Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Das verkehrte Laternlein.

Ein Kindermärchen für Ehemänner.

Da lebte in alten Zeiten einmal ein Mann. Den hatte der König zu wichtigen Diensten erkoren und sandte ihn einst in ein fernes Reich, um dem Fürsten desselben eine geheime Botschaft zu bringen.

Herr Alerich entschloß sich zur großen Reise nur schwer, denn er hatte daheim eine junge, schöne Frau, um deren Huld sich viele Männer der Nachbarschaft bewarben und an deren wonnigsüßem Angesichte der König selbst sein Wohlgefallen hatte.

Bei seinem Abschiede hatte er sie gebeten, ihm treu zu bleiben; sie schloß ihr Auge und sah ihn nicht an. Er hatte ihr befohlen, ihm treu zu sein; sie warf ihm einen trotzigen Blick zu. Als er davonging, küßte sie ihn mit Inbrunst und that ihm so schön, als wäre sie dankbar, daß er gehe.

Unterwegs schickte er sein Gefolge weit voraus, oder ließ es weit hinter sich. Er ritt allein, um ungestört der Qual seiner Liebe obliegen zu können. Er dichtete die farbenreichsten Bilder, wie sie ihn daheim betrüge, und er wiegte sich in diesen Bildern, und dort in seinem Herzen, wo sonst die Liebe gewaltet, empfand er etwas, wie Pein und Lust und Rachegefühl. Es war ein böses Reisen, umso unerträglicher, als er kaum Hoffnung hatte, vor Jahresfrist zurückzukehren. Seine Pein stieg von Tag zu Tag, denn auch die Träume der Nacht thaten das Ihrige.

Da war es eines Tages, daß Herr Alerich durch einen großen Wald ritt und daß er zu einer Stelle kam, wo Räuber gerade einen hilflosen Greis überfielen. Herr Alerich spaltete einem der Strolche den Schädel, die Uebrigen machten sich kopfscheu davon. Der Gerettete, ein häßliches, uraltes Männlein, warf sich vor dem Ritter auf die spitzen Knie und dankte für die Rettung und hob mit hageren Armen ein schwarzes Kästlein zu ihm empor, zum Lohn für die Erhaltung des süßen Lebens.

»Laßt das sein, Alter, laßt das sein,« sagte abwehrend Herr Alerich, »ich that's wahrlich nicht Euretwegen, ich that's der Räuber wegen.«

Wie er das meine?

»Ob Ihr todt oder lebend seid, das ist mir gleichgiltig; meine Lust ist, das Verbrechen zu bestrafen.«

»Deß habt Ihr wohl Recht,« sagte der Greis, »daß der Unschuldige lebt, ist kein Glück, aber daß der Schuldige lebt, ist ein Unglück. Ihr wißt wacker zu handeln und zu denken, und darum sollt Ihr meinen Lohn nicht in den Wind schlagen. In diesem Kästlein ist ein reicher Schatz.«

»Ihr meint wohl, daß ich Euch den Räubern abgejagt habe, um Euch selbst zu berauben?«

Da lächelte der Greis. »Um das, lieber Herr, was dieses Kästlein birgt, schlagen die Söhne der Wildniß Keinen todt. Die goldene Kette sahen sie, die ich am Halse trage und die nur ein äußeres Zeichen ist von dem, was ich bin und habe. Denn alles Gold auf Erden zusammengenommen wiegt die Kleinode nicht auf, die in diesem Schränklein sind.«

Er öffnete es und als Herr Alerich einen Blick hineinwarf, rief er: »Das ist ja Trödel!«

»Trödel sagt Ihr?« grinste der Greis. Dann begann er mit zwei Fingern die Dinge herauszuheben. Zuerst ein elfenbeinernes Stirnband: »Das ist der schlafende Schlaf.« Dann ein silbernes Horn: »Das ist das hörende Ohr.« Und endlich ein krystallenes Laternlein: »Das ist das sehende Auge.«

»Und das,« sagte der Ritter, dem Männlein auf die Achsel klopfend, »das ist der närrische Narr.«

»Ihr seid armselige Wichte,« rief der Greis, »Ihr meint, weil Ihr schlaft, so schliefet Ihr auch; und meint, weil Ihr das Tausendste vom tausendsten Schall höret, der Euch umbraust, Ihr wäret nicht taub; und meint, weil Ihr in der unendlichen Welt beim himmlischen Lichtmeer etliche tausend Spannenlängen vor Euch hinsehen könnt, Ihr wäret nicht blind. Zähmt Euer Rößlein, Ritter, daß es sich bescheide, noch ein wenig auf diesem Waldplatze stehen zu bleiben und sagt mir, habt Ihr eine Grille im Kopf, die Ihr Euch gern aus dem Sinn schlagen möchtet? Tragt Ihr keine Erinnerung in Euch, die Euch das Leben vergällt? Ihr wollt sie tödten, sie stirbt nicht, Ihr wollt entfliehen, sie verfolgt Euch wie ein böser Geist. Zum Schlafe glaubt Ihr Euch retten zu können, aber was ist Euer Schlaf, wenn jeden Augenblick der böse Gast des Traumes einfallen und Euch quälen kann! Es nähme mich Wunder, Herr, wenn Ihr keiner von Denen wäret, die dieses Stirnband brauchen könnten!«

»Nun, was hat's damit für eine Bewandtniß?« fragte Herr Alerich, den die Sache anfing, ein wenig zu berücken.

»Wer dieses Stirnband auf sein Haupt legt,« sagte der Greis, »und dabei wünscht, einer bestimmten Erinnerung, auch mehrerer los zu sein, an etwas ganz und gar zu vergessen, der wird davon frei sein und so lange er das Stirnband trägt, nicht mehr an das denken, was ihn gepeinigt hat.«

»Das wäre nicht übel,« sagte Herr Alerich. Dann dachte er, wie schön und munter seine Reise sein könnte durch der Herren Länder, wenn er nicht immer an sein Weib denken müßte, und daran, was während seiner Abwesenheit möglicherweise zu Hause vorgehen könne. Aber nein, an sie zu denken, das ist ja sein Leben. Er will daran denken, er will. »Hinweg mit dem Stirnband, Alter,« sagte er, »schenke es einem armen Sünder.«

»So wäre vielleicht das hörende Ohr etwas für Euch?« fragte der Greis. »Setzet dieses silberne Horn an Euer Ohr, denkt dabei an irgend einen Menschen auf der Welt, er sei wo immer, und Ihr werdet hören, was er in demselben Augenblicke spricht. Habt Ihr keine Lust, das Lob zu vernehmen, welches in Eurer Abwesenheit Eure guten Freunde Euch spenden? Habt Ihr kein Liebchen daheim, dessen Sehnsuchtsseufzer nach dem Erkorenen Euch zu hören gelüstet?«

»Darf man das Horn versuchen?«

»Ja, Herr.«

Herr Alerich hielt es an sein Ohr und indem er dabei der Freunde und Bekannten dachte, hörte er ein lebhaftes Gesurre von Schimpf und Spott und üblen Nachreden, die ihm galten. »Pfui,« sagte er, »da singt der Teufel heraus, ich will nur noch hören, was jetzt mein liebes Weib sagt.«

– O süßer Knab' – Du höchste Lust – ruh' aus an meiner – weichen Brust. – Das ist ihre Stimme. Der Ritter wurde blaß.

»Es dünkt mich, daß Ihr auch an dem hörenden Ohr keinen rechten Gefallen findet,« sagte der Greis, »vielleicht behagt Euch das sehende Auge. Guckt in diese krystallene Laterne und Ihr werdet sehen, was zu sehen Euch verlangt.«

»Gebt her!« Mit raschem Griff faßte Herr Alerich das Laternlein, er wollte sehen, was in diesem Augenblick sein Weib treibe. Er schaute hinein. – Sie saß in ihrem Gemach und an ihrem Busen lehnte das Lockenhaupt eines – »Wer ist es?« rief Herr Alerich und es flimmerte ihm vor den Augen. »Ein junger Mann?«

»Behaltet Eure Sachen,« sagte der Ritter dumpf, »ich habe genug gehört und gesehen.«

»Und wollt Ihr nichts mit Euch nehmen?«

»Ich will die Dinge in Wirklichkeit sehen und hören.« Dabei legte er die Hand an sein Schwert. »Vielleicht, Alter, wenn wir uns später je noch einmal begegnen, daß ich den schlafenden Schlaf begehre. Jetzt will ich wachen. Gehabt Euch wohl.«

Damit wendete Herr Alerich sein Roß und ritt den weiten Weg, den er herangekommen war, wieder zurück.

Er ritt heim und hielt in seinem Zorne Gericht über das treulose Weib, das gegen seine wuchtigen Anklagen kein einziges Wort der Vertheidigung fand. Er verstieß sie sammt dem Kinde, entließ Söldner und Knappen, verschloß die Burg und floh vor dem Zorne seines Königs, dessen Dienste als Botschafter er so schlecht ausgeführt hatte.

Planlos und unglücklich irrte er im Lande umher und an nichts konnte er denken, als an sein verstoßenes Weib. Er konnte es nun nicht glauben, daß sie untreu war, und doch war dieser Glaube an ihre Schuld seine einzige Stütze und Rechtfertigung und auch – seine Hölle.

Er ging dem Meere zu, er wollte hinüberfahren in die neue Welt und dort ein neues Leben beginnen. Dort wollte er sein Glück nicht mehr auf Treu und Glauben gründen, sondern auf die Schlechtigkeit und Verworfenheit der Menschen – da wird es fester stehen, da wird es nicht enttäuscht werden.

Am Strande, wo die Gischten der See brausend an die schwarzen Felsblöcke schlugen, saß der Greis mit dem Kästlein.

»Wollt Ihr auch hinüber?« fragte ihn Herr Alerich.

»Was denkt Ihr!« »ersetzte der Alte, »da drüben hätten meine Kleinode so wenig Werth, als damals vor den Räubern im Walde. Da drüben wollen sie nur Gold. Vielleicht frommt's Euch, lieber Herr, mit meinem sehenden Auge einen Blick hinüberzuthun, bevor Ihr Euch dem Schiffe anvertraut.«

»Das kümmert mich nicht,« sagte Herr Alerich, »aber wenn Ihr mir das sehende Auge noch für einen Blick in die alte Welt leihen wollt, bevor ich sie verlasse, so will ich Euer mit Dank gedenken.«

Der Greis reichte ihm die Laterne, der Ritter blickte hinein, zu sehen, was in dieser Stunde das Weib treibe, welches er einst zur Seinen gemacht hatte. – Er sah sie. Sie saß mitten in einer verfallenen Hütte in der Armuth. Aber das Elend hatte ihr Herz nicht gewendet; sie umschlang mit ihren Armen den lockigen Jüngling und küßte mit Leidenschaft seine Stirne und seinen Mund.

»Wie Ihr doch die Laterne haltet,« bemerkte der Greis, »Ihr schaut beim verkehrten Loch hinein, da vergrößert sie stark. Wendet das Ding doch um!«

Das that nun Herr Alerich, und als er zur andern Seite hineinschaute, sah er das Bild einigermaßen anders. Das Weib saß allerdings noch in der elenden Hütte und küßte und herzte den lockigen Jüngling, aber der Jüngling war viel kleiner als vorhin, war ein Knabe, war noch nicht zwei Jahre alt und hatte die Gesichtszüge des Herrn Alerich.

»– Am Ende,« so sagte nun der Ritter, »am Ende habe ich auch damals im Walde das Zeug verkehrt gehalten!«

»Das mag schon sein,« antwortete der Greis, »manche Leute haben eine merkwürdige Neigung, das Laternlein verkehrt zu halten und Alles, was ihnen in der Ferne Uebles zu widerfahren scheint, in einer argen Vergrößerung zu betrachten.«

»Wollet Ihr mir jetzt noch Euer hörendes Ohr für einen Augenblick borgen?«

Der Greis langte ihm das silberne Horn hin; gedenkend seiner Frau, was sie zu dieser Stunde wohl sprechen mochte, horchte er hinein. – Mit einer vor Schluchzen halb erstickten Stimme sang sie: »O süßer Knab', Du einzige Lust, ruh' aus an Deiner Mutterbrust . . .«

»Ich weiß genug,« sagte Herr Alerich, »ich bleibe in der alten Welt und suche mein Weib.«

Er wanderte durch's Land und kehrte in alle Hütten ein. Er fand Elend und Noth, er fand Unschuld und Sünde.

Und als er drei Jahre vergebens gesucht hatte, war er an Leib und Seele erschöpft, ging in eine Wildniß, um dort als Einsiedler sein Leben zu beschließen, und heimte sich in eine Felsenhöhle ein. – Eines Tages, als er ausging, um Wurzeln und Kräuter zu suchen, begegnete ihm ein schöner Knabe, der Erdbeeren pflückte und dieselben in ein Binsenkörbchen that.

»Sammelst Du die Beeren für Dich?« fragte er den Knaben.

»Für mich und die Mutter,« antwortete der Kleine, »denn wir feiern morgen ein großes Fest.«

»Welches Fest mögt Ihr doch in diesem Walde feiern?«

»Ja,« sagte der Knabe, »den Tag, wo der Vater die Mutter begehrt hat.«

»Wer ist denn Dein Vater?«

»Der Herr Ritter Alerich ist mein Vater.«

»So führe mich zu Deiner Mutter.«

– Eine Frau, die man zu Recht bestraft hat, verzeiht niemals; eine Frau, der man Unrecht gethan hat, verzeiht immer. Alerich's Weib war zufrieden, daß sie den Gatten von ihrer Treue endlich zu überzeugen vermochte. Er führte sie wieder auf sein Schloß und sein Wunsch war, noch ein einzigesmal dem Greise zu begegnen, nicht um das hörende Ohr oder das sehende Auge noch einmal zu versuchen, sondern von ihm den schlafenden Schlaf zu erbitten – das Stirnband, welches die Erinnerung an seinen großen Irrthum und an ihr tiefes Leid ganz und gar aus seinem Gedächtnisse bannen sollte.

Herr Alerich ist dem Greise nicht mehr begegnet, sondern hat das Bewußtsein des verübten Unrechtes tragen müssen bis an sein Ende.



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