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Der Kuß Roxanens
Ein kleiner Platz im Marais (einem alten Pariser Stadtviertel). Altertümliche Häuser; Ausblick in mehrere Gassen.
Rechts das Haus Roxanens und die Mauer ihres Gartens, über welche dichtes Laubwerk nach vorn überhängt; über der Tür ein Fenster mit Balkon; neben der Tür eine Bank.
Efeu überspinnt die Mauer; Jasmin umrankt den Balkon. Über die Bank und die vorspringenden Steine der Mauer ist der Balkon leicht zu erklettern.
Gegenüber ein altes Haus von gleicher Bauart, Stein und Ziegel, mit einer Eingangstür. Der Türklopfer ist in Leinwand eingewickelt wie ein kranker Daumen.
Beim Aufgehen des Vorhangs sitzt die Duenna auf der Bank. Das Balkonfenster steht weit offen.
Vor der Duenna steht Ragueneau, in eine Art von Livree gekleidet. Er beendet, sich die Augen wischend, eine Erzählung.
Ragueneau. Die Duenna. Dann Roxane, Cyrano und
zwei Pagen.
Rageneau.
... Sie lief davon mit einem Musketier!
Ich hing mich auf, von Leid und Not bedrängt;
Doch Herr Cyrano hat mich wieder abgehängt
Und machte mich zum Haushofmeister hier.
Duenna.
Wie sind Sie denn in solche Not geraten?
Ragueneau.
Ich war den Dichtern hold, sie den Soldaten!
Mars aß die Kuchen, die Apoll verschonte:
Kein Wunder, wenn sich das Geschäft nicht lohnte!
Duenna
(erhebt sich und ruft nach dem offenen Fenster hin). Roxane, noch nicht fertig?
Stimme Roxanens
(von oben). Ja, sofort!
Duenna
(zeigt Ragueneau das Haus gegenüber).
Clomire nämlich lud uns ein. Sie hat
Empfangstag heut in ihrem Hause dort.
Ein Vortrag über Minne findet statt.
Ragueneau.
Minne?
Duenna
(verschämt).
Ja! ...
(Nach dem Fenster rufend.) Schnell!
Damit uns nicht entrinne
Der Anfang von dem Vortrag über Minne!
Stimme Roxanens.
Gleich!
(Man hört eine sich nähernde Musik von Saiteninstrumenten.)
Stimme Cyranos
(hinter der Szene singend).
La! La! La!
Duenna
(überrascht). Musik?
Cyrano
(kommt, gefolgt von zwei Pagen, welche Theorbe spielen.)
Falsch der Akkord!
Fis! Fis! Nicht f, du Äffchen!
Erster Page
(ironisch). Zählen Sie
Vielleicht gar selber zu den Virtuosen?
Cyrano.
Meinst du, daß ich umsonst bei Gassendi
Musik studiert?
Der Page
(spielend und singend).
La! La!
Cyrano
(entreißt ihm die Theorbe und nimmt die Melodie auf).
Gib her! Ich fahre fort ...
La! La.
Roxane
(auf dem Balkon erscheinend).
Sie sind's!
Cyrano
(in der Melodie weiter singend).
Und meiner Grüße Schar
Neigt sich vor Ihren Lilien und Ro...sen.
Roxane.
Ich komm hinab!
(Sie verläßt den Balkon.)
Duenna
(auf die Pagen deutend).
Was für ein Künstlerpaar!
Cyrano.
Ein Wettgewinst. Ein Freund und ich, wir stritten
Grammatikalisch über eine Regel ...
Da plötzlich zeigt er mir die beiden Flegel,
Die klimpertatzig ihm auf allen Schritten
Nachlaufen müssen, und ruft laut: »Ich wette
Um einen Tag Musik!« Topp! Er verlor,
Und bis Gott Phöbus wieder steigt empor,
Schlepp ich die zwei samt ihrem Lautenspiel
Am Beine nach als melodiöse Kette.
Zuerst war's hübsch; nun wird's mir schon zuviel.
(Zu den Pagen.)
He! Gebt in meinem Namen ein Konzert
Vorm Hause Montfleurys!
(Die Pagen gehen nach dem Hintergrund. Zur Duenna.)
Ich möcht' erkunden,
Ob immer noch Roxane ...
(Zu den abgehenden Pagen.)
Kratzt und plärrt!
(Zur Duenna.)
... an ihrem Liebsten keinen Fehl gefunden.
Roxane
(tritt aus dem Hause).
Ach, er ist schön und geistvoll und geliebt.
Cyrano
(lächelnd).
Hat er viel Geist?
Roxane.
Mehr, als Sie selber haben!
Cyrano.
Natürlich.
Roxane.
Ja, die Welt hat keinen zweiten,
Der jedes Nichts mit solchem Glanz umgibt!
Manchmal verbirgt er stockend seine Gaben;
Dann aber spricht er wieder Kostbarkeiten!
Cyrano
(ungläubig).
Ach nein!
Roxane
(ärgerlich).
Euch Männern gilt das für erledigt:
Der Schönheit müss' es stets an Geist gebrechen!
Cyrano.
Kann er denn geistreich von der Liebe sprechen?
Roxane.
Er von ihr sprechen! Mehr als das: er predigt!
Cyrano.
Schreibt er?
Roxane.
Und wie! Zum Beispiel:
(Sie deklamiert:)
»Ganz in eines
Verschmelzen sich zwei Herzen.«
(Triumphierend.) Nun?
Cyrano
(geringschätzig). Recht gut!
Roxane.
Sodann: »Du stahlest mir ein Herz voll Glut,
Und zum Ersatze nun verlang ich deines.«
Cyrano.
Bald
eins, bald zwei hat er sich ausgebeten.
Wie viele Herzen will er nun?
Roxane.
O schmählich!
Das ist die Eifersucht ...
Cyrano
(zitternd). Wie?
Roxane.
Des Poeten!
Und klingt nicht folgendes unwiderstehlich?
»Mein Mut zerschellt an deines Reizes Klippen;
Doch gäb' es Küsse, die man nur geschrieben,
Du läsest meine Briefe mit den Lippen!«
Cyrano
(vor Befriedigung unwillkürlich lächelnd).
Hm! Diese Wendung ist ...
(sich beherrschend, geringschätzig)
recht übertrieben.
Roxane.
Und ferner ...
Cyrano
(entzückt). Können Sie denn jede Zeile
Auswendig?
Roxane.
Jede!
Cyrano.
Weit hat er's gebracht!
Roxane.
Er ist ein Meister!
Cyrano
(bescheiden abwehrend).
Oh!
Roxane
(mit Entschiedenheit).
Ein Meister!
Cyrano.
Abgemacht!
Duenna
(die nach dem Hintergrund gegangen war, kommt schnell nach vorn).
Graf Guiche!
(Zu Cyrano, ihn nach dem Hause zu drängend.)
Ich bitte, gehn Sie mittlerweile
Ins Haus hinein. Er soll Sie nicht erblicken;
Sonst könnt' er wittern ...
Roxane
(zu Cyrano). Was geheim ich hüte.
Er liebt mich und hat Macht genug, die Blüte,
Die mich beglückt, mit rauher Hand zu knicken.
Cyrano
(ins Haus gehend).
Gut!
Roxane. Guiche. Duenna (im Hintergrund).
Roxane
(zu Guiche, mit einem Knicks).
Ausgehn wollt' ich grad ...
Guiche.
Und ich will Abschied nehmen.
Roxane.
Sie reisen?
Guiche.
In den Krieg.
Roxane.
Ah!
Guiche.
Heut noch.
Roxane.
Oh!
Guiche.
Ja, zur Belagerung von Arras.
Roxane.
So?
Guiche.
Dies Lebewohl scheint Sie nicht sehr zu grämen.
Roxane.
Doch!
Guiche.
Mir wird's schwer, so lange Sie zu missen.
Man hat zum Oberst mich ernannt; Sie wissen?
Roxane
(gleichgültig).
Bravo!
Guiche.
Vom Gardecorps.
Roxane
(betroffen). Vom Gardecorps?
Guiche.
In dem Ihr Vetter dient. Ich will gebührlich
Vergelten seinen beißenden Humor!
Roxane
(angstvoll).
Die Garden müssen mit ins Feld?
Guiche
(lachend). Natürlich.
Roxane
(auf die Bank sinkend, für sich).
Christian!
Guiche.
Was haben Sie?
Roxane.
Mein Herz wird brechen! ...
Im Krieg zu wissen, wen's am liebsten mag!
Guiche
(freudig überrascht).
Das erste holde Wort am Trennungstag!
Roxane
(in anderem Ton, sich fächelnd).
Sie wollen sich an meinem Vetter rächen?
Guiche
(lächelnd).
Sind Sie für ihn?
Roxane.
Im Gegenteil!
Guiche.
Sie sehen
Ihn oft?
Guiche.
Meist mit ihm zu gehen
Pflegt dieser ...
(er sucht nach dem Namen)
Neu ...
Roxane.
Der lange junge Mann?
Guiche.
Blond!
Roxane.
Rot!
Guiche.
Hübsch!
Roxane.
Pah!
Guiche.
Doch dumm.
Roxane.
Man sieht's ihm an.
(In anderem Ton.)
Wenn Sie jedoch Cyrano der Gefahr
Aussetzen, die er liebt heißt das an Rache denken?
Ich wüßte, was ihn tödlich würde kränken.
Guiche.
Nun?
Roxane.
Wenn zurückgelassen in Paris
Samt seiner teueren Kadettenschar
Dem Krieg er müßig zusieht. Ja, nur dies
Verwundet ihn; nur wer im sichern Hafen
Ihn vor dem Sturm behütet, kann ihn strafen.
Guiche.
O Weiber! Niemand kommt in diesem Fache
Euch gleich!
Roxane.
Das würd' ihn martern bis aufs Blut,
Ihn und die Freunde; das wär' eine Rache!
Guiche
(sich ihr nähernd).
Sind Sie mir in der Tat ein wenig gut?
(Sie lächelt.)
Der Beistand, den Sie meinem Haß verliehn,
Ist ein Beweis von Neigung.
Roxane.
Ohne Frage.
Guiche
(mehrere versiegelte Schriftstücke hervorziehend).
Der Marschbefehl, den ich hier bei mir trage,
Gelangt sogleich an alle Kompanien.
(Er sondert ein Schriftstück ab.)
Nur der für die Kadetten ...
(es in die Tasche steckend) bleibt zurück.)
(Lachend.)
Haha! Das wird ihn von der Prahlsucht heilen!
Sie foppen wohl die Leute gern?
Roxane.
Zuweilen.
Guiche
(ihr ganz nahe tretend).
Es macht mich toll! Heut, wo das höchste Glück
Mir endlich winkt heut muß ich Sie verlassen!
O hören Sie! Dort liegt, nur ein paar Gassen
Entfernt, ein Kloster frommer Kapuziner.
Kein Laie dringt in ihre Einsamkeit.
Mich aber lassen wohl die Gottesdiener
In ihren Ärmel schlüpfen: er ist weit.
Da sie den Dienst bei Richelieu besorgen,
Erzittern sie vor seines Neffen Macht.
Man glaubt mich abgereist; in Maskentracht
Kehr ich zurück und bleibe noch bis morgen!
Roxane.
Wenn man's erfährt Ihr Name ...
Guiche.
Pah!
Roxane.
Die Pflicht ...
Guiche.
Gestatten Sie ...?
Roxane.
Nein.
Guiche.
Du gestattest nicht?
Roxane.
Sie sollen reisen!
Guiche.
Doch ...
Roxane
(für sich). Christian bleibt da!
(Laut.) Sei'n Sie ein Held Antoine!
Guiche.
Dies Wort belebt!
Sie lieben ...
Roxane.
Ihn, für den ich so gebebt.
Guiche
(entzückt).
Ich reise!
(Ihr die Hand küssend.) Sind Sie nun zufrieden?
Roxane
(zärtlich). Ja!
(Guiche geht ab.)
Duenna
(Roxane nachahmend, macht ihm hinter seinem Rücken einen komischen Knicks.)
Ja!
Roxane
(zu Duenna).
Sag Cyrano nichts! Er würde grollen,
Weil ich ihm seinen lieben Krieg geraubt.
(Sie ruft ins Haus.)
Vetter!
Roxane. Duenna. Cyrano.
Roxane
(nach der Tür gegenüber zeigend).
Clomire wartet längst. Wir wollen
Den Vortrag hören.
Duenna
(besorgt). Wenn's nicht überhaupt
Zu spät ist!
Cyrano
(zu Roxane). Meinen Gruß dem Narrenhause!
(Roxane und Duenna sind an Clomirens Haustür angelangt.)
Duenna
(begeistert).
Mit Leinwand zugewickelt ist der Klopfer!
(Zum Türklopfer.) Damit du nicht das zarte Musenopfer
Mit deinem plumpen Lärme störst Banause!
(Sie hebt ihn mit größter Behutsamkeit auf und klopft ganz zart.)
Roxane
(auf der Schwelle der geöffneten Tür, zu Cyrano).
Christian soll warten, wenn er kommt!
Cyrano
(während sie hineingehen will, rasch).
Hm, ich ...
(Sie dreht sich um.)
Worüber soll sich heut sein Redeschwung
Verbreiten?
Roxane.
Über ...
Cyrano
(eifrig). Über?
Roxane.
Doch Sie schweigen!
Cyrano.
Oh, wie das Grab!
Roxane.
Ich werd ihm sagen: Sprich
Von Liebe, feurig, voll Begeisterung,
Mit allem Glanz und Zauber, der dir eigen!
Cyrano
(lächelnd).
Schön!
Roxane.
Doch kein Wort!
(Sie schließt die Tür hinter sich.)
Cyrano
(ihr eine Verbeugung nachsendend). So recht!
Roxane
(noch einmal den Kopf herausstreckend).
Denn er bereitet
Sich sonst drauf vor.
Beide
(gleichzeitig). Kein Wort!
(Sie schließt die Tür.)
Cyrano
(ruft).
Christian!
Cyrano. Christian.
Cyrano.
Schon hab ich alles eingeleitet.
Du wirst heut prangen! Schau nicht brummig drein!
Schärf dein Gedächtnis und komm schnell mit fort
Zu deinem Haus! Ich will dich lehren ...
Christian.
Nein!
Cyrano.
Wie?
Christian.
Hier erwart ich sie.
Cyrano.
Mensch, rasest du?
Komm mit und lerne ...
Christian.
Nein, ich hab es satt,
Mit stetem Zittern jedes Wort und Blatt
Dir nachzukäu'n! Im Anfang gab ich's zu.
Doch nun ich weiß, daß ich ihr Herz gewann,
Will ich getrost auf eignen Füßen stehn.
Cyrano.
O weh!
Christian.
Bezweifelst du, daß ich es kann?
Ich bin nicht gar so dumm! Du wirst schon sehn.
In deiner guten Schule ward ich klug,
Und wenn ich redend nicht den Sieg gewinne,
Ei, schließlich ist mein Kuß beredt genug!
(Er bemerkt Roxane, die aus Clomirens Hause tritt.)
Sie kommt! Geh nicht, Cyrano! Weile noch!
Cyrano.
Sprich nur allein!
(Er verschwindet hinter der Gartenmauer.)
Christian. Roxane. Duenna.
Roxane
(verabschiedet sich von einer Gesellschaft, welche mit ihr Clomirens Haus verlassen hat, unter umständlichen Komplimenten).
Lebt wohl!
Duenna
(trostlos). Nun also doch
Versäumten wir den Vortrag über Minne!
(Sie geht in Roxanens Haus.)
Roxane
(immer noch Abschied nehmend).
Lebt wohl!
(Alle verneigen sich vor Roxane, dann abermals voreinander, trennen sich und entfernen sich durch verschiedene Straßen. Roxane sieht Christian.)
Christian!
(Sie geht zu ihm.) Es dunkelt. Einsam ruhn
Die Straßen. Kommen Sie! Wo sind wir stehngeblieben?
Christian
(setzt sich neben sie auf die Bank; nach einer kleinen Pause).
Ich liebe Sie.
Roxane
(die Augen schließend).
Ja, sprechen Sie vom Lieben!
Christian.
Ich liebe dich.
Roxane.
Dies ist das Thema; nun
Verzieren Sie's!
Christian.
Ich liebe dich so heiß ...
Roxane.
Ja. Weiter!
Christian.
Weiter ... Ach, wenn ich nur weiß,
Ob Sie mich lieben! Liebst du mich, Roxane?
Roxane
(die Nase rümpfend).
Sie bieten saure Milch, und ich will Sahne.
Erklären Sie, wie Sie mich lieben!
Christian.
Sehr.
Roxane.
In welcher Art?
Christian.
Mehr als ich sagen kann!
Roxane.
Christian!
Christian.
Ich liebe dich!
Roxane
(will aufstehen). Das sagten Sie vorher.
Christian
(sie lebhaft zurückhaltend).
Nein, nein, ich liebe nicht!
Roxane
(setzt sich wieder). Ach?
Christian.
Denn ich bete an!
Roxane
(steht auf und entfernt sich von ihm).
Oh!
Christian.
Den Verstand verlier ich!
Roxane.
Leider ja,
Und Unverstand macht selbst die Schönheit häßlich.
Christian.
Indes ...
Roxane.
Für heute scheint Ihr Geist entflohn.
Christian.
Ich ...
Roxane.
Ja, Sie lieben mich. Gut Nacht.
(Sie geht auf das Haus zu.)
Christian.
Bleib da!
Vernimm ...
Roxane
(die Haustür öffnend).
Sie beten an; das weiß ich schon.
Gehn Sie!
Christian.
Doch ...
(Sie schließt ihm vor der Nase die Tür.)
Cyrano
(der einen Augenblick zuvor unbemerkt wieder eingetreten ist).
Der Erfolg ist unermeßlich!
Christian. Cyrano. Später die Pagen.
Christian.
O hilf mir!
Cyrano.
Nein!
Christian.
Ich muß um jeden Preis
Sie gleich versöhnen!
Cyrano.
Gleich? Um Himmels willen!
Vermöcht' ich denn so schnell dich einzudrillen?
Christian
(ihn beim Arm packend).
Schau dort!
(Hinter dem Balkonfenster ist Licht angezündet worden.)
Cyrano
(bewegt).
Ihr Fenster.
Christian.
Ich muß sterben ...
Cyrano.
Leise!
Christian
(ganz leise).
Sterben!
Cyrano.
Die Dunkelheit! ...
Christian.
Nun?
Cyrano.
So wird's gehn!
Du Schelm verdienst zwar nicht ... Stell dich hier hin!
Ich will
Dort, unter dem Balkon, verborgen stehn
Und dir soufflieren!
Christian.
Aber wenn ...
Cyrano.
Sei still!
Die Pagen
(im Hintergrund erscheinend, zu Cyrano).
He!
Cyrano
(macht ihnen ein Zeichen, daß sie leise sprechen sollen). Pst!
Erster Page
(halblaut).
Wir brachten Montfleury das Ständchen.
Cyrano
(schnell und leise).
Verteilt euch an die beiden Straßenendchen.
Paßt auf, und naht sich jemand, zeigt es an
Mit einem Tonstück!
Zweiter Page.
Welches Tonstück soll
Das sein, Herr Virtuose?
Cyrano.
Kommt ein Mann,
Dann spielt in Dur, und kommt ein Weib, in Moll.
(Die Pagen gehen nach entgegengesetzten Richtungen ab.)
Ruf sie!
Christian.
Roxane!
Cyrano
(liest Kiesel auf und wirft sie gegen das Fenster).
Steinchen, an die Scheibe!
Roxane
(das Fenster halb öffnend).
Wer ruft?
Christian.
Ich!
Roxane.
Wer?
Christian.
Ich, Christian, bin's.
Roxane
(geringschätzig). Ach, der!
Christian.
Ich muß Sie sprechen.
Cyrano
(unter dem Balkon zu Christian).
Gut. Mehr Flüsterton.
Roxane.
Sie sprechen mir zu schlecht. Gehn Sie nach Haus!
Roxane.
Sie lieben mich nicht mehr!
Christian
(welchem Cyrano souffliert).
Nicht mehr?! Viel mehr,
Viel mehr ... als ... jemals.
Roxane
(welche das Fenster schließen wollte, hält inne),
Das war besser schon.
Christian
(wie oben).
Die Liebe wuchs, gewiegt ... vom Glutverlangen,
So wild und groß, daß ... man vor ihr erschrickt.
Roxane
(auf den Balkon heraustretend).
Schon besser! Doch warum hat man den Rangen
Nicht in der Wiege schon erstickt?
Christian
(wie oben).
Ich hab es ... tausendmal versucht; indes
Der ... Neugeborne war ein ... Herkules.
Roxane.
Viel besser!
Christian
(wie oben).
Schnell hat er ... die beiden Ottern
Erwürgt ... den Stolz und ... Zweifel.
Roxane
(sich auf das Geländer des Balkons lehnend).
Gut gesagt;
Sehr gut! Nur weiß ich nicht, warum Sie stottern.
Ist Ihre Phantasie von Gicht geplagt?
Cyrano
(zieht Christian unter den Balkon und schlüpft an seinen Platz).
So geht's nicht! Wart! Ich selbst ...
Roxane.
Warum so träg
Sind Ihre Worte?
Cyrano
(halblaut sprechend, wie Christian).
Weil durch nächt'gen Flor
Sich jedes tasten muß nach Ihrem Ohr.
Roxane.
Die meinen finden leichter ihren Weg.
Cyrano.
Das glaub ich gern! Mit schwebendem Gefieder
Ziehn sie mir gradeswegs ins Herz hinein:
Mein Herz ist groß; Ihr Ohr jedoch ist klein.
Auch steigen Ihre Worte leicht hernieder;
Die meinen gehn bergauf, und das ist schwer.
Roxane.
Sie gehn viel besser nun, als kurz vorher.
Cyrano.
Nun sind sie mit der Kletterkunst vertraut.
Roxane.
So sehr, daß sie zugleich auch mich erhöhten.
Cyrano.
Ja, wenn so hoch herab ein harter Laut
Aufs Herz mir fiele, würd' er flugs mich töten.
Roxane
(mit einer Bewegung),
Ich komme!
Cyrano
(rasch). Nein!
Roxane.
Erklimmen Sie die Bank!
Cyrano
(erschreckt zurückweichend).
Nein!
Roxane.
Wie?
Cyrano
(mehr und mehr hingerissen).
Nein, dieser Stunde sag ich Dank,
Wo wir so lieblich miteinander flüstern
Und uns nicht sehn.
Roxane.
Nicht sehn?
Cyrano.
Ist's nicht ein Traum?
Wir sind uns nah und ahnen uns doch kaum.
Sie sehen, daß ein Mantel schleift im Düstern,
Ich seh des weißen Sommerkleides Flimmer:
Ich bin ein Schatten nur, Sie nur ein Schimmer.
O wüßten Sie, was dies für mich bedeute!
Denn war ich je beredt ...
Roxane.
Sie waren's oft!
Cyrano.
Nein, was mein Innerstes erbangt und hofft,
Verschweig ich noch.
Roxane.
Warum?
Cyrano.
Weil ich ... bis heute
Gebannt war ...
Roxane.
Wie?
Cyrano.
Von Ihrer Augen Strahl!
Doch von dem Zauber dieser Nacht berauscht,
Sprech ich mit Ihnen heut zum erstenmal!
Roxane.
Drum klingt auch Ihre Stimme wie vertauscht.
Cyrano
(sich nähernd, leidenschaftlich).
Ja; denn das Dunkel raubte mir die Scheu.
Jetzt wag ich erst ...
(Er hält verwirrt inne.) Ich weiß nicht, was ich spreche!
Dies alles o verzeihn Sie mir die Schwäche
Dies ist für mich so wonnig und so neu!
Roxane.
So neu?
Cyrano
(sucht sich vergeblich zu sammeln).
So neu ... Denn jedesmal verlor
Ich meinen Mut ... aus Furcht vor Scherzen ...
Roxane.
Scherzen?
Wieso?
Cyrano.
Weil ich ... ein Schwärmer bin. Dem Herzen
Bind ich aus Scham den Geist als Maske vor
Und muß mich, wenn ich Sterne möchte pflücken,
Aus Angst vor Spott nach Redeblümchen bücken.
Roxane.
Sehr hübsch sind Redeblümchen.
Cyrano.
Heute nicht!
Roxane.
So hört' ich Ihre Stimme niemals klingen!
Cyrano.
Heut nichts vom Liebespfeil, von Amors Schlingen!
Frisch sei der Kranz, den unsre Liebe flicht,
Und statt vom Musenquell ein Tröpfchen nur
Aus einem goldnen Fingerhut zu schlürfen,
Soll unsre Seele heut sich tränken dürfen
Vom großen, breiten Strome der Natur!
Roxane.
Jedoch der Geist ...
Cyrano.
Verlockte Sie zum Bleiben.
Jetzt aber wär' es Kränkung dieser Nacht
Und all der Düfte, die ringsum erwacht,
Zu sprechen, wie gezierte Dichter schreiben.
Ein einz'ger Blick empor zu den Gestirnen
Und unser künstlich Feuerwerk verschwand.
Ich fürchte, daß in unsern zarten Hirnen
Von ehrlichem Gefühl nichts übrigbliebe,
Wenn wir uns beugten vor so leerem Tand;
Denn feinste Feinheit wird zur kleinsten Kleinheit.
Roxane.
Jedoch der Geist ...
Cyrano.
Ich haß ihn in der Liebe!
Vorlaut zerstört er unsres Herzens Einheit!
Denn unausbleiblich kommen wird die Zeit
Und wem sie nicht kommt, der ist zu beklagen ,
Wo mit so heil'gem Ernst die Herzen schlagen,
daß jeder Redezierat ihn entweiht.
Roxane.
Und kommt die Zeit, in was für Worten dann
Wird sich Ihr Herz ergehn?
Cyrano.
In allen, allen,
Die mich in bunter Wildheit überfallen,
Bevor ich sie zum Sträußchen binden kann:
Ich liebe dich, bin toll, verrückt, von Sinnen;
Zum Glockenspiele machtest du mein Herz,
Und weil es bebt in Sehnsucht und Frohlocken,
Drum tönt dein Name laut von allen Glocken.
Nichts, was die Liebste tut, kann mir entrinnen:
Du trugst vergangnes Jahr am neunten März
Anders dein Haar geordnet als am achten.
Entschwindet mir's, dann scheint der Tag zu nachten,
Wer sich zu lang der Sonne zugewendet,
Der sieht ein goldnes Rund an allen Ecken,
Und ich, von deiner Locken Glanz geblendet,
Gewahre, von dir fern, rings blonde Flecken.
Roxane
(mit bewegter Stimme).
Ja, das ist Liebe ...
Cyrano.
Dies Gefühl, das mich
Hinreißt in Eifersucht und Leidenschaft,
Ist wahrlich Liebe, hat die Qual und Kraft
Der Liebe und verlangt doch nichts für sich.
Mein Heil, ich gäb' es für das deine gern,
Und ewig bliebe dir mein Tun verschwiegen;
Den Abglanz nur möcht' ich erspähn von fern
Des Glücks, das meinem Opfer wär' entstiegen!
Ein jeder Blick von dir läßt eine Tat,
Läßt eine neue Tugend in mir reifen!
Verstehst du nun? Beginnst du zu begreifen,
Daß durch die Nacht dir meine Seele naht?
O süße, süße Nacht! O holdes Werben!
Dies alles sag ich, und sie lauscht mir, sie!
Das ist zu viel! So hoch verstieg sich nie
Mein kühnstes Hoffen. Könnt' ich jetzt nur sterben!
Die Liebeskraft, die meinen Worten eigen,
Läßt sie dort zittern zwischen blauen Zweigen!
Ja, ja, Sie zittern wie das Laub im Wind!
Du zitterst! Und am leisen Blätterweben
Spür ich, wie deiner Hände süßes Beben
Leicht am Jasmingeranke niederrinnt.
(Er küßt leidenschaftlich das Ende eines herabhängenden Zweiges.)
Roxane.
Geliebter, ja, ich zittre, bin entflammt
Und bin berauscht.
Cyrano.
O göttlicher Genuß,
Daß dieser Rausch mir, mir allein entstammt!
Nichts andres fordr' ich mehr als ...
Christian
(unter dem Balkon). Einen Kuß!
Roxane
(zurückprallend).
Wie?
Cyrano.
Oh?!
Roxane.
Sie fordern ...?
Cyrano.
Ich ...
(Leise zu Christian.)
Hab doch Geduld!
Christian.
Nein, jetzt ist sie gerührt; das muß ich nützen.
Cyrano
(zu Roxane).
Ich fordre ... nichts; denn Ihre große Huld
Will ich vor meiner eignen Kühnheit schützen.
Roxane
(ein wenig enttäuscht).
So leicht verzichten Sie?
Cyrano.
Nein ... der Verzicht
Ist schwer! Wenn Ihre Gnade mir verzieh ...
Und dennoch, diesen Kuß ... ich fordr' ihn nicht.
Christian
(Cyrano am Mantel ziehend).
Warum nicht?
Cyrano.
Christian, schweig!
Roxane
(sich vornüber beugend). Was flüstern Sie?
Cyrano.
Weil ich die Fordrung als zu dreist empfand,
Drum sagt' ich zu mir selber: Christian, schweig!
(Die Theorben beginnen zu spielen.)
Doch horch! Man kommt!
(Roxane zieht sich zurück und schließt das Fenster. Cyrano lauscht den Theorben, von denen die eine ein ausgelassenes, die andere ein getragenes Stück spielt.)
Dur? Moll? Zwiefacher Fingerzeig?
Ein Mann? Ein Weib? Es ist ein Mönchsgewand!
(Ein Kapuziner erscheint, mit einer Laterne in der Hand, und geht suchend von Haus zu Haus.)
Cyrano. Christian. Ein Kapuziner.
Cyrano
(zum Kapuziner).
Sind Sie vielleicht Diogenes der Zweite?
Kapuziner.
Wohnt in der Nähe hier ...
Christian.
Verwünschte Störung!
Kapuziner.
Fräulein Robin?
Christian.
Was soll das?
Cyrano
(nach dem Hintergrund zeigend). Rechte Seite!
Gradaus!
Kapuziner.
Ich will für Sie, zum Danke, ganz
Herunterbeten meinen Rosenkranz.
(Er geht ab.)
Cyrano
(ihm nachrufend).
Viel Glück! Und Ihr Gebet gewinn' Erhörung!
Cyrano. Christian.
Christian.
Schaff mir den Kuß!
Cyrano.
Nein!
Christian.
Kommen wird die Zeit ...
Cyrano.
Ja, du hast recht! Erscheinen wird die Stunde,
Wo sich vereint in sel'ger Trunkenheit
Dein blonder Bart mit ihrem roten Munde.
(Halb für sich.)
Ich ziehe vor, weil sie ja kommen muß ...
(Man hört das Fenster sich öffnen. Christian verbirgt sich wieder unter dem Balkon.)
Vorige. Roxane.
Roxane
(auf den Balkon heraustretend).
Sind Sie's? Wir sprachen von ... von ...
Cyrano.
Einem Kuß.
Warum will Ihre Lippe nicht ihn wagen?
Wenn er drauf glüht, sie bleibt doch unversengt.
Warum vor ihm erschrecken und verzagen?
Ward Ihre Tändelei nicht oft verdrängt
Von einer jähen, rätselhaften Trauer?
Ein Lächeln, das in Seufzer überglitt
Und dann in Tränen? Nur noch einen Schritt!
Denn zwischen Trän' und Kuß liegt nur ein Schauer.
Roxane.
O still!
Cyrano.
Wird man durch einen Kuß zum Diebe?
Er ist ein trauliches Gelübde nur,
Ein zart Bekenntnis, ein gehauchter Schwur,
Ein Rosenpünktchen auf dem i der Liebe;
Ein Wunsch, dem Mund gebeichtet, statt dem Ohr,
Ein liebliches Geräusch wie Bienensummen,
Ein Traum der Ewigkeit, ein duftiges Verstummen.
Die Seele schwebt zum Lippenrand empor
Und gibt sich als ein süßes Naschwerk hin.
Roxane.
O still!
Cyrano.
So vornehm ist, so einwandsfrei
Der Kuß, daß ihn selbst Frankreichs Königin
Dem glücklichsten der Lords gewährt hat.
Roxane.
Ei!
Cyrano.
Und so wie Buckingham streb ich vermessen,
Du Königin, empor zu deinen Höhn;
Ich bin wie er elend und treu ...
Roxane.
Und schön
Wie er!
Cyrano
(ernüchtert, halb für sich).
Und schön, das hatt' ich ganz vergessen.
Roxane.
So komm und pflück dies duftige Verstummen.
Cyrano
(Christian nach dem Balkon drängend).
Hinauf!
Roxane.
Das Naschwerk ...
Cyrano.
Steig!
Roxane.
Das Bienensummen ...
Cyrano.
Hinauf!
Christian
(zögernd).
Gleich jetzt? Mir täte Sammlung not ...
Roxane.
Den Traum der Ewigkeit!
Cyrano
(ihn stoßend). Hinauf, Idiot!
(Christian schwingt sich mit Hilfe der Bank, des Laubwerks und der Mauerpfeiler bis zum Balkongeländer und steigt darüber.)
Christian.
Roxane!
(Er umschlingt und küßt sie.)
Cyrano.
Welch ein Herzkrampf! Oh, der Kuß!
Ein Liebesfest, und ich bin Lazarus.
Und doch empfang ich, schmachtend an der Pforte,
Brosamen von dem Mahl, das ihn beglückt:
Er hat ihr Aug' und ich ihr Herz entzückt;
Auf seinen Lippen küßt sie meine Worte!
(Man hört die Theorben.)
Dur Moll: der Kapuziner!
(Er tut, als käme er eben gelaufen, und ruft laut.) He!
Roxane.
Wer rief?
Cyrano.
Ich bin's. Christian noch da?
Christian
(sehr erstaunt). Cyrano, du?
Roxane.
Herr Vetter!
Cyrano.
Guten Tag?
Roxane.
Ich komm im Nu!
(Sie verschwindet ins Haus. Im Hintergrund erscheint der Kapuziner.)
Christian
(den Kapuziner bemerkend).
Schon wieder der!
(Er folgt Roxane.)
Vorige. Der Kapuziner. Ragueneau.
Kapuziner.
Gewiß, hier muß es sein
Robin!
Cyrano.
Sie sagten doch Ro-lin.
Kapuziner.
O nein!
B, i, n bin!
Roxane
(erscheint in der Haustür, gefolgt von Ragueneau, welcher eine Laterne trägt, und Christian).
Was gibt's?
Kapuziner.
Hier ist ein Brief.
Christian.
Wie?
Kapuziner
(zu Roxane).
Sicher handelt er von heil'gen Dingen!
Denn ein sehr frommer Herr ...
Roxane
(zu Christian). Graf Guiche!
Christian.
Er kann es wagen ...
Roxane.
Ja; doch den Sieg wird er sich nicht erzwingen!
(Den Brief öffnend.)
Dich lieb ich und ...
(Beim Licht von Ragueneaus Laterne liest sie leise, beiseite.)
»Fräulein! Die Trommeln schlagen;
Mein Regiment hat Abschied schon genommen;
Man glaubt mich unterwegs; jedoch Ihr Wort
Mißachtend blieb ich in des Klosters Hort.
Ich unterrichte Sie von meinem Kommen
Durch dieses ahnungslose Gottesschaf.
Ihr Lächeln, das mich so verheißend traf
Ich will es wiedersehn in aller Stille!
Vergeben Sie dem kühnen Liebesstreiter,
Der, auf Gewährung hoffend, ist und bleibt
Ihr bis zum Tod getreuer ... und so weiter ...«
(Zum Kapuziner.)
Herr Pater, hören Sie, was man mir schreibt:
(Alle nähern sich ihr; sie liest laut.)
»Fräulein! Wie grausam Ihnen auch der Wille
Des Kardinals erscheint Ihr Sträuben kann
Hier wenig helfen; drum als dienstbereiten
Vollstrecker send ich diesen sehr gescheiten,
Ehrwürd'gen und verschwiegnen Gottesmann.
Heimlich soll er noch heut in Ihrem Haus
Christian und Sie
(das Blatt umwendend) zum Ehepaar verbinden.
Wenn Ihnen dieser Bund auch überaus
Zuwider ist Sie müssen sich drein finden.
Der Himmel selbst wird Ihren Edelsinn
Belohnen, wenn Sie demutvoll und heiter
Sich fügen in Ihr Los. Ich aber bin
Ihr allezeit ergebner ... und so weiter.«
Kapuziner
(strahlend).
Ein frommer Herr! Ich habe gleich gesehn:
Es kann sich nur um heil'ge Dinge drehn!
Roxane
(leise zu Christian).
Hab ich das gut gelesen?
Christian.
Hm!
Roxane
(laut, mit gespielter Verzweiflung).
O Pein!
Kapuziner
(zu Cyrano, ihn mit seiner Laterne beleuchtend).
Sind Sie's?
Christian.
Ich!
Kapuziner
(beleuchtet Christian und wird bei seinem Anblick stutzig). Doch ...
Roxane
(rasch). Nachschrift: »Der Mönch bekomme
Fürs Kloster tausend Franken.«
Kapuziner.
Oh, der fromme,
Der fromme Herr!
(Zu Roxane.) Ergeben Sie sich drein!
Roxane
(mit gepreßter Stimme).
Ich muß wohl!
(Während Ragueneau dem Kapuziner die Tür öffnet und Christian ihn zum Eintreten auffordert, sagt sie leise zu Cyrano.)
Halten Sie Graf Guiche zurück, bis wir ...
Cyrano.
Versteh!
(Zum Kapuziner.) Wie lange wird die Trauung währen?
Kapuziner.
Ein Viertelstündchen.
Cyrano
(sie nach dem Hause drängend).
Geht! Ich bleibe hier.
(Alle, außer Cyrano, ab ins Haus.)
Wie kann ich ihm so lang den Weg erschweren?
(Er springt auf die Bank und klettert zum Balkon hinauf.)
Ich hab's!
(Die Theorben beginnen eine energische Weise.)
Dur! Dur! Ha, diesmal ist's ein Mann!
(Lautes Tremolo.)
Und was für einer!
(Er ist auf dem Balkon angelangt, zieht seinen Hut bis über die Augen herab, legt seinen Degen fort und wickelt sich in seinen Mantel. Dann beugt er sich vor und späht.)
Ja, so wird's gelingen.
(Er steigt über das Geländer, zieht den langen Ast eines der Bäume, welche die Gartenmauer überragen, zu sich heran, und hängt sich mit beiden Händen daran fest, bereit, sich herunterfallen zu lassen.)
Ich will ihm mitten ins Gehege springen!
Cyrano. Graf Guiche.
Guiche
(tritt auf, maskiert, im Dunkeln tappend).
Wo der verdammte Mönch nur stecken kann?
Cyrano.
Doch wenn er an der Stimme mich erkennt?!
(Er läßt mit einer Hand los und tut, als drehe er einen Schlüssel herum.)
Krick, krack!
(Feierlich.) Nun hilf mir, heimischer Akzent!
Guiche
(das Haus musternd).
Ich sehe schlecht. Mir scheint, daß sie hier wohnt.
(Er will eintreten. Cyrano springt vom Balkon, sich an dem Ast festhaltend, der sich herunterbiegt und ihn zwischen der Tür und Graf Guiche absetzt. Als habe er einen schweren Fall aus großer Höhe getan, liegt er platt, wie betäubt, auf dem Boden und regt sich nicht. Guiche, mit einem Satz nach rückwärts.)
Guiche.
Wie? Was?
(Wie er den Blick erhebt, ist der Ast schon zurückgeschnellt. Er sieht nur den Himmel und begreift den Zusammenhang nicht.)
Wo fiel der Mensch herab?
Cyrano
(sich aufrecht setzend, mit Gascogner Akzent).
Vom Mond!
Guiche.
Vom ...?
Cyrano
(wie im Traum). Wieviel Uhr?
Guiche.
Ist er nicht recht gescheit?
Cyrano.
Welch Land ist hier? Und welche Jahreszeit?
Guiche.
Jedoch ...
Cyrano.
Mir schwindelt!
Guiche.
Herr ...
Cyrano.
Mit lautem Krach
Fiel ich vom Mond!
Guiche
(ungeduldig). Ach was!
Cyrano
(aufstehend, mit schrecklicher Stimme).
Es ist notorisch!
Guiche
(zurückweichend).
Meintwegen, ja! Der Mensch ist geistesschwach.
Cyrano
(auf ihn losgehend).
Ich fiel tatsächlich und nicht metaphorisch!
Guiche.
Jedoch ...
Cyrano.
Wie lang ich fiel, wer wird's erkunden?
Ein ganz Jahrhundert oder zwei Sekunden?
Auf dieser safranfarb'gen Kugel stand ich ...
Guiche
(achselzuckend).
Ja. Lassen Sie mich durch!
Cyrano
(ihm den Weg vertretend).
Wo bin ich nur?
Verraten Sie mir doch, in welches Land ich
Gleich einem Meteor herniederfuhr!
Guiche.
Zum Henker!
Cyrano.
Denn im Fallen blieb mir nicht
Die Wahl des Orts, an dem ich landen werde!
Auf welchen Mond hat mich, auf welche Erde
Gezogen meines Hintern Schwergewicht?
Guiche.
Mein Herr, ich ...
Cyrano
(mit einem Schrei des Entsetzens, vor welchem
Guiche zurückweicht). Ha! Gelobt sei Gottes Name!
Ein schwarzes Antlitz!
Guiche
(mit der Hand nach seinem Gesicht greifend).
Was?
Cyrano
(mit pathetischer Angst). Ich bin in Afrika!
Ein Wilder!
Guiche.
Eine Maske nur ist dies.
Cyrano
(scheint sich ein wenig zu beruhigen).
So war' ich in Italien?
Guiche
(will an ihm vorüber). Eine Dame
Erwartet mich!
Cyrano
(völlig beruhigt).
Dann bin ich in Paris.
Guiche
(unwillkürlich lachend).
Ein drolliger Patron!
Cyrano.
Sie lachen?
Guiche.
Ja.
Nun aber ...
(Er will vorbei.)
Cyrano
(strahlend).
Nach Paris bin ich gefallen!
(Höchst vergnügt, sich verbeugend und unter Lachen sich abstäubend.)
Ich bin noch ganz voll Äther mit Verlaub!
Ich reiste durch verschiedne Wolkenballen;
In meinen Augen sitzt Planetenstaub.
Ich hab an meinen Sporen Sternensand ...
(Etwas von seinem Mantel klaubend)
Und ein Kometenhärchen am Gewand.
(Er tut, als ob er es fortblase.)
Guiche
(außer sich).
Herr ...!
Cyrano
(streckt in dem Augenblick, wo Guiche an ihm vorüber will, sein Bein vor, um ihm etwas daran zu zeigen).
Sehen Sie: hier biß mich in die Wade
Der große Bär. Dann, als auf meinem Pfade
Den Krebs ich traf, stürzt' ich mit einem Sprünglein,
Aus Furcht vor seinen Scheren, in die Waage:
Nun zeigt sie mein Gewicht mit ihrem Zünglein.
(Ihn schnell am Vorbeikommen hindernd und einen Knopf seines Wamses fassend.)
Und, Herr, wenn ich an meine Nase schlage,
Dann sprüht sie Milch.
Guiche.
Was? Milch?
Cyrano.
Ja, von der großen
Milchstraße!
Guiche.
Höll' und ...
Cyrano.
Nein, der Himmel schickt mich her!
(Die Arme kreuzend.)
Auch auf den Sirius bin ich gestoßen
Und merkt', er trägt des Nachts 'ne Zipfelmütze.
(Vertraulich.)
Noch nicht recht beißen kann der Kleine Bär.
(Lachend.) Der Leier brach ich stürzend ein paar Saiten.
(Stolz.) All dies werd ich in einem Buch verbreiten,
Worin ich auch das Sternengold benütze,
Mit dem ich eigens füllte meine Taschen:
Sein Prunk soll meine Leser überraschen!
Guiche.
Nun ist's genug! Ich will jetzt ...
Cyrano.
Ich verstehe!
Guiche.
Herr!
Cyrano.
Ja, Sie wollen wissen, wie der Mond,
Der große Kürbis, aussieht in der Nähe,
Und ob auch er von Menschen wird bewohnt.
Guiche
(schreiend).
Nein, nein, ich will ...
Cyrano.
Erfahren, wann und wie
Ich selbst hinaufkam? Nun denn, ich erfand
Ein Mittel.
Guiche
(entmutigt). Welch ein Narr!
Cyrano
(geringschätzig). Doch ich entlieh
Nichts von des Regiomontanus Possen,
Noch vom Archytas.
Guiche.
Narr und auch Pedant.
Cyrano.
Selbständig hab ich mir den Weg erschlossen!
(Es ist Guiche endlich gelungen, an ihm vorbeizukommen. Er geht auf die Tür zu. Cyrano folgt ihm, bereit, ihn festzuhalten.)
Sechs Mittel hab ich, himmelwärts zu fliegen.
Guiche
(sich umwendend).
Sechs?
Cyrano
(mit Geläufigkeit).
Erstens könnt' ich splitterfasernackt,
Den Leib mit kleinen Flaschen rings bepackt,
Die voll vom Naß der morgendlichen Au,
So lang behaglich in der Sonne liegen,
Bis ihre Glut mich aufsaugt mit dem Tau.
Guiche
(überrascht, macht einen Schritt auf Cyrano zu).
Das wär' erst eins!
Cyrano
(zurückweichend, um ihn vom Hause fortzuziehen).
Zweitens, ich überliste
Die Luft, damit sie hinter Schloß und Riegel
Zum Flug mir dient, nachdem durch glüh'ne Spiegel
Ich sie verdünnt in einer Cederkiste.
Guiche
(macht noch einen Schritt).
Zwei!
Cyrano
(stets zurückweichend).
Dann, als Feuerwerker von Beruf
Laß ich durch starke Flammen von Salpeter
Auf einem Stahlgeschoß, das ich mir schuf,
Mich schleudern in den himmelblauen Äther.
Guiche
(folgt ihm, ohne es zu merken, und zählt an den Fingern).
Drei!
Cyrano.
Dann in einer Kugel samml' ich Rauch;
Er steigt empor, und ich natürlich auch.
Guiche
(wie oben, mehr und mehr erstaunt).
Vier!
Cyrano.
Phöbus saugt gern Ochsenmark; ich reibe
Mich damit ein: das weitre wie zuvor.
Guiche
(starr).
Fünf!
Cyrano
(hat ihn allmählich bis auf die andere Seite des Platzes, in die Nähe einer Bank, hinübergezogen).
Endlich: Fest auf eine Eisenscheibe
Gestellt, werf ich ein Stück Magnet empor.
Da der Magnet verfolgt wird von dem Eisen,
Dient er mir zur Erreichung meines Zwecks;
Ich werf ihn schnell von neuem und kann reisen,
So hoch und weit ich irgend wünsche.
Guiche.
Sechs.
Großartig! Welches von den sechs Systemen
Erwählten Sie?
Cyrano.
Ein siebentes!
Guiche.
Potz Blitz!
Cyrano.
Sie raten's nicht mit allem Ihrem Witz.
Guiche.
Ich bin fürwahr gespannt, es zu vernehmen!
Cyrano
(mit mysteriösen Gesten, das Geräusch der Meeresbrandung nachahmend).
Huüh!
Guiche.
Nun denn?
Cyrano.
Verstehn Sie?
Guiche.
Nein!
Cyrano.
Die Flut!
Ich nahm zur Stunde, wo der Mond die Wogen
Anzieht, ein Seebad, und als ich am Strand geruht,
Ward ich, das Haupt voraus, emporgezogen,
Weil ja das meiste Wasser in den Locken
Zu haften pflegt. So schwebt' ich sanft hinan
Gleich einem Engel. Da, zum Tod erschrocken,
Spürt' ich 'nen Ruck. Und dann ...
Guiche
(hat sich in höchster Spannung auf die Bank gesetzt). Und dann?
Cyrano.
Und dann ...
(Mit seiner natürlichen Stimme)
War voll das Viertelstündchen und die Karten
Deck ich nun auf.
Guiche
(aufspringend).
Die Stimme? Träum ich nur?
(Die Haustür öffnet sich. Lakaien erscheinen mit brennenden Armleuchtern. Cyrano schlägt die Krempe seines Hutes empor.)
Die Nase! Ha, Cyrano!
Cyrano
(grüßend). Aufzuwarten.
Soeben tauschten sie den Treueschwur.
Guiche.
Wer?
(Er wendet sich um. Hinter den Lakaien erscheinen Roxane und Christian Hand in Hand. Der Kapuziner folgt ihnen schmunzelnd. Ragueneau, eine Fackel tragend. Die Duenna beschließt den Zug, verdutzt dreinschauend, im Nachtmantel.)
Guiche.
Himmel!
Vorige. Roxane. Christian. Der Kapuziner. Ragueneau. Duenna. Lakaien.
Guiche
(zu Roxane). Sie!
(Christian erkennend, starr.)
Und er?!
(Sich vor Roxane mit Bewunderung verneigend.)
Das nenn ich schlau!
(Zu Cyrano.)
Herr Feuerwerker, wahrlich, Ihr Bericht
Hätt' einen Heil'gen aufgehalten, dicht
Vorm Himmelstor. Notieren Sie's genau,
Damit es Ihrem Buche kommt zustatten.
Cyrano
(sich verbeugend).
Herr Graf, Ihr Beifall ist mein höchster Lohn.
Kapuziner
(zu Guiche, auf die Liebenden deutend und mit Befriedigung seinen großen weißen Bart schüttelnd). Welch hübsches Paar vereinten Sie, mein Sohn!
Guiche
(ihm einen eisigen Blick zuwerfend).
Ja.
(Zu Roxane.)
Nehmen Sie nun Abschied von dem Gatten!
Roxane.
Ich ...?
Guiche
(zu Christian).
Ihres Regiments Fanfaren klingen.
Roxane.
Um in den Krieg zu ziehn?
Guiche.
So wird's wohl sein.
Roxane.
Doch die Kadetten bleiben hier!
Guiche.
O nein!
(Er zieht das Schriftstück hervor, das er in die Tasche gesteckt hatte.)
Hier der Befehl.
(Er übergibt es Christian.)
Sofort zu überbringen.
Roxane
(Christian umklammernd).
Christian!
Guiche
(höhnisch zu Cyrano).
Die Hochzeitsnacht ist ferne noch!
Cyrano
(für sich).
Das kränkt mich sehr viel wen'ger, als er glaubt!
Christian
(zu Roxane).
Noch einen Kuß!
Cyrano.
Genug!
Christian
(unter neuen Umarmungen).
Sie mir geraubt!
Du kannst nicht ahnen, was das heißt ...
Cyrano
(sucht ihn fortzuziehen). O doch.
(Man hört von ferne Trommeln.)
Guiche
(ist nach hinten gegangen).
Schon ziehn die Truppen ...!
Roxane
(zu Cyrano, während sie Christian, den er stets fortzuziehen sucht, festhält).
Ihren Händen nun
Vertrau ich ihn. Sie werden vor Gefahren
Ihn schützen.
Cyrano.
Wenn es möglich, werd ich's tun.
Roxane
(wie oben).
Versprechen Sie, sein Leben zu bewahren!
Cyrano.
Ja, wenn ich kann ...
Roxane
(wie oben).
Und daß er niemals Frost
Im Kriege leiden muß!
Cyrano.
Ja, ja, soferne ...
Roxane
(wie oben).
Daß er mir treu bleibt!
Cyrano.
Wenn ...
Roxane
(wie oben).
Und eine Post
Mir täglich sendet!
Cyrano
(entschlossen).
Dies versprech ich gerne.