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Die Zusammenkunft fand bei Frau von Zurlauben statt. Ich gefiel Herrn von Staal besser, als er es erwartet hatte, ich selbst konnte mir von dieser ersten Begegnung kein Urteil bilden.
Einige Zeit darauf aber wurde ich mit Herrn und Frau Zurlauben in sein Landhaus eingeladen, wo wir zu Mittag speisten.
Das Gut gehörte zu dem Dorfe Gennevilliers auf der reizvollen Halbinsel der Seine zwischen Saint-Denis und Argenteuil. Ganz nahe bei dem Landhaus verbreitert sich der Fluß in mehrere Arme mit dazwischenliegenden Inseln zu einer Art weitgedehntem See, dessen hohe Uferpappeln noch höher überragt sind von dem uralten Münster von Saint-Denis. Ich hatte nie in meinem Leben ein wundervolleres Landschaftsbild gesehen. Man wüßte sich sozusagen nur zwei Schritte von Paris und fühlte sich doch weit entrückt in die Gefilde der Seligen.
Der Ort, die Mahlzeit, die Gesellschaft, alles erinnerte an das goldene Zeitalter. Das frischgeweißte Haus mit seinen grünen Läden und lang hinlaufenden Holzaltanen machte einen freundlichen und heiteren Eindruck, und es paßte zu ihm, daß es nur dürftig eingerichtet war. Das Geflügel des Hühnerhofes, das Fleisch der Herden, die Früchte des Obstgartens hatten die Tafel bestellt und unsere jungen Wirtinnen, wie zur Zeit Jupiters, einen Teil der Gerichte eigenhändig zubereitet. Sie trugen die wohlgeformten Kuchen und Käse und die berühmten Erdbeeren von Gennevilliers, zwischen grünes Weinlaub gebettet, selber auf, und mit Vergnügen betrachtete ich diese Art zu leben, die der Natur so nahe steht und uns so fremd geworden ist. Ich dachte mich in diese Lebensweise wohl hineinfinden zu können.
Der Herr des Hauses und seine Art gefiel mir, er zeigte eine natürliche, nicht einstudierte Höflichkeit, die vom Herzen ausgeht, und einen milden und wohlwollenden Charakter verrät.
Und so in der Tat ist sein Wesen. Seine Seele, frei von jeder Leidenschaft, hat einen natürlichen Hang zum Guten. Aus dieser unveränderlichen Ruhe entsteht eine vollkommen gleichmäßige Stimmung, gesunde Ansichten, die durch keine seelische Mißstimmung getrübt werben, mehr Rechtlichkeit als Ueberfluß von Gedanken, wenig Worte, aber alle voll Sinn und Vernunft, kurz, ein Charakter, den die Gesellschaft nicht stört und der ebenso unfähig ist, sich zur Leidenschaft zu entflammen, als Widerwillen zu erwecken.
Alles dies fühlte ich damals nur dumpf und unklar, aber ich fand hier von der Natur einen Menschen geschaffen, wie ihn die Kultur nicht hätte bilden können.
Nach dem Essen hatten wir eine Unterredung über die in Frage kommende Angelegenheit.
Herrn von Staal lag viel daran, die Heirat zu schließen, jedoch nicht eher, als bis man ihm den gewünschten Titel verliehen. Dieser weisen Vorsicht konnte ich nur beistimmen, und wir trennten uns mit gegenseitiger Zufriedenheit. Als ich in den Wagen gestiegen war, legte er ein Lämmlein zu meinen Füßen nieder, das fetteste seiner Herde, und bat mich, es mitzunehmen. Diese ländliche Galanterie schien mir vollkommen zu allem übrigen zu passen.
Der Herzogin von Maine erstattete ich Bericht über den Erfolg meiner Reise und sie wünschte die rascheste Erledigung der Dinge. Aber der Herzog, ihr Gemahl, den sie zur Erfüllung der Bedingung drängte, machte neue Schwierigkeiten. Er müsse erst eine Gelegenheit abwarten, die sein Vorgehen begründe und eine solche Gelegenheit wollte sich gerade nicht zeigen.
Während dieser Zeit erfuhr ich, daß das Vermögen des Herrn von Staal in Wahrheit seinen Kindern gehörte und daß er mir keinen anderen Vorteil verschaffen konnte als den, eben einen Edelmann zu heiraten. Dies schien nun zwar für meine Stellung nützlich, im übrigen fand ich es sehr gleichgültig.
Der Hof begab sich jetzt nach Schloß Anet, und die Zerstreuungen dort ließen meine Heiratsangelegenheit in den Hintergrund treten. Ich selber hütete mich, daran zu erinnern. Die Sache schien mir auf einmal wieder von so mittelmäßigem Wert, daß ich wünschte, sie möchte ganz in Vergessenheit geraten.
In dieser Stimmung befand ich mich, als nach der Rückkehr von Anet, gegen Anfang des Winters, der Herzog von Maine die Sache mit einem Ruck vorwärtsbrachte. Der Chevalier von Molondin, der Hauptmann des Herrn von Staal, war von einem neuen Schlagfluß betroffen worden, und der Herzog hatte den Augenblick benützt und Herrn von Staal zum Befehlshaber seiner Kompagnie ernannt.
Dies war die einzige Bedingung gewesen, die verlangt worden, um die Sache zu Ende zu bringen.
Die Herzogin von Maine ließ mich zu sich rufen, um mir diese Neuigkeit zu verkündigen, über die sie sich hocherfreut zeigte.
Aber was mir in weiter Ferne fast verlockend erschienen, änderte sein Gesicht beim Näherkommen. In einem Augenblick erkannte ich alle Unannehmlichkeiten, die sich meinem Blick bisher entzogen hatten. Nun erstaunte ich über meine Blindheit und fühlte zugleich die Unmöglichkeit, zurückzuweichen. Es ergriff mich eine Art Verzweiflung.
Die Aufregung oder sonst eine Ursache machte mich krank und ich hoffte zu sterben und dadurch den einzigen mir übrigen Ausweg zu finden.
Aber auch diese Hoffnung schlug fehl; ich genas und mußte das Joch erdulden, das ich mir hatte auferlegen lassen.
Ich wollte aber zum mindesten einen Aufschub erlangen und machte unnütze Anstrengungen, um die Heirat erst nach dem Feldzug des Herrn von Staal vollzogen zu sehen. Denn ich hoffte immer noch auf einen Zwischenfall, der alles vereiteln könne.
Die Herzogin jedoch erklärte, nun habe der Herzog gehandelt, man spreche schon allgemein darüber und so müsse ein Ende gemacht werden.
Als letzten Versuch stellte ich der Fürstin vor, wie ich bis jetzt nur die eine Pflicht gekannt, treu zu ihrer Person zu stehen; wenn ich nun aber eine neue Verpflichtung auf mich nähme, so hätte ich im Sinn, auch diese zu erfüllen und es nicht leicht damit zu nehmen, darum möchte ich sie inständig bitten, vorher über diese Tatsache nachzudenken, damit ich nicht nachher in die Verlegenheit käme, beide entgegengesetzte Pflichten nicht miteinander versöhnen zu können.
Ihre Antwort lautete, sie sehe wohl, daß ich meine Zeit zwischen ihr und meinem Gatten teilen müsse, einen Teil davon würde ich eben ihm, den anderen ihr widmen. Ich bat sie hierauf nochmals, doch ihrerseits kein Opfer zu bringen um einer Heirat willen, auf die ich leicht verzichten könne.
Sie aber blieb unbeweglich und hörte mir so wenig zu, daß sie sich später nie mehr daran erinnern wollte, weder an die Vorstellungen, die ich ihr gemacht, noch an die Zustimmung, die sie zu meiner Teilung der Pflichten gegeben hatte.
Man setzte den Heiratskontrakt auf, darin mir die Pension, die ich seit meiner Gefangenschaft von dem Herzog von Maine bezog, fürs Leben zugesichert wurde. Die Herzogin stattete mich mit Kleidern aus. Das Opfer, gebunden und geschmückt, wurde von Frau von Chambonnas, der Ehrendame der Herzogin von Maine, traurig zum Altar geführt in der so prunkvollen Schloßkapelle und darauf zu Ihrer Königlichen Hoheit zurückgeleitet. Sie umarmte mich mit den Zeichen der größten Freude. Danach verfügte ich mich zu dem Herzog von Maine.
»Seid Ihr zufrieden?« redete er mich an.
»Ich bin zufrieden,« sprach ich, und eine Stelle in den Psalmen zitierend: »Zufrieden im Herrn, qui suscitat a terra inopem ... der die Geringen aufrichtet aus dem Staube und die Armen erhöht aus ihrer Erniedrigung.«
» Qui habitare fecit sterilem in domo,« antwortete mit maliziösem Lächeln und fortfahrend im Text der gelehrte Zögling der frommen Frau von Maintenon, »... der die Unfruchtbare wohnen läßt in ihrem Hause, daß sie eine fröhliche Kindermutter werde, Halleluja!«
Er gab uns große Versicherungen seiner Protektion, und damals glaubten wir noch nicht, daß wir ihn so bald verlieren würden.
Diese Pflichten erfüllt, stiegen wir in die Karosse, Herr und Frau Zurlauben, Herr von Staal und ich, um uns zur Tafel nach seinem Landhaus Gennevilliers zu begeben, wozu ich von meiner Herrschaft vier Tage Urlaub erhielt.
Meine Stieftöchter, die anscheinend gehofft hatten, daß die Heirat nicht zustande käme, verschwanden, als sie mich ankommen sahen, anstatt mich zu empfangen. Sie hatten auch nicht an der Vermählungsfeier teilnehmen wollen.
Nach vielen Bitten und Ermahnungen gelang es, die Aeltere zu bewegen, daß sie sich zeigt«. Sie erschien endlich mit recht unliebenswürdiger Miene. Ich tat nicht dergleichen, ihre Unart zu bemerken, und durch mein Entgegenkommen erreichte ich es, ihre schlechte Laune zu zerstreuen. Die jüngere Tochter erschien zu Ende der Mahlzeit mit einigen mangelhaften Entschuldigungen, und alles nahm wenigstens eine einigermaßen erträgliche, wenn auch nicht befriedigende Form an. Herr von Staal war ärgerlich über meinen üblen Empfang, ich sehr erstaunt, verheiratet zu sein, und die Verstimmung verbreitete sich über das ganze Haus und die ganze Gesellschaft, die außer den schon Genannten noch aus einigen besonderen Freunden des Hausherrn bestand.
Am Morgen nach diesem traurigen Tag wollte ich, beunruhigt über das Befinden einer Freundin (der Frau von Bussy), mir Nachrichten von ihr verschaffen, und da man mir die Mittel dazu nicht schnell genug bewerkstelligte, ging ich auf mein Zimmer, wo ich in Tränen ausbrach.
Einer unserer Gäste suchte mich dort auf, derselbe, der Herrn von Staal den ersten Vorschlag zu seiner Verheiratung gemacht hatte. Er zeigte sich sehr betrübt, mich in dieser Verzweiflung zu sehen, die aus verschiedenen Ursachen entsprang. Ich entschuldigt meinen Schmerz mit einigen Vorwänden, und versuchte ihn, so gut es ging, zu verbergen.
Herr und Frau Zurlauben waren wieder abgereist, und ich geriet noch mehr in Verlegenheit, als ich mich allein und wie eine Fremde in diesem Haus fühlte, das ich als mein eigenes hätte ansehen sollen. Zwar Herr von Staal tat von seiner Seite alles, was er konnte, um mir den Aufenthalt angenehm zu machen, aber der erste Eindruck ließ sich nicht so leicht verwischen.
Nach einigen Tagen kehrte ich mit ihm nach Paris zurück, wo ich die Rückkehr der Herzogin von Maine erwartete.
Sie erschien bald darauf und zeigte eine große Freude, mich in meinem veränderten Stand wiederzusehen.
Ich genoß nun alle Annehmlichkeiten der Damen ihres Hauses, ihren Tisch, den Eintritt in ihre Karosse und was sonst dazu gehört.
Trotzdem fühlte ich bei einer Gelegenheit, daß es ihr widerstrebte, mich öffentlich in einem so nahen Verhältnis zu ihr zu zeigen.
Es war zu der Zeit, wo der König die Revue seiner Schweizer Garden abnimmt. Der Herzog von Maine hielt es für notwendig, daß die Herzogin dahin käme und auch mir dieses Schauspiel zeige. Sie ließ mich mit Frau von Zurlauben in einem besonderen Wagen fahren statt in dem ihrigen, und daraus schloß ich, daß das Sakrament der Ehe die Flecken und Makel der Geburt nicht ebensogut auslöscht und vertilgt wie das Sakrament der Taufe in Hinsicht auf die Erbsünde.
Diese Entdeckung bildete nicht die einzige ihrer Art.
Herr von Staal war in sein Haus zurückgekehrt, wo er die Fastenzeit zubrachte. Gegen Ende derselben ließ er mir sagen, daß er gleich nach Ostern ins Feld müsse und mich bäte, die Karwoche in seinem Hause bei Gennevilliers zu verbringen.
Diesen Vorschlag teilte ich der Herzogin von Maine mit. Sie hörte mit einem Erstaunen zu, das sich mit Unwillen mischte, und nicht zufrieden damit, mir einen durchaus abschlägigen Bescheid zu geben, verbreitete sie sich in bitteren Klagen, beschuldigte mich der schwärzesten Undankbarkeit und eines unbilligen Vorgehens, wie wenn ich alle Pflicht gegen sie vergessen hätte, weil ich einigermaßen die Pflicht gegen den von ihr erwählten Gatten zu erfüllen gedachte.
Umsonst versuchte ich sie an die Erklärung zu erinnern, die ich im voraus über diesen Gegenstand von ihr erhalten hatte; alles schien vergessen und wurde rund abgeleugnet.
So hieß ich nun also die Frau Baronin von Staal, mußte aber täglich deutlicher erkennen, daß ich die Kette nur enger um mich gezogen, auf deren Lockerung ich gehofft hatte.