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IV.

Die Sonne sank, und die Luft war warm und still. Paarweise ging man im Garten unter den großen, seltenen Bäumen umher – über den seidenweichen Rasen, der sich zwischen Kanälen mit seltsam verzierten Brücken erstreckte.

Der Kreisarzt und Viffert disputierten noch immer über Menschentypen, obwohl Viffert hin und wieder spähende Blicke nach der Gräfin und dem jungen Mann aussandte, die sich seiner Meinung nach viel zu weit entfernten.

Der Graf stand, in tiefem Gespräch mit Skram begriffen, auf einem Hügel an der Außenseite des Parkes. Er redet mit gedämpfter, ernster Stimme wie ein schwer bekümmerter Mann, dessen Leid so stark ist, daß er es nicht zu verhehlen vermag.

»Sie hat also schon mit Ihnen gesprochen,« sagte er. »Es muß also wirklich sein? – Skram, können Sie, der Sie doch viel klüger sind als ich, mir nicht sagen, wie ich es bloß anstellen soll, um sie zum Bleiben zu bewegen? Ich will es so... verstehen Sie, ich will es.«

Skram wurde etwas verlegen. »Wie ich die Gräfin vorhin verstand, war zwischen Ihnen schon die Verabredung getroffen, daß Sie, Herr Graf, freiwillig...«

»Ja, freiwillig,« unterbrach ihn der Graf. »Ganz recht, denn sie zu zwingen, ist mir natürlich nicht möglich. Wenn sie nun einmal gehen will, wie soll ich sie da zwingen können? Aber sie soll nicht gehen, sie soll nicht. Sie glauben vielleicht, daß ich – wie soll ich sagen? – kalt, ohne Gefühl oder dergleichen sei. Das bin ich nun gar nicht. – Allerdings, was man Liebe nennt – ich sage Liebe, um ein starkes Wort zu gebrauchen – das ist mir vielleicht fremd. Ich habe mich nie viel um Frauen gekümmert. Es ist, wenn man so sagen kann, nicht das Weib in ihr, das ich liebe, sondern der Mensch, nur der Mensch. Und mein ganzes Leben bricht zusammen, wenn ich sie verliere!«

Skram wurde unruhig.

»Ja, Herr Graf, da ist es schwer, zwischen Ihnen und der Gräfin zu vermitteln, und wenn...«

Der Graf legte seine starke, große Hand auf Skrams Schulter und sah ihm mit offenem Blick ins Gesicht.

»Lieber Skram, ich weiß es gut: auch Sie sind in meine Frau verliebt. Das sind ja alle Männer, denn sie will es so. Und ich versichere Ihnen, daß ich keineswegs eifersüchtig bin. Ich will auch nicht, daß Sie mir Ihr Vertrauen schenken – aber Sie haben nun ja von Gesetzes wegen mit der Sache zu tun. Darum will ich es rein heraussagen: Meinetwegen mag sich meine Frau irgend eine Schwärmerei erlauben – beim Teufel, das ist ehrlich gesprochen. Eine, wenn es sein muß, auch zwei Schwärmereien, mag sie haben; vielleicht sind drei sogar besser als eine. Aber bei mir bleiben soll sie, denn ich kann sie nicht entbehren. Sie verstehen das vielleicht nicht. Das ganze Dasein ist mir so gleichgültig; ich habe keine Triebe, habe niemals irgendwelche gehabt; aber in dem Augenblick, da man sie von mir fortnimmt, schneidet man ein Stück aus meinem eigenen Fleisch. Können Sie das begreifen?«

»Wäre es da nicht möglich, alles wieder in die alte Ordnung zu bringen?« fragte Skram, ein wenig unruhig. Er war im Grunde über die Vertraulichkeit des Grafen durchaus nicht erfreut.

Dieser schüttelte den Kopf. »Sie will nicht. Sie will nicht! Ich könnte Ihnen das Ganze erzählen – sollte es vielleicht sogar, aber...« er brach ab.

Skram trat einen Schritt vor, und der Graf folgte ihm. Sie gingen die lange Lindenallee hinab, an deren Ende das von der Sonne dunkelrot beleuchtete Schloß lag.

Der Graf redete langsam, als grabe er jedes einzelne Wort erst hervor. »Die Schuld an allem hat nur Helmut,« sagte er. »Ich hasse Helmut, ja, ich hasse ihn. Und doch habe ich ihn so viele Jahre hindurch bei mir geduldet – weil sie es so wollte, weil sie ihn nicht entbehren konnte. Nach und nach hat sich mein Haß auch abgekühlt. Schließlich mag ich alle Menschen gern und bin zum Hassen nicht geeignet. Ich habe es zu verstehen gesucht und habe mich eingerichtet. Das kann man gut. Ich wenigstens habe es gekonnt und bin eigentlich immer recht glücklich gewesen. Meine Ansprüche sind bescheiden, habe ich doch in mancher Hinsicht mehr als ich nur irgend brauche. Ich sage, ich mag alle Menschen gern, aber alle Menschen mögen auch mich gern, das sehe ich täglich – hier auf dem Gut, in der Nachbarschaft – überall; die Menschen sind alle gut und freundlich gegen mich – auch Polly, ja, Sie ahnen nicht, wie gut und zärtlich sie gegen mich ist. Und dennoch will sie jetzt fort. Ich begreife wirklich nicht, warum.«

Skram begann zu verstehen, aber er war eine zu gerade Natur, als daß er sich hätte teilen mögen. Wo er stand, da stand er ganz – und er stand auf ihrer Seite. Selbstredend hielt auch er den Grafen für einen herrlichen Mann, einen ungewöhnlichen Menschen, der vielleicht viel zu gut für diese Welt war und sicher kein Geschick zum Leben in ihr hatte. Aber dennoch fand Skram, daß dies hier über seine Kraft ging. Laß fahren dahin Ochs, Esel und alle Güter, steht in der Schrift, aber das Weib, das man liebt, besitzt man oder verliert man.

Dagegen interessierte ihn des Grafen Verhältnis zu Viffert. Er mochte nicht direkt danach fragen, sondern beschränkte sich auf eine Andeutung: »Sie glauben also, daß Helmut Viffert hinter dem Ganzen steckt?« sagte er.

»Genau weiß ich ja nichts,« lautete die Antwort, »aber Polly sagt, daß sie reisen, ihr Leben genießen – frei sein wolle. Und der einzige, der sie zu diesen Ideen veranlaßt haben kann, ist doch er!«

Skram war ungläubig.

»Glauben Sie wirklich, daß er der einzige ist?«

Der Graf blickte verwundert auf, dann sagte er: »Selbstverständlich; sonst hätte sie es mir doch erzählt. Sie erzählt mir ja alles. Ja, auch über Sie hat sie mit mir gesprochen. Sie weiß gut, daß Sie eingenommen von ihr sind, und sie schätzt Sie auch sehr. Nein, niemals würde sie etwas vor mir verbergen. Sie kennt mich ja und weiß –«

Am Ende der Allee tauchten die Gräfin und Sigismund Viffert auf. Die Gräfin hemmte einen Augenblick lang ihren Schritt, als ob sie zur Seite abbiegen wolle, doch dann setzte sie ihren Weg fort und schritt den beiden gerade entgegen.

Der Graf schritt rascher aus.

»Da ist zum Beispiel der junge Viffert,« sagte er, »ein prächtiger, schöner Junge, den ich sehr gern habe. Um ihn kümmert sich Polly nicht im geringsten, denn sie findet ihn dumm. Das ist er allerdings gar nicht. Vielmehr ist er außerordentlich begabt, nur etwas schweigsam. Schön, liebenswürdig und tüchtig ist er auch. Aber dennoch langweilt er sie geradezu.«

Skram warf einen verstohlenen Blick auf den nachsichtigen Ehemann, der das Vertrauen seiner Frau auch in solch ungewöhnlicher Hinsicht zu besitzen glaubte. Es schien ihm, als habe der Kammerjunker Viffert – der Jägertypus – doch die richtige Spur gewittert.

Aber er schwieg und beschloß, Augen und Verstand zu gebrauchen.

Inzwischen waren die Gräfin und Sigismund zu ihnen herangekommen und folgten ihnen nunmehr zum Schloß hinauf. Jetzt aber schritt die Gräfin mit Skram voraus.

»Was wollte denn Viffert vorhin bei Ihnen?« fragte sie.

»Sein Testament machen,« sagte Skram ein wenig spöttisch. »Er glaubt, sterben zu müssen.«

»So?« rief sie und blieb einen Augenblick lang stehen. »Wer soll ihn denn beerben?«

»Das darf ich doch nicht sagen.«

»Sagen Sie es dennoch,« rief sie befehlend und heftete ihren Blick auf Skram.

Dieser überlegte einen Augenblick lang, dann sagte er: »Die Erben sind: Ihr Mann und Leonie.« – Das war nicht die volle Wahrheit.

Die Gräfin wurde blutrot. – »Sigismund übergeht er?« rief sie wie empört.

Einen solchen Ausbruch hatte Skram nicht erwartet; aber eigentlich war er doch ganz zufrieden damit, und er beschloß, nichts weiter zu verraten. Er glaubte, jetzt mitten in der Sache zu stehen und das Ganze besser begreifen zu können als irgend ein anderer.

Es war klar, daß sich der Knoten jetzt schürzte.

Die Gräfin schritt eilig voraus; sie sprach kein Wort, und Skram erkannte wohl, daß sie jetzt nur den einen Wunsch hatte, mit dem Kammerjunker Viffert zu reden. –


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