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Einen Juchezer zum ersten! denn heute geht's auf die Alm. Einen Juchezer zum zweiten, denn wir holen die Braut. Einen Juchezer zum dritten – warum, das wird sich zeigen.
Auf der grünen Kärntner-Alm, da ist sie und da weint sie. Auf einem moosigen Stein kniet sie und betet. Es ist da oben selten eine so steinunglücklich oder so der himmlischen Freuden voll, daß sie beim Beten weinen muß. So eine ist unser frisches Dirndel, die Toni. Über knietief steckt sie im Glück, darum muß sie so närrisch weinen, daß sie sich vor sich selber schämen möchte. Jetzt trottet die semmelfalbe Kuh daher, da tut das Dirndel mit der grauen Schürze das Nasse weg von den Wangen und sagt: »Du, Alte, jetzt hab' ich lei so viel lachen müssen, daß mir 's Wasser in die Augen ist gestiegen. Denk' dir, jetzt kommen zwei Toni zusammen, er heißt Toni und ich auch, und das wird einen schönen Wirrwarr geben, sag' ich dir!« Die Kuh gab eine etwas unverständliche Antwort, aber Bräute verstehen an solchen Tagen auch die Tiersprache. »Der Namen wegen«, sagte die Semmelfalbe, »wird's keinen Wirrwarr geben, wenn nur sonst . . .! Daß es dir mit dem deinigen nur nicht so geht, wie mir mit dem meinigen! Möcht' dir's nit wünschen. Die Männertreu', meine liebe Toni, die Männertreu'!« Auf das mußte das Dirndel wirklich lachen. »Die Männertreu'!« rief sie, »ach, was fällt dir ein. Die ist ja gar soviel stark, die bricht nit! Dem Toni seine, sagt er, ist aus Eichenholz und an den Eckelen noch dazu mit Eisen beschlagen.« Und sie lachte so lang', bis sie einen Schrei tat.
Von hinten her hatte sie einer mit kräftigen Armen um die Mitte gefaßt und hoch in die Lüfte geschwungen.
»Hops auf, Schneckerle!« sagte der Toni, »jetzt bin ich da um dich.«
»Geh, schlechter Toni!« sagte die Toni, »daß du mich so schrecken kannst! Auslaß!«
Hochzeitlich angetan stand er vor ihr in nagelneuer Bauerntracht.
Von den Höhen her in der Morgenfrische klangen Waldhörner und Schwegelpfeifen. Die Halter und Sennerinnen, welche von den Musikanten aufgesucht und abgeholt worden waren in ihren zerstreuten Hütten, kamen herbei, um von der Genossin Abschied zu nehmen. Sie brachten bekränzte Butter und Kuchen und in Binsenkörblein frische Brunnenkresse und Eier. Dann huben sie an zu tafeln auf der grünen Alm. Der Halter Jirgel hatte einen Plutzer bei sich. »Greift's zu«, lud er ein, »für jedes ein kuhmaulvoll Geist!« Sie tranken den Branntwein und wurden unbändig munter.
Nur die Toni, obzwar sie auch ihr »kuhmaulvoll Geist« zu sich genommen hatte, war völlig weinerlich. Denn die Kameradinnen setzten ihr jetzt das Kranzel aus Alpenblumen aufs Haar, und bei solchem Geschehnisse werden jeder Braut die Augen naß. Doch aber schaute sie der Toni forschend an und sprach: »Was weinst denn jetzt, Tonele? Des Kranzels wegen? Du wirst es doch heut wohl noch tragen dürfen, gelt!?« – Heftig nickte sie mit dem Haupte auf und ab, so daß die Kameradin sagte: »Aber so halt still den Schädel! 's ist ja noch nit festgespendelt.«
»Macht's, macht's!« drängte der Bräutigam, denn ihm war schon ums Hochzeiten.
Die Tonele war aber noch nicht fertig. Jetzt trug sie dem Almbuben strenge auf, die Hütte und die drei Kühe sorgfältig zu bewachen, bis die Sefferl heraufkomme; sie selber bleibe für das Jahr schon unten im Tal, und die Almer möchten im Herbst mit dem Vieh gesund heimkommen ins Häusel. Dann wendete sie sich an ihre Almgenossinnen: »Der heurige Sommer hat bei mir nit lang' gedauert«, sagte sie feierlich, »aber wenn halt der Rechte kommt, da verlaßt man die Küh' und Kalmen und die besten Kameradinnen und geht mit ihm, wohin er will, und wär's bis ans End' der Welt oder gar nach Amerika, wie die Glöckel-Kathrin mit ihrem Thomas. Ich geh' freilich nur mit ihm in mein Staudenhäusel hinab und verhoff' euch schon immer einmal noch zu sehen. Dank euch Gott für alles! Du, Theresel, daß du mir meine Küh' oft hast heimgetrieben; du, Nandel, daß du mir der krummen Kalm den Schinken (Fuß) hast einfatschen helfen; du, Stefel, daß du mir immer einmal einen Bund Futter hast zur Hütten getragen. Seid's all bedankt. Und dich, Mariedl, hab' ich einmal ein dreckigs Mensch geheißen, tu mir's heilig verzeihen. Und wem ich sonst was Leids hab' getan, tut's mir's heilig verzeihen, und in den Ehestand nachschelten, das soll mir niemand.«
»O du narrische Tonele!« riefen alle, »wir wünschen dir tausend Glück und hundert leibige Küh' und zehn kleine Buben!«
Länger hielt's der Toni nimmer aus, rasch nahm er die Braut am Arm und fuhr mit ihr ab über die grüne Alm.
Er war ein Holzknecht, von der Murauergegend herübergekommen erst vor kurzer Zeit; gerade nicht von den schönsten einer, aber mein Gott: Jugend, Gesundheit und gerade Glieder, was braucht man denn mehr? Der Jugend wegen hätte er zwar noch um zehn Jahre früher heiraten können, aber – und das waren seine eigenen Worte – eine Weichschneck' (Waldschnecke) könnt' er nicht brauchen, und eine Häuselschneck' hätt' er bisher nicht gefunden; die Tonele ist Erbin des Staudenhäusels und der kleinen Alm, und so wagt er es mit ihr und sie mit ihm. Und just der allein steht ihr an.
Als sie jetzt durch den Wald hinabgingen, legte er den Arm um ihre Mitte: »Wir haben uns halt gern, du Schneckerl, du! Gelt?«
»Was fragst denn?« sagte sie, »wie gern ich dich hab', das weißt du, und wie gern du mich hast, das mußt du lei auch wissen.«
»So gern wie dich hab' ich noch keine gehabt.«
»Am End' bin ich gar die erste!« rief sie und klatschte die Hände zusammen.
»Bei meiner Treue!« versicherte er. »Und ich bin ja auch dein erster, gelt, Tonele?«
»Ja, was glaubst denn, Toni?« rief das Dirndel lustig. »Daß ich alleweil auf dich gewartet hätt'? Und hab' doch gar nit gewußt, daß du auf der Welt bist! Mein letzter kannst sein, wenn du willst!«
»Geh, Tonele, tu nit so Späßle machen!« sagte er. »Wenn's ernst wär', was du jetzt gesagt hast, ich wüßt' nit, was ich tät'!«
»Na, versteht sich!« lachte sie, »gleich da über die Wand abi! Wie du schon bist! – Du, schau, da haben sie uns abgesperrt.«
Kein Sturmwind war gegangen, nicht gestern und nicht heute, aber die Bäume lagen in kreuz und krumm über dem Hohlwege. Das hatten mutwillige Bursche den Brautleuten zu Ehren getan. Aber der Toni stieg darüber hin, und die Tonele kroch unten durch. Als sie ins Tal kamen, wo zwischen einem Waldschachen und dem Wasser das Staudenhäusel steht, ging die Tonele hinein, und den Bräutigam ließ sie heraußen stehen. Er stand da, schaute um und um und überlegte, was nun zuerst gearbeitet werden müsse am Häusel, im Garten und auf dem sonnseitigen Feldlein. Es ist alles hübsch beieinand', und es wird sich leben lassen. Das alles kriegt er zum Lohn, weil er so ein schöner Mann ist! Eine feine Häuselschneck' hat er gefunden, und die andern – die Weichschnecken –? Ah was, vom Murauerischen herüber ist's weit. Er schien die Weiber zu kennen, daher hatte er sich auf eine Stunde Wartens gefaßt gemacht, und daher begann er nun die jungen, lose gewordenen Obstbäumlein mit Weidenzweigen fester an den Stab zu binden; denn eine Stunde lang müßig stehen, das war des jungen Holzknechts Sache nicht. Aber sie kam schon nach einer halben Stunde aus dem Häusel und leuchtete wie ein Maienstrauß. Ein weißes Kittele mit blauen Sternlein und hellen Röslein, ein vergißmeinnichtfarbiges Schürzele, ein schwarzes Joppele mit rotseidenem Busentuch darüber. Das Gesicht war schon auf der Alm gewaschen, das Haar schon auf der Alm gekraust, das Kranzel schon auf der Alm angespendelt worden.
»So, jetzt bin ich's«, sagte sie lustig, »wenn man einen so sauberen Mann heiratet, muß man sich lei auch sauber herputzen. Gefall' ich dir? – Du bist mir aber ein schöner Bräut'ger, du hast ja gar keinen Buschen auf dem Hütele! Gib her, ich steck' dir einen hinauf. So, jetzt bist es.«
Nelken und Rosmarin hatte er im grünen Band, und ein Stammel davon stand hoch über den Hut hinaus, also daß seine heutige Würde wohl von weitem zu erkennen war. Die Braut trug in blaues Tuch gewickelt einen großen Laib Brot bei sich, aber nicht für den Bräutigam, falls er unterwegs zur Kirche hungrig werden sollte, sondern für die Armen, die nun anhuben, hin und hin am Wegesrand zu stehen, und an denen sie das Brot stückweise verteilte. Barmherzig sein, damit soll nach altem Brauch der heilige Ehe- und Wehestand anheben.
Neben dem Wege im Moorgrund balgten sich verwahrloste Kinder. Ihre Kleidchen waren fahl, zerfetzt, mit Morast bespritzt. Diese Rangen rief der Bräutigam, warf ihnen aber die kleinen Münzen nicht vor die Füße, sondern gab sie ihnen in die beklecksten Hände.
»Du hast die Kinderle wohl recht gern, Toni?« fragte ihn die Braut.
»Vielleicht arme Waislein!« sagte er, »kein Mensch kümmert sich um sie. Wenn eins auch noch Eltern hat, so schauen sie sich nit um nach dem Würmel oder dürfen sich nit umschauen; 's is halt ein Kreuz. – Na, jetzt geht's nur und tut's nit raufen! Wirst ihn auslassen, du Racker, den andern beim Haar! – 's ist halt ein Kreuz!«
Je näher sie dem Dorfe und der Kirche kamen, je feierlicher ward der Braut zumute, und auf manche holde Red' des Bräut'gers gab sie kaum eine Antwort. Auf dem Kirchenplatz waren schon die Hochzeitsgäste versammelt mit den Musikanten. Die Hochzeitsmutter nahte mit einem dürren Palmkatzelzweig und verlangte nach der Väter Sitte, daß der Bräutigam sich drei Katzeln in die Schuhe tue. Jetzt wurde der Holzknecht das erstemal rot; vor den Leuten die Stiefel ausziehen, daß sie sahen, er hätte keine Strümpfe an? – Mit einem Silberzwanziger kaufte er sich los vom alten Brauch. Auch die Braut legte eine Münze auf den Teller, mit dem der Küster demütig umherging.
»Tut's ihn nur recht schamiern, den Himmelvater, daß er euch Glück und Segen gibt!« sagte die dicke Hochzeitsmutter sinnig, sie selber gab nichts.
Als sie zu Paar und Paar in die Kirche schritten, bemerkte der Toni, der mit einer »Kranzeldirn« hinter der Braut mit dem »Kranzelbuben« ging, daß neben dem Tore der Forstjung' stand, und daß die Tonele ihr Gesicht rasch auf die andere Seite wendete. Der Forstjung' stand am Tor, starr, finster und wüst. Sein Auge zuckte und konnte sich nicht wenden von der Braut, bis sie in der Tür verschwunden war. Der Toni knirschte mit den weißen Zähnen so stark, daß das Kranzdirndel ihn flüsternd fragte, ob er sich jetzt nicht einen Zahn ausgebissen hätte?
Eine Viertelstunde später ist das Jasagen da. Er stößt seine drei Ja scharf heraus, sie lispelt dieselben schämig und so leise, daß die Fernerstehenden schon meinen, die Tonele habe ihr Ja verweigert, aber der Geistliche hat sie recht wohl gehört – und somit ist das Schloß zugeschnappt und der Schlüssel hinausgeschleudert in die bodenlose Ewigkeit.
Der Bräutigam hatte während der Trauung mehrmals nach dem Eingange geschielt. Wenn jemand käme und Lärm schlüge! . . . Das wäre so was! Es ist halt ein Kreuz! – Aber es geschah nichts, und sie gingen hernach ins Wirtshaus zum Tanz und zum Essen.
Daß in Spaß und Ernst noch manch sinniger Hochzeitsbrauch erfüllt wurde, wird man mir ohne besondere Beteuerung und Berichterstattung glauben. Als die dreifache Mahlzeit zu Ende ging, waren schon die Lichter angezündet im Saal, da stand der Hochzeitsvater (Hochzeitsleiter) auf, schrie in den lustigen Festwirrwarr hinein, er bitte um Ruhe, es sei der Engel aus dem Paradies gekommen mit einer Botschaft.
»Liebe Braut- und Hochzeitsleute!
Im heiligen Paradies, als sie fertig waren allbeide, küßte der Gottvater den Adam auf die Stirn und die Eva auf den Mund, und deswegen hat der Mann seinen Verstand im Hirn und das Weib den ihren auf der Zung'. Und sintemalen und alldieweilen das Weib ihren Verstand auf der Zung' hat, so sagt sie ihre Geheimnisse frank und frei, und der Mann tut seine verschweigen. Und deswegen hat mir die schöne Braut just anvertraut, daß ihr das Herz möcht' zerspringen vor lauter Lieb' und Freud' und anderen Dingen, und daß sie einen so braven Mann hat gekriegt, und daß so viele ehrenwerte Gäste sich zu ihrem Ehrentag haben eingefunden. Und da wollt' sie gleich ihre Brieftasche aufmachen und dem Herrn Speisemeister (Hochzeitswirt) und Kellerwartel alles bezahlen, was die ehrsame Gesellschaft genossen, auf den Bescheidteller gelegt und in die Gurgel gegossen. Noch zu rechter Zeit stupft sie der Engel aus dem Paradies in die Seit' und sagt: ›Geldverschwenden willst heut? Und aufs Jahr tut liegen ein Kindele in der Wiegen und schreit um Brot. Und in sieben Jahren sind sieben Kindelein da und schreien alle um Brot, um Brei und noch um sonst allerlei. Bedenk's und gib Ruh‹, und mach dein Tascherl wieder zu, und laß den lieben Hochzeitsgästen die Freud' und Ehr', daß sie das selber lei büßen, was sie verzehrt, und daß sie auch für das ehrsame Brautpaar zahlen und für die Brautmutter, gar lobenswert, die sich rechtschaffen geplagt hat an dem heutigen Tag, und für den Brautvater, den alten armen Hascher, der predigen soll und keine Stimm' nicht hat' – Just so hat's ihr der Engel gesagt, und just so hat es die schöne Jungfer Braut mir anvertraut, sintemalen sie kein Geheimnis verschweigen kunnt, weil sie der Gottvater geküßt hat auf den Mund. Und wetten will ich nichts, das Stuck hat ihm der schlaue Bräut'ger abgeguckt und macht ihm's nach, wozu er meinen Segen hat und unser aller Glückwunsch für hundert Jahr! Vivat das Brautpaar!«
Also hatte der muntere Alte gesprochen, und jetzt wußten sie die Botschaft des Engels aus dem Paradiese: Zum Zahlen war's.
Nun fiel es aber jemandem ein, daß dieser schöne lange Tag auch eine Nacht habe, weshalb der Tanzboden frisch mit Federweiß zu bestreuen sei. Allein der Toni vermutete, die Tonele würde nach all den Sachen schon müde sein, und so schlich er mit ihr heimlich davon.
Unterwegs gegen das Staudenhäusel ging ihr der Toni zu schnell, es schien, als wäre sie noch gern im Wirtshaus geblieben.
»Soll wer nachkommen, weil du so stad gehst?« fragte sie ihr Mann.
»Willst wen einholen, weil du so laufst?« fragte sie entgegen.
Dann schwiegen sie und gingen. Es war dunkel. In der Schlucht rieselte das Wasser, die Schuhe der nebeneinander Wandelnden stießen manchmal leicht an einen Stein, sonst war alles still.
»Gut hat er gesprochen, der alte Eichinger«, hub nach einer Weile der Toni wieder an. »Gerade das hab' ich nit recht verstanden, daß ein Weibsbild kein Geheimnis sollt' verschweigen können.«
»So was sagen die Leut halt lei spaßeshalber«, meinte die Braut.
Dann gingen sie wieder schweigsam nebeneinander hin. Die Braut trug in der Hand ein Bündel Bescheidessen, da drin waren Bratenstücke, Kuchen und Krapfen, Dinge, die der Hochzeiter bei der Tafel nicht zu essen pflegt, sondern mit nach Hause trägt zum Verteilen. »Für wen, Schneckerl, für wen bringst denn du das Bescheidessen heim?« fragte sie der Toni.
»Na, halt für die Kinder!« lachte die Tonele, und über diese launige Rede lachte auch er hell auf. »Da mögen die Krapfen wohl ein wenig altbacken werden, bis so ein kleiner Saggra hineinbeißen wird.«
Sie gab darauf keine Antwort.
Nach einer Weile sagte er: »Hast du ihn eingeladen zur Hochzeit?«
»Wen?«
»Den Försterjung'.«
»Wie kommst du jetzt auf den Försterjung'?«
Der Toni blieb stehen, machte einen Griff in den Sack, einen Strich über den Ärmling und leuchtete ihr mit brennendem Streichholz ins Gesicht: »Will doch einmal sehen, wie du ausschaust, wenn vom Försterjung' die Red' ist.«
Sie war nicht rot geworden, sie schaute ihm ganz keck in die Augen und sagte: »Da guckest umsonst, Bübel, vom Försterjungen wirst nit viel hängen sehen an meiner Nasen.«
»Aber bei der Kirchtür hab' ich ihn stehen sehen«, murmelte er, und der Klang der Stimme war unsicher geworden.
Sie hub an laut zu lachen: »Ah, das ist gut!« rief sie, »jetzt zwickt ihn schon die Eifersucht. Ja du mein herzliebster Toni! Ein Mensch und ein Engel zusammenheiraten, das tät's ja nit! Da ist's doch gescheiter, wenn zwei Menschen mit Fleisch und Blut zusammenkommen. Und was wirst denn sagen, wenn du schon ein paar junge Schnecken findest im Schneckenhäusel?«
Er blieb stehen, faßte sie am Arm und sagte: »Wenn ich dich versteh', Tonele, es ist zum Erschrecken, wie du redest! Wenn ich doch nit der erste wär'!«
Sie schnellte von ihrem Arm seine Finger los, faßte aber mit der Hand um so fester seinen Jackenflügel an. »Wenn es so ist, meinst du«, sagte sie, »so müssen wir schon deutlich miteinander reden. Jetzt sag' mir einmal, du schöner Holzknecht, warum soll uns Weibsleuten das auf Punkt und Siegel verboten sein, was ihr Männer euch nicht bloß erlaubt, sondern sogar für Recht und Ehr' betrachtet? Daß in der Ehe der Aushupf beim Weib schlimmer ist als beim Mann, das verstehe ich, und so dumm bin ich nit, daß ich solches nit kunnt verstehen. Aber daß beim Heiraten sie ihm die Zukunft schenken und die Vergangenheit umsonst draufgeben soll, und daß der Mann beim Heiraten mehr Erspartes von ihr verlangen kann als sie von ihm, das verstehe ich lei schon gar nit.«
»Daß ich nichts Erspartes hab', werd' ich dir wohl eh' gesagt haben«, wendete er ein.
»Nein, nein, Toni, du weißt recht gut, was für ein Erspartes ich meine. Du wenigstens verlangst von mir die erst' Lieb'.«
»Verlang' ich auch, Schneckerl, verlang' ich auch.«
»Warum aber bringt denn das Bübel so was nit mit?« fragte sie.
Der Toni antwortete: »Wenn du etwan auf mich solltest anspielen –!«
»Ei beileib' nit, auf dich schon gar nit!«
»Wär' ein rechter Irrtum«, sagte er, »ich hab' mir nichts vorzuwerfen, Gott sei Dank, ich nit!«
»Toni«, entgegnete hierauf sie ganz ruhig, »jetzt möcht' ich dir aber kein Streichhölzel vor die Nasen halten. Wenn du jetzt nit rot wirst wie ein Paradiesapfel, nachher – nachher wärst ein grundschlechter Mensch.«
Nun fand es aber der junge Ehemann an der Zeit, seine Herrlichkeit aufzumutzen. Wenn er sich gleich das erstemal weichkriegen ließe, dann wäre die Schlacht verloren noch vor dem Kriege. Nicht einmal zum Eifersüchtigsein hätte er ein Recht, wenn sie jetzt nicht scharf zurückgeschlagen wird. Er strampfte also seinen Fuß auf den Boden und rief: »Was soll das heißen? Jetzt wird's mir zu dumm! Hab' ich dich betrogen? Gut, so zeig hin, wo, wann, mit wem! Zeig hin! Gelt, jetzt bist still, weil du mir nichts nachsagen kannst. Und wenn was wär' gewesen, ging's wen was an? Hättest du einen Schaden davon? Hättest du Sorg' zu tragen dafür? Ich glaub' nit. Ich sag' dir das, meine liebe Toni: Wenn jeder und jede so brav ist wie ich vor der Verheiratung, nachher wird keine Sintflut mehr kommen und kein Schwefelregen auch nicht mehr, daß du's weißt! Und daß du so verdächtig herumredest, als ob was nit richtig wär' bei mir, das kannst lei bleiben lassen, und das verbiet' ich mir, verstehst! Ich hab' vor dem Altar leicht und gern ja gesagt, und gehört haben sie's auch, und ich hab' keine Ursach' zu fürchten, daß ein ungebetener Gast vor der Kirchtür steht, hast verstanden? Und mit solchen Sachen kommst mir nimmer, merk dir's – verstehst?!«
Darauf sagte die Tonele fast gütig: »Sollst recht haben, und wir wollen nit gleich in der ersten Stund' miteinander streiten. Nur soviel: Was du jetzt von dir gesagt hast, das kann ich von mir sagen, und mit gutem Gewissen. Und wenn ich anders geredet hab', so ist's gefoppt gewesen. Wollen die Vergangenheit in Ruh' lassen. Muß immer eine alle zwei Augen zudrücken bei ihrem Mann, das weiß ich eh. Aber wenn einer gar keine Fehler hat, da wird er sie freilich nit eingestehen, das kann ich mir denken. – Halten wir nur von jetzt an schön zusammen, mein Mann, helfen wir einander geduldig und nachsichtig die Pflichten und Sorgen tragen, wie der Pfarrer heut gesagt hat, und von vergangenen Geschichten weiter kein Wort mehr. Toni, gib mir die Hand drauf.«
Das tat der Toni denn äußerst gerne, und er war überaus zufrieden mit dem Erfolg seines strammen Auftretens, durch das ihm in dem Staudenhäusel die Würde des Mannes für immer gesichert war.
»Und jetzt gehen wir eilends heim!« sagte sie, ihren Arm in den seinen legend. »Wir haben nimmer weit.«
Sie sahen auch schon die rotschimmernden Fensterscheiben des Staudenhäusels. Als sie über den schmalen Wiesensteig gingen, das Weib hinter dem Mann, blieb der Toni stehen und bemerkte, daß auf diesem Wieslein schon die zweite Mahd reif sei. »Das wird gleich morgen gemacht. Um sechse weck mich auf. Ist das Heu fertig, nachher geht's an den Staudenschopf. Den kann ich nit brauchen beim Haus; etliche Schirmbäume bleiben stehen, das andere wird Acker. Sooft ich den Bach höre, der gleich an uns vorbeirinnt, denk' ich an eine Mühle. Der Zuspruch wollt' sich schon finden. In zehn Jahrln, Weib, wird's anders anschau da herum, so aufwirtschaften, das macht mir just einmal eine Freud'.«
Jetzt hätte sich's aber wahrlich verlohnt, wenn er ihr mit dem Streichholz ins Gesicht geleuchtet hätte – jetzt waren ihre Wangen rot und ihre Augen strahlend. Der tüchtige Wirt, den sie an ihm einführte in ihr Häusel!
Als der Toni durch die niedere Tür in die Stube trat, gab's da drin eine kleine ältliche Weibsperson und zwei nett herausgeputzte Knaben von etwa vier oder fünf Jahren. Im ersten Augenblick erschrak der Toni fürchterlich – im zweiten erschrak er noch mehr.
Die Knäblein duckten sich etwas scheu, dann kamen sie sachte an ihn heran, und eins sagte beklommen: »Vaterl!«
Und der Toni – er erkannte sie.
Sprachlos war er und versteinert. Die Tonele packte auf dem Tisch rasch ihr Bündl aus und rief den Kindern zu: »Na jetzt, euren Vater habt ihr wieder. Der geht euch lei nit mehr durch. Und die Mutter ist auch da! Schaut einmal, was sie euch mitgebracht hat.« Und teilte Fleisch und Krapfen an die beiden Knaben aus. Hernach ging sie in die Nebenstube. Er schälte die zutraulich gewordenen Kleinen von seinen Knien und ging ihr nach. Sie saß auf der Ofenbank und weinte. Er stand vor ihr, da er doch knien sollte; er stand da wie ein Strunk, von dem der Blitz den stolzen Wipfel geschlagen. Endlich sagte er kaum hörbar, so dumpf: »Weib, du kannst dir's denken, wie mir jetzt ist. Neun Ellen in den Erdboden hinab schäme ich mich. – Tonele!« Ihre Hand hätte er fassen mögen und die Tropfen ihr von den Wangen küssen – er getraute sich nicht, sie zu berühren.
Endlich richtete sie sich ein wenig auf, strich mit der Schürze über das Gesicht. In ihrem Haar war noch der Hochzeitskranz. »Wenn ich dich gern hab'«, sagte sie dann, »so werd' ich deine Kinder auch nit verlassen. Und mußt wissen: So eine Schneck', wie du sagst, hat nit grad 's Häusel allein, hat auch ihre Fühlhörner, mein Mensch! – Von der Kramer-Klara, die oftmals ins Steirische hinüberkommt, und die jetzt draußen in der Stube bei den Kindern ist, hab' ich ja schon vor zwei Wochen alles erfahren; sie hat mir dort in der Murauergegend bei den Bauernhäusern herum die Waislein zusammensuchen müssen. Man soll die Hascherlen – sagt die Klara – recht gern hergegeben haben, recht gern, sagt sie. Auch das G'schrift hat sie mir alles mitgebracht, und die kleinen Buben können dir gar nimmer abgestritten werden. Daß du sie so unter fremden Leuten hättest verderben lassen wollen, das glaub' ich nit, und ich glaub's nit. Na, hab' ich mir gedacht, erspar' ihm den Gang und laß sie lei selber holen. So sind sie da, und jetzt haben wir halt schon ein paar gesunde Buben miteinand, und gut ist's und aus ist's.«
Ich glaub's, was sie sagen, daß jetzt der Holzknecht feuchte Augen bekommen hätte, und kein Wort gesagt, auch nicht ein einziges. So etwas verschlägt einem das Redewerk – ich glaub's gern.
In der Familienstube des Schneckenhäusels soll es an demselbigen Abend noch ein heiteres Stündl mit Naschen und Schäkern gegeben haben. Und der Toni, heißt es, hätte dabei den würdigen Hausvater gespielt. Wie aber die Kinder zu Bette gebracht worden, da sei er fast schwindelig zur Tür hinausgetreten in die Mondnacht und hätte einen Juchezer getan, der weit und weit fortgeklungen in die Wälder. – Und das – das ist der Juchezer zum dritten!