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Erster Aufzug

Eine Vorstellung im Hotel de Bourgogne

Der Saal des Hotel de Bourgogne: eine Art von Ballhaus als Theaterraum eingerichtet und aufgeputzt.

Man sieht den rechteckig gedachten Saal im (durch die Diagonale gezogenen) Querschnitt, so daß eine seiner Seitenwände von vorn rechts nach hinten links verläuft, während die andere, rechtwinklig daranstoßende, von der Bühne eingenommen wird.

Diese Bühne ist zu beiden Seiten, längs der Kulissen, von gepolsterten Bänken eingenommen. Der Vorhang besteht aus zwei seitlich aufzuziehenden Teppichen. Über der Draperie (dem »Mantel«) das königliche Wappen. Breite Stufen verbinden Bühne und Saal; zu beiden Seiten dieser Stufen der Platz für die Geiger. Eine Reihe von Kerzen dient zur Beleuchtung der Rampe.

Logen eingeteilt. Im Parterre befinden sich keine Sitze; nur in seinem Hintergrund (d.h. also für den wirklichen Zuschauer rechts vorn) einige stufenförmig aufsteigende Bänke, und unterhalb einer Wendeltreppe, die zu den Rängen hinaufführt, eine Art Büfett mit kleinen Armleuchtern, Blumenvasen, Kristallgläsern, Tellern von Konfekt, Flaschen usw.

In der Mitte des Hintergrundes, unter den Rängen, der Haupteingang; eine große, zweiflüglige Tür, welche aber beim Eintreten der Zuschauer nur halb geöffnet wird. Auf den Türflügeln ebenso wie in verschiedenen Ecken und über dem Büfett rote Plakate, auf denen zu lesen ist: Clorise.

Beim Aufgehen des Vorhangs ist der Saal halbdunkel und noch leer. Die Kronleuchter sind auf den Boden heruntergelassen, um angezündet werden zu können.

Erster Auftritt

Das Publikum, nach und nach eintretend. Kavaliere, Bürger, Lakaien, Pagen, Taschendiebe, der Portier etc. Dann die Marquis, Cuigy, Brissaille, die Büfettdame, die Geiger etc. Man hört hinter der Tür Lärm von Stimmen; ein Kavalier erzwingt sich die Passage.

Portier
(ihn verfolgend).
Ihr Eintrittsgeld!

Kavalier.
Ich zahle nichts.

Portier.
Mein Herr ...

Kavalier.
Bin von der königlichen Garde.

Portier
(zu einem andern, eben auftretenden Kavalier).
Hier
Die Kasse.

Zweiter Kavalier.
Freiplatz.

Portier
(protestierend). Aber ...

Zweiter Kavalier.
Musketier!

Erster Kavalier
(zum zweiten).
Erst um zwei Uhr der Anfang. Das Parterre
Noch leer. Komm, laß uns üben: Quart und Terze!
(Sie beginnen Florett zu fechten.)

Ein Lakai
(im Auftreten).
Pst!

Zweiter Lakai
(schon auf der Bühne).
Ja?

Erster Lakai
(Spiele aus seinem Wams hervorziehend).
Hier Karten, Würfel.
(Setzt sich auf die Erde.)
Willst du?

Zweiter Lakai
(sich zu ihm setzend). Gut.

Erster Lakai
(zieht aus der Tasche ein Stück Kerze,
zündet sie an und befestigt sie auf dem Boden)
.
Ich mauste meinem Herrn dies Stümpchen Kerze.

Ein Gardist
(zu einem nach vorn kommenden Blumenmädchen).
Wo's finster ist, verdoppelt sich mein Mut.
(Er legt den Arm um ihre Taille.)

Erster Kavalier
(beim Fechten getroffen).
Sitzt.

Zweiter Lakai
(spielend).
Coeur.

Gardist
(das Mädchen verfolgend).

Ein Küßchen!

Blumenmädchen
(sich losmachend).
Nein.

Gardist
(sie in eine dunkle Ecke ziehend).
Aus welchem Grund ...

Ein Mann
(sich mit andern, welche gleichfalls Mundvorrat bei sich führen, auf die Erde setzend).
Kommt man zu früh, so hat man Zeit zum Essen.

Ein Bürger
(seinen Sohn führend).
Mein Sohn, hier setz dich.

Erster Lakai
(spielend). Trumpf!

Ein Mann
(unter seinem Mantel eine Flasche hervorziehend und sich gleichfalls setzend).
Nicht zu vergessen
'nen Schluck Burgunder ... (trinkt) im Hotel Burgund.

Bürger
(zu seinem Sohn).
Glaubt man sich nicht in einem Schandlokale?
(Er deutet mit der Spitze seines Stockes auf den Trinker.)
Trunk ...
(Beim Ausweichen stößt ihn einer der Fechter.)
Rauferei...
(Er gerät mitten unter die Spieler.)
und Spiel!

Gardist
(hinter ihm, das Mädchen weiter bedrängend).
Ein Küßchen!

Bürger
(schnell seinen Sohn entfernend).
Meiner Seel'!  
Und wenn man denkt, mein Sohn, daß hier im Saale
Rotrou gespielt ward!

Der Sohn.
Und Corneille!

Ein Trupp Pagen
(kommt; sie halten sich bei den Händen, tanzen Farandole und singen dazu).
Tra la la la usw.

Portier
(ernsthaft, zu den Pagen).
Ihr Pagen, keine Possen!

Erster Page
(mit beleidigter Würde).
Ihr Verdacht
Kränkt uns, mein Herr!

(Sobald der Portier den Rücken dreht, lebhaft zum
zweiten.)
Hast du die Schnur?

Zweiter Page.
Nebst Angel.

Erster Page
(nach der Galerie zeigend).
Man kann von droben gut Perücken fischen.

Ein Taschendieb
(mehrere Leute von verdächtigem Aussehen um sich versammelnd).
Ihr jungen Gauner, laßt euch nicht erwischen.
Ihr stehlt zum erstenmal; nehmt euch in acht!

Erster Page
(zu andern Pagen hinaufrufend, die schon
auf der Galerie sind)
.
Bringt ihr fürs Blasrohr Erbsen mit?

Dritter Page
(von oben). Kein Mangel!
(Er bläst und bombardiert sie mit Erbsen.)

Der Sohn
(zu seinem Vater).
Wie heißt das Stück?

Bürger.
»Clorise«.

Sohn.
Wie heißt der Dichter?

Bürger.
Balthasar Baro   sehr geschätzt von vielen.
(Er geht mit dem Sohn nach hinten.)

Taschendieb
(zu seinen Gehilfen).
Nach echten Spitzen fahndet mit der Schere!

Ein Zuschauer
(zu einem andern, ihm eine erhöhte Ecke zeigend).
Sehn Sie, dort war mein Platz bei der Premiere
Des »Cid«.

Taschendieb
(stets mit entsprechender Geste).
Nach Uhren ...

Bürger
(wieder nach vorn kommend, zu seinem Sohn).
Große Künstler spielen ...

Taschendieb.
Schnupftüchern...

Bürger.
Montfleury ...

Stimme
(von der oberen Galerie).
Steckt an die Lichter!

Bürger.
Bellerose, La Beaupré, Jodelet, L'Epy!

Erster Page.
Die Hebe!  

Büfettdame
(hinter dem Büfett erscheinend).
Himbeersaft, Milch, Limonade,
Orangen ...

(Lärm am Eingang.)

Eine Fistelstimme.
Platz da, Pack!

Erster Lakai
(erstaunt). Die Herrn Marquis!
Hier im Parterre?  

Zweiter Lakai.
Für kurze Zeit.
(Eine Schar von kleinen Marquis tritt auf.)

Ein Marquis
(sich in dem halbleeren Saal umsehend).
Wie fade!
Wir kommen hier wie Handschuhmacher an.
Wem tritt man auf den Fuß? Wen rempelt man?
O pfui!
(Er bemerkt andere, kurz vorher aufgetretene Edelleute.)
Cuigy, Brissaille!
(Feierliche Umarmungen.)

Cuigy.
Willkommen!   Ja,
Wir leuchten hier noch früher als die Kerzen.

Der Marquis.
Zum Teufel auch, es ist mir nicht zum Scherzen.

Zweiter Marquis.
Getrost, Marquis, hier naht der Phöbus.

Alle
(das Erscheinen des Lichtanzünders begrüßend).
Ah!
(Man gruppiert sich um die Leuchter, die er ansteckt.
Die Galerie füllt sich allmählich. Lignière erscheint im
Parterre, Christian von Neuvillette am Arm führend.
Lignière ist nachlässig gekleidet; distinguierter Trunkenbold.
Christian, in der Kleidung elegant, aber ein wenig
altmodisch, ist präokkupiert, späht nach den Logen.)

Zweiter Auftritt

Vorige. Christian. Lignière. Dann Ragueneau, Le Bret.

Cuigy.
Lignière!  

Brissaille
(lachend).
Noch nüchtern?

Lignière
(leise zu Christian).
Wünschen Sie Bekanntschaft?
(Christian nickt zustimmend. Er stellt vor.)
Baron von Neuvillette.
(Begrüßung.)

Alle
(während der erste angezündete Leuchter in die
Höhe gezogen wird)
. Ah!

Cuigy
(zu Brissaille, mit Bezug auf Christian).
Hübscher Mensch.

Erster Marquis
(der zugehört hat). So, so.
La, la.

Lignière
(zu Christian, vorstellend).
Von Cuigy. Von Brissaille.

Christian
(sich verbeugend). Sehr froh ...

Erster Marquis
(zum zweiten).
Ganz niedlich; aber duftet nach Provinz.

Lignière
(zu Cuigy).
Der Herr Baron verließ erst jetzt die Landschaft Touraine.

Christian.
Jawohl, kaum zwanzig Tage sind's.
Heut trat ich ein bei den Kadetten.

Erster Marquis
(die Personen musternd, welche in den Logen erscheinen).
Da
Kommt Präsidentin Aubry!

Büfettdame.
Milch ...

Die Geiger
(stimmend). La ... la ...

Cuigy
(zu Christian, auf den Saal deutend).
Es füllt sich.

Christian.
Allerdings.

Erster Marquis.
Die schöne Welt.
(Sie bezeichnen die Damen, welche in großer Toilette in die Logen eintreten; senden ihnen Grüße, welche mit einem Lächeln erwidert werden.)

Cuigy.
Dort Frau von Bois.

Erster Marquis.
Sie hat mich einst bestrickt.

Brissaille.
Von Chavigny ...

Zweiter Marquis.
Die unsre Herzen knickt.

Lignière.
Soeben hat Corneille sich eingestellt.

Der Sohn
(zu seinem Vater).
Sind Akademiker darunter?

Bürger.
Viele, Kind.
Dort steht Porchères, dort Bourdon; ihn umgebend
Arbaud, Colomby, Boissat. Wie erhebend
Zu denken, daß sie all' unsterblich sind!

Erster Marquis.
Ah, die Preziösen treffen ein. Man sieht
Dort Cassandace und dort Barthénoide,
Félixérie ...

Zweiter Marquis.
Die Namen sind befremdlich,
Doch reizend! Und du weißt sie sämtlich?

Erster Marquis.
Sämtlich.

Lignière
(Christian beiseite nehmend).
Ich kam auf Ihren Wunsch, mein Freund; doch wenn die Dame
Nicht bald erscheint, geh ich vor Durst zugrund.

Christian
(flehentlich).
Sie kennen Hof und Stadt. Oh, bleiben Sie! Der Name
Der Heißgeliebten wird mir sonst nicht kund.

Der Kapellmeister
(mit seinem Taktstock auf das
Notenpult schlagend)
.
Wir fangen an. (Er hebt den Taktstock.)

Büfettdame.
Makronen, Himbeersaft ...

(Die Geigen beginnen zu spielen.)

Christian.
Mir bangt, sie sei kokett und flatterhaft.
Mit ihr zu reden mangelt mir's an Geist ...
Die Sprache, die man heute schreibt und spricht,
Die lern ich blöder Bursch im Leben nicht.  
Dort, in der leeren Loge sitzt sie meist.

Lignière.
Ich gehe.

Christian
(ihn zurückhaltend).
Bleiben Sie.

Lignière.
Hier stürb' ich bald
Vor Durst. Ich werd erwartet in der Schenke.

Büfettdame
(mit einem Plateau an ihm vorbeigehend).
Himbeer?

Lignière.
Pfui!

Büfettdame.
Milch?

Lignière.
Puah!

Büfettdame.
Muskatwein?

Lignière.
Halt!

(Zu Christian.)
Muskatwein ist ein mögliches Getränke.

(Er setzt sich in die Nähe des Büfetts. Die Büfettdame schenkt ihm ein.)

Stimmen
(im Publikum beim Eintritt eines kleinen, rundlichen und vergnügt dreinschauenden Mannes).
Ah! Ragueneau!  

Lignière
(zu Christian).
Der große Zuckerbäcker.

Ragueneau
(im Kostüm eines sonntäglich geputzten Pastetenbäckers, eilt auf Lignière zu).
Hat niemand Herrn Cyrano noch gesehn?

Lignière
(zu Christian, Ragueneau präsentierend).
Der Garkoch der Poeten, ihr Entdecker
Und Nährer.

Ragueneau
(verlegen).
Zu viel Ehre ...

Lignière.
Still, Mäzen!

Ragueneau.
Die Herrn bewirt ich wohl ...

Lignière
(zu Christian).
Und kreditiert die Zeche;
Ist selbst Poet.

Ragueneau.
Man sagt es.

Lignière.
Seine Schwäche
Sind Verse ...

Ragueneau.
Ja, für gut gereimte Wörtchen ...

Lignière.
Verschenkt er eine Torte.

Ragueneau.
Nun   ein Törtchen.

Lignière.
Der Wackre will sich zu entschuldigen suchen!
Für ein Sonett gibt er ...

Ragueneau.
Ein Brötchen.
Zwei!

Lignière.
Liebt das Theater ...

Ragueneau.
Bis zur Raserei.

Lignière.
Den Eintrittspreis entrichtet er in Kuchen.  
Zum Beispiel, als Sie heut hier eingetreten,
Was zahlten Sie?

Ragueneau.
Vier Krapfen, fünf Pasteten.
(Er sieht sich nach allen Seiten um.)
Seltsam, daß Herr Cyrano nicht erschien!

Lignière.
Wieso?

Ragueneau.
Montfleury spielt.

Lignière.
Jawohl, das dicke Kalb
Tritt heut als Phädon auf. Was aber fragt
Danach Cyrano?

Ragueneau.
Montfleury hat ihn
Kürzlich erzürnt. Er hat ihm dieserhalb
Vier Wochen lang das Spielen untersagt.

Lignière
(bereits heim vierten Gläschen angelangt).
Nun und?

Ragueneau
Montfleury spielt!

Cuigy
(der mit seiner Gruppe sich genähert hat).
Er hindert's nicht.

Ragueneau.
Hm, ich
Kam, das zu sehn.

Erster Marquis.
Wer ist Cyrano, sprich?

Cuigy.
Ein Degenheld; niemand ficht meisterlicher.

Zweiter Marquis.
Von Adel?

Cuigy.
Ja. Kadett beim Gardecorps.
(Er deutet auf einen Edelmann, der eben den Saal betreten hat und sich suchend umsieht.)
Da kommt sein Freund.
(Er ruft.)
Le Bret, Sie spähen sicher
Nach Bergerac?

Le Bret.
Ja, seltsam kommt mir's vor ...

Cuigy.
Ist's nicht ein ungewöhnlicher Gesell?

Le Bret
(warm).
Ein Edelstein der Menschheit, und ein echter!

Ragueneau.
Gelehrter!

Cuigy.
Musiker!

Brissaille.
Poet!

Le Bret.
Und Fechter!

Lignière.
Sein Aussehn auch ist sehr originell!

Ragueneau.
Fürwahr, er paßt nicht gut als Gegenstand
Von des Champaigne feierlichen Bildern;
Maßlos, verdreht, bizarr, extravagant  
Der selige Callot nur könnt' ihn schildern
Als tollsten Raufbold seiner Märchenwelt:
Dreifacher Federbusch, sechsschößiger Rock
Und Mantel, den der Degenstock
Wie einen Hahnenschweif nach hinten schwellt.
Stolzer als all die Meister der Emphase,
Die das Gascognerland erzeugt seit ältsten Tagen,
Schleppt er in seinem Pulcinellakragen
'ne Nase   meine Herrn, welch eine Nase!
Sieht man sie nur von ferne blitzen,
So ruft man: »Nein, weiß Gott, er übertreibt!«
Dann fragt man lächelnd, ob sie haften bleibt,
Und richtig, Herr Cyrano läßt sie sitzen.

Le Bret.
Weh jedem, der sie merkt!

Ragueneau
(gewichtig). Wie eine Parzenschere
Wütet sein Schwert.

Erster Marquis
(die Achsel zuckend).
Er kommt ja nicht.

Ragueneau.
Oho.
Ich wett ein Brathuhn à la Ragueneau!

Erster Marquis
(lachend).
Top!
(Flüstern der Bewunderung im Saal. Roxane ist in ihrer Loge erschienen. Sie setzt sich auf den Vorderplatz, ihre Duenna hinter ihr. Christian, welcher eben die Büfettdame bezahlt, bemerkt sie noch nicht.)

Zweiter Marquis
(mit gezierter Begeisterung).
Kinder, ist sie nicht, auf Ehre,
Zum Fressen reizend?

Erster Marquis.
Eine Pfirsichblüte
Mit Erdbeern kosend.

Zweiter Marquis.
Frisch wie Morgenwind;
Man holt sich einen Schnupfen im Gemüte!

Christian
(sieht auf, bemerkt Roxane und faßt Lignière lebhaft am Arm).
Da ist sie!

Lignière
(hinsehend).
Diese?

Christian.
Ja. Wer ist's?   Geschwind!

Ligniere
(seinen Muskatwein feinschmeckerisch schlürfend).
Madeleine Robin, genannt Roxane.   Sehr
Preziös.

Christian.
O weh!

Lignière.
Verwaist und ledig noch.
Base Cyranos ...
(In diesem Augenblick tritt ein reich gekleideter Kavalier, mit dem Kreuz des Heiligen Geistordens, in die Loge und spricht stehend einen Augenblick mit Roxane.)

Christian
(zitternd).
Und der Mann dort?

Lignière
(mit beginnendem Rausch, blinzelnd).
Der?  
Graf Guiche. Er liebt sie. Hat zur Frau jedoch
Die Nichte Richelieus. Ist drauf bedacht,
Sie mit Vicomte von Valvert zu verbinden;
Bei diesem Wicht hofft er   Gefälligkeit zu finden.
Sie sträubt sich; doch der Graf hat große Macht;
Drum fürchtet ihn die simple Bürgerliche.
Ich brachte seine niederträcht'gen Schliche
In Verse. Schäumen wird er: sie sind spitzig!
Urteilen Sie nur selbst ...

(Er steht schwankend auf, mit erhobenem Glas, und schickt sich an, vorzutragen.)

Christian.
Nein, ich muß gehn.

Lignière
Wohin?

Christian.
Zu Herrn von Valvert.

Lignière
Nicht so hitzig!
Er tötet Sie.
(Ihn mit einem Augenzwinkern aufmerksam machend.)
Halt! Sie hat hergesehn.

Christian.
Ja.
(Er steht wie gebannt. Die Taschendiebe, welche bemerken, daß er mit offenem Mund in die Luft starrt, nähern sich ihm.)

Lignière
Krank bin ich vor Durst und will genesen  
Im Wirtshaus.

(Er geht schwankend ab.)

Le Bret
(ist bis jetzt suchend herumgegangen, kehrt nun zu Ragueneau zurück).
Kein Cyrano!
(Auf eine ungläubige Geste Ragueneaus.)
Hoffentlich
Hat er den Anschlagzettel nicht gelesen.

Viele Stimmen
Fangt an! Fangt an!

Dritter Auftritt

Vorige, ohne Lignière. Graf Guiche, Valvert. Später Montfleury.

Erster Marquis
(beim Anblick des Grafen Guiche, welcher aus der Loge herabgestiegen ist und nun das Parterre durchquert, umgeben von ehrerbietigen Kavalieren, unter denen der Vicomte von Valvert).
Der Hofstaat um Graf Guiche!

Zweiter Marquis
Auch ein Gascogner!

Erster Marquis.
Von der kalt geschmeidigen Sorte;
Die bringt's am weitesten. Grüßen wir!
(Sie gehen auf den Grafen zu.)

Zweiter Marquis.
Herr Graf,
Prachtvoll   die Farbe dieser Mantelborte!
Ist das »Vielliebchen« oder »Mutterschaf«?

Guiche.
Nein, Farbe »Kranker Spanier«.

Erster Marquis.
So ist's recht.
Dank Ihrer Feldherrnkunst geht's ja dem Spanier schlecht.

Guiche.
Ich geh zur Bühne.
(Er wendet sich, gefolgt von den Marquis und Kavalieren, der Bühne zu, ruft zurück.)
Valvert, komm!

Christian
(der zugehört und alles beobachtet hat, fährt bei Nennung des Namens zusammen).
Mein Mann!  
Ich schleudr' ihm...
(Er steckt die Hand in die Tasche und findet darin diejenige des Taschendiebs, der sich gerade angeschickt hat, ihn zu plündern; er dreht sich um.)

Taschendieb.
Oh!  

Christian
(ihn festhaltend).
Den Handschuh wollt' ich fassen...

Taschendieb
(mit kläglichem Lächeln).
Und fassen eine Hand.
(In anderem Ton, schnell und leise.)
Wenn Sie mich laufen lassen,
Vertrau ich Ihnen ein Geheimnis an.

Christian
(ihn immer festhaltend).
Nun?

Taschendieb.
Herr Lignière ... Ihr Freund ...

Christian.
Was?

Taschendieb.
Ist verloren.
Er hat ein großes Tier gereizt zur Rache
Durch Verse. Hundert Männer sind verschworen
Ihm aufzulauern ...

Christian.
Hundert! Auf Befehl
Von wem?
(Da der Taschendieb verlegen schweigt, ungeduldig.)
Sprich!

Taschendieb
(sehr würdevoll).
Amtsgeheimnis. Ehrensache.

Christian.
Der Ort des Hinterhalts?

Taschendieb.
Die Porte de Nesle.
Drum warnen Sie den Freund ...!

Christian
(ihn endlich loslassend). Wo mag er sein?

Taschendieb.
Sie müssen alle Schenken schnell durchstreifen:
»Die goldne Kelter«, »Den geplatzten Reifen«,
»Den Storch«, »Den grünen Baum«, »Das schwarze Schwein«  
Und überall ein Briefchen hinterlegen.

Christian.
Ja!   Hundert gegen einen! Oh, die Feigen!
(Zu Roxane aufblickend, zärtlich.)
Abschied von ihr!
(Wütend, mit Bezug auf Valvert.)
Und ihm!   Des Freundes wegen!
(Er eilt hinaus.   Graf Guiche, Valvert, die Marquis und alle Kavaliere sind hinter dem Vorhang verschwunden, um ihre Sitze auf der Bühne einzunehmen. Das Parterre ist vollständig gefüllt, ebenso die Logen und Galerien.)

Viele Stimmen.
Fangt an!

Ein Bürger
(dessen Perücke, von einem der auf der
Galerie befindlichen Pagen geangelt, sich in die Luft erhebt)
.
Meine Perücke!

Stimmen
(lachend). Welche Glatze!
Ihr Pagen, gut gemacht!

Der Bürger
(wütend, mit drohender Faust).
Wart, kleine Fratze!

Stimmen
(von lautem zu immer leiser werdendem Lachen übergehend).
Ha! Ha! Ha! Ha!
(Stille.)

Le Bret
(erstaunt). So plötzlich tiefes Schweigen?
(Ein Zuschauer teilt ihm leise etwas mit.)
Wirklich?

Der Zuschauer.
Bestimmt behauptet man's im Saal.

Gemurmel.
Kommt er?   Dort in der Loge!   Siehst du nicht?
Der Kardinal?   Er ist's.   Der Kardinal!

Erster Page.
Ach, nun heißt's artig sein!
(Drei Schläge auf der Bühne, zum Zeichen des Beginns. Das Publikum unbeweglich, erwartungsvoll.)

Stimme des ersten Marquis
(hinter dem Vorhang,
in die Stille hineinrufend)
. He, schneuzt das Licht!

Zweiter Marquis
(den Kopf aus der Vorhangspalte herausstreckend).
Mir fehlt ein Sessel.
(Ein Stuhl wird von Hand zu Hand über die Köpfe weg zu ihm hintransportiert. Er nimmt ihn und verschwindet damit, nachdem er noch schnell den Logen einige Kußhände zugeworfen hat.)

Ein Zuschauer.
Ruhe!
(Wiederholung der drei Schläge. Der Vorhang geht auf. Tableau. Die Marquis sitzen hingelümmelt auf beiden Seiten der Bühne. Der Hintergrund stellt eine ländliche Gegend im Geschmack der Schäferdichtung dar. Vier kleine Kristalleuchter erhellen die Bühne. Die Geigen spielen piano.)

Le Bret
(leise zu Ragueneau). Sagen Sie,
Tritt Montfleury jetzt auf?

Ragueneau
(leise). Gleich zu Beginn.

Le Bret.
Cyrano fehlt.

Ragueneau.
Mein Brathuhn ist dahin.

Le Bret.
Ich atme leichter!
(Man hört einen Dudelsack. Montfleury erscheint auf der Bühne, sehr korpulent, im Schäferkostüm, einen rosengeschmückten Hut auf das eine Ohr gestülpt und einen mit farbigen Bändern verzierten Dudelsack blasend.)

Die Zuschauer
(applaudierend).
Bravo, Montfleury!

Montfleury
(nachdem er das Publikum begrüßt hat,
als Phädon)
.
»Beglückt, wer fern dem Hof in holder Einsamkeit
Aus eigenem Entschluß sich der Verbannung weiht,
Gelabt von Zephyrs Hauch, frei von der Ehrsucht
Zielen...«

Eine Stimme
(mitten im Parterre).
Schurk', hab ich dir nicht untersagt zu spielen?

(Allgemeine Verblüffung. Man dreht sich nach dem Sprecher um. Gemurmel.)

Verschiedene Stimmen
Wie?   Was?

(Die Insassen der Logen erheben sich, um zu sehen.)

Cuigy.
Er ist's!

Le Bret
(entsetzt). Cyrano!

Die Stimme.
Strauchdieb, räumen
Wirst du die Bühne!

Alle
(entrüstet). Oh!

Montfleury.
Ich ...

Die Stimme.
Ohne Säumen!

Verschiedene Stimmen
(im Parterre und in den Logen).
Still! Ruhe! Montfleury soll weitersprechen!

Montfleury
(mit unsicherer Stimme).
»Beglückt, wer fern dem Hof in holder Einsam ...«

Die Stimme
(eindringlicher). Nun?,
Halunk, wirst du, was ich verlangte, tun?
Soll dir mein Stock die Knochen erst zerbrechen?

(Ein stockschwingender Arm wird über den Köpfen
sichtbar.)

Montfleury
(mit immer schwächerer Stimme).
»Beglückt ...«

Die Stimme.
Hinaus!

Das Parterre.
Oho!

Montfleury
(würgend). »Beglückt, wer fern ...«

Cyrano
(aus dem Parterre auftauchend, auf einem Stuhl stehend, mit gekreuzten Armen, kriegerisch aufgestülptem Schlapphut, gesträubtem Schnurrbart und furchtbarer Nase).
Nun werd ich wild!

(Sensation bei seinem Anblick.)

Vierter Auftritt

Vorige. Cyrano. Dann Bellerose, Jodelet.

Montfleury
(zu den Marquis).
Zu Hilfe, meine Herrn!

Erster Marquis
(nonchalant).
Ei, spielen Sie!

Cyrano.
Der Dickwanst spielt heut nicht;
Sonst zwingt er mich, das Maul ihm zu verstopfen.

Erster Marquis.
Genug!

Cyrano.
Wenn mir ein Stutzer widerspricht,
Werd ich den Staub aus seinem Mantel klopfen.

Alle Marquis
(aufstehend).
Das ist zu stark.   Wir ...

Cyrano.
Montfleury, hinaus!
Ich reiße dir sonst Arm' und Beine aus.

Eine Stimme.
Jedoch ...

Cyrano.
Hinaus!

Eine andere Stimme.
Mir scheint ...

Cyrano.
Du bist noch hier?
(Er macht Miene, sich die Ärmel aufzukrempeln.)
Die Bühne werd ich zum Büfett verwandeln,
Um dich als Cervelatwurst zu behandeln.

Montfleury
(all seine Würde zusammennehmend).
Mein Herr, Thalia wird beschimpft in mir.

Cyrano
(sehr höflich).
Mein Herr, der Dame sind Sie nicht empfohlen;
Doch hätte sie den Vorzug, Sie zu sehn,
Solch feisten Tropf, sie zög' im Handumdrehn
Sich den Kothurn aus, um Sie zu versohlen.

Das Parterre.
Montfleury, vorwärts!   Das versprochne Stück!

Cyrano
(zu denen, welche ihn lärmend umringen, seine Degenklinge anfassend).
Vorsicht! Dies Futteral kann einen Geist entsenden:
Einmal entfesselt, kehrt er nicht zurück.
(Der Kreis erweitert sich; die Menge retiriert; Cyrano zu Montfleury.)
Hinaus!

Viele
(nähern sich protestierend). Oho!

Cyrano
(sich energisch umdrehend).
Wer hat was einzuwenden?
(Abermaliges Zurückweichen.)

Eine Stimme
(singt im Hintergrund).
Der Herr von Bergerac
Treibt seinen Schabernack;
Was aber schert uns dies?
Man spielt uns doch Clorise.

Das ganze Parterre
(im Chor singend).
Clorise! Clorise!

Cyrano.
Wenn dieser ganze Troß nicht schweigt im Nu,
Schlag ich ihn tot.

Ein Bürger.
Sie spielen Simsons Rolle?

Cyrano.
Ja; nur Ihr Kinnback fehlt mir noch dazu.

Eine Dame
(in den Logen).
's ist unerhört!

Ein Kavalier.
Unglaublich!

Ein Bürger.
Dieser Tolle!

Ein Page.
Wie lustig!

Das Parterre.
Kss!   Cyrano!   Montfleury!

Cyrano.
Still!

Das Parterre
(aus Rand und Band).
Bäh!   Hoho!   Yah!   Huh!   Kikriki!

Cyrano.
Nun denn ...

Ein Page.
Miau!

Cyrano.
Schweigt still   zum letztenmal!
Ich fordre zum Duell den ganzen Saal!
Schreibt eure Namen ein, ihr jungen Helden!
Ich geb euch Nummern. Einer nach dem andern!
Wohlan, wer will sich für die Liste melden?
(Einzelne ansprechend.)
Sie? Nicht? Und Sie? Der erste tapfre Ringer
Wird ehrenvoll gradaus zum Himmel wandern!
Wer sterben will, der hebe seinen Finger.
(Stille.)
Schämt ihr euch, meine Klinge nackt zu sehn?
Kein Finger?   Keine Meldung?   Um so besser!
(Er wendet sich wieder der Bühne zu, wo Montfleury ängstlich wartet.)
Wird dieser Schandfleck nicht von selbst vergehn,
Merz ich ihn aus  
(die Hand am Degen)
mit dem Chirurgenmesser.

Montfleury.
Ich ...

Cyrano
(steigt vom Stuhl herunter, setzt sich in die Mitte des Halbkreises, der sich um ihn gebildet hat, und richtet sich häuslich ein).
Dreimal schlag ich in die Hand; beim dritten
Wirst du verduften.

Das Parterre
(belustigt). Ah? ...

Cyrano
(in die Hände schlagend).
Eins!

Montfleury.
Ich muß bitten ...

Eine Stimme
(in den Logen).
Hierbleiben!

Das Parterre.
Geht er?   Bleibt er?

Montfleury.
Aber ...

Cyrano.
Zwei!

Montfleury.
Ich halt es für das beste, wenn ich ...

Cyrano.
Drei!
(Montfleury verschwindet mit unheimlicher Schnelligkeit. Gelächter und Zischen.)

Das Parterre.
Hah!   Komm wieder, Feigling!

Cyrano
(lehnt sich befriedigt, mit gekreuzten Beinen, in seinen Stuhl zurück). Er soll's wagen.

Ein Bürger.
Der Regisseur!
(Bellerose tritt vor und verneigt sich.)

Stimmen
(in den Logen).
Bellerose!   Er will was sagen.

Bellerose
(mit Eleganz).
Verehrte ...

Das Parterre.
Jodelet soll sprechen!

Jodelet
(tritt vor, komisch näselnd). Teure Kälber!

Das Parterre.
Bravo! Sehr gut!

Jodelet.
O schlimmer Augenblick!
Der große Mann, der so berühmt wie dick ...

Das Parterre.
Der Hasenfuß!

Jodelet.
... Schickt mich ...

Das Parterre.
Er komme selber!

Die Einen.
Nein!

Die Andern.
Ja!

Ein junger Mann
(zu Cyrano).
Gab Ihnen Montfleury den Grund
Zum Haß?

Cyrano
(höflich, während er ruhig sitzen bleibt).
Ja, hoffnungsvoller junger Mann.
Pro primo haß ich ihn als miserablen Mimen;
Denn keuchend schleppt er wie ein Karrenhund
Die leichten Verse, denen Flügel ziemen.
Secundo   das geht Sie nichts an.

Der alte Bürger
(hinter ihm).
Sie wollen einen Kunstgenuß uns rauben!
Das ist ein Unrecht!

Cyrano
(seinen Stuhl nach dem Bürger umdrehend, respektvoll).
Wackrer Greis, ein Glück;
Ich schütze Sie vor einem schlechten Stück.

Die Preziösen
(in den Logen).
Das Stück von unserm Baro!   Soll man's glauben?
Empörend!

Cyrano
(seinen Stuhl nach den Logen drehend, galant).
Schöne Frauen, Himmelslicht,
Herabgesandt, uns Wonnen einzuhauchen,
Bezauberndes Geschlecht, wir Dichter brauchen
Zwar euren Reiz   doch euer Urteil nicht.

Bellerose.
Wer wird das Eintrittsgeld ersetzen?

Cyrano
(seinen Stuhl nach der Bühne drehend).
Endlich!
Ein sachgemäßes Wort! Denn selbstverständlich:
Nicht schadhaft werden soll der Thespiskarren.
(Er steht auf und wirft eine Börse auf die Bühne.)
Da! Fangen Sie das auf! Und nun erledigt!

Das Parterre
(verblüfft).
Ah! Oh!

Jodelet
(hat die Börse schnell aufgehoben und wiegt sie in der Hand). Mein Herr, wer uns so reich entschädigt,
Der halt' uns, wann es ihm beliebt, zum Narren ...
(Das Parterre pfeift.)

Jodelet.
Und pfeif' uns jeden Abend aus.

Bellerose
(halblaut zu ihm).
Schick sie doch heim!

Jodelet.
Ihr Teuren, geht nach Haus!
(Man fängt an, aufzubrechen; Cyrano sieht befriedigt zu. Aber bald staut sich die Menge wieder, indem sie auf den folgenden Dialog aufmerksam wird. Die Damen, welche in den Logen schon ihre Mäntel umgenommen haben, bleiben stehen, um zuzuhören, und setzen sich schließlich wieder hin.)

Le Bret
(zu Cyrano).
Verrückt!

Ein Mißvergnügter
(hat sich Cyrano genähert).
Das gegen einen Montfleury!
Der Graf Candale beschützt ihn. Haben Sie
Auch einen Gönner?

Cyrano.
Nein.

Mißvergnügter.
Gar keinen?

Cyrano.
Nein.

Mißvergnügter.
Der Ihnen beisteht gegen Ihre Dränger?

Cyrano.
Nein, sagt' ich zweimal schon, und damit fertig!
Mein einz'ger Gönner (den Degen anfassend) ist hier
gegenwärtig.

Mißvergnügter.
Dann reisen Sie wohl schleunigst ab?

Cyrano.
Kann sein.

Mißvergnügter.
Der Arm Candales ist lang.

Cyrano.
Gewiß nicht länger
Als meiner, (wieder die Hand am Degen) wenn er sich
Ergänzung leiht.

Mißvergnügter.
Sie rasen, wenn Sie glauben ...

Cyrano.
Gut, ich rase.

Mißvergnügter
Jedoch ...

Cyrano.
Nun aber marsch!

Mißvergnügter.
Wenn ...

Cyrano.
Höchste Zeit!  
Warum betrachten Sie denn meine Nase?

Mißvergnügter
(eingeschüchtert).
Ich ...

Cyrano
(auf ihn losgehend).
Was erstaunt Sie dran?

Mißvergnügter
(zurückweichend).
Nichts!

Cyrano.
Ist sie weich
Wie'n Rüssel, schlenkert wie ein Perpendikel?

Mißvergnügter
(wie oben).
Nein!

Cyrano.
Oder sieht 'nem Reiherschnabel gleich?

Mißvergnügter.
Ich habe ...

Cyrano.
Sind auf ihrer Spitze Pickel?

Mißvergnügter.
Wenn doch ...

Cyrano.
Läuft eine Fliege drauf herum?
Ist's ein Mirakel?

Mißvergnügter.
Ich ...

Cyrano.
Ein Unikum?

Mißvergnügter.
Ich sah sie gar nicht an, versichr' ich Ihnen!

Cyrano.
Nicht? Sagen Sie, weshalb Sie das nicht taten!

Mißvergnügter.
Ich ...

Cyrano.
Ekelt Sie's davor?

Mißvergnügter.
Herr!

Cyrano.
Weil zu kränklich
Die Farbe?

Mißvergnügter.
Herr!

Cyrano.
Die Formen zu bedenklich?

Mißvergnügter.
Durchaus nicht!

Cyrano.
Doch ich les in Ihren Mienen,
Daß Ihnen scheint, sie sei zu groß geraten!

Mißvergnügter
(stotternd).
Ich finde sie ganz klein, ganz winzig klein.

Cyrano.
Was?! Eine Mißgeburt soll ich gar sein?
Klein, meine Nase?!

Mißvergnügter.
Gott!

Cyrano.
Sie ist enorm!
Vernimm, stumpfnäsiger Mikrocephale,
Daß ich voll Stolz mit diesem Vorsprung prahle;
Denn zu erkennen ist an solcher Form
Der Mann von Geist, Charakter, Edelsinn,
Von Herz und Mut, kurz alles, was ich bin,
Und was du nicht bist, du und deinesgleichen,
Du Jammerlappen! Denn dein blöd Gesicht,
Dem ich sofort den Backen werde streichen,
Ist ... (Er ohrfeigt ihn.)

Mißvergnügter.
Au!

Cyrano.
So leer von feuriger Ekstase,
Von edlen Linien, Schwung und Geisteslicht,
Von Prachtaufwand, mit einem Wort, von Nase,
Wie jenes ... (er dreht ihn um und begleitet seine Worte mit der Tat)
das mein Stiefel jetzt berührt!

Mißvergnügter
(flüchtend).
Zu Hilfe!

Cyrano.
Dieses merke sich ein jeder,
Der mich beehrt mit seines Witzes Proben;
Dem Spötter aber, der ein Wappen führt,
Zahl ich von vorn und etwas weiter oben
Mit einem Stoß von Stahl und nicht von Leder.

Guiche
(ist mit den Marquis von der Bühne herabgestiegen).
Er ist recht abgeschmackt!

Valvert
(die Achseln zuckend).
Er macht sich wichtig.

Guiche.
Antwortet niemand?

Valvert.
Habe was auf Lager;
Gebt acht; das werd ich ihm versetzen.
(Er geht auf Cyrano zu und pflanzt sich geckenhaft vor ihm auf.)
Ei,
Sie haben eine sehr ... sehr lange Nase.

Cyrano.
Richtig.

Valvert
(lacht).
Ha!

Cyrano.
Weiter nichts?

Valvert.
Wie?

Cyrano.
Das war etwas mager.
Fällt Ihnen nichts mehr ein?   Mir vielerlei,
Und auch die Tonart läßt sich variieren!
Ausfallend: »Trüg' ich diese Nasenmasse,
Ich ließe sie sofort mir amputieren.«
Freundlich: »Trinkt sie nicht mit aus Ihrer Tasse?
Aus Humpen schlürfen sollten Sie die Suppe.«
Beschreibend: »Felsgeklüfte, Berg und Tal,
Ein Kap, ein Vorland, eine Inselgruppe.«
Neugierig: »Was ist in dem Futteral?
Ein Schreibzeug oder eine Zuckerzange?«
Anmutig: »Sind Sie Vogelfreund, mein Bester,
Und sorgten väterlich mit dieser Stange
Für einen Halt zum Bau der Schwalbennester?«
Zudringlich: »Wenn Sie Tabak rauchen
Und ihr der Dampf entsteigt zum Firmament,
Schreit dann die Nachbarschaft nicht laut: ›Es brennt‹?«
Warnend: »Sie sollten große Vorsicht brauchen;
Sonst zieht das Schwergewicht Sie noch kopfüber.«
Zartfühlend: »Spannen Sie ein Schutzdach drüber;
Weil sonst im Sonnenschein sie bleichen muß.«
Pedantisch: »Das aristophanische Tier
Hippokampelephantokamelus
Trug ganz unfraglich gleiche Nasenzier.«
Modern: »Wie praktisch diese Haken sind,
Um seinen Hut dran aufzuhängen!«
Begeistert: »Wenn sie niest im scharfen Wind,
Braucht nur ein Teil von ihr sich anzustrengen.«
Tragisch: »Ein Turm von Babel, wenn sie schwillt!«
Bewundernd: »Für Odeur welch Aushängschild!«
Lyrisch: »Ist dies die Muschel des Tritonen?«
Naiv: »Wann wird dies Monument besichtigt?«
Respektvoll: »Wird nicht ein jeder Wunsch beschwichtigt
Durch solch ein Häuschen zum Alleinbewohnen?«
Bäurisch: »Potz Donnerschlag, was sagst du, Stoffel?
Zwergkürbis oder riesige Kartoffel?«
Soldatisch: »Dies Geschütz ist schwer beweglich.«
Geschäftlich: »Haben Sie vielleicht im Sinn,
Sie zu verlosen   erster Hauptgewinn?«
Zuletzt im Stil des Pyramus, recht kläglich:
»Weil sie das Gleichmaß im Gesicht getötet,
Ist sie voll Schuldbewußtsein und errötet.«  
Dergleichen hätten Sie zu mir gesagt,
Wenn Sie Gelehrsamkeit und Geist verbänden;
Jedoch von Geist, dem Himmel sei's geklagt,
Ist keine Spur in Ihren Schädelwänden;
Ihr Kopf ist nicht gelehrt und doch so leer!
Und hätten Sie genug Erfindungskraft,
Um hier vor dieser edlen Hörerschaft
Mir all dies Feuerwerk zu bieten und noch mehr,
Dann müßten Sie bereits beim ersten Ton
Vom ersten Wort des ersten Satzes stoppen;
Denn nur mir selbst erlaub ich, mich zu foppen;
Ein anderer kommt nicht ungestraft davon.

Guiche
(will den ganz versteinerten Vicomte fortführen).
Komm, laß ihn stehen!

Valvert.
Großtun will so einer!

Das will ein Junger sein! Nicht zu begreifen!
Geht ohne Handschuh, Quasten, Schleifen!

Cyrano.
In meinem Innern bin ich um so feiner.
Den Stutzern, die so teuren Aufputz tragen,
Steh ich an Reinlichkeitsgefühl nicht nach
Und würde nie mich unter Menschen wagen
Mit einer noch nicht abgewaschnen Schmach,
Mit schmutzigem Sinn, schlaftrunkenem Gewissen
Und einem Ruf, der schäbig und zerschlissen.
Ich bin, wenngleich so schmucklos von Gestalt,
Mit Unabhängigkeit und Mut geschmückt;
Zwar hat mich keine Schnürbrust je gedrückt;
Doch in der Brust die Richtschnur gibt mir Halt.
Vollbrachte Taten dienen mir als Bänder;
Den Witz hab ich zum Zierat mir erkoren,
Und ritterlich, bei müßigem Geschlender,
Laß ich die Wahrheit klirren statt der Sporen.

Valvert.
Herr, Sie ...

Cyrano.
Ja freilich, Handschuh trag ich nicht.
Und weil mit dem nichts anzufangen war,
Warf ich ihn einem Lumpen ins Gesicht.

Valvert.
Strolch, Tölpel, Hundsfott, Harlekin!

Cyrano
(zieht höflich grüßend seinen Hut ab, als ob Valvert sich ihm vorgestellt hätte).
Aha?
Und ich bin Savinien Cyrano Herkules
Von Bergerac.

(Gelächter.)

Valvert
(verzweifelt).
Narr!

Cyrano
(stößt einen Schrei aus, als wäre er von einem Krampf befallen). Äh!

Valvert
(der nach hinten gehen wollte, dreht sich um).
Was sagt er da?

Cyrano
(mit Grimassen des Schmerzes).
Rostig ist sie geworden unterdes!
's wird Zeit, daß ich Beschäftigung ihr bringe!

Valvert.
Was soll das?

Cyrano.
Äh, mir kribbelt's in der Klinge.

Valvert
(ziehend).
Gut!

Cyrano.
Kunstgerecht werd ich Sie nun bedienen.

Valvert
(verächtlich).
Poet!

Cyrano.
Jawohl, Poet   in solchem Grade,
Daß ich beim Fechten aus dem Stegreif Ihnen
Eine Ballade dichten will.

Valvert.
Ballade?

Cyrano.
Sie denken wohl: Was ist das für ein Tier?

Valvert.
Ich ...

Cyrano
(schulmäßig hersagend).
Die Ballade hat drei Strophen von acht Zeilen ...

Valvert
(stampft ungeduldig mit dem Fuße auf).
Der Mensch ...

Cyrano.
Und eine Zueignung von vier.

Valvert.
Sie ...

Cyrano.
Reim und Stoß werd ich zugleich erteilen.
Beim letzten Vers die Abfuhr!

Valvert
(spöttisch). Oder nicht!

Cyrano
(deklamierend).
»Ballade, welche das Duell betrifft,
Das Herr von Bergerac ausfocht mit einem Wicht.«

Valvert.
Herr, was bedeutet das?

Cyrano.
Die Überschrift.

Die Menge
(in größter Spannung und Erregung).
Platz da!   Sehr lustig!   Drängt nicht!   Haltet Ruh!

(Gruppe. Kreis von Neugierigen im Parterre, die Marquis und Offiziere vermischt mit den Bürgern und Leuten aus dem Volk; Pagen sind andern auf die Schultern geklettert, um besser sehen zu können. Alle Damen vorn an den Logenbrüstungen. Rechts im Vordergrund Guiche und sein Gefolge. Links Le Bret, Ragueneau, Cuigy.)

Cyrano
(nachdem er einen Augenblick nachdenkend die Augen geschlossen).
So! Kopf und Arm sind nun bereit.   Nur zu!
(Er begleitet alles, was er sagt, mit den entsprechenden Handlungen.)

Abseits werf ich meinen Filz
Und, damit ich Luft mir schaffe,
Auch den Mantel; denn nun gilt's.
Rüstiger als ein Schlaraffe
Greif ich meine blanke Waffe,
Und zu meinem Gegner sprech ich:
Sieh dich vor, geputzter Affe!
Denn beim letzten Verse stech ich.

(Sie beginnen zu fechten.)

In Ermangelung edlern Wilds
Wünsch ich, daß ein Stich dir klaffe
In der Leber oder Milz.
Schau, mein Arm, der kräftig straffe,
Strebt nun, daß er dich erraffe.
Mein verhöhntes Antlitz räch ich,
Daß es keiner mehr begaffe;
Denn beim letzten Verse stech ich.

Wirst du grünlich wie ein Pilz?
Gleich der zitternden Giraffe
Muster eines Jammerbilds!
Zeigst du, daß dein Mut erschlaffe,
Eh' mein Pulver ich verpaffe?
Heut dein warmes Herzblut zech ich
Aus kristallener Karaffe;
Denn beim letzten Verse stech ich.

(Feierlich ankündigend.)

Zueignung.

Beichte schnell! Wo ist ein Pfaffe?
Deinen Widerstand zerbrech ich:
Finte! Quart! (Zustoßend.) Da hast du's, Laffe!
( Valvert schwankt; Cyrano mit eleganter Verbeugung.)
Denn beim letzten Verse stech ich.

(Beifallsrufe. Händeklatschen in den Logen. Blumen und Taschentücher werden heruntergeworfen. Die Offiziere umringen Cyrano beglückwünschend. Ragueneau tanzt vor Begeisterung. Le Bret ist stolz und betrübt zugleich. Valvert wird von seinen Freunden gestützt und hinausgeführt.)

Die Menge
(in einem langen Schrei).
Ah!

Ein Chevauxleger.
Prachtvoll!

Eine Dame.
Reizend!

Ein Marquis.
Neu!
Ragueneau.
Pyramidal!

Le Bret.
Wahnsinnig!

Viele
(drängen sich um Cyrano. Man hört abgerissen).
Glückwunsch ... Kompliment ... Genial ...

Stimme einer Dame.
Ein Heros!

Ein Musketier
(nähert sich lebhaft Cyrano, ihm die Hand entgegenstreckend).
Darf ich Ihre Hände drücken?
Ich bin ein Fachmann; aber diese Quart ...!
Ich habe laut getrampelt vor Entzücken.

Cyrano
(zu Cuigy).
Wer war das?

Cuigy.
D'Artagnan.

Le Bret
(Cyrano unterm Arm fassend).
Nun höre!

Cyrano.
Wart!
(Zu Bellerose.)
Ich bliebe gern, bis dieser Schwarm zerstoben.

Bellerose
(respektvoll).
Oh, bitte!
(Man hört Lärm auf der Straße.)

Jodelet
(hat nachgesehen).
Montfleury wird ausgelacht.

Bellerose.
Sic transit!
(In anderem Ton zum Portier und zu dem Auslöscher.)
Scheuert! Löscht nur einen Teil
Der Lichter! Denn wir essen schnell zur Nacht,
Um später noch ein neues Stück zu proben.
(Jodelet und Bellerose verbeugen sich mehrmals tief vor Cyrano und gehen.)

Portier
(zu Cyrano).
Sie speisen nicht?

Cyrano.
Ich?   Nein.
(Der Portier geht nach hinten.)

Le Bret.
Warum nicht?

Cyrano
(stolz). Weil ...
(Nachdem er sich umgesehen und konstatiert hat, daß der Portier nicht mehr hören kann, in verändertem Ton.)
Ich hab kein Geld.

Le Bret
(die Geste nachahmend, mit welcher Cyrano den Beutel geworfen).
Die Börse?

Cyrano.
Sei nicht bös ...
Mein ganzer Monatszuschuß war darin.

Le Bret.
Nichts blieb dir?!

Cyrano.
Nichts.

Le Bret.
Und alles warfst du hin!

Cyrano.
Alles!

Le Bret.
Wie töricht!

Cyrano.
Aber wie pompös!

Büfettdame
(hinter ihrem kleinen Büfettisch, hustet).
Hm!
(Cyrano und Le Bret drehen sich um. Sie nähert sich
ihnen schüchtern.)

Herr ... Verzeihung ... Wenn Sie hungrig sind ...
(Auf das Büfett zeigend.)
Ich bitte ... (eifrig) nehmen Sie!

Cyrano
(den Hut abnehmend).
Mein gutes Kind,
Nie würde mein Gascogner Stolz erlauben,
Daß Ihre Güte mir den Imbiß schenke;
Doch weil ich fürchte, daß ich sonst Sie kränke,
Drum nehm ich ... (er geht zum Büfett und wählt aus)
eine Beere dieser Trauben ...
(Sie will ihm die ganze Traube geben; er pflückt eine Beere.)
Nur eine! ... dieses Glas voll Wasser ...
(Sie will Wein zugießen; er hindert sie daran.)
pur!
... Und dies Makrönchen   halb!
(Er gibt ihr die andere Hälfte zurück.)

Le Bret.
Der Unverstand!

Büfettdame
(drängend).
Noch etwas!

Cyrano.
Einen Kuß auf Ihre Hand!
(Er küßt die ihm dargebotene Hand, als wäre sie die einer Prinzessin.)

Büfettdame.
Ich danke. (Mit einem Knicks.) Gute Nacht.
(Sie geht ab.)

Fünfter Auftritt

Cyrano. Le Bret. Dann der Portier.

Cyrano
(zu Le Bret). Jetzt rede nur.
(Er installiert sich vor dem Büfett, legt die Makrone vor sich hin.)
Hier Speise ...
(Er stellt daneben das Glas Wasser.)
Trank ...
(Er legt daneben die Traubenbeere.)
Dessert!
(Er setzt sich.)
Und nun zu Tisch.  
Ach ja, mein Hunger, Freund, war mörderisch.
(Essend.)
Nun also?

Le Bret.
Fürchten muß ich, daß dir heute
Der Geckenschwarm das klare Denken stahl.
Doch forsche nur, wie auf vernünft'ge Leute
Dein toller Streich gewirkt hat!

Cyrano
(seine Makrone kauend). Kolossal.

Le Bret.
Der Kardinal indes ...

Cyrano
(befriedigt). War der zugegen?

Le Bret.
Er fand gewiß den Vorfall ...

Cyrano.
Grandios!

Le Bret.
Jedoch ...

Cyrano.
Er dichtet selbst. Drum freut ihn zweifellos,
Daß ich gestört das Stück des Herrn Kollegen.

Le Bret.
Du machst dir neue Feinde Schlag auf Schlag.

Cyrano
(die Traubenbeere essend).
Wie viele schuf mir wohl der heut'ge Tag?

Le Bret.
Fünfzig, die Damen nicht gezählt.

Cyrano.
Das wären?

Le Bret.
Guiche, Baro, Montfleury, Valvert, die ganze
Akademie ...

Cyrano.
Fürwahr, das ist mir lieb!

Le Bret.
Wo soll das hin? Willst du mir nicht erklären,
Was dir ...

Cyrano.
Ich drehte mich im Zirkeltanze
Planlos umher; nun hab ich ein Prinzip!

Le Bret.
Prinzip?

Cyrano.
Das steht für mich in Erz gegraben:
Ich will erhaben sein, schlechtweg erhaben.

Le Bret
(achselzuckend).
Gut!   Doch dein Zorn auf Montfleury? Sag ehrlich:
Was ist sein Grund?

Cyrano
(aufstehend). Der Fettkloß, der schon lang
Nicht mit der Hand mehr kann zum Nabel reichen,
Glaubt fest, er sei für Frauen noch gefährlich,
Froschäugig zwinkernd ihnen Liebeszeichen.
Ich aber haß ihn, seit sein Blick sich mühte,
Ihr zu begegnen, die ... Mir kam es vor,
Als kröch' ein Mehlwurm über eine Blüte.

Le Bret
(höchst erstaunt).
Ist's möglich, Freund ...?

Cyrano
(mit bitterem Lächeln).
Daß ich mein Herz verlor?
(In anderem Ton, sehr ernst.)
Es ist.

Le Bret.
Und sprachst kein Wort? Noch faß ich kaum ...

Cyrano.
Es ist.   Nun denke! Mir wird jeder Traum,
Es könne selbst die Häßlichste mich lieben,
Durch dieses Nasenungetüm vertrieben,
Und doch   wie hätt' ich anders denn gekonnt?  
Hab ich der Schönen Schönste mir erlesen!

Le Bret.
Die Schönste?

Cyrano.
Ja, von allen, die gewesen,
War keine je so hold, so zart, (mit Niedergeschlagenheit)
so blond!

Le Bret.
Mein Gott, wer ist sie denn?

Cyrano.
Ein süß Verhängnis,
Das ahnungslos vernichtet und belebt,
Ein Fallstrick der Natur, den zur Bedrängnis
Die Liebesgötter rosig uns gewebt!
Ihr Lächeln ist das Paradies auf Erden.
Sie legt noch Anmut in ein Nichts und zeigt
Sich gottgleich in Bewegung und Gebärden;
Sie schwebt in ihren Wagen und sie schreitet
Leichter, als Venus in die Muschel steigt
Und als Diana durch die Wälder gleitet!

Le Bret.
Potz Wetter, ist es ...?

Cyrano.
Brauch ich sie zu nennen?

Le Bret.
Madeleine Robin?

Cyrano.
Roxane.

Le Bret.
Deine Base!
Du liebst sie? Gut! Du mußt es ihr bekennen.
Sie war ja Zeugin deiner Tapferkeit.

Cyrano.
Schau mich doch an und gib mir dann Bescheid,
Wie viele Hoffnung dieses Trumm von Nase
Mir übrig läßt! Ich bin nicht so verblendet.  
In schwachen Stunden zwar, wenn heitrer Abend
Aus einem Park mir seine Düfte labend
In dieses große Riechorgan entsendet
Und ich beim Strahl des Mondes muß erlauschen,
Wie Liebespärchen Flüsterworte tauschen,
Dann denk ich mir: es wäre doch ergötzlich,
Im Vollmond, Arm in Arm, ein Schäferspiel;
Ich schwärme, werde kühn ... und sehe plötzlich
Als Schatten an der Mauer mein Profil.

Le Bret
(gerührt).
Mein Freund ...

Cyrano.
Mein Freund, oft quält mich's unermeßlich,
Daß ich so wüst bin; manchmal bis zum ...

Le Bret
(seine Hand ergreifend). Weinen?

Cyrano.
O niemals! Nie! Das wäre gar zu häßlich,
Wenn salz'ge Flut auf dieses Monstrum ränne.
Nie darf, solang ich noch mich selber kenne,
Der Tränen lautre Schönheit sich vereinen
Mit solcher Ungestalt. Denn, wohlbedacht,
Nichts ist ja heiliger als Menschenzähren;
Für einen Frevler würd' ich mich erklären,
Hätt' ich nur eine lächerlich gemacht.

Le Bret.
Laß ab von dieser Schwermut. Lieb' ist blind.

Cyrano
(den Kopf schüttelnd).
Venus schwärmt für Adonis; Dido freit
Aeneas. Hatten die viel Ähnlichkeit
Mit mir?

Le Bret.
Dein Mut! Dein Geist!   Ein hübsches Kind
Bot dir soeben Trank und Speise dar.
Sieht das etwa besondrem Abscheu gleich?

Cyrano
(betroffen).
Nein, nein ...

Le Bret.
Da hast du's!   Und Roxane war
Ganz bleich bei deinem Zweikampf.

Cyrano.
Sie war bleich?

Le Bret.
Wenn ihr Verstand und Herz dir Beifall zollen,
Was hast du noch zu fürchten?

Cyrano.
Ihren Spott!

Portier
(auftretend, zu Cyrano).
Herr, eine Dame bittet ...

Cyrano
(die eintretende Duenna erblickend).
O mein Gott!
Ihre Begleiterin! Was mag sie wollen?

Sechster Auftritt

Vorige. Die Duenna.

Duenna
(mit einem tiefen Knicks).
Man wüßte gern, wo man geheim und still
Den tapfren Vetter sprechen kann.

Cyrano
(verwirrt). Mich sprechen?!

Duenna
(wieder knicksend).
Jawohl. Man will ...

Cyrano.
Was will man?

Duenna
(abermals knicksend). Kurz, man will.

Cyrano
(wankend). Mein Gott!

Duenna.
Beginnt der Morgen anzubrechen,
Dann wird man in die Kirche gehn, zur Messe.

Cyrano
(sich auf Le Bret stützend).
Mein Gott!

Duenna.
Wo träfe man sich in der Näh'?

Cyrano
(kaum der Sprache mächtig).
Bei ... Himmel!

Duenna.
Schnell!

Cyrano.
Ich will nur überlegen ...

Duenna.
Wo?

Cyrano.
Bei ... bei Ragueneau ... dem Koch ...

Duenna.
Adresse?

Cyrano.
In ... Himmel! ... in der Rue Saint-Honoré.

Duenna
(aufbrechend).
Um sieben ist man dort.

Cyrano.
Ich bin zugegen.
(Duenna ab.)

Siebenter Auftritt

Cyrano. Le Bret. Dann Schauspieler, Schauspielerinnen, Cuigy, Brissaille, Ligniere, der Portier, die Geiger.

Cyrano
(sich in Le Brets Arme stürzend).
Sie! Mir!   Ein Stelldichein!

Le Bret.
Gibt das dir Mut?

Cyrano.
Zum mindesten bemerkt sie, daß ich lebe!

Le Bret.
Bist du nun ruhig?

Cyrano.
Ruhig? Nein, ich bebe
Vor lauter Tatendrang; heiß kocht mein Blut!
Ein ganzes Heer will ich zum Feind erkiesen;
Denn Herz und Arm fühl ich verzwanzigfacht!
Nicht Zwerge mehr durchbohr ich ... (brüllend) sondern
Riesen!
(Inzwischen sind auf der Bühne, im Hintergrund, die Schatten von Schauspielern sichtbar geworden, die sich dort hin und her bewegen und flüstern. Man beginnt eine Probe. Die Geiger haben ihren alten Platz wieder eingenommen.)

Eine Stimme
(von der Bühne aus).
Pst! Hier ist Probe. Keinen Lärm gemacht!

Cyrano
(lachend).
Wir gehn.
(Er macht einige Schritte nach hinten. Durch die große Mitteltür kommen Cuigy, Brissaille und mehrere Offiziere, welche den vollständig betrunkenen Lignière führen.)

Cuigy.
Cyrano!

Cyrano.
Was?

Cuigy.
Ein Murmeltier
Fing sich im Netz.

Cyrano
(ihn erkennend).
Lignière!   Was willst du hier?

Cuigy.
Er sucht dich ...

Brissaille.
Weil er nicht nach Hause kann.

Cyrano.
Warum nicht?

Lignière
(ihm ein ganz zerknittertes Billett zeigend,
mit lallender Stimme)
.
Dieses Briefchen ... Hundert Mann,
Die bei der Porte de Nesle ... mir meiner Verse wegen
Auf meinem Heimweg ... nach dem Leben trachten.  
Kann ich ... kann ich bei dir heut übernachten?

Cyrano.
Hundert?   Du sollst daheim dich schlafen
legen!

Lignière
(angstvoll).
Indessen ...

Cyrano
(mit schrecklicher Stimme).
Fürchte nichts!
(Er deutet auf die angezündete Laterne, die der Portier, neugierig zuhörend, in der Hand schaukeln läßt.)

Cyrano.
Nimm die Laterne!
(Lignière gehorcht.)
Ich will dich schützen, wenn Gefahr dir dräut!
(Zu den Offizieren.)
Folgt uns als Zeugen; aber nur von ferne!

Cuigy.
Doch hundert Mann ...!

Cyrano.
So viele brauch ich heut!
(Die Schauspieler und Schauspielerinnen sind in ihren Kostümen von der Bühne herabgestiegen und nähern sich den Sprechenden.)

Le Bret.
Weshalb beschützest du ...

Cyrano.
Kommst du mir auch?

Le Bret.
Den Saufkumpan?

Cyrano
(Lignière auf die Schulter klopfend).
Weil dieser Saufkumpan,
Dies alte Spritfaß, dieser Branntweinschlauch,
Einst etwas Wunderschönes hat getan:
Bemerkend, wie sein Lieb im Gotteshaus
Sich fromm besprengte mit geweihtem Wasser,
Lief er, des Wässrigen geschworner Hasser,
Geschwind zum Kessel hin und trank ihn aus.

Eine Schauspielerin
(im Soubrettenkostüm).
Ach, das ist hübsch!

Cyrano.
Nicht wahr, Fräulein Soubrette?

Die Schauspielerin
(zu den anderen).
Warum verfolgt man diesen armen Dichter?

Cyrano.
Vorwärts! (Zu den Offizieren.)
Doch bleibt entfernt, damit die Wichter
Nicht glauben, daß ich Beistand nötig hätte!
Eine andere Schauspielerin
(von der Bühne
herunterspringend)
.
Das muß ich sehn!

Cyrano.
Marsch!

Eine dritte Schauspielerin
(herunterspringend, zu einem alten Schauspieler).
Kommst du mit, Cassander?

Cyrano.
Ja, Kinder, folgt mir alle miteinander!
Als leichtbeschwingte, tolle Bienenschwärme
Sollt ihr dem spanischen Drama zugesellen
Den italienischen Schwank, und sollt im Lärme
Des Kampfes klingeln mit den Narrenschellen.

Alle Damen
(vor Freude hüpfend).
Bravo!   Mein Kopftuch   meinen Schal!

Jodelet.
Hurra!

Cyrano
(zu den Geigern).
Und Ihre Geigen spielen uns den Tusch.
(Die Geiger schließen sich dem Zuge an, der sich nun bildet. Man bemächtigt sich der an der Bühnenrampe brennenden Kerzen und verteilt sie wie zu einem Fackelzug.)
Das kostümierte Völkchen hinterdrein,
Und zwanzig Schritt voraus ... (er plaziert sich dementsprechend) ich ganz allein,
Glorreich umweht von meinem Federbusch,
Stolz wie mein Urbild Scipio Nasica!  
Beispringen darf mir niemand, was auch immer
Geschieht!   Nun, Pförtner, öffnen Sie das Tor!
(Der Portier öffnet die beiden Flügel der Mitteltür. Ein malerischer, mondbeschienener Winkel des alten Paris wird sichtbar.)
Da liegt Paris im nächt'gen Nebelflor,
Die Dächer blau beglänzt vom Mondesschimmer;
Der Seine Zauberspiegel bebt im Wind
Und läßt den Widerschein der dunst'gen Lichter
Erzittern! Gibt es schönere Kulissen?
Der Vorhang geht nun auf; das Stück beginnt!

Alle.
Zur Porte de Nesle!

Cyrano
(in der Tür stehend). Zur Porte de Nesle!
(Sich noch einmal umwendend, zur Soubrette.)
Zu wissen
Verlangten Sie, mein Kind, warum sich hundert Mann
Verschworen gegen einen armen Dichter?
(Er zieht seinen Degen; in ruhigem Ton.)
Weil er mein Freund ist.
(Zu den übrigen.) Folgt!
Ich geh voran.
(Er geht ab. Der Zug setzt sich, unter dem Klang der Geigen und im Schein der Kerzen, in Bewegung; Lignière, hin und her schwankend, an der Spitze; die Schauspielerinnen Arm in Arm mit den Offizieren; zuletzt die Schauspieler, Luftsprünge machend.)


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