Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Ein moderner Hellespont.

Bruno Ysong wollte als Künstler leben und als Hagestolz sterben. Kein schlechtes Vornehmen! Allein die Weiber sind das Schicksal der Männer, und schon die alten Weisen haben es gesagt, daß man seinem Schicksal nicht entgehen könne.

Bruno Ysong war sozusagen ein schöner Mann, und so haben an seinem Lebenswege die Weiber Spalier gemacht, und er hat der Einen verbindlichst zugenickt, der Andern wärmstens die Hand gepreßt, der Dritten schelmisch die Wange gekneipt, der Vierten vielsagend zugeblinzelt – und ist seines Weges gegangen. Sein Weg führte ihn durch Lorbeerhaine, er war ein berühmter Maler geworden. Der König hatte ihn vielfach ausgezeichnet, das Volk hatte ihn vergöttert.

Er zählte nun vierzig Jahre, aber die Weiber versicherten ihn, das Genie bliebe ewig jung. Ein reifendes Mädchen vor Allem zu nennen, welches seine Kunstwerke glühend verehrte und besonders von einem seiner Bilder, »Hero und Leander,« so sehr entzückt war, daß sie stundenlang wie im Traume versunken vor demselben stand, daß sie für alles Andere geradezu stumpfsinnig wurde und selbst in den Nächten schlummernd von dem Bilde sprach.

Sie war die Tochter eines reichen Kaufherrn der Stadt, in welcher Ysong lebte. Und da von der Begeisterung des Kindes auch die Eltern angesteckt wurden – wie das in solchen Fällen häufig zu geschehen pflegt – und da berühmte Gäste dem Hause eines reichen Mannes immer zur Zierde gereichen, und da der Kaufherr Hofekust von jeher gewohnt war, seine Salons mit tropischen Gewächsen, seine Tafeln mit seltenen Leckerbissen und seine Menagerie mit fremdartigen Thieren auszustatten, so lud er denn auch einmal unseren sonst zurückgezogen lebenden Bruno Ysong in sein Haus. Das Töchterlein Irma war gar befangen, wich dem Künstler aus und hatte doch wieder für nichts Auge und Ohr, als für den neuen Gast. Sie war ungeschickt und befangen in ihren Geberden und Antworten, wenn Ysong eine leichtverbindliche Frage an sie richtete, so daß die Hausfrau und Mutter es für gut fand, während der Mahlzeit dem Gaste zuzuflüstern: »Wissen Sie, daß meine Tochter geradezu in Sie verliebt ist?«

Das genügte, um den Maler darauf zu bringen, daß er sie mit anderen Augen ansah, daß er ihre große Schönheit und ihre gewinnende Bescheidenheit wahrnahm und daß sein Herz anhub, unruhig zu werden. Er kam nunmehr öfter in's Haus des Herrn Hofekust und ein kurzes Jahr nachher war Irma die junge Frau des Malers Bruno Ysong.

»Er ist zu alt für sie,« sagte man.

»Das nicht, aber sie ist zu jung für ihn.«

»Aelter wird sie mit jedem Tag, doch der Mann, wenn er klug ist, macht stets noch mit Fünfzig einen Mann in den besten Jahren.«

»Er könnte ihr Vater sein.«

»Er ist es sicherlich nicht, hingegen wird er der Vater ihrer Kinder sein, und das ist weit besser.«

So die Welt, die über Alles ihr Gutdünken abzugeben pflegt; sie war diesmal besonders gut gelaunt, die liebe Welt, denn ein junges Ehepaar kommt sonst so leichten Kaufes nicht davon.

Irma hing an ihrem Manne, wie ein eben erwachtes Kind an der neuen Puppe, die sie herzt und kost und lachend von sich schleudert und kosend wieder aufnimmt. Bruno konnte es kaum fassen, wieso es denn kam, daß alle Wonnen des Himmels niedergesunken waren in sein Erdenleben. Wie glänzte auch ihr Auge, wenn sie in den öffentlichen Blättern seinen Namen fand, stets überhäuft mit Lob und Auszeichnung! Wie glänzte ihr Auge, wenn sie an seinem Arm durch den Corso schritt, von allen Seiten gegrüßt, bewundert als die junge Frau des verehrten Künstlers. Wie das stolz macht, an der Seite eines Auserkornen durch Ballsäle zu schreiten, sich im Theater, im Concert, im Bazar zu zeigen! Irma hatte gewiß auch als anmuthige Tochter eines reichen Mannes mancherlei Aufmerksamkeiten erfahren, aber der Abglanz des Künstlerruhmes ist doch noch was ganz Anderes!

Ysong nahm die Huldigungen, die ihm gebracht wurden, mit gelassener Freundlichkeit hin; er hatte nun ja angeblich erfahren, daß Ehre und Ruhm noch lange nicht das höchste irdische Glück sei. Seine Augen leuchteten, wenn er mit Irma in der süßen Abgeschiedenheit seines Hauses war, das er der jungen Gattin zu Liebe mit reichem Glanze und feinstem Geschmacke ausstatten ließ. Diese schöne Ausstattung ihres Gemaches schien ihm um so notwendiger, da bald die Zeit kam, wo er wieder mehr in seinem Atelier zu schaffen hatte, als im Boudoir. Und sie sollte es in seiner Abwesenheit recht hübsch und behaglich haben. Da hing ihr Lieblingsbild: »Hero und Leander«, vor welchem sie auch jetzt – nach den Flitterwochen – noch oft und oft träumte und sich an den Gestalten dieses Liebespaares nicht satt sehen konnte.

Nun ging etwas mehr als ein Jahr dahin, als Meister Ysong eine neue Bekanntschaft machte. Schon seit einiger Zeit war ihm auf der Gasse ein junger Mensch aufgefallen, der ihn mit ganz außerordentlicher Höflichkeit grüßte. Er blieb allemal stehen, zog seine Mütze vom Kopf und setzte sie nicht eher auf, als bis Ysong vorüber war. Es war ein Bursche in den Zwanzigern mit etwas verkommenem Aussehen, aber hübschen Zügen und mit verwegenem Blick. In allen Gassen war er zu sehen, wie er etwa, die Hände in den Hosentaschen, gleichmüthig dahinschlenderte oder vor Kunst- oder Eßwaarenauslagen stand, oder mit einem Monocle, welches zu seinen etwas fadenscheinigen schwarzen Kleidern ein wenig abenteuerlich stand, die Vorübergehenden musterte.

Alles, was da fuhr und ritt und lief und schlenderte, schien ihm gleichgültig zu sein, nur wenn Meister Ysong des Weges kam, machte er in angedeuteter Weise seine Reverenz.

Und eines Tages, als Ysong mit seiner Irma unter den Platanen der Promenade hinschritt, kam der junge Mensch auf sie zu und vertrat ihnen mit ehrerbietig entblößtem Haupte den Weg.

»Was wünschen Sie von uns?« redete ihn der Meister an.

Der Bursche sagte in raschen Athemstößen: »Glauben Sie nicht, daß ich was Ungeziemendes will, ich heiße Karl Erasti. Ich habe einen Wunsch, den Sie mir gewähren wollen.«

»Mit Vergnügen, wenn es in meiner Macht steht.«

»Herr, Sie haben ein Bild gemalt, das ich noch einmal sehen möchte und nirgends finde. ›Hero und Leander.‹ Wohin haben Sie es verkauft? Wo kann ich's finden?«

»Dieses Bild,« sagte der Meister, »habe ich nicht verkauft, und in der Ausstellung, die in wenigen Wochen hier eröffnet wird, können Sie es sehen.«

»Ich danke Ihnen,« sagte der junge Mann, verneigte sich vor dem Maler und seiner Frau und wendete sich seitab.

Ysong blickte ihm nach und sagte zu Irma: »Das ist ja ein ganz wunderlicher Kauz. Für wen würdest Du ihn halten?«

»Jedenfalls für einen jungen Künstler,« versetzte sie.

»Ich möchte in ihm eher einen Studenten sehen, der vor einem Jahre die Rigorosen nicht bestand und seither herrenlos ist.«

»Der Arme!« rief Irma. »Und jetzt soll er warten bis zur Ausstellung! Du hättest ihm doch erlauben sollen, zu uns zu kommen, um das Bild anzusehen.«

»Ich glaube nicht,« sagte Ysong, »daß es des Bildes wegen ist. Dies kann ein Vorwand sein.«

»So,« versetzte sie, »Du meinst am Ende wohl auch von mir, daß ›Hero und Leander‹ blos ein Vorwand war, um – in Dein Haus zu kommen!«

»Soll diese Bemerkung ein Witz sein? Dann applaudire ich.«

»Wie Du es für gut findest.«

»Irma,« sagte der Meister in weichem, aber ernstem Tone, »wieso kommst Du auf diesen Vergleich? Habe ich Dir je dazu Veranlassung gegeben? Nein, mein liebes Kind, eben darin besteht ja ein so großer Theil meines Glückes, daß Du Sinn und Seele für meine Schöpfungen hast. Nicht jeder Künstler trifft's so gut. – Doch, Du sagtest, der junge Mensch soll sich das Bild bei uns ansehen. Ich bin damit einverstanden und wenn ich ihn demnächst wieder auf der Gasse begegne, so werde ich ihn einladen.«

Es fügte sich und schon nach einigen Tagen war es, daß der junge Mann in das Atelier des Malers trat. Seine etwas nachlässig gehaltene Kleidung stand mit dem überaus sorgfältig geschniegelten schwarzen Haupthaar in Widerspruch, ebenso auch seine in gewissen Augenblicken wegwerfenden Geberden mit der ehrfurchtsvollen Miene, mit welcher er vor dem Meister stand.

»Nun darf ich wohl fragen, wer Sie sind?« begann Ysong das Gespräch.

»Was sollen Sie von mir denken, wenn ich sage, daß ich es selbst nicht weiß,« versetzte der junge Mann, der mit scharfem Blick und kerzengerade dastand wie ein Soldat, der Rapport bringt, vor dem Vorgesetzten. »Ich wohne seit meiner Kindheit bei einem Tischler in dieser Stadt, bei dem für mich gezahlt wird. Wer meine Eltern sind, weiß ich nicht, glaube aber, daß ich mich ihrer nicht zu schämen brauchen würde.«

»Und es steht wohl zu hoffen, daß es auch umgekehrt nicht der Fall sein wird, wie?«

Der junge Mann verneigte sich.

»Sie studiren?« fragte der Meister.

»Ja, mein Herr.«

»Und warum interessiren Sie sich so besonders für mein Bild?«

»Weil ich mich der Künstlerlaufbahn widmen will und weil ich sehen will, wie Bilder beschaffen sein müssen, mit denen man sein Glück macht. Man sagt, Sie hätten mit »Hero und Leander« Ihre Frau Gemahlin gewonnen.«

»Sie sind etwas stark unverfroren,« lachte der Maler, »indeß sollen Sie denn sehen, wie solche Bilder beschaffen sein müssen.«

Frau Irma hatte von ihrem Gemache aus das Gespräch belauscht und nun rasch ein blumiges Kleid umgeworfen, da die beiden Männer bei ihr eintraten.

So stand der fremde Bursche mitten im Cabinet der jungen Dame und blickte finster auf das Bild hin, welches die Scene darstellte, wie Leander, dem Meere entstiegen, seine Arme nach der lieblichen Hero ausstreckt. Ringsum ist Nacht, nur die weißen Schäume der Wellen spielen Lichter und auf den schönen Leib des Jünglings fällt der helle Strahl einer Lampe, welche eben der zitternden Hand der Hero entsinken will.

Endlich glitt das glühende Auge des Burschen vom Bilde ab und blieb an dem rosigen Gesichtchen Irma's hängen. »Madame,« sagte er, »Sie haben es jeden Tag vor Augen.«

»Sie wünschen vielleicht ein kleines Abbild davon mit sich zu nehmen,« sprach der Meister und wollte dem Burschen eine Photographie von dem Gemälde in die Hand geben.

»Das will ich nicht,« sagte der junge Mensch, »ich habe jetzt das ganze Bild in dieser Schale,« und er schlug mit der flachen Hand an seine Stirn. »Ich werde es zu Hause wiedermalen. Darf ich's bringen, wenn es fertig ist?«

»Thun sie das!« fiel Irma rasch ein. Man wußte nicht, war es leiser Spott oder ein wenig Interesse.

Mit einem kühnen, aber doch wieder geschmeidigen Griff faßte der junge Mann ihre kleine weiße Hand und hob sie zu seinem vorgeneigten Haupt empor, bis die Lippen sie leicht berührten.

Mehr, als die angeführten Worte hatte Karl Erasti bei diesem Besuche kaum gesprochen. Doch kam er von nun an öfter in's Haus, setzte sich in das Atelier und schaute dem Meister bei seinen Arbeiten zu. Dabei ließ er bisweilen ein ganz vernünftiges Wort fallen, dann wieder that er paradoxe Aussprüche, und Alles mit einer gewissen Verwegenheit, ohne aber die Bescheidenheit dem Künstler oder seiner Gattin gegenüber im Mindesten außer Spiel zu lassen. Ysong war dem jungen Manne nicht abgeneigt, er schlug ihm Beschäftigungen und Studien vor, die Erasti stets rasch ergriff, aber gewöhnlich auf eine ungeahnte Weise ausführte. So begann er einmal mit einem Werke über griechische Bildhauerkunst, sprang aber plötzlich auf Makart's »Katharina Cornaro« über, indem er sagte, für's Plastische habe er keine Neigung, das Plastische in der Bildnerei sei nicht Poesie, sondern nur eine versteinerte Wirklichkeit. Die Farbe sei Poesie, weil sie die Vorstellung von Körpern bezwecke, die gar nicht existiren, Körper, die sichtbar sind, ohne einen Raum einzunehmen. – Rieth ihm Ysong das Studium der Geschichte an, so behauptete Erasti, ihm sei der öffentliche Platz einer großen Stadt, wo sich alle Classen von Menschen mit ihren Lüsten und Leiden herumtummeln, weit lehrreicher, als die todten Buchstaben, erzählend von todten Geschlechtern.

»Auf diese Weise, lieber Freund,« bemerkte der Meister einmal nach ähnlichen Aussprüchen, »dürften Sie für Ihre künftigen Berufspflichten kaum befähigt werden.«

Darauf antwortete Erasti, er hätte keine Pflichten gegen die Welt, weil die Welt jene gegen ihn nicht erfülle. Rabeneltern hätten ihn in die Fremde geworfen, die Fremde habe ihn ausgenützt. In den Schulen habe man ihn zu einem Zugochsen für die Gesellschaft abrichten wollen, aber er habe das Joch zersprengt. Daß man arbeiten müsse und jeden Genuß verdienen, das sei eine fixe Idee der Menschheit, ein Schacherprincip, sonst nichts.

»Mein Zweck ist leben und genießen; kann ich das nicht, so tödte ich mich.«

Meister Ysong lächelte.

»Er interessirt mich,« sagte da Irma einmal.

»Man sieht, daß auch die moderne Jugend ihre Ideale hat,« sprach Ysong.

»Nur daß solche Willenskraft sympathischer ist, als die verschwommene Schwärmerei, aus welcher später der Philister herauskommt,« hierauf sie.

Da Meister Ysong kein Moralprediger war, am wenigsten gegenüber seiner reizenden Frau, so ließ er ihre Bemerkung ohne Antwort, gab auch zu, als Irma den »modernen« Idealisten mehrmals einlud, sich an dem häuslichen Imbiß oder Vesperbrot zu betheiligen. Der junge Mann von der Straße wußte dabei der Hausfrau gar artig den Ritter zu spielen, was der munteren Irma nicht übel gefiel.

Eines Tages fand sich Erasti wieder ein, und trotzdem ihm der Diener bedeutete, daß Herr Ysong nicht zu Hause sei, trat er in den Salon, warf dort seine Mütze in eine Ecke des Sofas und setzte sich an das Clavier. Er begann mit ziemlich geläufigen Fingern ein lärmendes Präludium, so daß aus ihrem Boudoir Irma hervorkam, um zu sehen, wer ihr stilles und vereinsamtes Haus mit den hellen Tönen erfülle.

Erasti stand rasch auf und begrüßte sie höflich mit einem entschiedenen Handkuß. Er war die letztere Zeit her sorgfältig und nach dem Schnitte des Tages gekleidet und durch die vertraulichere Bekanntschaft mit dem Hause hatte sein Auftreten und Gehaben nur gewonnen.

»Sie sind auch musikalisch?« rief Irma.

»Nein,« antwortete er rasch, »ich bin wagnerianisch. Sie lächeln, schöne, gnädige Frau, es ist kein Spott gegen den großen Reformer. Wagnerianisch heißt mehr als musikalisch – tausendmal mehr – es heißt musikalisch, malerisch, architektonisch, dramatisch, griechisch, germanisch, antik, modern.«

»In dieser gelehrten Sache kann ich Ihnen nicht folgen, Erasti,« sagte Irma, »hingegen möchte ich wissen, ob Sie Ihr Vorhaben mit ›Hero und Leander‹ schon ausgeführt haben?«

»Das Bild ist fertig, hören Sie es!« rief der Bursche und begann neuerdings auf dem Clavier zu spielen. Anfangs war's, wie der Schwanengesang aus »Lohengrin«, dann wie der »Tannhäuser«-Marsch und dann ging's in jenes wilde Gewirre von Tönen über, in denen das Elementare in Natur und Seele so genial ausströmen soll.

Als Erasti geendet hatte, wandte er sich in einer Art von gedämpfter Schwermuth an Irma: »Das war Hero und Leander.«

Sie blickte ihn fragend an.

»Dieses Bild mit dem Pinsel zu malen genügt mir nicht,« sagte der Bursche mit lebhafter Miene, »es ist in Tönen schöner als in Farben; ich wollte es malen, dichten und dramatisiren zugleich, so brachte ich es in Musik. Hören Sie!« Und mit Musikbegleitung sang er:

»Hero's und Leander's Herzen
Rührte mit dem Pfahl der Schmerzen
Amor's heilige Göttermacht.«

Nachdem er eine Weile nachgespielt hatte – es waren unzusammenhängende, willkürliche Accorde, fragte er die Hausfrau: »Soll ich es Ihnen nun mit profanen Worten schildern? Wohlan:

Und in weichen Liebesarmen
Darf der Glückliche erwarmen
Von der schwerbestand'nen Fahrt,
Und den Götterlohn empfangen,
Den in seligem Umfangen
Ihm die Liebe aufgespart . . .

Ach, reizende Frau!« unterbrach er sich mit Leidenschaft, »was sind Worte, blutlose Begriffe! Lassen Sie mich das Bild sehen!«

Der heimkehrende Gatte veränderte die Scene.

Irma verabschiedete den jungen Mann ziemlich rasch; sie hätte, sagte sie, eben Mancherlei zu besorgen, da ihr Mann morgen auf ein paar Tage verreisen wolle.

»Du hast ihm ja geradezu die Thür gewiesen,« bemerkte Ysong, »ist vielleicht auch das beste Mittel. Herr Erasti erscheint mir mitunter denn doch etwas zudringlich.«

»Warum sagst Du das hinter seinem Rücken?« fragte sie pikirt, »wenn mir Jemand nicht behagt, so lade ich ihn nicht in's Haus.«

»Ich that's auf Deine Veranlassung.«

»Uebrigens weiß ich nicht, was Du gegen ihn hast! Er ist artig gegen Dich, ein Verehrer Deiner Werke und allseitig gebildet.«

»Allseitig gebildet?«

»Er treibt z. B. Musik, und zwar mit Verstand,« erzählte Irma und begann dem Manne Erasti's Aussprüche über Musik brühwarm mitzutheilen.

»Ich kenne das,« unterbrach er sie, »in der Musik alle Künste! Aber mein Weibchen, musicire mir einmal eine Laokongruppe vor. Gieb mir das Plastische, das Epische, das Dramatische, das Lyrische derselben zugleich! Musicire mir eine Erzählung ohne Titel, und man wird in neun von zehn Fällen nicht wissen, was Du gemeint hast. Die Musik ist rein lyrisch, wenn Du erlaubst. Herr Erasti liebte sich wieder in Paradoxen zu ergehen und weder er noch Du verstehst es, was Richard Wagner mit seiner Vereinigung aller Künste in der Musik meint.«

»Du fühlst Dich wohl gar verletzt,« lachte sie, »weil er die Musik über Deine Malerei stellt. Wirst Du es bestreiten, daß z. B. ›Hero und Leander‹ in Tönen schöner ist als in Farben? Erasti hat das Bild auf dem Clavier gespielt.«

Der Meister brach ab und ging auf sein Zimmer.

Dort schritt er eine Weile gedankenvoll auf und ab. Endlich kam seine junge, reizende Frau mit frischer Munterkeit zu ihm hereingehüpft und glättete seine trübe Stirne.

Er schämte sich der Eifersucht, und um sich vor allem Scheine zu wahren, als wäre er dieser Schwäche und Lächerlichkeit verfallen, sagte er, daß, wenn an dem jungen Manne ein wirkliches Künstlerstreben bemerkbar sei, er gerne bereit wäre, ihn darin zu unterstützen, vielleicht gar in die Schule zu nehmen.

Dann kam ihm in den Sinn, ob er nicht die projectirte kleine Reise verschieben sollte. Weshalb? Auf wann? Es war ja keine Ursache dazu da. Ja doch, er sollte sein liebes Weib verlassen. Er ist – das fühlt er jetzt auf einmal – an ihre Gesellschaft so sehr gewohnt; die Welt hat für ihn nur zwei Zellen, in denen es nicht öde und leblos ist: Das Boudoir seiner Gattin und sein Atelier. Er liebt Irma, weil sie ihn wiederliebt. Die quälende Leidenschaft zum Weibe ist durch sein vorgeschritteneres Alter und durch das künstlerische Schaffen, dem er sich ergiebt, gemildert und macht neben sich einer philosophischen Toleranz Platz. Liebe läßt sich nicht zwingen, sie ist ein Geschenk der Natur, das diese geben und nehmen kann, wann sie will. Thöricht ist es, sich mit Eifersucht zu quälen. Entweder, das Weib ist treu, dann ist die Eifersucht grundlos und niedrig; oder das Weib ist untreu, dann ist an ihr nichts zu lieben, nichts zu hüten, nichts zu verlieren, nichts zu beklagen. Und wenn das Weib zwischen Treue und Untreue schwankt, wenn sie nur noch mit dem Rechtlichkeitsgefühl am Manne hängt, die Liebe sie aber zu einem Andern zieht, auch dann mag der Ehegatte auf sie verzichten, denn er hat von ihr nicht mehr und nicht weniger zu fordern, als Alles – nämlich die Liebe. Nun kann es auch sein, daß sie dem Gatten mit Liebe ergeben ist, hingegen aber plötzlich durch eine halb unbewußte Leidenschaft zu einem andern Manne hingezogen wird, gleichsam von einem Schwindel erfaßt, der auch Solche, die gar keine innere Neigung zum Falle haben, in die Tiefe stürzt – in solchem Verhältnisse ist es am besten, die Spannung der Leidenschaft sachte aufzulösen. Das geschieht nicht, indem man die Liebenden durch ein Meer trennt, wie Hero und Leander's Geschichte bezeugt, denn Hindernisse spannen die Begier stets noch schärfer an – sondern es geschieht, wenn man die physischen Schranken ganz niederreißt, denn das kräftigt die moralischen.

Nach solcher Erwägung trat Meister Bruno Ysong am nächsten Tage seine Reise an.

* * *

Wie selten wird der stillen Leiden einer jungen Frau gedacht, die einem heiterbelebten Kreise von Vater, Mutter und Geschwistern entzogen wurde und nun in der laut-, aber nicht sorglosen neuen Häuslichkeit ihre langen Tage verbringen muß.

Der Mann kann nichts dafür; er ist an seinen Beruf gekettet und kommt des Abends erschöpft und ruhebedürftig nach Hause, um nun erst das Weibchen für die Langweile des Tages entschädigen zu sollen.

Irma hatte sich den Ehestand als einen mit Rosen umwundenen Taubenschlag gedacht, in welchem das Paar fortwährend schnäbelt. Und wenn sie jetzt die Wirklichkeit nahm, so machte das Schnäbeln im ganzen vierundzwanzigstündigen Tag kaum an die zehn Minuten aus. Heiratet man sich denn, damit der Mann in seiner Arbeitsstube und die Frau in ihrem Schmollwinkel sitzen soll? Die Männer sind langweilig. Der Maler malt entzückt von der Schönheit ein Weib und vergißt über das Abbild das Original. Ist eine Figur auf Leinwand vor den glänzenden Augen ihres selbstgefälligen Schöpfers schon einmal lebendig geworden? Manche junge Gattin hingegen ist erkaltet, weil sie der Mann nicht oft genug an sein warmes Herz schloß.

Irma fühlte die Abwesenheit ihres verreisten Gemahls nicht allzu tief, als sie an diesem Herbstabende im Rosaschimmer einer bereits angezündeten Lampe in ihrem Gemache saß, denn sie war es gewohnt worden, daß er sie allein ließ. Andere Frauen zerstreuen sich beim Kinde; Irma hatte Zeit, das Modejournal zu studiren und Romane zu lesen. Das that sie denn auch. In den Romanen zieht der Mann, der seine Frau vernachlässigt, immer den Kürzern; das unterhielt sie. In den Romanen gesellt sich Jung und Jung zusammen und heimlich Verliebte kommen trotz allerlei Widerwärtigkeiten an's Ziel; das unterhielt sie überaus.

Was liest der Mann? Politik, Geschäftsbriefe, Rechnungen. So eine Philisterlectüre war eben wieder mit der Abendpost gekommen: Ein Kunsthändler sandte den Rechnungsausweis über photographische Nachbildungen von Meister Ysong's berühmtesten Gemälden. Der »Minnesänger« per Dutzend vier Mark, »Die Krönung Karl des Großen« per zehn Stück drei Mark; »Hero und Leander« per Dutzend fünf Mark. Das ist die Poesie des Künstlerthums. »In einem übermüthigen Gassenjungen liegt mehr Poesie, als in einem unserer ruhmgekrönten Maler,« murmelte die gelangweilte junge Frau und warf die Rechnung auf ihren Schreibtisch.

In diesem Augenblicke pochte es stark an der Thür und bevor Irma fragen konnte, wer es sei, ging dieselbe auf und Erasti trat ein.

»Sie hier? Wen suchen Sie?« fragte Irma etwas betroffen.

»Zürnen Sie nicht, gnädige Frau, ich gedachte Meister Ysong hier zu finden,« sagte der junge Mann gefaßt, indem er vollends in's Gemach trat und die Thür hinter sich zuzog.

»Ich sagte Ihnen doch vorgestern, daß mein Mann verreise,« entgegnete sie halblaut.

»Sie sagten es,« versetzte er schlagfertig, »aber ich glaubte es nicht.«

»Habe ich Ihnen je Veranlassung gegeben, an meinen Worten zu zweifeln?«

»Ich glaubte es nicht, weil ich es für unmöglich hielt, ein so entzückendes Weib verlassen zu können.«

»Hat Sie die Dienerschaft bemerkt?« fragte Irma, wie zerstreut mit einem Spitzentüchlein spielend.

»Nein, es ist mir Niemand begegnet, als der Postbote, der mir die Thürklinke in die Hand gab.«

»Kommen Sie morgen, Erasti, aber jetzt verlassen Sie mich,« sagte Irma, indem sie sich erhob.

Er überhörte den Befehl und schaute auf das Lieblingsgemälde hin. – »Könnten Sie so grausam sein, mich dieses unschätzbaren Genusses zu berauben?«

»Welches –?«

»Das Bild bei solcher Beleuchtung bewundern zu können.«

»Aber es ist ja ganz dunkel,« lachte sie, »man sieht kaum die Umrisse der Gestalten.«

»Für dieses Bild giebt es kein besseres Licht,« sagte Erasti. »Und wenn es das Werk eines Genius ist, Madame, so wird es auch im Finstern leuchten.«

»Wie meinen Sie das?«

»Löschen Sie jetzt das Licht aus, so wird die Lampe der Hero strahlen. Und dann erst wird Leander schön sein, und die Gestalt der Hero wunderbar. Ja, wunderbar, schönste Frau! Löschen Sie das Licht aus, und es wird an diesem Bilde ein Wunder geschehen!«

»Die Lampe der Hero soll leuchten?«

»Löschen Sie das Licht aus!« sagte Erasti und beugte sich mit dem Haupte gegen die porzellanene Petroleumlampe vor, um es selbst zu thun.

Sie schob ihn mit der Hand zurück: »Das schickt sich nicht, Karl!«

»Hero und Leander!« murmelte der junge Mann unmuthig. »Einst war's das Meer, das sie trennte, heute ist es dieses: Es schickt sich nicht. Ein glimmender Oeldocht, ein Fetzen Tuch soll mächtiger sein, als das stürmische Meer? Die Liebe soll Hochfluthen besiegen und vor diesem: Es schickt sich nicht! erlahmen?«

»Erasti!«

»Ein Stümper war der Maler, der diese Hero machte!«

»Übertreffen Sie ihn, wenn Sie können!« sagte Irma gereizt.

»Ich werde es können, wenn Sie mich küssen.«

Sie schob ihn energisch zurück: »Zuerst das Verdienst, dann der Preis.«

»Wohlan,« knirschte Erasti, warf sich in's Fauteuil und ergriff hastig ein Blatt Papier.

»Ein Künstler, der die höchste Schönheit mit Lappen verhüllt, ist ein Verräther an der Kunst,« sagte er und begann mit einem Bleistift zu zeichnen.

Das junge Weib blickte dem leidenschaftlich erregten jungen Manne über die Achsel; sie war doch begierig zu sehen, wie Der das Kunstwerk ihres Gatten übertreffen wollte. Sein Angesicht war blaß, sein Auge brannte wild bewegt, seine Hand zitterte und der Griffel flog zuckend über das Blatt.

Plötzlich erhob sich Irma und zog den Glockenzug.

Er sprang auf: »Was thun Sie? O Weib! Ich habe Dich schon geliebt, ehe Du sein warst! Alle List habe ich ersonnen, um zu Dir zu kommen. Was ist dieses Bild! Du bist meine Hero!«

»Erasti,« sagte Irma sanft, »ich habe Sie lieb, aber Sie müssen vernünftig sein. Durch diese Tapetenthür gelangen Sie durch ein Vorzimmerchen unmittelbar in den Gang hinaus.«

»Gott und Teufel bringen mich nicht von Dir!« hauchte er mit wahnwitziger Geberde.

»Aber mein Stubenmädchen,« sagte Irma, »sie naht schon. Gute Nacht, Karl.«

Einen heftigen Kuß in ihr Haar, und Erasti floh durch den bezeichneten Gang.

* * *

Mit einem Kusse schied der Eine, mit einem Kusse kam am nächsten Tage der Andere.

Als der heimgekehrte Gatte seiner Artigkeit Genüge gethan zu haben glaubte, fragte er, was Neues angelangt sei. Irma wies auf die Zeitungen und Briefe. Auch Ysong war vom Postgeist besessen. Es war ein behagliches Gemach da, es war der Tisch gedeckt, es war das reizende Weibchen zugegen, es meldeten sich vielleicht Besuche oder es drängten häusliche Angelegenheiten – aber Ysong grub sich in die Post ein. Suchte er nach Neuigkeiten, nach Kritiken über neue Bilder? Er kam ja eben aus der Stadt, von der Quelle. Interessirten ihn eingelaufene Bestellungen? Er hatte ja nicht Zeit, sie zu befriedigen. Heischte er nach Lebenszeichen von guten Freunden? Solche ließen ihn längst gleichgiltig. Und doch durchwühlte er mit Hast und Gier die Post, um wieder davon überzeugt zu sein, daß sie inhaltslos ist. Aber die erste öffentliche Anerkennung war mit der Post gekommen. Die großen Honorare waren mit der Post gekommen und die Orden und Auszeichnungen und auch Billetdoux – parfümirte Billetdoux – das Alles war ihm in die Nerven gefahren, und die Nervosität wirkte noch fort und hielt den Mann im Banne des Postgeistes.

»Wer hat diese Skizze gebracht?« fragte Meister Ysong und hielt der Gattin ein Papierblatt über den Tisch hin.

»Der Rechnungsausweis vom Kunsthändler,« berichtete Irma, »den hat gestern der Geschäftsdiener gebracht.«

»Ich meine diese Zeichnung auf der Rückseite,« bedeutete der Mann; »wenn ich nicht irre, ist das Erasti's Hand.«

»Und wenn es wäre, was weiter?« entgegnete sie mit erkünsteltem Gleichmuth.

»Nichts weiter, natürlich,« sagte er, »der Bursche zeichnete Hero nach dem Bilde, das in Deinem Schlafzimmer hängt, blos die Hero – die bloße Hero, nichts weiter. Er versteht sich nicht übel auf den hüllenlosen Gliederbau, der junge Mann.«

Irma schwieg.

Bruno ebenfalls. Es ist an demselben Abende weiter nichts gesprochen worden.

Aber als Ysong allein in seinem Gemache war, sprach er wieder mit sich selbst. – »Nun ist es sicher,« sagte er. »Ist es aber ein Wunder? Der Bursche ist jung. Macht's die Jugend? Junge Mädchen pflegen für Ehegatten stets reife Männer vorzuziehen, und hat das Weib einen solchen, dann wird das Verlangen nach – dem Unterschiede wach. Einen jungen! Einen sehr jungen. Laß sie gehen, laß sie machen! sagt der Franzose, sie kehrt gerne zum Mann zurück. Wenn sie kann! Wenn sie darf! – Ja einst, meine Irma, einst, als Dir das erstemal mein »Hero und Leander« an's Herz ging! – Das Bild gefiel ihr, denn es gefiel ihr der Maler. Aber das Clavierspiel gefällt ihr noch besser, denn noch besser gefällt ihr der Spieler. Am besten sollen ihr aber die gewichsten Stiefel gefallen, denn ich will einen charmanten Stiefelputzer in's Haus nehmen. Hahnrei sein ist eine Schande, wenn's der Mann unfreiwillig ist. Ist er's freiwillig, dann kommt die Schande auf das Weib.«

Als demnächst sich Erasti wieder bei Meister Ysong einfand, ihn zur glücklichen Rückkehr beglückwünschte und mit großem Interesse sich nach den neuen Arbeiten des Meisters erkundigte, sagte dieser plötzlich: »Lieber Freund, Sie könnten mir vielleicht einen Gefallen erweisen?«

»Werde glücklich sein, wenn Sie mich in Stand setzen, Ihnen zu dienen.«

»Ich suche schon seit einiger Zeit einen verläßlichen Menschen für mein Haus, der Schick hat und zu mancherlei häuslichen Geschäften verwendbar ist, besonders aber die Requisiten zu besorgen und in Stand zu halten und mir bei Bereitung der Farben behilflich zu sein hat. Ich verlange von einem solchen – sagen wir – Factotum vor Allem Ehrlichkeit, Discretion und ein sympathisches Aeußere. Sie kommen viel herum, lieber Erasti, vielleicht könnten Sie mir – wenn's just der Zufall wollte – so einen Mann vermitteln. Er soll gut bei uns gehalten sein.«

»Nehmen Sie mich!« sagte Erasti.

»Ich bitte, Sie haben überhört, daß ein solches Individuum auch mancherlei häusliche Arbeiten zu verrichten haben würde.«

»Herr!« entgegnete hierauf Erasti, »ich nannte mich, so oft ich die Ehre hatte, Sie zu sehen, Ihren ergebensten Diener; das Wort ist Phrase in aller Welt Mund, aber in dem meinen nicht. Ich kenne keine Phrase, was ich sage, das meine ich. Ich verehre Sie, ich bewundere Ihre Werke, Sie sind ein großer Meister, ich bin Ihr Diener, so bin ich es auch. Befehlen Sie über mich. Vielleicht kann ich Ihren Anforderungen entsprechen, versuchen Sie es, nehmen Sie mich, ich ziehe noch heute in Ihr Haus.«

Der Meister nahm ihn, und Karl Erasti übersiedelte schon am nächsten Tage in sein Haus. Das Vorzimmerchen, durch welches man aus dem äußeren Gange in die Gemächer der Hausfrau gelangen konnte, wurde ihm auf Ysong's Befehl zur Wohnung angewiesen.

Frau Irma hatte, wie wir sahen, dem unternehmenden jungen Manne das lebhafteste Interesse entgegengebracht. Seine etwas dunkle Vorgeschichte erweckte ihre Neugierde, seine jugendliche Erscheinung muthete sie an, seine Paradoxen unterhielten sie, seine Kühnheit nahm sie für ihn ein, seine Leidenschaft – besiegte sie. Besiegte hassen den Eroberer, aber sie verzieh ihm, und je mehr sie ihm zu verzeihen hatte, desto wärmer – heißer wurde ihr Empfinden, so daß ihr mitunter die Ahnung aufdämmerte, glücklich wäre sie, ihm Alles verzeihen zu können. So ist die holde Tochter Eva's: dem sie Alles zu verdanken hat, den wird sie quälen; dem sie Alles zu vergeben hat, den wird sie lieben. Der Mann, mit Ausnahme des Ehegatten vielleicht, hat nicht Anlaß, mit solcher Evas-Art unzufrieden zu sein.

Als Irma vernahm, daß Karl Erasti sich als Diener aufnehmen ließ, um in's Haus zu kommen, war sie über den abenteuerlichen Plan entzückt; als sie gewahrte, daß er in ihrer nächsten Nachbarschaft sein Wohnzimmer einrichtete, war sie über eine solch beispiellose Kühnheit außer sich. Und als sie erfuhr, daß dem jungen Manne dieses Zimmer von ihrem Gatten zugetheilt war, überfiel sie eine Art von Lähmung. Stundenlang war sie theilnahmslos für Alles, kauerte auf ihrem Canapé und starrte an die Wand. Dort hing das Bild – sie sah es nicht. Liebeglühend entstieg Leander den Wellen, in Sehnsucht aufgelöst sank Hero an seine Brust – sie sah es nicht. Die Lampe der Jungfrau verlosch, das Meer wogte, der Sturm brauste, alle Elemente trieben ihr gewaltiges Spiel – Irma empfand es nicht.

Als der Abend zu dämmern begann, erhob sie sich und schritt blaß und unheimlich wie ein Gespenst in das Atelier ihres Mannes.

Dieser war eben mit einer Studie beschäftigt, einem Frauenkopfe von antiker Schönheit.

»Bruno!« so redete sie ihn an, ihre Stimme war entschieden, aber klanglos, »Bruno! Warum hast Du diesen Menschen in's Haus genommen?«

»Das fragst Du mich?« war seine Antwort.

»Warum hast Du ihn in jenes Zimmer gethan?«

»Warum hätte ich ihn in ein anderes thun sollen? Dein Gemach ist etwas entlegen, ich will, daß Du nicht schutzlos seiest.«

»Ich verlange, daß Erasti die Kammer noch in dieser Stunde räumt!« rief Irma.

»Was hast Du nur gegen diesen Menschen?« fragte Ysong, mit Hohn.

»Meine Ehre!« stöhnte sie krampfhaft und hielt ihr weißes Batisttüchlein an den Mund.

»Ei ja richtig, Deine Ehre. Es ist ein Anderes, wenn die Welt sagt: Diesen jungen Menschen und diese junge Frau trennt nur eine Tapetenthür, als –« er hielt ihr das Blatt mit der Bleistiftzeichnung vor. »Ein ganz Anderes ist's, das hätte ich bedenken sollen. Weniger pikant mag die Tapete sein.«

Ohne noch ein Wort zu sagen, verließ Irma das Atelier. Sie rief das Dienstpersonale, daß es auf der Stelle die Kammer ausräume, in welche das neue Mitglied des Hauses eingezogen war.

Erasti hatte sich schon bequem gemacht. Diesen heutigen, unerhörten Tag, der ja eben zu Ende ging, wollte er durch Arbeit nicht mehr entweihen; so lag er nun mitsammt Rock und Stiefeln auf dem Bett, drehte an dem jungsprossenden Schnurrbart, betrachtete die sauberen Tapeten, die sich glatt und gleich über Wand und Thür legten – sein Hellespont! – und dankte Gott, daß er unbegreifliche Ehemänner erschaffen habe.

Da trat die Hausfrau ein.

»Herr Erasti,« sagte sie, indem sie die Thür hinter sich weit offen ließ, so daß die Perspective über die Häupter des Dienstpersonals hin eröffnet war, »Herr Erasti, Sie verlassen in diesem Augenblicke das Zimmer und dieses Haus!«

Der junge Mann war aufgesprungen und suchte nach Worten. Er hatte deren sonst immer zur Verfügung gehabt, nichts war jetzt da. Ein »Gnädige Frau!« – ein armseliges »Gnädige Frau!«

»Sie verlassen dieses Haus und kommen mir nicht mehr vor die Augen. Schaffet die Sachen fort!«

»Was habe ich gethan?« rief er und stellte sich vor sie hin: »Ich liebe Sie!«

»Ich Sie auch, mein Herr, und darum rathe ich Ihnen, laufen Sie so schnell Sie können, und laufen Sie keinen tollen Abenteuern nach! Erschleichen Sie sich das Vertrauen ehrlicher Menschen nicht! Legen Sie Ihren Narrheiten Zügel an, gehen Sie in eine Schule, lernen Sie was und werden Sie ein anständiger Mensch. Das merken Sie sich und jetzt fort!«

Irma sprach's, und mit Flammenröthe auf ihren Wangen begab sie sich hinweg. Erasti eilte zu Meister Ysong, um ihm das Unerhörte zu klagen, was ihm soeben geschehen.

»Leander!« rief Ysong lachend aus, »nicht durch den Hellespont geschwommen und doch der Kopf gewaschen worden! Nehmen Sie von einer Ehefrau die wohlgemeinte Lection. Und nun trollen Sie sich!«

So hat die Geschichte geendet.

Aber dem Meister Bruno Ysong war jetzt das Herz voll. Er hatte geahnt, daß sein Plan eine Wirkung haben werde, nun war es aber gar seltsam gekommen. Und es sollte noch seltsamer kommen.

Als er jetzt in's Gemach seiner Irma trat, um sich mit ihr auszusöhnen, sie um Vergebung zu bitten, insofern er sie mißkannt, ihr zu versprechen, daß er ihr sein ganzes, bisher von der Kunst absorbirtes, aber doch noch so jugendliches Herz wieder zuwenden wolle, daß Alles vergessen sei, Alles wieder gut – da hat er Irma nicht mehr gefunden. Im Gemach nicht und im ganzen Hause nicht.

Der erste Gedanke war: Die Falsche ist mit dem Taugenichts geflohen.

Aber noch an demselben Abende kam durch einen eigenen Boten folgendes Schreiben:

»Mein Herr!

Diese Zeilen schreibe ich im Hause meiner Eltern, wo ich Zuflucht gefunden habe. In Ihrem Hause bin ich fremd. Meine Handlungsweise wäre selbst im schlimmsten Falle menschlich gewesen, Sie jedoch haben es teuflisch mit mir gemeint. Unter tausend Beweisen von Lieblosigkeit haben Sie den wirksamsten erbracht. Mich hat die Ehe enttäuscht, ich gestehe es; dasselbe ist mir auch an Ihnen nicht entgangen. Vor Kurzem tröstete mich noch der Gedanke, daß Sie Ersatz in der Kunst fanden – heute ist mir das Alles gleichgiltig. Was da geschah, es war schlau geplant und schlecht gespielt. Sollten Sie fühlen, daß Genugthuung zu leisten wäre – nein, es giebt keine! – so lassen Sie sie darin bestehen, daß Sie mir von heute an Ihren Anblick ersparen. Wir kennen uns nicht mehr. Leben Sie wohl.

Irma Hofekust.«

Seit dieser Begebenheit sind nun sieben Jahre verflossen. Karl Erasti, der illegitime Sohn einen Banquiers, ist in einem Zwangsarbeitshause; Irma ist die Braut eines sächsischen Officiers. Bruno Ysong sitzt einsam zwischen seinen Bildern. Er sagt, daß er sich zufrieden fühle, aber wenn er an langen Winterabenden die verödeten Räume seines Hauses durchschreitet, so ist es fast, als suche er etwas.

Es giebt Menschen, welche das, was sie suchen, mit Augen sehen, mit den Händen fassen – und doch nicht finden. Bruno Ysong, so ist es einst auch Dir ergangen. Du wolltest als Hagestolz sterben und wirst es nun thun müssen als Witwer – bei lebendigem Weibe.



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