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Kennt Ihr das Geheimniß von den fabelhaften Erfolgen des Genremalers Franz Defregger?
Ihr kennt es nicht, Ihr wollt es nicht kennen, weil die Kunst da sei, um zu täuschen, wie Ihr meint, und weil sich die Welt täuschen lassen solle. Bis zu einem gewissen Grade ist das richtig, was aber den Genremaler Franz Defregger anbetrifft – kennt Ihr das Geheimniß? Ich bin geneigt, es gegen mäßiges Honorar mitzutheilen. Ein Defregger zu sein ist keine Kunst. Ich wohne in der Nikolaivorstadt, Obergasse Nr. 19, 1. Stock. Erhard Rafael.
Dieses Inserat stand im Wochenblatte eines Provinzialstädtchens.
Erhard Rafael? Im Adressenkalender wurde der Name vergeblich gesucht, hingegen wohnte im genannten Logement ein sicherer Erhard Raffal, Feuerwerker. Der wird's wohl sein. Und der war's.
Kein Inserat wird gedruckt in der weiten Welt, dem nicht wenigstens Einer aufsäße. So kam denn auch eines Tages in die Obergasse ein Herr gegangen, ein Herr mit schwarzem Anzug, langen, schwarzen Locken und weißem Cylinder; der trat in das Haus Nr. 19 und zu Herrn Rafael, der sich im ersten Stock eine dunkle und frostige Dachkammer eingerichtet hatte. Herr Rafael war just mit der Zusammenstellung eines Receptes zu einem bisher unerhört großartigen Feuerwerk beschäftigt. Der nächste Geburtstag des Landesfürsten soll in den Lüften in feurigen, knatternden Farben die – Hermannsschlacht sehen. Andere haben zur Darstellung dieses großen historischen Bildes etlicher Meter Leinwand bedurft, wir brauchen dazu eine halbe Kubikmeile Luft! Alles, was die Kunst bisher hervorgebracht, ist Schatten gegen das Flammengemälde, zu welchem Meister Rafael eben die Farben mischt. Rafael nennt er sich nur aus Bescheidenheit, denn eine gewisse Pietät darf man den Meister vergangener Zeiten nicht versagen, obgleich sie Alle Stümper waren. Und wie auch nicht? Sie haben der technischen und chemischen Hilfsmitteln entbehrt, die allein nur die fortschreitende Wissenschaft den Menschen an die Hand gegeben hat und die sich nur ein Mann von höchster Intelligenz dienstbar zu machen weiß.
Nachdem der Meister dem Eintretenden das Alles mit kurzen, klaren Worten, wie es nur der Feingebildete kann, auseinandergesetzt hatte, gestand der Fremde den Zweck seines Besuches und fragte nach dein Geheimnisse des Erfolges Franz Defregger's.
»Wir sind höchst wahrscheinlich Maler?« fragte Rafael.
»Maler, Alfonse de Rouge, den aber, wohlgemerkt, die Zunft der Maler und Recensenten aus Neid igno–«
»Das ist mißlich,« unterbrach ihn der Meister. »Ich bin auch Maler gewesen, ich habe auch einmal gewähnt, die Leinwand wäre ein würdiges Feld für das bildnerische Genie. Wie kindisch! Als das, was man unter dem landläufigen Ausdruck Maler versteht – auf deutsche Weise gesagt: Farbenschwindler – werden Sie aus meinem Geheimnisse wenig Nutzen ziehen können. Sie sehen meine Uneigennützigkeit. Wären Sie Photograph –«
»Der bin ich,« gestand Alfonse de Rouge, »die Kunst muß heutzutage zum Handwerk herabsteigen. Sie geht nach Brot.«
»Zu hausbacken.«
»Das Brot?«
»Das Sprichwort meine ich. Doch, Sie sind mein Mann.« So sagte Meister Rafael tiefen Tones und warf seine Granwage aus der Hand, weil er diese Hand ja dem Fremden auf die Achsel legen wollte. »Verbinden wir uns, Alfonse de Rouge! Ich gebe die Idee, Sie geben das Werkzeug. In der That, nein, Ihre so charmante Einladung zu einem Glase Wein kann man nicht abschlagen, man kann nicht! Und es plaudert sich auch besser dabei.« Damit nahm er seine Haube und der verblüffte Herr Alfonse mußte sich fügen – sie gingen in's Weinhaus.
Und im Weinhause hat Meister Rafael das Geheimniß von Defregger's Erfolgen ausgeplaudert.
»Defregger und ohne Ende Defregger! Jetzt ist er gar noch in den Adelstand erhoben werden – natürlich! Ich war auch einmal so albern, mir von seinen fabelhaften Erfolgen Appetit und Schlaf verderben zu lassen. Wie beschränkt! Was ist Defregger's Kunstgriff, daß er trifft? daß man ihm Wahrheit und Natur nachrühmt? Er beschränkt sich. Wohlan, auch ich bin beschränkt. Ist das genug? Nein, das ist nicht genug. Das Geheimniß besteht in etwas Anderem. – Trinken Sie! Auf Brüderlichkeit, College Alfonse! – Gute Bauernbilder zu machen, das ist keine Kunst, wenn ich mir die Bauersleute herkommen lasse, sie gruppire, photographire und colorire. – Jetzt ist's heraus.«
Nach langer Unterredung, wobei dem Weine sein Recht angethan wurde, gingen die beiden Zukunftskünstler auseinander.
* * *
Auf dem Dorfkirchtag von Allwand, wo eine große Auswahl von schmucken und lustigen Landleuten beisammen war, gutmüthige Bauern mit kurzen Pfeiflein im Munde, verwegene Jäger und Holzer mit glühenden Augen und schwarzem Gelocke, schalkhaft lächelnde Hirten, keckmuntere Sennerinnen, halberwachsene Knaben mit Spitzhüten und Hahnenfedern, lachende Mädchen mit blonden Haarzöpfen, und Alle in malerischer Aelplertracht – da ging unter ihnen der Werber um.
Der nächste Sonntag wäre in der Stadt der »Uhrhandel-Sonntag«, wo Jeder, der einen hat, seinen »Brater« und »Knödel« gern wieder einmal vertauscht. Wer da in die Stadt käme, solle ja nicht versäumen, sich beim Photographen, der gleich eingangs am Wasserthore rechter Hand ist, anzumelden.
Was es dort gäbe?
Ob man denn keine Liebschaften habe?
Was es dort beim Photographen gäbe?
Bei Liebschaften, besonders, wenn sie auseinandergingen, sei so ein nettes Bildchen »zum treuen Andenken« viel gern gegeben. Es koste nichts, das Photographiren, gar nichts koste es, »keinen Kreuzer auch nicht«. Sollten kommen. Eingangs beim Wasserthore rechter Hand.
Die Sache war eingeleitet.
Am »Uhrhändler-Sonntag«.
Am bezeichneten Sonntage gingen Viele zum bezeichneten Photographen. Doch der Photograph hatte einen Schreck um den anderen, so oft die Thür aufging. Den er letzthin in der malerischen Bocklederkniehose gesehen hatte, der stand jetzt »im schwarzen Pantalon« da. Die er draußen im Dorfe wegen ihres bunten Mieders und ihrer feinen Haarzöpfe bewundert hatte, die trug heute Gewand und Frisur wie eine Stadtköchin am Ausgehtag. Nun ja, wenn man sich photographiren lassen geht, »da wichst man sich gern ein wenig nobel zusamm'«.
Einzelne, die stattliche Schnurrbärte und dankbare Adlernasen hatten, wurden für ein andermal eingeladen, wenn sie das Bauergewand an hätten.
Freilich sagte Eine: »Wenn ich ihm nicht schön genug bin, dem Herrn, wie ich heut dasteh', so lass' ich mich gar nicht!«
»Und wenn's nur von wegen dem Gewand ist – einen Kleiderstock abgeben, das thu' ich nicht, ich!« So ein Zweiter.
Und eine Berglerin: »Das Gewand schenirt ihn. Jetzt weiß ich, was das für Einer ist!«
Alle gingen empört davon. –
Besser arrangirt war's ein anderesmal.
Da saß vor der Linse eine reizende Almerin und sollte einen Liebesbrief lesen.
»Uh Halbesel!« rief sie lachend, »ich kann ja gar nicht lesen, mein Lebtag nicht, daß ich kann!« Und leise mit dem Schürzenzipfel spielend – versteht sich – die Anfrage: »Hat der Hiasel geschrieben?«
»Es ist ja blos ein leeres Blatt Papier, und Du sollst nur thun, als lesest Du, daß ich Dich so photographiren kann.«
»Nachher kommt ja eine Falschheit auf das Bild! Die ist aber dumm, werden sie sagen, die thut Brief lesen und kennt gar keinen Buchstaben. Nein, Herr Otto Graf, das thu' ich nicht!«
Zwei andere junge Leute, ein prächtig gewachsener Bursche und eine dralle Sennin, sollten sich so gruppiren, daß er auf seinen Knien die Zither spielte und sie ihm gegenüber saß und liebesinnig in's Gesicht blickte. Es war auch schon Alles in Richtigkeit, der Bursche war's recht zufrieden, daß man's in der Photographirerei so weit gebracht habe, auch die »Steierischen« auf der Zither zu photographiren. Das Mädchen meinte: Dieser Mensch da sei ihr zwar stockfremd, sie wisse gar nicht einmal, ob er sie möchte; aber wenn's schon sein müsse, so wolle sie ihn halt in Gottes Namen verliebt anschauen, sie denke dabei wohl an einen Richtigen. Schließlich zerschlug sich Alles durch den Hund. Der Photograph wollte nämlich im Vordergrunde des Bildes einen stattlichen Haushund postiren, worauf das Mädchen vom Sitze emporsprang und mit zornglühendem Gesichte ausrief: Mit einem Hunde ließe sie sich nicht photographiren! Das wäre sauber, sich mit einem Hunde photographiren zu lassen! Das möge der Jäger thun oder der Schinder, sie habe von einem solchen Otto Grafen genug, bis an den Hals herauf genug! – Und stürzte davon, noch unten auf der Gasse keifend, daß man immer wieder das Wort »Hund« vernahm. Die Aufnahme enthält den Zitherspieler und den Hund allein.
Ein andermal kamen mehr Leute zusammen, so daß Herr Alfonse de Rouge an ein größeres Gruppenbild denken konnte.
Ob Keine ein Kind bei sich hätte? war die Frage. Darüber Verblüffung. Wer denkt auch an ein Kind, wenn man sich fotografiren lassen will! Aber es soll eine Familienscene werden – heißt das friedlicher Art, so etwa, daß die Mutter ein Kind auf dem Schoß hält und die größeren Kinder spielen mit ihm, und der Vater schaut zu und raucht schmunzelnd ein Pfeiflein. – Nun, einstweilen ginge das nicht.
Vielleicht Wildschützen im Berghause mit Sennerinnenstaffage! Keine üble Idee. Jetzt ist aber Einer dabei, der sich darüber empört, daß er halb mit dem Rücken gegen den Zuschauer gestellt ist.
»Wenn Ihr mich von hinten sehen wollt,« rief er aus, »so ist leicht geholfen!« Und rannte davon.
Damit die mühevoll zusammengeschleppte bäuerliche Gesellschaft willfähriger und der Spaß größer sei, so ist mit Branntwein nachgeholfen worden. Hierauf war für den Photographen die Arbeit um das Zehnfache leichter, und die Figuren ließen sich stellen so willig, wie die Kegel auf der Kugelbahn. Mitunter wankt oder fällt Einer, aber dafür hat man heutzutage ja die schnellen Apparate. Wenn einzelne Gestalten etwas verschwommen ausfallen, das ist sogar gut, denn die Sachen werden ja doch colorirt, und es ist sehr zweckmäßig, wenn die photographischen Linien umso leichter verlegt werden können.
Ueberaus schwer zu beschaffen waren aber gewisse Gesichtsausdrücke der Stimmungen und Leidenschaften, wie sie der Künstler bedurfte. Da soll so ein Mordskerl der Schönen einen schelmisch-fragenden Blick zuwerfen. Das geht. Dort soll Eine eifersüchtig sein. Es thut sich. Ein Anderer soll brüten, noch ein Anderer finster und zornig thun. Einer muß dumm dreinglotzen. – Wer giebt sich her für solche Sachen?
»Meinetwegen,« lallt ein dickhalsiger Kohlenbrenner, »wenn ich's krieg, voll krieg – noch einmal voll krieg – das da – das Glasel da – nachher – bin ich dumm.«
»Das Glasel wäre reine Verschwendung,« bemerkte ein boshafter Pecher, »der Köhler-Jodel ist nicht so capricirt, der thut's billiger – auch ganz umsonst.«
Der so Geschmeichelte hob schwer seine Hand gegen den Pecher: »Bist ein – braver Mann!«
Der Holzer Riesel, ein kernhafter Waldmensch über und über, sollte zornig sein, die Fäuste ballen und ein wuthverzerrtes Gesicht machen. Die Fäuste ballen ist keine Kunst, Bauersleute thun's im Offenen, Stadtleute im Sacke; aber sich giften und nicht wissen warum, das bringt der Riesel nicht zuwege.
Er sollte es einmal versuchen, rieth der Photograph.
Der Riesel versuchte es, aber aus der wilden Miene wurde ein treuherziges Grinsen. Man lachte.
Was es da zu lachen gäbe! warf der Riesel drein, ob man glaube, daß er da sei, daß man sich über ihn lustig mache? Da wären sie beim Unrechten. Zum Narren halten lasse er sich nicht! Wem's nicht recht wäre, der solle nur hergehen! Er wolle dieses kreuzverdammte Geraffel –
Da lag der Apparatkasten hingeschleudert und reckte seine drei Beine von sich. Der Riesel schoß glühend umher, es war der herrlichste Zorn, den der Photograph in seinem Leben gesehen, aber ach! der Apparat, der ihn hätte fixiren sollen, lag in Scherben. Die Leute machten sich erschrocken davon. Der Riesel ballte noch einmal die Fäuste zurück: »Du langhaariges Wirbelthier! Du foppst mich nimmer!« Und war, Gott Lob! auch davon.
So endeten die Aufnahmen der Bauernbilder in der photographischen Anstalt des Herrn Alfonse de Rouge.
Ein paar der Bilder sind aber doch colorirt worden, leider hatten die Farben die ursprünglichen Züge in einer Weise räthselhaft gemacht, daß der Maler, als er brütend vor seiner Arbeit stand, nichts that als den Kopf schütteln. Und wenn solch ein Meister selbst über sein Werk den Kopf schüttelt, dann freilich sind dem Publicisten alle Wege abgeschnitten, das Werk zu protegiren, und wir könnten nichts, gar nichts, als schließlich die Vermuthung aussprechen, Herr Rafael habe sich mit Alfonse de Rouge nur einen leider schlechten Spaß gemacht und das wahre »Geheimniß von den Erfolgen des Genremalers Franz Defregger« für sich selbst behalten, wenn sich von der Ausnützung desselben bei ihm auch nur die geringste Spur gezeigt hätte.
Uns hat der Mann das Geheimniß nachträglich vertraut, so daß wir in der Lage sind, das, was unser Titel versprochen, doch noch zu halten.
»Defregger's Erfolge,« sagte Meister Rafael, denn der Wein war süffig, »haben mir niemals imponirt; und wenn er den großen Fetzen grauen Himmels, der über das ganze Tirol hängt, herausschneidet und darauf alle 912.549 Tiroler und Tirolerinnen, wie sie leiben und leben hinmalt – mich berückt er nicht! – mich nicht! Der Mann hat leicht malen, der hat's in der Hand. Was ist denn das für eine Kunst, für ein Verdienst? Jeder kann's, wenn er die Hand dazu hat.«