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VIII.
Ein Weib wagt

Es war Nachmittag, und Cecily befand sich im Garten. Prüfend durchforschte sie alle die Wege noch einmal, die Sanders und Redberg in der Nacht abgesucht hatten. Sie ging um den Schuppen herum, und als sie auf der andern Seite des Hauses, unter dem Fenster des Arbeitszimmers war, konnte sie sich eines leichten Lächelns nicht erwehren, als sie an die nächtliche, unerwartete Begegnung zwischen Sanders und dem Kriminalkommissar dachte, von der Sanders ihr erzählt hatte.

Doch als ihr Blick hinauf zum Arbeitszimmer schweifte, wurde sie plötzlich ernst. Dies war ja der Raum, in dem ihr Vater zum letztenmal geweilt hatte! – Oh, wenn doch ihr Blick die Mauern durchdringen könnte, wenn sie doch in das Geheimnis des kleinen Zimmers eindringen dürfte!

Sie stand in dem wundervollen Gründunkel, das die dichten Äste der alten Linde verbreiteten. Sie schloß im Schatten einen Moment die Augen: Oh, man müßte sich konzentrieren, mit Aufbietung aller Willenskräfte das Wesentliche der Spuren herausfinden können. Und sie irrte mit den Gedanken hin und her! Fast mutlos öffnete sie die Augen, um weiterzugehen. Da fiel ihr Blick auf einen kleinen, hellzitternden Fleck, den ein Sonnenstrahl, der sich durch eine Lücke im Laub stahl, auf der Erde hin und her tanzen ließ. Ihr fiel sofort Sanders' Erzählung ein, wie er hier, an derselben Stelle, im Mondlicht das seidene Klubabzeichen gefunden hatte. Plötzlich durchschoß es sie wie ein Blitz: Das Klubzeichen! Das war's! Das war die Hauptspur. Sie rief sich alles ins Gedächtnis zurück, was Sanders berichtet hatte, wie der Kriminalkommissar daraus seine Schlüsse zog, wie er behauptete, Soltau müsse es hier bei einer Anstrengung, einem Kampf mit ihrem Vater verloren haben, und wie Soltau sein eigenes Klubband nicht zeigen konnte, sondern angab, er habe es vor Monaten schon verloren. Sicher lag hier eine Verkettung von unglückseligen Umständen vor. Sie glaubte Erich Soltau aufs Wort. Aber wenn er unschuldig war – und sie war davon überzeugt –, irgend jemand mußte doch das kleine Seidenband verloren haben! Aber wer? – Natürlich ein Mitglied des Klubs. Doch wer konnte das sein? Sanders hatte es nicht verloren, und sonst kannte sie außer Soltau und ihm niemand, der Mitglied des Westen-Klubs war. Also hatte ein Unbekannter das Band verloren!

O Gott, welch eine tolle Verwicklung! Sie war überzeugt, derjenige, der das Band hier innerhalb des Grundstücks verloren hatte, der wußte vom Verschwinden ihres Vaters, der war der Täter.

Die Spur führte also zum Klub hin, das war deutlich. Doch da fiel ihr ein: das erste und wichtigste war, diesen Klub kennen zu lernen, Einblick in ihn zu erhalten. Aber wie sollte sie das anfangen? Das einzige, was ihr bekannt war, bildete ein unüberwindliches Hindernis: der Westen-Klub war ein Herrenklub, in dessen Räume noch nie eine Dame Zutritt erlangt hatte. Und sie durfte doch niemand nach dem Klub fragen, das hätte die Leute unsicher und verwirrt gemacht, hätte Verdacht erregt. Dann wieder war es ihr klar, daß sie nur etwas erreichen könne, wenn sie mit eigenen Augen selbst beobachtete, sich Einblick in das Leben und Treiben des Klubs, Kenntnis seiner Mitglieder verschaffte. Schien das nicht unmöglich? In verzweifeltem Sinnen ging sie umher. Und doch, gab es etwas, das für die Liebe unmöglich war?


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