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Sechstes Kapitel

Die Schwester als rettender Engel

Sie erzählte mir, wie sie auf der Fahrt nach Versailles ihrer Herrin, der Herzogin von La Ferté, den ganzen Weg über von ihrer jüngeren Schwester erzählt habe, die eine äußerst gute Erziehung in einem Kloster der Provinz genossen hätte. Dabei habe sie ihrer Herrin versichert, daß ich alles wisse, was sich nur lernen lasse und dann alle Wissenschaften aufgezählt, deren Besitz sie bei mir voraussetzte und deren Namen sie ungefähr radebrechte.

Meine Schwester, ihrerseits ganz unwissend und darum um so ehrlicher überzeugt, daß ich selber alles wisse, ahnte nicht, wie sehr sie übertrieb, und die Herzogin, die auch nicht mehr Kenntnisse besaß als meine Schwester, glaubte ihr aufs Wort und hielt mich für ein blaues Wunder von Gelehrsamkeit.

Diese Herzogin war eine der begeisterungsfähigsten Personen, die es auf der Welt geben mag. Sie kam in Versailles an, so erzählte mir meine Schwester weiter, den Kopf ganz voll von dem vermeintlichen Wunderkind, und begann nun sofort überall von mir zu sprechen, besonders bei ihrer Schwester, der Ersten Ehrendame der Frau Dauphine, nämlich bei der Herzogin von Ventadour, derselben, wo es meine gute arme Mutter vergeblich mit dem Erziehertum versucht hatte, und wo der Kardinal von Rohan sich gerade aufhielt. Während ihrer Reden erhitzte sich ihre Einbildungskraft, sie sagte hundertmal mehr als man ihr erzählt hatte, und jedermann stimmte ihr bei, daß man nicht verfehlen dürfte, sich eines solchen Schatzes zu versichern.

Im Nu wurden in bezug auf meine Person hunderterlei Projekte entworfen. Die Frau Dauphine lebte damals noch. Man hielt sie für schwanger und beschloß ohne weiteres, wenn sie von einer Tochter entbunden werden sollte, müßte ich zu deren Erziehung beigezogen werden. Dann wieder bestimmte man mich für die Abtei Jouarre, zur Erziehung der drei Fräulein von Rohan, aus denen ich Meisterwerke der Bildung machen sollte.

Kurz, meine Schwester malte mir in ihrer Lebhaftigkeit den Himmel meiner Zukunft voller Baßgeigen.

Es sei aber durchaus notwendig für mich, erklärte sie zuletzt, ihrer Herrin einen Besuch zu machen und ihr meinen Dank auszusprechen. Die Herzogin sei seit gestern von Versailles zurück, und ich solle meinem Kloster sofort wiedergegeben werden, sobald ich ihr meine Reverenz erwiesen habe.

Da ich kein passendes Kleid besaß, borgte ich mir eines von einer Pensionärin des Klosters für drei Stunden aus, und nachdem meine Schwester mich ein wenig zurechtgestutzt hatte, ging ich mit ihr fort.

Die Herzogin wohnte nicht weit von unserem Kloster in dem alten majestätischen Palast von Ventadour, und wir kamen bei ihr an, als sie gerade aufgewacht war. Sie zeigte sich entzückt, mich zu sehen und fand mich reizend. Schon vorher für mich eingenommen, konnte sie nicht anders urteilen.

»Wirklich, sie spricht entzückend,« rief sie nach einigen Worten, die sie an mich gerichtet und worauf ich einige sehr einfache, ja dürftige Antworten gegeben hatte.

»Sie kommt gerade zu rechter Zeit,« fuhr die Herzogin dann fort, »um mir einen Brief an Herrn Desmarets zu schreiben, den Geheimsekretär Seiner Majestät, der sofort in seine Hände gelangen soll. Hier, mein Fräulein, man wird Euch Papier geben, und Ihr braucht bloß zu schreiben.«

»Und was soll ich schreiben, Frau Herzogin,« antwortete ich in großer Verlegenheit.

»Ihr könnt das drehen, wie Ihr wollt,« erwiderte sie darauf, »aber es muß gut sein; denn ich möchte, daß er mir gewährte, um was ich ihn bitte.«

»Aber, hohe Frau, dennoch müßte ich wissen, was Eure Gnaden dem Herrn Desmarets mitteilen wollen.«

»Ach nein, das ist unnötig, versteht Ihr?«

Ich verstand gar nichts, aber ich hatte gut darauf bestehen, ich konnte sie nicht dazu bringen, mir ein deutliches Wort zu sagen.

Nur allmählich entnahm ich aus ihren abgerissenen Bemerkungen, die ich mir zusammenknüpfte, was sie ungefähr wollte; doch kannte ich nicht im geringsten die Gebräuche und Formeln im schriftlichen Verkehr mit den Leuten vom Hofe.

Ich griff dennoch nach dem Papier, und während die Herzogin zum Ankleiden aufstand, setzte ich mich ans Schreiben, ohne zu wissen, wie ich die Sache angreifen solle. Und immer schreibend, was mir zufällig in die Feder kam, beendigte ich den Brief, den ich ihr überreichen ließ, sehr unsicher über meinen Erfolg.

»Ah,« rief sie, »das ist genau, was ich ihm schreiben wollte. Das ist ja bewunderungswürdig, so meine Gedanken zu erraten. Henriette, deine Schwester ist erstaunlich. Da sie so gut schreibt, muß sie mir noch einen Brief an meinen Sachwalter abfassen. Das kann geschehen, während ich meine Toilette vollende.«

Diesmal war es nicht nötig, sie zu fragen, was sie mitgeteilt haben wollte. Und während ihre Frauen ihr jetzt das Hemd zu wechseln reichten, ihr dann die Strümpfe anzogen, dann ein Unterröckchen umbanden usw., überstürzte sie mich mit einer ganzen Flut von Worten, denen ich aber trotz aller Aufmerksamkeit nicht folgen konnte, so daß ich wegen dieser zweiten Probe meiner Geschicklichkeit nicht weniger in Verlegenheit geriet als bei der ersten.

Sie hatte mehrmals ihren Advokaten und ihren Prokurator genannt, die eine wichtige Rolle in diesem Briefe zu spielen hatten, und unglücklicherweise verwechselte ich die beiden fortwährend miteinander.

»Die Sache ist gut erklärt,« meinte sie, nachdem sie meinen Brief gelesen, »aber ich verstehe nicht, daß ein so geistreiches Mädchen wie Ihr meinem Advokaten den Namen meines Prokurators geben kann.«

Sie hatte also die Grenzen meines Geistes entdeckt, aber glücklicherweise verlor ich dadurch nicht ganz ihre Achtung.

Während ich diese Schriftstücke verfaßt hatte, war sie mit ihrem Anzug und der hochaufgesteckten kunstreichen Haartour mit der reichlichen Puderung fertig geworden und dachte an nichts anderes mehr, als nach Versailles zu fahren.

Ich begleitete sie bis zu ihrer Karosse.

Als sie eingestiegen war und auch meine Schwester, die sie mit sich führte, ihren Platz eingenommen hatte, wollte ich schon aufatmen; aber im Augenblick, wo die Türe geschlossen werden sollte, kam noch das Beste.

»Ich denke,« sagte sie zu meiner Schwester, »es wird das richtigste sein, sie gleich mitzunehmen. Steigen Sie ein, Fräulein, steigen Sie ein. Ich will Sie der Frau Herzogin von Ventadour vorstellen.«

Ich erstarrte zu Stein und ein kalter Schweiß trat mir auf die Stirne bei dem Gedanken an dieses für drei Stunden geliehene Kleid, in dem man mich, wie es schien, die Reise um die Welt machen lassen wollte.

Aber trotz dieser Bedenken gab es kein Mittel auszuweichen; es war nicht mehr die Zeit für mich, einen eigenen Willen zu haben oder mich dem Willen der anderen zu widersetzen.

Mit gepreßtem Herzen stieg ich also ein. Die Herzogin merkte nichts von meiner Stimmung und redete während der Fahrt das tollste Zeug durcheinander. Sie sagte hundert Dinge auf einmal, die keinerlei Beziehung zueinander hatten, aber es kam doch soviel Lebhaftigkeit, Natürlichkeit und Anmut in ihrem Gespräch zum Ausdruck, daß man ihr mit großem Vergnügen zuhörte.

Sie richtete tausend Fragen an mich, deren Beantwortung sie aber keineswegs abwartete.

»Da Ihr so viele Dinge wißt,« sagte sie dann, »so könnt Ihr ohne Zweifel auch die Punkte machen, um das Horoskop zu stellen. Das ist mir das Liebste auf der Welt.«

Ich antwortete, daß ich nicht den geringsten Begriff von dieser Wissenschaft habe.

»Aber wozu taugt es dann, so viele andere Dinge zu lernen, die zu nichts nützen?«

Darauf versicherte ich, daß ich nichts dergleichen gelernt habe. Aber sie hörte mir schon nicht mehr zu und fing an, die Geomantie und Chiromantie und Nekromantie zu preisen, und erzählte mir all die Prophezeiungen, die man ihr schon gemacht hatte und deren Erfüllung sie noch erwartete; sie erzählte mir einen Haufen denkwürdiger Geschichten über diesen Gegenstand, sie erzählte dann ihren Traum von der vergangenen Nacht und eine Menge anderer bemerkenswerter Träume, die früher oder später ihre Wirkung haben würden. All dem hörte ich mit Unterwürfigkeit, aber mit wenig Glauben zu.

Endlich kamen wir in Versailles an. Sie sagte uns, meiner Schwester und mir, wir möchten uns in ihre Gemächer begeben und später sollten wir sie bei Frau von Ventadour aufsuchen, wo sie abstieg.

Ihre Wohnung in Versailles lag in dem obersten Stockwerk des Schlosses. Es war mir unmöglich, die Treppe vollständig hinaufzukommen, und wenn nicht ein Lakai mich die letzten Stufen hinaufgetragen hätte, wäre ich liegengeblieben.

Diese Uebermüdung des Körpers wie des Geistes versetzte mich in einen Zustand der Empfindungslosigkeit, wo man sogar nichts mehr denken kann.

Nun hatte ich nicht recht verstanden, was die Herzogin über meine Vorstellung bei Frau von Ventadour gesagt hatte. Auch meine Schwester hatte es nicht besser gehört, und wir glaubten warten zu müssen, bis man mich holen würde.

Wir blieben also bis zum Abend in den Gemächern der Herzogin von La Ferté, als sie plötzlich eintrat, wütend, daß wir ihren Befehlen nicht gehorcht hatten.

Sie waren ungenau erklärt worden, aber man konnte ihr darüber keine Vorstellung machen.

So hörte ich mit respektvollem Schweigen ihren Vorwürfen, ihrem Bedauern, all ihren ungestümen Gefühlsäußerungen zu.

Als alles gesagt war, beruhigte sie sich und dachte nur noch an den anderen Tag, wo sie mich selbst zu ihrer Schwester, der Frau von Ventadour führen wollte. Die Nacht über schlief ich im Bett meiner Schwester, das sich in einem wahren Hundeloch aufgestellt fand. Wenn man sich einen so unabsehbaren Palast ansieht, in seiner Pracht und Herrlichkeit, wie das Königsschloß zu Versailles, so denkt man sich nicht, daß es darin Leute gibt, die in solchen Löchern schlafen.

In der Herzogin von Ventadour fand ich am nächsten Tag eine Person von ganz anderem Charakter. Auf ihrem Gesicht malten sich Sanftmut und Heiterkeit und ließen die Ruhe ihres Geistes und die Ausgeglichenheit ihres Wesens erkennen. Sie empfing mich mit großer Güte und jeder Art Höflichkeit; sie sprach von meiner Mutter, der ehemaligen Erzieherin ihrer Tochter, von ihrer Achtung für sie, von allem Guten, was sie über mich gehört hatte, endlich von dem Wunsch, eine angemessene Stellung für mich zu finden. Dann ließ man mich den Herzog von Bretagne sehen, den jetzigen König (Ludwig XV.), der kaum geboren war. Man fand auch, daß ich die Schönheiten von Versailles zu sehen nicht versäumen dürfe, und man schleppte mich überall hin.

Sogar den meilenweiten Park mußte ich in allen Einzelheiten in Augenschein nehmen, was ich recht unnötig fand.

Dieses Wunderwerk der Gartenkunst ist ja so angelegt, daß man von der Schloßterrasse aus den ganzen Plan übersieht und das ist wirklich ein großer Anblick. Aber diese schnurgeraden unendlichen Alleen auf dem weißen knirschenden Kies zu durchwandern mit müden Füßen, fand ich eine Marter. Es ist das eine übermenschliche königliche Sache und mag, zu Pferd durchritten, oder aus bequemer goldener Karosse heraus, sehr vergnüglich sein, für arme schwache Menschenbeine ist es eine zu starke Zumutung. Ein sanfter Pfad, der sich durch blühende Wiesen oder einen Bach entlang hinschlängelt, bedeutete mir immer eine Erquickung, in diesem Sinn bin ich immer ein kleines Bürgerkind geblieben. Aber diese schnurgeraden Alleen, die man bis an ihr Ende absieht, das aber nie näherrückt, sind mir ein Greuel. Ich meinte vor Müdigkeit vergehen zu müssen, und seitdem habe ich diesen weltberühmten Park aufrichtig gehaßt, dieses Sinnbild königlicher Unbegrenztheit, das trotz allem das Gefühl der Leere gibt.

Die Frau von La Ferté hatte schon so viel von mir gesprochen, daß man mich beobachtete wie eine Kuriosität; tausend Leute kamen, mich zu betrachten, zu prüfen, auszufragen. Um den Tag zu vollenden, wollte sie durchaus, daß ich bei dem Nachtmahl des Königs zugegen sein sollte (das war noch Ludwig XIV.); und nachdem sie mich aus der Menge herausgeschält hatte, machte sie den Herzog von Burgund, den Enkel des Königs, auf mich aufmerksam und unterhielt ihn während der königlichen Abendtafel, wo wir alle nur als Zuschauer teilnahmen und immer stehend, fast ausschließlich von meinen Talenten und Fähigkeiten und meinem angeblichen Wissen. Aber dabei blieb sie nicht. Am nächsten Tag machte sie der Herzogin von Noailles einen Besuch und schickte von dort aus nach mir.

»Hier ist die Person,« sagte sie zu Frau von Noailles, als ich eintrat, »von der ich Euch soeben gesprochen habe, die soviel Geist und Wissen besitzt. Nun, sprecht mein Fräulein, sprecht! Herzogin, Ihr werdet sehen, wie gut sie spricht.«

Als sie mich zögern sah, wollte sie mir zu Hilfe kommen wie einer Sängerin, der man die Weise angibt, die man hören möchte.

»Sprecht zuerst über Religion, nachher sollt Ihr Euch über andere Dinge auslassen.«

Ich war in einer unbeschreiblichen Verwirrung, und ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich mich aus der Sache zog, ohne Zweifel, indem ich die Talente leugnete, die man bei mir voraussetzte.

Solche lächerliche Auftritte wurden auch in anderen Häusern wiederholt, und ich merkte, daß man mich wie einen Affen spazierenführte oder irgendein anderes seltenes Tier, das auf der Messe seine Kunststücke machen soll. Es wäre mir lieber gewesen, die Erde würde mich verschlungen haben, als eine solche Rolle weiterzuspielen.

Vielleicht muß ich mir einen Vorwurf daraus machen, daß ich mich von derartigen Szenen so abgestoßen fühlte und nicht an den Beweggrund dieser seltsamen Vorgänge dachte, an den übertriebenen Wunsch der Herzogin, mich zur Geltung zu bringen.

Drei oder vier Tage befand ich mich bereits zu Versailles in der herzoglichen Mansardenwohnung, wo ein närrischer Auftritt den anderen ablöste, als die Herzogin eines Abends eintrat, aufs höchste aufgebracht gegen ihre Schwester, die Frau von Ventadour, und den Kardinal von Rohan, weil sie noch immer nichts über mich beschlossen hatten. Um mich in Jouarre unterzubringen, brauchte es einer Pension, die niemand für mich zahlen wollte.

»Nun,« wandte sie sich an meine Schwester, »da die Leute so schwerfällig sind, muß man sie laufen lassen. Ich bin mächtig genug, selbst das Glück deiner Schwester zu machen, ohne Beistand nötig zu haben. Ich werde sie zu mir nehmen. Sie wird sich da wohler fühlen als irgendwo sonst.«

Das hatte ich am meisten gefürchtet. Und ich blieb unbeweglich und stumm und konnte mich nicht entschließen, das geringste Zeichen von Einverständnis laut werden zu lassen. Ihre große Erregung hinderte die Herzogin daran, meine Unbeweglichkeit zu bemerken, aber als sie uns dann verließ, machte mir meine Schwester gerechte Vorwürfe. Ich gestand ihr, daß die Abneigung, die ich gegen eine derartige Stellung habe und die Furcht, etwas für mich Bindendes zu sagen, mich am Reden verhindert hätten.

Der Groll, den Frau von La Ferté gegen ihre Schwester hegte, bestimmte sie dazu, am nächsten Tage abzureisen, und ich schmeichelte mir schon mit dem Gedanken, mich bald wieder in meinem Kloster zur Mariä Heimsuchung zu sehen, wohin ich mich mit Ungeduld zurückwünschte.

Aber meine Reisen sollten noch so bald kein Ende nehmen. Die Herzogin kündigte mir an, daß sie sich nach Sceaux begebe und mich dahin mitnehmen wolle, um mich dem Herrn von Malesieu, dem Hof- und Kammerdichter der dortigen Hoheiten vorzustellen, der am besten einschätzen könne, was ich wert sei.

Für mich aber bedeutete es den Gipfel der Verzweiflung, schon wieder auf einem neuen Theater auftreten zu sollen. Ehe sie aber abreiste, kam der Abbé von Vertot zu Besuch, ihr Freund und Verwandter, der sich vorübergehend in Versailles aufhielt. Dieser Abbé hatte zu Rouen, wo er in unserem Kloster täglich aus- und einging, zu meinen vertrautesten Freunden gehört. Sie ließ ihm einen Sessel anbieten, ich aber mußte stehen, wie sie es gern tat, wenn sie Gesellschaft bei sich sah. Aber ich konnte es nicht ertragen, in einer so untergebenen Stellung vor jemandem zu verharren, der mir immer mit tiefster Ehrerbietung begegnet war, und trat in ein Seitenkabinett. Dort vergoß ich bittere Tränen, die mir das Demütigende meines jetzigen Zustandes auspreßte.

Nach dem Mittagsmahl fuhren wir nach Sceaux, wo die Herzogin, immer von ihrem Vorhaben erfüllt, nicht verfehlte, in übertriebenen Ausdrücken von mir zu sprechen. Aber die Hausherrin, die Herzogin von Maine, an die Uebertreibungen der Herzogin von La Ferté gewöhnt und überhaupt nur aufmerksam auf das, was sie interessierte, hörte kaum hin, trotzdem wollte meine Gönnerin mich durchaus zeigen, und aus Gefälligkeit willigte die Herzogin von Maine ein, hielt sich aber kaum dabei auf, mich anzusehen.

Mit um so lebhafterem Interesse musterte ich meinerseits Ihre königliche Hoheit, ich könnte auch sagen Kleinheit. Denn eine kleinere Person hat man nie gesehen als diese Herzogin aus königlichem Geblüt. Anna Luise Benedikte von Bourbon, eine Enkelin des großen Condé und Schwiegertochter des großen Ludwig, maß keine fünf Fuß in der Höhe. Sie war die reinste Puppe. Aber hübsch war sie. Hübsch und zierlich, wie nur eine Puppe sein kann. Nun, ich werde von dieser Puppe noch zu erzählen haben, wenn sie mich einstweilen auch keines Blickes für würdig hielt.

Als Frau von La Ferté diesen Versuch mißlungen sah, ließ sie Herrn von Malesieu bitten, sie zu besuchen und sich bei dieser Gelegenheit mit mir zu unterhalten.

Dieser heute schon fast verschollene Dichter mit seiner wohlgepflegten hohen Gestalt in reichem Hofkleid, immer geschniegelt und gebügelt, war damals am Hof der Herzogin von Maine dasselbe, was etwas später Herr von Voltaire für die ganze Welt wurde: ein oberstes Orakel in allem und jedem. Er kam auch, unterhielt sich lange mit mir über die verschiedenartigsten Gegenstände und fand mich ziemlich unterrichtet, vielleicht nur, um meiner Gönnerin verbindlich zu sein, vielleicht auch aus dem eigenen Hang zur Uebertreibung oder auch um mir einen Dienst zu leisten, kurz, er bestätigte all die Wunder, die sie von mir verbreitet hatte.

Diese Anerkennung brachte mich an einem Hof zu hohen Ehren, wo die Entscheidungen des Herrn von Malesieu dieselbe Unfehlbarkeit besaßen wie die von Pythagoras unter seinen Schülern. Die verbittertsten Streitfragen wurden mit dem Augenblick beendigt, wo jemand aussprach: Er hat es gesagt.

Er sagte also, ich sei eine seltene Person und man glaubte ihm.

Nun kam man zu mir, man hörte mir zu, man konnte mich nicht genug bewundern.


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