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Weinles'jubel im Land!
Sang und Klang, Schwänke und Späße, Springen und Eilen. Die Sonne als die Festgeberin legt Goldschein über die Gegend; der Himmel hat sein Sonntagsgewand an, den schönen blauen Mantel, der durchsichtig ist wie Glas und dennoch die Geheimnisse der Unendlichkeit verdeckt. Wer auch fragt danach, was oben ist, solang die Erde Trauben beut!
Alle Schornsteine der Höfe, der Winzerhäuser hingegen plaudern in bläulichem Atemhauch das Geheimnis des Herdes aus, und andere Umstände lassen vermuten, daß in den Kellern alle Pipen offen sind.
»Jetzt gibt's wieder was zu trinken für ein ganzes Jahr!« so jauchzt die Welt auf, und deswegen das heitere Treiben und der Weinles'jubel im Lande.
In den Reben der Hügel und Hänge an der Seim ist's alllebendig. Weißärmelige Burschen, knappgeschürzte Mädchen mit krummen Messern, mit Körben und Kübeln schlüpfen herum, schier zu sehen wie ein gegenseitiges Verstecken und Fangen in den Büschen. Und die Dorfmusikanten versuchen in hellen Stößen ihre Trompeten oder kochen erst ihre heiser gewordenen Klarinetten in Rindsfett aus, damit diese Pfeifen für den Abend glatte, weiche Stimme kriegen. Und die Schäker der Gegend sinnen heimlich auf Possen und Schabernack, sinnen auf Vermummungen und tolles Gespiel; den Mädchen rieselt schon das leichtlebige Blut in den Füßen um; – nimmer mögen sie es von Astronomen gehört haben, daß alles in der Welt tanzt und kreist – es leuchtet ihnen selber ein, und sie besonders halten gerne mit bei dieser trefflichen Weltordnung.
Die Seim, die aus dem Gebirge und den dunklen Wäldern kommt, tut weit ihr dunkles Auge auf über ein so fröhliches Land. Aber dieses Völklein schert sich um das schöne klare Wasser nicht – es hat ja den Wein.
Zwei Rößlein traben die Straße von oben heran.
Zwei Rößlein und ein Wagen dran. Der Wagen ist bunt bemalt und hat einen prächtigen Polstersitz für zweie. Sitzt aber nur eines drauf. Tut nichts, der Mensch ist ein bevorzugtes Wesen, kann sich behelfen, dehnen und breiten, zumal, wenn es die genügende Anzahl gut gesteifter Röcke am Leibe hat.
Im Wagen sitzt eine wohlbehäbige und doch rührsame Frau, und ihr Angesicht blüht wie eine Pfingstrose im Juli. Wohl, auch im Juli kann eine solche Rose noch sehr schön sein; ein paar Mückenstiche in den Blütenblättern, ein paar Runzelchen, so fein wie Spinnwebfaden – ei, wer wird so genau gucken! – Goldfarbiges Haar ferner – ich meine die Frau im Wagen – und goldfarbige Brauen über den kecken Äuglein sind nicht zu verachten, und der Wohlduft – ich spreche wieder von der Rose – kann im Juli bestrickend sein. Sie hat – es handelt sich um die Frau – ein schwarzseidenes Kopftuch über, aber nicht am Nacken geknüpft, wie es die Weiber der oberen Gegend tragen, sondern unter dem runden Kinn leicht zusammengebunden, so daß über der glänzenden Stirne das Goldhaar, und am Halse die Silberkette mit der vornehm gearbeiteten Schnalle noch zu sehen ist. Ein flammend rotseidenes Schultertuch mit fliegenden Fransen geht in Form eines Herzens nieder über den ausgebreiteten Busen.
Wir würden es bei den gestauten Kleidern kaum bemerken, daß die Frau ein paar sehr feingestickte, aber fingerlose Handschuhe trägt, wenn sie mit den Händen jetzt nicht auf den Rücken des alten Kutschers zu trommeln anfinge: »Sind sie denn gar nichts nutz, deine großen Ohren! Aber Michel! Michel! hörst! langsam fahren sollst! Das beutelt einem ja gottswahrlich die Seel' aus dem Leib!«
»Die Seel'?!« wiederholt der Alte gedehnt, »die Seel' meinst, Bäuerin? – Ja so, geschlachter fahren soll ich.«
Und es ging langsam.
Da konnte die Frau im Wagen die Arbeiter in den Weinbergen bequemer betrachten. Mancher heiteren Gruppe von Winzern, die nahe der Straße war, grüßte sie mit leutseligem Kopfnicken zu, und wenn einer seine Mütze schwang, winkte sie sogar mit den Händen.
Jetzt kam glatt neben dem Weg und nahe dem schönen Flusse ein Häuschen mit weißer Mauer und grünen Fensterbalken. Durch die enge Tür eilte groß und klein geschäftig aus und ein, wie Bienen bei ihrem Korb. Mit Butten und Plutzern gingen die Erwachsenen die Kellerstiege auf und ab, und die Kinder nippten und naschten aus kleinen Töpfchen den trüben, süßen Most der Traube. Unter einem Dachvorsprung des Hauses ächzte der Preßbaum, und man hörte das Rieseln des Saftes. Daneben in einer weiten Kufe sprang und hüpfte ein Bursche um. Es war ein hübscher Junge voll Leben und Lust. Das dunkle Gelocke seines munter gehobenen Hauptes, der helle Blick – die Farbe des Auges kann fürs erstemal nicht so genau besehen werden – die frischen Wangen, der zarte Flaum an der Oberlippe und die milchweißen Zähne spielten gut zusammen. Nur mit Hemd und Linnenhose war er bekleidet; das Hemd war bis über die Ellbogen, das Beinkleid bis über die Knie aufgeschlagen.
Die schlanke Gestalt paarte Kraft und Geschmeidigkeit in sich, man sah's an den Bewegungen, die der Bursche tanzend und schwingend in der Kufe ausführte. – 's hat aber auch nicht jeder den Tanzboden so wie dieser Jüngling – er tanzte auf schwellenden Trauben, und hochauf spritzte bisweilen ein Tropfen zu dem behendigen Körper.
Aus dem Hause kam ein betagter Mann mit gebeugtem Nacken. »Felix«, brummte er, »das darf nicht sein!«
Das Hupfen und Springen verwies er dem Burschen. Bedachtsam und vorsichtig müssen die Trauben zertreten, zerquetscht werden, ehe sie in die Presse kommen. Das war aber nicht die Sache des lustigen Jungen, der sich lieber in eitel Wein gebadet hätte, als mit den Zehen träge die vollen Beeren zu zerdrücken.
An diesem Winzerhäuschen war's, wo die aus oberen Gegenden heranfahrende Frau ihre ganze, gar nicht schwache Stimme zusammennahm, um dem Kutscher zu bedeuten, er möge die Pferde anhalten. Erst hatte sie dem Keltern und besonders dem Traubentreter mit Wohlgefallen zugesehen, war dann mit Hilfe des alten Michel aus dem Wagen gestiegen, hatte freundliche Worte an die Kinder gerichtet und war hernach rauschend in das Haus getreten.
»Wie heißt's bei euch?« hatte sie gefragt.
»Das weiß ich gleichwohl«, sagte sie, »das ist die Gegend; wie es da bei euerem Hause heißt, möchte ich wissen.«
»Beim Froschreiter«, war die Antwort.
»Beim Froschreiter? Aber na, das ist schon gar!« lachte sie, »na, macht nichts. Ich höre, der Froschreiter hätt' Wein zu verkaufen.«
»So!« versetzte der Alte mit dem gebeugten Nacken, »da hört die Frau nicht gut. Ich kann keinen Wein verkaufen.«
»Warum denn nicht?«
»Weil ich keinen habe.«
»Ich höre aber doch dort unter der Presse den Brunnen rinnen.«
»Den höre ich auch«, sagte der Alte, »'s ist der Wein meines Herrn in Zollau.«
»Wer ist denn Euer Herr?«
»Der Herr Baron, der auf dem Schloß wohnt.«
»Ist schön«, sagte die Frau, »und da am Flusse habt Ihr für den Most das Wasser nicht weit zu holen.«
»Diesen Spaß haben mir schon viele gesagt«, entgegnete der Winzer, »natürlich braucht man zum Keltern auch Wasser.«
»Aber schade, daß der Wein nicht Euer ist«, sagte sie.
»Gehört halt dem Herrn Baron«, antwortete der Alte.
»Ei, und die vielen herzigen Kinder hier?«
»Gehören mir.«
»Gehören Euch; wieviel sind ihrer denn?«
»Du, Franz!« rief der Winzer hin, »bring der Frau einen Stuhl zum Sitzen. Guido, schieb dieweilen die Kellertür vor, daß die Kleine nicht hinabrutscht. Und du, Bärbel, sag's der Hanne, sie soll gehen, das Fritzel locken, es schreit ja wie ein Zahnbrecher; der Anton hat's wachgejohlt mit seinem lauten Maul. – Wieviel ihrer sind?« – Er zählte die Namen an den Fingern ab. »Daheim hab' ich bislang nur achte. Die anderen sind im Dienst herum.«
»Segen Gottes!« lachte die fremde Frau.
»Und jedes hat ein Schock gesunder Zähne! Das muß man nehmen. Und der Zahn will was zu beißen haben.«
»Der da draußen«, fuhr die Frau fort und ließ sich knisternd auf den gebotenen Sitz nieder, »der da in der Kufe, ist das auch Euer Sohn?«
»Denk wohl«, antwortete der Winzer.
»Ein netter Bursch'.«
»Insoweit just nit übel. Werden ihn bald einspannen jetzt.«
»Einspannen? Wieso?«
»Aufs Jahr ist er bei der Stellung (Assentierung).« Und nach einer Weile setzte er bei: »Den räumen sie mir.«
Die Frau verstand wohl den Ausdruck, entgegnete aber nichts darauf, sondern sagte zu einem der kleinen Mädchen: »Wie heißest du? Bärbel heißt – schau, da hast einen Groschen. Und willst mir dem Fuhrmann da draußen sagen gehen, er sollt' die Rösser in den Schatten führen und ihnen Heu geben. Mußt ihm's aber recht ins Ohr schreien – verstehst!« Dann zum alten Froschreiter: »Na, ich hätt' doch gemeint, Ihr gebet der Ländhoferin vom oberen Viertel ein Fäßl Heurigen.«
Jetzt lugte der Alte die Frau an, kraute dann in seinen dünnen Haaren: »Und das wäre die Ländhoferin? Die Großbäuerin von der grünen Länd'? Ist mir eine rechte Ehr', das.«
»Freilich«, sagte die Frau und fühlte sich behaglich im Stübchen, »bin die Bäuerin von der Länd', fahr' Wein kaufen aus; wisset, im Haus braucht man fürs Jahr so sein Tröpfel. Seit mein Alter – Gott tröst' seine Seel' – tot ist, muß ich halt selber fahren, 's ist viel Gescheer' für eine Frau.«
Von der Küche kam die Winzerin herein, sie breitete für das Mittagsmahl eine blaue Schürze über den Tisch, »'s ist gar zum Schämen«, murmelte sie für sich, aber so laut, daß es die Fremde wohl hören konnte, »hell zum Schämen – das Tischtuch liegt im Waschtrog.«
Da erinnerte der kleine Anton treuherzig: »Mutter, ins Tischtuch hast du ja den Fritzel eingewickelt!«
Eine große Schüssel mit dampfenden Erdäpfeln kam auf den Tisch; da polterte schon zu allen Löchern der Kinderschwarm herein. Unter diesem in Holzschuhen jetzt, aber immer noch mit aufgestrecktem Beinkleid, der lustige Traubentreter, der Felix. Er bot der Frau kurz einen guten Tag und wollte sich des weiteren nicht um sie kümmern, aber der Alte sagte: »Du, das ist die Ländhoferin. Dem Bärbel hat sie schon Geld gegeben.«
Da schaute der Bursche ein wenig gegen die Frau hin, und das war die ganze Ehrenbezeigung.
»Meinetweg', Leutl, setzt euch nur zusamm', wie's bei euch der Brauch ist, und esset!« rief leutselig die Großbäuerin und blickte mit wachsendem Wohlgefallen auf den jungen Mann, Felix geheißen, der jetzt in seiner geraden und kecken Gestalt mitten unter den Kleinen stand und das Tischgebet sprach. War ihm leicht anzusehen, daß er dabei an alles andere eher denken mochte als an das Gebet. Auch schnitt er während des Gemurmels Schwarzbrot auf, verteilte die Beinlöffel und zog einigen Erdäpfeln die Haut ab.
»Wart nur, du!« verwies ihn nachher seine Mutter, die Winzerin, »hast zum Beten nicht Zeit, so wird der Herrgott auch nicht Zeit haben, wenn du ihn brauchst!«
Felix saß schon am Tische und schlug seine Erdäpfel mit der Faust zu Trümmern, daß sie gehörig ausdampfen konnten.
»Wenn wir halt unsere Einladung machen dürften!« sagte der alte Winzer und schob auf dem Tisch einen Löffel gegen die Großbäuerin, »viel haben wir nicht aufzuwarten, aber ein warmer Bissen ist gut für einen Reisenden.«
Die Ländhoferin nahm die Einladung an.
»Ruck, Felix, daß sie Platz hat«, gebot der Alte.
Da rückte der Bursche in den Tischwinkel hinein, die Bäuerin setzte sich an seine Stelle und lachte: »Das ist mir schon recht, ist die Bank noch warm, krieg' ich deine Kraft.«
Auf dieses Sprichwort lachten sie alle, und die Kinder wurden bald bekannt mit den Seidenfransen der Gastin.
Nach den Erdäpfeln und einem Suppengerichte kam gebratenes Fleisch mit Krenmus. Da machten sie einmal Augen und Mund auf; und selbst dem Alten zuckten die dürren Finger nach der Gabel, doch war er so höflich, der Großbäuerin den Vorgriff zu lassen.
Als dann jedes sein Stück Braten auf dem Teller kleinschneiden wollte, war nur ein einzig Messer bei Tisch; dieses – das Brotschneidemesser – machte die Runde. Den Kindern wurde beim Zuwarten die Zeit zu lang, und sie zerrissen ihre Stücke mit den Zähnen. Der Felix klappte sein Taschenmesser auf und machte des weiteren nicht viel Umstände mit dem Schweinernen, das heute vom Zollauer Schloß gekommen war.
»Na, schmeckt's?« fragte die Ländhoferin ihren Beisitzer.
Dieser gab Antwort durch die Tat; 's ist nicht Schwätzenszeit, 's ist Essenszeit – so aß er.
»Alle Jahre vier- oder fünfmal, daß wir Fleisch essen«, bemerkte der Alte.
»Wirst jeden Tag dein Stück haben, bei den Soldaten«, meinte die große Bäuerin und sah auf den Burschen hin.
»Brauch' es nicht«, war die Antwort.
»Das glaub' ich schon«, sagte sie, »Soldatenfleisch wär' auch mein letztes.«
»'s wird keinem darnach lusten.«
»Eine harte Sach', Soldatenleben«, sagte die Großbäuerin, »auskaufen!«
»Ja – ha – ha!« lachte der Alte auf, »mit Haselnüssen.«
»Oder auf Haus und Hof heiraten«, schlug die Ländhoferin vor.
Diese Geschichte trug sich nämlich noch zur Zeit der alten Einrichtung zu, unter welcher der Bursche durch Erlegung einer gewissen Geldsumme oder durch den Besitz eines steuerbaren Hofes vom Wehrdienste entpflichtet werden konnte.
Als vom Heiraten die Rede war, nagte Felix mit seinen frischen Zähnen an einem Knochen, daß es scharrte.
»Schade«, sagte die Großbäuerin fröhlich lachend, »wär' ich um so viel älter, tat' dich gleich zum Sohn annehmen, Felix, und dir den Ländhof verschreiben. Hab' eh kein Kind.«
»Na, wär' gut gemeint«, sagte der alte Froschreiter.
»Bedank dich, Bub«, mahnte die Mutter.
»Was bedanken, wenn die Ländhoferin noch zu jung ist«, redete der Bursche in seinen Knochen hinein.
Dieses Wort schien auf die Großbäuerin einen durchaus angenehmen Eindruck zu machen.
»Freilich«, sagte sie, »was ich zu jung bin zur Mutter, bist du zu alt zum Kind. Da wollt' 'leicht der Sohn heiraten, und die Mutter möcht' etwan auch noch Hausfrau sein – wie das schon geht.«
Der kleine Anton, der bisher mit hellen Augen lugend, ernsthaft dem Gespräche zugehört hatte, machte nun plötzlich den noch von Schweinsfett glänzenden Mund auf und tat den Vorschlag: »So sollen die Ländhoferin und der Felix zusammenheiraten.«
Ein überlauter Auflacher, ein Rippenstoß von Seite der Mutter dem kleinen Antragsteller – dann alles still.
Der kleine Anton war jetzt rot geworden. Seinem älteren Bruder, dem Felix, ging's nicht besser; der saugte mit aller Macht seinem Knochen das Mark aus. Dann wischte er die Finger an dem Schürzentischtuch, den Mund am Hemdärmel ab und noch vor dem Dankgebet ging er hinaus zu seinen Trauben.
Er war ärgerlich. Er hatte sich so lange schon auf den heutigen Braten gefreut – und nun ist es sehr ungemütlich dabei zugegangen.
Die Kinder waren auch bald davon. Die Großbäuerin jedoch war, da sie gerade so bequem saß, bei dem alten Froschreiter noch am Tische sitzengeblieben.
»Na, wahrlich, ich bin sonst nicht so«, sprach sie, »aber da bei Euch ist mir schon ganz heimisch geworden. Ihr lebt recht zufrieden miteinand – gelt?«
»Dasselb' wohl, dasselb'«, sagte der Alte, »aber halt die Sorgen, die Sorgen. Alleweil schickt mir der Herr Baron keinen Braten, Ländhoferin, das ist nur zur Weinles'. Sind froh bei unseren Erdäpfeln und beim Maisbrot, ei jawohl. Wär' nur das fort genug, Ländhoferin, wär' nur das genug!«
»Na, im Spaß und im Ernst«, sagte jetzt die Bäuerin, »Winzer, gebt mir den Felix auf meinen Hof. Mit dem Dienstvolk ist's ein Kreuz; man braucht einen, auf den man sich verlassen kann.«
»Wär' schon recht«, wendete der Alte ein, »aber die Ländhoferin kann ja nicht wissen, ob auf meinen Buben auch ein Verlaß ist.«
»Ei ja«, rief sie lebhaft, »das merkt man einem gleich an.«
»Und nachher –« sagte der Froschreiter kleinlaut, »nachher hätt' ich noch erst den Großen weg, der mir ohnehin auch daheim sein Essen verdient. Und aufs Jahr zur Stellung müßt' ihn die Ländhoferin doch wieder fortlassen.«
»Davon red' ich ja«, rief sie, »und deswegen geht er auf den Hof, daß er nicht zu den Soldaten müßt', das bring' ich zuweg; wisset, Froschreiter, unsereins weiß da schon aus.«
»Ja!« seufzte der Winzer wie erleichtert auf, »da tät' der Bub' freilich sein Glück machen!«
»Tut Euch's überlegen«, sagte die Großbäuerin, »ich fahr' heut nach Zollau hinaus und vielleicht noch weiter ins untere Viertel hinein, bin von dort her gebürtig und will was Rechtes suchen. Wisset, Froschreiter, in meinem Hause muß fort ein guter Tropfen sein. Ah nah, abgehen lassen wir uns nichts auf der Länd', das hat's bei mir nicht not. – Na, in ein paar Tagen mag ich von unten zurück sein, da frag' ich bei Euch zu, und der Felix kunnt gleich mitfahren. Tut Euch's überlegen.«
Als sie dann ging, reichte sie jedem von den Kleinen, die sich herandrängten, um ihr nach der Eltern Weisung die Hand zu küssen, eine Kupfermünze. Nur der kleine Anton nahm wahr, daß sein Geschenk ein glänzendes Silbergröschl war.
»Der Felix, der kriegt nichts, weil er so stolz ist!« rief sie gegen die Kufe hin. Das Lächeln aber, mit dem sie die Worte sprach, schätzt der Erzähler dieser Ereignisse gut über einen Silbergroschen.
Der alte Michel hatte sich, nachdem er den Pferden das ihre gegeben, unter einem Birnbaum an drei großen Äpfeln und einer Traube geatzt, die ihm vom Felix zugekommen waren.
Als er mit seiner Herrin wieder im Wagen saß und die Pferde fröhlich hintrabten, wendete er sich auf dem Bock nach rückwärts und sagte:
»Das ist ein recht kamods Bürschel, der Traubentreter.«
»Gelt, Michel!« rief die Großbäuerin leuchtenden Auges, »was meinst, wenn wir statt jungem Wein einen jungen Winzer auf den Ländhof brächten!«
»Jungen, sagst?« entgegnete der Kutscher unsicher, »ist damit um diese Zeit noch nichts anzufangen; zersprengt die Fässer.«
Die Bäuerin lachte; der schwerhörige Fuhrmann hatte sie wieder einmal mißverstanden.
*
Wagen und Weib eilen davon,
Mit ihnen der Sohn.
Unter dem Birnbaum, auf dem Rasen, wo zur Mittagszeit der alte Michel geruht hatte, saß am Abend der hohe Rat des Froschreiterhauses.
Der Felix hatte sich schon einen gewaltigen, schafwollenen Schnurrbart zubereitet gehabt, gesinnt, denselben an diesem Abend an seine Oberlippe zu kleben, sich dergestalt bei den Weinlesefesten der Nachbarschaft einzufinden und den schönsten Mädchen der Gegend beim Tanze das Ding an die Wangen zu reiben. Nun überließ er den bereits fein gewichsten Bart dem kleinen Anton, der sich damit sofort auch ein ganz martialisches Aussehen beilegte.
Felix hatte an anderes zu denken. Lag er denn unter dem Birnbaum auf dem Bauch, stützte die Ellbogen in den Erdboden und sein Haupt auf die Fäuste und starrte ins Gras hinein.
»Sollten es uns überlegen«, meinte der Alte, welcher ebenfalls auf dem Rasen lag und seinen krummen Nacken streckte, »sollten es uns überlegen, hat sie gesagt.«
»Hab' nichts zu überlegen«, antwortete Felix, »ich fahr' mit auf die Länd'!«
Da brach die Mutter in Klagen aus. »Jetzt verlangst auf einmal weg. Sag es, Felix, was dir daheim nicht recht ist.«
Auf dieses Wort kugelte sich der Bursche über und sagte: »So nicht, Mutter, so müßt Ihr's Euch nicht denken, 's ist mir ja alleweil recht gewesen daheim, aber wenn man sich's besser machen kann – jeder tut's.«
»Und wenn sie ihn vom Soldatenleben losmacht«, sprach der Froschreiter, »das wär' ja ein ewiges Glück!«
»Ja freilich wär' das ein Glück«, gab die Mutter bei und trocknete mit der Schürze die Augen. »Freilich, daß er nicht tät so weit fortmüssen.«
»Mutter«, rief der kleine Anton jetzt, »das ist so ein Rätsel: geht er fort, so bleibt er daheim, und bleibt er daheim, so muß er fort, was ist das? Das ist der Felix.«
»Du Schlingel, du kleiner«, schmunzelte der Vater. »Du mußt schon ein Doktor werden. Dann muß aber der Schnurrbart weg. Den Schnurrbart lassen sich nur die Starken stehen, die Gescheiten den Backenbart.«
»Und wie weit wird's denn sein bis auf die grüne Länd'?« warf Felix ein, »in einem Tag kommt ein guter Geher leicht hin und zurück.«
»Du nicht, du kommst mir nicht in einem Tag zurück!« schluchzte die Mutter.
»Aber zu den heiligen Zeiten kann ich doch heimgehen. Das will ich mir ausdingen.«
Und als der Vollmond aufging über den Weinbergen und als in der Seim das Zickzack seines Widerscheins zitterte, war es beschlossen unter dem Birnbaum: der Felix geht mit der Großbäuerin auf die grüne Länd'.
Der kleine Anton drehte zur Feier dieses Beschlusses den schafwollenen Schnurrbart auf.
»Wenn's nur nicht gefehlt ist!« sagte des anderen Tages die Froschreiterin, »mich deucht allerweil, es soll nicht sein.«
»Geh, geh«, rief der Alte, »ihr Weiber habt fortweg so Flausen. Auch mir geschieht nicht leicht, daß ich den Buben weggeb'; ja, wenn sich eins immer nachgeben wollt! – Junge Leute müssen hinaus in die Welt, müssen was probieren. Das Soldatenleben nehm' ich aus, aber das muß ich sagen: wär' ich weiter gekommen, als vom Tisch bis zum Ofen, 'leicht ging's mir besser. – Und die Ländhoferin«, setzte er bei, »die Großbäuerin, scheint mir, ist eine respektierliche Frau.«
Einen Tag später trabten die zwei Rößlein wieder heran und – einen Stich im Herzen gab's dem Burschen – er glaubte schon, der Wagen wolle nicht halten. Der Wagen hielt aber. Die Großbäuerin stieg aus und tat noch freundlicher gegen alle und sie war in ihrer Rührsamkeit und Heiterkeit fast jung.
An den rotgeweinten Augen der Mutter sah sie's gleich: der Felix geht mit. Sofort machte sich die Ländhoferin an das betrübte Weib und sprach über die Kinder, über den Garten, über die Hühner und alles, woran eine rechte Hauswirtin Freude hat. Da wurde die Froschreiterin ganz zutraulich und band unter neuerlichem Schluchzen ihren Ältesten, ihren liebsten Buben, der Großbäuerin recht ans Herz . . .
Und nach einer Weile kam der Felix aus seiner Dachkammer herabgestiegen. Der Felix im Staate! Die Tuchkleider waren just nicht zu fein, aber nett und nach gutem Geschmack geformt. Alles hübsch schlicht, nur das hellrote Halstuch flatterte vor dem breitübergeschlagenen Hemdkragen wie ein keckes Kirchweih-Doppelfähnchen. Der Hut war etwas in die Stirne gedrückt, nur ließ er noch die beiden Haarbüschel sehen, die an den Schläfen herunterstanden.
Eines der kleinen Mädchen brachte einen Strauß von Rosmarin und Vergißmeinnicht: »Felix, den Wanderbuschen geb' ich dir mit!« Jedes will dem scheidenden Bruder etwas geben; der kleine Anton nur sagt: »Felix, ich habe gar nichts als das schwarze Lämmel, aber das gehört dem Vater.«
Die Mutter hatte das Bündel gebunden – es war nicht groß.
»Das macht nichts«, sagte die Ländhoferin, »auf meinem Hof wird ihm nichts abgehen. – Kannst das auch noch daheim lassen, Felix, meinetweg' gar deinen Rock. Der liebe Gott – hat mein Vater fort gesagt – schaut nicht auf die Kleider, schaut nur aufs Herz. Der Ländhof macht's auch so.«
Wird rechtschaffen gut auszukommen sein mit der Bäuerin, dachte sich der alte Froschreiter.
»Bleib mir nur brav, Bub'«, sagte er, »und mach uns und deiner Dienstfrau keine Schand'. Tu fleißig arbeiten, und kriegst was, so sei dankbar und allerweil sparsam. Denk auf den Bettelstab, Felix!«
»Was nicht noch!« rief die Bäuerin, »Bettelstäbe wachsen nicht auf der grünen Länd'.«
»Und vergiß nicht aufs Beten«, mahnte die Mutter.
Dann setzten sie sich zu einem kleinen Mahle. Aber es wurde nicht viel gegessen.
Der eigentliche Abschied war kurz. Die Ländhoferin hatte fast jäh anspannen lassen, und die Pferde waren ungeduldig. Noch hatte die Bäuerin der Winzerin ein Papier in die Hand gedrückt: »Seh, seh, nicht fallen lassen!« – noch hatte sie dem Froschreiter versichert: »Wird Euch nicht reuen, daß er mitgeht, wird Euch nicht reuen!« dann saß sie mit Felix schon auf dem Wagen.
Einen Händedruck dem Sohne, noch ein väterliches Wort – und das Zeug rasselte davon.
Der Bursche winkte mit der Hand, mit dem Hut noch zurück, die Eltern und Geschwister winkten ihm nach. Da war der Wagen auch schon um die Reide, und sie sahen von dem Gefährte nichts mehr als den aufgewirbelten Staub.
Nach einer Weile, da es im Winzerhause wieder still geworden und jegliches bei seiner Beschäftigung war, nur die eine Lücke, wo der älteste Sohn gewaltet, unausgefüllt – stand die Winzerin am Herd, um die Pfanne auszuscheuern, in der sie vorher das Abschiedsmahl gekocht hatte. Sie hielt noch das Papier in der Hand, welches ihr die Ländhoferin zugesteckt. Sie entfaltete es – eine Geldnote. Da war ihr zumut, als hätte sie das Kind verkauft. Rüstige Arbeit half ihr über den argen Gedanken hinweg. Plötzlich hielt sie ein und sagte laut zu sich selber: »Jesu Christi, vergessen hab' ich doch was. Eins hätt' ich ihm noch sagen sollen. – – Es ist ein gutherziger Bub'. Mein Gott, das Kinderweggeben tut weh. Und man kennt die Leut' nicht –«
»Mutter«, sagte der kleine Anton, der ihr heute fortweg an der Kittelfalte hing, »Mutter, der Felix wehrt sich schon, wenn es gilt, der ist stark!«
Sie küßte den Knaben – ei ja, sie hatte noch Kinder daheim.
*
Wie traben so lustig die Rösselein,
Mein Junge, mußt nicht so blöde sein!
Und wie ging's auf dem Wagen zu?
»So, mein lieber Unterviertler«, sagte die Ländhoferin zu Felix, »jetzt sitzen wir zwei beisammen. Mach dich nur bequem. Wir haben ja noch gar nichts miteinander gesprochen.«
»Ich schwätz' nicht gern viel«, gab der Bursche zur Antwort, »mir wird die Zeit lang werden, bis wir auf die Länd' kommen.«
»Geh!« rief die Großbäuerin, »das ist nicht fein. So ein properer junger Mann muß sich die Zeit überall zu vertreiben wissen.«
»Wenn ich's grad' sagen wollt'«, sprach Felix nach einer Weile, »am liebsten wär' mir's schon, ich dürft' da vorn beim Kutscher sitzen.«
»Auf des Michels Schoß 'leicht, du Lapp!« lachte das Weib ärgerlich, »siehst doch, daß sonst kein Platz ist.«
»So kann sich der Michel zur Ländhoferin setzen, und ich kutschier'. Versteh auch was bei den Rössern.«
»So! Dann will ich dich auf dem Hofe zu den Pferden stellen, Felix – ei, der Kuckuck hinein, jetzt muß ich dir gleich was sagen. Felix, der gefällt mir, ist ein schöner Name, aber den Froschreiter laß im Unterviertel. Auf der grünen Länd' gibt's keine Frösche, da reitet man auf hohem Roß – verstehst?«
Fürs erste ist ihr mein Name nicht recht, dachte sich der Bursche, es mag ein schwerer Dienst werden.
»Na, so strecke doch einmal die Beine ordentlich aus, Felix«, rief die Bäuerin, »du hockst ja da wie eine Eichkatz'.«
Da dehnte sich der Bursche und rieb dabei unversehens an ihren bauschigen Kleidern.
»Das macht nichts«, bedeutete die Bäuerin, »das wird alles wieder gebügelt.«
Gar nicht zu bestreiten, die Ländhoferin ist eine leutselige Frau. Haben bislang noch lauter Schönes von ihr vernommen. Sie ist in den besten Jahren, hat eine große Wirtschaft auf der Länd' und will dem jungen kerngesunden Burschen über das Soldatenleben hinweghelfen. Felix, da magst du dir bisweilen schon einiges gefallen lassen. Und deine Herrin ist sie jetzt! Darum, sooft sie's haben wollte, rückte er, streckte sich und gab nicht acht auf ihr Kleid.
»Und meinst, ich bin nicht auch von unten herauf?« sagte die Bäuerin, »Felix, so wie ich dich heute auf dieser Straße ins obere Viertel fahre, so hat mich vor elf Jahren – was sag' ich denn, es ist nicht solang' – der alte Ländhofer auf dieser Straßen heimgeführt. Ist Witwer gewesen – ein rechter Hascher. In Weißenbach unten, da bin ich daheim, und da ist er einmal im Pferdehandel hingekommen und hat mich kennengelernt. Bin nicht reich gewesen von heim aus, Felix, hätt' aber der Liebhaber genug gefunden. Aus reiner Barmherzigkeit, das kann ich wohl sagen, bin ich mit dem Großbauer gefahren und hab' ihn geheiratet. Wenn's dich zu stark schüttelt, so halt' dich mit der Hand an dem eisernen Ring; der ist dazu da.«
Fand's nicht praktisch, der Bursche; der eiserne Ring war so, daß er, um denselben zu fassen, seinen Arm über die Schultern der Beisitzerin hätte legen müssen.
»Ich finde es«, fuhr sie fort, »bei einer Heirat gar nicht einmal nötig, daß der Mann älter ist als die Frau; ich weiß Fälle, wo es gerade umgekehrt war und doch die beste Ehe ist gewesen. Ja – und daß ich's erzähl', mein Mann ist dir um vierunddreißig Jahr' älter gewesen als ich; wie ich's gesagt: aus reiner Barmherzigkeit hab' ich ihn gepflegt. Vor etlichen Monaten erst ist er gestorben – tröst' Gott sein' Seel'. Ich hab' groß' Haus und Hof am Hals, und dazu ist sich oft die tüchtigste Frau zuwenig. Was hast denn du für eine Schramme an deinem Finger?« Sie faßte prüfend seine Hand.
»Im Auswärts beim Rebenschneiden ist das Messer hineingesprungen«, berichtete der Winzerssohn. Sie ließ aber die Hand nicht mehr los, tändelte mit derselben und fuhr fort zu reden: »Mein Gott, man wehrt sich lang', aber das Haus muß einen Herrn haben, man kann's wenden wie man will. Die Mannsleut' im oberen Viertel, das kannst mir glauben, ich hab' meine Not, wie sie sich bei mir einspinnen wollen. Aber ich hab' kein Zusammensehen mit ihnen; sind lauter so ungeschlachte, ödweilige Gesellen und hätten bei den Nachbarleuten auch nicht den Respekt, den ein Ländhofer wohl haben muß. Ich will einen aus dem Weinland, von wo ich selber bin. Rauchst du nicht Tabak, Felix?«
»Wüßt' nicht, warum«, antwortete der Bursche.
»Sonst hätt' ich dir gern eine silberbeschlagene Pfeife von meinem Seligen spendiert zum Andenken. Lieber Gott, ich kann ihn hart vergessen; ist ein gutes altes Kind gewesen. Das aber sag' ich, nach einem Reichen und Vornehmen lug' ich nicht; grad' zu alt darf er mir nicht sein, und frisches Blut muß er haben, daß eine Schneid ins Haus kommt.«
Jetzt machte Felix große Augen. – Die heiratet mich! – Just, daß er's nicht laut hinausrief in den Herbstnachmittag. Und daran spann er folgende Gedanken: Wenn sie mich heiratet, dann ist's freilich aus mit dem Soldatenleben, dann bin ich der Ländhofer, der reiche Ländhofer, und kann mir gut geschehen lassen und kann meine Eltern ins Haus nehmen und die Geschwister versorgen und den kleinen Anton studieren lassen. Das macht sich ja fein – »juch!«
Er jauchzte wirklich laut auf, der gute Junge, und er glaubte, nun wäre er mit sich und allem in Richtigkeit.
»Das ist recht!« rief die Bäuerin nach seinem Juchschrei, »nur lustig wohlauf und keck dran, mein lieber Landsmann! Jungen Männern gehört die Weltkugel und der Sack dazu. Ich bitt' dich, Felix, jetzt ist mir die Haarnadel hinters Kleid gerutscht!«
Das war nun eine heikle Sache; je mehr der Bursche ihr seidenes Halstuch lockerte, je tiefer rollte das Drahthäkchen hinab, und schließlich verschwand es in den Tiefen. Blieb demnach diese Aufgabe einstweilen ungelöst, und deß schämte sich Felix insgeheim. Er, dem die Weltkugel gehört, soll einer Haarnadel nicht Herr sein?
Zwecklos ist nichts auf der Welt; zwecklos war auch dieser kleine Zwischenfall nicht gewesen. Als Felix' Finger den Nacken der Bäuerin berührten, hatte sie ein Gefühl, das sie höher anschlug als die hinabgeglittene Nadel.
Für die Gegend, die sie durchfuhren, können wir unter solchen Umständen kein Auge haben. Im allgemeinen nahm die Landschaft allmählich einen ernsteren Charakter an; das Hügelgelände wurde zum Bergland, die Wein- und Obstgärten verschwanden, die Nadelwälder begannen. Zur Linken hatten die Reisenden ein sich allgemach höher bauendes Gebirge, über dessen Häuptern schon die Abendnebel des Herbstes lagen. Zur Rechten war stets der schöne Fluß mit den grünen oder felsigen Ufern. Hier und da stand ein Dorf; die Einzelnhöfe wurden immer seltener.
»Schau, dort ist wieder einmal ein Wirtshaus«, sagte Felix plötzlich.
»Da im Wagen auch«, entgegnete die Großbäuerin und zog einen gutgeräucherten Schinken und einen erdenen Plutzer hervor. Sie aßen vom Geräucherten, und sie tranken beide aus dem Plutzer. Trank sie, so hielt er ihr das Gefäß zurecht; sie erwies ihm denselben Dienst, nur hielt sie den Krug stets so, daß dem Burschen jedesmal viel mehr durch die Gurgel rann, als er eigentlich beansprucht hätte. Es wäre ihm aber ein Trunk auf bequemer Wirtsbank lieber gewesen. Trotzdem fand er sich aufgelegt zum Singen, und jetzt hielt er sich auch, wacker am Eisenring, der jenseits seiner Genossin an der Wagenwand angebracht war. Das Weib hinwiederum war genötigt, sich an dem Burschen festzuhalten, denn das Schütteln des Wagens wurde auf der Bergstraße immer ärger.
Soweit kam's, daß der gutmütige Winzerssohn die Worte sagte: »Ich krieg' keinen Atem mehr, Bäuerin!«
Als ob es ihr viel besser ergangen wäre! Ein Fieber war in ihr, ein Pochen im Herzen.
Zum Glücke waren sie, als die Sonne unterging, auf der letzten Anhöhe. Da rief die Großbäuerin dem alten Michel »Halt!« zu und raffte sich zusammen.
»So, Felix«, sagte sie, »jetzt schau einmal hinab in dieses Tal, das ist die grüne Länd'.«
»Wie heißt denn das Dorf dort mitten in den Bäumen?« fragte der Bursche.
»Ein Dorf, meinst du?« lächelte die Bäuerin, »mein Lieber, das ist kein Dorf. Die Gebäude gehören alle zusammen, es ist der Ländhof!«
»So groß?!« rief Felix aus.
»Ich denk', wir werden Platz darin haben. Nicht wahr? Na, gelt!«
»Der ist groß!« wiederholte Felix, »da kenn' ich mich rein gar nicht aus.«
»Na, paß einmal auf, Junge«, sagte sie selbstgefällig, »dort das weiße Gebäude mit den zwei Fensterreihen ist das Wohnhaus. Unter den Bäumen hin rechts sind die Stallungen und Scheunen. Weiter rückwärts – man sieht ja die Funken aus dem Schornstein – ist die Schmiede und daneben mit dem Schindeldach die Mühle; sind drei Laufer; ich mahl' für das halbe Oberviertel. Links vom Wohnhaus siehst du die Dächer von einem zweiten Hause; in demselben sind die Vorratskammern und die Gesindestuben. Das untermauerte Gebäude dahinter ist der Pferdestall; stehen fortweg sechs Rösser drin. Dann fangen die Obstgärten an, bis zum großen Anger hin, wo die Leinwandbleiche ist, das Häusel daneben ist die Flachsbrechstube.«
Felix staunte und schwieg.
»Die grünen Wiesen«, fuhr die Bäuerin fort, »die dort bis zum Wasser hingehen, geben dem Tal den Namen: die grüne Länd'. Sie gehören alle zum Hof. Und dort der Birkenschachen – die Schafweide – und die Felder bis hinauf zum Wald und die ganze Waldung, die dorthin liegt – und hinter ihr sind wieder Wiesen und Felder und Viehweiden und weiter hinauf die Alm – alles gehört zum Ländhof. Ich hab' achtzig Stück Rindvieh und über hundert Schafe, die Pferde und das Kleinvieh – im ganzen wieviel – aufrichtig muß ich's sagen – ich weiß es selber nicht. Auf der anderen Seite hinter dem Hof ist die Überfuhr über die Seim – kannst du den gespannten Strang noch sehen? – Hast gute Augen. Und wenn du mit dem Kahn hinüberfährst ans andere Ufer, so bist immer noch auf meinem Grund. Bis über den Bergschlag hin – alles gehört zum Ländhof!«
Felix tat einen Pfiff; das war ein Zeichen seines großen Staunens.
»Und dort«, sagte er hierauf, »neben dem Schachen, das kleine Haus, das wird wohl nimmer dazu gehören?«
»Gehört alles dazu!« rief die Bäuerin, »ist aber nicht der Müh' wert, ist das Ausnahmsstübel für die alten Leut'.«
»So wie in Zollau das Spital?«
»Auf ein gleiches. Die alten Leut', das sind die alten Besitzerleut' vom Hof, welche die Wirtschaft den Jungen übergeben haben. Na, die haben im Häusel dort ihr Ableben!«
»Nachher kommt die Ländhoferin auch einmal hinein«, sagte der Winzerssohn, um zu beweisen, daß er die Sache begriff.
Darauf schwieg sie eine Weile.
Die Pferde trabten weiter.
Ein paar Bauersleute kamen des Weges und grüßten die Großbäuerin.
»Ja, ist schon recht«, gab diese als Gegengruß, des weiteren blickte sie gar nicht seitab.
Die Ländhoferin war überhaupt, je näher sie dem Gehöfte gekommen, je gemessener, ernsthafter, ja fast herrisch geworden. Der Hirt, der eben die große Herde vom Felde trieb und gerade noch lustig seine Schalmei geblasen hatte, machte ein mißmutiges Gesicht, als er Roß und Wagen der heimkehrenden Bäuerin sah.
Felix grüßte ihm freundlich zu, als wollte er sagen: Ich komm' zu Euch, und wir werden jetzt mitsammen leben und uns schon vertragen; ich bin ein lustiger Bursch!
Als sie hernach in die Hofgasse einbogen und an der Leinwandbleiche vorüberrasselten, wo an einer Stange Garnsträhne zum Trocknen hingen, kam ein erwachsenes, aber zart gebautes, blasses Mädchen auf den Wagen zu und sagte in bescheidenem Tone: »Grüß Gott, Mutter!«
Die Bäuerin zerrte am Rockschoß des Kutschers: »Halten!« Dann wendete sie sich verwundert gegen das Mädchen und rief: »Was, du bist schon aus dem Nest, du dalkete Dirn'! Und laufst um die Zeit auf der Gassen um? Du fragst einen Klenkas darnach, was mir der Doktor kostet, wenn dich wieder dein Schönheitsfieber überkommt, du unbesinntes Ding, du! Und bist schon wieder wohl und toll, so arbeit' was! Siehst nicht, daß die Garnsträhne noch auf der Stang' hängen? Sollen sie verfaulen?«
Errötend und niedergesenkten Hauptes wendete sich das Mädchen und ging den Strähnen zu. Der Wagen rasselte in den Hof.
Da Felix nach solchem Auftritte die Bäuerin fragend angesehen hatte, so murmelte diese: »Ein einfältig Wesen das. Na ja, just, daß man sie nicht fortschaffen will, weil sie das Kind von meinem ersten Mann ist.«
Von meinem ersten Mann – so rutschte es ihr von der Zunge.
Als der Wagen auf dem Sandplatze vor dem großen Wohnhause stillstand, kamen ein paar Weiber herangerannt, um die Herrin zu bedienen.
Einige Knechte, die abseits am Scheunentor standen, glotzten nur so herüber und waren baß verwundert über den jungen Menschen, der mit der Bäuerin aus dem Wagen stieg.
Ein alter, einäugiger Kerl war unter ihnen, der knackte mit der Zunge, blinzelte mit dem einen Aug' und schnürfelte: »Hab' ich's nicht gesagt! Hab' ich's nicht oft gesagt, der Alte dazumal hat die Birn' nicht vom Baum 'brockt, sie ist schon auf der Erden gelegen. Heut bringt sie ihren ältesten Sohn; 'leicht hat sie noch etlich im unteren Viertel.«
»Mag wohl sein, das«, gab ein anderer bei.
»Wieviel Röck' wird sie heut wieder am Leib tragen?« warf der Einäugige aus, als die Bäuerin mit dem Burschen gegen den Eingang rauschte.
»Mag's ein anderer zählen.«
»Ist ein ganz prächtiger Kerl, der Junge. Schau, wie fein! Jetzt laßt sie ihm gar den Vortritt ins Haus.«
»Du, ihr Sohn, der kommt erst nach!« bemerkte ein anderer.
Da sahen sie vor dem Scheunentor einander groß an, und darauf murmelte der Einäugige: »Unsere Bäuerin ist gescheit! – Das heißt Wein kaufen gehen!«
Es war gut, daß die Glocke zum Abendessen rief, da wurden die losen Mäuler mit Klößen gestopft.
*
Sie erglüht in Liebespein,
Er ist kalt wie Marmelstein.
Und erst das Weibervolk! Das war heute nachgerade verwirrt.
»Für mich und den Herrn das Essen aufs Zimmer!« hatte die Bäuerin befohlen.
»Der da«, sagten sie in der Küche zueinander, »der mit den geflickten Spenser-Ellbogen soll ein Herr sein? Zerrissen ist herrisch, geht das Sprichwort, aber geflickt ist bäuerisch.«
»Laß Zeit, laß Zeit«, sagte eine andere, »vielleicht hat er zerrissene Socken.«
»Ihr redet alle wie verschlafen«, so eine dritte, »das muß man schon anders nehmen. Das ist nicht ein Herr, das ist der Herr! Versteht's mich?«
Es wurde im Hofe die Suppe versalzen am selbigen Abend – so sehr war das Küchengesinde in Gedanken.
»Mir hat er gefallen«, vertraute die Abwaschdirn' der Köchin und rieb mit aller Macht an dem Milchzuber; – der Zuber wurde blank, aber das Wort war nicht mehr wegzulöschen.
Mittlerweile saß Felix, der junge Winzer, in der Stube der Bäuerin auf einem Ding, das wie eine gepolsterte Lehnbank war. Er saß sehr unbehaglich, denn der Polster gab keine Ruh', schwoll auf und sank ein, schnellte hin und schnellte her, sooft sich der Bursche bewegte.
Die Stube war hübsch ausgetäfelt, hatte einige Schränke mit alten Verzierungen, mehrere Heiligenbilder und einen großen Spiegel mit vergoldetem Rahmen. Verschiedene andere Gegenstände zierten das geräumige Gemach. Der Bursche hatte noch selten eine so vornehme Wohnung gesehen.
Die Bäuerin kommandierte mit der Stubenmagd und allen, die sie ansichtig wurde, wie ein Wachtmeister herum; tat dazwischen gefällige Blicke gegen Felix: ob er's wohl merke, wer sie ist und wie ihr alles hier dienet!
Auf dem Tische wurden zwei Kerzen angezündet; aufgetragen Braten mit Salat und Wein.
»Und jetzt troll dich in dein Nest; morgen heißt's beizeiten aufs Rübenfeld!« Das war der letzte Befehl, den die Herrin der Aufwärterin gab.
Rübenfeld statt Weingarten! – Felix merkte, daß er nicht daheim war. War es ihm aber im Weingarten jemals so gut geschehen als hier? Daheim zum Trank nur Apfelmost, den Wein verkaufen die Leute zumeist ins obere Viertel. Im oberen Viertel wird er getrunken zum Braten. Zum Braten, der gemacht wird aus den Erdäpfeln und Rüben, die man den Schweinen in den Trog schüttet. Es kommt nicht darauf an, wie es der Boden gibt, sondern wie es der Mensch nimmt. – Das waren jetzt die Gedanken des jungen Winzers.
»So, mein Freund«, sagte nun die Bäuerin zum Burschen. »So, jetzt pack an, da deine Messer und Gabel. Nur allerweil flink und frisch, das mag ich leiden. Bist jetzt daheim. Aber so wirf doch deine Joppe weg!«
Ist wahr, dachte sich Felix, wenn sie mir's schon so gut meint, warum soll ich's nicht vorwärtsgehen lassen!
Den Braten aß er ohne Salat, für den Durst vermißte er den Obstmost. Die Bäuerin, die an seiner Seite saß, schenkte ihm das Weinglas voll.
»Siehst du«, rief sie heiter, »ich selber trink' aus deinem Glas, wir wollen recht gut Freund werden!«
Werden? Dachte der Bursche doch, sie wären es schon; viel dicker läßt sich's nicht mehr auftragen. Sie machte einen langen Zug – bewies es gründlich, daß ihr an seiner großen Freundschaft gelegen sei.
Des weiteren – sie war ja auch daheim – lockerte sie die Kleider und löste ihr Haar, das schön und reich war, und strich mit zarter Hand seine Locken zurück.
»Ihr seid aber recht verschwenderische Leut' im oberen Viertel«, bemerkte Felix, »zwei Kerzen auf einmal brennen lassen – grad' wie beim Altar.«
»Ist auch wahr«, rief die Bäuerin und blies ein Licht aus.
Vielleicht war die Stube geheizt – im oberen Viertel ist das niemals sehr überflüssig –, dem Burschen wurde warm, er knöpfte seine Weste auf, es macht nichts, er hat heute ja ein weißes Hemd am Leibe.
Die Bäuerin hatte in der Stube einiges zu ordnen; 's ist doch der Brauch, daß zur Nacht die Fenstertücher vorgezogen sind. Sie strich am Ofen, strich an der sittig verhüllten Bettstatt, strich an der Tür vorüber. Mit dem Ellbogen schob sie unvermerkt den Riegel vor.
Dann strich sie am Kasten hin und betastete ein erst kürzlich in der Webstube fertig gewordenes Leinwandfach. »Nein«, sagte sie ärgerlich, »gar schad! nicht einmal webern können sie im oberen Viertel! Da habt ihr daheim eine andere Leinwand! Jetzt schau einmal den Unterschied an!« – Sie betrachtete das Fach und wollte dann auch den Brustlatz am Hemde des Burschen befühlen.
»Oha!« lachte Felix abwehrend.
»Warum denn, du närrischer Bub, wenn ich wissen will, was du für eine Leinwand trägst!«
Je nun, wenn sie's wissen will, was ich für eine Leinwand trage . . . warum soll sie's nicht wissen?
»So trink was, Felix, du nippest ja wie eine schwindsüchtige Jungfrau!« sie schenkte ihm aber das Glas schon zum drittenmal voll.
»Oho, Ländhoferin«, sagte der junge Winzer, »zwischen mir und einer Jungfrau ist ein Unterschied im Trinken.«
»Das möcht' ich doch wissen, ob du's zuweg' bringst und das Glas auf einen Zug leerst!«
Dabei trat sie ihm neckisch auf die Schuhspitze. Er faßte frisch das Glas und führte es zum Munde. – In demselben Augenblicke klang unten im Hofe ein Glöckl.
»Was ist denn das?« fragte Felix mit gehobenem Glase.
»Du Narrl, wirst dich doch vor dem Abendläuten nicht schrecken?«
»Ist das Abendläuten, so muß man beten«, sagte der Bursche und stellte das volle Glas auf den Tisch zurück.
»Geh, du langweiliger Klosterbruder!« flüsterte das Weib.
Er stand auf, trat an ein Fenster, zog den Vorhang ein wenig beiseite, sah ins Freie hinaus und betete still, so wie er es von daheim gewohnt war.
Der Mond schien ihm ins Gesicht.
Die Ländhoferin blickte hin und erschrak wirklich.
Vor Jahren, etliche Tage nach der Hochzeit, hatte sie ihr Mann in die Residenz geführt. Sie hatten alles besucht, was ihnen als merkwürdig bezeichnet worden war. Die Bäuerin erinnerte sich besonders noch an jenen hüllenlosen Jüngling aus schneeweißem Stein gehauen – eine einzig schöne Gestalt. Man hatte ihr gesagt, es sei das Bild von Gott Apollo. Sie hatte darnach viele Nächte lang von diesem Bilde geträumt. Und nun, da sie gegen das mondhelle Fenster hinblickte, wo der Jüngling stand, sah sie dasselbe weiße, einzig schöne Antlitz.
Wie ein kühler Lufthauch wehte es jetzt durch die Stube. Die Bäuerin erhob sich langsam vom Sofa, stand still und sann: Es kommen der Tage noch mehrere. – Auch gibt es Leute, denen der erjagte Hase besser schmeckt als der geschenkte. – Wollen es darnach einrichten . . .
»Na, Junge!« rief die Bäuerin in entschiedenem Tone, »ich denk', 's ist Schlafenszeit!«
Da kehrte sich der junge Unterviertler um und sagte: »Mir ist's recht, Bäuerin. Und morgen – was hab' ich denn zu tun?«
»Der Altknecht wird dich weisen«, beschied sie kurz.
Hierauf brannte sie die zweite Kerze wieder an und öffnete eine Seitentür. Diese führte in eine Stube, die fast so schön und bequem eingerichtet war und auch ein so hochgeschichtetes Bett enthielt als das Zimmer der Bäuerin.
»Die heutige Nacht schläfst im Zimmer von meinem seligen Mann«, sagte sie, »in der Knechtestube ist noch kein Bett gerichtet.«
»Ja, gute Nacht, Bäuerin«, sagte Felix und traf in sein Gemach.
Sie blickte ihn noch einmal an. »Und gib acht, was dir die erste Nacht träumt. Gute Nacht, Froschreiter.«
Sie zog die Türe zu, er war allein in der Stube.
Eine Weile stand er völlig unbeweglich da und starrte d'rein. »Ist seltsam, das!«
Es ist nicht sein Dachkämmerl im Winzerhause. Das ist die Wohnung des Großbauers auf dem weit berühmten Hof, genannt die grüne Länd'. Wie oft hatte Felix davon gehört. Im Ländhof dienen, das war eine Ehr'. Im Ländhof werden die Taler mit Scheffeln gezählt! ging der Spruch. Vor einem Ländhofer wird sogar der Amtmann höflich. Einen Rinderschlag gibt's im Land: mattbraun, mit kurzen Hörnern und gar feinfleischig – er wird die Ländhofer-Rasse geheißen. Der Schullehrer in Zollau hat eine Landkarte, darauf ist auch die grüne Länd' verzeichnet.
Und nun, der Felix, der arme Winzerssohn – er stand mitten in der Herrnstube des Ländhofes, er sollte im Bette des Großbauers schlafen und im Hofe verbleiben und –
– Und –?
Und sie wollt' ihm über das Soldatenleben hinaushelfen. Und anstatt ein gemeiner Soldat der Ländhofer sein . . . Sapperlot! – Na, für heut legen wir uns schlafen.
Flink warf er seine Kleider von sich, löschte das Licht aus und sprang in das Bett. Schier einen Hilferuf ließ er fahren, denn er meinte, er versinke in den hochgeblähten Polstern.
*
Ein stiller Gang in kühler Nacht,
Hat manchen schon ums Herz gebracht.
Ein feines Bett ist nicht immer ein gutes Bett. Daheim im Winzerhause legte sich Felix aufs Maisstroh und schlief. Hier nach diesem vielbewegten Tage sank er in die Federn und wachte; wälzte sich hin, wälzte sich her, zog die weiche Decke über die Achseln, warf sie wieder zurück – und wachte.
Wohl wahr, das sanfte Ruhekissen eines guten Gewissens lag ihm unter dem Haupte – aber wenn allerlei Gedanken tanzen im Kopf – Gedanken von Macht, von Reichtum –, so ist's mit dem Schlafe vorbei. Der Gedanke daran allein schon kann das Glück eines süßen Schlummers zerstören.
Zum Überflusse fing auch das Herz zu sprechen an; doch hatte es keinen anderen Wunsch als den: wäre ich lieber daheim! – Wie es nur so öde sein kann in einem großen Hof! – Sonst hörte er vom Schlafkammerl aus das Rauschen der Seim, das Schnarchen des Vaters und dann wieder das Wimmern der kleinen Geschwister. Hier alles so still – auch die Stockuhr rastet, wer weiß, wie lange schon. Und nur die Begierden und hochmütigen Wünsche sollen ruhlos sein in diesem Hause?
Fast unheimlich wurde dem Burschen. Er richtete sich im Bette auf und sah nichts als die mondhellen Fenster, und hörte nichts als das Pochen in seinen Schläfen. Endlich stand er auf, ging ans Fenster und blickte hinaus in den Baumgarten, auf dessen Büschen der Reif des Mondlichtes lag. Dann schlich er in der Stube umher und suchte ein Wassergefäß; ihn dürstete. Doch fand er keinen Krug. In einem Hause mit solchem Überfluß vergessen sie auf das liebe Wasser, nicht bedenkend, daß alles, was der Wein entzündet, nur das Wasser wieder löschen kann.
Was blieb ihm übrig, als in den Hof hinabzugehen, wo er bei seiner Ankunft den sprudelnden Brunnen gesehen. Leise – mit großer Vorsicht, daß er die in der nachbarlichen Stube ruhende Bäuerin nicht wecke – kleidete er sich an. Als er nun aber das Zimmer verlassen wollte, fand er die Tür, die in den Vorgang zu führen schien, verschlossen.
Er versuchte den Eisenriegel mit der freien Hand zurückzuschieben – nicht möglich, das starre Federschloß hatte einen Blechmantel über.
Felix machte vor Überraschung einen gedämpften Pfiff, dann murmelte er: »Jetzt hat sie mich eingesperrt.«
Er suchte lange nach einem Schlüssel und fand keinen. Ratlos stand er da. Der Durst wäre schließlich noch zu verwinden, aber eingesperrt will er nicht sein. – Was hat sie ihn einzusperren!
Die Fenster sind groß genug, um hinauszusteigen, haben aber Gitter. Es ist ja begreiflich, daß sich der Ländhof gegen außen hin absperrt, doch, die redlichen Bewohner einschließen? Das ist keine Mode. – Traut man ihm nicht, dem Unterviertler? Oder will man ihm zeigen, daß er unter Herrschaft ist? Seine Herrschaft ist der Kaiser.
Dem Burschen kam der Trotz. »Weiß noch einen anderen Weg ins Freie«, sagte er zu sich, »und ehvor ich mich gefangen halten lass', wie ein erhaschter Vogel –! Wenn nur nicht etwa auch diese Tür –«
Er legte die Hand an die Klinke der Tür, durch die er gekommen war. Sie gab nach – Felix stand im Schlafgemache der Ländhoferin. – Der Mond schien auf die weißen Linnen ihres Bettes. Sie ruhte in einer anmutigen Stellung. Nur einen kurzen, aber befangenen Blick warf Felix auf sie hin, um dann auf Zehenspitzen der gegenüberliegenden Türe zuzueilen. Diese öffnete er mit leichter Mühe und schlüpfte in den finsteren Vorgang.
Es dauerte lange, bis er sich über die Stiege hinabgriff. Das Haustor war von innen zu öffnen.
Vor dem Brunnen kniete er hin und trank. Die Nacht war so schön und mild. Er schritt weiter hinaus zwischen den Stallungen, hörte hier ein Rind blöken, dort eine Ziege meckern, oder ein Pferd wiehern, oder einen alten, noch wachen Knecht poltern. Vielleicht schritt der gute Junge auch an Geheimnissen vorüber. Ein solcher Hof ist reich an nächtlichen Begebenheiten; denn nur die Nacht gehört dem Gesinde für sein eigen Leben, am Tage muß es dienen. In der Nacht hat manche Magd die Pfaid ihres Freundes auszubessern; in der Nacht muß der Knecht die schadhaften Schuhe seiner Liebsten besohlen; denn das Nähen versteht sie und das Schuhflicken er, und so ist auch im Bauernhofe die Teilung der Arbeit eingeführt.
Auf die grüne Länd' schien derselbe Mond, wie daheim über die Weinberge – so ging Felix zur stillen nächtlichen Weile ein wenig spazieren. Er wendete um den Hof und ging am Ufer der Seim entlang. Der Fluß war auch hier nicht viel kleiner als im unteren Viertel. – Die Wellen, in welchen der Mond schimmert, wann können sie am Winzerhause vorbeifließen? Ja, bishin wird die Sonne schon am Himmel sein, und da steht vielleicht der kleine Anton am Ufer und wirft Steinchen in das Wasser. »Warum gehen keine Schiffe auf dir, du liebe Seim?«
Auf dem Rückweg schritt Felix durch den Baumgarten. Manch schwarzen Balken, wie sie auf dem taunassen Boden umherlagen, überstieg er mit vorsichtigem Fuße, und lachte sich selbst aus, wenn es schließlich kein Balken war, sondern bloß der Schatten eines Baumstammes. Über den Laden der Kugelbahn, den er für einen Schatten gehalten hatte, stolperte er. Eine Kugelbahn und daneben in der Rinne die Kugel! Besser könnte sich doch gar nichts schicken, um die Grillen zu vertreiben. »Wenn's auch Nacht ist, probieren wir's einmal! Stehen Kegel auf dem Kreuz, so werden sie wohl fallen.«
Mit frischem Knabenmut hob er die Kugel, wog sie in der Hand, schupfte sie kunstgerecht mehrmals aus der Lage, um sie sicher zu fassen, stellte sich an, schwang etliche Male den Arm – auf dem schmalen Laden glatt und scharf rollte die Kugel hinaus, und in der Laube stürzten Kegel.
In demselben Augenblicke huschte eine Gestalt aus der Kegellaube und wollte abseitseilen.
»Oho!« rief Felix munter, »hat sich ein Schelm versteckt gehalten?« Er verfolgte das Wesen und erjagte es.
»Laß mich weg!« hauchte die Gestalt und brach in Schluchzen aus. Er sah ihr ins Angesicht; jenes blasse Mädchen war's, das bei der Heimkehr der Bäuerin das treuherzige: »Grüß Gott, Mutter!« gerufen hatte.
»Du Närrle, du, was ist dir denn geschehen?« fragte der Bursche teilnehmend. Sie weinte noch mehr, und ihr Bestreben, aus seinem Arm zu entkommen, war fruchtlos.
»Jetzt will ich's just wissen!« drang er ein, »und jetzt komm und setze dich da mit mir in die Laube. – Wie? Ich glaube gar, alle acht hab' ich getroffen – nur einer steht noch. Sollte dich die Kugel verletzt haben? So sag doch, was dir geschehen ist.«
»'leicht hast es selber gesehen«, antwortete sie leise, »gelt, du bist ja der junge Unterviertler, den die Mutter mitgebracht hat?«
»Aufs Haar derselbe.«
»Und gerade deinetweg – daß sie es so vor einem fremden Menschen sagt – hat's mir noch zu allermeist weh getan.«
»Ich bin kein fremder Mensch, Dirndl, ich gehör' jetzt auch zum Ländhof, Felix heiß' ich, und wie heißest denn du?«
»Seit mein Vater tot ist«, sprach das Mädchen schier vertraulich, »hat mich kein Mensch noch so gutherzig gefragt, was mir weh tut. Und weil du die grobe Red' von der Mutter schon gehört hast, und du dich nach mir umschaust. – Ich heiße Konstanze und bin das Kind vom Hause.«
»Von diesem Hause da! Vom Ländhof?«
»Und die Bäuerin, die ist halt deine Stiefmutter, Konstanze?«
»Als meine Mutter gestorben ist«, sagte das Mädchen, »bin ich sechs, und als mein Vater die Unterviertlerin geheiratet hat, bin ich kaum sieben Jahr alt gewesen.«
»I, dann freilich«, sprach der Bursche, »eine Stiefmutter ist des Teufels Unterfutter.«
»Das darfst nicht sagen«, verwies sie, »die Mutter hat auch ihr Gutes. Ich könnte sie gewiß liebhaben – ich mag keinem Menschen böse sein – aber sie peinigt mich.«
Die letzten Worte wollten fast ersticken. »Und jetzt«, fuhr sie unter Schluchzen mühsam fort zu sprechen, »jetzt, da ich vom Kranksein aufgestanden bin, wird es 'leicht noch ärger.«
»Bist krank gewesen, Konstanze?« fragte der Bursche freundlich und legte seine Hand auf ihre Achsel.
»Es hat mich wer in den Keller eingesperrt«, sagte das Mädchen, »sie hat mich hinausgeschickt ins Kellerhaus, daß ich von den Sauerkrautkübeln das Wasser abschöpfe. Wie ich damit fertig bin und davon will, ist die Tür im Schloß. – Wenn du einmal in den Keller gehst, so wirst es sehen, selber kann die Tür nicht zufallen. – Gerufen hab' ich, bis mir die Stimm' ist gebrochen. Kein Mensch hat mich gehört; das Kellerhaus steht ja oben beim Schachen. Die ganze Nacht bin ich im Gefängnis gewesen, erst am Morgen haben sie mich erlöst. Die Mutter ist am selben Tag nach Breitenschlag gefahren; die Leut' haben gemeint, ich wär' mit ihr. Ganz zufällig haben sie mich gefunden. Da habe ich mich erkältet. Dann die Krankheit.«
»Jetzt, wer hat dich eingesperrt?« rief der Winzer.
»Ja, dasselb' wollt' ich –« sie unterbrach sich: »Ich kann gar nichts sagen.«
»Du!« sagte Felix, »vielleicht ergründ' ich's, wer im Ländhofe die Leut' einsperrt. Und jetzt, Konstanze, bist wohl wieder gesund?«
»Wie vor etlichen Tagen die Mutter ins Weinland gefahren ist«, erzählte das Mädchen, »da bin ich noch im Bette gelegen. Ist darauf aber besser geworden; und jetzt, wie die Mutter heimkommt – denk' ich mir –, da will ich ihr eine Freud' machen, und daß sie gleich sieht, ich bin schon wohlauf, laufe ich ihr entgegen. – Wie groß ihre Freude über mein Gesundwerden gewesen ist, hast du selber gesehen.«
»Tät' man ihr's ansehen?« entgegnete Felix nach einem Weilchen, »gewiß nicht. – So möcht' ich doch wissen, Konstanze, was hat sie denn gegen dich?«
Das Mädchen neigte traurig das Haupt.
»Und von dir ist's auch nicht recht«, sagte der Bursche, »daß du, kaum erst aus dem Krankenbett, in der kühlen Nacht da auf der Kugelbahn hockest!«
Felix selber war überrascht, daß er jetzt so gescheit gesprochen hatte. Sein Vater und seine Mutter zusammen konnten kaum vernünftiger reden, als er es heute vor diesem Mädchen tat. Und dabei fühlte er sich so gesetzt und bereit zum Beistand, er hatte selbst nicht gewußt, daß er so sein konnte.
»Das ist freilich wahr«, entgegnete Konstanze auf obigen Vorwurf, »aber ich hab' mir nicht zu helfen gewußt, 's ist mir so ums Weinen gewesen, und da habe ich mich aus der Mägdekammer davon gemacht. In der Kammer spotten sie mich aus, wenn ich traurig bin. Sie haben es besser als ich, sie können davongehen, wenn das Jahr aus ist, ich muß bleiben.«
»Ruck nur recht glatt an mich, daß dir nicht kalt wird«, sagte der Bursche. – »Aber die Bäuerin! So möcht' ich doch wissen, was sie gegen dich hat.« – Völlig aufbrauste er.
Konstanze schwieg. Sie hätte gern gesprochen, ihr schweres Herz ausgesprochen vor diesem guten Menschen. Aber die Klugheit gebot ihr Zurückhaltung; bislang wußte sie doch nicht, wer er eigentlich war und in welchem Verhältnisse er zur Bäuerin stand.
»Jetzt muß ich wohl ins Haus«, flüsterte sie und machte sich allmählich los von seinen Armen, die sie – sie wußte nicht wie – gehalten hatten.
Felix hatte nicht mehr Lust weiterzukegeln. Er ging mit dem Mädchen bis zum Hause. Am Tore, wo sie sich trennten, gab er ihr das Wort: »Wenn ich eine Zeitlang im Ländhof verbleibe, Konstanze, an mir sollst einen guten Freund haben.«
Dann schlich er die Stiege hinan, den Vorgang entlang, drückte alle möglichen Türklinken nieder, bis endlich eine nachgab.
Unabwendbar durch das Gemach der Bäuerin ging sein Weg; behend huschte er an aller Anmut vorbei und in seine Stube.
Er mußte sich gestehen, die Ländhoferin war ihm nun nicht mehr ganz gleichgültig.
Bald schnarchte er in seinen Federn – und sie?
Sie seufzte im Traume.
*
Du sitzest auf weichen Loden,
Der Hof ist dir bereit;
Du springest auf harten Boden,
O Junge, du bist nicht gescheit.
Am nächsten Morgen sprach die Bäuerin zum Altknecht: »Jetzt will ich dir eins sagen, wenn ich dir nicht zwei sag'.«
»Ja«, antwortete der Knecht.
»Der Bub, den ich vom Unterviertel mitgebracht hab', ist ein Geschwisterkind von mir. Der wird dableiben, und wenn er sich heut die Wirtschaft ansehen will, so geh ihm zu Händen. – Jetzt weißt es, und jetzt rühr dich wieder vom Fleck, du alter Scherben.«
Der Knecht aber blieb vor ihr noch stehen, blies mit der Nase und sagte dann mit ganz gutmütiger Stimme die Worte:
»Bäuerin, zu Neujahr hab' ich gesagt, wenn ich mir die Grobheiten gefallen lassen muß, die seit des Bauers Tod im Hof herumfliegen wie die Gelsen, so verlang' ich um zehn Gulden mehr Jahrlohn. Heut sag' ich, um zehn Gulden tu' ich's nicht und die Bäuerin soll sich für nächst Jahr um einen anderen Altknecht schauen.«
Dann ging er langsam davon und war schier um ein paar Zoll länger als sonst.
Die Ländhoferin war nicht einmal erbost. Sie dachte an einen jungen Altknecht.
Felix ging am selben Tag zu seiner eigenen Überraschung auf der grünen Länd' um, wie der Gutsherr selber. Die Arbeiter grüßten ihn höflich, munkelten aber allerlei Ungereimtes, sobald er wieder davon war.
Er ging in den Wald, sah dem Baumfällen, Brennholzbereiten und Streusammeln zu. Er ging auf die Wiesen, wo Herbstmahd war; er ging auf die Felder, in die Gärten, wo die Spätfrüchte eingetan wurden. Er ließ sich über den Fluß führen, um die jenseitigen Flachsarbeiten zu sehen. Dort wurde der auf freier Au gebleichte Flachs gehoben und in Büschel zusammengebunden.
Felix verstand von allem nichts – er verstand nur, wie man die Reben zieht und die Trauben preßt. Eine Magd aber war doch so dienstbar, ihn zu fragen: »Bauer, wird der Haar (Flachs) auch heuer wieder mit Strohbändern gebunden?«
»Ja freilich«, gab der Winzerssohn zur Antwort; er sah nicht ein, warum gerade heuer die Regel unterbrochen werden sollte.
Das Mißliche war, daß – wenn man ihn so hoch hielt – er den Würdevollen spielen mußte und nicht in seiner kecken, lustigen Weise jauchzen und singen durfte. Er ließ es gar so hart. Die Lustigkeit steckte in seinem Blute wie der Geist im Weine. Aber wenn es schon ist oder werden wird, wie es aussieht, so –
Kurz, der Ländhofer muß ein gesetzter, ernsthafter Mann sein. Beim hellen Tag sah ja alles anders aus als in der Nacht – wer wollt' nicht Großbauer sein!
Als Felix von seinen Besichtigungsgängen in den Hof zurückkehrte, harrte seiner der Schneider. Für den jungen Mann war ein neuer Anzug bestellt. Die Bäuerin stand dabei und leitete das Beginnen, als der Meister das Maß nahm. Das Maß um den Oberkörper des Burschen, die Breite der Brust, der Achseln; dann die Länge der Arme; dann die Weite der Hüfte, die Höhe vom Stiefelabsatz bis zur ersten Rippe und die Höhe der Beine.
»Ist mir nicht bald einer vorgekommen, so bildsauber gewachsen wie der da!« murmelte der Schneider in den Maßfaden hinein, den er zwischen die Zähne genommen hatte. Die schönheitssinnige Ländhoferin nickte.
Am Nachmittage nahm die Bäuerin den jungen Günstling in die Vorratskammer mit. Korn und Obst, Gemüse und Fleisch, Speck und Fett in unerhörter Fülle, der Sohn des armen Winzers tat den Mund auf – aber nicht vor Hunger heute, sondern vor Staunen. Die Bäuerin hielt ihn fest am Arm und zerrte ihn weiter und jener Kammer zu, wo Ballen von Flachs und Leinwand, Wolle und Lodentuch aufgeschichtet waren.
»Da such' dir einmal eins aus«, sagte die Ländhoferin, »'s ist lauter Winterstoff; ich denk', du nimmst dunkelgrau, das wird mit grün fein ausgeschlagen und steht gut! – Ei, setzen wir uns ein wenig nieder, da können wir's bequemer überlegen.«
Sie setzten sich auf ein braunes Lodenbündel.
»Nun«, fragte sie hierauf, »Felix, was sagst du zum Ländhof?«
»Da kann man gar nichts sagen als: den möcht' ich haben«, antwortete der Bursche.
Die Bäuerin wartete eine Weile auf ein weiteres Wort, aber Felix befühlte das grobe Schafwollentuch, wie dick es sei und wie weich und dachte: Das wär' mir schon recht für den Winter.
»Mit dem Ländhofe wärst zufrieden?« fragte die Bäuerin lauernd.
»Wollt' schier mit ihm zufrieden sein.«
»Und – die Ländhoferin, meinst, wär' nicht vonnöten?«
»Gehört freilich auch dazu«, sagte der Bursche und zupfte am Lodentuch.
Dann schwiegen beide – schwiegen so lange, daß sich ein Mäuschen versucht fand, aus seinem Versteck zu lugen. Hastig schreckte das Tier zurück, denn es hatte plötzlich die glühenden Augen des Weibes gesehen.
»Felix«, sagte nun die Ländhoferin unter einem seltsam schweren Atem, »Felix – Felix, weißt du, daß ich dich unbändig gern hab'?«
Der Unterviertler sah sie an mit großem, klarem Auge. Ohne ein Lächeln und ohne ein Erröten sah er ihr ins Antlitz und – schwieg.
Da haschte sie nach seinen Händen, zog dieselben hastig an sich: »Herzensbub! Du bist mir angetan, und bei meiner Seel', ich mach' dich zum Ländhofer! Du lieber Bub, du Herzensbub!«
Beide Arme schlang sie um seinen Nacken, mit Leidenschaft küßte sie seine Stirne, seine Locken, seine Augen, seinen Mund.
Er ließ es geschehen, bis sie vor Liebkosung wie erschöpft war. Dann zog er sein rotes Sacktuch hervor und wischte sich damit das Angesicht ab. Sie meinte, es wäre ihm so heiß.
Wieder ein Weilchen verstrich.
»So rede doch was!« rief plötzlich die Bäuerin fast zu laut, »du sitzest da wie ein hölzerner Heiliger, gerade, daß du noch keinen Schein hast. Weißt denn nicht, daß ich dich um was gefragt hab'?«
»Gefragt hat mich die Bäuerin um was?« entgegnete verwundert der junge Unterviertler.
»Magst denn nicht der Ländhofer sein?«
»Wohl, wohl«, sagte er, »wenn's Euer Ernst ist, Bäuerin.«
»So sag doch du zu mir, du langweiliger Mensch. Und muß ich denn geradeaus fragen, Felix: magst mich?«
»Ei – wohl, wohl, Bäuerin«, entgegnete der Bursche zerstreut, »aber schau doch, wie sie sich plagen muß.«
Er blickte durch das nahe Fenster hinab in den Hof, wo Konstanze bei einem Obstwagen bemüht war, einen vollen Apfelsack abzuladen. Die Kraftanstrengung des Mädchens schien vergeblich. Da sprang Felix vom Lodenballen auf, schrie: »Wart, ich helf dir!« schwang sich zum Fenster hinaus und sprang auf die Erde hinab. Mit einem kräftigen Ruck warf er den Sack auf seine Schulter: »Wohin damit?«
Konstanze ging voraus auf die Obstschütte; Felix folgte ihr mit den Äpfeln.
Und die Bäuerin in der Kammer schleuderte wütend die Wollen- und Leinwandbündel durcheinander.
*
Herrschaft – Knechtschaft.
Mit in die Seiten gespreizten Armen stand die Ländhoferin vor Konstanze: »Dirn', es ist aus der Weis' mit dir, du gehst vom Hof!«
»Warum soll ich denn vom Hof gehen, Mutter?«
»Weißt dich nicht schuldig? Natürlich nicht«, höhnte die Herrin, »bist allerweil die brave, fromme, folgsame Dirn', du – schau, wie du dich verstellen kannst, du Schlange! Heimtückisch bist! Stiftest die Leut' auf! Der Altknecht geht! Weißt es schon, daß er geht? Deinetweg' geht er! Den anderen ist die Kost zu schlecht. Bist 'leicht du die erst', die ihnen in die Ohren pfeift, früherer Zeit wär' sie besser gewesen? Beim Tisch flink und bei der Arbeit faul, das ist dein Gaul! Und andere Leut' ziehst damit von ihren Geschäften und Pflichten weg!«
»Ich, Mutter?« wagte Konstanze einzuwenden.
»Wer denn stazt (stolziert) leer voraus wie eine Prinzessin und läßt sich die etlichen Äpfel nach in den Schüttboden tragen? – Und nachher noch ein Wörtel, meine Gnädige!« Die Bäuerin tat einen Schritt vor und stemmte die Arme noch fester in die Seiten: »Wer stiehlt sich denn des Nachts aus dem Hause und läßt den Dieben das Tor offen und streicht in den Büschen um und macht Zusammverlaß mit liederlichen Lottern –?«
»Mutter!« schrie Konstanze auf.
»Leugnen willst!« rief die Bäuerin, »bist gesehen worden, du Saubere, mit dem Liebsten in der Kugelbahnlauben. Möcht' ihn gern kennen, den Lumpen!«
Der Felix, der zufällig des Weges gekommen – es war in dem Hausflur – und ein wenig abseits stehengeblieben war, um nicht durch sein Erscheinen die Verlegenheit des Mädchens noch zu steigern, trat jetzt, da der »Lump« aufmarschiert kam, vor und sagte:
»Bäuerin, da red' ich auch was mit.«
»Du?! – Weißt was? Geht dir heut einmal der Mund auf?«
»Auf der Kugelbahn – Unrechtes ist nichts geschehen.«
»Wer kann's denn sagen, bist etwa dabeigestanden, Felix?«
»Freilich, Bäuerin«, lachte der Bursche, »ich bin ja der Lump selber gewesen! – Na, Bäuerin, meinetweg' macht's nichts. Mag nur über die Konstanze nichts aufkommen lassen.«
»Was kümmert denn dich die Dirn'?« fuhr ihn die Ländhoferin an, »du sei still! – und die Dirn' geht!«
Konstanze schlich weinend davon. Felix ging seiner Wege.
Er ging dem Schachen zu und sang ein Vierzeiliges:
»Schatzerl klein,
Mußt nit traurig sein,
Eh' das Jahr vergeht,
Bist du mein.
Eh' das Jahr vergeht,
Grünt der Rosmarin,
Sagt der Pfarrer laut:
Nehmt's euch hin.
Grünt der Rosmarin,
Grünt der Myrtenstrauß
Und der Negerlstock
Blüht im Haus.«
Und bald darauf folgendes:
»Ih hab' a liab Dirndl,
Just reich is 's nit:
Was brauch' ih a Reiche?
's Geld hals' ih nit
's Geld hals' ih nit,
'is mir all's z'kalt;
Will ih eine, nimm ih eine,
Die mir g'fallt!«
Und lebendig, lebendig war's in ihm. Es war ihm heiß – und doch war der Sommer schon vorbei; es war ihm kalt – und doch der Winter noch nicht da. Wo kommt das Fieber her?
Jetzt wußte er's gewiß, der Unterviertler, die Ländhoferin war ihm nicht gleichgültig. Sein Puls ging rascher, wenn er an sie dachte. Er haßte sie. – Und sie will ihn in die Schürze fangen wie einen jungen Gimpel, der aus dem Nest gefallen ist?
»Oho, vornehme Ländhofbäuerin«, trillerte er vor sich hin, »so gut soll's dir nicht gehen – dir schon lange nicht. Du hast einen großen Hof, aber ich bin dafür nicht feil. Deinen Hof, den mag ich nicht. Und bei dir bleib' ich nicht. Mit der Konstanz' geh' ich weg, und die lass' ich nicht.«
Der Schneidermeister trippelte des Weges: »Je, schönen Tag, Bauer, morgen bring' ich Hosen und Rock.«
»Brauch' sie nicht!« sagte Felix trotzig und schritt weiter und pfiff und sang und brummte und lachte laut mit sich selber.
Das Lachen verging ihm bald.
Vom Walde heran schleppten zwei Landwächter einen gefesselten Bauernburschen. Dieser wehrte sich nach allen Kräften, stemmte sich, stieß und biß – und er war schon blutig geschlagen.
»Na, mit Verlaub schön, der hat sicher wen umgebracht?« fragte Felix einen am Feldraine stehenden Knecht.
»Beileib' nicht«, antwortete dieser, »umbringen tut der keinen, das weiß ich. Ich kenn' ihn. Ein Soldatenflüchtling ist es, hat Vater und Mutter daheim und 'leicht auch sein Mädel nicht vergessen mögen; ist dem Regiment durchgegangen. Nun, jetzt haben ihn die Sakra wieder in den Krallen. Ist verteufelt, so was! Dem geht's nicht gut. Dem hängt übermorgen das Fleisch vom Rücken. – Ist verteufelt, so was!«
Kein Wörtel sagte Felix. Er blickte noch lange der widerlichen Gruppe nach, dann schritt er weiter und hatte schwere Gedanken.
Winzerssohn, so wie diesem kann's dir auch ergehen.
»Meinetweg' geht's wie's will!« rief der Bursche laut, »die Ländhoferin mag ich nicht.«
Mag ich nicht! stimmte der Wald bei.
*
Wie wollt' ich gern ein Lied euch singen,
Von holder Minne süßen Dingen!
Hinter dem Hofe, wo die weißen Steine lagen und die weißen Birken standen, war die Schaftränke. Konstanze saß auf dem Kopf des Wassertroges und sprach in menschlichen Worten zu den Lämmern.
Nicht in allen Fällen ist es Einfalt, wenn der Mensch menschlich mit den Tieren redet. Dichter tun es in ihrer Art. Jäger unterhalten sich mit ihren Hunden; alte, oft sehr geistreiche Jungfrauen mit ihren Katzen. – Ah, hast angebissen, Kerlchen! ruft selbst der Angler der gefangenen Forelle zu, und er muß es doch wissen, daß sie stocktaub ist.
Um wieviel erklärlicher ist es, wenn ein armes, einsames Menschenkind seine Zuflucht nimmt zu irgendeinem Wesen, das ihm nie etwas Böses zugefügt hat, das es – wenn auch durch kein Menschenauge – treuherzig anblickt zu jeder Stunde – recht ergeben und recht vertrauend! Was Wunder, wenn das von seinem Geschlechte verlassene Menschenkind, das Mitteilsame, sein Herz auftut und sich ausspricht, ausweint vor dem Tiere, das so teilnehmend, so verständnisvoll zuzuhören scheint. Gut zuhören können, das ist auch ein Trost.
Konstanze saß am Troge, hielt ein fünf Wochen altes, schwarzes Lämmchen auf dem Schoße und sagte zu diesem: »Heut und morgen kann ich dich noch liebhaben – heut und morgen noch.« Sie küßte das Tier auf das Schnäuzchen. »Übermorgen geh' ich weg. – Es schmerzt mich hart, daß ich vom Heimathaus muß fort. Aber denk' dir selber, was hilft mir das Heimathaus, wenn keine Mutter und kein Vater darin ist, und kein Bruder und keine Schwester. – Die Obermagd gibt mir den Rat, ich sollt' streiten um meine Sach'. Das mag ich nicht. Ehvor ich streit', eh' lass' ich alles. Wie geht's mit dir? Du hast keinen Groschen und wirst dein Lebtag keinen kriegen; und wächst dir eine Wolle, so scheren sie dir die Leute ab. Und schau, ich hab' noch keines so lustig herumhüpfen gesehen auf der grünen Länd', als gerade dich. Das will ich mir fort bedenken und zufrieden sein. Das Wünschen hab' ich schon lang verlernt auf dem Ländhof. – Dich möcht' ich wohl gern mitnehmen, mein feines, gutes Lämmel.« Wieder küßte sie das traute Tier, und dieses leckte ihre zarten, rosig angehauchten Lippen. – »Dich, Lämmel, und den jungen Buben auch; der ist gar lieb mit mir und kennt mich doch erst seit ein paar Tagen. Ja du, den hab' ich gern – wollt' ihn halsen wie dich.« Und zärtlich schmiegte sie den Kopf des Lämmchens an ihre erglühenden Wangen und herzte und küßte es mit solcher Hast, daß ihr die Locken über die Stirne glitten und sie den Mann nicht sah, der ganz nahe am Brunnentroge stand.
Schon drei- oder viermal während der wenigen Tage auf der grünen Länd' ist unser Felix ganz verdächtig genau zu rechter Zeit am Platze gestanden. Aber die Bäuerin hatte dem Burschen doch förmlich aufgetragen, er solle fleißig Umschau halten in allen Weiten und Winkeln des Hofes und unter den Leuten, daß er die Dinge und Zustände baldigst kennenlerne. Und so war Felix denn auch hinter dem Hofe, wo die weißen Steine lagen und die weißen Birken standen, und wo das Mädchen am Troge das schwarze Lämmchen koste.
Er hatte die letzten Worte vom »jungen Buben« gehört. Nicht weiter überlegte er – über ihre Achsel neigte er sachte sein Lockenhaupt vor, und Konstanze schmiegte und koste und herzte – und jählings, aber zu spät wurde sie gewahr, es war nicht mehr das Lämmel allein, das sie geherzt – es war auch der schöne, lächelnde Kopf des »jungen Buben« mit dabei gewesen.
Sofort wollte sie sich in den Wassertrog stürzen, aber Felix hielt sie fest umschlungen und sagte: »Konstanze, jetzt ist alle Rederei nicht mehr vonnöten, wir haben uns gern, und wir gehören zusammen.«
Es brauchte aber Zeit, bis sie sich von ihrem Schreck erholt hatte. Es war gut, daß die Schaftränke so dicht mit Erlen und Birken umgeben war.
Schließlich – das Lämmel war längst aus dem Arm gesprungen – ließ Konstanze es gelten: sie hätten sich gern und gehörten zusammen.
»Und jetzt merk wohl, Mädel!« sprach Felix mit Nachdruck, »jetzt wird dir im Hof kein ungeschaffen Wörtel mehr gesagt, oder die Leut' kriegen es mit mir zu tun! Auch die Bäuerin schreckt mich nicht! – Ich möcht' nur wissen, was sie gegen dich hat!«
»Das kann ich dir jetzt wohl sagen, Felix«, antwortete sie. »Da hab' ich eine Schrift, die ist an allem schuld.«
»Das muß ein höllischer Wisch sein!« rief der Bursche, »verbrennst ihn denn nicht?«
»Ja«, entgegnete Konstanze, »gottswahrhaftig, das tät' ich am liebsten. Aber das Papier hat mein Vormund, und mein Vormund ist in Breitenschlag drüben.«
»Jetzt möcht' ich doch beim Himmelherrgottskreuz wissen, was auf dem Papier Sauberes steht!«
»Es ist das Testament von meinem seligen Vater«, sprach das Mädchen, »mein Vormund hat es mir einmal vorlesen wollen; ich kann's nicht hören, 's tut mir mein Herz weh, denk' ich an den armen Vater.«
An Felix' Brust weinte sie jetzt.
»Konstanze, mein lieb Dirndl«, sagte der junge Mann, »du bist allzu weichherzig. Schau, das soll man nicht sein auf der Welt.«
»Den Vater hat sie so hart behandelt, auf dem Todbette noch, 's ist nicht zu sagen, was er neben ihr hat leiden müssen.«
»Kann mir's jetzt wohl denken, aber schau, Konstanze, so weinen mußt nicht. Wenn eins das auch noch einmal leiden wollt', was andere schon gelitten haben – Dirndl, wohin mit der Welt! – Fest auf die Füß' stellen muß man sich und die Zähn' zeigen! – Mußt mit dem Vormund reden, Konstanze.«
»Das will ich tun; in der Sonntagsfrüh will ich nach Breitenschlag hinübergehen.«
»Warum erst in der Sonntagsfrüh, warum nicht morgen?«
»Ja, der Vormund ist Waldmeister und werktags selten daheim. Und morgen möcht' ich noch den Flachs einbringen helfen.«
»Daß sie dich vom Haus jagen kann, steht gewiß nicht im Testament!« sagte der Unterviertler.
»Ganz was anderes soll darin zu lesen sein, wie mir der Vormund zu verstehen gegeben hat«, entgegnete das Mädchen, »was auch der Will', es bleibt eine böse Sach', weil so viel Unfried' daraus wird. – Nur den lieben Frieden wünsch' ich mir, und ein wenig gern haben sollten mich die braveren Leut' – sonst brauch' ich nichts.«
»Gern haben«, sagte hierauf der Winzerssohn in frischer Schalkheit, »gern haben, Konstanze, will ich dich schon sakrisch; doch ob ich dich immer in Fried' lass', das kann ich dir nicht versprechen.«
Hierauf wollte das Mädchen 's Lämmel wieder, da dieses aber nicht mehr zu erwischen war, so mußte es sich bescheiden und den Burschen kosen.
*
Um Bräutigam und Haus
Spielt sie die letzten Karten aus.
Das Bett in der Knechtestuben war immer nicht fertig. Felix schlief noch im Zimmer des seligen Ländhofers.
Heute am Samstagmorgen klopfte der Winzerssohn höflich an die Tür der Bäuerin.
»Na, freilich, die läppischen Geschichten wirst auch noch treiben«, rief die Ländhoferin von innen, »weißt ja, daß es aufgeht, sei nur kein solcher Blödling.«
Drückte der Bursche keck an und stand in der Stube.
Die Bäuerin saß auf ihrem Bette und war mit dem Ankleiden nur zum geringen Teil fertig.
»Tut nichts«, sagte sie in ihrer Leutseligkeit, »wird nicht so heikel sein zwischen uns.«
Felix blieb in einer dem Knecht anständigen Entfernung stehen und sprach: »Hätt' mit der Bäuerin nur ein Wörtel zu reden.«
»Was hättest?« fragte sie, obwohl sie die Worte recht gut verstanden hatte, »wenn du's nur so in den Bart hineinmurmeln willst – hast gar keinen –, so mußt näher kommen.«
Er trat um einen Schritt näher und sprach um einen Ton höher: »Bäuerin, ich hab' keinen Leihkauf (Angeld) auf einen Dienst im Ländhof angenommen, hab' auch noch nichts gearbeitet und könnt' mich 'leicht nicht schicken in die große Wirtschaft. Bäuerin, ich möcht' wieder weggehen.«
Auf die Mitteilung befliß sich die Ländhoferin, eine sehr gleichgültige Miene zu machen, die ihr annähernd auch gelang, und dann entgegnete sie: »So, weggehen willst wieder? Ist auch recht. Ich häng' niemanden an, und wer sich's anderswo besser zu machen weiß, als er's auf dem Ländhof hat, dem steht die Haustür offen.« Mittlerweile jedoch wurde der innere Sturm so mächtig, daß sie ausbrach: »Ist das der Dank, du Hungerleiderbub, der Dank dafür, daß man's dir so gut meinen wollt'? – Ich denk' mir's wohl, du Stromer, mit der liederlichen Dirn' willst fort!«
»Dasselb' ist fehlgeraten, Ländhoferin«, sagte Felix gelassen, »mit der liederlichen Dirn' nicht, die kenn' ich nicht; aber – daß ich's recht sag', mit der Konstanze will ich morgen nach Breitenschlag hinüber.«
Jetzt war's offen. Die Ländhoferin tastete mit einer Hand nach der Bettwand; sie empfand plötzlich Schwindel, sie meinte, es treffe sie der Schlag. Doch sammelte sie sich bald wieder insoweit, daß sie den Rock überwerfen und aus dem Bette springen konnte.
Da war Felix schon davon.
Die Ländhoferin trank viel kaltes Wasser an demselbigen Morgen. Drei Brände hatte sie zu dämpfen: die Liebe, den Haß und die Angst.
Gegen Mittag hin wurde sie der Überlegung fähig. – Er will mit der Dirn' fort? – Nimmermehr. – Wer kann ihn halten? – Niemand. – Aber die Dirn' bleibt im Hause. Dafür ist noch ein Herr da. Man ist verantwortlich für die Dirn'. Unter die Zuchtrute gehört sie. Sie bleibt im Hause. – Aber dann wird auch er bleiben. Er muß weg von dieser Schlange. Sie müssen auseinandergebracht werden. Er muß fort.
Er fort?
Nein! So weit ist's nicht gekommen. Er kann nicht vernarrt sein in dieses blöde Schulmädchen – vor mir, mir, dem mannbaren Weibe. – Sie blickte in den Spiegel. Wie vorteilhaft sah sie aus im Vergleiche zu diesem bleichsüchtigen Geschöpfe! – Und war sie nicht die Hausfrau, die Befreierin aus dem Soldatenjoch – hatte sie nicht gleichsam eine Krone zu vergeben? – Der Bursche ist schlauer, als er aussehen mag; er will sie, die Bäuerin, wohl nur versuchen, auf daß er rascher zum Ziele komme. – Gut, zu Martini soll die Hochzeit sein. – Die Froschreiterleut' im Unterviertel, das sind arme Schlucker, denen schickt sie für Allerheiligen einen Wagen mit Lebensmitteln. Und ausgemacht wird's heute abend noch – dann ist er festgebunden und die Dirn' muß fort. Sie ist die Unheilstifterin im Hof – um Haus und Bräutigam geht der Streit. Diese unselige Kreatur – weit muß sie weg – auf immer muß sie fort, und das heute besser wie morgen! –
An diesem Samstage wurde der vor kurzem am jenseitigen Ufer der Seim aus der Bleiche gehobene Flachs eingeheimt. Der Strang der Überfuhr ächzte, der Endring des Seiles rollte hin und her, und das Schiff – ein schmaler Kahn – glitt über das Wasser bis ans andere Ufer und stets mit voller Flachsladung wieder zurück. Die Arbeitsleute waren in guter Laune, beim Flachs gibt es ein lustiges Hantieren – jetzt kommt er in den Dörrofen, und nach wenigen Tagen ist das lustige Brecheln. Da muß sie gerngebig sein, die Bäuerin, sonst fährt ihr Name schlecht von Mund zu Mund um. Und der hübsche Unterviertler, da wird er wohl auch beim Haarbrecheltanz mittun, wird gewiß fein tanzen – so manches Mägdlein im Hofe denkt daran.
Auch die Bäuerin denkt an das Brechelfest. Da wird sie das erstemal mit Felix in den Reigen treten, und das soll die öffentliche Kundgebung sein: die Ländhoferin heiratet den jungen Unterviertler!
Nur achthaben, daß der Flachs trocken unter Dach kommt! – Es will – scheint es – grob Wetter werden. Im Gebirg' drin hat's tagelang schon gestürmt und geregnet, das merkt man am Wasser. Wird auch auf der Länd' nicht lange warten lassen, der Himmel sticht ins Bleigraue. Windstöße rütteln an den Bäumen, und die gelben Blätter flattern hin über den Hof, über die Wiesen und in den Fluß. Das sind die Schwalben des Spätherbstes.
Felix ging in den Wirtschaftsgebäuden um und war heiter. Heute war er noch der junge Herr auf dem großen Hof; heute konnte er noch – die Hände am Rücken – spazieren, in die Vorratskammern und in die Keller gehen und mit den Leuten schaffen. Und er schaffte wirklich mit ihnen und ordnete an, wie man dies und das zu machen habe. Er wußte es gut genug, daß er von den Dingen bislang noch nichts verstehen konnte, aber die Leute taten nach seinen Worten – das war ihre Schuld, und dem Burschen machte es Spaß.
Die Bäuerin kam an ihm vorbei. Er grüßte sie besonders frisch und artig. Sie lächelte, klopfte ihm auf die Achsel: »Bist ja gescheit, Felix!« und eilte davon. Sie hatte ein großes Küchenmesser in der Hand und ging damit dem Krautgarten zu, um den Kohlbeeten die letzten Köpfe abzuschlagen.
Hinter dem Gebäude begegnete ihr Konstanze, welche, als die einzige zu dieser Arbeit, emsig beschäftigt war, die letzte Ladung Flachs vom Kahne in die Dörrstube zu schaffen.
»Stanze!« rief ihr die Bäuerin zu, »bleib stehen! – Hab' gehört, du wolltest morgen nach Breitenschlag hinübergehen?«
»Die Mutter hat ja gesagt, daß ich fort soll.«
»Du bleibst!« rief die Ländhoferin scharf.
»Vielleicht kann ich wieder zurückkommen«, sagte Konstanze gutmütig, »aber zum Vormund will ich doch hinübergehen.«
»Dirn', du bleibst daheim!«
»Den Sonntag hab' ich für mich, Mutter!«
»Freilich, 'leicht zum Umflankieren mit dem Lotter?«
»Daß ich zu meinem Vormund geh', laß ich mir nicht wehren!«
»Und zerrst den Jungen mit!«
»Wenn der Felix morgen auch nach Breitenschlag gehen will, ich kann nichts dagegen haben.«
Konstanze eilte dem Kahne zu. Sie erschrak selbst über das trotzige Wort, das sie gesagt hatte. Es war das erste in ihrem Leben. Sie hatte eben an den Ausspruch des Unterviertlers gedacht: »Fest auf die Füß' stellen muß man sich und die Zähne weisen.« Aber sie bangte jetzt; ein Lamm hatte dem Wolfe die Zähne gewiesen. Sie stieg mit ihren Tragbändern hastig in den Kahn hinab, der angestrengt auf den bewegten Wellen schaukelte.
Die Bäuerin stand ganz sprachlos da, und zum erstenmal ohnmächtig fühlte sie sich diesem Geschöpfe gegenüber. – Mit dem Burschen zum Vormund will die Dirn'? Dabei schaut für die Ländhoferin nichts Gutes heraus. – Die Bäuerin stand da. Haß und Wut wogten in ihrer Brust mit voller Gewalt. Sie fieberte, sie klapperte mit den Zähnen. – Was soll sie der Dirn' antun?
In den Bäumen brauste der Sturmwind, und die Wellen des Flusses wogten hoch und schlugen gischtend an die Ufer und an den schaukelnden Kahn, daß hoch an die Flachshaufen das Wasser spritzte.
Hinter den Schichten kauerte, schwindelig durch das mächtige Schaukeln, Konstanze. Der Strang der Überfuhr dröhnte, das Seil, an dem das Fahrzeug hing, spannte sich stramm, dehnte sich und klang im Sturme wie eine Saite. – Die Bäuerin sah es, und in diesem Augenblicke zuckte der wilde Gedanke auf. – Einen kurzen, funkelnden Blick in die Runde warf sie. Kein Mensch zugegen. – Mit glühender Kraft schwang sie das lange Messer, das sie in der Hand hielt, und schleuderte es gegen das gespannte Seil. Knallend riß dieses entzwei, hochauf wallte der Kahn und schoß davon. – –
Nun kauerte die Bäuerin im Gebüsche; von diesem aus starrte sie auf die hochgehende, trübe Seim, starrte dem rasch hinwogenden Fahrzeuge nach. – »Wirst morgen nicht mit ihm zum Vormund gehen . . .«
Sie hatte, als das Seil gerissen war, hinter den Flachsschichten den Schrei gehört. – Nun war ihr kühl und wohl. Das Seil zerrissen – wer kann dafür! Der Kahn zerschellt am Felsen – die Dirn' ist hin. Der Streit um Hof und Bräutigam ist aus . . .
Nach einer Weile, als unten an der Biegung, wo die Klamm angeht, das schwimmende Schifflein verschwunden war, atmete die Ländhoferin noch einmal auf, ging dann in den Hof zurück und schaffte wie gewöhnlich, nur daß sie mit den Leuten freundlicher tat als sonst. –
Nach und nach hieß es: »Wo steckt denn die Dirn', die Konstanze so lang?«
Da kam eine Magd herangeschossen: »Jesus Maria! Der Kahn, der Kahn ist weg!«
»Jesus Maria!« schrie die Bäuerin noch viel lauter und schlug die Hände zusammen.
»Das Seil ist ab! Der Kahn ist fort! Die Dirn' ist hin!«
»So geht doch, so eilt doch um tausend Gottes willen!« jammerte die Bäuerin und lief scheinbar in großer Aufregung im Hofe herum. »So läutet um Hilfe! So spannt doch die Pferde ein! Kann denn keiner schwimmen? O Heiland, mein Kind, das liebe Kind! – Wo ist denn der Felix?«
»Der Felix nicht da?« riefen sie in alle Stuben hinein.
»Der Felix nicht da?« schrien sie in den Scheunen um.
»Wo ist denn der Felix?« lärmten sie durch das ganze Gehöfte.
»Felix!«
Nicht im Hause, nicht in den Wirtschaftsräumen, nicht im Baumgarten war der Felix. Da kam der Halterbub und berichtete, den Felix hätte er voreh auf den Kahn steigen gesehen.
Jetzt war die Ländhoferin still und blaß geworden. Jetzt wankten ihre Knie, und am Antrittstein der Haustür sank sie nieder.
Verspielt. Der Felix ist bei der Dirn'!
*
In Graus und Todesbann
Steht fest und treu der Mann.
Ja, der Felix ist bei der Dirn'. Und wie ist er zu ihr gekommen?
Felix, lange genug umhergeschlendert im Hofe, war gegangen, um dem Mädchen den Flachs abladen zu helfen. Konstanze war dabei ja völlig allein und sollte noch vor dem Dunkeln fertig werden.
Doch ging die Arbeit auch zu zweien nicht sonderlich vonstatten. Das Mädchen war gewiß fleißig und eilte mit den Bündeln flink in die Dörrstube und war ums Handumdrehen auch wieder zurück auf dem Kahne. Der Felix aber, das war heute ein fauler Schlingel, er legte sich hin zwischen die Flachsschichten und reckte alle viere von sich. Dieses Bett schaukelte ja so prächtig, und Konstanze hüpfte neben ihm hin und her. Und ihr waren die Flachsbündel so leicht, und ihr war so frisch zumute, wie nie noch zuvor, und es tat ihr jetzt fast wohl, der Stiefmutter einmal ein selbstbewußtes Gesicht gezeigt zu haben.
Konstanze sprang jetzt wieder auf das Schifflein; Felix wollte sich aus dem Flachse erheben.
»Bleib liegen«, flüsterte ihm das Mädchen zu, »dort hinten steht die Bäuerin.«
»Was frag' ich nach der Bäuerin!« sagte er, »von der lass' ich mir das Aufstehen schon lang nicht verbieten.«
In demselben Augenblicke schwirrte das Seil, der Kahn schnellte empor und schoß davon.
»Heiliger Gott!« schrie Konstanze und taumelte zu Boden.
»Der vermaledeite Strick ist gerissen!« sagte Felix, setzte aber sofort bei: »Macht nichts, jetzt fahren wir lustig ins untere Viertel hinab.«
»Und ist es nicht gefährlich, Felix?« fragte das Mädchen zitternd und hörte im Sausen und Brausen das eigene Wort kaum.
»Wie kann denn das gefährlich sein!« rief er laut; »wenn man über das Meer mit Schiffen fahren kann, so wird sich's wohl auf der Seim auch tun. Höchstens, daß dieses Wasser zu klein wäre, dann trägt's uns ohnehin ans Land.«
»So will ich ganz ruhig sein«, sprach Konstanze.
»Setz dich nur da an den Flachs und halte dich fest an mich, Konstanze, es kann uns nichts geschehen.«
Mittlerweile zogen die Auen, Büsche und Bäume der grünen Länd' rasch zurück, und die Wogen umbrandeten mit Gischten und Brausen das Schifflein, das auf den Wellen dahinglitt.
Felix tat sich nach einem Ruder um, es gelang ihm nur, ein paar schwache Bretter vom Kahne loszumachen. Konstanze schlang ihre beiden Arme um den Nacken des jungen Mannes und barg ihr Angesicht an seiner Brust. Da die Ruderarbeit mit den nichtigen Holzstücken zu nichts dienen konnte, so saß Felix lehnend am Flachshaufen, von welchem das Wasser ganze Teile fortspülte. Fest stemmte er seine Beine, seine Arme an die Planken des Kahnes; mit trotzig geschlossenen Lippen starrte er hinaus auf den brausenden Fluß, auf die Ufer, die immer steiler und wilder wurden, bis endlich an beiden Seiten die schroffen Wände dräuten. Zum Glücke war das Gefälle hier geringer, und das Wasser floß langsamer. Felix aber wußte nicht, welche Stellen noch kommen würden, er ahnte auch nicht, wie groß die Gefahr war, in der sie schwebten. Und so hub er, als ihm die Lage vertraulicher war, in seinem Übermute an, hi! und hott! zu rufen, als wären ein Paar Rößlein gespannt an das Fahrzeug, und als habe er dieser Rößlein Leitriemen in den Händen.
Da richtete auch das Mädchen allmählich das Auge gegen ihn auf und fragte: »Felix, was wird das werden?«
»Wenn die Schimmel so fortmachen, sind wir in zwei Stunden daheim«, sagte der Bursche, »die werden schauen, wenn wir angefahren kommen!«
»Und können wir halten?«
»Vor dem Haus steht immer eins am Wasser, das wird uns schon sehen, und wenn wir nur wollen, überall kommen wir leicht ans Land hinaus.«
»Ich bitte dich, Felix«, sagte Konstanze, »wenn's geht, fahren wir gleich ans Land!«
»Was fällt dir ein, Dirndl!« rief er, »hier ans Land! Ist ja kein Haus weit und breit; wie kämest denn heut noch ins Unterviertel? Hier auf dem Wasser geht's am geradesten. Hi, Schimmel!«
Und es ging am geradesten . . .
»Wenn's nur nicht Nacht wird!« wendete Konstanze ein.
»Nacht wird's schon!« sagte der Bursche.
Und wirklich begann es unter dem trüben Himmel bereits zu dämmern. Der Wind stieß von verschiedenen Richtungen her, bald schob er im Bunde mit den Wellen den Kahn nach vorwärts, bald prallte er von den Seiten an, dann wieder stemmte er sich dem Flusse und dem Fahrzeuge entgegen. Das drehte und wendete sich, ging im Kreise um sich selbst, kam nicht von der Stelle, und dann wieder schwamm es sausend voran und bohrte – was immer noch das gefährlichste war – die Spitze in das zischende Wasser.
Felix mußte häufig seinen Platz wechseln, um möglichst das Gleichgewicht zu schaffen. Konstanze zitterte und betete und sah in der Gefahr eine Strafe für die Unehrerbietung, die sie heute der Mutter entgegengesetzt hatte. In welcher Weise jedoch ihr kühnes Benehmen gegen die Bäuerin mit dem Losreißen des Schiffleins zusammenhing, konnte sie freilich nicht ahnen.
»Du sollst dich in den Flachs hinein vergraben, Konstanze«, schlug der Bursche vor, »du wirst sonst allzu naß.«
Es wäre ihm angenehm gewesen, ihr so die Gefahr zu verhüllen, die er wachsen sah. Das Mädchen aber richtete sich plötzlich auf und sagte gefaßt: »Bist du so mannbar, Felix, so will auch ich nicht verzagt sein . . .«
Felix hatte, um dem Nahen seiner Gegend gewärtig zu sein, den Wechsel der Landschaften beobachtet. Waldberge, Felspartien, Wildnis zumeist. Nur einmal hatte er hoch an einem Hange die Straße gesehen, auf welcher er vor wenigen Tagen mit der eroberungssüchtigen Großbäuerin gegen das obere Viertel gefahren war. Gar bald lenkten ihn von diesem Gegenstande die Klippen ab, an welche der Kahn zuweilen prallte, um sofort wieder seithin geschnellt zu werden. Die Planken hielten fest zusammen. Felix hatte mit dem dünnen Brettl wiederholt das Rudern versucht. Die Gewalten der Flut spotteten eines solchen Werkzeuges.
Allmählich war es nun finster geworden. Und so saßen die zwei jungen, lebensdurstigen Wesen im Dunkel der Nacht, mitten im brandenden Elemente.
»Das ist ein unglücklicher Samstagabend!« murmelte Konstanze, und dankte andererseits insgeheim der Heiligen Jungfrau Maria, daß nicht sie allein, oder nicht er allein auf dem Fahrzeug gewesen, als das Seil gerissen war.
Felix spähte durch die Dunkelheit in die Gegend hinaus, die sich geweitet hatte und nun schier dem unteren Viertel glich. Es wuchs sein Hoffen und sein Bangen. Ihm war, als müsse seine Heimat Hilfe bieten, als könne es gar nicht sein, daß sie an dem Häuschen der Eltern vorübertrieben, und es streckten ihnen nicht Vater und Mutter die Arme rettend entgegen.
Er tat nun manchen lauten Schrei. Aber an den Ufern blieb es stille; von der Ferne her glühten zuweilen Lichter eines Hofes, eines Dorfes.
Da das Fahrzeug nahe am Ufer trieb, so dachte Felix auch an das Herausspringen, oder an das Erfassen eines Strauches. Doch ging die Fahrt zu schnell.
Wenn nun aber kein Anker ist, und sie müssen an der lieben Gegend vorbei – dann – Konstanze soll es nicht wissen, daß eine halbe Stunde unter dem Heimathäuschen des Winzers die große Wehr ist, die den Hammerbach nach Zollau ableitet, eine hohe Wehr, an der schon mancher zugrunde gegangen und an der auch der Plan gescheitert war, den unteren Gegenden durch Floßfahrten das Waldholz des Gebirges zu vermitteln. Viele Leute aus nah und fern kamen alljährlich zur »Zollauer Wehr«, um den Wasserfall zu sehen. Nicht Menschen hatten die Wehr gebaut; hier senkte sich plötzlich die Gegend tiefer und daher der Abgrund. Von all dem braucht Konstanze nichts zu wissen.
Allmählich wurde der Lauf des Wassers sachter. Felix erkannte einzelne Hügelformen, einzelne Baumgruppen, einzelne schimmernde Häuschen – er nahte seinem Heim.
Nochmals erhob er seine Stimme. Ein ferner Widerhall antwortete ihm – aber niemand kam ans Ufer und der Kahn glitt weiter und weiter. – Plötzlich stieß der Bursche ein »Ah!« aus. Er sah das beleuchtete Fenster seines Hauses. Das rote Scheibchen rückte näher – Felix schrie nach allen Kräften seiner Lunge – gar vergebens war's, es kam niemand ans Ufer.
In Feierabendruhe stand das Winzerhäuschen da. Am beleuchteten Fensterl glitten Schatten vorüber – die Schatten der Personen, die in der Stube hin und her wandelten. Sie beteten vielleicht eben die Samstagsandacht, wobei der Vater mit der Betschnur gerne langsam in der Stube auf und ab schritt. Und die Mutter kniete wohl vor dem schlichten Hausaltare und gedachte des Sohnes, der fort von Heim in einen reichen Hof gegangen war, um dort sein Brot und Glück zu suchen. Derselbe Sohn, der jetzt in Todesnot auf dem Flusse vorbeizog.
Und der Schiffer rief vergebens. Das traute Haus blieb zurück, und das Schifflein schwamm nun ruhig auf der breiten Seim dahin. Dahin und geradeswegs den Schrecken der Zollauer Wehr zu.
*
An der Enns entlang
Aus dem Gesäuse
Im Haupte des Burschen flogen, schwirrten, stürzten in Verwirrung die Gedanken durcheinander. – Jetzt kommt kein Ort, kein Haus mehr bis zur Wehr – Schiffer, du bist auf dich selbst gestellt. – Die losgerissenen Planken erfaßte er und band sie mit den Strohbändern der Flachsballen aneinander. Dann zwängte er auf dem Kahne einen der langen Eisennägel locker und riß ihn in Ermanglung einer Zange mit den Zähnen aus dem Holze. Diesen Nagel schlug er mit einem losen Balken in das eine Ende der aneinandergebundenen Planken.
Konstanze verfolgte mit steigender Angst das hastige Arbeiten des Burschen.
Am Ufer ging ein Weg entlang. Auf diesem Wege flimmerte jetzt ein Licht, klang ein Glöcklein. Beim Scheine zu sehen waren zwei Gestalten, wovon die eine ein Priester im Chorrock, an der Brust das Heiligste tragend. Ein Gang in tiefer Nacht zu einem Schwerkranken.
Felix schrie nicht mehr um Hilfe; vom Ufer aus zu retten, war alle Zeit vorbei. Aber zu dem Mädchen sagte er die Worte: »Konstanze, dort fragen sie das hochwürdigste Gut. Sie gehen zu einem Sterbenden, 'leicht magst du beten . . .«
Da ahnte sie, daß es sich um Leben und Sterben handle. Sie sank auf ihre Knie, und ihr blasses Antlitz matt beschienen von dem am Ufer vorbeizitternden Licht, betete sie . . .
Felix schrie nach Hilfe noch während seiner Arbeit. Brachte er diese in den nächsten Minuten fertig, so konnte es vielleicht noch zum Guten sein – sonst alles verloren. – Schon hatte er den Eisennagel durch das Holz getrieben, da barst die Planke, der Nagel war wieder locker. Keine Kleinmut jedoch war in diesem bedeutsamen Augenblicke an dem Burschen bemerkbar. Rasch kehrte er die Planke um, schlug den Nagel am anderen Ende ein – da engte sich schon der Fluß – die letzte Enge vor der Wehr, deren Fall man bereits donnern hörte – der Kahn trieb ein wenig gegen das Strauchwerk des rechten Ufers. Der Nagel saß fest – sachte, daß er nicht breche – bog ihn Felix zu einem Haken um, und nun, mit bebender Gier, warf er diesen Anker gegen das Strauchwerk aus. Die Planke war zu kurz. Schon hub der Kahn an, sich wieder vom Ufer zu entfernen; da erfaßte Konstanze einen der kurzen Balken, stieß ihn als Ruder ins Wasser, lenkte so ein paar Fußbreit das Fahrzeug uferwärts, und Felix hatte sich mit dem Anker festgehakt im Buschwerk.
Unschwer war nun auf dem hier fast ruhigen Wasser das Fahrzeug ans Ufer zu ziehen; Konstanze und Felix sprangen oder wanden sich vielmehr durch das Gebüsche ans Land. – Der Bursche stieß einen hellen Juchschrei aus; das Mädchen sank auf die liebe feste Erde hin und weinte Freudentränen.
*
Die Ohren klingen, die Katzen röhren,
Als müßt' ich bald was Neues hören.
Für die Froschreiterleut' im Winzerhause war das eine seltsame Nacht.
Zuerst der geisterhafte Ruf beim Abendgebete. Dann ging der Priester mit dem Sterbesakramente vorbei. Ein alter Mann im Johannistal lag schwer krank. Man hatte vor dem Einschlafen für ihn noch ein Vaterunser gebetet. Aber es war keine Ruhe. – Um Mitternacht kamen sie an.
Die Mutter hatte den Felix schon am Klopfen an die Tür erkannt. Der Vater hingegen hatte es nicht glauben wollen, daß dieser batschnasse Mensch mit dem Weibsbild sein Sohn sei.
Zuerst hatten sie bei dem schlechten Schein des Öllämpleins die weibliche Gestalt für die Ländhoferin gehalten; und jetzt war es eine ganz andere und noch dazu eine blutjunge Person; und die Leutchen – man sah's gleich – waren gut miteinander bekannt.
Der alte Froschreifer schoß in die Nebenkammer, schlug dort die Hände über den Kopf zusammen: »Sonst ein so braver Bub gewesen, und jetzt auf einmal zerrt er mir Frauenzimmer ins Haus!«
»Wir können niemand Fremden über Nacht behalten!« sagte die Mutter scharf, einen Blick auf Konstanze werfend.
Der kleine Anton war auch aufgestanden, der bot der Fremden sein eigen Bett an; die gefiel ihm viel besser als die dicke Ländhoferin.
Konstanze blickte verzagt zu Felix auf.
»Ja regnet's denn draußen?« rief die Froschreiterin, »ihr seid bigott allzwei waschnaß!«
Und nun erzählte Felix zuerst vom Flachsabladen am Ländhofe, dann von der schönen Fahrt auf der Seim und die Rettung vor der Zollauer Wehr. Da ging es bald aus einem anderen Ton im Winzerhause. Die Mutter packte den Sohn am Halse: »Nicht umsonst hat mir die letzt' Nacht so geträumt! Allerweil bin ich auf der Hochzeit gewesen – und das ist das sicherste Zeichen, daß wer stirbt.«
»Ist ja niemand gestorben!« sagte der Felix.
»Aber sein hätt's können, du Narr! – Ach, du liebes Kind!« und fiel ihm wieder um den Hals.
»Bei der Zollauer Wehr?« fragte der alte Winzer mit vorgebeugtem Haupte, und mit unsicherer Stimme setzte er bei: »Was ist denn heut für ein Tag?«
»Heut ist gar kein Tag, heut ist die Nacht«, erklärte der kleine Anton.
»Weil ich sagen will, wir müssen alle Jahr' an diesem Tag eine Kirchfahrt auf den Schutzengelberg machen, aus Dankbarkeit für das Mirakel, das heut ist geschehen.«
»Eine warme Suppe wär' mir noch lieber«, sagte Felix; und da schrie die Mutter: »Weil eins gar nicht weiß, wo einem der Kopf steht! Ja freilich werden sie zu essen auch was haben müssen!«
Mitten in der Nacht knatterte das Feuer auf dem Herde. Ein Bund Maisstroh wurde in die Stube geschleppt und von jedem Bette des Hauses das beste Stück: vom alten Winzer das Leintuch, von seinem Weib die Decke, von der Tochter der Kopfpolster, vom kleinen Anton der Fußwärmerziegel wurde herbeigebracht, um davon der armen Dirn' aus dem Ländhofe ein gutes Bett zu bereiten.
Dann aßen sie, dann gingen sie schlafen.
Noch bevor der Felix in seine Dachkammer hinaufstieg, sagte er zum Mädchen ein so warmherziges Wort, daß dem Alten, der es unversehens hörte, der Atem stehenblieb.
Nach all der Anstrengung und Angst schliefen die Schiffbrüchigen bald ein. Der alte Froschreiter wachte noch lange und murmelte ein übers andere Mal: »Ist was dahinter bei diesen zwei Leuten! Ist was dahinter!«
Auch die Winzerin schlief nicht. Es klang ihr so in den Ohren, und hinter dem Herde spann die Hauskatze – »'s ist noch nicht richtig! . . .«
Noch ehe der Tag anbrach, klopfte es am Fenster des Winzerhauses, und eine rauhe Stimme rief von außen: »He, Leute, auf, 's ist was geschehen! – Hat gestern spät abends oder in der heutigen Nacht niemand von da wahrgenommen, daß auf der Seim ein Kahn herabgefahren ist?«
Konstanze sprang von ihrem Lager auf: »Der Vormund! Das ist ja mein Vormund!«
»Was höre ich denn!« rief der von außen, »die Konstanze? Und da drin wäre sie? O du mein Gott! O du lieber Gott!«
Bald war das ganze Haus wach. Der Mann draußen führte sein Pferd unter Dach, denn es stürmte, regnete und schneite; dann schritt er in die Stube.
Es war ein rauhgestaltiger, vollbärtiger Mann – es war Konstanzens Vormund, der alte Freund des Ländhofers, der Waldmeister aus Breitenschlag.
»Mit dem bist gefahren? mit dem da?« fragte er das Mädchen und versetzte dem Winzerssohn einen Handschlag auf die Achsel. Und hierauf mußten sie ihre Wasserreise und ihre Rettung wieder und wieder erzählen. – Der Waldmeister war froh, daß auf seinem Angesichte so viel Bart wucherte, in welchem sich ein paar unberufene Augentropfen leicht verstecken konnten.
»Jetzt aber, ihr Leute«, sagte endlich der Mann von Breitenschlag, »jetzt habe ich etwelches vom Ländhofe zu erzählen. Dort ist die Nacht nicht so glücklich abgegangen als da im unteren Viertel. – Ich darf's auch dir sagen, Konstanze – die Ländhoferin ist gestorben.«
Ein mehrstimmiger Ausruf.
»Was hab' ich nicht gesagt!« rief die Froschreiterin.
»Will's wohl erzählen«, sagte der Waldmeister. »Gestern in Breitenschlag – 's ist schon dunkel worden – ich will mich just für den Sonntag einrichten – kommt ein Bot' von der grünen Länd': groß Unglück geschehen, die Konstanz' und einen Unterviertler das Wasser vertragen – die Bäuerin auf den Tod krank. – Der Schlag hätt sie troffen in hellem Schreck, vor der Haustür war' sie zusammengesunken, und ich sollt' eilends mitkommen. Ich frag' nicht erst, wer der Unterviertler ist, spring' auf mein Rössel, und in einer Stund' drauf bin ich im Ländhof. – Mit der Bäuerin ist's vorbei, das seh' ich gleich; blaß wie das Leintuch, liegt sie auf dem Bett, hat nimmer viel reden können.«
»O Gott, meine arme Mutter!« weinte Konstanze.
»Geh, Dirn', sei jetzt still«, sagte der Vormund, »hast Ursach' zu klagen, so ist später auch noch Zeit dazu. Jetzt hör auf meine Red'. – Bäuerin, sag' ich und geb' ihr die Hand hin, was ist dir so jäh widerfahren? – Ist's der Waldmeister? fragt sie, wenn's der Waldmeister ist, so möcht' ich ein paar Wort' allein mit ihm reden. – Darauf gehen die Leut' aus der Stube. – Ländhoferin, sag' ich zu ihr, hast ein Anliegen? – Mein Herrgott wird mich nicht verlassen, spricht sie, ich will alles sagen. Waldmeister, ich kann ja nichts dafür, daß ich den Burschen so lieb hab' gehabt. Geeifert hab' ich mich mit der Dirn', und ich hab' sie wollen aus dem Weg schaffen. Ich selber hab' das Seil abgeschnitten –«
Wieder ein Schrei des Schreckens, und Konstanze rief: »Nein, Vormund, das, das hat sie im Fieber gesagt.«
»Du bist eine gute Seel', Mädel«, sprach der Waldmeister, »und das hat sie in der letzten Stund' auch eingesehen. Um Verzeihung bitten läßt sie dich für alles; sollst recht glücklich sein auf dieser Welt. Das ist ihr letztes Wort gewesen.«
Konstanze schluchzte laut. Alle waren ergriffen.
»So hat sie mir's anvertraut«, fuhr der Waldmeister fort, »wie sie alles gemeint hat, das muß ich erst von euch erfahren. – Nun, und die Leut' sind an der Seim dahingeeilt, und um Mitternacht, da die Bäuerin verschieden war, bin auch ich auf mein Pferd gesprungen und dem unteren Viertel zugeritten, daß ich doch eine Spur von euch könnt' entdecken, 's ist mir gut geraten, Gott sei Lob, 's ist mir gut geraten.«
»Oh, arme Mutter!« klagte Konstanze.
»Den Toten nichts Übles, aber die Wahrheit muß ans Licht«, sagte der Vormund. »Kind, die Bäuerin hätte dich vielleicht liebgehabt, wenn nicht deines Vaters Testament vorhanden gewesen wäre. Das ist ungenau, aber sie hat es gewußt, daß du mit dem Eintritte deiner Großjährigkeit der Herr auf dem Ländhofe sein wirst.«
»Ich bitt' Euch, laßt mir jetzt diese Dinge weg!« rief das Mädchen, »es hat uns erst der Tod die Hand gegeben.«
»Wohl, wohl, aber jetzt kommt wieder das Leben dran«, sagte der Waldmeister, »ich bin der Vormund, und mir ist darum zu tun, daß du jetzt weißt, wie es steht und was du zu tun hast. Von heut an werden alle Schriften über den Ländhof auf deinen Namen lauten. Ich bin ein betagter Mann und hab' auch auf mein Haus zu denken, aber ich werde dir in der Wirtschaft helfen, bis du einen anderen, jüngeren Vormund wirst gewählt haben.«
Felix nieste.
»Helf Gott!« sagte er für sich selber, »und wahr soll's sein, was ich mir jetzt gedacht hab'!«