forli nur kurz Widerstand leisten, schon nach drei Tagen mußte sie sich ergeben, und Caterina Sforza hielt an der Seite des genannten schrecklichen Condottiere auf weißem Zelter triumphierend ihren Einzug in die zitternde Stadt. Sie erwies sich jedoch gnädig, ja huldvoll gegen die gemeine Bevölkerung und verbot ihren Mailändern, die sich doch nach Sitte und Herkommen vollkommen dazu berechtigt glauben durften, alles Plündern und Mordbrennen aufs strengste. Die adligen Verschwörer jedoch strafte sie fürchterlich; sie blieb ihnen keine ihrer Unmenschlichkeiten schuldig, ihr Oberprofoß, der berüchtigte Babone, hatte drei Monate lang harte Arbeit, die Gräfin aber wurde seit jenen Tagen an den Höfen Italiens in zynischem Scherz die Tigerin von Forli genannt. Ihren Mailänder und Bologneser Freunden aber gab sie dergestalt prunkartige Festgelage, dergleichen man in der guten Stadt Forli nie erhört hatte, und wobei selbst der goldene Schmuck der Poesie, wie der Südländer sie versteht, nicht zu kurz kam. Wahrlich, sie verstand es, Fürstin zu sein im Stil ihrer Zeit, der nun einmal die wildeste Grausamkeit als würzende Zugabe galt in dem rosenbekränzten Becher ihres überschäumenden unbändigen Lebensgefühls.

Und diese »Tigerin von Forli« (auch durch ihre faszinierende Schönheit einer solchen vergleichbar) befand sich nun auf dem Weg, den Bären zu besuchen, den schwarzen Krausbart Tomaso Bruzzone auf Rivaldino, und ein sphinxhaftes Lächeln umspielte die roten Lippen der gefürchteten Frau beim Gedanken an dieses Wiedersehen. Denn wenn Messer Tomaso es vielleicht wirklich noch nicht wußte, daß seine Herrin es ihm bedenklich angetan hatte mit ihrem Zauber, sie selber wußte es um so besser.

Der von ihrer Ankunft benachrichtigte und aufs höchste verblüffte Tomaso schickte zu allererst nach seinem Neffen. Dieser schien über die ungewöhnliche Botschaft weit weniger erstaunt. »Nun ja,« meinte et mit einem kindlich unschuldsvollen Blick aus seinen großen Mandelaugen, »Ihr müßt es doch gemerkt haben, Onkel, daß sie Euch während ihrer Gefangenschaft hier ordentlich liebgewonnen hat, und auch Ihr machtet keineswegs ein verdrießliches Gesicht, wenn sie Euch sozusagen den Bart kraute, so wenig Ihr sonst daran gewöhnt sein mochtet.«

Tomaso hatte Mühe, über diese treuherzigen Worte des Knaben nicht zu erröten.

»Hier ist der Schlüssel zur Pforte des Nordturms,« sagte er, »steige hinauf auf seine höchste Zinne, und wenn du die nahende Herrin erblickst, gib uns ein Zeichen mit deinem Tuch.«

Gut, dachte der schöne Giacomo, auf die Turmzinne wollte ich gerade hinaufsteigen, das ist mein Posten, und es ist fast komisch, daß mich mein Oheim nun selber hinaufschickt. In der Halle winkte er einem schwerbewaffneten jungen Freiwilligen, namens Gianghetti, der sein Vertrauter war und auf ihn wartete. Und beide begaben sich nach dem bezeichneten Turm. Tomaso aber befahl der Schloßbemannung, sich eiligst in ihren Paradestaat zu werfen und sich bereit zu halten. Er selber sah in eigener Person nach den Geschützen, den blitzblanken und reichverzierten bronzenen Mörsern, ob auch alles in Ordnung sei, dann postierte er seine buntaufgeputzte Mannschaft vor dem großen Eingangstor und ließ sie eine Gasse bilden, zwischen welcher er nervös erregt auf und ab schritt, immer nach der Turmzinne blickend. Endlich sah er den Neffen sein Tuch schwenken. Er gab einen Befehl, und schon im nächsten Augenblick krachte der erste Salutschuß. Nach fünf Minuten folgte ein zweiter, und so sieben hintereinander.

Unterdessen näherte sich die Gräfin. Sie saß auf einem reich aufgeschirrten weißen Zelter, zwei schmucke Pagen hielten die Zügel des Pferdes, ihre Leibwache, zwölf bis zu den Zähnen bewaffnete Lanzenknechte mit ihrem Hauptmann zu Pferde, folgten ihr. Die Gräfin trug ein rotes Atlaskleid mit schwarzen, über und über mit Edelsteinen besetzten Puffärmeln und darüber einen Mantel von schwarzem Damast und Goldbrokat. Herr Bruzzone schritt ihr mit Wurde entgegen, und drei Schritte vor ihr beugte er das Knie; sie lächelte huldvoll auf ihn hernieder.

Es war seltsam und eigentlich kaum zu begreifen, wie von diesem Frauengesicht mit der übergroßen Nase, so daß es im Profil fast einem Raubvogel glich, ein so bezwingender Liebreiz ausgehen konnte. Daß sie freilich auch erschreckend zu blicken verstand, hat mancher erfahren.

Die Pagen waren zurückgetreten, Herr Bruzzone ergriff selber die goldenen Zügel und geleitete seine Herrin durch die unbewegliche bunte Gasse der Schloßbemannung und die schweren massiven Torbogen hinein nach dem inneren Hof.

Wußte er, wen er so unvorsichtig in seine wohlverwahrte Festung einführte? Er wußte es nicht. Noch war zu seinen unschuldigen Ohren das höfisch-höhnische Wort nicht gedrungen, das Wort von der Tigerin von Forli. Er hielt ihr jetzt den Steigbügel, sie stützte ihre Hand auf seine Schulter, und da stand sie vor ihm, zu Fuß noch majestätischer wirkend als zu Pferde.

»Ich habe Wichtiges mit Euch zu besprechen, mein Freund,« sagte sie, »lasset uns nach dem Garten gehen, es ist der Ort, an den ich meine liebsten Erinnerungen habe aus der Zeit meiner traurigen Gefangenschaft, die mir nur durch Euch einigermaßen erträglich geworden ist. An der hintersten Mauer steht ein Feigenbaum mit einer steinernen Bank darunter, dort werden wir ungestört sein.«

Unter schweren Gewölben, durch dunkle Gänge und einige hochummauerte Höfe gelangten sie hinaus auf die lichte dreieckige Gartenterrasse, ebenfalls von dicken Mauern hoch umschlossen und flankiert von dem mehrfach genannten quadratischen Eckturm. Auf die Steinbank unter dem Feigenbaum setzte sich die Gräfin und winkte ihrem Gouverneur, an ihrer Seite Platz zu nehmen.

Aber daß sie wichtige Dinge mit ihm zu besprechen habe, war ihr offenbar in Vergessenheit geraten; sie verharrte in rätselhaftem Stillschweigen. Doch von Zeit zu Zeit sah sie ihm forschend in die Augen. Tief versenkte sie ihren Blick in den seinen, wie voll Begierde, das zum aber- und abermalsten in seinem Innern zu lesen, was sie doch längst auswendig wußte. Und Blicke waren es, daß sie ihm Mark und Bein durchdrangen und sein Blut derart in Aufruhr brachten, daß er Mühe hatte, an sich zu halten. Dann begann sie plötzlich von ihrem gemordeten Gemahl zu erzählen, dem gehaßten Papst-Neffen, unschöne Dinge, und ihre Rede klang ihm wie eine Herausforderung. Es wunderte ihn auch, daß sie mit keinem Wort nach seinem Neffen fragte, für den sie seinerzeit doch soviel Teilnahme gezeigt hatte; aber er war dessen wohl zufrieden. Eine reife Feige fiel vom Baum weich in den gefransten Blätterbusch eines Akanthus. Er erhob sich, um sie aufzunehmen. Sie war nur wenig verletzt, ein kurzer Sprung nur zeigte das weißlich rosafarbene Fleisch unter der grüngelben Hülle.

»Es ist die Erstlingin des Jahres,« sprach er, »darf ich sie Eurer Herrlichkeit anbieten?«

»Die Frucht, die der Venus geweiht ist«, versetzte sie mit fragendem Blick. Dann griff sie danach, und ihre zierlichen spitzen Zähne bissen in das saftige Fleisch. »Sie ist wie Honig,« versicherte sie, »versucht nur.« Damit hielt sie ihm die angebissene Frucht entgegen. Und wahrlich, er wäre der erste Adam gewesen, obgleich er mit Namen Tomas hieß, der nicht eifrig nach der Frucht gelangt hätte, welche zuvor die Zähne der Eva blutig gebissen hatten. Er nahm sich also zusammen und tat nach ihrem Geheiß. Aber dann lag er plötzlich zu ihren Fußen und umklammerte ihre Knie.

Wie in jähem Schreck erhob sie sich und eilte nach dem offen gebliebenen Pförtchen des Turmes. Dort oben hatte sie einst gewohnt, dort stand ihr Schlafgemach noch unberührt, wie sie es vor drei Monaten verlassen hatte. Sollte sie ...? War ihr Aufbruch eine Flucht oder vielmehr eine Einladung? Er entschied sich für das letztere, er erhob sich und folgte ihr ...

Du folgtest ihr wirklich, Herr Tomas. Oh, daß dein heiliger Patron dir etwas von seiner Ungläubigkeit vererbt hätte. So warst du allzu gläubig. Aber freilich konntest du nicht wissen, was im geheimen seit drei Monaten vor sich gegangen war, daß dein Neffe Giacomo wiederholt Brieflein von der Gräfin erhalten und sogar in ihrem Stadtschloß von ihr empfangen worden war. Du warst allzu unwissend, Herr Tomas mit dem schwarzen Krausbart ...

Er folgte ihr. Er fürchtete nur eins, daß er die Tür oben verschlossen und verriegelt finden könnte. Aber sie war nur angelehnt, und er stürmte hinein.

Die Gräfin stand am Fenster und blickte wie in sehnsüchtigen Träumen in das weite Land hinaus; ihr kühnes Profil und ihr wunderbar schlanker weißer Hals über dem schwarz-goldenen Brokat hoben sich kraftvoll ab gegen das einfallende Licht. Herr Bruzzone beugte das Knie vor ihr und ergriff ihre entblößte weiße Hand. Sie entzog sie ihm nicht, sie blickte mit einem zärtlichen Blick zu ihm nieder. Er las in ihm die letzte Bestätigung seiner Hoffnungen. Mit machtvollen Armen ergriff er ihre hohe Gestalt und trug sie zu der kaum geordneten Lagerstätte – da stieß sie einen gellenden Hilferuf aus, und im gleichen Augenblick stürzten der junge Giacomo und sein Geselle Gianghetti, beide mit entblößten Dolchen, in das Gemach. Der Freiwillige warf sich unverweilt über den Kastellan, der sich in diesem Augenblick am wenigsten eines Schlimmen versehen haben mochte. Er fühlte sich vollständig überrumpelt, er gelangte kaum zur Gegenwehr, schon nach wenigen Minuten lag er mit durchschnittener Kehle auf dem blutbesudelten Ruhebett, wo er so ganz anders zu liegen gehofft hatte.

Also hatten es die Gräfin und ihr Adonis sich ausgedacht. Tomaso war sonach als Übeltäter gefallen, als Opfer seines ruchlosen Angriffs auf die Ehre und den Leib seiner Landesfürstin.

Und die Gräfin ließ es an Dankbarkeit gegen ihren Retter nicht fehlen. Sie ernannte ihn zunächst zum Nachfolger des Gemordeten, und die finstere Festung von Rivaldino erfreute sich nun auffallend oft der Gegenwart ihrer strahlenden Schönheit. Immer höher stieg Giacomo Fevo in ihrer Gunst, ja sie machte ihn zuletzt zum Generalgouverneur und Vizeregenten ihrer Staaten, und er besaß bald nicht weniger Macht und Einfluß, als wenn er der Graf selber gewesen wäre. Das Volk sprach von einer heimlichen Ehe zwischen ihm und der Gräfin. Kaiser und Könige begannen mit ihm zu rechnen. Karl der Achte von Frankreich, der damals in Italien weilte, empfing ihn huldvollst und ernannte ihn zu einem Baron von Frankreich. Da fing er an, hochmütig zu werden und seinen Einfluß zu mißbrauchen, die Gräfin selber bekam Angst vor ihm. Immer mehr legte er alle Mäßigung ab; sogar seinen alten Vertrauten Gianghetti, den er zum Schloßhauptmann hatte machen lassen, beleidigte er eines Tages tödlich. Darüber brach er das Genick, er endete wie sein Oheim, und der nämliche alte Feigenbaum, der einst die verliebte Betörtheit des ehrlichen Tomaso mit seinen schamhaften Blättern überschattet hatte, wurde der Zeuge auch seines blutigen Todes.

Sein Nachfolger bei der Gräfin wurde der florentinische Gesandte am Hof zu Forli, Giovanni Medici, genannt Popolano; auch er hat, wie in der Geschichte zu lesen ist, der schönen Caterina Sforza wenig Glück gebracht.


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