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Der Untersuchungsrichter wollte einen neuen Versuch mit Soltaus Verhör machen.
Die Tür klirrte auf – jedes kleinste Geräusch wurde hier vom Echo zurückgeworfen – und Soltau trat von neuem den Gang über die hallenden, trübseligen Korridore zum Untersuchungsrichter an. Mit gleichgültigem Blick sah er zum zweiten Male das Zimmer mit den weißgestrichenen Wänden, den Schreiber am Fenster und den Untersuchungsrichter mit der goldenen Brille hinter seinem Pult.
Der Richter blätterte lange Zeit wortlos in seinen Akten. Soltau stand da, ohne Ungeduld zu zeigen.
Der Richter dagegen wollte ihn zur Ungeduld zwingen. In der Erregung machen die meisten Menschen viel leichter die schwerwiegenden Geständnisse. Doch Soltau blieb teilnahmlos. Der Richter merkte es und ärgerte sich. – Der Plan war mißglückt.
Er räusperte sich und begann: »Nun, sind Sie unterdessen schon vernünftig geworden?«
Soltau schrak plötzlich zusammen und blickte den Sprechenden verständnislos an.
»Ich meine«, fügte der Richter hinzu, »haben Sie sich schon eines Besseren besonnen?«
Soltau sah ihn an wie ein Kind einen Prediger.
»Hören Sie«, sagte der Richter mit ein wenig Mißmut in der Stimme, »verstellen Sie sich nicht! Das kann Ihnen nur schaden. Sie sind geistig vollkommen gesund. Oder wollen Sie etwa behaupten, daß dies nicht der Fall ist?«
»Nein, ich bin gesund.«
»Nun also, haben Sie mir nichts mitzuteilen?«
»Wieder sagen Sie nein! – Sie verschärfen dadurch nur Ihre Lage. – Hören Sie lieber auf mich. Sie sind noch ein junger Mann. – Sie sehen, ich stehe Ihnen wohlwollend gegenüber. Legen Sie ein offenes Geständnis ab, und ich werde veranlassen, daß das strafmildernd in Betracht gezogen wird.«
»Ich habe nichts zu gestehen!« sagte Soltau mit der Stimme eines sehr müden Menschen.
»Sie leugnen also, sich an Brandorff vergangen zu haben?«
»Ich leugne nichts, denn ich habe nichts begangen.«
»Sie haben Brandorff ermordet! Geben Sie das zu?«
»Nein!«
»Sie haben dann den Leichnam fortgeschafft!«
»Nein!«
»Ich verlange von Ihnen nur zu wissen, wie Sie es getan haben!«
Aber Soltau wiederholte nur immer wieder tonlos murmelnd: »Nein, ich habe nichts getan, ich habe nichts getan!«
Der Untersuchungsrichter sah, daß es ihm nicht gelang, den Verhafteten zu überrumpeln. Mit fast resigniertem Ton sagte er:
»Ihre Verstocktheit zwingt mich nur, wieder ganz von vorn anzufangen!«
Doch Soltau vor ihm machte ein Gesicht, als wolle er sagen: »Bitte, köpft mich doch gleich – es ist mir ganz egal!«
»Erinnern Sie sich an die Nacht vom 29. zum 30. Juni?« fragte der Richter.
»Ja!«
»Waren Sie damals im Hause Ihres Onkels Brandorff?«
»Ja!«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ja.«
»Was haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Wir sprachen über ein Rennen in England!«
»Der Diener John bezeugt, Sie hätten mit Ihrem Onkel einen heftigen Streit gehabt. Stimmt das?«
Einen Moment Zögern, dann: »Ja!«
»War der Streit im Anschluß an das erste Gespräch entstanden?«
»Nein!«
»Wann kamen Sie an dem Abend ins Haus Ihres Onkels?«
»Um halb zehn!«
»Wann entstand der Streit?«
»Später.«
»Viel später?«
»Ja.«
»Sagen Sie mir den Inhalt Ihres Streites!«
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Ich verweigere die Auskunft!«
»Handelte es sich um geschäftliche Angelegenheiten?«
»Ich verweigere die Auskunft!«
»Betraf der Streit Ihr Privatleben?«
»Ich verweigere die Auskunft!«
»Schön, Sie verweigern die Auskunft, sehr schön! Also dann, was geschah dann?«
»Ich ging weg.«
»Ohne sich von Ihrem Onkel zu verabschieden?«
»Ja!«
»Wie gingen Sie weg? Es sind zwei Ausgänge da, einer durch die Galerie und eine Hintertreppe aus dem Arbeitszimmer Ihres Onkels.«
»Den Hauptausgang durch die Galerie!«
»Gingen Sie in den Garten?«
»Nein!«
»Gingen Sie geradeswegs herunter und verließen das Haus durch die Haustür?«
»Ja.«
»Hielten Sie sich gar nicht weiter in der Umgebung des Hauses auf?«
»Wann war das, als Sie weggingen?«
»Ziemlich spät!«
»Wissen Sie, wann?«
»Nein.«
»War es noch Nacht oder schon Morgengrauen?«
»Ich weiß nicht.«
»Was taten Sie dann?«
»Ich ging weg.«
»Das haben Sie schon gesagt. Wohin gingen Sie?«
»Ich weiß nicht.«
»Wo hielten Sie sich bis zum Vormittag des folgenden Tages auf?«
»Ich weiß nicht!«
»Sie wissen nicht? Gut! Woher haben Sie die aufgeschürften Hände?«
Soltau betrachtete seine Hände. Die Handflächen hatten Rißwunden. Er hatte es bis dahin in seiner Apathie noch gar nicht beachtet. »Ich weiß nicht!«
»Gut, gut!« sagte der Untersuchungsrichter. »Es ist mir sehr interessant, was Sie sagen. Sie wissen also nichts? Nun, dann will ich Ihnen sagen, was ich weiß, und ich werde verschiedenes richtigstellen, was Sie mir unrichtig sagten!
Fürs erste, Sie verließen das Haus nicht durch die Galerie und den Vorderausgang, sondern durch die Tapetentür im Arbeitszimmer. Sie gingen durch den Garten. Sie hatten einen Kampf mit Brandorff, dabei rissen Sie sich die Hände auf, sie befleckten dabei Ihr Klubband und verloren es unter der großen Linde!«
Dabei hielt er das kleine Seidenband ihm vor Augen, das er den Akten entnommen hatte. Es hatte in einer Ecke einen kleinen rötlichen Streif: offenbar Blut.
»Sie können sich hier nicht ausreden«, fügte er hinzu, »es ist chemisch untersucht worden, die rote Stelle ist Menschenblut! Was haben Sie begangen? Gestehen Sie es – gestehen Sie alles!«
Der Untersuchungsrichter war aufgestanden. Hinter der goldenen Brille funkelten seine Augen. Seine Stimme dröhnte:
»Erich Soltau, sagen Sie, was Sie wissen! – Sprechen Sie! Von Ihrem Wort wird es abhängen, ob man gegen Sie wegen Totschlags oder wegen Mordes verhandelt. Denken Sie: Mord, Mord! Und auf Mord steht das Schafott! Sprechen Sie. Es handelt sich um Ihren Kopf!«
Doch Soltau sah dem Richter gleichgültig in die Augen. Er zuckte nicht zusammen, als er mit der leisen Stimme eines unendlich Gequälten erwiderte: »Das ist eine Folter! – Ich habe nichts zu sagen!«
Nach diesem Wort klappte der Richter die Akten zu und drückte auf eine Klingel. Der Wärter kam, und der Untersuchungsrichter ließ Soltau wieder in die Haft zurückführen, nicht ohne ihm vorher zugerufen zu haben: »Sie werden schon noch reden!«
*
Als die Kunde von Soltaus Verhaftung zu Rechtsanwalt Sanders drang, hatte sich dieser sogleich entschlossen, Soltaus Verteidigung zu übernehmen.
Als die Tür der Zelle sich hinter ihm schloß, war sein erstes Wort, das er erregt ausstieß, nur, um seiner tiefen Erschütterung keinen Platz zu gönnen: »Erich, ich werde dein Rechtsanwalt sein!«
Denn das Bild, das sich ihm hier bot, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen.
Der Untersuchungsgefangene trägt nicht etwa Gefängniskleidung, sondern seine eigenen Sachen. Für alles, was sich auf die körperliche Instandhaltung bezieht, hat er selbst und auf seine eigenen Kosten Anordnung zu treffen.
Und nun gewahrte Sanders, wie schwer sich Soltaus Apathie rächte.
Des Gefangenen Gesicht starrte ihm entgegen, schmutzig, unrasiert. Seine Kleidung, ein hocheleganter Straßenanzug, der noch vor wenigen Tagen seine Gestalt aufs vorteilhafteste zur Geltung gebracht hatte, hing ihm vernachlässigt um den Leib. Soltau war schrecklich abgemagert. Man sah, alles war ihm gleichgültig, er kümmerte sich um nichts.
Als er Sanders eintreten sah, war seine erste Bewegung die, stürmisch aufzuspringen und den Freund zu umarmen. Aber sofort ließ er sich mit einer Gebärde der tiefsten Hoffnungslosigkeit wieder zurück auf seine Pritsche sinken.
Sanders sah diese Bewegung mit einem Schmerz, der ihm fast die Kehle zuschnürte. Hatte Soltau schon aller Hoffnung entsagt? Oh, dann war alles verloren!
Er näherte sich ihm, setzte sich auf den Rand der Pritsche und legte sanft seinen Arm um Soltau. »Sieh, Erich, ich bin hier«, sprach er leise. »Ich will deine Verteidigung übernehmen. Wir alle sind überzeugt, daß du schuldlos bist!« Oh, er wußte nur zu gut, wie er log!
Soltau kehrte ihm ein schmerzverzerrtes Antlitz zu. Seine Augen lagen glanzlos, wie erloschen, in dunklen Höhlen. Und mit erstickter Stimme brachte er hervor: »Es hat gar keinen Zweck. Du bist sehr gut! Ich danke dir – aber geh' nur wieder!«
Doch Sanders' Opposition war durch die verstockte Resignation des Freundes im heftigsten Sinne rege geworden. Nein, so leicht sollte ihm seine Aufgabe doch nicht gemacht werden. Er wußte, wie ein Unglücksfall die Menschen oft ganz weich, oft aber auch ganz starrköpfig macht. So leichten Kaufes sollte ihn dieser Starrköpfige da nicht loswerden. Es galt, diese Hartnäckigkeit, wenn nicht anders, so mit List zu besiegen.
Zart wandte er sich zu Soltau: »Ich weiß, Erich, sie quälen dich! Aber glaubst du, daß ich, dein alter Freund, zu gleichem Zwecke hergekommen bin?«
Da plötzlich konnte Soltau nicht mehr an sich halten und brach in ein furchtbares, leises, nervenerschütterndes Schluchzen aus. Sanders fühlte sich bis ins Innerste gepackt. Aber er wußte wohl, daß er diese Stimmung jetzt nicht aufkommen lassen durfte, wenn er seinen Zweck bei Soltau durchsetzen wollte. Er schlug also einen scheinbar jovialen Ton an: »Na, höre mal, alter Knabe! Wer wird denn auch gleich den Mut so sinken lassen! Denke dir doch, Erich, du selbst weißt ja am besten, daß du unschuldig bist! – Sieh mal, ich weiß ja ganz genau, wie dich die letzten Tage mitgenommen haben. Aber du mußt doch auch bedenken, daß nur deine Worte allein dir bei einem so schwierigen Fall helfen können! Also sage mir, Erich, was ist vorgefallen? Was weißt du?«
Soltau bedeckte das Gesicht mit den Händen und stöhnte: »Oh, immer dieselbe Frage, immer dieselbe Frage!«
»Freilich, immer dieselbe Frage!« erwiderte Sanders erregt. »Siehst du denn nicht ein, Erich, daß von der Beantwortung dieser Frage dein Leben abhängt?«
»Oh, ich weiß alles, was du auch fragen wirst. Sie fragen immer dasselbe, erst auf der Polizei, dann der Untersuchungsrichter und jetzt du!«
»Ja!« entgegnete Sanders jetzt mit fester Stimme. »Auch ich frage dasselbe. Aber ich frage es nicht, um dich zu peinigen, das weißt du so gut wie ich. Ich frage dich, weil ich überzeugt bin, daß ich von dir eine Antwort erhalten werde!«
»Du hast kein Recht dazu!« bäumte sich Soltau auf.
»Doch, ich habe es! Und wenn nicht ich, dein Freund, dann hat es nur noch ein einziger Mensch auf der Welt!«
»Wer?« schrie Soltau.
»Cecily!« entgegnete Sanders ernst und bedeutsam.
Da sah ihn Soltau starr an und schlug, wie vom Blitz getroffen, auf die Pritsche hin.
Ein paar Minuten regte sich nichts in der Zelle. Dann kam von der Pritsche her ein leises Wimmern: »Frage mich, Sanders, ich will antworten!«
»Endlich!« seufzte Sanders erleichtert auf.
Aber bevor er noch mit seiner Frage beginnen konnte, richtete sich Soltau auf und sagte mit einer plötzlich wunderbar festen Stimme: »Höre, Sanders, du kannst mich fragen, was du willst, nur eins nicht: worum es sich in meinem Streit mit Brandorff gehandelt hat! Darüber kann ich dir keine Auskunft geben, dir und niemand. Ich darf es nicht. Ich würde vor mir selbst meine Ehre verlieren. Es sei dir genug, wenn ich zugebe, ich habe mit Brandorff einen heftigen Streit gehabt. – Und nun frage nur immer – aber ich muß dir offen sagen, ich habe kaum die Hoffnung, durch dein Fragen etwas zu gewinnen. Denn auf alles andere kann ich dir keine Antwort geben, nicht weil ich nicht will, sondern weil ich nicht kann!«
»Warum nicht?« fragte gespannt Sanders.
»Ich weiß es nicht!« war die sofortige Antwort. »Sieh' mal, Sanders«, fuhr Soltau mit ruhiger Stimme fort, »alle diese Leute auf der Polizei und im Gefängnis wollen es nicht glauben, oder sie verstehen nicht, wenn ich sage: Ich weiß nicht! – Aber du bist mein Freund, ich kenne dich. Würdest du genug Verständnis aufbringen, wenn ich dir sagte: von allem, was nach dem Streit mit Brandorff mit mir geschehen ist, weiß ich nichts, habe ich nicht die geringste Ahnung!«
»Du weißt nicht, was mit dir geschehen ist?«
»Nein, Sanders, ich kann nichts anderes sagen als: auch die geringste Bewegung, der kleinste Schritt, den ich gemacht habe, ist total meinem Gedächtnis entschwunden!«
»Du hast es vergessen – ah, das ist unglaublich!« rief wie vor den Kopf geschlagen Sanders.
»Ja, unglaublich, das ist das richtige Wort!« entgegnete Soltau. »Darum will es mir ja auch niemand glauben! Und doch ist es so!«
»Und du kannst dich an nichts mehr erinnern?«
»An nichts!«
»Armer Freund«, sagte Sanders, »wie muß dir zumute sein! Wie einem Ertrinkenden, dem eben der letzte Balken von den Wellen fortgespült wird!«
»Sage lieber, wie einem Mann, der seinen eigenen Kopf noch vor dem Tode unterm Arm trägt!« entgegnete Soltau mit einem schwachen Versuch, zu scherzen.
»Höre, Soltau, und du siehst nirgends eine Möglichkeit, ein Alibi nachzuweisen, nirgends einen Ausweg, einen schwachen Lichtschimmer, der dich retten könnte?«
»Du vielleicht?« fragte Soltau.
»Offen gesagt, vorläufig nicht!« sprach zaghaft und in sich gekehrt Sanders.
»Na, ich auch nicht!« höhnte Soltau.
»Höre, Erich, es ist jetzt keine Zeit zu scherzen. Vielleicht finden wir gemeinsam einen Weg. Versuche doch, dich zu besinnen! Wann hast du denn Brandorffs Haus verlassen?«
»Ich habe dir schon gesagt, ich weiß es nicht!« antwortete Soltau diesmal mit schmerzhaft verzogenem Gesicht, denn diese hundertmal wiederholte Frage rührte zuviel Qual in ihm auf.
»Und du weißt auch nicht, wohin du gegangen bist?«
»Mein Ehrenwort: nein!«
»Du hast niemand unterwegs getroffen?«
»Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen!«
»Besinne dich doch, Erich! Denke doch, wie leicht ist es möglich! – Es wohnen so viel Bekannte von uns im Tiergartenviertel!«
»Ich weiß es nicht! – Alles, alles ist total wie ausgelöscht!«
»Denke nach – bist du vielleicht durch den Tiergarten gegangen oder über die Charlottenburger Chaussee oder über die Linden?«
»Über die Linden?« fragte wie in einem tiefen Traum Soltau.
»Denke nach, könnte dich am Ende jemand gesehen haben? Denke doch, dann wärst du ja gerettet! – Herrgott im Himmel, wer könnte denn so spät in der Nacht noch auf der Straße sein? Vielleicht Kerzner – oder Leutnant von Massow?«
Soltau schüttelte den Kopf.
»Oder Wilhelmi oder – um Himmels willen – Maretzki vielleicht?«
»Nein, nein, Sanders, es ist vergeblich!« wehrte sich Soltau.
»Oder« – fragte hartnäckig Sanders, »oder jemand vom Klub? – Vielleicht Mohl – aber nein, der nicht, der hat sich ja nach dir erkundigt; der hat dich ja schon lange nicht mehr gesehen!«
»Mohl?« Soltau fuhr erschreckt auf. »Mohl – der Klub?« Er starrte wie träumend über Sanders hinweg.
Sanders sah es sofort, daß irgend etwas in Soltaus Erinnerung rege wurde. »Um Gottes willen, Erich, besinne dich! Was träumst du, was kommt dir ins Gedächtnis? Denke an den Klub oder an Mohl, vielleicht liegt hier die Rettung!«
»Warte, Sanders«, sprach Soltau langsam, wie jemand, der aus einem tiefen Schlaf erwacht. »Warte, mir ist, als dämmert irgendwo ein Licht. Mohl – der Klub – frage mich, bitte, frage mich, ich hoffe – ich glaube, ich komme auf irgend etwas!«
»Hast du am Ende irgendeinen von Mohls Freunden gesehen?«
»Einen Moment« – sprach Soltau mit starren Augen. »Jetzt steigt es langsam vor mir auf. Laß sehen, ich besinne mich, ich ging aus dem Haus – weiter, auf meinem Wege war irgendwo ein Schutzmann, er sah mich an, ich beachtete ihn nicht – aus!« Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, wie um etwas Entschwundenes festzuhalten.
»Und dann – und dann?« fragte fieberhaft erregt Sanders.
»Und dann – – – dann war ich im Tiergarten und ging die Allee herauf, die Siegesallee.« Er sprach stammelnd wie ein Kind. »Ging bis zur Siegessäule, da setzte ich mich auf eine Bank.«
»Weiter, weiter!« drängte Sanders.
»Es geht nicht so schnell!« wehrte Soltau. Er legte die Hand an den Kopf. »Ich sitze in einem Wagen, wir sind am Brandenburger Tor« – –
»Was? In einem Wagen? Mit wem? – Mit wem saßest du im Wagen?«
Schweigen.
»Mit wem? – Besinne dich doch! – Mit einem Mann oder einer Frau?«
»Mit – mit – mit einer Frau!« rief plötzlich laut Soltau. Und sofort setzte er hinzu: »Mit Frau – mit – – – mit Frau von Zemlinska!« Und er schlug sich dabei mit der Hand vor den Kopf.
»Mit der Freundin Mohls?« fragte in tiefstem Erstaunen Sanders.
»Ja!« erwiderte er nachdenkend, grübelnd. »Ja, mit Frau von Zemlinska! – – – Wie war's nur? – Ich saß auf der Bank, und der Morgen kam schon herauf. – Eine Equipage kommt vorbei, mit zwei Rappen bespannt. Im Fond eine Dame. Sie läßt den Kutscher halten und ruft: ›Herr Soltau!‹ Ganz weich und hell herüber: ›Herr Soltau!‹ Ich stehe auf und gehe zur Equipage. ›Kommen Sie, steigen Sie ein!‹ sagt sie und lacht und blitzt mich aus ihren schwarzen Augen an. Und dann wirft sie den Kopf zurück: ›Kommen Sie, wir fahren hinunter zu Riche!‹ Ich stieg ein und fuhr mit ihr die Linden hinunter zum Restaurant Riche.«
»Und du trafst da Bekannte?« fragte Sanders gespannt.
Soltau schwieg einen Moment. Plötzlich machte er eine lebhafte Bewegung. Nun erst schien die Erinnerung in ihm völlig erwacht zu sein. »Ja«, sagte er, »Kersow vom Klub und zwei Freunde von ihm und den langen Strehlen.«
Sanders machte hastig Aufzeichnungen in sein Notizbuch.
»Wir tranken«, fuhr Soltau fort. »Frau von Zemlinska saß neben mir und plauderte unaufhörlich mit mir; sie fragte mich tausend Dinge. Ja – und dann – ich glaube, ich war wie toll. Sie stand auf, schritt hinaus – ich ihr nach, in einer dunklen Nische des Korridors – – packte ich sie beim Kopf und küßte sie auf den Mund. – – Und da – – kam mir der Gedanke an Cecily. – – Ich riß mich los und rannte wie toll auf die Straße. Es war mir, als wäre ich mit irgendeinem schrecklichen, narkotischen Mittel vergiftet worden. Ich war halb besinnungslos – rannte an den Leuten vorbei, die mich anstarrten und mir etwas nachschrien. Und dann – ich weiß nichts mehr. – Wie eine Wolke ist alles vor meinen Augen. – Plötzlich fand ich mich in einer Zelle – – im Gefängnis! – Ich kann es mir und dir gar nicht erklären« –
»Vorläufig nicht nötig!« bemerkte Sanders. Und trocken fügte er hinzu: »Das genügt mir. Ich glaube, ich kann dir versprechen: Heute abend bist du frei!«